➔ Zum vorliegenden Urteil Az.: 5 Sa 135/22 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Hilfe anfordern
Übersicht:
- ✔ Der Fall: Kurz und knapp
- Langjähriger Mitarbeiter bei Betriebsstilllegung ohne Abfindung
- ✔ Der Fall vor dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
- Kläger erhob Kündigungsschutzklage nach Ablehnung des Abfindungsangebots des Arbeitgebers bei Betriebsstilllegung
- Arbeitsgerichtsklage des Klägers nach Zurückweisung seines Änderungsbegehrens zur angebotenen Abwicklungsvereinbarung
- Landesarbeitsgericht weist Berufung des Klägers gegen klageabweisendes Urteil des Arbeitsgerichts zurück
- Keine Ungleichbehandlung oder Maßregelung des Klägers durch den Arbeitgeber
- ✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
- ✔ FAQ – Häufige Fragen
- Habe ich Anspruch auf eine Abfindung, wenn mein Arbeitgeber den Betrieb schließt?
- Welche Faktoren beeinflussen die Höhe meiner Abfindung?
- Was kann ich tun, wenn ich das Abfindungsangebot meines Arbeitgebers für unzureichend halte?
- Habe ich während einer Langzeiterkrankung Anspruch auf eine Abfindung?
- Was passiert, wenn ich das Abfindungsangebot ablehne und später eine Kündigungsschutzklage einreiche?
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- ⇓ Das vorliegende Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
✔ Der Fall: Kurz und knapp
- Es ging um die Zahlung einer Abfindung nach der Betriebsstilllegung.
- Der Kläger war langjährig bei der Beklagten beschäftigt und aufgrund der Betriebszugehörigkeit unkündbar.
- Das Unternehmen beschloss, den Betrieb einzustellen, und kündigte allen Mitarbeitern.
- Der Kläger erhielt ein Abfindungsangebot, das an Bedingungen geknüpft war.
- Er war zu dem Zeitpunkt der Verhandlungen krankgeschrieben, was zu Unklarheiten bei der Berechnung der Abfindung führte.
- Der Kläger war grundsätzlich an einer Abwicklungsvereinbarung interessiert, jedoch nicht ohne Klarheit über die Abfindungshöhe.
- Das Gericht wies die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil zurück.
- Die Entscheidung des Gerichts beruhte darauf, dass die Abfindungskonditionen angemessen und transparent dargelegt waren.
- Die Auswirkungen des Urteils betonen die Wichtigkeit klarer Abfindungsregelungen bei Betriebsstilllegungen.
- Arbeitnehmer sollten sicherstellen, dass alle Bedingungen und Berechnungen im Abfindungsangebot eindeutig festgelegt sind.
Langjähriger Mitarbeiter bei Betriebsstilllegung ohne Abfindung
Eine Betriebsstilllegung kann für Arbeitnehmer tiefgreifende Folgen haben. In solchen Fällen stellt sich oft die Frage, ob ein Anspruch auf eine Abfindung besteht. Grundsätzlich hängt dies von verschiedenen Faktoren ab, wie etwa der Dauer der Betriebszugehörigkeit oder den Gründen für die Betriebsaufgabe. In der Rechtsprechung wurden hierzu bereits zahlreiche Urteile gefällt, die Klarheit in die komplexe Materie bringen. Ein wichtiger Aspekt ist auch, ob der Arbeitgeber seiner Informations- und Beratungspflicht gegenüber den Beschäftigten nachgekommen ist. All diese Fragen werden im Folgenden anhand eines konkreten Gerichtsfalls näher beleuchtet.
Betriebsstilllegung und Abfindungsansprüche: Ihre Rechte verstehen
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✔ Der Fall vor dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Kläger erhob Kündigungsschutzklage nach Ablehnung des Abfindungsangebots des Arbeitgebers bei Betriebsstilllegung
Der Kläger, ein seit 1989 bei der Beklagten beschäftigter Kraftfahrer, erhielt im Januar 2021 die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses aufgrund der beabsichtigten Stilllegung des Betriebs zum 31. August 2021. Die Beklagte bot allen 140 von der Betriebsstilllegung betroffenen Arbeitnehmern, darunter auch dem zu diesem Zeitpunkt arbeitsunfähig erkrankten Kläger, den Abschluss einer Abwicklungsvereinbarung an. Diese sah die Zahlung einer nach der Betriebszugehörigkeit gestaffelten Abfindung vor.
Arbeitsgerichtsklage des Klägers nach Zurückweisung seines Änderungsbegehrens zur angebotenen Abwicklungsvereinbarung
Der Kläger lehnte das Abfindungsangebot mit anwaltlichem Schreiben ab, da er Unklarheiten bei der Abfindungsberechnung aufgrund seiner Langzeiterkrankung sah und eine fixe Abfindungssumme forderte. Die Beklagte wertete dies als Ablehnung ihres Angebots und zog es zurück. Der Kläger erhob daraufhin Kündigungsschutzklage und verlangte hilfsweise eine Abfindung nach den Berechnungsparametern der angebotenen Abwicklungsvereinbarung. Er sah sich gegenüber Arbeitskollegen, die nach Klageerhebung einen gerichtlichen Vergleich mit der Beklagten geschlossen hatten, unzulässig ungleich behandelt.
Landesarbeitsgericht weist Berufung des Klägers gegen klageabweisendes Urteil des Arbeitsgerichts zurück
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Die Kündigung sei wegen der beabsichtigten Betriebsstilllegung wirksam. Aus dem Abfindungsangebot der Beklagten könne der Kläger keine Ansprüche herleiten, da er es abgelehnt habe. Auch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz oder wegen einer Maßregelung stehe ihm keine Abfindung zu. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers blieb vor dem Landesarbeitsgericht ohne Erfolg.
Keine Ungleichbehandlung oder Maßregelung des Klägers durch den Arbeitgeber
Die Berufungskammer bestätigte, dass die Beklagte mit ihrem einheitlichen Abfindungsangebot an alle Arbeitnehmer den Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt habe. Zur Annahme des Angebots sei sie nach dessen Ablehnung durch den Kläger nicht mehr verpflichtet gewesen. Die unterschiedliche Behandlung der klagenden Arbeitnehmer folge nicht aus einer Regelung der Beklagten, sondern aus deren individueller Entscheidung über eine gütliche Einigung. Eine Maßregelung des Klägers wegen Krankheit oder Klageerhebung liege nicht vor. Die Beklagte habe sein Änderungsbegehren nicht akzeptieren müssen.
✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
Das Urteil verdeutlicht, dass der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Gleichbehandlung genügt, wenn er allen Arbeitnehmern ein einheitliches Abfindungsangebot unterbreitet. Lehnt ein Arbeitnehmer das Angebot ab, so erlischt es und der Arbeitgeber ist zu keinerlei Zugeständnissen verpflichtet, auch wenn er mit anderen Arbeitnehmern Vergleiche schließt. Eine Ungleichbehandlung oder Maßregelung liegt darin nicht, da die unterschiedlichen Ergebnisse auf der individuellen Entscheidung der Arbeitnehmer beruhen, das Angebot anzunehmen oder abzulehnen.
✔ FAQ – Häufige Fragen
Das Thema: Betriebsstilllegung und Abfindung wirft bei vielen Lesern Fragen auf. Unsere FAQ-Sektion bietet Ihnen wertvolle Insights und Hintergrundinformationen, um Ihr Verständnis für dieses Thema zu vertiefen. Weiterhin finden Sie in der Folge einige der Rechtsgrundlagen, die für dieses Urteil wichtig waren.
- Habe ich Anspruch auf eine Abfindung, wenn mein Arbeitgeber den Betrieb schließt?
- Welche Faktoren beeinflussen die Höhe meiner Abfindung?
