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Betriebsbedingte Kündigung aufgrund Stillegung des Betriebs

LAG Berlin-Brandenburg, Az.: 15 Sa 605/16, Urteil vom 20.07.2016

Konsultationsverfahren

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 01.03.2016  – 18 Ca 9498/15 – abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten nicht aufgrund der Kündigung vom 27.06.2015 zum nächstmöglichen Termin, welcher nach den Berechnungen der Beklagten der 31.01.2016 sein soll, mit Ablauf des 31.01.2016 aufgelöst worden ist, sondern über den 31.01.2016 hinaus ungekündigt weiter fortbesteht.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

III. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten – wie in zahlreichen Parallelverfahren – über die Wirksamkeit einer zweiten betriebsbedingten Kündigung vom 27.06.2015 wegen Betriebsstilllegung.

Der am 24.10.1965 geborene Kläger war seit dem 05.12.1990 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin zuletzt als erste Fachkraft Fluggastabfertigung auf dem Flughafen T. in Teilzeit (22 Wochenstunden) mit einem Bruttomonatseinkommen in Höhe von 1.800,– EUR beschäftigt.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der W. Unternehmensgruppe und war an den Flughäfen B. und S. tätig.

Die Beklagte erbrachte zu Beginn des Jahres 2015 mit insgesamt ca. 190 Arbeitnehmern weitgehend auf dem Flughafen B. sowie mit zuletzt noch 14 Arbeitnehmern auf dem im Bundesland B. gelegenen Flughafen B. verschiedene Dienstleistungen im Bereich der Passagierabfertigung. Einzige Auftraggeberin der Beklagten war die G. GmbH & Co. KG, die ebenfalls zur W. Unternehmensgruppe gehört.

Im September 2014 kündigte die G. mit verschiedenen Schreiben alle Aufträge spätestens zum 31.03.2015. Unter dem 22.09.2014 fand im Umlaufverfahren eine Gesellschafterversammlung der Beklagten statt. In dieser wurde durch die G. als alleinige stimmberechtigte Gesellschafterin der Beschluss gefasst, dass beabsichtigt sei, den Betrieb der Beklagten in T. und S. zum 31.03.2015 stillzulegen und die dem Betriebszweck dienende Organisation zu diesem Termin aufzulösen. Hierbei war die persönlich haftende Gesellschafterin der Beklagten, die A. GmbH, nicht stimmberechtigt.

Zwischen der Beklagten und dem bei ihr bestehenden Betriebsrat fanden nachfolgend Verhandlungen zu einem Interessenausgleich und einem Sozialplan statt. Hierzu wurde auch eine Einigungsstelle einberufen. Mit Schreiben vom 02.01.2015 unterrichtete der Geschäftsführer der Beklagten den Betriebsrat „noch einmal formal gemäß § 17 Abs. 2 KSchG“ über eine beabsichtigte Massenentlassung (Anlage BK 15).

Mit Schreiben vom 29.01.2015 erhielt der Kläger eine erste betriebsbedingte Kündigung. Mit der hiergegen erhobenen Kündigungsschutzklage obsiegte der Kläger auch zweitinstanzlich (19 Sa 1136/15; BAG 2 AZR 139/16).

Nachdem einige Kammern des Arbeitsgerichts Berlin eine Verletzung der Massenentlassungsvorschriften des § 17 KSchG festgestellt hatten, hat sich die Beklagte entschlossen, rein vorsorglich dieses Verfahren zu wiederholen.

