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Betriebsbedingte Kündigung – Vorrang Änderungskündigung

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 7 Sa 359/16 – Urteil vom 16.06.2016

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 04.03.2016 in Sachen2 Ca 1516/15 EU wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer vermeintlich fristgerechten arbeitgeberseitigen Kündigung vom 18.06.2015, von deren Wirksamkeit abhängiger Annahmeverzugsansprüche des Klägers sowie – im Wege der Widerklage – um vermeintliche Gegenansprüche des Beklagten im Zusammenhang mit der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer.

Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 2. Kammer des Arbeitsgerichts Bonn dazu bewogen hat, der Klage stattzugeben und die Widerklage abzuweisen, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des vom Beklagten angegriffenen Urteils des Arbeitsgerichts Bonn vom 04.03.2016 Bezug genommen. Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde dem Beklagten am 24.03.2016 zugestellt. Der Beklagte hat hiergegen am 07.04.2016 Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.

Der Beklagte und Berufungskläger hält daran fest, dass die von ihm ausgesprochene „fristgerechte“ Kündigung vom 18.06.2015 rechtswirksam gewesen sei. Allein die Tatsache, dass durch das Verhalten des Beklagten zwei Fahraufträge verloren gegangen seien, rechtfertige die ausgesprochene Kündigung, ja sogar ohne Abmahnung, dies durch eigenmächtiges Fernbleiben des Klägers von der Arbeit. Eine Änderungskündigung sei nicht erforderlich gewesen. Das Arbeitsgericht verwechsele die Änderungskündigung mit einer Abmahnung. Eine Abmahnung könne auch mündlich ausgesprochen werden und sei auch ausgesprochen worden in dem Sinne: „Wenn Du nicht arbeiten kommst, wird das Arbeitsverhältnis gekündigt.“

Auch die Voraussetzungen des Annahmeverzuges hätten nicht vorgelegen und der Widerklage habe stattgegeben werden müssen.

Auf den vollständigen Inhalt der Berufungsbegründung gemäß Schriftsatz vom 06.04.2016 wird Bezug genommen.

Der Beklagte und Berufungskläger beantragt nunmehr, unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Bonn vom 04.03.2016, zugestellt am 24.03.3016, 2 Ca 1516/15 EU, und unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 09.12.2015, 2 Ca 1516/15 EU,

1.  die Klage abzuweisen und

2.  widerklagend den Kläger und Widerbeklagten zu verurteilen, aus einem Betrag von 2.578,44 EUR, ausgeurteilt gemäß Ziffer 2 des Versäumnisurteils vom 09.12.2015, aus einem Betrag gemäß Ziffer 3. des arbeitsgerichtlichen Urteils von 2.578,44 EUR und aus einem Betrag gemäß Ziffer 4. des Urteils von 2.578,44 EUR die Arbeitnehmeranteile und die Lohnsteuer an die Sozialversicherungsträger und das zuständige Finanzamt zu zahlen und dem Beklagten hierüber einen entsprechenden Nachweis vorzulegen;

hilfsweise zu 2., den Beklagten von den Sozialversicherungsbeiträgen und der Lohnsteuer, betreffend Arbeitnehmeranteile aus den Beträgen gemäß Ziffer 2., freizustellen.

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger und Berufungsbeklagte hält das Ergebnis des arbeitsgerichtlichen Urteils für zutreffend und seine Begründung für überzeugend.

Entscheidungsgründe

I.  Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 04.03.2016 ist zulässig. Die Berufung ist gemäß §§ 64 Abs. 2 b) und c) ArbGG statthaft. Sie wurde auch form- und fristgerecht innerhalb der in § 66 Abs. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen eingelegt und begründet.

II.  Die Berufung des Beklagten musste jedoch erfolglos bleiben. Das Arbeitsgericht Bonn hat den Sachvortrag der Parteien zu der streitigen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses vollständig zur Kenntnis genommen und zutreffend bewertet. Eine andere Entscheidung hierzu hätte das Arbeitsgericht in Einklang mit Recht und Gesetz nicht treffen können und dürfen. Auch die Abweisung der Widerklage ist sachgerecht erfolgt.

