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Unternehmerische Entscheidung: Betriebsbedingte Kündigung

ArbG Hagen (Westfalen) – Az.: 2 Ca 1775/19 – Urteil vom 16.03.2020

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 29.08.2019 aufgelöst werden wird.

2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Art, Dauer sowie Führung und Leistung erstreckt.

3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 20 % und die Beklagte zu 80 %.

4. Der Urteilsstreitwert wird auf 16.800,00 Euro, der Gebührenstreitwert wird auf 21.000,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung sowie die Pflicht zur Erteilung eines Zwischenzeugnisses.

Der 1957 geborene, verheiratete Kläger (mit 2 nicht mehr zum Unterhalt verpflichtenden Kindern) ist seit dem 16.03.1994 bei der Beklagten zuletzt als Einrichter im Komponentenbau – Schweißhalle, beschäftigt. Er erzielt eine durchschnittliche Vergütung in Höhe von 4.200,00 Euro brutto monatlich.

Die Beklagte ist ein Zulieferungsbetrieb/Entwicklungslieferant für Automobilhersteller. Sie beschäftigte bisher etwa 460 Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat ist gewählt.

Ab Herbst 2018 verhandelten die Betriebsparteien erstmalig über den Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans betreffend den seitens der Beklagten geplanten Abbau zahlreicher Stellen.

Am 29.01.2019 kündigte die Beklagte mehr als 200 Arbeitnehmern, die ganz überwiegend eine Kündigungsschutzklage erhoben haben. Es folgten Kündigungen der Schwerbehinderten oder sonstigen Arbeitnehmern mit Sonderkündigungsschutz. Auch der Kläger dieses Verfahrens führte gegen die ihn betreffende Kündigung vom 29.01.2019 unter dem Aktenzeichen 2 Ca 338/19 erfolgreich eine entsprechende Klage, das LAG Hamm hat zum Aktenzeichen 3 Sa 1445/19 die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt und die Revision nicht zugelassen.

Mit Schreiben vom 29.08.2019 sprach die Beklagte nahezu allen Arbeitnehmern der „ersten Welle“ erneut aus denselben Gründen der ersten Kündigung vorsorglich Folgekündigungen aus; gegen die ihn betreffende Beendigung wendet sich der Kläger mit der vorliegenden, am 03.09.2019 beim ArbG Hagen eingegangenen Klage.

Der Kläger bestreitet wie auch schon im Vorverfahren pauschal nahezu sämtliche Ausführungen der Beklagten. Daneben bestreitet er aber auch konkret das Vorliegen einer unternehmerischen Entscheidung, den Wegfall seines Beschäftigungsbedarfs sowie die ordnungsgemäße Sozialauswahl, da er jedenfalls mit sämtlichen Maschinenführern, aber auch den Einrichtern im X sowie den Mitarbeitern der Instandhaltung vergleichbar sei.

Er ist außerdem der Ansicht, dass aufgrund beiderseitiger Tarifbindung der EMTV NRW zur Anwendung gelange, so dass er ordentlich unkündbar sei.

Ferner bestreitet der Kläger die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats sowie die ordnungsgemäße Durchführung von Konsultationsverfahren und Massenentlassungsanzeige.

Der Kläger beantragt unter Klagerücknahme im Übrigen,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die betriebsbedingte Kündigung der Beklagten vom 29.08.2019, zugegangen am 29.08.2019, zum 31.03.2019 aufgelöst wird.

2. Ihm ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Art und Dauer sowie Führung und Leistung erstreckt.

Die Beklagte beantragt,  die Klage abzuweisen.

Die Beklagte vertritt die Rechtsansicht, die Kündigung sei aus betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. Die ordentliche Kündigung sei auch nicht ausgeschlossen, die Gewerkschaftszugehörigkeit des Klägers werde bestritten, sie selbst sei nicht tarifgebunden.