- Was kann ich tun, wenn ich das Abfindungsangebot meines Arbeitgebers für unzureichend halte?
- Habe ich während einer Langzeiterkrankung Anspruch auf eine Abfindung?
- Was passiert, wenn ich das Abfindungsangebot ablehne und später eine Kündigungsschutzklage einreiche?
Habe ich Anspruch auf eine Abfindung, wenn mein Arbeitgeber den Betrieb schließt?
Ein Anspruch auf eine Abfindung bei einer Betriebsschließung hängt von verschiedenen Faktoren ab. Grundsätzlich gibt es keine gesetzliche Pflicht zur Zahlung einer Abfindung. Ansprüche können sich jedoch aus dem Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarungen ergeben.
Existiert ein Betriebsrat im Unternehmen, kann dieser einen Sozialplan aushandeln, der Abfindungsregelungen enthält. Ein Sozialplan ist eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat, die wirtschaftliche Nachteile für die Arbeitnehmer abmildern soll. In diesem Plan wird oft eine Abfindungsformel festgelegt, die Faktoren wie Betriebszugehörigkeit, Alter und Unterhaltsverpflichtungen berücksichtigt.
Ohne Betriebsrat gibt es keinen Sozialplan und somit auch keinen Anspruch auf eine Abfindung. In solchen Fällen können Arbeitnehmer nur durch individuelle Verhandlungen oder eine Kündigungsschutzklage versuchen, eine Abfindung zu erhalten. Die Erfolgsaussichten sind jedoch geringer, da betriebsbedingte Kündigungen aufgrund einer Betriebsschließung in der Regel wirksam sind.
Ein Beispiel: Ein Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern und einem Betriebsrat plant eine Betriebsschließung. Der Betriebsrat verhandelt einen Sozialplan, der eine Abfindung in Höhe eines halben Monatsgehalts pro Dienstjahr vorsieht. Ein 50-jähriger Mitarbeiter mit 20 Jahren Betriebszugehörigkeit und zwei unterhaltspflichtigen Kindern würde eine höhere Abfindung erhalten als ein kinderloser Mitarbeiter, der erst seit fünf Jahren im Unternehmen tätig ist.
Ein Anspruch auf Abfindung bei Betriebsschließung besteht nur, wenn ein Sozialplan existiert oder individuelle Vereinbarungen getroffen werden. Ohne Betriebsrat sind die Chancen auf eine Abfindung deutlich schlechter.
Welche Faktoren beeinflussen die Höhe meiner Abfindung?
Die Höhe einer Abfindung wird von mehreren Faktoren beeinflusst. Wesentliche Kriterien sind die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Bruttogehalt, die Branche und Region sowie das Verhandlungsgeschick des Arbeitnehmers.
Ein Arbeitnehmer kann pro Beschäftigungsjahr eine Abfindung in Höhe eines halben Bruttomonatsgehalts fordern. Angebrochene Beschäftigungsjahre werden auf ein volles Jahr aufgerundet, wenn mehr als sechs Monate verstrichen sind. Das Bruttogehalt, das im letzten Monat vor der Kündigung gezahlt wurde, dient als Berechnungsgrundlage. Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie Sachleistungen (z.B. Firmenwagen) werden anteilig berücksichtigt.
Weitere Faktoren sind die Position des Arbeitnehmers im Unternehmen und die Chancen, wieder einen Job zu finden. Arbeitnehmer in höheren Positionen oder mit speziellen Qualifikationen erhalten oft höhere Abfindungen, da ihre Stellen schwerer nachzubesetzen sind. Auch das Fehlverhalten des Arbeitnehmers kann die Abfindungshöhe beeinflussen. Bei grobem Fehlverhalten besteht kein Anspruch auf eine Abfindung.
Steuerliche Aspekte spielen ebenfalls eine Rolle. Die Abfindung ist voll zu versteuern, jedoch kann die sogenannte Fünftelregelung die Steuerlast mindern. Diese Regelung verteilt die Abfindung steuerlich auf fünf Jahre, um eine einmalige hohe Steuerbelastung zu vermeiden.
Besondere Umstände wie eine Betriebsstilllegung oder Insolvenz des Unternehmens können die Abfindungschancen beeinflussen. Bei einer Betriebsstilllegung hängt die Abfindung davon ab, ob der Betrieb vollständig und unwiderruflich geschlossen wird oder ob Teile des Betriebs weitergeführt werden. In solchen Fällen kann eine Kündigungsschutzklage sinnvoll sein, um eine Abfindung zu erzielen.
Die Höhe der Abfindung wird durch die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Bruttogehalt, die Branche und Region, das Verhandlungsgeschick, die Position im Unternehmen, das Fehlverhalten des Arbeitnehmers und steuerliche Regelungen beeinflusst. Besondere Umstände wie Betriebsstilllegung oder Insolvenz können ebenfalls eine Rolle spielen.
Was kann ich tun, wenn ich das Abfindungsangebot meines Arbeitgebers für unzureichend halte?
Wenn das Abfindungsangebot des Arbeitgebers als unzureichend empfunden wird, gibt es mehrere Handlungsoptionen. Zunächst sollte geprüft werden, ob ein rechtlicher Anspruch auf eine höhere Abfindung besteht. Ein solcher Anspruch kann sich aus einem Sozialplan, einem Tarifvertrag oder dem Kündigungsschutzgesetz ergeben.
Falls kein gesetzlicher Anspruch besteht, bleibt die Möglichkeit, das Angebot nachzuverhandeln. Hierbei kann es hilfreich sein, die Unterstützung eines Fachanwalts für Arbeitsrecht in Anspruch zu nehmen. Ein Anwalt kann die Verhandlungsposition stärken und möglicherweise eine höhere Abfindung aushandeln. Es ist wichtig zu wissen, dass das erste Angebot des Arbeitgebers selten das letzte ist und Verhandlungen oft zu besseren Ergebnissen führen können.
Ein weiterer Schritt könnte die Einreichung einer Kündigungsschutzklage sein, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Kündigung bestehen. In vielen Fällen führt dies zu einem Vergleich vor dem Arbeitsgericht, bei dem eine höhere Abfindung ausgehandelt werden kann.
Es ist auch ratsam, die steuerlichen Aspekte der Abfindung zu berücksichtigen. Die sogenannte Fünftelregelung kann helfen, die Steuerlast zu reduzieren, indem die Abfindung auf fünf Jahre verteilt wird.
Zusammengefasst: Verhandlungen, rechtliche Beratung und die Einreichung einer Kündigungsschutzklage sind die Hauptstrategien, um ein unzureichendes Abfindungsangebot zu verbessern.
Habe ich während einer Langzeiterkrankung Anspruch auf eine Abfindung?
Bei einer Betriebsstilllegung haben auch langzeiterkrankte Arbeitnehmer grundsätzlich Anspruch auf eine Abfindung, wenn ein Sozialplan mit entsprechenden Regelungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbart wurde. Die Höhe der Abfindung richtet sich dann nach der im Sozialplan festgelegten Abfindungsformel, in die Faktoren wie Betriebszugehörigkeit, Alter und Unterhaltspflichten einfließen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Betriebsschließung krankgeschrieben ist oder nicht.
Allerdings setzt der Abfindungsanspruch voraus, dass im betroffenen Betrieb ein Betriebsrat existiert. Denn nur dieser ist berechtigt, mit der Unternehmensleitung einen Sozialplan auszuhandeln. Gibt es keinen Betriebsrat, besteht auch kein Anspruch auf Abfindung nach §112 Betriebsverfassungsgesetz. Der Arbeitgeber ist dann nicht verpflichtet, einen Sozialplan aufzustellen oder Abfindungen zu zahlen.