Die Ausführungen des Beklagten in der Berufungsinstanz liegen, was die Streitgegenstände der Klage angeht, weitgehend neben der Sache und können eine Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils nicht rechtfertigen. Auch die Abweisung der Widerklage ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Zunächst nimmt das Berufungsgericht auf die sehr ausführliche Begründung des arbeitsgerichtlichen Urteils und insbesondere die dort zitierte höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung Bezug und knüpft an sie an.

Insgesamt ist zusammenfassend und das arbeitsgerichtliche Urteil ergänzend das Folgende auszuführen:

1.  Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat nicht aufgrund der vermeintlich fristgerecht ausgesprochenen arbeitgeberseitigen Kündigung vom 18.06.2015 zum 27.06.2015 sein Ende gefunden. Beendet wurde das Arbeitsverhältnis vielmehr erst durch die unstreitig vereinbarte Befristung am 19.10.2015. Die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 18.06.2015 ist nicht durch Gründe gemäß § 1 Abs. 2 KSchG bedingt und somit sozial ungerechtfertigt und demnach rechtsunwirksam.

a.  Der Kläger konnte sich im Zeitpunkt des Ausspruchs der streitigen Kündigung auf den Kündigungsschutz gemäß § 1 Abs. 2 KSchG berufen: Er war zu diesem Zeitpunkt länger als 6 Monate bei dem Beklagten beschäftigt. Der Beklagte führt ein mittelständisches Fuhrunternehmen mit weit über 10 regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmern.

b.  Eine ordentliche Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt, wenn sie durch anerkannte Gründe in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers oder durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in dem Betrieb des Arbeitgebers entgegenstehen. Der Beklagte hat erstinstanzlich vorgetragen, dass die streitige Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sei. Der Beklagte hat hierzu sinngemäß ausgeführt: Der Kläger sei am Einsatzort E im Nahverkehr eingesetzt gewesen. Er habe im Wechsel Tag- und Nachtschicht geleistet und habe täglich nach Hause zurückkehren können. Der zugehörige Auftrag des Kunden Q habe ursprünglich zum Einsatz von 5 Lkw`s geführt. Der Kunde habe jedoch den Auftrag im Umfang des Einsatzes von 2 Lkw`s gekündigt. Dadurch hätten 4 Fahrer, darunter der Kläger, nicht mehr in der bisherigen Weise für diesen Kunden eingesetzt werden können. Daher habe er, der Beklagte, allen betroffenen Arbeitnehmern angeboten, einen anderen Einsatzort innerhalt des Unternehmens zu wählen. Die Zeugin S habe mit den Fahrern Gespräche darüber geführt, ob es für die Fahrer in Frage käme, ab E in den Fernverkehr zu wechseln oder in den Nahverkehr ab einem anderen Einsatzort. Der Kläger habe dies abgelehnt. Deswegen sei seine Kündigung unabdingbar gewesen.

c.  Um auf diesen Sachverhalt eine nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigte betriebsbedingte Kündigung stützen zu können, hätte der Beklagte zunächst darlegen müssen, warum durch den Auftragsteilverlust des Kunden Q gerade die Person des Klägers betroffen war. Wenn der Kundenauftrag ursprünglich 5 Fahrzeuge umfasste, von denen durch die Teilkündigung der Einsatz von 2 Fahrzeugen in Wegfall geriet, blieb immer noch die Beschäftigungsmöglichkeit auf den 3 verbleibenden Fahrzeugen für die Firma Q möglich. Warum die Auswahl derjenigen Fahrer, die nach der Teilkündigung des Kunden auf den verbleibenden 3 Fahrzeugen weiter für die Firma Q in der bisherigen Weise tätig werden konnten, nicht auch auf den Kläger fiel, hat der Beklagte nicht erläutert.

Schon deshalb kam eine sozial gerechtfertigte betriebsbedingte Kündigung nicht in Betracht.

d.  Des Weiteren geht aus dem Sachvortrag des Beklagten hervor, dass durch die Teilkündigung des Kunden Q die Beschäftigungsmöglichkeiten für den Kläger nicht gänzlich entfallen sind. Vielmehr wäre es offenbar ohne weiteres möglich gewesen, den Kläger künftig entweder im Fernverkehr oder im Nahverkehr von einem anderen Standort als E aus einzusetzen. Um aus Arbeitgebersicht dem teilweisen Wegfall des Auftrags der Firma Q betrieblich Rechnung zu tragen, bedurfte es somit keiner Beendigungskündigung des Klägers, sondern lediglich einer Änderung seines Beschäftigungseinsatzes.