Hauptauftraggeberin der Beklagten sei bis 31.03.2019 die X-Gruppe gewesen. Für diese habe die Beklagte eine besonders leichte Hintersitzlehnenstruktur ebenso wie spezielle Sitzwannen entwickelt und produziert. Ca. 75 % der Produktionsmitarbeiter seien mit Aufträgen für die X-Gruppe beschäftigt gewesen, ebenso hätten die mit ihr erzielten Umsätze mehr als 75 % der Gesamtumsätze der Beklagten betragen. Die X-Gruppe hätte zum 31.03.2019 ihre gesamte Kundenbeziehung zur Beklagten gekündigt. Ein gerichtliches Vorgehen der Beklagten gegen die X-Gruppe bezüglich eines späteren Ausstiegs bzw. einer Verschiebung des Kündigungstermins sei erfolglos geblieben. Aus diesem Grund habe es bereits am 24.09.2018 eine erste Informationsveranstaltung unter Einbeziehung des Betriebsrates, des Wirtschaftsausschusses sowie die Schwerbehindertenvertretung gegeben, in der der damalige Geschäftsführer Brenner über die Absicht der Geschäftsleitung informierte, die Produktionsanlagen für X ab 01.04.2019 stillzulegen und die Belegschaft auf unter 150 Mitarbeiter zu verkleinern. Hierzu behauptet sie, sie habe aufgrund des Wegfalls des Auftrags der Kundin X die unternehmerische Entscheidung getroffen, den Betriebsteil, der ausschließlich für X produziert habe, zum 31.03.2019 still zu legen. Es sei letztlich beschlossen worden, dass von den ca. 460 Mitarbeitern ca. 166 Mitarbeiter incl. Azubis verteilt auf Verwaltung und Produktion verbleiben sollten, mit der Vorgabe, möglichst das Know-How im Unternehmen zu halten, um vor allem die Produktion für den Bestandskunden X in keiner Weise zu gefährden und für zukünftige Aufträge werbend auf dem Markt in Erscheinung treten zu können. Mit 64 % der bisherigen Belegschaft würde sie sich wie ein Start-Up neu aufstellen. Weiter sei die unternehmerische Entscheidung getroffen worden, sich von allen Produktionshelfern zu trennen, soweit es sich nicht um Betriebsratsmitglieder handelt. Die Aufgaben für Produktionshelfer, die nach Schließung des X-Betriebsteils noch anfielen, würden zukünftig von den höher qualifizierten Maschinenbedienern mit erledigt werden. Darüber hinaus sei für mindestens 2 Jahre eine konkrete Personalstruktur beschlossen worden ( vgl. dazu Tabelle Bl. 41,42 d.A.), die nicht exakt die durch den Auftrag X entfallenden Arbeitsstunden abbilde, sondern anlässlich dessen die Neuausrichtung darstelle, die auch sogar den Bedarf von Fremdkapital beinhaltete.

Im vorliegenden Fall relevanten Komponentenbau würde statt der früher 10 Einrichter (jeweils 5 in der Schweißhalle und 5 im Bereich TKM-Anlage) aufgrund des Wegfalls des X-Auftrages und dadurch nur noch 3 statt bisher 20 zu bedienender Maschinen lediglich noch 1 Einrichter benötigt (vgl. 44 d.A.). Zwar fielen Einrichtertätigkeiten noch täglich an, würden allerdings nur ca. 20 % der täglichen Arbeitszeit ausmachen. Die Arbeiten könnten zudem, insbesondere im Vertretungsfall, auch von den Meistern und Maschinenführern mit erledigt werden. Wegen des zu beachtenden Sonderkündigungsschutzes habe sie letztlich sogar 2 Einrichter behalten müssen und hätte daher sogar eine Überkapazität, allerdings läge zwischenzeitlich eine Eigenkündigung des zweiten Einrichters mit Sonderkündigungsschutz vor.

