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Betriebsbedingte Kündigung – Weiterbeschäftigung

LAG Niedersachsen, Az.: 14 Sa 745/15, Urteil vom 10.02.2016

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hameln vom 09.07.2015 – 1 Ca 36/15 – teilweise abgeändert.

Die Klage wird hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsantrages abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu ¼ und die Beklagte zu ¾ zu tragen.

Die Revision wird nur im Hinblick auf den Weiterbeschäftigungsantrag zugelassen und im Übrigen nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 13.564,- Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer betriebsbedingten Kündigung sowie über Weiterbeschäftigung.

Der im Jahre 1969 geborene verheiratete Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.11.1999 beschäftigt und wurde bis zum Ausspruch der Kündigung im Bereich der Mechanik als CNC-Fräser ohne Programmierung zu einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt von zuletzt 3.391,- Euro bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden beschäftigt.

Am 17.12.2014 schlossen die Beklagte und der Betriebsrat einen Interessenausgleich und einen Sozialplan. In den Vorbemerkungen gehen die Betriebsparteien von einer aktuell schwierigen wirtschaftlichen Situation und rückläufigen Auftragslage mit deutlichen personellen Überkapazitäten sowohl im Produktionsbereich als auch in tangierenden Bereichen aus.

Mit Schreiben vom 14.01.2015 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung des Klägers an (Anlage 4 zum Schriftsatz der Beklagten vom 09.04.2015). Der Betriebsrat widersprach mit Schreiben vom 19.01.2015 (Anlage 5 aaO).

Mit Schreiben vom 21.01.2015, dem Kläger am Folgetag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.07.2015.

Mit seiner am 02.02.2015 bei Gericht eingegangenen Klage hat der Kläger zuletzt beantragt,

1. es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 21.01.2015 nicht beendet wird,

2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. wird die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als CNC-Fräser weiter zu beschäftigten.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet: Die Produktionszahlen des in A-Stadt hergestellten Straßenbaufertigers seien im Zeitraum von 2011 bis 2014 von 507 auf 389 Einheiten abgesunken. Für 2015 habe die Beklagte die Produktion von 288 Einheiten geplant. Auch die Lieferung von Einzelteilen nach China sei um 80% bzw. 59% zurückgegangen. Ferner seien im Jahre 2011 196 Straßenbauwalzen produziert worden, während für 2015 nur noch mit der Produktion von 154 Einheiten geplant werden könne. Die Gründe für diese Rückgänge sehe die Beklagte in einer allgemeinen weltweiten zurückhaltenden Investitionssituation. Daher sei ein Abbau von Personal im Bereich Stahlbau, Mechanik und Montage notwendig. Geplant sei im Bereich Stahlbau der Abbau um 14 auf 35 Mitarbeiter und in der Mechanik um 5 auf 25 Mitarbeiter. In der Fertigermontage sei der Personalbedarf von 77 Mitarbeitern im Zweischichtbetrieb auf 58 Mitarbeiter im Einschichtbetrieb zu reduzieren. Im Zusammenhang mit einem Maßnahmepaket von Arbeitszeiterhöhungen, von Stundenabbau, Arbeitszeitabsenkungen habe die Planung einen Personalüberhang von 30 Personen im Produktionsbereich ausgewiesen. Im Gesamtergebnis über das Kalenderjahr 2015 führe dies für den Bereich Stahlbau zu einer Mitarbeiterüberkapazität von 6,2 Mitarbeitern, für die mechanische Werkstatt von 4,3 Mitarbeitern, für den Bereich Bohlenmontage von 5,6 Mitarbeitern, für den Bereich Fertigermontage von 14,6 Mitarbeitern, für den Bereich Walzenmontage von 1,4 Mitarbeitern, für den Bereich Farbgebung von 2,0 Mitarbeitern und im Bereich des Lagers einen Mitarbeiterbedarf von 3,2 Mitarbeitern. Im Bereich der Mechanik/Gruppe CNC-Fräser ohne Programmierung ergebe sich ein Wegfall von 2 Arbeitsplätzen. Eine erforderliche Anpassung der Mitarbeiterzahl an die vorhandene Arbeitsmenge führe im Bereich Mechanik des Klägers insgesamt zum Abbau von drei Personen, namentlich einer Versetzung und zwei Kündigungen. Hiervon seien zwei Arbeitsplätze im Bereich CNC-Fräser ohne Programmierung betroffen.