Zwar können die von der Schließung betroffenen Arbeitnehmer in diesem Fall versuchen, individuell Abfindungen mit dem Arbeitgeber auszuhandeln, wenn sie das Änderungsangebot ablehnen und gekündigt werden. Die Erfolgsaussichten sind dabei aber eher gering, da die betriebsbedingten Kündigungen aufgrund der Betriebsstilllegung meist wirksam sind. Arbeitgeber sind dann selten bereit, freiwillig Abfindungen zu zahlen.
Im Ergebnis haben langzeiterkrankte Arbeitnehmer bei Betriebsschließungen also nur dann Anspruch auf eine Abfindung, wenn ein Sozialplan besteht. Besondere Regelungen für Langzeiterkrankte gibt es nicht. Ihre Krankheit wirkt sich lediglich insofern aus, als sie bei der Abfindungsberechnung nach dem Sozialplan als Kriterium berücksichtigt werden kann, das die Abfindungshöhe beeinflusst.
Was passiert, wenn ich das Abfindungsangebot ablehne und später eine Kündigungsschutzklage einreiche?
Wenn ein Arbeitnehmer ein Abfindungsangebot ablehnt und später eine Kündigungsschutzklage einreicht, ergeben sich mehrere rechtliche Konsequenzen und Chancen.
Zunächst ist es wichtig zu wissen, dass ein Arbeitgeber nach der Ablehnung eines Abfindungsangebots nicht mehr an dieses Angebot gebunden ist. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber das Angebot zurückziehen oder eine geringere Abfindung anbieten kann. Dies wurde vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz bestätigt, das entschied, dass ein Arbeitgeber nach der Ablehnung eines Abfindungsangebots durch den Arbeitnehmer nicht mehr an dieses gebunden ist.
Wenn der Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage einreicht, prüft das Gericht die Wirksamkeit der Kündigung. Sollte das Gericht die Kündigung als unwirksam erachten, wird das Arbeitsverhältnis fortgesetzt, und der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf eine Abfindung. Das deutsche Arbeitsrecht zielt primär auf den Erhalt des Arbeitsplatzes ab und nicht auf eine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes.
In Fällen, in denen die Kündigung als sozialwidrig oder unwirksam eingestuft wird, kann das Gericht gemäß §§ 9, 10 KSchG eine Abfindung zusprechen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt ist oder tarifliche Sonderkündigungsschutzregelungen verletzt wurden.
Ein weiterer Aspekt ist das Maßregelungsverbot nach § 612a BGB, das besagt, dass ein Arbeitnehmer nicht benachteiligt werden darf, weil er seine Rechte ausübt. In der Praxis bedeutet dies, dass die Ablehnung eines Abfindungsangebots und die Einreichung einer Kündigungsschutzklage nicht als Benachteiligung gewertet werden dürfen.
Zusammengefasst bedeutet dies, dass die Ablehnung eines Abfindungsangebots und die Einreichung einer Kündigungsschutzklage eine sorgfältige Abwägung erfordern. Der Arbeitnehmer sollte sich der Risiken bewusst sein, dass der Arbeitgeber das ursprüngliche Abfindungsangebot zurückziehen kann und dass eine erfolgreiche Klage nicht automatisch zu einer Abfindung führt, sondern in der Regel zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz (KSchG): Diese Paragraphen regeln die Möglichkeit, bei einer betriebsbedingten Kündigung eine Abfindung zu fordern. Sie sind zentral, da sie die gesetzliche Grundlage für Abfindungsansprüche bilden, wenn eine Kündigung unwirksam ist und der Arbeitnehmer dennoch nicht weiterbeschäftigt werden will.
- Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in Rheinland-Pfalz: Dieser Tarifvertrag ist relevant, weil er die Bedingungen des Arbeitsverhältnisses, einschließlich Kündigungsfristen und Abfindungen, regelt. Für den Kläger sind die tarifvertraglichen Bestimmungen maßgeblich, da sie vertraglich vereinbart wurden.
- § 1a Kündigungsschutzgesetz (KSchG): Diese Vorschrift ermöglicht dem Arbeitgeber, bei betriebsbedingten Kündigungen eine Abfindung anzubieten, wenn der Arbeitnehmer keine Kündigungsschutzklage erhebt. Sie ist relevant, weil sie eine außergerichtliche Einigung über die Abfindung fördert.
- § 102 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG): Dieser Paragraph regelt die Mitbestimmung des Betriebsrats bei Kündigungen. Obwohl in diesem Fall kein Betriebsrat existiert, wäre diese Vorschrift wichtig, wenn ein Betriebsrat vorhanden wäre.
- Massenentlassungsanzeige (§ 17 KSchG): Diese Anzeige bei der Agentur für Arbeit ist erforderlich, wenn eine große Anzahl von Arbeitnehmern entlassen wird. Sie ist im vorliegenden Fall wichtig, da der Arbeitgeber den Geschäftsbetrieb vollständig eingestellt hat.
- Grundsatz der Gleichbehandlung im Arbeitsrecht: Dieser Grundsatz besagt, dass Arbeitnehmer in vergleichbaren Situationen gleich behandelt werden müssen. Im Kontext des Falls ist er relevant, da der Kläger sich ungleich behandelt fühlte im Vergleich zu Kollegen, die Abfindungen erhalten haben.
- Kündigungsschutzklage (§ 4 KSchG): Diese Klage ermöglicht es Arbeitnehmern, gegen eine Kündigung vorzugehen. Der Kläger hat eine solche Klage erhoben, um seine Kündigung anzufechten und hilfsweise eine Abfindung zu fordern.
- Berücksichtigung von Krankheit bei der Abfindungsberechnung: Arbeitnehmer, die langfristig krankgeschrieben sind, haben besondere Rechte bezüglich der Berechnung ihrer Abfindung. Im Fall des Klägers ist dies besonders relevant, da er während des Abfindungsangebots arbeitsunfähig war.
⇓ Das vorliegende Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 5 Sa 135/22 – Urteil vom 19.01.2023
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 16. März 2022, Az. 5 Ca 138/21, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten – zweitinstanzlich noch – über die Zahlung einer Abfindung.
Der 1961 geborene, verheiratete Kläger war seit September 1989 bei der Beklagten, einer eigenständigen Regionalgesellschaft der Unternehmensgruppe Z., als Kraftfahrer zu einem monatlichen Grundlohn von zuletzt € 3.285,00 brutto beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in Rheinland-Pfalz Anwendung; der Kläger war wegen seines Lebensalters und der Dauer der Betriebszugehörigkeit ordentlich unkündbar. Die Beklagte beschäftigte 140 Arbeitnehmer; es gab keinen Betriebsrat.
Mit Schreiben vom 30. September 2020 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung, weil er am 24. September 2020 gegen die betriebliche Verhaltensregel zum Tragen von Mund- und Nasenschutz in der Corona-Pandemie verstoßen habe. Gegen diese Abmahnung erhob der Kläger am 13. November 2020 Klage (in dem hinzuverbundenen Verfahren 5 Ca 1291/20). Seit dem 28. September 2020 war er ununterbrochen bis zum 7. Mai 2021 arbeitsunfähig erkrankt. Am 10. Mai 2021 nahm er seine Arbeit wieder auf. Mit Schreiben vom 19. Juli 2021 stellte ihn die Beklagte unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung seiner Arbeitsleistung frei.
Die Gesellschafter der Beklagten trafen im Januar 2021 die unternehmerische Entscheidung, den Geschäftsbetrieb mit Wirkung zum 31. August 2021 einzustellen. Nach Erstattung der Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit kündigte die Beklagte die Arbeitsverhältnisse mit allen Arbeitnehmern. Mit Schreiben vom 20. Januar 2021, dem Kläger am 21. Januar 2021 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich unter Wahrung einer sozialen Auslauffrist zum 31. August 2021.