Dass die neue Struktur funktioniere, zeige sich bereits seit April 2019, insbesondere aber seit der Freistellung sämtlicher gekündigter Arbeitnehmer ab Ende Juni 2019. Die nunmehr ausgesprochenen Folgekündigungen beruhten noch auf den ursprünglichen Unternehmerentscheidungen ab September 2018.

Es sei auch eine ordnungsgemäße Sozialauswahl vorgenommen worden, wobei lediglich die Einrichter des Komponentenbaus untereinander vergleichbar und die Einrichter des Xs nicht einzubeziehen seien. Die Einrichter des Komponentenbaus seien nie als Einrichter im X eingesetzt worden. Durch die komplett unterschiedliche Art der Maschinen bzw. deren Steuerung sei ein Austausch ohne lange Einarbeitungszeit nicht möglich und liefe dem Ziel, möglichst reibungslos die Fortsetzung der bestehenden Aufträge zu gewährleisten, zu wider. Selbst bei Anwendung des (im einzelnen dargestellten) Punkteschemas, hier aber schon aufgrund des vorrangigen besonderen Kündigungsschutzes für zwei Mitarbeiter des Bereichs, hätte der Kläger zur Kündigung angestanden.

Der Betriebsrat sei mit Schreiben vom 20.08.2019 nebst Anlagenkonvolut ordnungsgemäß zur Kündigung angehört worden.

Ferner sei mit Schreiben vom 23.07.2019 und 02.08.2019 das Konsultationsverfahren eingeleitet sowie am 27.08.2019 die Massenentlassungsanzeige erstattet worden.

Wegen des Parteivorbringens im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der Kammerverhandlung vom 16.03.2020 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

I.

Nach dem Urteil auch des LAG Hamm ist zunächst davon auszugehen, dass zum Zeitpunkt des hier streitgegenständlichen Beendigungstermins noch ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestand. Die erste Kündigung vom 29.01.2019 hat entgegen der Ansicht der Beklagten das Arbeitsverhältnis nicht beendet, wobei sich die Kammer vollumfänglich den bereits zum Verfahren 2 Ca 338/19 ausgeführten Entscheidungsgründen anschließt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist in einem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG regelmäßig das Begehren umfasst festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis bis zum vorgesehenen Auflösungszeitpunkt noch bestanden hat. Zwar ist Gegenstand und Ziel einer Beendigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die bestimmte, mit der Klage angegriffene Kündigung zu dem vom Arbeitgeber vorgesehenen Termin nicht aufgelöst worden ist. Falls der Klage stattgegeben wird, steht aber zugleich fest, dass das Arbeitsverhältnis vor oder bis zu diesem Termin auch nicht aufgrund irgendeines anderen Umstands geendet hat. Die einem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG stattgebende Entscheidung enthält zugleich die Feststellung, dass zum angestrebten Auflösungszeitpunkt ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien noch bestanden hat (sog. erweiterter punktueller Streitgegenstandsbegriff). Mit Rechtskraft einer solchen Entscheidung steht fest, dass das Arbeitsverhältnis bis zu dem vorgesehenen Auflösungstermin auch nicht durch mögliche andere Beendigungstatbestände aufgelöst worden ist, selbst wenn diese von keiner Seite in den Prozess eingeführt wurden (vgl. BAG Urt. v. 24.05.2018, – 2 AZR 67/18-, juris, Rdnr. 20; BAG Urt. v. 26.09.2013, – 2 AZR 682/12 -, juris, Rdnr. 29)

II.

Die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung hält einer Wirksamkeitsprüfung nach § 1 Abs. 2 KSchG nicht stand.

1.