Der Kläger hat die ausgesprochene Kündigung als rechtsunwirksam angesehen: Die Beklagte habe nicht angegeben, auf welcher Grundlage die dargelegte Planung basiere und wie sich die Planungen in der Vergangenheit im Verhältnis zur tatsächlichen Produktion darstellten, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Beklagte selbst vortrage, der Hauptauftragseingang werde traditionell zwischen Februar und April eines Kalenderjahres erzielt. Die Beklagte habe auch nicht nachvollziehbar dargestellt, ob überhaupt und ggf. in welchem Ausmaß sich der behauptete Umsatzrückgang auf die Arbeitsmenge bestimmter Arbeitnehmer, hier des Klägers, auswirke. Die zunächst angegebene Reduktion von 38 Mitarbeitern sei nicht in Einklang zu bringen mit einem später behaupteten Überhang von 30 Arbeitskräften, von denen 14 einvernehmlich abgebaut worden seien und nicht erkennbar sei, wie sich diese auf die verschiedenen Bereiche aufteilten. Der Vortrag hinsichtlich eines Mitarbeiterbedarfs von 20 Beschäftigten korrespondiere nicht mit dem Vortrag zuvor, wonach ein Abbau auf 25 Mitarbeiter im Bereich der Mechanik geplant sei. Entsprechendes gelte im Bereich der Fertigermontage und des Stahlbaus. Nicht nachvollziehbar und insoweit klärungsbedürftig sei auch, warum die Beklagte einen Personalüberhang im Produktionsbereich behaupte, gleichzeitig aber im Bereich der Farbgebung/Lackierung eine Anpassung nicht notwendig erscheine. Darüber hinaus habe die Beklagte die Sozialauswahl in einem deutlich zu engen Rahmen vorgenommen. Daraus folge, dass der Kläger mit allen als Schlosser beschäftigten Facharbeitern vergleichbar sei.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sachvortrags der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll vom 09.07.2015 verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben: Es sei nicht hinreichend schlüssig dargelegt, weshalb für die Beklagte gerade zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung eine besondere Dringlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG bestanden habe, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Insbesondere sei nicht nachvollziehbar, dass das Beschäftigungsbedürfnis für den Kläger gerade zum Zeitpunkt des Auslaufens seiner Kündigungsfrist endgültig nicht mehr gegeben sei. Die Grundlagen der von der Beklagten aufgestellten Prognose seien nicht hinreichend dargelegt, eine sichere Prognose bereits vor Beginn der Hauptbestellphase der Kunden sei nicht hinreichend plausibel. Darüber hinaus hätte die Beklagte ihre konkreten Prognosen für den Beschäftigungsbedarf der betroffenen Mitarbeiter zum Zeitpunkt des Ausspruchs ihrer Kündigung und zum Zeitpunkt des Auslaufens der individuellen Kündigungsfrist darstellen müssen. Sämtlichen Mitarbeiter, die von den Kündigungen betroffen gewesen seien, seien bis zum Auslaufen ihr Kündigungsfrist tatsächlich in Vollzeit weiterbeschäftigt worden. Die Beklagte hätte somit erklären müssen, weshalb eine derartige volle Weiterbeschäftigung zum Zeitpunkt des Auslaufens der Kündigungsfrist endgültig entfallen sein soll. Der Weiterbeschäftigungsanspruch folge aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Wegen der weiteren Begründung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihr erstinstanzliches Klagabweisungsbegehren weiter: Die Beklagte sei gezwungen gewesen in den Produktionsbereichen insgesamt 29 Arbeitsplätze abzubauen. Vor der Kündigung sei mit dem Betriebsrat sehr zeitaufwändig zu der Personalreduzierungsmaßnahme verhandelt worden. Bereits im Laufe des Herbstes 2014 habe die Beklagte Handlungsbedarf gesehen. Sie habe absehen können, dass sich die jährliche Konjunktur zwar auch in den kommenden Jahren fortsetzen werde, jedoch auf einem deutlich niedrigeren Niveau. Das Arbeitsgericht mache es sich deutlich zu einfach, wenn es sage, dass die Prognose zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers fehlgehe, wenn der Beendigungszeitpunkt in der konjunkturellen Hochphase liege. Wäre die Ansicht des Gerichts richtig, gäbe es aufgrund der konjunkturellen jährlichen Schwankungen bei der Beklagten wohl nie den rechtswirksamen passenden Zeitpunkt, um das Arbeitsverhältnis zu kündigen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Hameln vom 09.07.2015, Az. 1 Ca 36/15, aufzuheben und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 21.01.2015 beendet worden ist.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil: Die Auftrags- und Umsatzrückgänge seien nicht deutlich geworden. Es fehle an der Darlegung einer hinreichend gesicherten Tatsachengrundlage über die Prognose des Auftragsvolumens im Jahre 2015. Der Auftragseingang sei für die Beklagte im Januar eines jeden Kalenderjahres völlig ungewiss. Tatsächlich habe sich der Auftragseingang im ersten Halbjahr deutlich positiver entwickelt, als von der Beklagten vorgesehen. Die Kapazitätsberechnung der Beklagten entspreche nicht der Voraussetzung der „greifbaren Formen“ im der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Auch die von der Beklagten vorgenommene soziale Auswahl begegne erheblichen Bedenken.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Sachvortrags der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nur zum Teil begründet.

