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Betriebsbedingte Kündigung – Verhältnismäßigkeit – anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 9 Sa 21/11 – Urteil vom 19.08.2011

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 16.12.2010, Az.. 3 Ca 1381/10 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten auch im Berufungsverfahren um die Rechtswirksamkeit der ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung vom 17.06.2010 zum 31.07.2010 sowie um die Verpflichtung der Beklagten, den Kläger als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte betreibt eine Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft mit Hauptsitz in Koblenz sowie Standorten u.a. in Essen, Mainz, Dresden, Halle, Stuttgart, Schwerin, Erfurt, Frankfurt, Berlin, Bremen, Chemnitz, Hamburg, Leipzig und Potsdam. Sie beschäftigt ständig mehr als 10 Vollzeitarbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsausbildung beschäftigten.

Der am … 1960 geborene, verheiratete und gegenüber zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist bei der Beklagten aufgrund des Anstellungsvertrages vom 14.07.2006 seit dem 01.09.2006 bei der Beklagten als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater zu einem Bruttomonatsgehalt von 8.350,– € beschäftigt.

Gemäß § 1 Ziffer 7 des Anstellungsvertrages hat der Kläger seinen Dienstsitz in X. Nach § 10 Ziffer 1 des Anstellungsvertrages ist die Betriebsordnung der Beklagten in der Fassung vom 01.01.2005 Bestandteil des Vertrages, soweit dieser nichts anderes bestimmt. § 2 der Betriebsordnung enthält folgende Regelung:

„(1) Der Mitarbeiter wird so beschäftigt, wie es im Anstellungsvertrag mit ihm vereinbart worden ist. Soweit betrieblich erforderlich, hat er jedoch vorübergehend auch jede andere zumutbare Arbeit zu übernehmen.

(2) Der Gesellschaft bleibt das Recht vorbehalten, soweit dies betrieblich notwendig ist, dem Mitarbeiter jede andere Aufgabe zu übertragen, zu deren Übernahme er aufgrund seines Ausbildungsstandes in der Lage ist…“

Neben dem Kläger ist als weiterer angestellter Wirtschaftsprüfer am Standort X. jedenfalls auch Herr B. tätig. Dieser war zuletzt neben seiner Tätigkeit in X. kommissarisch als Niederlassungsleiter der Niederlassung in Y. eingesetzt.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis erstmals mit Schreiben vom 29.02.2008 und erneut mit Schreiben vom 19.03.2009 zum 30.04.2009. Die hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklagen hatten Erfolg. Die diesbezüglichen Urteile sind rechtskräftig (zuletzt LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.04.2010, Az.: 9 Sa 739/09).

Mit Schreiben vom 17.06.2010 kündigte die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis erneut zum 31.07.2010.

Die Beklagte stützt die Kündigung maßgeblich auf eine nach ihrer Darstellung am 05.05.2010 getroffene unternehmerische Entscheidung folgenden Inhalts:

„Ausgehend von der Tatsache, dass von den zwei in X. beschäftigten Wirtschaftsprüfer nur einer in den Jahren ab 2007 aktiv war und zukünftig keine höhere Arbeitsmenge zu erwarten ist, wird die Zahl der in X. beschäftigten Wirtschaftsprüfer abschließend auf einen reduziert.“

Die Beklagte veranlasste in der Fachzeitschrift „Der Betrieb“, Heft vom Datum 2010 (Anlage K 10 zum Schriftsatz des Klägers vom 05.10.2010, Anlagenordner) eine Stellenanzeige, der zufolge sie zur Verstärkung ihres Teams für die Niederlassungen in Z. und W. Wirtschaftsprüfer/innen suchte. Ebenfalls veröffentlichte die Beklagte auf ihren Internetseiten eine Stellenanzeige (Anlage K 9 zum Schriftsatz des Klägers vom 05.10.2010, Anlagenordner) der zufolge sie mit Datum vom 17. September 2010 eine Wirtschaftsprüferin/Wirtschaftsprüfer suchte.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts sowie des wechselseitigen Sachvortrags der Parteien erster Instanz wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 16.12.2010, Az.: 3 Ca 1381/10 (Bl. 101 ff. d. A.).