Unter dem 10.06.2015 (Anl. B M 1 = Bl. 156 d. A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat erneut zur geplanten Massenentlassung an. Am 24.06.2015 verhandelten die Betriebsparteien zwischen 12:50 Uhr und 18:50 Uhr. Für den Betriebsrat waren anwesend: Die Betriebsratsvorsitzende Frau H. („CH“), das Betriebsratsmitglied Frau B., Herr Rechtsanwalt K. („HK“) und der Sachverständige Herr G.. Für die Beklagte deren Geschäftsführer („BA“) und Frau Rechtsanwältin R. („UR“). Mit E-Mail vom 24.06.2015 (Anlage B M 10 = Bl. 185 d. A.) forderte die Beklagte den Betriebsrat auf, bis zum nächsten Tag 18:00 Uhr eine Stellungnahme abzugeben. Der Betriebsrat erwiderte hierauf mit Schreiben vom 25.06.2015 (Donnerstag), wonach er  in seiner nächsten Sitzung am Dienstag (30. Juni) eine Stellungnahme abgeben werde. Unter dem 26.06.2015 (Anlage B M 13 = Bl. 188 d. A.) erstattete die Beklagte bei der Agentur für Arbeit C. eine Massenentlassungsanzeige bezogen auf noch verbliebene 129 Arbeitnehmer. Ein gleichlautendes Schreiben wurde am selben Tag bei der Agentur für Arbeit B. eingereicht.

Mit Schreiben vom 27.06.2015 kündigte die Beklagte erneut das Arbeitsverhältnis des Klägers zum nächstmöglichen Termin (31.01.2016).

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der am 08.07.2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei schon gemäß § 1 KSchG unwirksam. Es müsse berücksichtigt werden, dass die Beklagte wie in einem Konzern eingebunden sei. Die getroffene unternehmerische Entscheidung zur Betriebsstilllegung sei rechtsmissbräuchlich und stelle eine Umgehung tragender Prinzipien des geltenden Kündigungsschutzes dar. Die Kündigungen seien von langer Hand vorbereitet gewesen. Die Betriebsaufspaltungen des Jahres 2012 hätten dazu gedient, sich künftig leicht von Arbeitnehmern trennen zu können, denen auf Basis eines Flächentarifvertrages erhöhte Besitzstände zustanden. Die Sozialauswahl müsse konzernweit erfolgen. Die Unwirksamkeit der Kündigung ergebe sich unter anderem auch daraus, dass die Beklagte das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG nicht eingehalten habe. Nachdem am 24.06.2015 verhandelt worden sei, hätte durch die Beklagte die Stellungnahmefrist für den Betriebsrat nicht auf den nächsten Tag 18:00 Uhr festgelegt werden können. Diese Frist sei viel zu kurz bemessen gewesen. Die dem Betriebsrat mitgeteilten Informationen seien nicht ausreichend gewesen. Ohne Kenntnis der konkreten Zahlen und den behaupteten Veränderungen zulasten des W.Konzerns bzw. der W.-Gruppe sei für den Betriebsrat eine Beratung über eventuelle Entgeltverzichte der Beschäftigten zur Erhaltung ihrer Arbeitsplätze gar nicht möglich gewesen. Auch die bei der Bundesanstalt für Arbeit erstattete Massenentlassungsanzeige sei nicht ordnungsgemäß. Der Betriebssitz sei fehlerhaft mitgeteilt worden. Es hätte offen gelegt werden müssen, dass der Betriebssitz sich inzwischen ausschließlich in B. befunden hätte. Der Betriebsrat sei auch nicht ordnungsgemäß im Sinne des § 102 BetrVG beteiligt worden.

Der Kläger hat beantragt, festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten nicht aufgrund der Kündigung vom 27.06.2015 zum nächstmöglichen Termin aufgelöst worden ist, sondern über den von der Beklagten errechneten 31.01.2016 hinaus ungekündigt weiter fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, auch das Konsultationsverfahren sei ordnungsgemäß erfolgt. Weder hätten weitere Informationen erteilt werden müssen, noch hätte die Frist zur Stellungnahme über den 25.06.2015 hinaus ausgedehnt werden müssen. Schon im Schreiben vom 02.01.2015 seien alle erforderlichen Informationen erteilt worden.

