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Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit – Reisezeit – Wegezeit

ArbG Hamburg, Az.: 11 BV 17/13, Beschluss vom 06.05.2014

Es wird festgestellt, dass die Anreisezeit der Betriebsratsmitglieder E.-M. Wi. und U. Ka. zu den jeweils von 11.00 Uhr bis 16.00 Uhr eines Sitzungstages terminierten Betriebsratssitzungen in H. Betriebsratstätigkeit darstellt, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der persönlichen Arbeitszeit erfolgt.

Die Entscheidung ergeht kostenfrei.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob aus betriebsbedingten Gründen bei der Antragsgegnerin und Beteiligten zu 2 Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit durchgeführt werden muss.

Die Beteiligte zu 2 betreibt ein Unternehmen, das sich mit der Postabwicklung anderer Unternehmen befasst und beschäftigt ca 2.100 Mitarbeiter. Der Betrieb H. der Beteiligten zu 2 wurde per Tarifvertrag gemäß § 3 BetrVG als Regionalbetrieb für die Postleitzahlen 2 und 3 gebildet (Anlage zur Antragsschrift vom 01.10.2013 – Bl. 7 – 11 d. A.). Im H.er Betrieb sind derzeit ca. 390 Mitarbeiter beschäftigt.

Der Beteiligte zu 1 terminiert seine Betriebsratssitzungen wegen der Anreisenotwendigkeit von Betriebsratsmitgliedern an den Sitzungstagen jeweils von 11:00 Uhr bis 16:00 Uhr, von den sieben gewählten Betriebsratsmitgliedern sind fünf im Großraum H. beschäftigt. Die Arbeitnehmerinnen Frau E.-M. Wi. und U. Ka. erbringen ihre arbeitsvertragliche Tätigkeit in Ha.. Sie sind Teilzeitbeschäftigte und haben eine regelmäßige Arbeitszeit von 13:30 Uhr bis 19:30 Uhr. Um an Sitzungstagen an der Betriebsratssitzung teilnehmen zu können, müssen diese beiden Mitarbeiterinnen von Ha. aus anreisen und zwar außerhalb ihrer persönlichen Arbeitszeit.

Die Beteiligte zu 2 vergütet die entsprechenden Anreisezeiten nicht und gewährt auch nicht in entsprechendem Umfang Freizeitausgleich. Die bei der Beteiligten zu 2 geltenden Tarifverträge enthalten keine Regelungen über die Behandlungen von Reisezeiten.

Am 30.8.2013 lud der Beteiligte zu 1 die Betriebsratsmitglieder zu einer Betriebsratssitzung am 05.09.2013 ab 11:00 Uhr ein. Als Tagesordnungspunkt Nr. 17 enthält die Tagesordnung den Punkt „Beschlussfassung zur Reisezeit“. In dieser Sitzung wurde der Beschluss gefasst, ein arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren zur Feststellung, dass für die Ha.aner Betriebsratsmitglieder betriebsbedingte Gründe dafür vorliegen, dass die Reisezeit als Betriebsratstätigkeit außerhalb der individuellen Arbeitszeit zu erbringen ist, durchzuführen. (Anlagen zum Schriftsatz vom 27. Februar 2014 – Bl. 35 – 45 d. A.).

Hinsichtlich der Einzelheiten zu der Einladung, der Tagesordnung und der Beschlussfassung wird auf die genannte Anlagen verwiesen.

Der Beteiligte zu 1 ist der Auffassung, dass die Anreise aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit des jeweiligen Betriebsratsmitgliedes aufgrund der Eigenart des Betriebes der Beteiligten zu 2 durchzuführen ist. Die Betriebsratsmitglieder arbeiten in unterschiedlichen Schichten und wegen der zeitlichen Lage der Betriebsratssitzungen seien daher die genannten Mitarbeiterinnen nicht in der Lage, innerhalb ihrer individuellen Arbeitszeit die Anreise zu Betriebsratssitzungen vorzunehmen.

Der Beteiligte zu 1 beantragt, festzustellen, dass wegen der Eigenart des Betriebes der Antragsgegnerin in Bezug auf die Anreisezeit der Betriebsratsmitglieder E.-M. Wi. und U. Ka. zu den jeweils von 11:00 Uhr bis 16:00 Uhr eines Sitzungstages terminierten Betriebsratssitzungen in H. betriebsbedingte Gründe für die Durchführung der Anreise außerhalb der Arbeitszeit dieser Betriebsratsmitglieder vorliegen und insoweit Betriebsratstätigkeit im Sinne des § 37 Abs. 3 BetrVG gegeben ist.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Sie führt aus, dass das Verbot zu berücksichtigen sei, Betriebsratsmitglieder wegen ihrer Tätigkeit zu begünstigen. Für die Bewertung von Reisezeiten, die ein Betriebsratsmitglied zur Wahrnehmung von Betriebsratstätigkeiten aufwende, könnten daher keine anderen Maßstäbe gelten als für Reisezeiten, die ein Arbeitnehmer sonst im Zusammenhang mit der Erfüllung seiner Arbeitspflicht aufwenden würde. Im Betrieb der Beteiligten zu 2 gebe es bislang keine Regelung zur Arbeitszeit, jedoch würden der Betriebsrat und der Arbeitgeber voraussichtlich in diesem Jahr noch über eine Betriebsvereinbarung „Arbeitszeit“ verhandeln. In anderen Betrieben der Antragsgegnerin sei eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit verhandelt worden die vorsehe, dass Reisezeit nicht zur Arbeitszeit zähle.