Ab 21. Januar 2021 führten die Personalvorgesetzten mit den Arbeitnehmern Einzelgespräche über den Abschluss von Abwicklungsvereinbarungen. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt arbeitsunfähig krank. Weil die Arbeitsunfähigkeit andauerte und sein jetziger Prozessbevollmächtigter mit Schreiben vom 27. Januar 2021 um die Unterbreitung eines Abfindungsangebots bat, übersandte ihm die Beklagte mit Schreiben vom 28. Januar 2021 den Entwurf einer Vereinbarung mit der Bitte, eine Ausfertigung unterschrieben zurückzusenden. Das Angebot der Beklagten hatte – auszugsweise – folgenden Wortlaut:
„Abwicklungsvereinbarung
…
1. Z. B-Stadt und der Arbeitnehmer sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 20.01.2021 aus betriebsbedingten Gründen unter Wahrung der ordentlichen Kündigungsfrist mit Ablauf des 31.08.2021 enden wird.
2. Bis zum 31.08.2021 wird das Arbeitsverhältnis ordnungs- und vertragsgemäß abgerechnet und abgewickelt.
3. Z. B-Stadt zahlt an den Arbeitnehmer für den Verlust des sozialen Besitzstandes eine Sozialplanabfindung in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG in Höhe von 0,25 Gehältern je Beschäftigungsjahr, berechnet gemäß Ziff. 5 dieser Vereinbarung und fällig zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Abfindungsanspruch entsteht sogleich mit Abschluss dieser Vereinbarung und ist daher gegebenenfalls vererblich.
4. Z. B-Stadt legt Wert darauf, dass das Arbeitsverhältnis möglichst lange – möglichst bis zum 30.06.2021 – fortgeführt wird. Vor diesem Hintergrund sichert Z. B-Stadt zu, die Abfindung gemäß Ziff. 3 dieser Vereinbarung jeweils gestaffelt … zu erhöhen, sofern das Arbeitsverhältnis jeweils mindestens bis zu den genannten Zeitpunkten fortgeführt wird; andernfalls verbleibt es bei der Abfindung gemäß Ziff. 3 dieser Vereinbarung:
Besteht das Arbeitsverhältnis wenigstens bis einschließlich zum 28.02.2021 fort, so zahlt Z. B-Stadt … 0,5 Gehältern je Beschäftigungsjahr.
Besteht das Arbeitsverhältnis über den 28.02.2021 hinaus wenigstens bis einschließlich zum 30.04.2021 fort, so zahlt Z. B-Stadt … 0,75 Gehältern je Beschäftigungsjahr.
Besteht das Arbeitsverhältnis bis einschließlich zum 30.06.2021 fort, so zahlt Z. B-Stadt … 1,0 Gehältern je Beschäftigungsjahr.
Auch diese erhöhten Abfindungen werden jeweils berechnet gemäß Ziff. 5 dieser Vereinbarung und sind fällig zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. …
5. Die konkrete Abfindungssumme wird, sobald bekannt ist, zu welchem Zeitpunkt der Mitarbeiter aus dem Arbeitsverhältnis … ausscheidet, auf der Basis der dann zurückliegenden 12 Monate vor dem Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses ausgenommen – berechnet nach der Formel
Abfindung = Beschäftigungsdauer x Bruttomonatsbezüge x Faktor,
wobei der Faktor gemäß Ziff. 4 abhängig von dem Zeitpunkt ist, bis zu dem das Arbeitsverhältnis fortbesteht.
…
Berechnungsgrundlage für die Bruttomonatsbezüge sind die 12 Monate, die vor den letzten drei Monaten des Bestehens des Arbeitsverhältnisses liegen. Über diese 12 Monate wird der Durchschnitt ermittelt.
In die durchschnittlichen Bruttomonatsbezüge fließen das Grundgehalt ein sowie die nachfolgenden Vergütungsbestandteile unter der Voraussetzung, dass diese im relevanten 12-Monats-Zeitraum gezahlt wurden: die Vergütung für geleistete Mehrarbeit, Urlaubsgeld, tarifliche Sonderzuwendung (Weihnachtsgeld), die Z. Einmalzahlung im Oktober, Zulagen, Zuschläge und Ausgleichszahlungen.
Bei der Berechnung der Abfindung bleiben, zugunsten des Mitarbeiters, Monate ohne Arbeitsentgelt und Monate mit lediglich Teilentgelt unberücksichtigt, wobei sich der Teiler 12 in diesem Fall entsprechend um die Monate ohne Entgelt bzw. mit lediglich Teilentgelt reduziert.
…
Für Mitarbeiter, die im Betrachtungszeitraum keine Entgeltzahlung erhalten haben (z.B. Langzeiterkrankte, Mitarbeiter/innen in Elternzeit) wird der Durchschnitt der letzten drei vollen Tätigkeitsmonate vor der Abwesenheit zu Grunde gelegt.
…
6. Informatorisch teilen wir mit, dass sich unter Berücksichtigung lediglich Ihres Grundgehalts (die gleiche Tätigkeit und einen gleichbleibenden Beschäftigungsumfang wie aktuell unterstellt) und Ihrer Beschäftigungsdauer bis einschließlich zum 31.08.2021 auf der Basis des Faktors 1,0 ein Abfindungsanspruch in Höhe von 104.298,75 € brutto ergeben wird, der sich allerdings unter Berücksichtigung der in Ziff. 5 genannten zusätzlichen Vergütungsbestandteile noch erhöhen wird. Die genaue Berechnung der Abfindung erfolgt wie unter Ziff. 5 beschrieben zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.“
Mit Schreiben vom 5. Februar 2021 antwortete der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers wie folgt:
„… in vorbezeichneter Arbeitsrechtsache bedanke ich mich zunächst für die Überlassung des Angebots zu einer Abwicklungsvereinbarung per 28.01.2021.
Das Angebot wirft jedoch im speziellen Fall von Herrn A. einige Fragen und Ungleichgewichte auf:
Konzipiert ist die gesamte Abwicklungsvereinbarung auf den 30.06.2021. Die Berechnung der Höhe der Abfindung auf den 30.06.2021 nimmt als Bezugspunkt jedoch den Bestand des Arbeitsverhältnisses. Dieses dauert für den Mandanten bis zum 31.08.2021, d.h. die für die Berechnung ausgenommenen letzten 3 Monate würden ab 01.06.2021 beginnen. Dies aber wiederum bedeutet, dass in die Jahressumme, die zur Berechnung der durchschnittlichen Bruttomonatsbezüge herangezogen werden sollen, auch die Monate März bis Mai 2021 hinzu zählen würden. Herr A. befürchtet, dass in dieser Zeit deutlich weniger an Arbeit sein wird, dass also deutlich weniger an Zulagen anfallen würden, was ihn im Vergleich zu den Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis auch tatsächlich dann zum 30.06.2021 enden würde, deutlich benachteiligen würde.
Ebenfalls nicht definiert ist, was mit einer Langzeiterkrankung im Sinne des vorletzten Absatzes von Ziff. 5 des Angebots gemeint sein soll.
Herr A. ist aktuell seit dem 28.09.2020 arbeitsunfähig erkrankt. Wie sollte sich in seinem Fall der durchschnittliche Bruttoverdienst berechnen? Werden bei ihm in jedem Fall die 3 vollen Tätigkeitsmonate vor der Abwesenheit zugrunde gelegt? Dies wäre dann der Zeitraum Juni bis August 2020.
Und hier aber wiederum fehlen ja gerade etliche zusätzliche Lohnbestandteile, die sonst in die Durchschnittsberechnung einbezogen werden. Oder soll die Höhe der Abfindung davon abhängen, ob und gegebenenfalls ab wann Herr A. wieder arbeitsfähig sein sollte?