e.  Der Wechsel eines Lkw-Fahrers vom Nahverkehr in den Fernverkehr ist regelmäßig mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden, unter denen die Arbeit zu leisten ist, und stellt daher im arbeitsrechtlichen Sinne eine Versetzung dar. Der Beklagte selbst hat erläutert, dass der Kläger bei seinem Einsatz im Nahverkehr geregelte Schichtzeiten hatte und täglich zu seinem Wohnort zurückkehren konnte. Beides ist bei einem Fernfahrer nicht der Fall.

Auch der Wechsel des geographischen Einsatzortes, an dem oder von dem aus (im Falle des Klägers als Lkw-Fahrer im Nahverkehr) regelmäßig seine Tätigkeit aufzunehmen hat, stellt im Regelfall eine Versetzung dar.

f.  Versetzungen dieser Art können grundsätzlich nicht mehr durch arbeitgeberseitiges Direktionsrecht angeordnet werden, sondern bedürfen einer Änderung der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen.

aa.  Eine Ausnahme von dieser Regel kommt dann in Betracht, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber bereits in ihrem Arbeitsvertrag eine Vereinbarung getroffen haben, die solche Versetzungen im Wege des Direktionsrechts zulässt. Ob die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits überhaupt einen schriftlichen Arbeitsvertrag abgeschlossen haben, ist unbekannt. Vorgelegt wurde ein solcher Vertrag jedenfalls nicht. Keine der Parteien hat sich auch zu den näheren Inhalten eines etwaigen nur mündlich abgeschlossenen Arbeitsvertrages geäußert. Insbesondere hat sich gerade auch der Beklagte nicht etwa darauf berufen, dass arbeitsvertraglich eine Versetzungsklausel vereinbart worden wäre, die es ihm ermöglicht hätte, den Kläger im Wege des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts entweder in den Fernverkehr oder an einen anderen Einsatzort als E im Nahverkehr zu versetzen.

bb.  Das Arbeitsgericht hatte somit davon auszugehen, dass eine Versetzung des Klägers vom Nahverkehr in den Fernverkehr oder in den Nahverkehr von einem Einsatzstandort außerhalb E einer Änderung der bisherigen Arbeitsvertragsbedingungen bedurfte.

g.  Es mag zugunsten des Beklagten unterstellt werden, dass er zunächst durch die Zeugin S versucht hat, mit dem Kläger eine einvernehmliche Regelung über die Änderung seiner Tätigkeit herbeizuführen, dass der Kläger eine solche aber ablehnte.

h.  Bevor ein Arbeitgeber in einem solchen Fall das Arbeitsverhältnis gänzlich beenden kann, ist er nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, die das Arbeitsgericht nicht nur in seinem Urteil, sondern bereits in seinem Hinweisbeschluss vom 07.08.2015 ausführlich zitiert hat, gehalten, eine sog. Änderungskündigung auszusprechen. Bei einer Änderungskündigung handelt es sich um eine Kombination einer ordentlichen, fristgerechten Beendigungskündigung, verbunden mit dem Angebot, das Arbeitsverhältnis über das Ende der Kündigungsfrist hinaus zu bestimmten geänderten Vertragsbedingungen fortzusetzen. Eine solche Änderungskündigung bedarf nach § 623 BGB der Schriftform, da in ihr eben auch eine Beendigungskündigung steckt. Eine schriftliche Änderungskündigung liegt unstreitig nicht vor. Die erstinstanzlich aufgestellte Behauptung des Ausspruchs einer mündlichen Änderungskündigung war wegen des offenkundigen Formmangels schon rechtlich unerheblich. An ihr hält der Beklagte in der Berufungsinstanz aber auch offensichtlich nicht fest.

i.  Die Voraussetzungen dafür, dass die Kündigung vom 18.06.2015 wegen dringender betrieblicher Erfordernisse sozial gerechtfertigt war, hat der Beklagte somit nicht vorgetragen.