1. Soweit es die Kündigung betrifft, ist die Berufung unbegründet, weil das Arbeitsgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt ist.

a) Die Kündigung ist nicht aus dringenden betrieblichen Gründen im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt.

Eine Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, wenn der Bedarf für eine Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers im Betrieb voraussichtlich dauerhaft entfallen ist. Auf der Grundlage der betrieblichen Dispositionen des Arbeitgebers müssen im Tätigkeitsbereich des Gekündigten mehr Arbeitnehmer beschäftigt sein, als zur Erledigung der anfallenden Arbeiten benötigt werden. Dieser Überhang muss auf Dauer zu erwarten sein. Regelmäßig entsteht ein Überhang an Arbeitskräften nicht allein und unmittelbar durch bestimmte wirtschaftliche Entwicklungen (Produktions- oder Umsatzrückgang etc.), sondern aufgrund einer – oftmals durch diese Entwicklungen veranlassten – Organisationsentscheidung des Arbeitgebers (unternehmerische Entscheidung). Betriebliche Erfordernisse, die eine Kündigung bedingen, können sich aus außerbetrieblichen Umständen ergeben. Passt der Arbeitgeber im Fall eines Auftragsverlustes oder eines reduzierten Auftragsbestands die Anzahl der benötigten Arbeitnehmer unmittelbar an die verbliebene Arbeitsmenge an, kann sich daraus ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung ergeben, wenn der Arbeitsanfall – dauerhaft – so zurückgegangen ist, dass zukünftig für einen oder mehrere Arbeitnehmer kein Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung mehr besteht. Behauptet der Arbeitgeber, das Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung sei wegen eines solchen Auftragsrückgangs entfallen, kann das Gericht in vollem Umfang nachprüfen, ob die außerbetrieblichen Umstände für die Kündigung zum Zeitpunkt der Kündigung tatsächlich vorlagen und zu einem dauerhaften Rückgang des Beschäftigungsvolumens führen. Dabei reicht ein bloßer Hinweis auf auslaufende Aufträge und das Fehlen von Anschlussaufträgen regelmäßig nicht aus, um einen dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zu begründen. Der Arbeitgeber muss vielmehr anhand seiner Auftrags- und Personalplanung im Einzelnen darstellen, warum nicht nur eine – kurzfristige – Auftragsschwankung vorliegt, sondern ein dauerhafter Auftragsrückgang zu erwarten ist. Wird die Kündigung auf eine zu erwartende künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, braucht diese bei Kündigungsausspruch noch nicht tatsächlich eingetreten zu sein. Es genügt, dass sie sich konkret und greifbar abzeichnet. Das ist der Fall, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die auf Tatsachen gestützte, vernünftige betriebswirtschaftliche Prognose gerechtfertigt ist, mit Ablauf der Kündigungsfrist werde mit einiger Sicherheit ein die Entlassung erforderlich machender betrieblicher Grund vorliegen. Dabei muss eine der entsprechenden Prognose zugrunde liegende eigene unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers aber bereits im Kündigungszeitpunkt endgültig getroffen worden sein. Andernfalls kann eine zum Wegfall des Arbeitsplatzes führende Entscheidung nicht sicher prognostiziert werden. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen näher darzulegen, aus denen sich ergeben soll, dass zukünftig auf Dauer mit einem reduzierten Arbeitsvolumen und Beschäftigungsbedarf zu rechnen ist. Das Vorliegen von möglicherweise nur kurzfristigen Produktions- oder Auftragsschwankungen muss ausgeschlossen sein. Dem muss der Inhalt und die Substanz des Sachvortrags Rechnung tragen. Der Arbeitgeber hat den dauerhaften Rückgang des Arbeitsvolumens nachvollziehbar darzustellen, indem er die einschlägigen Daten aus repräsentativen Referenzperioden miteinander vergleicht (zu allem Vorstehenden BAG 23.02.2012 – 2 AZR 482/11 – Rz. 15 ff.).

