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Betriebsbedingte Kündigung: Interessenausgleich im Insolvenzverfahren

Arbeitsgericht Mönchengladbach kippt Kündigung in Insolvenzverfahren: 55-jähriger Maschineneinrichter siegt gegen unfaire Entlassung! Das Gericht kritisiert fehlende Transparenz und grobe Fehler bei der Auswahl der zu kündigenden Mitarbeiter. Ein wegweisendes Urteil für Arbeitnehmerrechte in Krisenzeiten.

Das Wichtigste: Kurz & knapp

  • Die Kündigung des Klägers wurde für unwirksam erklärt, was bedeutet, dass sein Arbeitsverhältnis weiterhin besteht.
  • Der Fall betrifft die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung während eines Insolvenzverfahrens.
  • Es gab eine signifikante Reduzierung der Beschäftigung und eine unzureichende Auslastung des Betriebs, die zur Kündigung führte.
  • Der Beklagte berief sich auf einen Interessenausgleich mit Namensliste zur Begründung der Kündigung.
  • Der Kläger wies darauf hin, dass keine ordnungsgemäße Sozialauswahl vorgenommen wurde und er keine Informationen über Sozialdaten anderer Arbeitnehmer erhielt.
  • Das Gericht stellte fest, dass die Interessen des Klägers nicht ausreichend gewahrt wurden, da die Sozialauswahl unzureichend war.
  • Die Entscheidung des Gerichts basiert auf der fehlenden Transparenz und der ungenügenden Prüfung der Sozialkriterien.
  • Die Kosten des Verfahrens wurden dem Beklagten auferlegt, was bedeutet, dass er für die Rechtsstreitkosten aufkommen muss.
  • Die Entscheidung hat Auswirkungen auf die Rechte von Arbeitnehmern im Insolvenzverfahren und stärkt deren Kündigungsschutz.
  • Arbeitnehmer können sich durch diese Entscheidung ermutigt fühlen, ihre Rechte bei betriebsbedingten Kündigungen zu verteidigen.

Betriebsbedingte Kündigung: Rechte und Pflichten im Insolvenzverfahren erläutert

Die betriebsbedingte Kündigung ist ein zentrales Thema im Arbeitsrecht, insbesondere in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheiten. Sie tritt ein, wenn ein Arbeitgeber bedenkt, dass eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses aus dringenden geschäftlichen Gründen nicht mehr möglich ist. Dabei spielt das Insolvenzrecht eine entscheidende Rolle, denn es schützt sowohl die Interessen der Arbeitnehmer als auch die der Gläubiger. Insbesondere der § 125 der Insolvenzordnung (InsO) regelt die Grundlagen für einen Interessenausgleich zwischen den betroffenen Parteien und schafft einen rechtlichen Rahmen für die Durchführung von Kündigungen im Falle einer Unternehmensinsolvenz.

Ein wichtiger Bestandteil dieses Prozesses ist die Erstellung einer Namensliste, die alle betroffenen Mitarbeiter aufführt. Diese Liste dient als Grundlage für den Interessenausgleich, der darauf abzielt, möglichst fair und transparent zu entscheiden, welche Beschäftigungsverhältnisse beendet werden müssen. In diesem Zusammenhang ist es für Arbeitnehmer entscheidend zu wissen, welche Rechte und Ansprüche sie besitzen und wie sie sich gegen eine Kündigung wehren können.

Um die rechtlichen Feinheiten und die praktische Anwendung dieser Regelungen zu beleuchten, wird nun ein konkreter Fall vorgestellt, der die wichtigsten Aspekte der rechtlichen Auseinandersetzung illustriert.

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Der Fall vor Gericht


Betriebsbedingte Kündigung im Insolvenzverfahren unwirksam

Das Arbeitsgericht Mönchengladbach hat in einem Urteil vom 23.07.2015 die Unwirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens festgestellt. Der Fall betraf einen 55-jährigen Kläger, der seit 1986 als Maschineneinrichter bei der insolventen Firma beschäftigt war.

Hintergrund des Falls

Die Insolvenzschuldnerin betrieb vier Werke in Deutschland, darunter einen Betrieb in O. mit zuletzt etwa 300 Beschäftigten. Nach dem Verlust wichtiger Großkunden sank die Auslastung auf nur noch 24%. Am 28. Januar 2015 wurde ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, der Ende März 2015 zum Insolvenzverwalter ernannt wurde.

Interessenausgleich und Namensliste

Der Insolvenzverwalter handelte mit dem Gesamtbetriebsrat und den örtlichen Betriebsräten einen Interessenausgleich mit Namensliste aus. Auf Basis dieser Liste kündigte er dem Kläger am 27. März 2015 zum 30. Juni 2015. Der Kläger wehrte sich mit einer Kündigungsschutzklage gegen diese Entscheidung.

Urteilsbegründung des Arbeitsgerichts

Das Gericht gab der Klage statt und erklärte die Kündigung für unwirksam. In der Begründung kritisierte das Gericht, dass der Insolvenzverwalter keine konkreten Angaben zu den Kündigungsgründen und zur Sozialauswahl gemacht hatte. Obwohl bei einem Interessenausgleich mit Namensliste normalerweise eine Vermutung für das Vorliegen betriebsbedingter Kündigungsgründe gilt, reichte der abstrakte Vortrag des Beklagten nicht aus, um dem Kläger eine Chance zur Widerlegung dieser Vermutung zu geben.

Mängel bei der Sozialauswahl

Das Gericht bemängelte zudem die fehlenden Informationen zur Sozialauswahl. Der Beklagte hatte weder die Sozialdaten des Klägers noch die der vergleichbaren Arbeitnehmer offengelegt. Dadurch war eine Überprüfung der Sozialauswahl unmöglich. Das Gericht kritisierte auch die vom Beklagten beschriebenen Kriterien für die Vergleichsgruppenbildung als grob fehlerhaft.

Fehlerhafte Vergleichsgruppenbildung

Die Bildung von Vergleichsgruppen anhand von Entgeltgruppen und der zuletzt ausgeübten Tätigkeit wurde vom Gericht als unzureichend bewertet. Es betonte, dass Entgeltgruppen nicht zwangsläufig betriebliche Hierarchieebenen widerspiegeln und dass auch die Fähigkeiten der Arbeitnehmer für andere Tätigkeiten hätten berücksichtigt werden müssen.

Schlussfolgerung des Gerichts

Das Arbeitsgericht kam zu dem Schluss, dass der Insolvenzverwalter nicht genügend Informationen zur Verfügung gestellt hatte, um eine fundierte Beurteilung der Kündigung zu ermöglichen. Es betonte, dass auch bei einem Interessenausgleich mit Namensliste eine gerichtliche Überprüfung der Sozialauswahl möglich sein muss.

Bedeutung des Urteils

Das Urteil unterstreicht die Wichtigkeit einer transparenten und nachvollziehbaren Sozialauswahl auch in Insolvenzverfahren. Es zeigt, dass Arbeitgeber bzw. Insolvenzverwalter trotz der Sonderregelungen im Insolvenzrecht verpflichtet sind, ihre Entscheidungen detailliert zu begründen und dem Gericht alle notwendigen Informationen zur Verfügung zu stellen.

