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Betriebsbedingte Kündigung – Wirksamkeit bei Weiterbeschäftigungsmöglichkeit

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 5 Sa 232/20 – Urteil vom 19.05.2021

I. Auf die Berufung des Klägers wird unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 21.01.2021, Az. 5 Sa 232/20, das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 18.06.2020, Az. 7 Ca 83/19, abgeändert und

1. festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 31.01.2019 aufgelöst worden ist,

2. die Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Center Manager Airfield

Operations Services weiterzubeschäftigen,

3. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger

a) € 4.023,35 brutto abzüglich Arbeitslosengeldes iHv. € 1.654,20 netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.10.2019,

b) € 4.023,35 brutto abzüglich Arbeitslosengeldes iHv. € 1.654,20 netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.11.2019,

c) € 4.023,35 brutto abzüglich Arbeitslosengeldes iHv. € 1.654,20 netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.12.2019,

d) € 4.023,35 brutto abzüglich Arbeitslosengeldes iHv. € 1.654,20 netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.01.2020,

e) € 4.023,35 brutto abzüglich Arbeitslosengeldes iHv. € 1.654,20 netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.02.2020,

f) € 4.023,35 brutto abzüglich Arbeitslosengeldes iHv. € 1.654,20 netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.03.2020,

g) € 4.023,35 brutto abzüglich Arbeitslosengeldes iHv. € 1.654,20 netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.04.2020,

h) € 4.023,35 brutto abzüglich Arbeitslosengeldes iHv. € 1.654,20 netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.05.2020 zu zahlen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wesentlichen über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung, Weiterbeschäftigungs- oder Wiedereinstellungsansprüche sowie über Annahmeverzugsvergütung.

Der 1960 geborene, verheiratete Kläger ist seit dem 01.11.1993 bei der Beklagten, der Betreibergesellschaft des Flughafens, beschäftigt. Er hat die Meisterprüfung abgelegt und wurde als Kraftfahrzeugmechaniker-Meister eingestellt; seit November 2009 wurde er als Betriebsleiter der Kfz-Vorfeldwerkstatt zu einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt € 4.023,35 beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt 297 Arbeitnehmer; es besteht ein Betriebsrat.

Im ursprünglichen Arbeitsvertrag mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten waren die Bestimmungen des Manteltarifvertrags für Arbeiter der Länder (MTL II) vereinbart, im letzten schriftlichen Arbeitsvertrag vom 27.06.2002 wurden die Bestimmungen des Manteltarifvertrags der Flughafen GmbH (MTV) und der diesen ergänzenden Tarifverträge, insb. des Entgeltrahmentarifvertrags (Entgelt-RTV) vereinbart. Der Kläger erhielt eine Vergütung nach Vergütungsgruppe (VG) 10 Entgelt-RTV.

Nach Anhörung des Betriebsrats mit Schreiben vom 23.01.2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger am 31.01.2019 aus betriebsbedingten Gründen ordentlich zum 31.08.2019. Die Kündigung begründet sie im Wesentlichen damit, dass sich ihre Geschäftsleitung entschlossen habe, die Organisationsstruktur zu ändern und die zwei Betriebsabteilungen (Center) „Vorfeldwerkstatt“ und „Betriebsdienste“ zum umfassenden Center „Airfield Operations Services“ zusammenzufassen, das von dem Arbeitnehmer M. ab 01.04.2019 geleitet werden solle. Dadurch entfalle die Hierarchieebene „Betriebsleiter der Kfz-Vorfeldwerkstatt“ und damit der Beschäftigungsbedarf für den Kläger vollständig. Der Kläger sei mit dem Arbeitnehmer M. (geb. 1988, Tischler mit Gesellenbrief, eingestellt am 17.05.2011 als Flugzeugabfertiger, eingruppiert in VG 7 Entgelt-RTV, seit 01.09.2013 beschäftigt als Enteisungskoordinator) nicht vergleichbar. M. habe sich bei Ausspruch der Kündigung bereits auf einer höheren Hierarchieebene befunden, weil er das neue Center „Airfield Operations Services“ bereits seit 01.12.2018 kommissarisch geleitet habe. Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 07.02.2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage, die er mehrfach erweiterte.