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung ist dem Sachvortrag der Beklagten nicht ausreichend zu entnehmen, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein dauerhafter Rückgang des Arbeitsvolumens vorliegt, der die auf Tatsachen gestützte vernünftige betriebswirtschaftliche Prognose rechtfertigt, mit Ablauf der Kündigungsfrist des Klägers werde mit einigen Sicherheit ein die Entlassung erforderlich machender betrieblicher Grund vorliegen. Die Beklagte hat ihre das Ergebnis der Vorjahre deutlich unterschreitende Prognose nicht näher erläutert, worauf das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen hat. Es werden Zahlen genannt, ohne diese jedoch durch ausreichenden Tatsachenvortrag plausibel zu machen. Insbesondere leuchtet auch dem erkennenden Gericht nicht ein, warum die Prognose gerade kurz vor Beginn der Auftragsphase gestellt werden konnte. Derartiges lässt sich nicht allein den dargestellten Bemühungen der Beklagten entnehmen, seit Herbst des vergangenen Jahres über eine Personalreduzierung mit dem Betriebsrat zu verhandeln. Denn die Beklagte legt ihrer Prognose nicht allein das Zahlenwerk aus der Vergangenheit zugrunde, sondern es wird ein weiterer sehr deutlicher Rückgang angenommen, ohne jedoch ausreichend darzulegen, warum dies der Fall ist und warum dies für die Zeit nach Auslaufen der Kündigungsfrist dauerhaft zu erwarten war.

Davon unabhängig hat der Kläger erstinstanzlich sehr nachvollziehbar auf die verwirrende Darstellung unterschiedlicher Zahlen an benötigten Arbeitnehmern hingewiesen, ohne dass die Beklagte dem ausreichend entgegengetreten wäre. Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum sich der Auftragsrückgang in dem sehr vielschichtigen Betrieb der Beklagten und auch angesichts der Vielzahl der nicht näher bestimmten freiwillig ausgeschiedenen Arbeitnehmer zwingend auf die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit gerade des Klägers als CNC-Drehers ohne Programmierung auswirkt, warum also mit dem behaupteten Rückgang von Aufträgen proportional ein Rückgang des Bedürfnisses der Fachtätigkeit gerade des Klägers verbunden ist.