Die Schlüsselerkenntnisse


Das Urteil verdeutlicht, dass auch im Insolvenzverfahren eine transparente und nachvollziehbare Sozialauswahl unerlässlich ist. Trotz der Vermutungswirkung eines Interessenausgleichs mit Namensliste müssen Insolvenzverwalter konkrete Angaben zu Kündigungsgründen und Sozialauswahl machen. Die fehlende Offenlegung relevanter Informationen und eine grob fehlerhafte Vergleichsgruppenbildung können zur Unwirksamkeit von Kündigungen führen. Dies stärkt den Arbeitnehmerschutz und unterstreicht die Notwendigkeit sorgfältiger Dokumentation bei Massenentlassungen in der Insolvenz.


Was bedeutet das Urteil für Sie?

Dieses Urteil stärkt Ihre Rechte als Arbeitnehmer bei betriebsbedingten Kündigungen im Insolvenzverfahren erheblich. Auch wenn ein Interessenausgleich mit Namensliste vorliegt, muss der Insolvenzverwalter die Kündigungsgründe und die Sozialauswahl konkret darlegen. Sie haben Anspruch auf detaillierte Informationen zur Sozialauswahl, einschließlich der Vergleichsgruppen und Auswahlkriterien. Ohne diese Angaben kann die Kündigung unwirksam sein. Prüfen Sie daher sorgfältig die Begründung Ihrer Kündigung und zögern Sie nicht, Ihre Rechte einzufordern. Im Zweifelsfall sollten Sie sich rechtlich beraten lassen, da Ihre Chancen auf einen Erfolg im Kündigungsschutzprozess durch dieses Urteil verbessert wurden.


FAQ – Häufige Fragen

Sie stehen vor der Herausforderung einer betriebsbedingten Kündigung im Insolvenzrecht? Unsicherheiten, wie es nun weitergeht, sind verständlich. Diese FAQ-Rubrik verschafft Ihnen Klarheit und beantwortet die wichtigsten Fragen rund um das Thema.


Was bedeutet eine betriebsbedingte Kündigung im Insolvenzverfahren?

Eine betriebsbedingte Kündigung im Insolvenzverfahren bezeichnet die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber oder Insolvenzverwalter aufgrund der wirtschaftlichen Notlage des Unternehmens. Sie basiert auf dringenden betrieblichen Erfordernissen, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen.

Im Insolvenzverfahren gelten besondere rechtliche Rahmenbedingungen für betriebsbedingte Kündigungen. Der Insolvenzverwalter muss nachweisen, dass die Kündigung aufgrund der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens erforderlich ist. Dabei reicht die bloße Tatsache der Insolvenz als Begründung nicht aus. Es müssen konkrete betriebliche Gründe vorliegen, wie etwa die Stilllegung von Unternehmensteilen oder eine Umstrukturierung zur Kostensenkung.

Die Insolvenzordnung (InsO) sieht spezielle Regelungen vor, die den Kündigungsprozess im Insolvenzverfahren erleichtern. So gilt nach § 113 InsO eine maximale Kündigungsfrist von drei Monaten, unabhängig von tarifvertraglichen oder arbeitsvertraglichen Vereinbarungen. Dies ermöglicht eine schnellere Anpassung der Personalstruktur an die wirtschaftliche Situation des insolventen Unternehmens.

Ein wichtiger Aspekt bei betriebsbedingten Kündigungen im Insolvenzverfahren ist die Sozialauswahl. Der Insolvenzverwalter muss bei der Auswahl der zu kündigenden Mitarbeiter soziale Kriterien wie Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung berücksichtigen. Allerdings sieht § 125 InsO eine Erleichterung vor: Liegt ein Interessenausgleich mit Namensliste vor, kann die Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Dies reduziert das Risiko erfolgreicher Kündigungsschutzklagen erheblich.

Für Arbeitnehmer bedeutet eine betriebsbedingte Kündigung im Insolvenzverfahren oft eine besondere Härte. Sie verlieren nicht nur ihren Arbeitsplatz, sondern müssen auch mit Einschränkungen bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche rechnen. Offene Gehaltsforderungen werden zu Insolvenzforderungen, die meist nur anteilig befriedigt werden. Arbeitnehmer haben jedoch Anspruch auf Insolvenzgeld von der Agentur für Arbeit, das für bis zu drei Monate vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gezahlt wird.

Die rechtliche Überprüfung einer betriebsbedingten Kündigung im Insolvenzverfahren ist komplex. Arbeitnehmer sollten beachten, dass die übliche Dreiwochenfrist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage auch im Insolvenzfall gilt. Eine sorgfältige Prüfung der Kündigungsgründe und der Einhaltung formaler Voraussetzungen ist ratsam, da trotz der erleichterten Bedingungen im Insolvenzverfahren nicht jede Kündigung automatisch wirksam ist.

Betriebsbedingte Kündigungen im Insolvenzverfahren zielen darauf ab, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens wiederherzustellen oder zumindest die geordnete Abwicklung zu ermöglichen. Für die betroffenen Arbeitnehmer bedeutet dies eine schwierige Situation, in der sie ihre Rechte kennen und wahrnehmen sollten, um ihre Interessen bestmöglich zu schützen.

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Welche Rechte habe ich bei einer betriebsbedingten Kündigung im Insolvenzfall?

Bei einer betriebsbedingten Kündigung im Insolvenzfall bleiben die grundlegenden Arbeitnehmerrechte bestehen. Der Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz gilt weiterhin, sofern der Arbeitnehmer länger als sechs Monate im Betrieb beschäftigt war und der Betrieb mehr als zehn Mitarbeiter hat. Die Kündigung muss sozial gerechtfertigt sein, was bedeutet, dass dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen müssen, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen.

Der Insolvenzverwalter oder Arbeitgeber muss bei einer betriebsbedingten Kündigung eine Sozialauswahl durchführen. Dabei werden Kriterien wie Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung berücksichtigt. Arbeitnehmer haben das Recht, die Sozialauswahl gerichtlich überprüfen zu lassen.

Ein wichtiges Recht ist die Möglichkeit, innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einzureichen. Hierbei kann die Wirksamkeit der Kündigung überprüft werden. Auch im Insolvenzfall sollte diese Frist unbedingt eingehalten werden, um die Rechte zu wahren.

Besondere Beachtung verdient der Fall eines Interessenausgleichs mit Namensliste. Wenn der Insolvenzverwalter mit dem Betriebsrat einen solchen Interessenausgleich vereinbart, in dem die zu kündigenden Arbeitnehmer namentlich aufgeführt sind, genießt dieser besondere rechtliche Privilegien. In diesem Fall wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Die gerichtliche Überprüfung der Sozialauswahl ist dann auf grobe Fehler beschränkt.