Mit Urteil vom 01.03.2016 hat das Arbeitsgericht Berlin die Klage abgewiesen. Streitgegenstand sei ausschließlich die Frage, ob die 2. Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst habe, wobei dies unabhängig von der Wirksamkeit der ersten Kündigung zu beurteilen sei. Die Kündigung sei gemäß § 1 KSchG aus betriebsbedingten Gründen (Betriebsstilllegung) erfolgt. Die unternehmerische Entscheidung sei nicht rechtsmissbräuchlich gewesen. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß im Sinne des § 102 BetrVG beteiligt worden. Es liege auch kein Verstoß gegen § 17 KSchG vor. Schon mit Schreiben vom 02.01.2015 sei der Betriebsrat ordnungsgemäß unterrichtet worden. Die Beklagte habe mit Schreiben vom 10.06.2015 nochmals Beratungen angeboten, die daraufhin am 24.06.2015 stattgefunden hätten. Die Massenentlassungsanzeige sei ebenfalls wirksam erstattet worden. Eine Stellungnahme des Betriebsrats hätte nicht beigefügt werden müssen, da dieser eine solche bis zum 25.06.2015 nicht abgegeben hatte. Die Massenentlassungsanzeige sei auch nicht bei der örtlich unzuständigen Arbeitsagentur angebracht worden.

Dieses Urteil ist dem Klägervertreter am 01.04.2016 zugestellt worden. Die Berufung ging am 15.04.2016 beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg ein. Nach Verlängerung bis zum 01.07.2016 erfolgte die Berufungsbegründung am 20.05.2016.

Der Kläger hält seine erstinstanzlich dargelegten Rechtsauffassungen für zutreffend, was er weiter ausführt. Im Hinblick auf das Konsultationsverfahren ist er insbesondere weiterhin der Ansicht, dass dem Betriebsrat nähere Informationen zu den Hintergründen für die beabsichtigte Betriebsschließung hätten mitgeteilt werden müssen. Nach den Verhandlungen am 24.06.2015 hätte die Beklagte eine Reaktion des gesamten Betriebsratsgremiums abwarten müssen. Jedenfalls sei die bis zum 25.06.2015 gesetzte Frist zu kurz bemessen gewesen.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 01.03.2016 zu 18 Ca 9498/15 festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten nicht aufgrund der Kündigung von 27.06.2015 zum nächstmöglichen Termin, welcher nach den Berechnungen der Beklagten der 31.01.2016 sein soll, mit Ablauf des 31.01.2016 aufgelöst worden ist, sondern über den 31.01.2016 hinaus ungekündigt weiter fortbesteht.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, der Betriebsrat habe keine ernsthaften Gespräche gesucht. Dieser habe weder ernsthaft einen möglichen Verzicht auf Gehaltsbestandteile, noch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit verfolgt. Die Stellungnahmefrist bis zum 25.06.2015 sei nicht zu kurz bemessen gewesen. Der Betriebsrat habe gewusst, dass noch im Juni 2015 die weiteren Kündigungen hätten ausgesprochen werden sollen. Insofern hätte er vorsorglich und zeitnah zum 24.06.2015 eine Betriebsratssitzung anberaumen müssen.

Die Parteien haben übereinstimmend erklärt, dass sie mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden sind. Durch Beschluss ist daraufhin eine Stellungnahmefrist bis zum 27.06.2016 gesetzt worden.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO) eingelegt und begründet worden. Sie ist daher zulässig.

II.

Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Zu Unrecht hat das Arbeitsgericht Berlin die Klage abgewiesen. Die Kündigung vom 27.06.2015 ist vielmehr unwirksam. Insofern war die erstinstanzliche Entscheidung abzuändern und dem gestellten Antrag stattzugeben, wobei der Zusatz „sondern über den 31.01.2016 hinaus ungekündigt weiter fortbesteht“ mangels eigenständiger Begründung rein deklaratorisch zu verstehen ist.

Die Kündigung ist schon deswegen unwirksam, weil das erforderliche Konsultationsverfahren nach § 17 II KSchG nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden ist. Hierzu hat das LAG Berlin-Brandenburg am 14.04.2016 – 21 Sa 1544/15 und 21 Sa 1568/15 Folgendes ausgeführt:

„b) Die Kündigung verstößt gegen § 17 Abs. 2 KSchG, weil die Beklagte die endgültige Entscheidung über eine erneute Massenentlassung getroffen und die Kündigung ausgesprochen hat, bevor das Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat abgeschlossen war. Dabei kann diesbezüglich offen bleiben, ob die Informationen, die der Betriebsrat von der Beklagten bezüglich der beabsichtigten Massenentlassung erhalten hat, den Anforderungen des § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG genügen. Denn jedenfalls konnte die Beklagte, als entweder sie oder die G. die endgültige Entscheidung getroffen hat, die geplante Massenentlassung durchzuführen, und die Beklagte die erneuten Kündigungen ausgesprochen hat, nicht davon ausgehen, dass das Konsultationsverfahren bereits abgeschlossen ist.