Es mangelt bereits an einem plausibel und nachvollziehbar dargelegten dringenden betrieblichen Erfordernis zum Ausspruch der Kündigung.

a)

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegen dringende betriebliche Erfordernisse i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG vor, wenn die Umsetzung einer unternehmerischen (Organisations-)Entscheidung auf der betrieblichen Ebene spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist zu einem voraussichtlich dauerhaften Wegfall des Bedarfs an einer Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers führt. Ein dringendes „betriebliches“ Erfordernis, das einer Weiterbeschäftigung entgegensteht, ist gegeben, wenn die Arbeitskraft des Arbeitnehmers im Betrieb nicht mehr gefordert ist. Der Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht gehalten, nicht mehr benötigte Arbeitsplätze und Arbeitskräfte weiterhin zu besetzen bzw. zu beschäftigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die dem Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zugrunde liegende unternehmerische (Organisations-)Entscheidung ihrerseits – etwa aus wirtschaftlichen Gründen – „dringend“ war oder die Existenz des Unternehmens auch ohne sie nicht gefährdet gewesen wäre. Es ist nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG dem Arbeitgeber überlassen, wie er sein Unternehmen führt, ob er es überhaupt weiterführt und ob er seine Betätigungsfelder einschränkt. Er kann grundsätzlich Umstrukturierungen allein zum Zwecke der Ertragssteigerung vornehmen und ist darin bis zur Grenze der offensichtlichen Unsachlichkeit, Unvernunft oder Willkür frei. Für eine beschlossene und tatsächlich durchgeführte unternehmerische Organisationsentscheidung spricht dabei die Vermutung, dass sie aus sachlichen – nicht zuletzt wirtschaftlichen – Gründen getroffen wurde und nicht auf Rechtsmissbrauch beruht (BAG Urt. v. 20. 06. 2013 – 2 AZR 379/12 – juris, Rdnr. 20 ; BAG Urt. v. 31.07.2014 – 2 AZR 422/13, juris, Rdnr. 31).

Zu diesem Entscheidungsspielraum des Arbeitgebers gehört auch die Befugnis, die Zahl der Arbeitskräfte zu bestimmen, mit denen eine Arbeitsaufgabe erledigt werden soll. Der Arbeitgeber kann grundsätzlich sowohl das Arbeitsvolumen (Menge der zu erledigenden Arbeit) als auch das diesem zugeordnete Arbeitskraftvolumen (Arbeitnehmer-Stunden) und damit auch das Verhältnis dieser beiden Größen zueinander festlegen.

Es obliegt den Arbeitsgerichten nachzuprüfen, ob eine unternehmerische Entscheidung überhaupt getroffen wurde und ob sie sich betrieblich dahingehend auswirkt, dass der Beschäftigungsbedarf für den gekündigten Arbeitnehmer entfallen ist. Zwar muss nicht ein bestimmter Arbeitsplatz entfallen sein, Voraussetzung ist aber, dass die Organisationsentscheidung ursächlich für den vom Arbeitgeber behaupteten Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses ist. Erschöpft sich die Entscheidung des Arbeitgebers im Wesentlichen darin, Personal einzusparen, so rückt sie nahe an den Kündigungsentschluss heran. Da die Kündigungsentscheidung selbst nach dem Gesetz nicht frei, sondern an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit („Dauer“) verdeutlichen. Dass der Arbeitgeber zur organisatorischen Durchführbarkeit und Nachhaltigkeit der unternehmerischen Entscheidung vortragen muss, ist weder Selbstzweck, noch darf es dazu dienen, dass die Gerichte in die betrieblichen Organisationsabläufe eingreifen. Der Sinn besteht darin, einen Missbrauch des Kündigungsrechts auszuschließen. Vermieden werden sollen betriebsbedingte Kündigungen, die zu einer rechtswidrigen Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbleibenden Personals führen oder die unternehmerische Entscheidung lediglich als Vorwand benutzt wird, um Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeit fortbestehen und lediglich die Arbeitsvertragsinhalte und die gesetzlichen Kündigungsschutzbestimmungen als zu belastend angesehen werden  ( vgl. BAG Urt. v. 22.05.2003, – 2 AZR 326/02-, juris, Rdnr. 18 ff. , grundlegend BAG Urt. v. 17.06.1999, – 2 AZR 522/98-, juris, Rdnr. 14, 20).

