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Betriebsbedingte Kündigung – Wirksamkeit bei Weiterbeschäftigungsmöglichkeit

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 11 Sa 128/18 – Urteil vom 21.11.2018

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 10.01.2018 – 2 Ca 1162/17 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung sowie die Verpflichtung der Beklagten zur Weiterbeschäftigung.

Der am . .1 geborene Kläger, geschieden, ist seit dem 25.04.2004 für die Beklagte, die im Mai 2017 am Standort B 115 Arbeitnehmer beschäftigte, als Energieanlagenelektroniker tätig. Er war mit der Prüfung und Reparatur defekter elektronischer Leiterplatinen und Anlagen betraut.

Unter dem 26.05.2017 hat die Beklagte mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich nebst Namensliste abgeschlossen, der die Kündigung von 20 Mitarbeitern, einschließlich des Klägers, vorsah. Laut Präambel des Interessenausgleichs sollten Teile der Fertigung der Produktfamilien XV und Rapidlink aufgrund des Kostendrucks des Auftraggebers von B an einen Produktionsstandort mit niedrigeren Arbeitskosten, dem t P , verlagert werden. Wegen der Einzelheiten des Interessenausgleichs wird auf Bl. 85 ff. d. A. verwiesen.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis zunächst mit Schreiben vom 30.05.2017 zum 30.11.2017. Im Hinblick auf die erstinstanzlich erörterten Einzelheiten der Massenentlassungsanzeige hat sie im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht am 08.11.2017 erklärt, dass sie aus dieser Kündigung keine Rechte mehr herleitet.

Nach Anhörung des Betriebsrates mit Schreiben vom 25.10.2017/26.10.2017 (Bl. 141 ff. d. A.), der am 26.10.2017 erklärte, dass er der beabsichtigten Kündigung nicht widerspreche, kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 26.10.2017 (Bl. 120 d. A.) das Arbeitsverhältnis zum 30.04.2018.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 10.01.2018 (Bl. 178 ff. d. A.) festgestellt, dass die Kündigung vom 26.10.2017 das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat und die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zur rechtskräftigen Beendigung des Rechtsstreits den Kläger zu den bisherigen Bedingungen als Energieanlagenelektroniker weiter zu beschäftigen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Sozialauswahl sei grob fehlerhaft. Der vergleichbare Arbeitnehmer Be weise eine deutlich geringere soziale Schutzbedürftigkeit auf. Dieser sei ein halbes Jahr geringer bei der Beklagten beschäftigt, 3,5 Jahre jünger und der Kläger mindestens zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet, der Arbeitnehmer Be nur einem Kind gegenüber. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbingens und der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Gegen das ihr am 29.01.2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13.02.2018 Berufung eingelegt und diese am 07.03.2018 begründet.

Die Beklagte meint, die Sozialauswahl sei jedenfalls nicht grob fehlerhaft erfolgt. Sie verweist darauf, dass die Betriebsparteien bei der Auswahl im Interessenausgleich nach den Eintragungen in den Lohnsteuerkarten vorgegangen seien. Selbst wenn man die Unterhaltsverpflichtungen des Klägers mit 1,5 Kinderfreibeträgen dahin gehend würdige, dass der Kläger mindestens zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet gewesen sei, so habe sich im Hinblick auf das Unterhaltskriterium Unterhaltspflichten ein Gleichstand zwischen dem Kläger und dem verheirateten Mitarbeiter Be ergeben. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit sei im Wesentlichen gleichwertig. Beide Mitarbeiter seien im Hinblick auf das Lebensalter auf dem Arbeitsmarkt gut vermittelbar. Es sei zwar richtig, dass die Reparaturarbeiten für das Produkt Rapidlink entgegen der ursprünglichen unternehmerischen Entscheidung im Interessenausgleich weiter am Standort B erfolge. Dies sei der Wunsch des Kunden E gewesen. Hieraus resultiere kein im Vergleich zur ursprünglichen Planung wesentlicher Beschäftigungsbedarf. Der Anteil dieser Reparaturen sei nie besonders hoch gewesen. Die Weiterbeschäftigung des Klägers sei aufgrund des erstinstanzlichen Weiterbeschäftigungsanspruchs erfolgt. Die Teilrevision der unternehmerischen Entscheidung sei nach Ausspruch der Kündigung und Ablauf der Kündigungsfrist erfolgt.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn, – 2 Ca 1162/17 – vom 10.01.2018, zugestellt am 29.01.2018, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Er sei drei Kindern zum Unterhalt verpflichtet, seine Ehefrau sei nicht berufstätig. Schon im Jahre 2017 sei die Entscheidung zur Verlagerung der Produktfamilie XV und des Produkts Rapidlink nach P geändert worden. Der Arbeitsplatz des Klägers sei nicht entfallen, seit September 2017 erledige er unverändert die Reparaturen. Deren Zahl habe in erheblichem Umfang zugenommen, da das Reparatur Center in S geschlossen worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 07.03.2018, 14.05.2018, 28.08.2018, 05.09.2018, 09.10.2018 und 16.10.2018 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.  Die Berufung der Beklagten ist zulässig, denn sie ist gemäß § 64 Abs. 2c) ArbGG statthaft und wurde innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG ordnungsgemäß und fristgerecht eingelegt und begründet.