Am 17.04.2019 beantragte die Beklagte auf einem Formblatt die Zustimmung des Betriebsrats zur Ernennung des Arbeitnehmers M. zum „Center Manager Airfield Operations Services“. Mit Schreiben vom 09.05.2019 teilte sie dem Arbeitnehmer M. mit, sie stufe ihn rückwirkend ab 01.04.2019 in VG 8 Entgelt-RTV ein, ferner gewähre sie ihm eine Zulage in Höhe der halben Differenz zwischen VG 8 und VG 9 Entgelt-RTV. Ab 01.10.2019 zahlt sie M. eine Vergütung nach VG 9 Entgelt-RTV.

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 31.01.2019 nicht beendet wird,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungsgründe endet, sondern zu unveränderten Arbeitsbedingungen über den 31.08.2019 hinaus fortbesteht,

3. die Beklagte zu verurteilen, ihn über den 31.08.2019 hinaus als Betriebsleiter Kfz-Vorfeldwerkstatt tatsächlich weiterzubeschäftigen,

4. die Beklagte zu verurteilen, ihm ein Zwischenzeugnis zu erteilen, welches sich auch auf Leistung und Führung im Arbeitsverhältnis erstreckt,

5. hilfsweise zu 4: die Beklagte zu verurteilen, ihm ein qualifiziertes Arbeitszeugnis zu erteilen, welches sich auch auf Leistung und Führung im Arbeitsverhältnis erstreckt,

6. die Beklagte zu verurteilen, an ihn Bruttolohn iHv. € 36.210,15 nebst 5 Prozentzinsen über dem Basiszinssatz aus € 4.023,35 seit dem 03.10.2019, € 4.023,35 seit dem 03.11.2019, € 4.023,35 seit dem 03.12.2019, € 4.023,35 seit dem 03.01.2020, € 4.023,35 seit dem 03.02.2020, € 4.023,35 seit dem 03.03.2020, € 4.023,35 seit dem 03.04.2020 sowie € 4.023,35 seit dem 03.05.2020 abzüglich geleisteter Zahlungen der Bundesagentur für Arbeit iHv. € 14.887,80 netto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 18.06.2020 Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage – bis auf den Zeugnisanspruch – abgewiesen und zur Begründung zusammengefasst ausgeführt, die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 31.01. zum 31.08.2019 sei durch dringende betriebliche Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Durch die Zusammenlegung der Center „Vorfeldwerkstatt“ und „Betriebsdienste“ zum neuen Center „Airfield Operations Services“ sei die Stelle des Klägers weggefallen. Die strukturändernde Entscheidung der Beklagten vom 15.01.2019 sei weder sachlich ungerechtfertigt noch willkürlich. Die Kündigung scheitere nicht an einer unzureichenden Sozialauswahl, § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG. Der Arbeitnehmer M. sei bei Ausspruch der Kündigung vom 31.01.2019 schon als Leiter des neuen Centers eingesetzt worden, also auf einer höheren Ebene der Betriebshierarchie. Selbst wenn diese „Beförderung“ bis zur endgültigen Zustimmung des Betriebsrats nur vorläufig gewesen sein sollte, führe dies zu keinem anderen Ergebnis. Bei Ausspruch der Kündigung habe keine Möglichkeit bestanden, den Kläger auf einem freien Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen. Dem Kläger stehe auch kein Wiedereinstellungsanspruch zu. Die im April 2019 intern ausgeschriebene Stelle für einen „Center Manager Airfield Operations Services“ könne der Kläger schon deshalb nicht beanspruchen, weil es sich um eine „Beförderungsstelle“ handele, die nunmehr dauerhaft vom Arbeitnehmer M. besetzt sei. Die im April 2019 ausgeschriebene Stelle für einen „Trainer und Senior Coordinator De-Icing“ (die ehemalige Stelle des Arbeitnehmers M.), könne der Kläger mangels Erfahrung im Bereich der Flugzeugenteisung nicht ausfüllen. Selbst wenn man die von der Beklagten geforderte fünfjährige Erfahrung für überzogen erachte, sei jedenfalls eine gewisse Erfahrung von wenigstens einem Jahr erforderlich, über die der Kläger nicht verfüge. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 18.06.2020 Bezug genommen.

Gegen das am 20.07.2020 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 19.08.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 07.09.2021 eingegangenen Schriftsatz begründet. Weil die Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Berufungsverhandlung am 21.01.2021 nicht erschienen ist, hat die Berufungskammer am 21.01.2021 ein Versäumnisurteil erlassen, gegen das der Kläger am 22.01.2021 Einspruch eingelegt hat.