Arbeitnehmer haben das Recht auf Einsicht in einen eventuell bestehenden Sozialplan. Ein Sozialplan regelt den Ausgleich oder die Milderung wirtschaftlicher Nachteile, die den Arbeitnehmern durch die geplante Betriebsänderung entstehen. Im Insolvenzfall ist die Höhe der Abfindungen aus dem Sozialplan allerdings begrenzt. Sie darf insgesamt nicht mehr als 2,5 Monatsgehälter pro Arbeitnehmer betragen und in der Summe maximal ein Drittel der Insolvenzmasse ausmachen.

Besonders schutzbedürftige Arbeitnehmergruppen wie Schwangere, Arbeitnehmer in Elternzeit oder schwerbehinderte Menschen genießen auch im Insolvenzfall einen besonderen Kündigungsschutz. Für ihre Kündigung sind zusätzliche Voraussetzungen zu erfüllen, wie etwa die Zustimmung der zuständigen Behörde.

Arbeitnehmer haben das Recht auf ein qualifiziertes Arbeitszeugnis. Dieses muss auch im Insolvenzfall erteilt werden und wahrheitsgemäß sowie wohlwollend formuliert sein. Es dient als wichtige Referenz für zukünftige Bewerbungen.

Bei ausstehenden Lohn- oder Gehaltszahlungen können Arbeitnehmer für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten Insolvenzgeld bei der Agentur für Arbeit beantragen. Dieses Recht besteht unabhängig davon, ob das Arbeitsverhältnis fortbesteht oder gekündigt wurde.

Im Falle einer Betriebsfortführung oder -übernahme durch einen neuen Eigentümer haben Arbeitnehmer unter Umständen das Recht auf Übernahme ihres Arbeitsverhältnisses. Dies gilt, wenn der Betrieb im Ganzen oder in wesentlichen Teilen übernommen wird.

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Was ist ein Interessenausgleich mit Namensliste nach § 125 InsO?

Ein Interessenausgleich mit Namensliste nach § 125 InsO ist eine Vereinbarung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat im Rahmen einer Betriebsänderung während eines Insolvenzverfahrens. Darin werden die zu kündigenden Arbeitnehmer namentlich aufgeführt.

Der Interessenausgleich regelt, wie die geplante Betriebsänderung umgesetzt werden soll. Die Namensliste benennt konkret die Mitarbeiter, denen gekündigt werden soll. Diese Kombination hat besondere rechtliche Wirkungen:

Bei Kündigungen der gelisteten Arbeitnehmer wird vermutet, dass sie durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sind. Der Arbeitgeber muss die betrieblichen Gründe nicht mehr im Detail darlegen und beweisen.

Zudem wird die Sozialauswahl nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft. Das Gericht prüft nicht mehr im Detail, ob die Auswahl der zu kündigenden Mitarbeiter sozial gerechtfertigt war.

Diese Regelungen erleichtern dem Insolvenzverwalter die Durchführung von Kündigungen erheblich. Für die betroffenen Arbeitnehmer bedeutet es, dass ihre Chancen in einem Kündigungsschutzprozess deutlich sinken.

Der Betriebsrat stimmt einer Namensliste in der Regel nur zu, wenn im Gegenzug Abfindungen oder andere Vorteile für die Beschäftigten vereinbart werden. Häufig wird parallel zum Interessenausgleich ein Sozialplan abgeschlossen.

Die Erstellung einer Namensliste ist freiwillig. Weder der Insolvenzverwalter noch der Betriebsrat können dazu gezwungen werden. Kommt keine Einigung zustande, muss der Insolvenzverwalter die Kündigungen ohne die besonderen Erleichterungen aussprechen.

Für die Wirksamkeit muss die Namensliste formgerecht erstellt werden. Sie muss Teil des Interessenausgleichs sein oder zumindest eindeutig darauf Bezug nehmen. Beide Dokumente müssen von Insolvenzverwalter und Betriebsrat unterzeichnet werden.

Die Regelung des § 125 InsO gilt nur im Insolvenzverfahren. Im Rahmen einer Restrukturierung ohne Insolvenz gelten die ähnlichen, aber nicht identischen Regelungen des § 1 Abs. 5 Kündigungsschutzgesetz.

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Wie funktioniert die Sozialauswahl bei einer betriebsbedingten Kündigung im Insolvenzverfahren?

Bei einer betriebsbedingten Kündigung im Insolvenzverfahren muss grundsätzlich eine Sozialauswahl durchgeführt werden. Diese dient dazu, unter vergleichbaren Arbeitnehmern diejenigen auszuwählen, die am wenigsten schutzwürdig sind. Die Kriterien für die Sozialauswahl sind gesetzlich in § 1 Abs. 3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) festgelegt: Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung des Arbeitnehmers.

Der Insolvenzverwalter muss diese vier Kriterien bei der Auswahl der zu kündigenden Mitarbeiter angemessen berücksichtigen. Dabei hat er einen gewissen Beurteilungsspielraum bei der Gewichtung der einzelnen Faktoren. Eine Sozialauswahl ist jedoch grob fehlerhaft, wenn eines der Kriterien komplett außer Acht gelassen oder unverhältnismäßig hoch oder niedrig bewertet wird.

Im Insolvenzverfahren gelten einige Besonderheiten: Liegt ein Interessenausgleich mit Namensliste vor, ist die Überprüfung der Sozialauswahl eingeschränkt. In diesem Fall kann die Auswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden und das nur hinsichtlich der Kriterien Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten. Die Schwerbehinderung darf in diesem Fall nicht mehr berücksichtigt werden.

Der Insolvenzverwalter kann bestimmte Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herausnehmen, wenn deren Weiterbeschäftigung aufgrund ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Dies muss er jedoch im Streitfall beweisen können.

Bei der praktischen Durchführung der Sozialauswahl werden häufig Punktesysteme verwendet. Dabei werden für jedes Kriterium Punkte vergeben, beispielsweise mehr Punkte für höheres Alter oder längere Betriebszugehörigkeit. Die Arbeitnehmer mit der niedrigsten Gesamtpunktzahl gelten dann als am wenigsten schutzbedürftig.

Es ist wichtig zu beachten, dass die Sozialauswahl nur unter vergleichbaren Arbeitnehmern durchgeführt wird. Vergleichbar sind Mitarbeiter, die austauschbare Tätigkeiten ausüben. Der Insolvenzverwalter muss daher zunächst Vergleichsgruppen bilden.

Fehler bei der Sozialauswahl können zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. Arbeitnehmer, die sich ungerecht behandelt fühlen, können innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage erheben. Im Prozess muss dann der Insolvenzverwalter die Ordnungsmäßigkeit der Sozialauswahl darlegen und beweisen.

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Welche Möglichkeiten habe ich, mich gegen eine betriebsbedingte Kündigung im Insolvenzfall zu wehren?

Eine betriebsbedingte Kündigung im Insolvenzfall kann mit einer Kündigungsschutzklage angefochten werden. Diese muss innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung beim zuständigen Arbeitsgericht eingereicht werden. Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Kündigung dem Arbeitnehmer zugegangen ist. Wird die Frist versäumt, gilt die Kündigung als wirksam.