b)

Trotz der äußerst umfangreichen Ausführungen zu allen Hintergründen der wirtschaftlichen Situation der Beklagten ist es dennoch nicht gelungen, den Inhalt und die dauerhafte Umsetzbarkeit ihrer unternehmerischen Entscheidung plausibel zu machen.

aa)

Die Kammer geht trotz des Bestreitens des Klägers zu Gunsten der Beklagten durchaus davon aus, dass die Beklagte tatsächlich den Auftrag X unwiederbringlich verloren hat und damit jedenfalls überschlägig 75 % des Umsatzes aber auch des Beschäftigungsbedarfs. Die Kammer sieht auch die Notwendigkeit, auf diesen drastischen Einbruch zu reagieren. Kein Kläger kann ernsthaft behaupten, die Beklagte könnte einfach so weiter produzieren wie bisher. Einen konkreten neuen Auftrag, der ausreichend Arbeit für die bisherige Belegschaft bedeuten würde, benennt aus gutem Grund auch niemand. Bei einer Betriebseinschränkung von diesem Umfang kann es auch nicht „Spitz auf Knopf“ auf die Anzahl eines einzelnen Arbeitnehmers ankommen.

Doch selbst diese Erwägungen voraus geschickt, ist das von der Beklagten vorgetragene Konzept nicht nachvollziehbar und die ursprünglich angestellte Prognose entgegen der Behauptung der Arbeitgeberin auch nicht durch tatsächliche Umsetzung ab dem 01.04.2019 belegt.

bb)

Der Vortrag der Beklagten geht dahin, der „Betriebsteil, der ausschließlich für X produzierte“, sei komplett zum 31.03.2019 stillgelegt. Im Folgenden ist von diesem „Betriebsteil“ aber an keiner Stelle mehr die Rede, sondern es werden die Bereiche X und Komponentenbau vorgestellt, in denen für X produziert wurde. Letztlich kann dies aber dahinstehen, da die Kammer überzeugt ist, dass jedenfalls für X keine Produktion mehr stattfindet und die dafür vorgesehenen Maschinen jedenfalls nicht mehr sinnvoll genutzt werden können. Eine nennenswerte Nutzung behaupten auch die Kläger nicht.

Der weitere Inhalt der Unternehmerentscheidung ist nur in Teilen verständlich. Die Beklagte behauptet, sie habe sich wie ein Start-Up neu aufstellen wollen. Dies besagt inhaltlich erst einmal nichts.

Die Neuausrichtung sollte dabei so aussehen, dass die noch vorhandenen Aufträge X und X einerseits nicht gefährdet würden, andererseits die Zukunft aber im X gesehen wird, da die dortigen 16 Pressen einen schnelleren Geschäftsaufbau zulassen würden. Dafür sollte möglichst viel Know How im Unternehmen verbleiben. Hierbei handelt es sich um nachvollziehbare Ausrichtungen.

Dazu soll nun ein Bestand von ca. 166, zuletzt wohl 162 Arbeitnehmern verbleiben, also etwa 64 %. Der Personalabbau soll somit nicht 1:1 den Beschäftigungsrückgang widerspiegeln, sondern sogar geringer ausfallen, um die Leistungsfähigkeit des Unternehmens nicht zu gefährden. Bereits hier ist überhaupt nicht klar, wie die Beklagte die Quote von 64% bzw. die Anzahl von 166 ( 162) Mitarbeitern eruiert hat.

Richtig ist natürlich, dass es der Arbeitgeberin grundsätzlich frei steht zu entscheiden, mit wie vielen Arbeitnehmern sie welche Aufgaben verrichten möchte ( vgl. BAG Urt. v. 23.05.2003, aaO), nach den hier offenbarten Tatsachen hätte die Beklagte aber ebenso gut mit 200 oder auch nur 100 Arbeitnehmern weiter machen können, es gibt keine Anhaltspunkte dafür, wie sie die Zahl der benötigten Arbeitnehmer ermittelte.