 

aa) Nach § 17 Abs. 2 KSchG darf die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber eine Massenentlassung erst vornehmen, nachdem das Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat abgeschlossen ist (BAG vom 21. März 2013 – 2 AZR 60/12 – Rn. 26 u. 28, a. a. O.). Dies entspricht den Vorgaben der MERL. Nach der Entscheidung des EuGH vom 27. Januar 2005 in der Rechtssache C-188/03 – J. darf die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber Massenentlassungen erst nach Ende des Konsultationsverfahrens i. S. d. Art. 2 der Richtlinie und nach der Anzeige der beabsichtigen Massenentlassung i. S. d. Art. 3 und 4 der Richtlinie vornehmen (Rn. 54, AP Nr. 18 zu § 17 KSchG). Art 2 der Richtlinie begründe eine Verpflichtung zu Verhandlungen, um über die Möglichkeiten, Massenentlassungen zu vermeiden oder zu beschränken und ihre Folgen zu mildern, zu einer Einigung zu gelangen (Rn. 42 f., a. a. O.). Die praktische Wirksamkeit einer solchen Verpflichtung werde beeinträchtigt, wenn die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber die Arbeitsverträge während oder sogar schon zu Beginn des Verfahrens kündigen dürfte, weil es für die Arbeitnehmervertretung erheblich schwieriger wäre, die Rücknahme einer bereits getroffenen Entscheidung zu erreichen als den Verzicht auf eine beabsichtigte Entlassung (Rn. 44, a. a. O.). Die Kündigung des Arbeitsvertrags dürfe also erst nach Ende des Konsultationsverfahrens ausgesprochen werden, d. h. nachdem die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber die Verpflichtungen nach Art. 2 der Richtlinie erfüllt habe (Rn. 45, a. a. O.). In seiner Entscheidung vom 10. September 2009 in der Rechtssache C-44/08 – K. hat der EuGH dies nochmals bekräftigt und ergänzend ausgeführt, das Konsultationsverfahren müsse abschlossen sein, bevor eine Entscheidung über die Kündigung der Arbeitsverträge getroffen werde (Rn. 70, AP Nr. 3 zu Richtlinie 98/59/EG). Bei einem Konzern könne eine Entscheidung der Muttergesellschaft, die eine ihrer Tochtergesellschaften unmittelbar zwinge, die Verträge der von Massenentlassungen betroffenen Beschäftigten zu kündigen, erst getroffen werden, wenn das Konsultationsverfahren innerhalb dieser Tochtergesellschaft abgeschlossen sei, andernfalls müsse diese als Arbeitgeberin die Folgen der Nichteinhaltung dieses Verfahrens tragen (Rn. 71, a. a. O.).

bb) Wann das Konsultationsverfahren zumindest, was das „Ob“, den Umfang und den Zeitpunkt der Massenentlassung betrifft, als abgeschlossen betrachtet werden kann, ist noch nicht im Einzelnen geklärt (vgl. dazu BVerfG vom 25.02.2010 – 1 BvR 230/09 – Rn. 36, AP Nr. 65 zu Art. 101 GG).