2.  Im Übrigen ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass der Beklagte nach § 622 Abs. 1 BGB eine ordentliche Kündigung nur mit einer Kündigungsfrist von 4 Wochen zum 15. oder zum Ende eines Kalendermonates hätte aussprechen können. Der Beklagte hat keine Ausführungen dazu gemacht, was ihn dazu hätte berechtigen können, die gesetzliche Kündigungsfrist abzukürzen.

3.  In der zweiten Instanz scheint der Beklagte nunmehr ausweislich seiner Berufungsbegründung die streitige Kündigung nicht mehr betriebsbedingt, sondern verhaltensbedingt rechtfertigen zu wollen. Dies kann der Berufung jedoch ersichtlich nicht zum Erfolg verhelfen.

a.  Die nunmehrige Behauptung verhaltensbedingter Kündigungsgründe steht bereits in einem diametralen Gegensatz zum eigenen Sachvortrag des Beklagten in erster Instanz. Erstinstanzlich hatte der Beklagte bekanntlich vorgetragen, der Kunde Q habe ihm den Auftrag, in dessen Rahmen der Kläger eingesetzt war, teilweise gekündigt. Deswegen habe er den Kläger nicht mehr in der bisherigen Art und Weise weiterbeschäftigen können, sondern ihm einen anderweitigen Einsatz entweder im Fernverkehr oder im Nahverkehr an einem anderen Standort außerhalb E angeboten, was der Kläger jedoch abgelehnt habe.

b.  Davon, dass dieser (oder irgendein anderer?) Auftragsverlust durch irgendein Verhalten des Klägers verursacht worden wäre, war erstinstanzlich auch nicht andeutungsweise die Rede, insbesondere auch in den Schriftsätzen nicht, die der Beklagte persönlich bei Gericht eingereicht hat, bevor er sich einer anwaltlichen Vertretung bediente.

c.  Die jetzige Behauptung verhaltensbedingter Gründe entbehrt jeglicher auch nur ansatzweisen Substantiierung nach Ort, Zeit und näheren Umständen.

d.  Falls der Beklagte mit seinen Ausführungen in der Berufungsbegründungsschrift zu verhaltensbedingten Kündigungsgründen darauf abstellen will, dass der Kläger das Angebot, künftig im Fernverkehr oder von einem anderen Standort aus als E zu arbeiten, abgelehnt habe, könnte diese Auffassung nur als fernliegend bezeichnet werden. Es ist nämlich nicht ersichtlich, aus welchem Grund ein Arbeitnehmer verpflichtet sein sollte, ein Angebot seines Arbeitgebers zur Vornahme einer Vertragsänderung anzunehmen. Die Ablehnung eines solchen Angebotes könnte unter den oben beschriebenen Voraussetzungen lediglich zum Ausspruch einer Änderungskündigung führen. Dann könnte der Arbeitnehmer die Änderung der Arbeitsbedingungen z.B. auch unter dem Vorbehalt ihrer sozialen Rechtfertigung annehmen und diese vom Arbeitsgericht überprüfen lassen, § 2 KSchG.

d.  Ebenso wenig hat der Beklagte vorgetragen, dass er zu irgendeinem Zeitpunkt den Kläger in rechtmäßiger Ausübung seines Direktionsrechts angewiesen hätte, an irgendeinem bestimmten Ort irgendeine bestimmte Tätigkeit auszuüben, der Kläger dem aber pflichtwidrig nicht nachgekommen wäre.

4.  Da die Kündigung des Beklagten vom 18.06.2015 nicht geeignet war, das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 27.06.2015 zu beenden, der Beklagte in Konsequenz der von ihm selbst ausgesprochenen Kündigung dem Kläger über den 27.06.2015 hinaus aber auch keinen Arbeitsplatz mehr zugewiesen hat, hat das Arbeitsgericht den Beklagten zu Recht zur Zahlung der weiteren Löhne für die Monate Juli, August und September 2015 unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges nach § 615 BGB verurteilt.

a.  Schon die nach Aktenlage unzulässige Verkürzung der Kündigungsfrist musste dazu führen, dass sich der Beklagte ab dem 28.06.2015 in Annahmeverzug befand.

b.  Darüber hinaus hat der Kläger durch die fristgerechte Erhebung der vorliegenden Kündigungsschutzklage nochmals seine Arbeitskraft konkludent angeboten.

c.  Die Höhe der ausgeurteilten Monatslöhne steht nicht in Streit.

