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Betriebsbedingte Kündigung wegen Personalverdichtung

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 11 Sa 886/17 – Urteil vom 13.06.2018

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 14.09.2017 – 2 Ca 827/17 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Der am . .19 geborene Kläger, ledig, ist seit dem 01.09.2002 bei der Beklagten, die eine Gießerei betreibt, zuletzt als Vorarbeiter in der Abteilung Handformerei mit einer Vergütung nach der Entgeltgruppe EG 10 beschäftigt. Zu den Aufgaben des Vorarbeiters gehören u. a. die Überwachung des ordnungsgemäßen Arbeitsablaufes in der Handformerei während des Gießvorgangs sowie die Herstellung von Sandformen und Sandkernen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Aufgabenbereichs wird auf die Beschreibung und Bewertung von Arbeitsaufgaben, Systematik-Kennziffer P 3.3 (Anlage B 5 der Berufungsbegründung vom 16.12.2017), verwiesen.

Die Beklagte hörte mit Schreiben vom 06.03.2017 den Betriebsrat zur beabsichtigen ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers an. Der Betriebsrat nahm die Kündigungsabsicht ausweislich Schreiben vom 10.03.2017 zur Kenntnis, ohne dieser zuzustimmen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Betriebsratsanhörung wird auf die Anlagen B 3 und B 5 der Berufungsbegründung Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 10.03.2017 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 31.08.2017, hilfsweise zum nächst möglichen Zeitpunkt.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 14.09.2017 (Bl. 80 ff. d. A.) der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht dargelegt habe. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Gegen das ihr am 26.10.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20.11.2017 Berufung eingelegt und diese am 22.11.2017 begründet.

Die Beklagte behauptet unter Bezugnahme und Ergänzung des Vortrags erster Instanz, sie habe das Anhörungsschreiben am 06.03.2017 dem Betriebsrat übergeben, dieser habe in der Sitzung vom 09.03.2017 abschließend beschlossen, der Kündigung nicht zu widersprechen. Hinsichtlich des Inhalts der Anhörung werde auf das Schreiben vom 06.03.2017 Bezug genommen. Aufgrund von Auftragsrückgängen sei die Beklagte zur Umstrukturierung und Reduzierung der Mitarbeiterzahl der Abteilungen gezwungen gewesen. Die Anzahl der Gießereimechaniker der Abteilung Handformerei sei von ursprünglich 14 Arbeitnehmer im Jahre 2012 auf nunmehr zehn Mitarbeitern reduziert worden. Daher sei auch eine Anpassung auf der Vorarbeiterebene von drei auf zwei Personen notwendig. Ein gutes Verhältnis von Gießereimechanikern und Vorabeitern stelle sich nach ihrer Erfahrung ungefähr bei einem Verhältnis von 1:8 ein. Die Vorarbeitertätigkeit in der Putzerei, in der Anlernkräfte zum Einsatz kämen, sei nicht vergleichbar. Zudem habe bereits zum Zeitpunkt der Betriebsratsanhörung festgestanden, dass der Vorabeiter der Putzerei B zum 31.08.2017 aus dem Betrieb ausscheiden würde.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 14.09.2017, Az. 2 Ca 827/17, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Kläger trägt vor, er sei arbeitsvertraglich lediglich als Mitarbeiter der Gießerei angestellt und mit dem Arbeitnehmer B vergleichbar, der weniger sozial schutzwürdig gewesen sei. Ein Auftragsrückgang, der die Entlassung des Klägers rechtfertige, liege nicht vor. Der Betrieb der Beklagten laufe seit dem Januar 2018 wieder auf Hochtouren, die Beklagte suche u.a. Gießereimitarbeiter in der Maschinenformerei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 16.12.2017, 24.04.2018 und 29.05.2018, die Sitzungsniederschrift vom 13.06.2018 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, denn sie ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft und sie wurde ordnungsgemäß innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.

II. Die Berufung ist unbegründet, denn das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend erkannt, dass die Kündigung vom 10.03.2017 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst hat. Die streitgegenständliche Kündigung ist rechtsunwirksam, denn sie ist sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 1 KSchG). Das Arbeitsverhältnis unterliegt aufgrund Beschäftigungsdauer des Klägers und Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer den besonderen Schutzvorschriften des KSchG, §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt, denn sie ist nicht gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers im Gießereibetrieb der Beklagten entgegenstehen, bedingt.

1. Dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG liegen vor, wenn die Umsetzung einer unternehmerischen (Organisations-)Entscheidung auf der betrieblichen Ebene spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist zu einem voraussichtlich dauerhaften Wegfall des Bedarfs an einer Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers führt. Diese Prognose muss schon im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung objektiv berechtigt sein. Ein dringendes „betriebliches“ Erfordernis, das einer Weiterbeschäftigung entgegensteht, ist gegeben, wenn die Arbeitskraft des Arbeitnehmers im Betrieb nicht mehr gefordert ist. Der Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht gehalten, nicht mehr benötigte Arbeitsplätze und Arbeitskräfte weiterhin zu besetzen bzw. zu beschäftigen. Für eine beschlossene und tatsächlich durchgeführte unternehmerische Organisationsentscheidung spricht dabei die Vermutung, dass sie aus sachlichen Gründen getroffen wurde und nicht auf Rechtsmissbrauch beruht. Hängt der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs von einer solchen unternehmerisch-organisatorischen Maßnahme des Arbeitgebers ab, braucht diese bei Kündigungszugang noch nicht tatsächlich umgesetzt zu sein. Es genügt, dass sie sich konkret und greifbar abzeichnet. Dazu müssen – soweit die Kündigung ihren Grund in einer Änderung der betrieblichen Organisation hat – zumindest die Absicht und der Wille des Arbeitgebers, die fraglichen Maßnahmen vorzunehmen, schon vorhanden und abschließend gebildet worden sein. Da der Arbeitgeber gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Tatsachen zu beweisen hat, die die Kündigung bedingen, hat er die tatsächlichen Grundlagen für die Berechtigung der Prognose, bis spätestens zum Ablauf der Kündigungsfrist werde ein Beschäftigungsbedarf entfallen sein, von sich aus schlüssig vorzutragen (BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 512/13 – m. w. N.).

Läuft die unternehmerische Entscheidung auf den Abbau einer Hierarchieebene oder die Streichung eines einzelnen Arbeitsplatzes hinaus, verbunden mit einer Umverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer bisher zugewiesenen Aufgaben, muss der Arbeitgeber konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Der Arbeitgeber muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose im Einzelnen darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen, also im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit, erledigt werden können (BAG, Urt. v. 24.05.2012 – 2 AZR 124/11 – m. w. N.).

2. Die Beklagte hat dargetan, dass der Arbeitsplatz des Klägers ersatzlos entfallen soll, um (wieder) zu einem Gleichgewicht zwischen Vorarbeitern und Gießereimechanikern in der Handformerei und zu einer effektiveren Organisationstruktur zu gelangen. Eine „Personalverdichtung“ bei den Vorarbeitern sei unabdingbar. Ein gutes Verhältnis von Gießereimechanikern und Vorabeitern stelle sich nach ihrer Erfahrung ungefähr bei einem Verhältnis von 1:8 ein.

a) Welchen Schlüssel hinsichtlich des Verhältnisses von Arbeitern und Vorarbeitern die Beklagte für sinnvoll erachtet, unterliegt grundsätzlich ihrer unternehmerischen Entscheidungsfreiheit und ist von den Gerichten Arbeitssachen nicht auf die Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, auch wenn es durchaus fragwürdig erscheint, wenn Anfang des Jahres 2012 14 Gießereimechanikern und drei Vorabeiter beschäftigt waren, das Verhältnis also etwa bei 1 zu 4,7 lag und nunmehr ohne erkennbare erhebliche Änderungen in der Arbeitsorganisation ein Schlüssel von 1:8 auf der Grundlage von nicht präzisierten Erfahrungswerten ein gutes Verhältnis darstellen soll.

b) Die Beklagte hat jedenfalls nicht hinreichend dargelegt, welche konkreten organisatorischen Maßnahmen sie hinsichtlich der Leistungsverdichtung auf der Vorarbeiterebene zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung abschließend geplant hatte. Es bleibt offen, auf welcher tatsächlichen Grundlage sie eine nachvollziehbare Prognose eines vollständigen Entfalls der Beschäftigungsmöglichkeit des Klägers zum 31.08.2017 erstellt hat. Die Beklagte trägt nicht vor, dass und in welchem Umfang der Kläger zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht ausgelastet war. Sie legt auch nicht substantiiert dar, dass damit zu rechnen war, dass aufgrund eines konkret und nachvollziehbar prognostizierten künftigen Auftragsvolumens Anteile der Arbeitstätigkeit des Klägers entfallen. Sie beschränkt sich auf die Darlegung eines rückläufigen Auftragseingangs in der Vergangenheit. Ihr Vorbringen lässt ein konkretes, beabsichtigtes Konzept der Umorganisation vermissen. Es ist ihrem Vortrag auch nicht zu entnehmen, welche der „einfachen“ Arbeitstätigkeiten und welche der Vorarbeitertätigkeiten des Klägers in welcher Art und Weise und in welchem Umfang auf welche Arbeitnehmer umverteilt werden sollten, ohne dass dadurch überobligationsmäßige Leistungen des verbliebenen Personals zu erwarten waren. Eine schlüssige, hinreichend konkrete Prognose des vollständigen Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit des Klägers zum 31.08.2017 ausgehend von den Planungen zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung kann daher nicht festgestellt werden.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.

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