Arbeitsgericht verhandelt über Wirksamkeit von Kündigung und Betriebsübergang.
Im Arbeitsgericht geht es um die Wirksamkeit einer Kündigung sowie den Betriebsübergang zwischen zwei Unternehmen. Der Arbeitnehmer hatte gegen eine ordentliche Kündigung geklagt und fordert nun eine Weiterbeschäftigung bei einem anderen Unternehmen. Der Arbeitgeber hingegen hat die Stilllegung seines Betriebs begründet und den Verkauf von Produktionsanlagen sowie den Wechsel zum Handel mit Extrusionsprofilen und Spritzgussteilen angeführt. Es stellt sich die Frage, ob ein Betriebsübergang stattgefunden hat oder nicht. Ein Betriebsrat bestand zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht. Die Sozialauswahl sei nicht durchzuführen, da die Tätigkeiten der in einem anderen Unternehmen verbliebenen Mitarbeiter unterschiedlich seien. Es läge kein einheitlicher Betrieb vor. Es sei auch nicht nachgewiesen, dass eine gemeinsame Nutzung von Betriebsmitteln infolge einer gemeinsamen Verbindung der Beklagten stattgefunden habe. Eine einheitliche Leitung sei ebenfalls nicht nachgewiesen worden.
Landesarbeitsgericht Thüringen – Az.: 2 Sa 267/20 – Urteil vom 26.08.2022
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl vom 10.07.2020 – 3 Ca 1746/19 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer von der Beklagten zu 1) ausgesprochenen ordentlichen Kündigung, über den Bestand des Arbeitsverhältnisses zur Beklagten zu 2) sowie Weiterbeschäftigung und über die Zahlung eines Nachteilsausgleiches.
Der am 07.12.1976 geborene, verheiratete und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit 03.05.1999 bei der Beklagten zu 1) als Maschinenführer beschäftigt. Er wurde ausweislich des Arbeitsvertrages vom 13.04.1999 (Bl. 320 ff. d. A.) „in der Filiale“ …. eingestellt. Eine örtliche Versetzungsklausel wurde arbeitsvertraglich nicht vereinbart.
Die Beklagte zu 1) war auf die Entwicklung und Herstellung von Extrusionsprofilen vor allem für die Polstermöbel- und Automobilindustrie spezialisiert. Sie führte in ….. eine Produktion mit elf Produktionslinien, die jeweils mit einem Extruder ausgestattet waren. Die Mitarbeiter des Vertriebsaußendienstes sowie die Direktionsassistentin …. und der Entwicklungsingenieur …. waren seit Anbeginn am weiteren Standort der Beklagten zu 1) in …. beschäftigt.
Die Beklagte zu 2) produziert in …. Kunststoffprofile für die Automobilindustrie und bedient eigene Kunden im Polstermöbelbereich. Die Produkte für den Möbelbereich kaufte die Beklagte zu 2) u. a. bei der Beklagten zu 1) ein.
Persönlich haftende Gesellschafterin der Beklagten zu 1) ist die Kunststofftechnik Geschäftsführungsgesellschaft mbH mit den Geschäftsführern ….. und …….. Kommanditistin der Beklagten zu 1) ist die Group GmbH mit den Geschäftsführen ….. und …….. Persönlich haftende Gesellschafterin der Beklagten zu 2) ist die …… mbH mit den Geschäftsführern ……. Kommanditistin ist die …… GmbH mit den Geschäftsführern … ……
Die ….. GmbH hat ihren Sitz in ……. Sie unterhält keine Produktion, sondern ist eine Verwaltungsgesellschaft, die Dienstleistungen für die Unternehmen, an denen sie beteiligt ist, erbringt.
Die Beklagten und weitere 13 ….. Gesellschaften nehmen im Rahmen einer Dienstleistungsvereinbarung („Service Agreement“) vom 23.11.2016 (Bl. 78 ff. d. A.) Dienstleistungen der …… …… GmbH in Anspruch.