b) Davon unabhängig ist die Kündigung auch gemäß § 1 Abs. 3 KSchG sozial ungerechtfertigt. Der Kläger hat auf seine Versetzungsklausel im Arbeitsvertrag und seine Ausbildung hingewiesen und eine Vielzahl von Kollegen genannt, deren Tätigkeit er gleichfalls ausführen könnte. Vergleichbar sind sämtliche Arbeitnehmer, deren Aufgaben der Arbeitgeber dem Gekündigten kraft seines Direktionsrechts übertragen könnte (BAG 24.09.2015 – 2 AZR 680/14 – Rz. 37). Die Arbeitsplätze müssen nicht identisch sein, es genügt, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner Tätigkeit und Ausbildung eine andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit ausüben kann. Hierauf ist die Beklagte nicht näher eingegangen, sondern hat pauschal eine dreimonatige Einarbeitungszeit behauptet, ohne dies jedoch bezogen auf die Vielzahl der benannten Kollegen auch nur ansatzweise zu erläutern.

2. Der Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers ist hingegen unbegründet.

a) Ein solcher Anspruch folgt nicht aus § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG. Zwar hat der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung widersprochen, ohne jedoch ausreichende Widerspruchsgründe im Sinne des § 102 Abs. 3 BetrVG anzugeben. Soweit der Betriebsrat sich auf § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG bezieht, hat er keine Arbeitnehmer konkret benannt oder anhand abstrakter Merkmale bestimmbar gemacht (vgl. BAG 09.07.2003 – 5 AZR 305/02 -), sondern allgemein auf mehr Arbeitsplätze in der Abteilung und auf andere Arbeitsplätze in der mechanischen Werkstatt nach Schulungen und Einarbeitung verwiesen. Dies genügt nicht. Soweit der Betriebsrat sich auf § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG bezieht, ist auch hier nicht erkennbar, woraus sich ergeben soll, dass die Weiterbeschäftigung des Klägers nach welchen zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen auf welchen Arbeitsplatz möglich sein sollte.

b) Eine unabhängig von den Vorgaben des § 102 Abs. 5 BetrVG bestehende Pflicht der Beklagten, den Kläger vorläufig bis zum Ablauf des rechtskräftigen Abschlusses des Verfahrens weiter zu beschäftigen, besteht nicht. Eine Rechtsgrundlage für einen allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch außerhalb der gesetzlichen Regelung der §§ 102 Abs. 5 BetrVG, 79 Abs. 2 BPersVG ist nicht ersichtlich

Soweit der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem Beschluss vom 27.02.1985 (- GS 1/84 -) einen allgemeinen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Weiterbeschäftigung für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses anerkennt, überschreitet dies die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung und verstößt damit gegen Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. LAG Niedersachsen 07.02.1986, DB 1986, 1126; LAG Köln 26.09.1986, NZA 1987, 158; LAG Sachsen-Anhalt, 16.03.1993 – 2 Sa 173/92 -; ablehnend auch Gamillscheg, Anmerkung zu EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 9).