Kurz und gut:
Herr A. ist grundsätzlich an einer Abwicklungsvereinbarung interessiert, jedoch nicht um jeden Preis und auch nicht im Ungewissen über die Höhe der Abfindung und der Modalitäten.
In jedem Fall wird der Bestand des Arbeitsverhältnisses bis 30.06.2021 sein. Er kann halt nur nicht garantieren, bis dahin wieder zu genesen. Dies dürfte nach dem Wortlaut der Vereinbarung der Anwendung des Faktors 1,0 bei der Berechnung der Abfindungssumme nicht entgegenstehen.
Ich bitte Sie und stelle anheim, die vorgenannten Fragen im Vorfeld zu klären, damit in diesem speziellen Fall von Herrn A. die Abfindungssumme vor Abschluss der Vereinbarung fix feststeht, damit sodann, wenn beiderseitig gewünscht die Vereinbarung unterzeichnet werden kann, ansonsten notwendigerweise und zwingend ansteht, dann Kündigungsschutzklage erheben zu müssen.
Herr A. erhielt die Kündigung am 20.01.2021, so dass die Klagefrist für die Kündigungsschutzklage sich für ihn vollendet am 10.02.2021.
Für eine kurzfristige Rückmeldung wäre ich also zur Vermeidung dieser Weiterungen für den Mandanten dankbar.
So oder so sollte im Hinblick auf das erwartbare Ende des Beschäftigungsverhältnisses, welches so oder so demnächst eintreten wird, bis dahin die Abmahnung aus der Personalakte entfernt werden, wie diesseits beantragt. Natürlich wird sich Herr A. auch weiterhin an die Coronaregeln halten, einschließlich Beachtung der Maskenpflicht.
Im vorliegenden Fall mag Ihrerseits auch an eine Freistellung von Herrn A. unter Fortgeltung der dann jedoch genau zu benennenden Bezüge und unter Abgeltung der Urlaubsansprüche pp nachgedacht werden.“
Am 10. Februar 2021 zeigte der jetzige Prozessbevollmächtigte der Beklagten deren Vertretung an, im Anschluss telefonierten die Prozessbevollmächtigten miteinander. Der Beklagtenvertreter erklärte dem Klägervertreter sinngemäß, dass die Erhebung der Kündigungsschutzklage als solche von der Beklagten nicht als schädlich im Hinblick auf das Abwicklungsangebot angesehen werde. Am 11. Februar 2021 erhob der Kläger vor dem Arbeitsgericht Trier Kündigungsschutzklage, die der Beklagten am 17. Februar 2021 zugestellt wurde. Mit E-Mail vom 24. Februar 2021 teilte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten dem Klägervertreter mit, er halte
„der guten Ordnung halber unter Bezugnahme auf das geführte Telefonat fest, dass sich [die Beklagte] infolge Nichtannahme der … vorgeschlagenen Abwicklungsvereinbarung durch [den Kläger] an die vorgeschlagenen Regelungen nicht länger gebunden fühlt und den Vorschlag der Abwicklung hiermit zurücknimmt.“
Am 8. März 2021 telefonierten die Prozessbevollmächtigten erneut. Eine Einigung kam nicht zustande. Mit Schreiben vom 19. März 2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis vorsorglich nochmals mit Wirkung zum 31. Oktober 2021. Der Kläger erweitere seine Klage rechtzeitig. Zuletzt bot die Beklagte dem Kläger mit E-Mail vom 23. April 2021 eine Abfindung iHv. € 37.880,13 an. Dieses Angebot nahm der Kläger nicht an. Weitere Abfindungsangebote erfolgten nicht mehr.
Drei Arbeitskollegen des Klägers, die ebenfalls Klage erhoben hatten, zahlte die Beklagte Abfindungen. Sie schloss in den Rechtsstreiten vor dem Arbeitsgericht Trier 5 Ca 112/21 (R.), 5 Ca 86/21 (N.) und 5 Ca 905/21 (H.) gerichtliche Vergleiche.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
1. festzustellen, dass die Kündigung der Beklagten vom 20. Januar 2021 sozial ungerechtfertigt ist und das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht zum 31. August 2021 beenden wird, dass dieses vielmehr über den 31. August 2021 hinaus ungekündigt fortbesteht,
2. festzustellen, dass auch die Kündigung der Beklagten vom 19. März 2021 sozial ungerechtfertigt ist und das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht zum 31. Oktober 2021 beenden wird, dass dieses vielmehr über den 31. Oktober 2021 hinaus ungekündigt fortbesteht,
3. hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung gemäß §§ 9, 10 KSchG gemäß der undatierten, ihm mit Schreiben vom 28. Januar 2021 angebotenen Abwicklungsvereinbarung zu zahlen, die sofort entstanden und vererblich ist, fällig ist mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien, wenigstens € 104.298,75 brutto,
4. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 30. September 2020 aus seiner Personalakte zu entfernen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht Trier hat die Klage mit Urteil vom 16. März 2022 abgewiesen. Zur Begründung der Entscheidung hat das Arbeitsgericht – zusammengefasst – ausgeführt, für die auf betriebliche Gründe gestützte außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 20. Januar 2021 mit Auslauffrist bestehe wegen beabsichtigter Betriebsstilllegung ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 31. August 2021 habe der Kläger keinen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung, weil sie ihm nicht mehr schaden könne. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung. Aus dem mit Schreiben der Beklagten vom 28. Januar 2021 unterbreiteten Angebot einer Abwicklungsvereinbarung könne der Kläger keinen Anspruch herleiten, denn er habe das Angebot mit Anwaltsschreiben vom 5. Februar 2021 nicht angenommen. Die Beklagte habe das Schreiben iSd. § 150 Abs. 2 BGB als Ablehnung verstehen dürfen. Ein Abfindungsanspruch folge nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Beklagte habe allen Arbeitnehmern – auch dem Kläger – Angebote mit gleichlautenden Modalitäten unterbreitet. Es liege auch kein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB vor. Der Kläger habe nicht schlüssig darzulegen vermocht, dass ihn die Beklagte wegen seiner Erkrankung oder wegen der Erhebung der Kündigungsschutzklage benachteiligt habe. Die vom Kläger zitierten Einzelfälle von drei Arbeitskollegen, mit denen die Beklagte gerichtliche Vergleiche geschlossen habe, seien mit dem Streitfall nicht vergleichbar. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Gegen das am 5. Mai 2022 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 27. Mai 2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz – teilweise – Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 5. August 2022 verlängerten Frist mit Schriftsatz vom 5. August 2022 begründet. Er wendet sich gegen die Abweisung seines erstinstanzlichen Hilfsantrags auf Zahlung einer Abfindung.