Die Gesellschafterversammlung der Beklagten zu 1) fasste am 11. und 20. November 2019 die Beschlüsse (Bl. 31 ff. d. A.), den Sitz der Gesellschaft mit Wirkung zum 01.04.2020 von …….nach ……. zu verlegen, den Gegenstand des Unternehmens von einer Produktionsgesellschaft mit Handel und Vertrieb in eine ausschließliche Handels- und Vertriebsgesellschaft zu ändern und die Produktion in ……. einzustellen. Die Beklagte zu 1) wollte lt. des Gesellschafterbeschlusses vom 20. November 2019 die betrieblichen Abläufe, insbesondere im Bereich der Versendung der Fertigwaren, aufgrund geänderter Marktbedingungen ändern und hierzu das bei den Schwestergesellschaften innerhalb der Unternehmensgruppe am Standort ….. vorhandene Know-How nutzen, um die Produkte sinnvoller direkt am Hauptstandort …… herzustellen und sich der dort vorhandenen betrieblichen Struktur zu bedienen. Die geplante Umstrukturierung und Produktionsverlagerung hatte lt. des Beschlusses die Einstellung der gesamten Produktion am Standort …… und in der Gesellschaft zum 31. März 2020 zur Folge. Mit der Teilbetriebsschließung sollten die Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten der außerhalb des Vertriebes beschäftigten Mitarbeiter entfallen, der Vertrieb am Standort …… konzentriert und die Geschäftsverbindungen und Arbeitsverhältnisse der in der Produktion beschäftigten Mitarbeiter unter Einhaltung der Formalien zum nächstmöglichen Zeitpunkt beendet werden.
Die Beklagte zu 1) zeigte gegenüber der Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Suhl, die beabsichtigte Massenentlassung mit Schreiben vom 18.11.2019 (Bl. 691 ff. d. A.) an. Laut Antrag sollten von im Betrieb in der Regel 63 beschäftigten Arbeitnehmern, 57 Arbeitnehmer entlassen werden. Die Frage nach einer arbeitstechnischen Leitung im Betrieb wurde bejaht. Der Kläger ist in der Anlage zur Anzeige (Namensliste) unter der laufenden Nr. 25 aufgeführt. Die Bundesagentur für Arbeit teilte der Beklagte zu 1) mit Schreiben vom 27.11.2019 (Bl. 36 d. A.) mit, die Entlassungsanzeige sei am 19.11.2019 vollständig eingegangen, die angezeigten Entlassungen könnten bis zum 17.02.2020 vorgenommen werden.
Die Beklagte zu 1) beendete alle Arbeitsverhältnisse mit Ausnahme der Arbeitsverhältnisse der Vertriebsaußendienstmitarbeiter ….., ….. und ….., die am Standort ….. weiterbeschäftigt wurden. Sie kündigte den Mietvertrag über das Außenlager in ….. mit Schreiben vom 11.12.2019 zum 30.06.2020, stellte die Produktion in ….. zum 31.03.2020 ein und beräumte das Bürogebäude und die Produktionshalle. Sie verkaufte der Beklagten zu 2) zwei Schaum- und drei Standardtextruder mit den entsprechenden Folgeeinrichtungen und Zubehör. Streit besteht zwischen den Parteien, ob die vormals bei der Beklagten zu 1) an den Schaumextrudern beschäftigten Arbeitnehmer …. und …… deren Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zu 1) beendet wurde, nunmehr bei der Beklagten zu 2) beschäftigt sind.
Ein Betriebsrat bestand bei der Beklagten zu 1), anders als bei der Beklagten zu 2), zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht. Die Betriebsratswahl fand am 21.01.2020 statt. Der Wahlvorstand gab mit Schreiben vom 27.01.2020 die Namen der gewählten Betriebsratsmitglieder bekannt.
Der Kläger hat sich mit der am 10.12.2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage gegen die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses vom 28.11.2019 zum 30.06.2020 (Bl. 9 f. d. A.) gewandt und klageerweiternd hilfsweise den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses sowie die Weiterbeschäftigung bei der Beklagten zu 2) und wiederum hilfsweise die Zahlung eines Nachteilsausgleichs gesamtschuldnerisch durch die Beklagten geltend gemacht.
Der Kläger hat die soziale Rechtfertigung der Kündigung gerügt und sich hierzu insbesondere auf das Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebes berufen. Er hat die Auffassung vertreten, der Betrieb sei nicht der stillgelegt, sondern auf die Beklagte zu 2) in ….. übertragen worden. Dort könne er weiterbeschäftigt werden. Zudem sei die Sozialauswahl nicht ordnungsgemäß erfolgt. Diese hätte insbesondere mit den verbliebenen Vertriebsaußendienstmitarbeiter durchgeführt werden müssen. Zudem erweise sich die Kündigung wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung und nicht ordnungsgemäß erfolgter Massenentlassungsanzeige als unwirksam. Schließlich ergäbe sich die Unwirksamkeit der Kündigung aus § 613 a Abs. 4 S. 1 BGB.
Die Beklagten haben sich auf die Stilllegung des Betriebes der Beklagten zu 1) am Standort ….. berufen und geltend gemacht, sie produziere nicht mehr selbst, sondern habe die Produktion auf Dritte, so auch auf die Beklagte zu 2), ausgelagert. Ein Betriebsübergang habe nicht stattgefunden. Ein gemeinsamer Betrieb bestehe nicht.
Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vortrags der Parteien und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (Bl. 551 ff. d.A.) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Der Beklagte habe zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die unternehmerische Entscheidung getroffen, den Gegenstand des Unternehmens auf den Handel mit Extrusionsprofilen und Spritzgussteilen aus thermoplastischen Kunststoffen zu ändern und die Produktion am Standort …… und in der Gesellschaft zum 31.03.2020 einzustellen. An der Ernsthaftigkeit dieses Beschlusses bestünden keine Zweifel. Schließlich habe die Beklagte die Entscheidung umgesetzt und jegliche Produktion in …… mit Ablauf des 31.03.2020 beendet und am Standort ….. keine Produktion aufgenommen. Eine Sozialauswahl sei nicht durchzuführen. Die in ….. verbliebenen Mitarbeiter des Vertriebsaußendienstes seien wegen der unterschiedlichen Tätigkeiten nicht vergleichbar. Darüber hinaus scheitere eine Sozialauswahl mit den in ….. verbliebenen Mitarbeitern der Beklagten zu 1) an dem vertraglich vereinbarten Arbeitsort …… Eine Sozialauswahl mit den Arbeitnehmern der Beklagten zu 2) scheide aus, da kein einheitlicher Betrieb vorliege. Der Kläger habe zu einem charakteristisch arbeitgeberübergreifenden Personaleinsatz nicht substantiiert vorgetragen. Der von ihm behauptete ständige Austausch von Arbeitnehmern sei nicht substantiiert dargelegt. Im Hinblick auf den Einsatz von neun Mitarbeitern im Zeitraum vom 03.02.2020 – 21.02.2020 habe die Beklagte substantiiert unter Vorlage von Rechnungen belegt und bewiesen, dass es sich um einen anlassbezogenen Einsatz von Fremdarbeitnehmern aufgrund des hohen Krankenstandes bei der Beklagten zu 1) nach Ausspruch der Kündigungen gehandelt habe. Die Tatsache, dass vereinzelt Werkzeuge nach ….. zur Beklagten zu 2) verbracht worden seien, belege keinen gemeinsamen Betrieb. Es sei nicht dargelegt und bewiesen, dass dies dauerhaft und nicht, wie die Beklagte behaupte, für einzelne Aufträge zur Abarbeitung von Auftragsspitzen erfolgt sei. Dieser Vortrag der Beklagten zu 1) werde durch die E-Mail der Frau ….., der zu entnehmen sei, dass die WG-Verlagerung 17202 und 4872 erfolgt sei, um die Produktion bei der Beklagten zu 1) zu entlasten und die Kunden schnell beliefern zu können, bestätigt. Eine gemeinsame Nutzung von Betriebsmitteln infolge gemeinsamer Verbindung der Beklagten sei damit gerade nicht belegt. Eine einheitliche Leitungsmacht ergäbe sich auch nicht daraus, dass die ….. …. GmbH die Buchhaltung, Einkauf, Human Resources, IT und das Marketing für die Beklagten übernehme und Schulungen organisiere. Dies sei Ausdruck unternehmerischer Zusammenarbeit und werde durch das Service Agreement belegt. Für die Behauptung, die ….. GmbH übe den Kern der Arbeitgeberfunktionen aus, fehle substantiierter Vortrag. Es sei nicht dargelegt, welche Arbeitnehmer ohne Beteiligung der Personalabteilung der Beklagten zu 1) in Person der Frau …… und der in dem jeweiligen Bereich zuständigen Mitarbeiter z. B. eingestellt worden sei. Die Inanspruchnahme der Frau ….. von der …… GmbH sei im Rahmen von Dienstleistungen nach dem Service Agreement möglich, ohne, dass damit auf eine einheitliche Leitung zu schließen sei. Beratungs- und Unterstützungsleistungen der ….. GmbH im Personalbereich begründeten keine einheitliche Leitung. Schließlich spreche auch die weite räumliche Entfernung zwischen …. und ….. gegen einen einheitlichen Betrieb. Der Vorrang der Änderungskündigung führe ebenfalls nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, da die Beklagte zu 1) in ….. keine Produktion mehr habe. Die Massenentlassungsanzeige sei ordnungsgemäß erfolgt. Das Arbeitsverhältnis sei nicht im Wege des Betriebsübergangs auf die Beklagte zu 2) übergegangen. Hier seien Betriebsmittel in Form von drei Standardextrudern und zwei Schaumextrudern auf die Beklagte zu 2) übertragen und in deren Organisationsstruktur eingegliedert worden. Dies stelle keinen Betriebsteilübergang dar, da hierin keine Wahrung der bisherigen wirtschaftlichen Einheit zu sehen sei. Die Behauptung des Klägers, sämtliche Betriebsmittel seien nach …… gebracht worden, weil eine einheitliche Leitungsmacht bestehe, die dies möglich mache, sei unsubstantiiert und angesichts der von der Beklagten vorgelegten Rechnungen über Maschinenverkäufe an die ……. und der ……. ins Blaue hinein ohne konkreten Sachvortrag erfolgt. Ebenso habe der Kläger nicht dargelegt, dass die Beklagte zu 2) einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil der Belegschaft der Beklagten zu 1) übernommen habe, welche konkreten Kunden oder welches Know-How und Good-Will übernommen worden sein soll. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 443 ff. d. A.) verwiesen.
