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Betriebsbedingte Kündigung – Organisationsentscheidung Arbeitgeber – Sozialauswahl

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 11 Sa 841/20 – Urteil vom 12.05.2021

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 17.09.2020- 1 Ca 889/20 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung und die Pflicht der Beklagten, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen.

Die am 1963 geborene Klägerin ist seit dem 15.01.2019 für die Beklagte, einem Unternehmen, welches Stoffe in Bioqualität vertreibt und regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, laut Anstellungsvertrag vom 05.12.2018/14.12.2018 als Außendienstmitarbeiterin für das Gebiet N /Verkäuferin Ladenlokal W tätig. Wegen der weiteren Einzelheiten des Anstellungsvertrages wird auf Bl. 48 ff. d. A. verwiesen.

Mit Schreiben vom 27.03.2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30.04.2020 (Bl. 8 d. A.).

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 17.09.2020 (Bl. 96 ff. d. A.) festgestellt, dass die Kündigung vom 27.03.2020 das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat und die Beklagte verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Außendienstmitarbeiterin weiter zu beschäftigen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte eine Organisationsentscheidung, die den Schluss ermögliche, dass der Arbeitsplatz dauerhaft entfalle, nicht hinreichend vorgetragen habe. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbingens sowie der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Gegen das ihr am 23.09.2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 08.10.2020 Berufung eingelegt und diese am 28.10.2010 begründet.

Die Beklagte behauptet, sie habe sich aus sachlichen Kostengründen entschlossen, den Außendienstbereich, in dem drei Mitarbeiterinnen beschäftigt worden seien, zu schließen. Eine Weiterbeschäftigung der Klägerin im Außendienst sei ihr deshalb auch unmöglich geworden. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei die unternehmerische Entscheidung unter Hinweis auf die Verluste der Außendienstabteilung hinreichend dargetan.

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Siegburg vom 17.09.2020, 1 Ca 89/20, zugestellt am 23.09.2020, die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 19.09.2020, Az. 1 Ca 889/20, zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Zudem ist sie der Ansicht, dass die Beklagte eine Sozialauswahl habe durchführen müssen, da ihr Anstellungsvertrag eine Versetzungsklausel enthalte und sie im ZeitraumDezember 2019 bis 13.03.2020 hauptsächlich im Innendienst beschäftigt worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 20.10.2020 und 27.11.2020, die Sitzungsniederschrift vom 21.04.2021 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, denn sie ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft und sie wurde ordnungsgemäß innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.

II. Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Kündigung vom 27.03.2020 das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat und die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Außendienstmitarbeiterin weiter zu beschäftigen. Die Berufungsbegründung rechtfertigt keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung, denn die Kündigung ist sowohl nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 KSchG als auch nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG sozialwidrig.

1. Die Beklagte hat den betriebsbedingten Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit der Klägerin zum 30.04.2020 nicht schlüssig im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG dargelegt.

a) Dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG liegen vor, wenn die Umsetzung einer unternehmerischen (Organisations-)Entscheidung auf der betrieblichen Ebene spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist zu einem voraussichtlich dauerhaften Wegfall des Bedarfs an einer Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers führt. Diese Prognose muss schon im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung objektiv berechtigt sein. Der Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht gehalten, nicht mehr benötigte Arbeitsplätze und Arbeitskräfte weiterhin zu besetzen bzw. zu beschäftigen. Für eine beschlossene und tatsächlich durchgeführte unternehmerische Organisationsentscheidung spricht dabei die Vermutung, dass sie aus sachlichen – nicht zuletzt wirtschaftlichen – Gründen getroffen wurde und nicht auf Rechtsmissbrauch beruht. Hängt der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs von einer unternehmerisch-organisatorischen Maßnahme des Arbeitgebers ab, braucht diese bei Kündigungszugang noch nicht tatsächlich umgesetzt zu sein. Es genügt, dass sie sich konkret und greifbar abzeichnet. Dazu müssen – soweit die Kündigung ihren Grund in einer Änderung der betrieblichen Organisation hat – zumindest die Absicht und der Wille des Arbeitgebers, die fraglichen Maßnahmen vorzunehmen, schon vorhanden und abschließend gebildet worden sein. Andernfalls lässt sich im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung – auf den es dafür unverzichtbar ankommt – nicht hinreichend sicher prognostizieren, es werde bis zum Ablauf der Kündigungsfrist tatsächlich zum Wegfall des Beschäftigungsbedarfs kommen.