Der Kläger macht geltend, er habe einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung „mindestens in der geltend gemachten Höhe, jedoch wie aus dem Antrag ersichtlich und primär geltend gemacht in noch zu berechnender Höhe, zu berechnen anhand der abstrakten Regelungen in dem zitierten, als Abwicklungsvereinbarung überschriebenen Rundschreiben an alle Mitarbeiter“. Das Arbeitsgericht habe fehlerhaft angenommen, dass sein Anwalt das Angebot der Abwicklungsvereinbarung mit Schreiben vom 5. Februar 2021 iSd. § 150 Abs. 2 BGB abgelehnt habe. Richtig sei, dass er das – von der Beklagten nicht unterzeichnete – Angebot „nur noch nicht angenommen“ habe. Sein Anwalt habe im Schreiben vom 5. Februar 2021 einige Fragen formuliert, die aus seiner Sicht klärungsbedürftig gewesen seien. Er habe ausdrücklich angekündigt, dass eine Unterzeichnung der Vereinbarung angestrebt werde. Das Arbeitsgericht habe das Schreiben vom 5. Februar 2022 falsch ausgelegt. Eine Ablehnung des Angebots der Beklagten sei nicht erfolgt; er sei vergleichsbereit gewesen. Die Beklagte habe sich jedoch auf keinerlei Verhandlungen eingelassen und ihr Angebot am 24. Februar 2021 zurückgenommen. So habe sich die Beklagte – im Gegensatz zu ihrer Vorgehensweise gegenüber den übrigen ca. 140 Arbeitnehmern – nur ihm gegenüber verhalten. Deshalb stehe ihm die beantragte Abfindung aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu. Die Beklagte habe ihrer Pflicht zur Gleichbehandlung nicht schon dadurch genügt, dass sie auch ihm ein Angebot auf Abschluss einer Abwicklungsvereinbarung unterbreitet habe. Die Ungleichbehandlung liege darin, dass sie ihr Angebot am 24. Februar 2021 zurückgenommen habe. Zu diesem Zeitpunkt hätten längst nicht alle Arbeitnehmer die Vereinbarung unterzeichnet und zurückgesandt. Die Angebote an sämtliche andere Arbeitnehmer habe die Beklagte nicht zurückgenommen; dies völlig unabhängig von der Erhebung einer Kündigungsschutzklage. Mindestens drei weitere Arbeitnehmer hätten Klage erhoben und über die Abwicklungsvereinbarung, respektive die Abfindung, verhandelt; vgl. die Rechtsstreite 5 Ca 112/21 (R.), 5 Ca 86/21 (N.) und 5 Ca 905/21 (H.). In letzter Konsequenz habe die Beklagte allen Arbeitnehmern – außer ihm – eine Abfindung in mindestens der in der Abwicklungsvereinbarung angekündigten Höhe gezahlt. Ein sachlicher Grund für diese Ungleichbehandlung sei nicht erkennbar, zumal er das Angebot der Beklagten – wie ausgeführt – nicht abgelehnt habe. Es sei treuwidrig, seinem Anwalt in einem Telefonat vom 10. Februar 2021 zu erklären, dass eine Klageerhebung unschädlich sei („Erheben Sie die Klage, wir ‚zurren‘ das dann später fest“), um dann das Angebot am 24. Februar 2021 per E-Mail zu widerrufen. Im Telefonat vom 8. März 2021 habe der Beklagtenvertreter nur noch den Faktor 0,25-Gehälter (statt 1,0) angeboten und „eventuell“, „falls der Kläger jetzt zur Arbeit komme“ pro Monat voller Arbeitstätigkeit weitere 0,15. Dieses Verhalten sei treuwidrig und gegen das eigene Wort. Sein Anwalt habe das deutlich nach unten abweichende Angebot als „unseriös“ abgelehnt, zumal es die Beklagte nicht mehr aufrechterhalten wollte, sollte es zum Gütetermin kommen. Im Anschluss habe die Beklagte sämtliche Vergleichsverhandlungen blockiert. Sie habe ihm jede Möglichkeit verwehrt, das Verfahren in angemessener Art und Weise mit einem beiderseitig vertretbaren Ergebnis zu beenden. Das Argument der Beklagten, die anderen Kündigungsschutzverfahren seien völlig anders verlaufen und hätten weniger Aufwand bereitet, sei nur vorgeschoben und unschlüssig. In den vergleichbaren Rechtsstreiten 5 Ca 905/21, 5 Ca 86/21 und 5 Ca 112/21 seien Einigungen über Abfindungen erzielt worden, die jeweils höher ausgefallen seien als angekündigt; der Faktor habe jeweils mindestens 1,0 betragen. Ein sachlicher Differenzierungsgrund liege nicht vor. Der Anspruch auf Zahlung einer Abfindung ergebe sich auch aus dem Maßregelungsverbot des § 612a BGB. Er sei wegen seiner krankheitsbedingten Abwesenheit benachteiligt worden. Der Beklagtenvertreter habe im Telefonat vom 8. März 2021 erklärt, dass sich die Bemessungsgrundlage aufgrund seiner Langzeiterkrankung von 1,0 auf 0,25 verringere, bei Arbeitsaufnahme sei mit einer Erhöhung um maximal 0,15 pro Monat zu rechnen. Ansonsten bekäme er gar nichts, es gehe „um‘s Prinzip“. Das Arbeitsgericht habe den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Krankheit und Verwehrung der Abfindung nicht geprüft und seine Beweisangebote übergangen. Auch der Wortlaut der E-Mail der Beklagtenvertreter vom 23. April 2021 sei eindeutig.
Der Kläger beantragt zweitinstanzlich, das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 16. März 2022, Az. 5 Ca 138/21, (teilweise) abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Verlust seines Arbeitsplatzes eine Abfindung gemäß der undatierten, ihm mit Schreiben vom 28. Januar 2021 angebotenen Abwicklungsvereinbarung zu zahlen, wenigstens € 104.298,75 brutto, nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2021.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.
II.
In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung in unbezifferter Höhe, hilfsweise von „wenigstens“ € 104.298,75 brutto hat. Die Berufungskammer folgt den ausführlichen und sorgfältig dargestellten Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Von der Darstellung eigener vollständiger Entscheidungsgründe wird daher abgesehen. Die Berufungsangriffe des Klägers bleiben erfolglos.
1. Die zweitinstanzlichen Klageanträge sind nur zum Teil zulässig.
a) Die Klageanträge bedürfen der Auslegung. Wie der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Berufungshandlung klargestellt hat, begehrt der Kläger von der Beklagten hilfsweise eine Abfindung in Höhe von „wenigstens“ € 104.298,75 brutto. Der Kläger stellt sich vor, dass er eine höhere Abfindung beanspruchen kann, die die Berufungskammer auf Grundlage der im Angebot der Beklagten vom 28. Januar 2021 angeführten Parameter berechnen soll.
b) Der unbezifferte Zahlungsantrag (Hauptantrag) ist unzulässig. Gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO unterliegt grundsätzlich jede Leistungsklage dem Gebot hinreichender Bestimmtheit. Geldforderungen sind grundsätzlich durch bezifferten Klageantrag geltend zu machen. Daran fehlt es hier. Der Antrag des Klägers auf Zahlung einer Abfindung „gemäß der undatierten, ihm mit Schreiben vom 28. Januar 2021 angebotenen Abwicklungsvereinbarung“, ist nicht auf einen ziffernmäßig angegebenen Betrag gerichtet; er weist keinen vollstreckungsfähigen Inhalt auf.
Im Übrigen wäre der Berufungskammer die Berechnung der geltend gemachten unbezifferten Zahlungsforderung nicht möglich. Der Kläger hat weder dem Arbeitsgericht noch der Berufungskammer seine Lohnabrechnungen aus dem gemäß Ziff. 5 des Angebots der Beklagten relevanten 12-Monats-Zeitraum vorgelegt. Ohne die Vorlage von Lohnabrechnungen können die durchschnittlichen Bruttomonatsbezüge (bestehend aus Grundgehalt, Mehrarbeitsvergütung, Urlaubsgeld, tarifliche Sonderzuwendung (Weihnachtsgeld), die Z.- Einmalzahlung im Oktober, Zulagen, Zuschläge und Ausgleichszahlungen) nicht festgestellt werden. Der Kläger hätte sich schon selbst die Mühe machen müssen, seine Forderung zu berechnen.
c) Wie der Klägervertreter in der mündlichen Berufungsverhandlung klargestellt hat, soll sein Antrag auf Zahlung von „wenigstens“ € 104.298,75 brutto als Hilfsantrag verstanden werde. Als solcher ist er zulässig.