Der Kläger hat gegen das ihm am 21.07.2020 zugestellte Urteil am 11.08.2020 Berufung eingelegt und die Berufung am 19.10.2020 begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist auf den am 16.09.2020 eingegangenen Antrag bis zum 21.10.2020 verlängert worden war.
Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Er bestreitet die unternehmerische Entscheidung zur Einstellung der Produktion und meint insbesondere, dem Arbeitsgericht hätte sich angesichts des Mitarbeiteraustauschs, der Fortführung des Handels mit Extrusionsprofilen und Spritzgussteilen und der Fortführung der Produktion in ……. aufdrängen müssen, dass die Umstrukturierung nur vorgetäuscht sei.
Der Kläger ist der Auffassung, das Arbeitsgericht hätte seinen erstinstanzlichen Vortrag zum gemeinsamen Betrieb nicht als unzulässige Ausforschung betrachten dürfen. Er habe umfangreich zur wechselseitigen Nutzung von Personal und Maschinen vorgetragen. Auch er sowie seine Kollegen …., …. und ….. hätten in ….. gearbeitet. …… sei Schichtleiter der Beklagten zu 2) und übe das Direktionsrecht gegenüber den Mitarbeitern der Beklagten zu 1) aus. Er habe sowohl für den Standort …., als auch für den Standort ….. Maßnahmenkataloge erarbeitet und durchgeführt und für die Zielvorgaben beider Betriebe verantwortlich gezeichnet. Zudem habe ein Teamleiteraustausch beider Werke stattgefunden. Außerdem verkenne das Arbeitsgericht, dass eine Personalabteilung bei der Beklagten zu 1) in Person der Frau ….. nie existiert habe. Die Einstellungen und Entlassungen seien durch die ….. GmbH, Frau ……, erfolgt. Überdies habe der Geschäftsführer der Beklagten zu 1), …., der Mitarbeiterin ….. eine Stelle bei der Beklagten zu 2) im Versand in ….. angeboten. Es habe sich hierbei um eine Stellenausschreibung mit handschriftlichen auf Frau ….. zugeschnittenen Vermerken gehandelt.
Der Kläger geht davon aus, die Beklagte hätte, da ein gemeinsamer Betrieb vorliege, die Sozialauswahl nicht auf die Mitarbeiter in …. beschränken dürfen. Da in …. mit den Maschinen der Beklagten zu 1) weiter produziert werde, hätte die Beklagte eine entsprechende Sozialauswahl mit den Mitarbeitern in …. durchführen müssen. Das Urteil sei auch rechtsfehlerhaft, soweit das Arbeitsgericht auf das Fehlen eines Versetzungsvorbehaltes abstelle. Es habe insoweit seinen Sachvortrag zu faktischen Handhabung des Einsatzes der Mitarbeiter rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt.
Der Kläger meint nach wie vor, die Massenentlassungsanzeige sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Er macht insbesondere geltend, die Beklagte hätte die Massenentlassung auch bei der für ….. zuständigen Agentur für Arbeit anzeigen müssen.
Schließlich rügt der Kläger, andere Einsatzmöglichkeiten, auch im Rahmen einer Änderungskündigung, seien nicht geprüft worden.
Der Kläger beantragt:
1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl vom 10.07.2020, Az. 3 Ca 1746/19, wird abgeändert.
2. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 28.11.2019 zum 30.06.2020 beendet worden ist.
3. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 28.11.2019 auch nicht hilfsweise zum nächstmöglichen Termin beendet worden ist.
Hilfsweise wird beantragt:
4. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger spätestens mit Wirkung zum 01.07.2020 auf die Beklagte zu 2) übergeht und mit dieser zu unveränderten Arbeitsbedingungen des Arbeitsvertrages mit der Beklagten zu 1) fortbesteht.
5. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, den Kläger zu den Bedingungen des Arbeitsvertrages mit der Beklagten zu 1) zum 01.07.2020 weiterzubeschäftigen.
6. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, das Angebot des Klägers auf Abschluss eines Arbeitsvertrages zu den bisherigen Arbeitsbedingungen des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten zu 1) unter Anrechnung der Betriebszugehörigkeit des Klägers seit dem 03.05.1999 anzunehmen.
Hilfsweise wird beantragt:
7. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger einen Nachteilsausgleich zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird,
mindestens jedoch EUR 32.609,75 € brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit 15.05.2020.
Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagten verteidigen das erstinstanzliche Urteil. Sie treten dem Vorbringen des Klägers in der Berufung entgegen und berufen sich insbesondere darauf, die Beklagte zu 1) habe ihre Produktion zum 31.03.2020 eingestellt. Ein gemeinsamer Betrieb ergäbe sich auch nicht aus der Stellung des Herrn ….. als einer der beiden Geschäftsführer der Kommanditistin und der Komplementärin der Beklagten zu 1). ….. sei selbstständiger Mitarbeiter im Facility-Management und habe am 25.06.2007 sein Gewerbe angemeldet. Er sei weder Schichtleiter noch anderweitig abhängig angestellt. Er sei mithin weder Personal, noch werde er in diesem Zusammenhang übergreifend eingesetzt. Sofern Mitarbeiter, zB. Herr …., vereinzelt nach ….. gereist seien, um für die Beklagte zu 1) die Abnahme von bestellten Maschinen bei der Beklagten zu 2) nach Fertigstellung vor Ort durchzuführen, sei die Abnahme und Abholung im Rahmen einer Holschuld bei dem Verkäufer in …. im Namen der Beklagten zu 1) erfolgt. Solche Dienstreisen stünden nicht im Zusammenhang mit einem übergreifenden Personaleinsatz. Einstellungen und Entlassungen erfolgten nicht durch die ….. GmbH. Die Personalhoheit habe jederzeit bei der Beklagten zu 1) gelegen. Sofern die Beklagte zu 1) gegen Kostenrechnungen Dienstleistungen oder Assessmentcenter anderer Unternehmen genutzt habe, sei die Personalhoheit davon nicht berührt. Zu keinem Zeitpunkt seien Arbeitnehmer ohne Beteiligung der Personalabteilung der Beklagten zu 1) eingestellt worden. Der Geschäftsführer ….. habe auch kein annahmefähiges Stellenangebot im Namen Dritter gegenüber Frau …. unterbreitet. Die Stellen seien öffentlich ausgeschrieben worden. Herr ….. habe die offenen Stellen lediglich mitgeteilt. Ein Bewerbungsverfahren hätte mithin dennoch stattfinden müssen. Die Kündigung scheitere auch nicht an der Sozialauswahl. Die Beklagte zu 1) beschäftige lediglich drei Vertriebsmitarbeiter im Außendienst weiter. Der Kläger habe keinerlei Vertriebs- und Außendiensterfahrung. Eine Umschulung sei nicht ohne weiteres möglich. Ferner sei es der Beklagten zu 1) mangels Versetzungsvorbehalt rechtlich nicht möglich, den Kläger einseitig nach ….. zu versetzen. Der Kläger sei in der Vergangenheit auch nicht anderorts eingesetzt worden. Die Beklagten gehen von einer ordnungsgemäßen Massenentlassungsanzeige aus. Insbesondere habe die Beklagte zu 1) völlig richtig die örtlich zuständige Agentur für Arbeit in Suhl und nicht in Rheine einbezogen. Die Produktionsstätte der Beklagten zu 1) in ….. stelle einen Betrieb iSd. MERL und damit des § 17 KSchG dar.
Wegen des Weiteren Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der im Berufungsrechtszug zur Akte gereichten Schriftsätze und die in der Verhandlung am 11.08.2022 zu Protokoll gegebenen Erklärungen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die nach dem Beschwerdegegenstand an sich statthafte, form- sowie fristgerecht eingelegte und damit insgesamt zulässige Berufung ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Das Arbeitsgericht hat die Klage zurecht abgewiesen.
I. Die Kündigungsschutzklage ist unbegründet. Die Kündigung der Beklagten zu 1) vom 28.11.2019 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis zum 30.06.2020 aufgelöst.
1. Die Kündigung ist nicht sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 KSchG.
a) Die Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt.
aa) Dringende betriebliche Erfordernisse iSv § 1 Abs. 2 KSchG liegen vor, wenn die Umsetzung einer unternehmerischen Entscheidung spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist zu einem voraussichtlichen dauerhaften Wegfall des Bedarfs an einer Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers führt. Die Stilllegung des gesamten Betriebs oder eines Betriebsteils zählt zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen, die einen Grund zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung abgeben können. Der Arbeitgeber ist allerdings nicht gehalten, eine Kündigung wegen Betriebs(teil)stilllegung erst nach deren Durchführung auszusprechen. Neben der Kündigung wegen erfolgter Stilllegung kommt auch eine Kündigung wegen beabsichtigter Stilllegung in Betracht. Erfolgt die Kündigung wegen beabsichtigter Stilllegung ist erforderlich, dass der Arbeitgeber im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung den ernsthaften und endgültigen Entschluss gefasst hat, den Betrieb bzw. Betriebsteil endgültig stillzulegen. Darüber hinaus muss die künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse im Kündigungszeitpunkt bereits greifbare Formen angenommen haben. Solche greifbaren Formen liegen vor, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung aufgrund einer auf Tatsachen gestützten vernünftigen betriebswirtschaftlichen Betrachtung davon auszugehen ist, zum Zeitpunkt des Kündigungstermins sei mit einiger Sicherheit der Eintritt des die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes gegeben (BAG 27. Februar 2020 – 8 AZR 215/19 – juris mwN).
bb) Das ist hier der Fall.