Der Kläger trägt – zusammengefasst – vor, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Der Beschäftigungsbedarf sei nicht weggefallen. Die Beklagte hätte ihm die Stelle als „Center Manager Airfield Operations Services“ übertragen müssen. Diese Stelle sei nicht auf einer höheren Hierarchieebene angesiedelt, was schon die Eingruppierung des Arbeitnehmers M. in VG 8 Entgelt-RTV ab 01.04.2019 belege. Er habe einen Meisterbrief im Kraftfahrzeughandwerk, während der Arbeitnehmer M. einen Gesellenbrief als Tischler habe. Als Meister mit Führungserfahrung hätte die Beklagte ihn als Leiter des neu gegründeten Centers weiterbeschäftigten müssen. Er könne Personal führen, einteilen und organisieren. Er verfüge auch über die erforderlichen Englischkenntnisse Für eine Qualifikation nach „Level L 40“ sei keine fünfjährige einschlägige Erfahrung in der Flugzeugenteisung erforderlich. Diese Qualifikation hätte er innerhalb der Kündigungsfrist problemlos erwerben können. Der gesamte Umstrukturierungsprozess bestehe allein darin, ihm – mit dem zuvor über Altersteilzeit verhandelt worden sei – zu kündigen.

Nachdem die Parteien die Zeugnisanträge des Klägers übereinstimmend für erledigt erklärt haben, beantragt der Kläger zweitinstanzlich zuletzt,

1. das Versäumnisurteil vom 21.01.2021, Az. 5 Sa 232/20, aufzuheben und gemäß den gestellten Klageanträgen in der erster Instanz zu entscheiden,

2. die Beklagte zu verurteilen, ihn ab 01.09.2019 zu ansonsten unveränderten Arbeitsbedingungen als Leiter des Centers Betriebsdienste bzw. „Airfield Operational Services“ wieder einzustellen,

3. hilfsweise: die Beklagte zu verurteilen, ihn ab dem 01.09.2019 als „Trainer und Senior Coordinator De-Icing“ wieder einzustellen,

4. hilfsweise: die Beklagte zu verurteilen, ihn ab dem 01.09.2019 zu ansonsten unveränderten Arbeitsbedingungen als Leiter des Centers Betriebsdienste bzw. „Airfield Operations Services“ tatsächlich zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

1. das Versäumnisurteil der Berufungskammer vom 21.02.2021 aufrechtzuerhalten,

2. die zweitinstanzlich erweiterte Klage abzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und führt aus, die Umsetzung ihrer unternehmerischen Entscheidung habe zum Wegfall des Arbeitsplatzes des Klägers geführt. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Beförderungsstelle (Centerleitung). Darüber hinaus fehle ihm die Qualifikation „Trainer L 40“. Den als Flugzeugabfertiger eingestellten Arbeitnehmer M. habe sie mit Wirkung ab 01.09.2013 als „Enteisungskoordinator“ beschäftigt. M. verfüge über die im Enteisungsbereich zwingend erforderlichen Qualifikationen, ua. über sehr gute Englischkenntnisse. M. sei im Besitz der Qualifikation „Trainer L 40“, die ihn berechtige und befähige, De-Icing-Operator und De-Icing-Supervisor zu schulen und zu trainieren. M. habe folgende Zertifikate erworben: DL-10 (De-Icing/Anti-Icing Operator), DL-30 (De-Icing/Anti-Icing Check Staff), DL-40 (De-Icing/Anti-Icing Instructor), DL-50 (De-Icing/Anti-Icing Coordinator), DL-60 (De-Icing/Anti-Icing Fluid Quality Inspector) sowie „Trainer L 40“. Der Kläger habe keine Flugzeugenteisungen durchgeführt und in diesem Bereich keine Qualifikationen erworben oder Prüfungen abgelegt. Voraussetzung für die Ausbildung zum „Trainer L 40“ sei eine fünfjährige einschlägige Berufserfahrung im Enteisungsbereich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen. Außerdem wird Bezug genommen auf den Inhalt der zur Information des Gerichts beigezogenen Akte 8 SaGa 2/19. In dem einstweiligen verfügungsverfahren wehrte sich der Kläger gegen seine Freistellung ab 01.02.2019 bis zum Ablauf der Kündigungsfrist.