Durch das genannte Urteil hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 17.06.2010 nicht zum 31.07.2010 aufgelöst worden ist. Ferner hat es die Beklagte verurteilt, den Kläger als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater am Standort X. bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens zu einem Bruttomonatslohn in Höhe von 8.350,– € zuzüglich Dienstwagen weiterzubeschäftigen.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht -zusammengefasst- ausgeführt:

Die Beklagte habe zwar die grundsätzlich anzuerkennende unternehmerische Entscheidung der Reduzierung des Personalbestands im Bereich der Wirtschaftsprüfer am Standort X. getroffen, allerdings deren organisatorische Durchführbarkeit und Nachhaltigkeit nicht ausreichend dargelegt. Soweit die Beklagte sich darauf berufe, seit dem Jahr 2007 sei fast ausschließlich nur einer der beiden Wirtschaftsprüfer in X. tätig gewesen, reiche dies allein nicht aus, da sich eine betriebsbedingte Kündigung nicht alleine mit Zeitablauf dadurch begründen lasse, dass der gekündigte Mitarbeiter, sei es aufgrund vorhergehender Kündigungen, sei es aufgrund anderer Umstände, tatsächlich einen gewissen Zeitraum nicht tätig geworden sei und dennoch das Unternehmen bzw. der betreffende Arbeitsbereich „weiterlaufe“. Die Beklagte hätte vielmehr substantiiert darlegen müssen, welche Aufgaben der Kläger während seiner Beschäftigung wahrgenommen habe, welche der Einzeltätigkeiten seit wann nicht mehr ausgeführt würden, welche Tätigkeiten anderen Mitarbeitern übertragen worden seien und inwieweit diese Tätigkeiten ohne überobligatorische Belastung von anderen Mitarbeitern übernommen werden konnten. Der Sachvortrag der Beklagten verdeutliche nicht, welche Tätigkeitsbereiche des Klägers vollständig eingestellt und welche in welchem Umfang auf andere Mitarbeiter in X. oder anderen Niederlassungen übertragen worden seien. Jedenfalls in Person des Wirtschaftsprüfers B. sei eine überobligatorische Belastung eingetreten, da dieser arbeitsvertraglich zur Arbeitsleistung von -unstreitig- 2.136 Stunden verpflichtet ist, tatsächlich aber im Jahre 2009 227,75 Stunden hierüber hinaus, mithin überobligatorisch gearbeitet habe. Ebenso sei nicht nachvollziehbar, wie sich der behauptete fehlende Arbeitsbedarf mit dem Umstand in Einklang bringen lasse, dass die Beklagte einen vom Kläger beantragten Erholungsurlaub am 17.03.2010 wegen dringender betrieblicher Umstände abgelehnt habe.

Der Rechtswirksamkeit der Kündigung stehe ferner entgegen, dass zum Zeitpunkt der Kündigung eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger bestanden habe bzw. bereits absehbar war, dass ein freier Arbeitsplatz für einen Wirtschaftsprüfer mit Ablauf der Kündigungsfrist zur Verfügung stehen werde. Ausweislich der genannten Stellenausschreibungen in der Fachzeitschrift habe die Beklagte Wirtschaftsprüfer für W. und Z. gesucht, wobei sie ihrerseits bestätigt habe, dass die Niederlassung W. nur vertretungsweise von Herrn B. mit übernommen worden sei und sich durch die Kündigung des Niederlassungsleiters Z. eine weitere Vakanz ergeben habe. Aus den Stellenanzeigen ergebe sich nicht, dass die dort gesuchten Wirtschaftsprüfer als Niederlassungsleiter hätten eingesetzt werden sollen. Selbst wenn dies aber der Fall gewesen sein sollte, stünde dies einer Besetzung mit dem Kläger nicht entgegen. Dass der Kläger hierfür fachlich oder aus persönlichen Gründen -jedenfalls unter Berücksichtigung einer angemessen Qualifizierungszeit- nicht geeignet sei, habe die Beklagte nicht ausreichend darlegen können.

Das genannte Urteil ist der Beklagten am 10.01.2011 zugestellt worden. Sie hat hiergegen mit einem am 17.01.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 23.02.2011, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 25.02.2011, begründet.

Nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie des weiteren Schriftsatzes vom 09.05.2011, auf die jeweils ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 148 ff., 182 ff. d. A.), macht die Beklagte zur Begründung ihres Rechtsmittels im Wesentlichen geltend:

Die Schließung der zentralen Steuerabteilung habe auf die nunmehrige unternehmerische Entscheidung keinen Einfluss mehr gehabt, da auch vor Errichtung dieser Abteilung und nach deren Schließung in allen Niederlassungen eigene Steuerabteilungen vorhanden gewesen seien. Die zentrale Steuerabteilung am Standort X. sei ein geplantes zusätzliches Angebot an größere Mandanten gewesen, um darstellen zu können, dass man komplexe schwierige Steuerrechtsfragen qualifiziert zentral behandeln könne. Dieses zusätzliche Angebot sei aufgegeben worden. Auf den Kläger seien keine Arbeiten aus den einzelnen Steuerabteilungen verlagert worden und nach der Schließung der zentralen Steuerabteilungen sei es auch nicht zu einer Verlagerung von Arbeiten auf die Niederlassungen gekommen. Aufgabe des Klägers sei die Bearbeitung komplexer steuerrechtlicher Fragen gewesen. Mit Schließung der Abteilung sei diese Aufgabe entfallen. Hieran ändere auch nichts der Umstand, dass der Mitarbeiter S. auch während der Abwesenheit des Klägers Mandantenschreiben verfasst habe. Dies sei auch vor der Einstellung des Klägers erfolgt und habe den genannten Mitarbeiter im Jahre 2008 nur ca. 12 Stunden und im Jahre 2009 ca. 16 Stunden zeitlich beansprucht.

Das Arbeitsgericht habe auch verkannt, dass die Beklagte die Kündigung nicht auf einen Rückgang des Umsatzes gestützt habe, sondern den rückläufigen Umsatz bei gleichbleibenden Stundensätze nur zur Stützung ihrer Prognose angeführt habe, dass die im Bereich der Wirtschaftsprüfungstätigkeit in X. zu prognostizierende Arbeitsmenge die Beschäftigung nur eines Wirtschaftsprüfers rechtfertige. Zu einer über obligationsmäßigen Belastung des Herrn B. werde es nicht kommen. Zu berücksichtigen sei, dass auf die im Jahre 2009 angefallenen 227,75 Überstunden insgesamt 176,5 Stunden entfielen, die Herr B. als kommissarischer Leiter der Niederlassung Y. habe erbringen müssen. Nach Entfall der kommissarischen Leitung fielen diese Stunden zukünftig nicht an. Die Ablehnung des Urlaubsantrags des Klägers aus dringenden betrieblichen Gründen sei der Tatsache geschuldet, dass dem Kläger nichts anderes eingefallen sei, als nach jahrelangem Stillstand einschließlich längerer krankheitsbedingter Abwesenheit sofort einen Urlaubsantrag zu stellen, statt Arbeitsleistungen anzubieten.

Soweit das Arbeitsgericht die Auffassung vertreten habe, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, dem Kläger eine Position als Niederlassungsleiter anzutragen werde verkannt, dass es zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung keine offenen Stellen gegeben habe und auch während der laufenden Kündigungsfrist derartige Optionen nicht hätten berücksichtigt werden können, weil sie nicht diskutiert worden seien oder erst nach Ablauf der Kündigungsfrist zur Verfügung gestanden hätten. So habe der Niederlassungsleiter M. in Z. am 14.06. zum 31.12.2010 gekündigt. Ebenfalls habe die Niederlassungsleiterstelle in Y. ebenfalls erst zu Beginn des Jahres 2011 zur Verfügung gestanden. Gleiches gelte für die seinerzeit diskutierte befristete Besetzung der Stelle in U. wegen Erkrankung des seinerzeitigen Niederlassungsleiters. Dies könne allerdings dahinstehen, da dem Kläger die persönliche und fachliche Qualifikation fehle und deshalb der Beklagten eine derartige Beschäftigung nicht zumutbar sei. Von der Beklagten könne nicht verlangt werden, einen Mitarbeiter, mit welchem man seit 5 Jahren in gerichtlicher Auseinandersetzung stehe, als Leiter einer Niederlassung einzusetzen. Der Kläger habe keinerlei Erfahrung mit der Führung von Mitarbeitern, sondern stoße im gesamten Betrieb auf Ablehnung, dies auch deshalb, weil der Kläger immer darauf geachtet habe, dass die 40-Stundenwoche eingehalten werde und auch keine zusätzlichen Leistungen angeboten habe. Auch bei Seminarveranstaltungen habe der Kläger immer auf die Einhaltung seines Stundenkontingents geachtet. Die Position eines Niederlassungsleiters erfordere aber zusätzliche Einsatzbereitschaft, da ein Niederlassungsleiter auch gesellschaftlichen Verpflichtungen nachgehen müsse. Der Kläger besitze keinerlei unternehmerische Fähigkeiten. Zudem müsse ein Niederlassungsleiter seinen Wohnsitz im Bereich des Standorts haben, wozu der Kläger nie bereit gewesen sei und bereit sein werde. Auch fehle es an dem erforderlichen Vertrauen zum Kläger. In fachlicher Hinsicht habe der Kläger seit 11 Jahren keine Prüfungstätigkeit einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ausgeübt, wobei kein Niederlassungsleiter eingesetzt werden könne, der zuvor nicht drei Jahre als Wirtschaftsprüfer gesetzlich vorgeschriebene Pflichtprüfungen geleistet habe. Der Kläger beherrsche auch nicht das eingesetzte EDV-Programm. Um dies beherrschen zu können, sei eine Lernphase von 6 Monaten bis zu einem Jahr notwendig.