2. Soweit die Klage nicht bereits unzulässig ist, ist sie unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung für den Verlust seines Arbeitsplatzes von € 104.298,75 brutto.
a) Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Abfindung nach § 112 BetrVG. Die Beklagte war nicht verpflichtet, einen Sozialplan aufzustellen, denn an seinem Zustandekommen muss ein im Betrieb gewählter Betriebsrat mitwirken. Haben die Arbeitnehmer – wie hier – keinen Betriebsrat gewählt, besteht kein Anspruch auf eine Abfindung, wenn sie wegen einer Betriebsstilllegung ihren Arbeitsplatz verlieren.
b) Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Abfindung nach §§ 9, 10, 13 KSchG. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung nach diesen Vorschriften setzt die Sozialwidrigkeit einer ordentlichen Kündigung oder – wie hier – bei tariflichem Sonderkündigungsschutz die Rechtsunwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung voraus. Im Streitfall war die außerordentliche Kündigung der Beklagten gegenüber dem tariflich unkündbaren Kläger vom 20. Januar 2021 mit sozialer Auslauffrist zum 31. August 2021 rechtswirksam. Für andere Beendigungstatbestände enthalten die §§ 9, 10, 13 KSchG weder das Verbot einer abfindungsfreien Beendigung noch das Gebot einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur gegen Abfindung.
c) Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Abfindung analog § 1a KSchG. Danach kann ein tarifvertraglich ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer bei einer betriebsbedingten außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist eine Abfindung beanspruchen (vgl. KR/Spilger 13. Aufl. KSchG § 1a Rn. 25 mwN), wenn ihm der Arbeitgeber kündigt und gleichzeitig darauf hinweist, dass die Kündigung betriebsbedingt erfolgt und der Arbeitnehmer bei Verstreichenlassen der Klagefrist nach § 4 KSchG eine Abfindung in gesetzlich festgelegter Höhe (0,5 Monatsverdienste) beanspruchen kann. Der Arbeitnehmer erhält damit die Wahlmöglichkeit, entweder das Risiko einer erfolglosen Kündigungsschutzklage einzugehen und gegebenenfalls ohne Abfindung auszugehen oder auf die Klage zu verzichten und die Abfindung, allerdings ”nur” in gesetzlich festgelegter Höhe, in Anspruch zu nehmen.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die Beklagte hat dem Kläger nach dem eindeutigen Wortlaut des Kündigungsschreibens vom 20. Januar 2021 kein Angebot analog § 1a KSchG unterbreitet. Sie bot dem Kläger vielmehr mit Schreiben vom 28. Januar 2021 eine Abwicklungsvereinbarung an. Die Erhebung einer Kündigungsschutzklage war unschädlich, die angebotene Abfindung sollte 0,25 Monatsverdienste betragen, sie konnte sich – bei Vorliegen der angebotenen Voraussetzungen – auf 1,0 Monatsverdienste pro Beschäftigungsjahr erhöhen.
d) Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger keinen vertraglichen Anspruch auf eine Abfindung hat, weil er das mit Schreiben vom 28. Januar 2021 unterbreitete Angebot der Beklagten auf eine „Abwicklungsvereinbarung“ mit Anwaltsschreiben vom 5. Februar 2021 abgelehnt hat.
Ein Vertrag kommt gemäß § 145 BGB durch Angebot und Annahme des Angebots zustande. Die Beklagte hat dem Kläger ihr Vertragsangebot mit Schreiben vom 28. Januar 2021 unterbreitet. Dieses Angebot hat der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 5. Februar 2021 nicht so angenommen, wie es ihm gemacht wurde. Das bedeutet rechtlich, dass er das Vertragsangebot der Beklagten abgelehnt hat. Das ursprünglich von der Beklagten gemachte Angebot war damit erledigt (§ 150 Abs. 2 BGB).
Entgegen der Ansicht der Berufung ist das Anwaltsschreiben vom 5. Februar 2021 als Ablehnung zu qualifizieren. Aus § 150 Abs. 2 BGB ergibt sich, dass eine wirksame Annahme nur dann vorliegt, wenn sie dem Angebot entspricht, also mit diesem deckungsgleich ist. Jede Annahme unter inhaltlichen Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen gilt dagegen als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag. Ob eine Abweichung vorliegt oder nicht, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln (§ 133, 157 BGB) und beurteilt sich aus der Perspektive des Empfängerhorizonts, also aus Sicht der Beklagten.
Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger das Angebot der Beklagten abgelehnt. Die Ansicht der Berufung, der Kläger habe das Angebot „nur noch nicht angenommen“, er sei „vergleichsbereit“ gewesen, sein Anwalt habe nur einige „klärungsbedürftige Fragen“ formuliert, findet im Wortlaut des Schreibens vom 5. Februar 2021 keine Stütze. Die Auslegung des Arbeitsgerichts ist nicht zu beanstanden. Der Klägervertreter hat in dem Schreiben ausgeführt, der Kläger sei zwar grundsätzlich an einer Abwicklungsvereinbarung interessiert, „jedoch nicht um jeden Preis“ und auch „nicht im Ungewissen über die Höhe der Abfindung und der Modalitäten“. In seinem Fall solle die Abfindungssumme „vor Abschluss der Vereinbarung“ „fix“ feststehen, damit „sodann, wenn beiderseitig gewünscht die Vereinbarung unterzeichnet werden“ könne. So oder so sollte im Hinblick auf das erwartbare Ende des Beschäftigungsverhältnisses, die Abmahnung aus der Personalakte entfernt werden. Ferner sollte die Beklagte auch über eine Freistellung des Klägers unter Fortzahlung der dann jedoch genau zu benennenden Bezüge und unter Abgeltung der Urlaubsansprüche nachgedenken. Mit diesem Schreiben hat der Klägervertreter klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, dass der Kläger das Angebot der Beklagten in der unterbreiteten Form auf keinen Fall annimmt, sondern auf inhaltlichen Änderungen besteht. Er hat unmissverständlich erklärt, dass er einen Vertrag nur abschließen wolle, wenn die Abfindungssumme „fix feststeht“; „Im Ungewissen über die Höhe der Abfindung und der Modalitäten“ wolle er keine Vereinbarung unterzeichnen.
Nach der Ablehnung ihres Angebots war die Beklagte hieran nicht mehr gebunden. Diese rechtliche Konsequenz hat der Beklagtenvertreter in seiner E-Mail vom 24. Februar 2021 dem Klägervertreter mitgeteilt. Das ist weder treuwidrig noch sonst verwerflich, sondern entspricht den allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts. Gemäß § 146 BGB erlischt ein Angebot, wenn es dem Antragenden gegenüber abgelehnt wird. Insbesondere war die Beklagte nach der Ablehnung ihres Angebots vom 28. Januar 2021 vertragsrechtlich nicht verpflichtet, mit dem Kläger weiterzuverhandeln oder ihr ursprüngliches Angebot zu erneuern.
e) Der Kläger kann keine Abfindung aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz beanspruchen. Auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verlangt, dass ein Arbeitgeber, der Teilen seiner Arbeitnehmer freiwillig nach einem bestimmten erkennbaren generalisierenden Prinzip Leistungen gewährt, diese Gruppen mit anderen Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in gleicher oder vergleichbarer Lage befinden, gleichbehandelt. Untersagt ist ihm sowohl eine willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe als auch eine sachfremde Gruppenbildung. Der Gleichbehandlungsgrundsatz beschränkt die Gestaltungsmacht des Arbeitgebers. Wird er verletzt, muss der Arbeitgeber die von ihm gesetzte Regel entsprechend korrigieren. Der benachteiligte Arbeitnehmer hat Anspruch auf die vorenthaltene Leistung (st. Rspr., vgl. nur BAG 13.07.2022 – 5 AZR 412/21 – Rn. 30 mwN).
