Skip to content

Betriebsbedingte Kündigung – Unwirksamkeit bei fehlender Anhörung des Betriebsrats

ArbG Iserlohn, Az.: 3 Ca 1285/16

Urteil vom 21.12.2016

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27.06.2016 nicht beendet worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Innenreinigerin weiter zu beschäftigen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

4. Der Streitwert wird auf 1.290,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Betriebsbedingte Kündigung – Unwirksamkeit bei fehlender Anhörung des Betriebsrats
Symbolfoto: Rido81/Bigstock

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung sowie über die Weiterbeschäftigung des Klägers.

Die Klägerin ist nach mehreren kürzeren zuvor bestandenen Arbeitsverhältnissen mit der Beklagten bei dieser nunmehr seit dem 01.10.2010 beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für gewerblich Beschäftigte in der Gebäudereinigung Anwendung. Die Vergütung der Klägerin beträgt 11,72 EUR pro Stunde bei einer Arbeitszeit von 7,5 Stunden in der Woche.

In dem zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrag (Bl. 50 ff. d.A.) ist geregelt, dass die Klägerin als Reinigungskraft ausschließlich im Objekt G F eingestellt wird und eine Umsetzung oder Versetzung in ein anderes Objekt ausdrücklich ausgeschlossen ist.

Der Kunde G F der Beklagten kündigte den mit ihr bestehenden Werkvertrag zum 30.04.2016, hilfsweise ordentlich zum 30.06.2016 (Bl. 52 d.A.).

Mit Schreiben vom 13.06.2016 (Bl. 53 d.A.) hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu der Klägerin an. Unter dem 15.06.2016 erteilte der Betriebsrat seine Zustimmung zu der beabsichtigten Kündigung (Bl. 56 d.A.).

Mit Schreiben vom 27.06.2016 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 31.07.2016.

Gegen diese Kündigung wendet sich die Klägerin mit ihrer am 12.07.2016 beim Arbeitsgericht Iserlohn eingegangenen und der Beklagten am 15.07.2016 zugestellten Klage.

Sie ist der Auffassung, der Wegfall des Reinigungsobjektes sei nicht dazu geeignet, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin zu rechtfertigen. Es sei nicht klar, dass der Arbeitsplatz der Klägerin dauerhaft weggefallen sei. Es sei der Beklagten insbesondere zuzumuten gewesen, eine Beschäftigungslücke in Kauf zu nehmen. Zum 01.10.2016 sei zudem ein Nachfolgeobjekt akquiriert worden.

Es sei zudem unklar, was im Rahmen der Kündigung des Werkvertrages durch G F vorgefallen sei und wie die Beklagte darauf reagiert habe. Die Beklagte habe andere Einsatzmöglichkeiten für die Klägerin prüfen müssen.

Die Beklagte habe zudem nicht substantiiert dargelegt, dass sie den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört habe.

Ursprünglich hat die Klägerin auch beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht. Diesen Antrag hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 21.12.2016 zurückgenommen.

Sie beantragt nunmehr noch,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27.06.2016 nicht beendet worden ist.

2. für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Innenreinigerin weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, der Niederlassungsleiter Herr X habe am 13.06.2016 die unternehmerische Entscheidung getroffen, den Arbeitsplatz der Klägerin wegfallen zu lassen. Herr X sei auch zum Ausspruch der Kündigung befugt.

Aufgrund der Kündigung des Werkvertrages durch G F sei der Arbeitsplatz der Klägerin weggefallen, da die Klägerin, was insoweit unstreitig ist, nur für das Objekt von G F eingestellt worden ist und eine Versetzung vertraglich ausgeschlossen worden ist. Aus diesen Gründen sei die Klägerin auch nicht mit anderen Mitarbeitern bei der Beklagten vergleichbar. Anderweitige freie Arbeitsplätze gebe es bei der Beklagten nicht.

Die Beklagte habe die Kündigung des Werkvertrages durch G F akzeptiert und sich auch nicht an einer neuen Ausschreibung beteiligt.

Der Betriebsrat sei unter dem 13.06.2016 zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin angehört worden. Die Anhörung sei durch die zuständige Personalsachbearbeiterin Frau I am 13.06.2016 an den Betriebsrat gefaxt worden.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf die begehrte Feststellung.

Die Kündigung der Beklagten vom 27.06.2016 ist unwirksam und beendet das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht.

1. Die Klägerin hat die dreiwöchige Klagefrist nach §§ 4, 7 KSchG eingehalten. Ihre Kündigungsschutzklage ist am 12.07.2016 beim Arbeitsgericht Iserlohn eingegangen und der Beklagten am 15.07.2016 zugestellt worden. Selbst wenn die Kündigung der Klägerin bereits am 27.06.2016 zugegangen sein sollte, endete die Klagefrist erst am 18.07.2016.

2. Die Kündigung ist nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam.

Nach § 102 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm danach die Gründe für die Kündigung mitzuteilen und eine ohne Anhörung des Betriebsrates ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

a) Der notwendige Inhalt der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG richtet sich nach Sinn und Zweck der Anhörung. Dieser besteht darin, den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, sachgerecht, das heißt gegebenenfalls zu Gunsten des Arbeitnehmers auf den Arbeitgeber einzuwirken. Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen und sich über sie eine eigene Meinung bilden können. Die Anhörung soll dem Betriebsrat nicht die selbstständige objektive Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung, sondern gegebenenfalls eine Einflussnahme auf die Willensbildung des Arbeitgebers ermöglichen (BAG, Urteil v. 16.07.2015 – 2 AZR 15/15).