(1) Die Beklagte zu 1) hat ausweislich der Beschlüsse der Gesellschafterversammlung vom 11.11.2019 und 20.11.2019 die Entscheidung getroffen, den Gegenstand des Unternehmens von einer Produktions- in eine Handels- und Vertriebsgesellschaft zu ändern, die gesamte Produktion zum 31.03.2020 am Standort …… und in der Gesellschaft einzustellen, die Geschäftsverbindungen (Miet-, Pacht-, Leasing-, Lieferverträge, etc.) zu kündigen und die Arbeitsverhältnisse der in der Produktion beschäftigten Mitarbeiter zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu beenden. An der Ernsthaftigkeit der Stilllegungsabsicht bestehen, auch unter Berücksichtigung der vom Kläger vorgebrachten Einwände, keine Bedenken. Die Beklagte hat die Beschlüsse in Kopie und paginiert vorgelegt. Einen Fälschungseinwand hat der Kläger nicht erhoben und auch nicht behauptet, die entsprechenden Personen seien bei der Beschlussfassung nicht anwesend gewesen oder hätten einen entsprechenden Beschluss nicht gefasst. Der Ernsthaftigkeit der Stilllegungsabsicht steht weder die Weiterbeschäftigung der Vertriebsaußendienstmitarbeiter …., …. und …, noch die Mitteilung der Beklagten zu 1) an ihre Kunden im November 2019, aus der sich ergibt, dass die Bestellungen weitergehen, entgegen. Der Kläger verkennt dabei, dass nicht der gesamte Betrieb der Beklagten zu 1), sondern nur die Produktion, stillgelegt und der Betrieb als Handels- und Vertriebsgesellschaft mit Sitz in ….. weitergeführt werden sollte.
(2) Die beabsichtigte Stilllegung hatte zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bereits greifbare Formen angenommen. Die Beklagte zu 1) hatte eine Massenentlassungsanzeige erstattet und sämtliche Arbeitsverhältnisse der in der Produktion beschäftigten Mitarbeiter gekündigt. Kurz darauf wurde am 11.12.2019 das Mietverhältnis des Außenlagers ….. gekündigt. Schließlich wurde die Produktion unstreitig zum 31.03.2020 eingestellt und die Betriebsstätte am Standort …. aufgegeben. Sofern der Kläger einwendet, in … werde weiterproduziert, trifft dies zu, jedoch bei der Beklagten zu 2) und nicht bei der Beklagten zu 1).
b) Die Kündigung erweist sich auch nicht wegen fehlerhafter Sozialauswahl als sozial ungerechtfertigt.
aa) Eine Sozialauswahl war entbehrlich, da sämtliche in der Produktion beschäftigte Arbeitnehmer entlassen wurden. Andere mit dem Kläger vergleichbare Mitarbeiter gab es nicht.
bb) Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Sozialauswahl hätte sich auf die bei der Beklagten zu 1) verbliebenen Vertriebsaußendienstmitarbeiter in …. erstrecken müssen.
(1) Diese Arbeitnehmer sind mit dem Kläger nicht vergleichbar. Sie üben eine völlig andere Tätigkeit aus. Umstände, die gleichwohl eine Vergleichbarkeit begründen, hat der Kläger nicht vorgetragen.
(2) Überdies steht der Sozialauswahl mit den in …. verbliebenen Vertriebsaußendienstmitarbeitern entgegen, dass der Kläger ausweislich des Arbeitsvertrages in der „Filiale ….“ eingestellt wurde. Die Parteien haben damit ….. als Arbeitsort festgelegt. Einen vertraglichen Versetzungsvorbehalt haben sie nicht vereinbart. Ein solcher wurde auch nicht konkludent begründet. Der Kläger hat zu dem behaupteten Einsatz in …. keinen substantiierten Vortrag gehalten.
cc) Aus diesem Grund ist auch eine Sozialauswahl mit den Mitarbeitern der Beklagten zu 2) in …. nicht durchzuführen. Zudem käme eine Sozialauswahl mit den Mitarbeitern der Beklagten zu 2) nur bei Vorliegen eines gemeinsamen Betriebes in Betracht. Das ist hier jedoch nicht der Fall.