Bei der Kündigungsschutzklage prüft das Gericht, ob die betriebsbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt ist. Dafür müssen dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen. Die Insolvenz allein rechtfertigt keine Kündigung. Es muss nachgewiesen werden, dass der Arbeitsplatz tatsächlich weggefallen ist, etwa durch Betriebsschließung oder Umstrukturierung.

Der Insolvenzverwalter muss bei betriebsbedingten Kündigungen eine Sozialauswahl durchführen. Dabei werden Kriterien wie Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung berücksichtigt. Wurde die Sozialauswahl fehlerhaft durchgeführt, kann dies ein Grund für die Unwirksamkeit der Kündigung sein.

Wichtig zu beachten: Liegt ein Interessenausgleich mit Namensliste vor, in dem die zu kündigenden Arbeitnehmer aufgeführt sind, ist die gerichtliche Überprüfung der betriebsbedingten Kündigung eingeschränkt. In diesem Fall wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Die fehlerhafte Sozialauswahl kann dann nur noch bei grober Fehlerhaftigkeit geltend gemacht werden.

Neben der Kündigungsschutzklage besteht die Möglichkeit, mit dem Insolvenzverwalter über einen Aufhebungsvertrag zu verhandeln. Dabei kann eine Abfindung vereinbart werden. Der Vorteil eines Aufhebungsvertrags liegt in der schnellen und einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Allerdings sollte man bedenken, dass dadurch möglicherweise Ansprüche auf Arbeitslosengeld beeinträchtigt werden können.

Die Erfolgsaussichten einer Kündigungsschutzklage hängen vom Einzelfall ab. Generell sind sie im Insolvenzfall geringer als bei normalen betriebsbedingten Kündigungen. Dennoch kann es sich lohnen, rechtlichen Rat einzuholen und die Kündigung überprüfen zu lassen. Oft werden im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens Vergleiche geschlossen, bei denen eine Abfindung gezahlt wird.

Bei einer Kündigungsschutzklage fallen Gerichts- und ggf. Anwaltskosten an. Die Höhe richtet sich nach dem Streitwert, der in der Regel drei Monatsgehälter beträgt. Bei finanziellen Engpässen kann Prozesskostenhilfe beantragt werden.

Alternativ zur Klage kann versucht werden, direkt mit dem Insolvenzverwalter zu verhandeln. Dabei können Aspekte wie eine längere Kündigungsfrist, eine Abfindung oder ein Zwischenzeugnis besprochen werden. Dies bietet sich besonders an, wenn die Erfolgsaussichten einer Klage gering sind.

Unabhängig von rechtlichen Schritten sollten sich gekündigte Arbeitnehmer umgehend bei der Agentur für Arbeit melden. Dies ist wichtig, um mögliche Ansprüche auf Arbeitslosengeld zu sichern. Zudem besteht unter Umständen ein Anspruch auf Insolvenzgeld für bis zu drei Monate.

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Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

  • Insolvenzverwalter: Ein Insolvenzverwalter ist eine unabhängige Person, die vom Gericht bestellt wird, um das Vermögen einer insolventen Firma zu verwalten und die Interessen der Gläubiger zu wahren. Er oder sie hat weitreichende Befugnisse, wie z.B. die Entscheidung über Kündigungen.
  • Interessenausgleich: Ein Interessenausgleich ist eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, die im Falle von Betriebsänderungen wie Massenentlassungen getroffen wird. Ziel ist es, die Auswirkungen der Änderungen auf die Arbeitnehmer so gering wie möglich zu halten.
  • Namensliste: Im Rahmen eines Interessenausgleichs kann eine Namensliste erstellt werden, die die Namen der zu kündigenden Arbeitnehmer enthält. Diese Liste ist das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat und muss bestimmten Kriterien entsprechen.
  • Sozialauswahl: Die Sozialauswahl ist ein Verfahren, bei dem der Arbeitgeber die Arbeitnehmer auswählt, die im Falle einer betriebsbedingten Kündigung entlassen werden sollen. Dabei müssen soziale Kriterien wie Alter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten berücksichtigt werden.
  • Vergleichsgruppenbildung: Bei der Sozialauswahl werden Arbeitnehmer in Vergleichsgruppen eingeteilt, um eine faire Auswahl zu gewährleisten. Die Bildung dieser Gruppen muss nach objektiven Kriterien erfolgen und darf nicht diskriminierend sein.
  • Kündigungsschutzklage: Eine Kündigungsschutzklage ist ein Rechtsmittel, das Arbeitnehmer einlegen können, wenn sie der Meinung sind, dass ihre Kündigung unwirksam ist. Das Arbeitsgericht prüft dann, ob die Kündigung rechtmäßig war.

Wichtige Rechtsgrundlagen


  • § 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG): Dieser Paragraph regelt die Voraussetzungen für eine wirksame Kündigung. Eine Kündigung muss sozial gerechtfertigt sein, d.h. sie muss entweder personen-, verhaltens- oder betriebsbedingt sein. Im vorliegenden Fall wurde die Kündigung als sozial ungerechtfertigt angesehen, da keine ausreichenden Gründe für eine betriebsbedingte Kündigung vorlagen.
  • § 125 Insolvenzordnung (InsO): Dieser Paragraph regelt den Interessenausgleich und Sozialplan im Insolvenzverfahren. Im vorliegenden Fall wurde ein Interessenausgleich mit Namensliste vereinbart, was normalerweise eine Vermutung für das Vorliegen betriebsbedingter Kündigungsgründe begründet. Das Gericht stellte jedoch fest, dass diese Vermutung widerlegt wurde, da der Insolvenzverwalter keine ausreichenden Gründe für die Kündigungen dargelegt hatte.
  • § 111 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG): Dieser Paragraph definiert den Begriff der Betriebsänderung, der für die Anwendung des § 125 InsO relevant ist. Eine Betriebsänderung liegt vor, wenn wesentliche Veränderungen in den betrieblichen Abläufen geplant sind, z.B. durch einen Personalabbau. Im vorliegenden Fall wurde ein Personalabbau durchgeführt, der die Voraussetzungen einer Betriebsänderung erfüllte.
  • § 4 Kündigungsschutzgesetz (KSchG): Dieser Paragraph regelt die Zulässigkeit der Kündigungsschutzklage. Der Kläger muss innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Klage erheben. Im vorliegenden Fall hat der Kläger die Frist gewahrt und die Klage wurde als zulässig angesehen.
  • § 17 Kündigungsschutzgesetz (KSchG): Dieser Paragraph regelt die Voraussetzungen für eine Massenentlassung, die auch im Rahmen eines Insolvenzverfahrens relevant sein kann. Eine Massenentlassung liegt vor, wenn innerhalb von 30 Tagen eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern entlassen wird, abhängig von der Größe des Betriebs. Im vorliegenden Fall wurde die Anzahl der Entlassungen nicht explizit erwähnt, aber das Gericht stellte fest, dass ein Personalabbau stattfand, der die Voraussetzungen einer Betriebsänderung erfüllte.