Entscheidungsgründe

I.

Durch den zulässigen Einspruch des Klägers gegen das Versäumnisurteil der Kammer vom 21.01.2021 wurde der Prozess gem. § 342 ZPO in die Lage zurückversetzt, in der er sich vor Eintritt der Versäumnis befand. Der Einspruch ist gemäß §§ 64 Abs. 7, 59 ArbGG statthaft, sowie form- und fristgerecht eingelegt worden.

II.

Das Versäumnisurteil vom 21.01.2021 ist aufzuheben (§ 343 Satz 2 ZPO). Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Der Kündigungsschutzklage gegen die betriebsbedingte Kündigung der Beklagten vom 31.01. zum 31.08.2019 ist unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils stattgegeben. Aufgrund des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag ist die Beklagte verpflichtet, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens tatsächlich als „Center Manager Airfield Operations Services“ weiterzubeschäftigen. Ferner schuldet sie dem Kläger Vergütung aus Annahmeverzug für die hier geltend gemachten acht Monate von September 2019 bis April 2020 abzüglich bezogenen Arbeitslosengeldes. Die für den Fall des Unterliegens mit dem Kündigungsschutzantrag gestellten Hilfsanträge auf Wiedereinstellung fallen nicht zur Entscheidung an.

1. Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 31.01.2019 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht zum 31.08.2019 aufgelöst. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 KSchG. Es liegen keine dringenden betrieblichen Erfordernisse vor, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstehen.

a) Dringende betriebliche Erfordernisse, die iSv. § 1 Abs. 2 KSchG geeignet sind, eine Kündigung zu bedingen, liegen vor, wenn die Umsetzung einer unternehmerischen (Organisations-)Entscheidung spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist zu einem voraussichtlich dauerhaften Wegfall des Bedarfs an einer Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers führt. Die unternehmerischen Entscheidungen des Arbeitgebers sind von den Gerichten nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sind. Ohne Einschränkung nachzuprüfen ist hingegen, ob die fragliche Entscheidung tatsächlich umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer wirklich entfallen ist (vgl. etwa BAG 22.10.2015 – 2 AZR 650/14 – Rn. 32, 33 mwN).

Eine Kündigung, die – wie hier – aufgrund einer zum Wegfall des bisherigen Arbeitsplatzes führenden organisatorischen Maßnahme ausgesprochen worden ist, ist nur dann durch „dringende“ betriebliches Erfordernis iSd. § 1 Abs. 2 KSchG “bedingt”, wenn der Arbeitgeber keine Möglichkeit hat, den Arbeitnehmer anderweitig zu beschäftigen. Die Merkmale der „Dringlichkeit“ und des „Bedingtseins“ der Kündigung sind Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Er gebietet dem Arbeitgeber, vor einer Beendigungskündigung dem Arbeitnehmer von sich aus eine mögliche anderweitige Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz, ggf. zu geänderten (gleichwertigen oder schlechteren) Bedingungen, anzubieten. Entsprechendes gilt, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist. Diese in § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b, Satz 3 KSchG konkretisierte Kündigungsschranke gilt unabhängig davon, ob in dem Betrieb ein Betriebsrat besteht und dieser der Kündigung widersprochen hat (vgl. BAG 26.03.2015 – 2 AZR 417/14 – Rn. 26 mwN).

Als „frei” sind grundsätzlich nur solche Arbeitsplätze anzusehen, die im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung unbesetzt sind. Ist im Zeitpunkt des Kündigungszugangs eine Beschäftigungsmöglichkeit nicht mehr vorhanden, wurde also ein freier Arbeitsplatz vor dem Zugang der Kündigung besetzt, so ist es dem Arbeitgeber gleichwohl nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB verwehrt, sich auf den Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten im Kündigungszeitpunkt zu berufen, wenn dieser Wegfall treuwidrig herbeigeführt wurde. Der Arbeitgeber hat es nicht in der Hand den Kündigungsschutz dadurch leerlaufen zu lassen, dass er zunächst einen freien Arbeitsplatz besetzt und erst später eine Beendigungskündigung wegen einer fehlenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ausspricht (st. Rspr., vgl. BAG 26.03.2015 – 2 AZR 417/14 – Rn. 27 mwN; 05.06.2008 – 2 AZR 107/07- Rn. 16).