(1) Ein Betrieb kann von mehreren Arbeitgebern als gemeinsamer Betrieb geführt werden. Von einem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen ist auszugehen, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen einheitlichen technischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird. Die beteiligten Unternehmen müssen sich zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben. Die einheitliche Leitung muss sich auf die wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in personellen und sozialen Angelegenheiten erstrecken. Eine lediglich unternehmerische Zusammenarbeit genügt nicht. Vielmehr müssen die Funktionen des Arbeitgebers institutionell einheitlich für die beteiligten Unternehmen wahrgenommen werden. Für die Frage, ob der Kern der Arbeitgeberfunktion in sozialen und personellen Angelegenheiten von derselben institutionalisierten Leitung ausgeübt wird, ist vor allem entscheidend, ob ein arbeitgeberübergreifender Personaleinsatz praktiziert wird, der charakteristisch für den normalen Betriebsablauf ist (BAG 22. Juni 2005 – 7 ABR 57/04 – juris mwN).
(2) Das ist hier nicht der Fall. Nach diesen Grundsätzen bilden weder die Beklagten zu 1) und 2) noch die Beklagten unter Führung der …… GmbH einen gemeinsamen Betrieb. Die erkennende Kammer folgt insoweit den zutreffenden Gründen in der angefochtenen Entscheidung (Seiten 9 und 10) und sieht gem. § 69 Abs. 2 ArbGG zur Vermeidung von Wiederholungen von der Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Das zweitinstanzliche Vorbringen des Klägers rechtfertigt keine andere Beurteilung der Rechtslage. Im Hinblick auf die Berufungsbegründung sind lediglich folgende Ausführungen veranlasst: Das Arbeitsgericht hat den erstinstanzlichen Vortrag des Klägers, insbesondere zur Wahrnehmung der Arbeitgeberfunktion, zur gemeinsamen Nutzung der Betriebsmittel, der Software, der Lizenzen etc., zum Mitarbeiteraustausch, zur „Entkräftung“ des Service Agreements und zur Funktion der Mitarbeiterin Personal ……. zutreffend als unzureichend angesehen und die dem Kläger obliegende Darlegungs- und Beweislast nicht überspannt. Ein gemeinsamer Betrieb ergibt sich auch nicht aus dem weiteren Vortrag des Klägers in der Berufung, wie z.B. den Darlegungen des Klägers zum gesellschaftsrechtlichen „Durchgriff “ der Familie ….. und zur Funktion des Schichtleiters …… Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, der Geschäftsführer ….. habe der ehemaligen Mitarbeiterin der Beklagten zu 1) ….. Anfang Dezember 2019 ein Stellenangebot bei der Beklagten zu 2) im Versand in ….. unterbreitet. Das lässt nicht den Schluss auf eine gemeinsame Führungsvereinbarung der Beklagten zu. Der Beklagten zu 1) kann in diesem Zusammenhang nicht zum Nachteil gereichen, dass sie sich um eine Weiterbeschäftigung ihrer Mitarbeiter bemüht, zumal der Arbeitgeber im Fall der Vereinbarung eines konzernweiten Versetzungsrechts zur Vermeidung einer Kündigung sogar verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz in einem anderen Konzernunternehmen anzubieten.
c) Die Beklagte zu 1) konnte den Kläger auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz weiter beschäftigen.
aa) Anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten sind bei der Beklagten zu 1) nicht vorhanden. Die Betriebsstätte in …. wurde stillgelegt. In …. gab es keine freien Arbeitsplätze.
bb) Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, er hätte in …. bei der Beklagten zu 2) weiter arbeiten können. Denn die Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung ist unternehmensbezogen und, da die Beklagten keinen gemeinsamen Betrieb unterhalten, auf die Beklagte zu 1) beschränkt.
3. Die Kündigung erweist sich nicht wegen unterbliebener Betriebsratsanhörung als rechtsunwirksam.
a) Ein Betriebsrat bestand bei der Beklagten zu 1) zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht.
b) Entgegen der Auffassung des Klägers war der bei der Beklagten zu 2) gebildete Betriebsrat mangels Vorliegen eines gemeinsamen Betriebes nicht zu beteiligen. Unabhängig hiervon wäre der Betriebsrat der Beklagten zu 2) selbst im Fall eines gemeinsamen Betriebes für die Beklagte zu 1) nicht zuständig, da die Betriebsstätte der Beklagten zu 1) in ….. nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG einen selbstständigen Betrieb darstellt.