Der Inhalt der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG ist grundsätzlich subjektiv determiniert. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben (BAG, Urteil v. 16.07.2015 – a.a.O.).

Dem kommt der Arbeitgeber dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt unterbreitet. Schildert er dem Betriebsrat bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen und damit irreführenden Kündigungssachverhalt, der sich bei der Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann, ist die Anhörung unzureichend und die Kündigung unwirksam (BAG, Urteil v. 16.07.2015 – a.a.O.).

b) Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass sie den bei ihr bestehenden Betriebsrat nach diesen Grundsätzen vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört hat.

Sie beschränkt sich unter Vorlage eines Anhörungsschreibens darauf zu behaupten, sie habe den Betriebsrat angehört, das Anhörungsschreiben sei durch die zuständige Personalsachbearbeiterin Frau I am 13.06.2016 an den Betriebsrat gefaxt worden, der Betriebsrat habe am 15.06.2016 über die Kündigung beraten und dieser am gleichen Tag zugestimmt. Dieser Vortrag ist nicht ausreichend, um nach erfolgter Rüge der ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung, eine solche schlüssig darzulegen.

Rügt der Arbeitnehmer die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates, so hat der Arbeitgeber im Einzelnen darzulegen, wann und unter Mitteilung welcher Tatsachen der Betriebsrat zu der beabsichtigten Kündigung angehört wurde, wann dem Betriebsrat gegebenenfalls ein Anhörungsschreiben zugegangen ist und ob und gegebenenfalls wann und wie der Betriebsrat reagiert hat. Solange der Arbeitgeber dieser Darlegungslast nicht nachkommt, ist davon auszugehen, dass die Betriebsratsanhörung nicht ordnungsgemäß erfolgt ist (vgl. BAG, Urteil v. 20.06.2013 – 6 AZR 805/11; ArbG Iserlohn, Urteil v. 29.09.2016 – 4 Ca 945/16).

Dies ist hier der Fall. Die Beklagte hat sich auf die Behauptung beschränkt, der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden, ohne Einzelheiten zum Inhalt der Anhörung darzulegen.

Es war an dieser Stelle auch nicht ausreichend, auf das Anhörungsschreiben als Beweismittel zu verweisen. Ein Beweisantritt soll den zuvor erfolgten Tatsachenvortrag bekräftigen, nicht diesen ersetzen. Eine Partei kommt ihrer Darlegungslast nicht durch die Bezugnahme auf dem Schriftsatz beigefügter Anlagen nach. Anlagen können lediglich zur Erläuterung des schriftsätzlichen Vortrages oder als dessen Beleg dienen, diesen aber nicht ersetzen. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, aus Anlagen zu einem Schriftsatz selbst einen Sachverhalt zu ermitteln (BAG, Urteil v. 16.05.2012 – 5 AZR 347/11). Der wesentliche Inhalt der Betriebsratsanhörung hätte daher schriftsätzlich vorgetragen werden müssen. Dem ist die Beklagte nicht nachgekommen.

3. Die von der Beklagten beantragte Schriftsatzfrist im Hinblick auf den Schriftsatz der Klägerin vom 21.12.2016 war nicht zu gewähren. Die Klägerin hat in diesem Schriftsatz lediglich vorgetragen, dass sie den Vortrag der Beklagten zur Betriebsratsanhörung für unzureichend erachtet. Es handelt sich hierbei nicht um neuen Tatsachenvortrag. Die Klägerin hat zudem die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates bereits im Gütetermin am 22.08.2016 gerügt, infolge dessen der Beklagten auferlegt wurde, zur ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrates vorzutragen. Da die Beklagte dem auch vor dem Schriftsatz der Klägerin vom 21.12.2016 nicht nachgekommen ist, wäre die Klage auch ohne den im Kammertermin übergebenen Schriftsatz der Klägerin abzuweisen gewesen.

II.

Die Klägerin hat zudem einen Anspruch gegenüber der Beklagten auf Weiterbeschäftigung.

Die Klägerin hat den Antrag unter der Bedingung des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) gestellt. Da die Klägerin mit ihrem Antrag zu 1) erfolgreich war, ist diese Bedingung eingetreten, sodass der Antrag zur Entscheidung anstand.

Der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch ist für den Fall des erstinstanzlichen Obsiegens des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess und des Fehlens eines überwiegenden Interesses des Arbeitgebers an der Suspendierung der Beschäftigung anerkannt (BAG GS 1/84, DB 1985, 2197; NZA 1985, 702).

Die Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung wurde zuvor festgestellt. Ein hinreichendes, überwiegendes Interesse der Beklagten an der Nichtbeschäftigung des Klägers ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, § 91 Abs. 1 ZPO. Als unterliegende Partei hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die teilweise Klagerücknahme hatte keine Auswirkungen auf die Kostenentscheidung. Der Kläger hat den allgemeinen Feststellungsantrag zurückgenommen. Dieser ist nicht mit einem eigenen Wert zu berücksichtigen, sodass die Rücknahme dieses Antrages ohne Auswirkungen auf die Kosten möglich war.

IV.

Der Streitwert war gem. § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen. Gemäß § 42 Abs. 2 S. 1 GKG war für den Kündigungsschutzantrag das dreifache Bruttomonatsgehalt zu berücksichtigen. Für den Antrag auf Weiterbeschäftigung ist, da eine Entscheidung über ihn erging, § 45 Abs. 1 S. 2 GKG, gem. Ziffer I. 23. des Streitwertkataloges für die Arbeitsgerichtsbarkeit 1 Bruttomonatsgehalt zu Grunde gelegt worden.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!