Das vorliegende Urteil

ArbG Mönchengladbach – Az.: 4 Ca 993/15 – Urteil vom 23.07.2015


* Der vollständige Urteilstext wurde ausgeblendet, um die Lesbarkeit dieses Artikels zu verbessern. Klicken Sie auf den folgenden Link, um den vollständigen Text einzublenden.

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1. Es wird festgestellt, dass durch die Kündigung des Beklagten vom 27.03.2015, bei dem Kläger eingegangen am 30.03.2015, das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht beendet worden ist.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 11.705,22 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

Die Insolvenzschuldnerin betrieb in Deutschland vier Werke, davon einen Betrieb in O. Hergestellt werden Schrauben, Muttern und andere Metallteile, u.a. für die Automobilindustrie. Die Insolvenzschuldnerin wendete kraft Verbandszugehörigkeit die Tarifverträge für die Metall- und Elektroindustrie an. In O. beschäftigte die Insolvenzschuldnerin zuletzt ca. 300 Arbeitnehmer. Die Auslastung des Betriebs in O. betrug zuletzt nur noch 24%, nachdem einige Großkunden ihre Verträge gekündigt hatten.

Der 55-jährige Kläger ist bei der Insolvenzschuldnerin bzw. deren Vorgängerin seit dem 9. Juli 1986 beschäftigt. Sein monatliches Arbeitsentgelt als Maschineneinrichter betrug in der Entgeltgruppe 9 zuletzt 3.824,46 EUR brutto.

Am 28. Januar 2015 wurde der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin ernannt. In dem Beschluss des Amtsgerichts E., auf den Bezug genommen wird (Anlage B 1, Bl. 63-65 der Gerichtsakte), heißt es:

„Das Recht zur Ausübung der Arbeitgeberbefugnisse einschließlich der Ermächtigung, Kündigungen auszusprechen und mit einem vorhandenen Betriebsrat Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen zu führen, wird dem vorläufigen Insolvenzverwalter übertragen“.

Es wurde sodann über einen Interessenausgleich mit Namensliste verhandelt. Unter dem 20. März 2015 boten der Gesamtbetriebsrat sowie die örtlichen Betriebsräte einen Interessenausgleich mit Namensliste an, welchen der Beklagte unter dem 27. März 2015 annahm. An diesem Tag war er zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin bestellt worden. Auf den Interessenausgleich mit Namensliste (Anlage B 9, Bl. 132-168 GA) wird Bezug genommen. Ebenfalls am 27. März 2015 zeigte der Beklagte die Masseunzulänglichkeit an.

Mit Schreiben vom 27. März 2015 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30. Juni 2015 (Bl. 18-3. GA).

Gegen diese Kündigung wehrt sich der Kläger mit seiner am 16. April 2015 bei Gericht eingegangenen Klage, dem Beklagten zugestellt am 3.. April 2015.

Der Kläger bestreitet das Vorliegen von Kündigungsgründen sowie einer ordnungsgemäßen Sozialauswahl. Er vertritt die Auffassung, der Beklagte habe die Sozialdaten anderer Arbeitnehmer offen legen müssen.

Der Kläger beantragt zuletzt festzustellen, dass durch die Kündigung des Beklagten vom 27.03.2015, bei dem Kläger eingegangen am 30.03.2015, das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht beendet worden ist.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er verweist auf die Vermutungswirkung des Interessenausgleichs mit Namensliste und behauptet, der Betriebsrat sei über die Kündigungsgründe, die Sozialauswahl und sämtliche Sozialdaten im Einzelnen im Rahmen sog. „workshops“ informiert worden. Bei den einzelnen Abteilungen des jeweiligen Betriebs sei jeweils die aktuelle Belegschaftsstärke in „full-time equivalents (FTE)“ mit der geplanten Belegschaftsstärke verglichen und die Kündigungen entsprechend ausgesprochen worden. Im Rahmen des Interessenausgleichs mit Namensliste seien grundsätzlich diejenigen Arbeitnehmer mit der gleichen Tätigkeit innerhalb einer Entgeltgruppe verglichen worden. Zuvor seien, soweit geboten, solche Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herausgenommen worden, „die aufgrund von Besonderheiten, etwa einer besonderen Leistungsbereitschaft oder einem Sonderkündigungsschutz im Betrieb dringend zu halten“ gewesen seien. Im Prozess werde die Namensliste aufgrund der Forderung einiger Integrationsämter nur hinsichtlich des Namens des Klägers offen gelegt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 3. Juli 2015 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die nach § 4 KSchG zulässige Kündigungsschutzklage ist in der Sache auch begründet.

1. Der Kläger kann nach der Zahl der im Betrieb des Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer sowie nach der Dauer seines Beschäftigungsverhältnisses Kündigungsschutz nach den §§ 1 ff. KSchG in Anspruch nehmen, §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG. Die Kündigungsschutzklage wurde gemäß § 4 S. 1 KSchG auch innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erhoben.

2. Die Kündigung ist sozial nicht gerechtfertigt.

a) Es liegt schon kein Kündigungsgrund im Sinne des § 1 Abs. 1 KSchG vor.

aa) Hierbei kann die Kammer offenlassen, ob der Interessenausgleich mit Namensliste formell wirksam ist. Hiervon wird im Rahmen der folgenden Ausführungen ausgegangen. Zutreffend weist der Beklagte zwar darauf hin, dass Kündigungsgründe unter der vorgenannten Annahme im vorliegenden Fall vermutet werden. Die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 S. 1 InsO greift im vorliegenden Fall auch grundsätzlich ein.

Denn zugunsten des Beklagten greift die Vorschrift des § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO ein. Bei der vorliegenden Maßnahme handelt es sich um eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG, da es sich zumindest um einen Personalabbau handelt, der die Zahlen und Prozentangaben nach § 17 KSchG erreicht, und gleichzeitig mindestens fünf Prozent der Belegschaft entlassen werden sollen (BAG, 8. November 1988 – 1 AZR 687/87 – AP BetrVG 1972 § 13 Nr. 18; 20. September 2012 – 6 AZR 253/11 – AP InsO § 125 Nr. 2.; 20. September 2012 – 6 AZR 155/11 – AP KSchG 1969 § 17 Nr. 41). Allein deswegen, weil eine Vielzahl von Arbeitnehmern des Betriebs entlassen werden soll, liegt mithin eine Betriebsänderung vor. Des Weiteren haben die Betriebspartner einen Interessenausgleich mit Namensliste geschlossen, der auch den Kläger als zu kündigenden Arbeitnehmer enthält.