(1) Unzweifelhaft abgeschlossen ist das Konsultationsverfahren nur, wenn sich die Betriebsparteien geeinigt haben oder wechselseitig davon ausgehen, dass alle Einigungsversuche ausgeschöpft sind und das Verfahren übereinstimmend als beendet ansehen (vgl. ErfK-Kiel, § 17 Rn. 25a; KR-Weigand, § 17 Rn. 103) oder wenn der Betriebsrat eine abschließende Stellungnahme abgegeben hat (ErfK-Kiel, § 17 Rn. 25). Haben die Betriebsparteien jedoch weder eine Einigung über die geplante Massenentlassung erzielt, noch darüber, dass keine Einigung möglich ist und hat der Betriebsrat auch (noch) keine abschließende Stellungnahme abgegeben, ist offen, wann die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber das Verfahren als abgeschlossen ansehen und die Massenentlassung vornehmen darf. Insbesondere ist unklar, welche konkreten Anstrengungen die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber unternehmen muss, um mit der Arbeitnehmervertretung zu einer Einigung zu gelangen und wie viel Zeit er für die Verhandlungen und die abschließende Stellungnahme einräumen muss.

(2) Einen konkreten Zeitrahmen für die Konsultation gibt weder § 17 Abs. 2 KSchG, noch die MERL vor. Der in § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG genannte Zeitraum von zwei Wochen ab der vollständigen Unterrichtung des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG bezieht sich nur auf die Massenentlassungsanzeige und betrifft nicht das Konsultationsverfahren als solches (vgl. BAG vom 26.02.2015 – 2 AZR 955/13 – Rn. 29, a. a. O.). Es kann deshalb auch offen bleiben, ob und unter welchen Umständen die Regelung in § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG und die Zwei-Wochen-Frist mit der MERL im Einklang steht (vgl. BAG vom 26.02.2015 – 2 AZR 955/13 -, Rn. 30, a. a. O.). Für den Abschluss des Konsultationsverfahrens kann der Zwei-Wochen-Frist grundsätzlich nur dann Bedeutung zukommen, wenn der Betriebsrat nach vollständiger Unterrichtung nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG innerhalb der Frist nicht reagiert und ein entsprechendes Beratungsangebot der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers nicht wahrnimmt (vgl. BAG vom 28.06.2014 – 6 AZR 780/120 – Rn. 57, AP Nr. 40 zu § 17 KSchG 1969; LAG Berlin-Brandenburg vom 26.02.2016 – 6 Sa 1581/15 – unter B. II. 2.5.1 der Gründe). In einem solchen Fall darf der Arbeitgeber davon ausgehen, dass er seiner Beratungspflicht genüge getan hat (Reinhard, RdA 2007, 207, 214).

(3) Jedenfalls kann das Konsultationsverfahren nicht abgeschlossen sein, bevor der Arbeitgeber dem Betriebsrat nach der Erteilung aller zweckdienlichen Auskünfte nicht genügend Gelegenheit für eine abschließende Stellungnahme gegeben hat.

Nach der Systematik sowie dem Sinn und Zweck des § 17 Abs. 2 KSchG spricht alles dafür, dass die Beratungen nach dem Satz 2 der Vorschrift zwar vor der vollständigen Unterrichtung nach ihrem Satz 1 beginnen, jedoch erst im Anschluss an diese abgeschlossen werden können. Auch nach Art. 2 der MERL, dessen Umsetzung § 17 Abs. 2 KSchG dient, muss die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber die erforderlichen Auskünfte zwar nicht unbedingt zum Zeitpunkt der Eröffnung der Konsultationen erteilen, hat sie aber „im Verlauf des Verfahrens“ zu vervollständigen und alle einschlägigen Informationen bis zu dessen Abschluss zu erteilen (EuGH vom 10.09.2009 – C-44/08 – <Keskusliitto> Rn. 52, 53, a. a. O.). Damit ist es in der Regel unvereinbar, das Konsultationsverfahren mit der vollständigen Unterrichtung des Betriebsrats als abgeschlossen anzusehen. Die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber muss vielmehr eine Reaktion des Betriebsrats auf die abschießende Unterrichtung erbitten und abwarten. Sie oder er darf im Rahmen der ihr oder ihm zukommenden Beurteilungskompetenz den Beratungsanspruch des Betriebsrats erst dann als erfüllt ansehen, wenn entweder die Reaktion, die auf die „finale“ – den Willen zu möglichen weiteren Verhandlungen erkennen lassende – Unterrichtung erbeten worden war, nicht binnen zumutbarer Frist erfolgt oder sie aus Sicht der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers keinen Ansatz für weitere, zielführende Verhandlungen bietet (BAG vom 26.02.2015 – 2 AZR 955/13 – Rn. 29, a. a. O.; vgl. auch KR-Weigand, § 17 Rn. 103).

cc) In Anwendung dieser Grundsätze hat die Beklagte die endgültige Entscheidung, die Massenentlassung durchzuführen und erneut zu kündigen, zu einem Zeitpunkt getroffen, als das Konsultationsverfahren noch nicht abgeschlossen war.