Eine soziale Auswahl beschränke sich auf Herrn WP/StB B.. Mit den Steuerberatern sei der Kläger nicht vergleichbar. Diese übten weniger qualifizierte Tätigkeiten aus, was sich auch in deren deutlich geringerem Gehalt ausdrücke. Herr L. übe seine Tätigkeit als Wirtschaftsprüfer in T. aus. Herr Br. habe nie Wirtschaftsprüferleistungen erbracht.

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 16.12.2010, Az.. 3 Ca 1381/10 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger tritt der Berufung nach Maßgabe seines Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 30.03.2011 sowie des weiteren Schriftsatzes vom 20.05.2011, auf die Bezug genommen wird, entgegen.

Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Das Rechtsmittel ist an sich statthaft. Die Berufung wurde auch form- und fristgerecht eingelegt und -auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen genügend- begründet.

II.

In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begründung ist das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die streitgegenständliche Kündigung mangels sozialer Rechtfertigung rechtsunwirksam ist und demgemäß auch ein Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Kündigungsschutzrechtsstreits besteht. Die Berufungskammer folgt in vollem Umfang der ausführlichen Begründung des angefochtenen Urteils und stellt dies hiermit gem. § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Das Berufungsvorbringen veranlasst lediglich folgende ergänzende Ausführungen:

1. Die eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigenden, einer Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers entgegenstehenden dringenden betrieblichen Erfordernisse i. S. v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG setzen voraus, dass das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entfallen ist. Dies kann auch auf einer unternehmerischen Entscheidung beruhen. Eine solche unternehmerische Entscheidung ist auch die Entscheidung über die Festlegung des Personalbestands bzw. zur dauerhaften Reduzierung desselben. Eine solche Entscheidung unterliegt nur einer gerichtlichen Missbrauchskontrolle und ist lediglich darauf hin zu überprüfen, ob sie offenbar unvernünftig oder willkürlich ist und ob sie tatsächlich ursächlich für den vom Arbeitgeber geltend gemachten Beschäftigungswegfall ist (vgl. etwa BAG 10.10.2002 – 2 AZR 598/01 – EZA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 122). Wenn die eigentliche Organisationsentscheidung allerdings in unmittelbarer Nähe zum Kündigungsentschluss rückt, muss der Arbeitgeber zur Begründung des dringenden betrieblichen Erfordernisses die Unternehmerentscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und hinsichtlich des Begriffs „Dauer“ näher darlegen, um dem Gericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob die Unternehmerentscheidung nicht offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich und ob sie tatsächlich ursächlich für den vom Arbeitgeber geltend gemachten Beschäftigungswegfall ist (BAG a.a.O.). Hierzu muss der Arbeitgeber insbesondere darlegen, in welchem Umfang die bisher vom Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten zukünftig im Vergleich zum bisherigen Zustand entfallen und hierzu aufgrund seiner unternehmerischen Vorgaben die zukünftige Entwicklung der Arbeitsmenge anhand einer näher konkretisierten Prognose darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen erledigt werden können. Der Arbeitgeber hat in einer mit konkreten Gegentatsachen bestreitbaren und für das Gericht nachprüfbaren Weise insbesondere auch die Kausalität zwischen der getroffenen Unternehmerentscheidung und dem direkten oder mittelbar aufgrund der Sozialauswahl eintretenden Entfall einer Beschäftigungsmöglichkeit für den betroffenen Arbeitnehmer darzulegen (vgl. nur KR-KSchG, 9. Aufl., § 1 KSchG RZ 527, 554 m.w.N.).