Zwar legt die Beklagte eine  tabellarische Übersicht über die neue Struktur ebenso vor wie die Organigramme neu und alt und den Entwurf des Interessenausgleichs. Es fehlt für zahlreiche Berufsgruppen aber ein nachvollziehbarer Anhaltspunkt, warum sie den Beschäftigungsbedarf wie kalkulierte. Um eine insgesamt hohe Qualität zu erreichen, sollte sämtlichen Produktionshelfern (Ausnahme Sonderkündigungsschutz nach § 15 KSchG) gekündigt werden, was sie nach Überzeugung der Kammer auch getan hat. Es ist die Rede von ursprünglich 130 bzw. an anderer Stelle von 124 Kündigungen, bei der nun anstehenden Kündigungswelle ab August 2019 waren es wohl noch 89. Diese Arbeit sollte zukünftig von den Maschinenführern (-anwärtern) mit übernommen werden. Auch in der Verwaltung sollte es einen Personalabbau geben, der allerdings wiederum hinsichtlich seiner inhaltlichen Planung nicht näher dargestellt wird.

Die Beklagte legt dann zwar dar, dass die Leiter X und Komponentenbau Berechnungen zum weiteren Personalbedarf angestellt hätten und bietet Zeugenbeweis an, der jedoch einen Ausforschungsbeweis darstellte. Der jeweilige Zeuge hätte erst die Tatsachen liefern müssen, deren Richtigkeit er eigentlich bezeugen soll. Die entscheidende, fehlende Information wäre, wie die Beklagte den Bedarf (wenigstens in etwa) ermittelt hat. Aus der Zusammenschau des Schriftsatzes nebst sämtlicher Anlagen lässt sich ablesen, dass wohl im X weiterhin 16 Maschinen und im Komponentenbau 3 Maschinen von ursprünglich 20 im Einsatz sein sollen. Welche Aufträge in welchem Schichtsystem abzuarbeiten sind, wird ebenso wenig erklärt wie ermittelten Arbeitsstunden. Zwar mögen 15 VZK Maschinenführer 2.498 Stunden/Monat entsprechen, aber es ist doch völlig unklar, ob Arbeit für 2.500 Stunden oder aber 10.000 Stunden vorhanden ist.

Hinzu kommt folgende Problematik: Die Maschinenführer(-anwärter) sollen sämtliche Aufgaben der hierarchisch niedriger angesiedelten früheren Produktionshelfer (130/124 VZK) übernehmen, gleichzeitig aber auch Tätigkeiten der hierarchisch über ihnen stehenden Einrichter. Es ist nicht ansatzweise plausibel gemacht, wie dies funktionieren soll. Dies gilt umso mehr, als ja nicht alle Maschinenführer(-anwärter) im Betrieb verbleiben sollten, sondern nur 39 von ursprünglich 107. Diese Zahlen hat sich die Kammer an sich schon überobligatorisch aus den Anlagen zusammengesucht (vgl. BAG Urt. v. 16.05.2012 – 5 AZR 347/11-, juris, Rdnr. 29). Es sollten also nur etwa 37 % der bisherigen Maschinenführer und ebenfalls nur etwa  37 % der bisherigen Einrichter im Unternehmen der Beklagten verbleiben und gleichzeitig sowohl alle verbleibenden geringer wertigen Arbeiten der bisherigen Produktionshelfer als auch zum Teil höherwertige Tätigkeiten der bisherigen Einrichter mit verrichten? Dies ist in sich nicht stimmig, insbesondere vor dem Hintergrund der im Rahmen der Sozialauswahl behaupteten fehlenden Austauschbarkeit der Mitarbeiter an den Maschinen untereinander und der vermeintlich hohen Spezialisierung mit der Notwendigkeit monatelanger Einarbeitungszeiten.