Zwar ist auch im Rahmen des insbesondere in Art. 20 Abs. 3 GG enthaltenen Grundsatzes der Gewaltenteilung die richterliche Rechtsfortbildung anerkannt (vgl. BVerfG 14.02.1973 – 1 BvR 112/65 – „Soraya“, BVerfGE 34, 269, 287 = AP 21 zu Art. 2 GG; vgl. auch §§ 45 IV ArbGG, 132 IV GVG). Für einen allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch fehlt es aber bereits an der ersten Voraussetzung einer richterlichen Rechtsfortbildung, der planwidrigen Regelungslücke. Der unverzichtbare Grundsatz der Gesetzesbindung der Rechtsprechung setzt der richterlichen Rechtsfortbildung dort eine Grenze, wo der Gesetzgeber absichtlich keine Regelung treffen wollte. Eine derartige Absicht ergibt sich bereits aus der gesetzlichen Regelung in §§ 102 Abs. 5 BetrVG, 79 Abs. 2 BPersVG. Aus dieser speziellen Regelung drängt sich der Umkehrschluss auf, dass beim Fehlen eines Widerspruchs der betrieblichen Interessenvertretung gerade kein allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch gegeben sein soll. Gewährte man daneben im Wege der Rechtsfortbildung einen allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch, der nicht an die Voraussetzungen dieser Vorschriften gebunden ist, so bliebe das Verhältnis beider Ansprüche zueinander völlig unklar. § 102 Abs. 3, 5 BetrVG würde zu „Schall und Rauch, zu einer exotischen Randerscheinung“ (Gamillscheg aaO). Die politische Grundentscheidung des Gesetzgebers, dem Betriebsrat bzw. Personalrat bei der Sicherung des Arbeitsplatzes eine Schlüsselstellung einzuräumen, würde damit in unzulässiger Weise ausgehebelt werden (vgl. LAG Sachsen-Anhalt, aaO).

Dieser entgegenstehende Wille des Gesetzgebers zeigt sich insbesondere auch an der Ablehnung eines Entschließungsantrags der Länder Hamburg und Hessen hinsichtlich der Ausdehnung des Weiterbeschäftigungsanspruchs durch die Mehrheit des Bundesrates in dessen Sitzung vom 10.10.1983. Ist aber ein Gesetzesvorhaben gescheitert, so verbietet es die verfassungsmäßig vorgegebene Arbeitsteilung zwischen Legislative und Judikative, dem Inhalt des gescheiterten Gesetzgebungsvorhabens kurze Zeit nachher durch richterliche Rechtsfortbildung Geltung zu verschaffen (vgl. Bengelsdorf, DB 1986, 168, 173; LAG Köln, aaO, 160 m.w.N.). Das Bundesarbeitsgericht hat demnach mit der Schöpfung eines allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs einen eigenen rechtspolitischen Willen zur Geltung gebracht und nicht lediglich Grundgedanken der von der Verfassung geprägten Rechtsordnung mit systemimmanenten Mitteln weiterentwickelt (vgl. LAG Köln aaO, 159 unter Verweis auf BVerfG. aaO, 292).

Auch die weitere Voraussetzung richterlicher Rechtsfortbildung – ein unabweisbares Regelungsbedürfnis – ist nicht gegeben. Der Gesetzgeber hat mit der Beschleunigungsnovelle des Arbeitsgerichtsgesetzes von 1979 eine spürbare Straffung und Verkürzung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens erreicht, so dass das Ziel, den Bestandsschutz des Arbeitnehmers nicht durch überlange Verfahrensdauer zur Makulatur werden zu lassen, näher gerückt ist. Viel entscheidender ist aber, dass § 940 ZPO einen Weg eröffnet hat, durch den Erlass einer Regelungsverfügung den legitimen Beschäftigungsinteressen des Arbeitnehmers auf Grund einer Abwägung der beiderseitigen Interessen Rechnung zu tragen (vgl. LAG Niedersachsen aaO, 1129 m. w. N.).

Der Auffassung des Großen Senats des BAG steht aber auch entgegen, dass eine allgemeine Rechtsüberzeugung, ein das Ergebnis tragender Grundkonsens (BVerfG aaO, S. 290) angesichts der rechtswissenschaftlichen Diskussion über dieses Thema nicht besteht und damit die dritte Voraussetzung zulässiger Rechtsfortbildung fehlt (vgl. LAG Niedersachsen aaO, 1130).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97, 92 ZPO und folgt dem Maß des wechselseitigen Obsiegens der Parteien. Die Revision war wegen der Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur für den Streitgegenstand des allgemeinen Weiterbeschäftigungsantrages zuzulassen und im Übrigen nicht zuzulassen, weil insoweit keine Zulassungsgründe ersichtlich sind.

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