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die unternehmerische Entscheidung der Beklagten, die Organisationsstruktur zu ändern und die zwei Betriebsabteilungen (Center) „Vorfeldwerkstatt“ und „Betriebsdienste“ (insb. Flugzeug- und Flächenenteisung sowie Sommer- und Winterdienst) zum umfassenden Center „Airfield Operations Services“ zusammenzufassen, nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen. Die Entscheidung ist auch nicht unsinnig oder willkürlich. Es entspricht der grundsätzlichen unternehmerischen Entscheidungsfreiheit, den Betrieb so zu organisieren, wie es der Unternehmer für sinnvoll erachtet.

Die Beklagte hätte aber dem Kläger eine Beschäftigung als Leiter (Center Manager) des neu zugeschnittenen Centers „Airfield Operations Services“ anbieten müssen. Dieser Arbeitsplatz war zwar im maßgeblichen Zeitpunkt der Kündigungserklärung am 31.01.2019 mit dem Arbeitnehmer M. besetzt. Die Beklagte muss sich jedoch die seit dem 01.12.2018 lediglich „kommissarisch“ besetzte Stelle als im Zeitpunkt der Kündigung “frei” entgegenhalten lassen. Die Stelle wurde dem Arbeitnehmer M. erst mit Wirkung ab 01.04.2019 endgültig übertragen.

Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts handelt es sich bei der Stelle als „Center Manager Airfield Operations Services“ um keine sog. Beförderungsstelle. Die Tätigkeit hat nach den tarifvertraglichen Eingruppierungsregelungen, die im Betrieb angewendet werden, keine höhere Wertigkeit. Im Betrieb der Beklagten gelten Haustarifverträge. Nach dem Entgelt-RTV wurde der Kläger, der die Meisterprüfung im Kraftfahrzeughandwerk abgelegt hat, als Leiter der Kfz-Vorfeldwerkstatt nach VG 10 Entgelt-RTV vergütet, während die Beklagte den Arbeitnehmer M. als Leiter des neu zugeschnittenen Centers „Airfield Operations Services“ ab 01.04.2019 zunächst in VG 8 Entgelt-RTV (plus Zulage in Höhe der halben Differenz zwischen VG 8 und VG 9) und ab 01.10.2019 in VG 9 Entgelt-RTV höhergruppierte.

Nach § 2.3 Entgelt-RTV ist für die Eingruppierung die tatsächlich regelmäßig ausgeübte Tätigkeit des Beschäftigten mit den Anforderungen der Tätigkeitsmerkmale nach dem Vergütungsgruppenkatalog maßgeblich. Dieser Vergütungsgruppenkatalog (mit Richtbeispielen) ist auf die Tätigkeiten im Flughafenbetrieb der Beklagten passgenau zugeschnitten. In VG 8 Entgelt-RTV sind als Richtbeispiele genannt: „Meister, Techniker, OPS Agenten der VG 7 mit Lizenz flight dispatcher, Werkstattleiter, Leiter Sommer-/Winterdienst, hauptamtlicher stellv. Leiter Feuerwehr“. In VG 9 Entgelt-RTV ist als Richtbeispiel ua. aufgeführt: „Betriebsleiter Vorfeld/ Abfertigung“. Selbst wenn man mit der Beklagten annehmen wollte, der Kläger sei in VG 10 Entgelt-RTV fehlerhaft zu hoch eingruppiert, ist nicht ansatzweise ersichtlich, weshalb es sich bei der neu geschaffenen Stelle, die von der Beklagten bei der Besetzung mit dem Arbeitnehmer M. nach VG 8 Entgelt-RTV bewertet wurde, um eine höherwertige Stelle handeln soll. Im Gegensatz zum Arbeitnehmer M. verfügt der Kläger über einen Meisterbrief, so dass er das erste Richtbeispiel der VG 8 Entgelt-RTV „Meister“ voll erfüllt.

c) Angesichts der Qualifikation und bisherigen Tätigkeit des Klägers, der seit 2009 als Leiter der „Kfz-Vorfeldwerkstatt“ eine Führungsaufgabe verrichtet, vermag die Kammer nicht zu erkennen, inwiefern er nicht in der Lage sein sollte, die Stelle als „Center Manager Airfield Operations Services“ auszufüllen. Darauf, ob er die Anforderungen für die Stelle „Trainer und Senior Coordinator De-Icing“ erfüllt, die von der Beklagten im April 2019 ausgeschrieben worden ist, kommt es nicht an. Diese Stelle war mit dem Arbeitnehmer M. besetzt, der die Qualifikationsanforderungen erfüllt. Die Stelle wäre nicht frei geworden, wenn die Beklagte dem Kläger die neu geschaffene Stelle als „Center Manager Airfield Operations Services“ übertragen hätte, wozu sie verpflichtet war.