Läuft die unternehmerische Entscheidung auf den Abbau einer Hierarchieebene hinaus verbunden mit einer Neuverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer bisher zugewiesenen Aufgaben, bedarf es der Konkretisierung dieser Entscheidung, damit geprüft werden kann, ob der Arbeitsplatz des betroffenen Arbeitnehmers tatsächlich weggefallen ist und die Entscheidung nicht offensichtlich unsachlich oder willkürlich ist. Der Arbeitgeber muss insbesondere konkret darlegen, in welchem Umfang die bisher von dem Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten zukünftig im Vergleich zum bisherigen Zustand entfallen. Er muss aufgrund seiner unternehmerischen Vorgaben die zukünftige Entwicklung der Arbeitsmenge anhand einer näher konkretisierten Prognose darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen erledigt werden können (BAG 17.06.1999 – 2 AZR 522/98 – aaO; BAG Urt. v 13.02.2008 – 2 AZR 1041/06 – juris, Rdnr. 16). In welcher Weise ein Arbeitgeber darlegt, dass die Umverteilung von Arbeitsaufgaben nicht zu einer überobligatorischen Beanspruchung im Betrieb verbliebener Arbeitnehmer führt, bleibt ihm überlassen. Handelt es sich um nicht taktgebundene Arbeiten, muss nicht in jedem Fall und minutiös dargelegt werden, welche einzelnen Tätigkeiten die fraglichen Mitarbeiter künftig mit welchen Zeitanteilen täglich zu verrichten haben. Es kann ausreichend sein, wenn der Arbeitgeber die getroffenen Vereinbarungen zu Umfang und Verteilung der Arbeitszeit darstellt und Anhaltspunkte dafür darlegt, dass Freiräume für die Übernahme zusätzlicher Aufgaben vorhanden sind (vgl. BAG Urt. v. 24.05.2012, – 2 AZR 124/11-, juris, Rdnr. 31; KR-Rachor, 12. Aufl., § 1 KSchG, Rdnr. 592).

Auch wenn die Überlegung, die Hierarchieebene der Produktionshelfer zu Gunsten höherer Qualifizierung aufzugeben an sich verständlich ist, kann die Kammer nicht verstehen, wie die Beklagte hier dauerhaft ohne sie auskommen wollte bei gleichzeitigem Abbau der Maschinenführer. Gleiches gilt für die Entscheidung der Kündigung der zahlreichen Einrichter. Ebenso bleiben die Kalkulationen für die zahlreichen weiteren Berufsgruppen im Dunkeln, allerdings handelt es sich hierbei zumeist um den Abbau von nur 1-2 VZK. Die Kammer hat verstanden, dass sich die unternehmerischen Entscheidungen nicht im Abbau der Hierarchieebene Produktionshelfer erschöpft, gleichwohl sind die dazu aufgestellten Kriterien ergänzend heranzuziehen vor dem Hintergrund, dass im vorliegenden Fall ja zahlreiche weitere Stellen abgebaut werden sollten und somit noch weniger Personal verbleibt, das die verbleibenden Aufgaben erledigen kann. Um im Bild der Beklagten zu bleiben: Ein Koch kann ohne Gemüseputzer auskommen. Es kann auch in Kauf genommen werden, dass der Gast deshalb unter Umständen länger auf sein Essen warten muss. Wenn aber in einer Großküche neben sämtlichen Küchenhelfern auch dem weiteren Koch gekündigt wurde, muss nachvollziehbar sein, wie denn der verbleibende Koch in Personalunion den gesamten Küchenbetrieb im Rahmen der Restaurantöffnungszeiten bewerkstelligen will.