II.  Der Berufung bleibt der Erfolg versagt. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Kündigung vom 27.10.2017 das Arbeitsverhältnis nicht mit Ablauf des 30.04.2018 aufgelöst hat. Dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb entgegenstehen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG) liegen nicht vor.

1.  Dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG liegen vor, wenn die Umsetzung einer unternehmerischen (Organisations-) Entscheidung auf der betrieblichen Ebene spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist zu einem voraussichtlich dauerhaften Wegfall des Bedarfs an einer Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers führt. Diese Prognose muss schon im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung objektiv berechtigt. Da der Arbeitgeber gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Tatsachen zu beweisen hat, die die Kündigung bedingen, hat er die tatsächlichen Grundlagen für die Berechtigung der Prognose, bis spätestens zum Ablauf der Kündigungsfrist werde ein Beschäftigungsbedarf entfallen sein, von sich aus im Einzelnen darzulegen (BAG, Urt. v. 31.07.2014 – 2 AZR 422/13 – m.w.N.).

2.  Liegen – wie im Streitfall – die Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG vor, wird gemäß § 292 ZPO die rechtliche Folge – das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG – ohne weiteren Vortrag des Arbeitgebers gesetzlich vermutet. Diese Vermutung bezieht sich sowohl auf den Wegfall der bisherigen Beschäftigung als auch auf das Fehlen anderer Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb. Der Arbeitnehmer kann den Beweis des Gegenteils im Sinne des § 292 ZPO führen. Es ist Sache des Arbeitnehmers darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, dass in Wirklichkeit eine Beschäftigungsmöglichkeit für ihn weiterhin besteht. Eine bloße Erschütterung der Vermutung reicht nicht aus. Es ist vielmehr ein substantiierter Tatsachenvortrag erforderlich, der den gesetzlich vermuteten Umstand nicht nur in Zweifel zieht, sondern ausschließt. Der Arbeitnehmer muss darlegen, weshalb der Arbeitsplatz trotz der Betriebsänderung noch vorhanden ist oder wo sonst im Betrieb oder Unternehmen er weiterbeschäftigt werden kann. Hierbei können dem Arbeitnehmer gewisse Erleichterungen nach den Regeln der abgestuften Darlegungs- und Beweislast zugutekommen, abhängig von der konkreten Kenntnis und Kenntnismöglichkeit des Arbeitnehmers. Jedenfalls hat der Arbeitnehmer zumindest greifbare Anhaltspunkte zu benennen, aus denen sich die Unrichtigkeit der nach § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG vermuteten Tatsache ergeben soll (BAG, Urt. v. 27.09.2012 – 2 AZR 516/11 – m. w. N.).

3.  Im vorliegenden Fall ist die Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung als widerlegt anzusehen. Der nach dem Interessenausgleich in Betracht kommende betriebsbedingte Grund liegt nicht vor, weil das Beschäftigungsbedürfnis hinsichtlich des Klägers tatsächlich nicht entfallen ist. Unstreitig wurde die Verlagerungsentscheidung jedenfalls hinsichtlich der Produktfamilie Rapidlink, deren Verlagerung nach P laut Interessenausgleich „baldmöglichst in 2017“ erfolgen sollte, auf Kundenwunsch nicht vollzogen. Die Beklagte hat nicht konkret dargelegt, dass diese Teilrevision der unternehmerischen Entscheidung, die auch den Beschäftigungsbedarf des Klägers betrifft, erst nach Ausspruch der Kündigung vom 27.10.2017 erfolgte. Es bleibt offen, wann der Kunde E seinen Wunsch auf Verbleib der Reparaturarbeiten am Standort B geäußert hat und wann wer mit welchem Inhalt bei der Beklagten eine revidierende Entscheidung getroffen hat. Der Kläger wird nach inhaltlich nicht bestrittenem Vortrag bereits seit September 2017 als alleiniger Facharbeiter mit der Durchführung der Reparaturen beschäftigt, nachdem der Arbeitskollege Su aus dem Betrieb ausgeschieden war. Er wird seitdem durchgehend in Vollzeit mit Reparaturaufgaben beschäftigt und dies auch noch unverändert sechs Monate nach Ablauf der Kündigungsfrist. Es bleibt auch offen, wie weit mit welchem Inhalt die Planungen zur Übernahme von Reparaturen aus dem früheren Kunden-Repaircenter S gediehen waren. Vor diesem Hintergrund mangelt es an einer hinreichenden Grundlage für eine schlüssige Prognose, der Beschäftigungsbedarf für den Kläger werde mit Ablauf des 30.04.2018 vollständig auf Dauer entfallen.

III.  Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

IV.  Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.

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