b) Da der Arbeitgeber gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Tatsachen zu beweisen hat, die die Kündigung bedingen, hat er die tatsächlichen Grundlagen für die Berechtigung der Prognose, bis spätestens zum Ablauf der Kündigungsfrist werde ein Beschäftigungsbedarf entfallen sein, von sich aus schlüssig vorzutragen. Zu diesen Tatsachen gehört der schon bei Kündigungszugang getroffene endgültige Entschluss zur Vornahme einer Maßnahme, die zu einem solchen Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit führen werde. Ist dieser Entschluss vom Arbeitnehmer zumindest mit Nichtwissen bestritten, hat der Arbeitgeber nähere tatsächliche Einzelheiten darzulegen, aus denen unmittelbar oder mittelbar geschlossen werden kann, er habe die entsprechende Absicht bereits im Kündigungszeitpunkt endgültig gehabt. Geht es dabei um den inneren Zustand einer einzelnen Person, erfolgt die Überzeugungsbildung des Gerichts nach Maßgabe des § 286 ZPO, wobei unter anderem auch zu beachten ist, ob sich die innere Tatsache nach außen manifestiert hat. Fehlt es an einer entsprechenden Offenbarung der unternehmerischen Entscheidung, kommt es auf die genaue Darlegung des inneren Willensbildungsprozesses der betreffenden Person, die Schlüssigkeit ihrer Angaben und ihre Glaubwürdigkeit an (BAG, Urteil vom 20.11.2014 – 2 AZR 512/13 – m.w.N.).

c) Im vorliegenden Fall hat die Beklagte bereits nicht konkret vorgetragen, zu welchem Zeitpunkt nach ihren eigenen unternehmerischen Vorgaben die Schließung der Abteilung Außendienst (Inland) geplant war, so dass nicht konkret feststellbar ist, dass der Beschäftigungsbedarf für die Klägerin mit Ablauf der Kündigungsfrist dauerhaft entfallen ist. Ferner bleibt offen, ob der Entschluss zum Kündigungszeitpunkt bereits endgültig gefasst war, denn die Beklagte hat diese Entscheidung in keiner Weise nach außen kommuniziert, etwa durch Information der Kunden oder durch Realisierung organisatorischer Maßnahmen, worauf bereits das Arbeitsgericht hingewiesen hat. Zutreffend führt das Arbeitsgericht aus, aus dem Protokoll der Gesellschafterversammlung vom 17.01.2020 nebst Beschluss vom 17.01.2020(Bl. 25 ff. d. A.) lasse sich nur entnehmen, dass alle Bereiche einer Wirtschaftlichkeitsanalyse unterzogen werden, nicht hingegen der Entschluss zur dauerhaften Einstellung des deutschlandweiten Außendienstes. Schließlich lässt sich aus der behaupteten Abteilungsauflösung nicht hinreichend auf einen (vollständigen) Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit der Klägerin schließen. Zum einen werden Inlandskunden seitens der Beklagten weiterhin akquiriert und betreut, wenn auch aufgrund der Corona-Pandemie (vorübergehend) per Internet. Ferner hat die Beklagte erstinstanzlich behauptet, sie habe die unternehmerische Entscheidung getroffen, das Onlinegeschäft weiter zu fördern und auszubauen. Wenn dem so ist, entsteht erfahrungsgemäß zusätzlicher, dauerhafter Arbeitskräftebedarf im Innendienst, der eher gegen den vollständigen Wegfall der Möglichkeit zur Beschäftigung spricht. Dies gilt umso mehr als die Klägerin nach unwidersprochenem Vortrag innerhalb der Kündigungsfrist ab März 2020 aufgrund Anweisung der Beklagten im Homeoffice unter anderem Neukunden zu akquirieren hatte. Zum anderen berücksichtigt die Beklagte auch nicht, dass die Klägerin nicht ausschließlich als Außendienstmitarbeiterin angestellt und beschäftigt war. Sie hat, was die Beklagte nicht bestritten hat, ab Dezember 2019 ihre arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten auch im Innendienst verrichtet hat. Außerdem erstreckt sich ihre originäre arbeitsvertragliche Tätigkeit laut § 2 Nr. 1 des Anstellungsvertrages auch auf die Tätigkeit einer Verkäuferin im Ladenlokal. Die Beschäftigungssituation der Verkäuferinnen hat die Beklagte nicht dargetan.