Lehnt ein Arbeitnehmer das an alle Arbeitnehmer gemachte Angebot des Arbeitgebers auf Abschluss eines (Änderungs-)Vertrags ab, scheidet eine Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes aus, weil die sich aus der Weigerung nunmehr ergebende Gruppenbildung hinsichtlich der in den Verträgen vorgesehenen Leistung nicht auf einer vom Arbeitgeber selbst aufgestellten Regel beruht (vgl. BAG 21.05.2014 – 4 AZR 50/13 – Rn. 27; vgl. auch BAG 21.09.2011 – 5 AZR 520/10 – Rn. 20; 14.12.2011 – 5 AZR 675/10 – Rn. 17 ff).
Im Streitfall hat die Beklagte den Anforderungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes genügt. Sie hat allen Arbeitnehmern, die von der beabsichtigten Betriebsstilllegung betroffen waren, auch dem Kläger, ein Angebot auf Abschluss einer Abwicklungsvereinbarung mit den gleichen abstrakten, generalisierenden Voraussetzungen für die Zahlung einer Abfindung unterbreitet. Insbesondere wurden Arbeitnehmer, die – wie der Kläger – arbeitsunfähig erkrankt waren, nicht vom Angebot ausgeschlossen. Der Kläger hat das Angebot der Beklagten – wie oben ausgeführt – abgelehnt. Die Ablehnung des Angebots erfolgte unabhängig vom Willen der Beklagten durch seine privatautonome Entscheidung gegen die Unterzeichnung der angetragenen Abwicklungsvereinbarung. Der Gewährung von Abfindungen nur an die Arbeitnehmer, die ihr Angebot auf eine Abwicklungsvereinbarung angenommen haben, liegt keine verteilende Entscheidung der Beklagten mehr zugrunde. Sie hat gegenüber den Arbeitnehmern, die ihr Angebot angenommen haben, lediglich die Ansprüche aus dem Vertrag erfüllt.
f) Es kann dahinstehen, inwieweit der von dem Kläger geltend gemachte Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB eine eigenständige Anspruchsgrundlage für die streitgegenständliche Forderung bilden würde, denn die Beklagte hat den Kläger nicht gemaßregelt.
Gemäß § 612 a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Die Beklagte hat den Kläger nicht benachteiligt, weil er arbeitsunfähig erkrankt war, sondern ihm – wie allen Arbeitnehmern – ein Abfindungsangebot nach den gleichen Kriterien unterbreitet. Deshalb kann offenbleiben, ob ein Arbeitnehmer, der unter Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Arbeit fernbleibt, iSv. § 612a BGB ein Recht ausübt (vgl. BAG 18.11.2021 – 2 AZR 229/21 – Rn. 31 mwN).
Der Kläger hat das Angebot der Beklagten – wie oben ausgeführt – mit Schreiben vom 5. Februar 2021 abgelehnt. In der Weigerung der Beklagten, dem Kläger ein neues Angebot zu unterbreiten oder mit ihm über die geforderte „fixe“ Abfindungssumme (von „wenigstens“ € 104.298,75 brutto) Verhandlungen aufzunehmen, liegt keine Maßregelung iSv. § 612 a BGB. Der Kläger hatte aufgrund der ihm zustehenden Vertragsfreiheit das Recht, den ihm von der Beklagten unterbreiteten Antrag auf Abschluss einer Abwicklungsvereinbarung mit den angeführten Konditionen abzulehnen. Die vom Kläger als benachteiligend empfundene Maßnahme der Beklagten hat ihren Grund nicht in der zulässigen Ablehnung ihres Angebots durch den Kläger, sondern in der Erfüllung der Abwicklungsvereinbarungen mit den Arbeitnehmern, die das Angebot angenommen hatten.
Die Beklagte hat den Kläger auch nicht deshalb gemaßregelt oder willkürlich schlechter gestellt, weil er am 11. Februar 2021 eine Kündigungsschutzklage erhoben hat. Der Kläger hat das Bestehen von Kündigungsgründen bestritten und sein Einverständnis mit einer einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses davon abhängig gemacht, dass ihm die Beklagte einen fixen Abfindungsbetrag anbietet. Noch in seinem erstinstanzlichen Klageerweiterungsschriftsatz vom 18. August 2021 führte der Prozessbevollmächtigte des Klägers aus, er habe „stets kommuniziert“, dass es ihm bezüglich der angebotenen Abfindung „auf konkrete Zahlen ankomme“. Die Forderung nach einer fixen Abfindungssumme bestätigte der Klägervertreter auch im Schriftsatz vom 7. Oktober 2021. Er verlangte, dass die Beklagte dem Kläger „ein konkretes Angebot mit konkreten Zahlen“ unterbreitet; auf ein „Almosen“ wollte er sich nicht einlassen.
Die Beklagte war nach Ablehnung ihres Angebots vom 28. Januar 2021 nicht (mehr) verpflichtet, dem Kläger eine Abfindung zu zahlen oder sich im Kündigungsschutzprozess auf Vergleichsverhandlungen einzulassen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sie in drei Rechtsstreitigkeiten mit anderen Arbeitnehmern gerichtliche Vergleiche abgeschlossen hat, mit dem Kläger hingegen nicht. Die Beklagte hat erstinstanzlich unwidersprochen vorgetragen, dass von 140 betroffenen Arbeitnehmern – einschließlich des Klägers – nur drei Kündigungsschutzklage erhoben haben. Der Gütetermin vor dem Arbeitsgericht im Rechtsstreit mit dem Arbeitnehmer R. (5 Ca 112/21) habe zeitgleich mit dem Gütetermin im vorliegenden Verfahren stattgefunden. Der Prozessbevollmächtigte des Arbeitnehmers R. habe einen Tag nach dem Gütetermin sein Einverständnis mit ihrem Vorschlag erklärt. Daraufhin sei nach § 278 Abs. 6 ZPO ein Vergleich protokolliert worden. Im Rechtsstreit mit dem Arbeitnehmer N. (5 Ca 86/21) habe noch nicht einmal ein Gütetermin stattgefunden. Es sei vielmehr gemäß § 278 Abs. 6 ZPO ein Vergleich auf der Basis ihres Vorschlags protokolliert worden. Der Arbeitnehmer H. habe ihr Abwicklungsangebot bereits Anfang Februar 2021 außergerichtlich akzeptiert und keine Kündigungsschutzklage erhoben. In dem Rechtsstreit mit H. (5 Ca 905/21) habe man vielmehr über die Berücksichtigung einer Zulage für eine vormalige Hausmeistertätigkeit bei der Berechnung der Abfindung gestritten.
Die Beklagte war nicht verpflichtet, mit dem Kläger im Kündigungsschutzprozess einen Abfindungsvergleich mit einer Abfindungssumme von „wenigstens“ € 104.298,75 brutto abzuschließen, weil sie sich in den drei anderen Rechtsstreiten mit den dortigen Klägern gütlich geeinigt hat. Es steht in der Dispositionsfreiheit der Parteien einen Rechtsstreit durch einen Vergleich zu beenden (vgl. BAG 25.02.2010 – 6 AZR 911/08 – Rn. 44 mwN). Der Grundsatz der Gleichbehandlung ist nicht anwendbar. Im Übrigen gilt: Stellt der Arbeitgeber nur einzelne Arbeitnehmer unabhängig von abstrakten Differenzierungsmerkmalen in Einzelfällen besser, können sich andere Arbeitnehmer hierauf zur Begründung gleichartiger Ansprüche nicht berufen (vgl. BAG 24.06.2015 – 7 AZR 541/13 – Rn. 62 mwN). Auch insoweit kann der Kläger keine Abfindung beanspruchen.
III.
Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.
Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.