(1) Nachdem die Betriebsparteien am 24. Juni 2015 über die von der Beklagten beabsichtigte erneute Massenentlassung beraten hatten, hatte die Beklagte dem Betriebsrat Gelegenheit für Ergänzungen und eine abschließende Stellungnahme bis zum folgenden Tag um 18.00 Uhr gegeben und ist hiervon auch nicht abgerückt, nachdem die Vorsitzende des Betriebsrats mit Faxschreiben vom 25. Juni 2015 eingewandt hatte, nach den Beratungen am Vortrag sei man so verbleiben, dass der Geschäftsführer nach der Besprechung mit der G. seine Sicht der Dinge so rechtzeitig mitteile, dass das gesamte Gremium am nächsten Dienstag darüber beraten könne. Vielmehr hat die Beklagte oder die G. als deren alleinstimmberechtigte Gesellschafterin, die endgültige Entscheidung, die geplante Massenentlassung vorzunehmen, noch am Abend des 25. Juni 2015, spätestens am Morgen des folgenden Tages getroffen und am darauf folgenden Tag, dem 27. Juni 2015, die Kündigungen erneut ausgesprochen. So heißt es am Ende der der Agentur für Arbeit C. am 26. Juni 2015 per Fax zwecks Erstattung der Massenentlassungsanzeige übersandten Schreibens von demselben Tag, nach Beratungen mit G. habe sie sich entschlossen, „die Kündigungen zu wiederholen und dies dem Betriebsrat entsprechend heute morgen (…) mitgeteilt“.

(2) Die dem Betriebsrat eingeräumte Frist für die abschließende Stellungnahme von nicht einmal 24 Stunden war viel zu kurz, als dass dieser eine realistische Chance gehabt hätte, eine solche tatsächlich abzugeben. Dabei ist zu berücksichtigten, dass Adressat der Konsultation nach § 17 Abs. 2 KSchG der Betriebsrat als Kollegialorgan ist (BAG vom 26.02.2012 – 2 AZR 955/13 – Rn. 21 m. w. N., a. a. O.) und die Betriebsratsvorsitzende nicht anstelle des Betriebsrats handeln kann, sondern nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG diesen nur im Rahmen der von diesem gefassten Beschlüssen vertritt. Ein wirksamer Beschluss des Betriebsrats setzt nach § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG aber eine rechtzeitige Einladung zu einer Sitzung unter Mitteilung der Tagesordnung voraus (st. Rspr. des BAG z. B. BAG vom 04.11.2015 – 7 ABR 61/13 – Rn. 32, juris). Dass dies innerhalb der gesetzten Frist einschließlich Beratung und Beschlussfassung möglich gewesen wäre, ist lebensfremd. Dies gilt erst recht, wenn – wie hier – alle Betriebsratsmitglieder wegen der Einstellung der Betriebstätigkeit durch die Arbeitgeberin oder den Arbeitgeber von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt sind und deshalb nicht so schnell zu einer außerordentlichen Sitzung zusammengerufen werden können, wie wenn sie ohnehin im Betrieb anwesend sind. Jedenfalls ist dem Betriebsrat die Einhaltung einer derart kurzen Frist nach den Grundsätzen der vertrauensvollen Zusammenarbeit des § 2 Abs. 1 BetrVG nicht zumutbar (ebenso LAG Berlin-Brandenburg vom 26.02.2016 – 6 Sa 1581/15 – unter B. II. 2.5.2 der Gründe).