Der Interessenausgleich ist auch ein solcher nach § 125 InsO. § 1 Abs. 5 KSchG findet insoweit keine Anwendung. Denn in Ziffer 8 des Interessenausgleichs hat die „Arbeitnehmerseite“, wozu auch der Betriebsrat des Betriebs in O. gehörte, dem Beklagten das bindende Angebot auf Abschluss des vorgelegten Interessenausgleichs gemacht, als der Beklagte noch vorläufiger Insolvenzverwalter war. Der Beklagte hat dieses Angebot in seiner Eigenschaft als – dann bestellter – Insolvenzverwalter angenommen. Zwar bezieht sich die entsprechende Annahmeerklärung des Interessenausgleichs auf „Ziffer 7“. Jedoch hat die Kammer dies entsprechend ausgelegt, weil Ziffer 7 des Interessenausgleichs kein Angebot der Arbeitnehmerseite enthält, folglich keine Annahme voraussetzt und daher offenkundig ist, dass der Beklagte das Angebot auf Abschluss des Interessenausgleichs annehmen wollte.

Aus diesem Grund ist bei der Überprüfung der Kündigungsgründe für die Kündigung zu berücksichtigen, dass die Vermutung des § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO für das Vorliegen eines betriebsbedingten Kündigungsgrundes streitet und insoweit die Darlegungs- und Beweislast, die § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG anordnet, zulasten des Arbeitnehmers umgekehrt wird. Die durch § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO aufgestellte Vermutung kann nur durch den Beweis des Gegenteils widerlegt werden. Dafür ist ein substantiierter Tatsachenvortrag erforderlich (BAG 2. Dezember 1999 – 2 AZR 757/98 – AP Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969).

Ein solcher Tatsachenvortrag ist hier zwar nicht erfolgt. Dennoch ist die Kündigung sozial nicht gerechtfertigt. Dies ergibt sich aus den folgenden Ausführungen der 5. Kammer in dem Urteil aus deren Parallelverfahren vom 23. Juli 2015, Az. 5 Ca 912/15, denen sich die erkennende 4. Kammer in vollem Umfang anschließt.

„Soweit die dem Interessenausgleich mit Namensliste zugrunde liegende Betriebsänderung etwa mit einer Betriebsstilllegung verbunden ist, ist diese Betriebsstilllegung zugleich der Kündigungsgrund im Sinne von § 1 Abs. 1 KSchG hinsichtlich jedes einzelnen Arbeitnehmers. Im vorliegenden Fall ist aber weder eine Betriebsstilllegung noch eine Stilllegung größerer Betriebsbereiche geplant. Die Maßnahme ist deutlich komplexer und wirkt sich offenbar auf verschiedene Bereiche des Betriebs unterschiedlich stark aus. Welche tatsächlichen Überlegungen konkret der Kündigung des Klägers zugrunde liegen, ergibt sich aus dem Sachvortrag des Beklagten nicht. Der Beklagte hat insoweit lediglich in sehr abstrakter Form Tatsachenvortrag geleistet, der dem streitgegenständlichen Arbeitsverhältnis nicht zugeordnet werden kann. Das Gericht ist auch nicht gehalten, sich fehlenden Sachvortrag aus Anlagen selbst herauszusuchen, denn die gemäß § 131 ZPO beizufügenden Urkunden dienen lediglich der Erläuterung des Vorgetragenen und können den Vortrag selbst nicht ersetzen. Davon abgesehen, enthält auch der Interessenausgleich mit Namensliste keine konkreten Maßnahmen. Soweit das Schreiben vom 5. März 2015 immerhin eine Ahnung vermittelt, was geplant war, nimmt der Interessenausgleich hierauf nicht Bezug und geht – was die zu erhaltenen Arbeitsplätze angeht – von anderen Zahlen aus, wobei sowohl das Schreiben vom 5. März 2015 als auch der Interessenausgleich jeweils nur von „FTE“ ausgehen, was wiederum eine erhebliche Unschärfe im Hinblick auf die einzelnen Arbeitsplätze und Abteilungen mit sich bringt.

Ein konkreteres Vorbringen wäre allerdings erforderlich gewesen, um dem Kläger prozessual zumindest die Chance zu geben, die gesetzliche Vermutung des § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO zu erschüttern. Das Bundesarbeitsgericht hat insoweit ausgeführt:

„Weiter hat das Landesarbeitsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG eine widerlegbare gesetzliche Vermutung für das Vorliegen dringender betrieblicher Interessen enthält. § 292 ZPO sieht für den Fall einer widerlegbaren gesetzlichen Vermutung die Möglichkeit des Gegenbeweises ausdrücklich vor. Dies mag im Einzelfall für den Arbeitnehmer mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein, ist aber nicht ausgeschlossen (vgl. etwa BAG 5. Dezember 2002 – 2 AZR 571/01 – BAGE 104, 131, zu II 2 b der Gründe im Falle eines Interessenausgleichs nach § 125 InsO).

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts, dass die Darlegungslast des Pflichtigen, wenn es um Geschehnisse aus dem Bereich der anderen Partei geht, durch eine sich aus § 138 Abs. 1 und 2 ZPO ergebende Mitwirkungspflicht des Gegners gemindert wird. Darüber hinaus erlegt die Rechtsprechung dem Gegner der primär behauptungs- und beweisbelasteten Partei dann eine gewisse (sekundäre) Behauptungslast auf, wenn eine darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufes steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind (BGH 11. Juni 1990 – II ZR 159/89 – NJW 1990, 3151; 24. November 1998 – VI ZR 388/97 – NJW 1999, 714 mwN; 3. Mai 2002 – V ZR 115/01 – NJW-RR 2002, 1280 mwN; BAG 20. November 2003 – 8 AZR 580/02 – NZA 2004, 489 = NJW 2004, 2848, zu II 3 b aa der Gründe . Dies hat, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, zur Folge, dass bei fehlender Kenntnis und fehlender Kenntnismöglichkeit des Arbeitnehmers regelmäßig eine sekundäre Darlegungslast des Arbeitgebers besteht“ (BAG 6. September 2007 – 2 AZR 715/06 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 170).

Diese Situation ist hier gegeben. Der Kläger kann bei dieser offenbar recht komplexen Betriebsänderung ohne einen entsprechenden Sachvortrag des Beklagten nicht zu den Kündigungsgründen Stellung nehmen. Der Beklagte hat dem Kläger gleichwohl keine prozessuale Möglichkeit gegeben, die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO zu widerlegen. Denn der gesamte Sachvortrag enthält lediglich abstrakte Mitteilungen darüber, wie man gedanklich im Vorfeld der Kündigungen vorgegangen ist, ohne diese Gedanken selbst mitzuteilen. Auf welchen Kündigungsgrund oder zumindest welches konkrete Konzept sich der Beklagte überhaupt beruft, blieb unbekannt.“

b) Aufgrund ähnlicher Erwägungen ist die Kündigung auch deswegen unwirksam, weil der Beklagte dem Gericht und dem Kläger keine Überprüfung der Sozialauswahl ermöglicht hat. Die erkennende 4. Kammer schließt sich auch insoweit den Ausführungen der 5. Kammer in dem Parallelverfahren 5 Ca 912/15 an:

„aa) Zwar sieht § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO vor, dass die Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann. Die Vorschrift hat also keinen Einfluss auf die prozessuale Darlegungs- und Beweislast, die ohnehin letztlich dem Arbeitnehmer zugewiesen ist (§ 1 Abs. 3 S. 4 KSchG). Aus der Norm des § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO ist damit – was die Darlegung der die Sozialauswahl betreffenden Tatsachen im Kündigungsschutzprozess angeht – zweierlei zu schließen. Erstens ist damit offensichtlich, dass die Sozialauswahl einer gerichtlichen Überprüfung nicht entzogen ist und zwar auch und gerade hinsichtlich sämtlicher Aspekte, welche von der Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO umfasst sind. Dies betrifft den gesamten Prozess der Sozialauswahl einschließlich der Vergleichsgruppenbildung, etwaiger Altersgruppen, der Herausnahme von Leistungsträgern aus der Sozialauswahl bis hin zur Sozialauswahl im engeren Sinne (vgl. BAG, Urt. v. 10.6.2010 – 2 AZR 420/09, AP Nr. 98 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl). Dieser Befund ergibt sich zusätzlich aus dem zweiten Aspekt: § 1 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 KSchG verpflichtet den Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer gegenüber konkrete Angaben hinsichtlich der Sozialdaten, des Auswahlkreises und der vorgenommenen Überlegungen zu machen. Dies führt im Kündigungsschutzprozess nach ständiger Rechtsprechung des BAG zu einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast. Soweit der Arbeitgeber auf entsprechende Rüge seine Auswahlüberlegungen nicht mitteilt, hat der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast bereits durch die bloße Rüge genügt, sodass der Kündigungsschutzklage dann stattzugeben ist (BAG, Urt. v. 17.11.2005 – 6 AZR 107/05, AP Nr. 19 zu § 113 InsO; BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, AP Nr. 316 zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, AP Nr. 13 zu § 125 InsO). Auf diesen Mechanismus hat § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO nicht den geringsten Einfluss (BAG, Urt. v. 27.9.2012 – 2 AZR 516/11, AP Nr. 24 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste). Auf der Ebene der Sozialauswahl führt § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO daher ihrem Wortlaut gemäß lediglich zu einem anderen Prüfungsmaßstab des Gerichts. Vereinfacht gesagt, muss das Gericht bei einer Kündigung ohne Interessenausgleich mit Namensliste eine – umfassend erläuterte – Sozialauswahl akzeptieren, die „ausreichend“ ist, bei einem Interessenausgleich mit Namensliste hat das Gericht auch eine – ebenfalls umfassend dargelegte – Sozialauswahl zu akzeptieren, die zwar mangelhaft, aber eben nicht „grob fehlerhaft“ ist (zu diesem Maßstab vgl. BAG, Urt. v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, AP Nr. 22 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste; BAG, Urt. v. 27.9.2012 – 2 AZR 516/11, AP Nr. 24 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste). Beides setzt voraus, dass das Gericht eigene Überlegungen anhand eines gesicherten Tatbestandes anstellen kann. § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO greift mithin erst dann ein, wenn der die Sozialauswahl bestimmende Sachverhalt nach den auch für „normale“ Kündigungsschutzprozesse geltenden Regeln der Darlegungs- und Beweislast vollständig aufgeklärt ist.

bb) Vor diesem Hintergrund scheitert die Sozialauswahl bereits ohne Rücksicht auf § 125 Abs. 1 S. 1. Nr. 2 InsO.

(1) Der Beklagte hat – bezogen auf den Kläger – keine konkreten Angaben zur Sozialauswahl gemacht. Insbesondere hat er weder die klägerischen Sozialdaten noch diejenigen der vergleichbaren Arbeitnehmer vorgetragen. Bereits dies führt dazu, dass das Gericht keine Überprüfung der Sozialauswahl vornehmen kann. Entgegen der Auffassung des Beklagten fällt auch seine Weigerung, die Sozialdaten der gekündigten Arbeitnehmer mitzuteilen, letztlich auf ihn zurück: Denn so kann das Gericht weder überprüfen, ob die jeweils klagende Partei nicht auch bei einer zutreffenden Sozialauswahl zur Kündigung angestanden hätte (vgl. BAG, Urt. v. 9.11.2006 – 2 AZR 812/05, AP Nr. 87 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; BAG, Urt. v. 20.6.2013 – 2 AZR 271/12, NZA 2013, 837), noch ist es möglich, bei Wiedereinstellungen nachzuvollziehen, ob der hierbei gebotene Auswahl der Arbeitnehmer entsprechend den Grundsätzen der Sozialauswahl (vgl. BAG, Urt. v. 25.4.2002 – 2 AZR 260/01, AP Nr. 121 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung) Beachtung geschenkt wurde. Soweit der Beklagte seiner Ankündigung gemäß in der mündlichen Verhandlung ein Exemplar des Interessenausgleichs bereitgehalten hat, war es nicht erfolgversprechend, hierauf einzugehen. Denn schon bezüglich des Klägers musste das Gericht feststellen, dass der Interessenausgleich weder Sozialdaten, noch eine organisatorische Zuordnung des Arbeitsplatzes enthält. Insofern wäre eine Einsichtnahme kaum hilfreich gewesen. Hinzu kommt, dass der Beklagte selbstverständlich im Rahmen der Klageerwiderung die entsprechenden Daten hätte mitteilen müssen. Eine Vorlage des Interessenausgleichs im Termin hätte – selbst wenn darin Sozialdaten enthalten gewesen wären – nur noch Beweiszwecken dienen können. Notwendigen Sachvortrag ersetzt die Vorlage nicht.

Es reichte auch nicht aus, dass der Beklagte darauf reagiert hat, soweit der Kläger dann Namen von anderen Arbeitnehmern genannt hat. Denn er ist insoweit nur – und ohne wiederum den oben beschriebenen gesetzlichen Verpflichtungen zu genügen – auf diejenigen Arbeitnehmer eingegangen, die klägerseits genannt wurden. Eine solche Vorgehensweise ist nach dem oben Gesagten gerade nicht ausreichend. Dies gilt umso mehr, hat der Beklagte dem Kläger durch die Vorenthaltung der vollständigen Namensliste nicht einmal die Namen der ebenfalls gekündigten Arbeitnehmer bekanntgegeben.

Insofern ist auch zu berücksichtigen, dass die Betriebspartner nach dem Beklagtenvorbringen – freilich, ohne dass er vorgetragen hätte, in welchen Bereichen – teilweise Leistungsträger oder Arbeitnehmer mit gesetzlichem Sonderkündigungsschutz aus der Sozialauswahl herausgenommen haben. Auch dies wiederum hätte dem Gericht so konkret im Hinblick auf das streitgegenständliche Arbeitsverhältnis vorgetragen werden müssen, dass eine Überprüfung sämtlicher Aspekte der Sozialauswahl anhand der reduzierten Maßstäbe des § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO möglich gewesen wäre. Dies ist nicht geschehen.