2. Der Kläger wurde ausweislich des Arbeitsvertrags als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer eingestellt, wobei diese beiden Tätigkeitsfelder nach eigener Darstellung der Beklagten nach ihrer personellen Organisation voneinander abgegrenzt werden. Nachdem das Kündigungsschutzrecht beherrschenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist aber eine (Beendigungs-)Kündigung u.a. dann sozial nicht gerechtfertigt, wenn es andere, mildere Mittel gibt, wozu auch eine dann vorrangig in Betracht zu ziehende Änderungskündigung gehören kann, wenn der Beschäftigungsbedarf nicht vollständig, sondern nur in Teilen entfallen ist. Wenn einem Arbeitnehmer mehrere Tätigkeitsbereiche obliegen, kommt eine Beendigungskündigung nur dann in Betracht, wenn es zu einem vollständigen Entfall des Beschäftigungsbedarfs kommt oder jedenfalls zu einem Entfall von Arbeitsaufgaben in einem derartigen Umfang, dass dem Arbeitnehmer die Annahme eines auf Wahrnehmung nur noch der verbleibenden Arbeitsaufgaben gerichteten Änderungsangebots nicht zumutbar wäre.

Bezogen auf den vorliegenden Fall folgt hieraus, dass die Beklagte durch substantiierten Sachvortrag auch hätte darlegen müssen, dass die arbeitsvertraglichen Aufgaben des Klägers im Bereich der Steuerberatung entfallen sind. Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte dieser Darlegungslast nicht gerecht geworden ist. Die Beklagte hatte in ihrem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 03.11.2010 ausgeführt, dass die Tätigkeit des Klägers als Leiter der zentralen Steuerabteilung darin habe bestehen sollen, sämtliche Niederlassungen der Beklagten in Fragen des Steuerrechts zu beraten und dem interessierten Kreis an Mandanten eine hochqualifizierte Beratung für steuerrechtliche Problemstellungen habe angeboten werden sollen. Dieses Angebot höher qualifizierter Steuerberatung werde nunmehr weder in X. noch in anderen Niederlassungen angeboten. Bei diesem Sachvortrag bleibt schon unklar, was die Beklagte unter höher qualifizierter Steuerberatung in Abgrenzung zu normaler, einfacher Steuerberatung versteht. Zudem fielen doch nach diesem Sachvortrag der Beklagten auch in den Niederlassungen schwierige steuerrechtliche Fragestellungen an, bei denen der Kläger die Niederlassungen beraten sollte, so dass nicht nachvollziehbar ist, weshalb es an einer teilweisen Aufgabenübertragung von den Niederlassungen an die zentrale Steuerabteilung gefehlt haben soll. Ebenso wenig ist nachvollziehbar, dass die Beklagte im Berufungsverfahren behauptet, es habe sich rein um ein zusätzliches Angebot gehandelt, dessen Entfall keinerlei Auswirkungen auf den Arbeitsanfall in den Niederlassungen habe. Offen bleibt auch, wie sich dieser Sachvortrag zum Sachvortrag der Beklagten in ihrem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 08.09.2010 verhält, dem zufolge nach Rückkehr zu dem alten dezentralen System in den einzelnen Niederlassungen die Steuerfragen von den dort tätigen Wirtschaftsprüfern geklärt würden, woraus allerdings kein wesentlicher (Hervorhebung durch das Gericht) Mehraufwand in den Niederlassungen entstehe. Unklar und nicht nachvollziehbar bleibt auch, wie die behauptete Entscheidung, höher qualifizierter Steuerberatung künftig weder in X., noch in den anderen Niederlassungen anzubieten, konkret umgesetzt wurde. Die Beklagte stellt – wie bereits ausgeführt – nicht näher dar, wie sie einfache von schwierigen Steuerangelegenheiten abgrenzt und in welcher Weise sie das behauptete Konzept, keine höher qualifizierte Steuerberatung mehr anbieten zu wollen, umsetzt. Ob und in welchem Umfang etwa tatsächlich entsprechende Mandate abgelehnt wurden, die in ihrer Bearbeitung eine höher qualifizierte Steuerberatung erfordert hätten, ist nicht ersichtlich.