Im Übrigen werde die ordnungsgemäße Beschlussfassung und Beauftragung des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers bestritten.

Im Übrigen wird auf die vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Nach § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG hat ein Betriebsratsmitglied zum Ausgleich für Betriebsratstätigkeit, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, einen Anspruch auf eine entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgeltes. Um eine Betriebsratstätigkeit handelt es sich dann, wenn sie zur ordnungsgemäßen Durchführung der Aufgaben des Betriebsrates im Sinne des § 37 Abs. 2 BetrVG erforderlich gewesen ist. Betriebsbedingte Gründe im Sinne des § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG liegen nur vor, wenn betriebliche Gegebenheiten und Sachzwänge innerhalb der Betriebssphäre dazu geführt haben, dass die Betriebsratstätigkeit nicht während der Arbeitszeit durchgeführt werden konnte. Zu betriebsbedingten Gründen in diesem Sinne gehören Gründe, die in der Sphäre des Betriebes liegen, wozu u. a. die Arbeit in Wechselschicht und die hierdurch bedingten Schichtpläne zählen (vgl. BAG vom 16.04.2003 – 7 AZR 423/01 – zitiert nach juris). Betriebsratsmitglieder, die aus betriebsbedingten Gründen ihre Betriebsratstätigkeit nicht während der Arbeitszeit durchführen können, sollen nicht durch Verluste der persönlichen Freiheit benachteiligt werden. Zur Betriebsratstätigkeit im Sinne von § 37 Abs. 3 BetrVG zählen auch solche Tätigkeiten, die für sich allein keine Betriebsratstätigkeit darstellen, jedoch in einem unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit der Durchführung einer Betriebsratstätigkeit stehen, sodass auch Reisezeiten oder zusätzliche Wegezeiten, die ein Betriebsratsmitglied zur Erfüllung notwendiger betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben außerhalb seiner Arbeitszeit aufwendet, auch einen entsprechenden Ausgleichsanspruch auslösen (vgl. Fitting/Engels/ Schmidt/Trebinger/Linsenmeyer BetrVG 27. Aufl. § 37 Rn. 77 m.w.N.).

Um einen entsprechenden Ausgleichsanspruch zu bejahen ist es jedoch erforderlich, dass die Reise aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit des Betriebsratsmitgliedes durchgeführt wird. Betriebsbedingte Gründe im Sinne des § 37 Abs. 3 Satz 2 liegen auch vor, wenn ein Betriebsratsmitglied erforderliche Betriebsratstätigkeiten wegen des unterschiedlichen Umfanges der Arbeitszeiten der Betriebsratsmitglieder nicht innerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit vornehmen kann. Diese Regelung ist insbesondere für solche Betriebsratsmitglieder von Bedeutung, die eine gegenüber der Regelarbeitszeit verkürzte Arbeitszeit mit ihrem Arbeitgeber vereinbart haben (vgl. Fitting p. p. § 37 Rn. 83 m.w.N.).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, denn es geht um die Anreisezeit zu regelmäßig anberaumten Betriebsratssitzungen, die der Beteiligte zu 1 unter Berücksichtigung der betrieblichen Gegebenheiten in die Zeit von 11:00 Uhr bis 16:00 Uhr gelegt hat, sodass zumindest die für den H.er Betrieb gewählten Mitglieder während ihrer Arbeitszeit an diesen Betriebsratssitzungen teilnehmen können. Frau Ka. und Frau Wi. sind Teilzeitbeschäftigte und müssen, da sie im Betrieb in Ha. tätig sind, zu diesen Betriebsratssitzungen anreisen, was im Hinblick auf den Beginn der Betriebsratssitzungen um 11:00 Uhr und der individuellen Arbeitszeit von 13:30 Uhr bis 19:30 Uhr nicht während der regelmäßigen Arbeitszeit von Frau Ka. und Frau Wi. erfolgen kann. Zwar sind bestehende tarifliche oder betriebliche Regelungen, die die Durchführung von Dienstreisen näher regeln, auch bei Reisen von Betriebsratsmitgliedern zu berücksichtigen (vgl. Fitting pp. § 37 Rn. 77 m.w.N.), doch gibt es entsprechende tarifliche oder betriebliche Regelungen bei der Beteiligten zu 2 unstreitig nicht, sodass lediglich auf § 37 Abs. 3 BetrVG und den dort normierten Voraussetzungen abzustellen ist. Ein Verstoß gegen das Begünstigungsverbot gemäß § 78 BetrVG, wie von der Beteiligten zu 2 vorgetragen, ist daher nicht ersichtlich, sodass der von dem Beteiligten zu 1 geltend gemachte Feststellungsanspruch begründet ist.

2. Da auch keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, dass die von dem Beteiligten zu 1 getroffenen Beschlüsse über die Durchführung des vorliegenden Verfahrens unter Berücksichtigung der §§ 29, 33 BetrVG nicht ordnungsgemäß gewesen sein sollten, war dem Antrag in dem austenorierten Umfang stattzugeben.

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