Der Kläger hat diese Vorgehensweise auch gerügt, ohne dass der Beklagte hierauf eingegangen wäre. Das Gericht war folglich zu einem weiteren Hinweis nicht verpflichtet…

(2) Soweit der Beklagte Angaben zu den Maßstäben der Sozialauswahl gemacht hat, von welchen sich die Betriebspartner bei Aufstellung der Namensliste nach dem Beklagtenvorbringen haben leiten lassen, ist festzustellen, dass diese jedenfalls teilweise dazu führen, dass von grober Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl auszugehen ist. Denn der Beklagte hat – wie stets, nur abstrakt – immerhin an einer Stelle vorgetragen, nach welchen Überlegungen er die Vergleichsgruppen gebildet hat:

„Wie bereits vorgetragen, hat der Beklagte zusammen mit den Arbeitnehmervertretungen diejenigen Arbeitnehmer in die Vergleichsgruppe einbezogen, die erstens in derselben tariflichen Entgeltgruppe eingruppiert sind und damit auf derselben betrieblichen Hierarchiestufe stehen und zweitens dieselbe Tätigkeit ausüben. Beispielhaft also: Alle Staplerfahrer der Entgeltgruppe E 5“.

Dieses wiederum nicht auf den konkreten Arbeitsplatz bezogene Vorbringen offenbart jedoch bereits die grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl in doppelter Hinsicht: Es ist zwar richtig, dass nur Arbeitnehmer der gleichen betrieblichen Hierarchieebene im Rahmen der Sozialauswahl miteinander vergleichbar sind. Allerdings haben Entgeltgruppen – gerade im Bereich der Anwendung des Entgeltrahmenabkommens für die Metall- und Elektroindustrie (im Folgenden: ERA) – schlicht nichts mit betrieblichen Hierarchieebenen zu tun. Denn im Rahmen des ERA entsprechen die Entgeltgruppen weder starren Merkmalen, die beispielsweise nur daran anknüpfen, welche Aus- und Fortbildung man für die auszuübende Tätigkeit benötigt. Durch das dort implementierte Punktesystem können einerseits durchaus unterschiedlich anspruchsvolle Tätigkeiten der gleichen Entgeltgruppe zugewiesen sein. Noch wichtiger ist aber, dass es ebenso möglich ist, dass Arbeitnehmer mit – im Hinblick auf die Sozialauswahl – vergleichbaren Tätigkeiten in verschiedene Entgeltgruppen eingruppiert sind. Wenn also – was nur vermutet werden kann, weil der Beklagte ja keine konkreten Angaben gemacht hat – also beispielsweise die „Staplerfahrer der Entgeltgruppe E 5“ miteinander verglichen wurden, nicht aber die „Staplerfahrer der Entgeltgruppen E 4 und E 6“, wäre die Sozialauswahl bereits aufgrund der vorstehenden Erwägungen als grob fehlerhaft anzusehen. Das BAG hat – in einem vom Beklagten selbst zitierten Urteil – folgerichtig für den umgekehrten Fall ausgeführt, dass es jedenfalls nicht zur groben Fehlerhaftigkeit führt, wenn man eine Sozialauswahl ohne Beachtung der tariflichen Eingruppierung durchführt:

„Dagegen spricht auch nicht der Hinweis des Klägers, die tarifliche Eingruppierung sei in bestimmten Tarifstufen zwischen diesen beiden Mitarbeitergruppen gleich. Zwar hat der Senat in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, bei ausgesprochenen Hilfstätigkeiten könne die tarifliche Eingruppierung für die Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer bei der sozialen Auswahl herangezogen werden (5. Dezember 2002 – 2 AZR 697/01 – AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 60 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 52). Daraus lässt sich jedoch kein zwingender Schluss auf eine grob fehlerhafte Bildung der auswahlrelevanten Gruppen ziehen. Aus der gleichen tariflichen Eingruppierung ergibt sich allenfalls ein Indiz für eine Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer im Rahmen der sozialen Auswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG. Ein solches Indiz ist bei qualifizierten Tätigkeiten schon nicht zwingend. Einer Gruppenbildung, die sich nicht an den tariflichen Eingruppierungsmerkmalen orientiert und orientieren muss, steht eine solche Differenzierung nicht entgegen. Jedenfalls führt sie nicht zu einer groben Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl“ (BAG, Urt. v. 28.8.2003 – 2 AZR 368/02, AP Nr. 1 zu § 125 InsO).

Dies zeigt deutlich, dass die Differenzierung nach Entgeltgruppen allenfalls bei einfachen Hilfstätigkeiten überhaupt ein Kriterium für die Sozialauswahl sein kann.

Zweitens ist die solchermaßen vorgenommene Sozialauswahl auch deswegen grob fehlerhaft, weil der Beklagte im Rahmen der Auswahlüberlegungen offenbar nur von der aktuell oder zuletzt ausgeübten Tätigkeit ausgegangen ist, mit anderen Worten: Soweit alle aktuell als Staplerfahrer beschäftigten Arbeitnehmer einer Entgeltgruppe verglichen wurden, ist dies insoweit bereits grob fehlerhaft, als es nicht nur auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit ankommt, sondern auch auf Tätigkeiten, die der betreffende Arbeitnehmer sowohl aufgrund seiner Fähigkeiten, als auch aufgrund des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts ausführen kann (vgl. zu der horizontalen Austauschbarkeit etwa BAG, Urt. v. 24.2.2005 – 2 AZR 214/04, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Gemeinschaftsbetrieb; BAG, Urt. v. 24.5.2005 – 8 AZR 333/04, NZA 2006, 31). Mit anderen Worten: Soweit man aus dem lediglich abstrakten Vorbringen des Beklagten im Hinblick auf die Sozialauswahl überhaupt Schlüsse ziehen kann, ist die Sozialauswahl eindeutig zu eng gefasst, wodurch zu viele Vergleichsgruppen und damit eine „Atomisierung“ von Vergleichsgruppen entstanden ist. Dies betrifft auch die Bereiche, die der Beklagte nach seinem Konzept offenbar nicht fortführen kann. Soweit die Sozialauswahl nicht betriebsbezogen, sondern gewissermaßen nur unter Betrachtung und Zusammenfassung von Arbeitnehmergruppen nach der letzten ausgeübten Tätigkeit durchgeführt wurde, ist die Sozialauswahl ebenfalls grob fehlerhaft. Das Gericht kann allerdings zu diesen Fragen auch nur abstrakt Stellung nehmen, da ihm sämtliche Stufen des Prozesses der sozialen Auswahl unbekannt geblieben sind.

Auch aus diesem Grund war der Kündigungsschutzklage stattzugeben.

Zusammengefasst kann daher gesagt werden: Wenn der Beklagte zum Schluss seiner Klageerwiderung pointiert äußert: „Mehr geht nicht“, kann man hierauf nur antworten: „Das mag sein. Dem Arbeitsgericht muss aber auch die Möglichkeit gegeben werden, ebenfalls zu dieser Auffassung zu kommen“. Dies ist jedoch nicht geschehen.“

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Den gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzenden Streitwert hat das Gericht auf den Betrag einer Vierteljahresvergütung bestimmt. Die Statthaftigkeit der Berufung ergibt sich bereits kraft Gesetzes gemäß § 64 Abs. 2 c ArbGG.


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