Konkret die in diesem Fall zu beurteilende Entscheidung hinsichtlich der Einrichter im Komponentenbau ist aus sich heraus ebenfalls nicht verständlich. Bislang waren nach Angaben der Beklagten 5 Einrichter im Bereich der Schweißanlagen eingesetzt, an denen die Arbeit ja unverändert fortgesetzt wird. Für X und X fand weder ein Abbau an Maschinen noch ein Auftragsrückgang statt. Warum dann kein Einrichter mehr benötigt wird bzw. nur noch 1 Einrichter (wegen seines Sonderkündigungsschutzes) für 3 Schichten ausreichend sein soll erschließt sich nicht. Die Meister und/oder Maschinenführer sollen zwar die Tätigkeiten miterledigen können, jedoch übernehmen die Maschinenführer wiederum Tätigkeiten der Produktionshelfer und die Meister laut Interessenausgleichsentwurf auch noch die Aufgaben der Vorarbeiter. Aufgrund der von der Beklagten behaupteten Spezialisierung und Qualifikationen der Mitarbeiter für die jeweiligen speziellen Anlagentypen ist zudem gar nicht klar, ob sie die Tätigkeiten überhaupt inhaltlich ausführen können.

Schließlich ist es zwar glaubhaft, dass die unternehmerischen Entscheidungen schon ab September 2018 geplant sein worden sollen. Die nunmehr zu beurteilende Kündigung stammt jedoch vom 29.08.2019. Auch wenn es sich nur um eine vorsorgliche Folgekündigung handelt, die prinzipiell auf denselben Erwägungen beruht wie die erste Kündigung vom 29.01.2019, so kann nach dem Verständnis der Kammer die weitere Entwicklung, insbesondere ab April, aber auch ab August 2019 nicht gänzlich außer Betracht bleiben. Es fehlen jegliche Ausführungen dazu, ob und welche Überlegungen die Beklagte vor der Folgekündigung anstellte und wie aus ihrer Sicht die weitere Entwicklung seit April 2019 verlief. Entgegen der Behauptung im Schriftsatz führt der Verweis auf die fehlenden Überstunden ab April 2019 nicht weiter. Ab April 2019 wurden die gekündigten Mitarbeiter während des Laufs ihrer jeweiligen, überwiegend langen Kündigungsfristen zunächst gerade nicht freigestellt. Die Freistellungen erfolgten erst ab dem 28.06.2019. Des Weiteren ist gerichtsbekannt, dass bereits am 15.08.2019 die nunmehrige X GmbH gegründet wurde. Somit musste sich das neue Konzept doch bis zum Zugang der Kündigung nur für 2 Monate bewähren, was gerade keine Rückschlüsse auf das Funktionieren zulässt. Die Beklagte kann sich auch nicht darauf zurückziehen, die zu verrichtenden Tätigkeiten hätten sich noch weiter verringert, so dass im September zahlreiche weitere, bis dato ungekündigte Arbeitnehmer freigestellt worden seien, da mit der Gründung der neuen X GmbH eine völlig andere Situation eingetreten war, die sich mit dem ursprünglichen Konzept auch nicht mehr in Einklang bringen lässt.

Nach alledem ist trotz der bekannten schlechten wirtschaftlichen Situation bei der Beklagten nach dem Auftragsverlust die getroffene Unternehmerentscheidung nicht nachvollziehbar und stellt sich für den jeweilig zu beurteilenden Einzelfall als willkürlich dar.

2.

Die weiteren zwischen den Parteien bestehenden Streitfragen konnten somit dahinstehen.

II.

Die Beklagte war auch zu verurteilen, dem Kläger ein wohlwollendes Zwischenzeugnis zu erteilen.

Der erforderliche triftige Grund liegt allein in den bislang zwei ausgesprochenen Kündigungen der Beklagten und steht zwischen den Parteien an sich auch nicht im Streit.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 ArbGG i.V.m. §§ 91 , 269 Abs. 3 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 61 ArbGG i.V.m. § 42 GKG. Die Kammer brachte einen Vierteljahresbezug für den Bestandsschutz sowie je ein Monatsbruttoeinkommen für den Zeugnis- und den im Gebührenstreitwert zu bewertenden Weiterbeschäftigungsantrag in Ansatz.

 

 

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