3. Zu Recht ist das Arbeitsgericht ferner davon ausgegangen, dass eine soziale Rechtfertigung der Kündigung deshalb ausscheidet, weil zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs von einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit auszugehen ist.

Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss der Arbeitgeber vor jeder ordentlichen Beendigungskündigung von sich aus dem Arbeitnehmer eine beiden Parteien zumutbare Weiterbeschäftigung auf einem freien vergleichbaren Arbeitsplatz im Unternehmen zuweisen, falls eine solche Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht. Frei sind dabei Arbeitsplätze, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung unbesetzt sind oder bei denen im Zeitpunkt der Kündigung mit hinreichender Sicherheit vorhergesehen werden kann, dass sie bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder in absehbarer Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist – sofern die Überbrückung dieses Zeitraums dem Arbeitgeber zumutbar ist – frei werden. Zumutbar ist dem Arbeitgeber im allgemeinen jedenfalls die Überbrückung des Zeitraums, die zur Einarbeitung des neu eingestellten Arbeitnehmers bzw. Stellenbewerbers benötigt wird (KR-KSchG/Griebeling, 9. Aufl., § 1 KSchG RZ 217, 219). Wenn der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess konkret aufzeigt, wie er sich eine Weiterbeschäftigung vorstellt, obliegt es dem Arbeitgeber, eingehend zu erläutern, aus welchen Gründen die vom Arbeitnehmer aufgezeigte Beschäftigung nicht möglich oder nicht zumutbar ist (KR/Griebeling, a.a.O, RZ 555 m.w.N.).

Das Arbeitsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Beklagte im Juni 2010 Stellenangebote für Wirtschaftsprüfer in Y. und Z. ausgeschrieben hat, wobei in tatsächlicher Hinsicht unstreitig ist, dass in Y. aufgrund der nur kommissarischen Wahrnehmung der Niederlassungsleitung durch Herr B. ein Personalbedarf bestand und in Z. infolge der Kündigung des seinerzeitigen Niederlassungsleiters M. am 14.06.2010 zum 31.12.2010 ein Personalbedarf entstehen würde. Nicht streitig ist ebenfalls, dass sich die Stellenangebote in der am 10.06.2010 veröffentlichen Stellenanzeige in der genannten Fachzeitschrift dem Wortlaut nach nicht auf eine Tätigkeit als Niederlassungsleiter/in bezogen, sondern auf „normale“ Wirtschaftsprüfer/innen. Ebenso wenig ist die Beklagte dem Sachvortrag des Klägers entgegen getreten, dass in Y. wenn auch erst mit Wirkung ab 01.03.2011 – und etwa auch in U. ab 01.01.2011 Mitarbeiter eingestellt wurden, und zwar nicht als Niederlassungsleiter, sondern als Wirtschaftsprüfer. Auch angesichts dieses tatsächlichen Verlaufs hat das Arbeitsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass nicht ersichtlich ist, dass die mit der Stellenanzeige gesuchten Wirtschaftsprüfer als Niederlassungsleiter eingesetzt werden sollten.

Anhaltspunkte dafür , dass der Beklagten eine Überbrückung des Zeitraums zwischen Ablauf der Kündigungsfrist und tatsächlichen Einstellungsterminen (01.01.2011, Z. und U. bzw. 01.03.2011, Y.) unzumutbar gewesen wäre, zeigt die Beklagte nicht auf. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass die Beklagte den Kläger im Rahmen eines Prüfungsauftrags außerhalb des Standorts X. eingesetzt hatte. Zudem hat die Beklagte selbst ausgeführt, dass in U. der Niederlassungsleiter schwer erkrankt war und – wie bereits ausgeführt – auch in Y. eine Vakanz bestand. Der Beklagten wäre es daher zumutbar gewesen, den Kläger überbrückungsweise mit Wirtschaftsprüfungstätigkeiten aus den Bereichen der genannten Niederlassungen zu beschäftigen.

4. Da somit das Arbeitsgericht zu Recht von der Rechtsunwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung ausgegangen ist, hat der Kläger auch einen Anspruch auf tatsächliche Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Kündigungsschutzrechtsstreits.

III.

Die Berufung der Beklagten war daher mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen. Ein Revisionszulassungsgrund i. S. d. § 72 Abs. 2 ArbGG besteht nicht.

 

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