2. Da das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die streitgegenständliche Kündigung vom 31.01. zum 31.08.2019 beendet worden ist, ist die Beklagte nach den vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Grundsätzen (BAG 27.02.1985 – GS 1/84) verpflichtet, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits zu den Bedingungen des letzten Arbeitsvertrags vom 27.06.2002 weiterzubeschäftigen. Besondere Umstände, die trotz des Obsiegens des Klägers mit dem Kündigungsschutzantrag ein überwiegendes Interesse an dessen Nichtbeschäftigung begründen könnten, liegen nicht vor.

Die Beschäftigung des Klägers ist nicht dadurch objektiv unmöglich geworden, dass die Beklagte die zwei Betriebsabteilungen (Center) „Vorfeldwerkstatt“ und „Betriebsdienste“ zum umfassenden Center „Airfield Operations Services“ zusammengefasst hat. Die Beklagte ist während des Laufs des Kündigungsschutzprozesses verpflichtet, den Kläger als „Center Manager Airfield Operations Services“ zu beschäftigen. Diese Tätigkeit kann sie ihm nach der Umstrukturierung als anderweitige vertragsgemäße Beschäftigung zuweisen. Die Möglichkeit der Zuweisung einer anderen vertragsgemäßen Beschäftigung ist wegen des sog. Dolo-agit-Einwands nach § 242 BGB von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. BAG 21.03.2018 – 10 AZR 560/16 – Rn. 24 ff).

3. Dem Kläger steht für die Monate von September 2019 bis April 2020 ein Zahlungsanspruch iHv. € 32.186,80 brutto abzüglich € 13.233,60 netto nebst Zinsen zu. Er hat nach § 615 Satz 1 BGB Anspruch auf Vergütungszahlung aus Annahmeverzug iHv. monatlich € 4.023,35 brutto abzüglich des bezogenen Arbeitslosengeldes von jeweils € 1.654,20 netto für September 2019 bis April 2020.

Die Beklagte befand sich seit 01.09.2019 mit der Annahme der Dienste des Klägers im Verzug iSv. §§ 615 Satz 1, 293 ff BGB. Nach einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung bedarf es zur Begründung des Annahmeverzugs keines Angebots des Arbeitnehmers (st. Rspr. vgl. BAG 22.02.2012 – 5 AZR 249/11 – Rn. 14 mwN). In Höhe des bezogenen Arbeitslosengeldes ist der Anspruch kraft Gesetzes auf die Bundesagentur für Arbeit übergangen (§ 115 SGB X). Dem Kläger stehen Zinsen nur auf den um das Arbeitslosengeld verminderten Betrag zu, da von der zu verzinsenden Forderung Sozialleistungen, die einen Anspruchsübergang bewirken, abzusetzen sind (vgl. BAG 21.08.2019 – 7 AZR 563/17 – Rn. 64 mwN).

4. Die für den Fall des Unterliegens mit dem Kündigungsschutzantrag gestellten Hilfsanträge des Klägers auf Wiedereinstellung fallen nicht zur Entscheidung an.

III.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1, 91a ZPO. Auch soweit die Hauptsache in Bezug auf die Zeugnisanträge übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, hat die Beklagte die Kosten zu tragen, denn sie war nach § 109 GewO zur Erteilung eines qualifizierten Arbeitszeugnisses verpflichtet. Hinsichtlich der geltend gemachten Zinsen auf das Arbeitslosengeld handelt es sich um eine verhältnismäßig geringfügige Zuvielforderung, die keine höheren Kosten veranlasst hat. Jedoch hat der Kläger die durch die Säumnis seiner Prozessbevollmächtigten im Termin vom 21.01.2021 verursachten Kosten selbst zu tragen, § 344 ZPO. Dies wurde bei der Tenorierung übersehen.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

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