5.  Schließlich konnte der Beklagte auch mit seiner Widerklage keinen Erfolg haben. Der Beklagte hat aus eigenem Recht keinen Anspruch darauf, dass der Kläger die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung und die Lohnsteuer aus den von ihm vereinnahmten Bruttobeträgen an den Sozialversicherungsträger und an das zuständige Finanzamt anweist.

a.  Wie schon das Arbeitsgericht umfassend erläutert hat, entspricht es seit 1964 der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass ein Arbeitnehmer bei Zahlungsstreitigkeiten mit seinem Arbeitgeber grundsätzlich gehalten ist, Bruttobeträge einzuklagen. Die Konsequenz daraus ist, dass die Gerichte im Falle des Obsiegens des Arbeitnehmers auch Bruttobeträge zu titulieren haben und diese in vollem Umfang der Zwangsvollstreckung zugänglich sind.

b.  Wie bereits das Arbeitsgericht umfassend ausgeführt hat, sei auch hier nochmals klargestellt, dass der Arbeitnehmer, der einen vollständigen Bruttobetrag im Wege der Zwangsvollstreckung vereinnahmt, seinerseits verpflichtet ist, die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an den Sozialversicherungsträger und die Lohnsteuer an das Finanzamt abzuführen. Diese Verpflichtung besteht jedoch gegenüber Sozialversicherungsträger und Finanzbehörden als Gläubiger der Leistungen und kann vom Beklagten nicht selbstständig eingeklagt werden. Eine solche Klage würde den Beklagten auch nicht wirksam vor einer etwaigen Inanspruchnahme durch die Leistungsgläubiger schützen. Andererseits sind die Leistungsgläubiger in einer solchen Konstellation aber auch gehalten, ihre Forderungen vorrangig bei dem Arbeitnehmer, der die Bruttosumme eingezogen hat, einzutreiben Küttner/Schlegel, Personalbuch 2015, Stichwort Bruttolohnvereinbarung Rdnr. 20).

c.  In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten betont, dass er insbesondere den Prozessbevollmächtigten des Klägers in der Pflicht sehe, die Beiträge und Steuern abzuführen; denn er habe die vollen Bruttobeträge an diesen ausdrücklich mit der Maßgabe ausgekehrt, dass ihm Steuern und Arbeitnehmerbeiträge treuhänderisch zur Verfügung gestellt würden. Dieser Gesichtspunkt ist in der vorliegenden Entscheidung jedoch nicht zu beurteilen, da er nicht das Prozessrechtsverhältnis und die Streitgegenstände zwischen Kläger und Beklagtem betrifft und die Arbeitsgerichte hierfür im Zweifel auch nicht zuständig wären.

6.  Zutreffend hat das Arbeitsgericht schließlich auch den Hilfsantrag zur Widerklage abgewiesen.

a.  Das Berufungsgericht teilt die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass es dem Hilfsantrag schon an der nötigen Bestimmtheit fehlt.

aa.  Unklar erscheint bereits, was genau mit „Freistellung“ gemeint sein soll. Wäre damit die einer etwaigen Inanspruchnahme des Beklagten vorbeugende Abführung der Steuern und Beiträge gemeint, wären Hilfsantrag und Hauptantrag bedeutungsgleich und träfen den Hilfsantrag dieselben Einwände wie den Hauptantrag. Wäre damit ein Erstattungsanspruch für den Fall gemeint, dass der Beklagte tatsächlich von Sozialversicherungsträgern und/oder Finanzamt in Anspruch genommen werden würde, wäre einem bezifferten Leistungsantrag der Vorrang einzuräumen.

bb.  Von daher wäre es auch erforderlich gewesen, die genaue Höhe der Beträge, von denen der Beklagte „freigestellt“ werden sollte, anzugeben. Da der Beklagte bisher aber nicht in Anspruch genommen worden ist und von ihm auch nicht vorgetragen wurde, dass eine Inanspruchnahme in absehbarer Zeit bevorsteht, erscheint dies derzeit nicht möglich.

7.  Die Berufung des Beklagten musste daher in Gänze erfolglos bleiben.

III.  Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die vorliegende Entscheidung orientiert sich an den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung und beruht im Übrigen auf den Umständen des Einzelfalls. Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision ist nicht gegeben.

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