(3) Die Beklagte hatte den Betriebsrat auch nicht im Vorfeld der Beratungen am 24. Juni 2015 darauf vorbereitet oder zumindest vorgewarnt, dass sie innerhalb kürzester Frist nach den Beratungen eine abschließende Stellungnahme erwartet. Den im Zusammenhang mit der Terminsuche an den Betriebsrat gerichteten Schreiben lässt sich ein solcher Hinweis jedenfalls nicht entnehmen. Nicht einmal aus dem von der Beklagten gefertigten Protokoll der Beratungen ergibt sich eine solche Erwartung. Vielmehr heißt es in dem Protokoll lediglich, dass Ergänzungen zum heutigen Gespräch und den dem Gespräch vorangegangenen Schreiben des Betriebsrats noch bis 12.00 Uhr des folgenden Tages möglich seien. Vor einer abschließenden Stellungnahme ist keine Rede.

(4) Die Beklagte konnte auch nicht darauf verzichten, dem Betriebsrat Gelegenheit zu einer abschließenden Stellungnahme zu geben. Dabei kann offen bleiben, ob die Betriebsparteien nach den Beratungen am 24. Juni 2015 tatsächlich so verblieben waren, wie von der Betriebsratsvorsitzenden in ihrem Schreiben vom 26. Juni 2015 geschildert, und ob der Betriebsrat vor der Abgabe einer abschließenden Stellungnahme erwarten konnte, von dem Geschäftsführer über das Ergebnis der Besprechung mit der G. informiert zu werden. Denn die Möglichkeit zu einer abschließenden Stellungnahme war schon deshalb erforderlich, weil an den Beratungen nicht der gesamte Betriebsrat sondern nur dessen Vorsitzende zusammen mit einem juristischen und einem sachverständigen Berater teilgenommen hatte und der Verhandlungskommission während der Beratungen weitere für die abschließende Stellungnahme des Betriebsrats relevante Auskünfte erteilt worden sind, bezüglich deren noch keine Rückkopplung mit dem Gremium und erst recht keine Beratung innerhalb des Gremiums stattfinden konnte.

So hatte die Beklagte für die Beratungen als Diskussionsgrundlage eine Präsentation erstellt, die u. a. eine Analyse der Besitzstände der noch verbliebenen Beschäftigten nach dem ÜTV VTV und nähere Angaben zu der aus Sicht der Beklagten erforderlichen Absenkung der Vergütung enthielt. Weiter wurde der Verhandlungskommission des Betriebsrats die von diesem mit Schreiben vom 17. Juni 2015 gebetene Liste mit den Beschäftigten übergeben, deren Arbeitsverhältnis zwischen Februar 2015 und dem 30. Juni 2015 geendet hatte. Dafür, dass die Präsentation weitere dem Betriebsrat bisher jedenfalls so noch nicht vorliegende Informationen enthielt, spricht auch die Bitte der Betriebsratsvorsitzende, ihr die Präsentation bis Montag zur Verfügung zu stellen, weil der Betriebsrat als Gremium am Dienstag zusammensitzen werde. Außerdem werden im Rahmen von Beratungen regelmäßig weitere Auskünfte erteilt oder bereits erteilte Auskünfte weiter verdeutlicht, so dass in aller Regel nicht darauf verzichtet werden kann, nach Beratungen mit einer Verhandlungskommission des Betriebsrats, diesem vor einer endgültigen Entscheidung nochmals die Möglichkeit für eine abschließende Stellungnahme zu geben. Dass dies jedenfalls im vorliegenden Fall notwendig ist, das sah offensichtlich auch der Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin der Beklagten so. Denn anders lässt sich der Inhalt der E-Mail vom 24 Juni 2015 nicht erklären.“

Diesen Erwägungen schließt sich die hiesige Kammer vollumfänglich an. Insofern ist die Kündigung unwirksam, weil bei ihrem Ausspruch das Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat noch nicht abgeschlossen war. Die dem Betriebsrat am 24.06.2015 von der Beklagten gesetzten Stellungnahmefrist bis zum 25.06.2015, 18:00 Uhr, war zu kurz bemessen.

Da die Kündigung schon aus diesem Grunde unwirksam war, kann offen bleiben, ob auch die anderen vom Kläger vorgetragenen Unwirksamkeitsgründe zutreffend sind.

III.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen (§ 91 ZPO).

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

 

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