2. Schließlich ist die Kündigung vom 27.03.2020 auch deshalb sozialwidrig, weil die Beklagte die Grundsätze der sozialen Auswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG nicht hinreichend beachtet hat.

a) Nach der Konzeption des § 1 Abs. 3 KSchG ist die Sozialauswahl nicht abteilungsbezogen, sondern betriebsbezogen durchzuführen. In die Auswahlentscheidung sind die vergleichbaren Arbeitnehmer des Betriebes einzubeziehen (BAG, Urteil vom 19.12.2013 – 6 AZR 790/12 – m.w.N.). An einer Vergleichbarkeit fehlt es, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht einseitig auf den anderen Arbeitsplatz um- oder versetzen kann (BAG, Urteil vom 10.06.2010- 2 AZR 420/09 – m.w.N.). Verkennt der Arbeitgeber den hiernach auswahlrelevanten Personenkreis so spricht eine vom Arbeitgeber auszuräumende tatsächliche Vermutung dafür, dass auch die Auswahlentscheidung objektiv fehlerhaft und damit die Kündigung sozialwidrig ist. Der Arbeitgeber muss in diesem Fall näher darlegen, dass trotz eines gegen § 1 Abs. 3 KSchG verstoßenden Auswahlverfahrens gleichwohl der gekündigte Arbeitnehmer nach den Grundsätzen des § 1 Abs. 3 KSchG nicht fehlerhaft ausgewählt worden ist (BAG, Urteil vom 21.05.2015 – 8 AZR 409/13 – m.w.N.).

b) Die Beklagte hat (erstinstanzlich) rechtsirrig die Auffassung vertreten, eine soziale Auswahl sei entbehrlich, weil die Klägerin zu der Gruppe der im Außendienst beschäftigten Arbeitnehmerinnen gehöre, für die kein Beschäftigungsbedarf mehr bestehe. Die Beklagte hat nicht nur verkannt, dass die Klägerin auch als Verkäuferin angestellt war, so dass jedenfalls die Verkäuferinnen in die Sozialauswahl hätten einbezogen werden müssen. Sie hat zudem nicht beachtet, dass aufgrund der Versetzungsklausel gemäß § 2 Nr. 2 des Anstellungsvertrages unter anderem auch gleichwertige Innendiensttätigkeiten einseitig übertragen werden konnten. Die Beklagte hat nicht behauptet, dass keine in diesem Sinne vergleichbaren Tätigkeiten im Betrieb vorhanden sind. Sie hat auch nicht dargetan, dass die Auswahl der Klägerin unter Einbeziehung der Mitarbeiter von Verkauf und Innendienst die Grundsätze der Sozialauswahl hinreichend wahrt.

3. Die Beklagte ist aufgrund der Unwirksamkeit der Kündigung verpflichtet, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen (vgl. BAG, Beschluss vom 27.02.1985 – GS 1/84 -). Zwar kann der Arbeitgeber eine Beschäftigung des Arbeitnehmers ablehnen, wenn dem überwiegende schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen oder eine Beschäftigung des Arbeitnehmers unmöglich ist, etwa weil er keinen Betrieb mehr unterhält, oder wenn die Aufrechterhaltung der Arbeit nur mit wirtschaftlich nicht sinnvollen und damit nicht mehr zumutbaren Mitteln möglich wäre, § 275 Abs. 1 BGB (BAG, Urteil vom 25.01.2018 – 8 AZR 524/16 – m.w.N.).

Diese Voraussetzungen sind aber vorliegend nicht gegeben. Zwar hat die Klägerin primär eine Beschäftigung im laut Vortrag der Beklagten aufgelösten Außendienst beantragt. Jedoch ist der Beschäftigungsantrag eingebettet in die bestehenden arbeitsvertraglichen Bedingungen. Zu diesen Bedingungen zählt auch die Verkaufstätigkeit im Ladenlokal sowie die Möglichkeit der Ausübung gleichwertiger Dienste im Innendienst. Die Unmöglichkeit einer solchen Beschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens hat die Beklagte nicht dargelegt.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.

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