4. Die Kündigung ist auch nicht gem. § 613 a Abs. 4 BGB unwirksam.
Ein Betriebs(teil)übergang liegt nicht vor. Das hat das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt. Es fehlt an einem identitätswahrenden Übergang des Produktionsbetriebes als wirtschaftliche Einheit von der Beklagten zu 1) auf die Beklagte zu 2). Zur Vermeidung von Wiederholung wird insoweit auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts in den Gründen (Seiten 10 und 11) des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen, denen sich die erkennende Kammer anschließt. Nicht relevant ist in diesem Zusammenhang, ob die vormals bei der Beklagten zu 1) angestellten Arbeitnehmer … und …. nunmehr bei der Beklagten zu 2) an denselben Maschinen beschäftigt werden. Denn damit hat die Beklagte zu 2) weder einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals, noch eine funktionell verknüpfte (Wechselbeziehung Maschinen und Personal) übergangsfähige Einheit, deren Eingliederung in die fremde bei der Beklagten zu 2) bestehende Organisationsstruktur einem Betriebsübergang nicht entgegenstünde, übernommen.
5. Die Kündigung ist nicht nach § 17 Abs. 1 KSchG i.V.m. § 134 BGB wegen fehlerhafter Massenentlassungsanzeige unwirksam.
a) Die Massenentlassung wurde bei der für die Beklagte zu 1) in …. örtlich zuständigen Agentur für Arbeit Suhl angezeigt.
aa) Die Anzeigepflichten des Arbeitgebers nach § 17 Abs. 1 – 3 KSchG knüpfen ebenso wie Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Unterabs. i der Richtlinie 98/59/EG, auf dessen Umsetzung § 17 Abs. 1 S. 1 KSchG gerichtet ist, an den Betrieb an. Zentraler Bezugspunkt des Massenentlassungsschutzes ist damit der Betriebsbegriff. Der in der Richtlinie 98/59/EG selbst nicht definierte Begriff „Betrieb“ ist ein unionsrechtlicher Begriff. Sein Inhalt kann nicht anhand der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestimmt werden. Er ist daher in der Unionsrechtsordnung autonom und einheitlich vom Gerichtshof und losgelöst von den nationalen Begrifflichkeiten auszulegen. Für die Definition des Betriebs im Bereich des Massenentlassungschutzes kann darum nicht auf den Gehalt des Betriebsbegriffs des Kündigungsschutzgesetzes oder des Betriebsverfassungsgesetzes abgestellt werden. Der Begriff „Betrieb“ ist dahin auszulegen, dass er nach Maßgabe der Umstände die Einheit bezeichnet, der die von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer Aufgaben angehören. Es muss sich um eine unterscheidbare Einheit von einer gewissen Dauerhaftigkeit und Stabilität handeln, die zur Erledigung einer oder mehrerer bestimmter Aufgaben bestimmt ist und über eine Gesamtheit von Arbeitnehmern sowie über technische Mittel und eine organisatorische Struktur zur Erfüllung dieser Aufgaben verfügt. Da die Richtlinie 98/59/EG die sozioökonomischen Auswirkungen betrifft, die Massenentlassungen in einem bestimmten örtlichen Kontext und einer bestimmten sozialen Umgebung hervorrufen können, muss die fragliche Einheit weder rechtliche noch wirtschaftliche, finanzielle, verwaltungsmäßige oder technologische Autonomie besitzen, um als „Betrieb“ iSd. Richtlinie 98/59/EG qualifiziert werden zu können. Der Betrieb iSd. Richtlinie 98/59/EG muss darum auch keine Leitung haben, die selbstständig Massenentlassungen vornehmen kann. Vielmehr reicht es aus, wenn eine Leitung besteht, die die ordnungsgemäße Durchführung der Arbeit und die Kontrolle des Gesamtbetriebs der Einrichtungen der Einheit sowie die Lösung technischer Probleme im Sinne einer Aufgabenkoordinierung sicherstellt (BAG 27. Februar 2020 – 8 AZR 215/19 – aaO mwN).
bb) Diese Voraussetzungen liegen bei der Betriebsstätte der Beklagten zu 1) in ….. zweifelsfrei vor. In …. wurden Extrusionprofile entwickelt und hergestellt. Nach dem Vortrag der Beklagten verfügte der Betrieb in …. über die Bereiche Produktion, Logistik, Schlosserei, Qualitätssicherung sowie einen Personal- und Verwaltungskomplex. Es gab eine eigene Fertigungsleitung, ….., eine eigene Personalorganisation, ……, eigene Team- und Schichtleitungen, eigene Logistik- und Versandorganisation, eigenes Rohmaterial-Management u.a. Betriebsleiter war bis 2019 Herr ……. Nach dessen Ausscheiden entschied die Beklagte, keinen Nachfolger, sondern den Geschäftsführer …… als Ansprechpartner einzusetzen. Da ihm das technische Wissen fehlte, wurde er von ….. als technischen Direktor im Rahmen externer Dienstleistung durch die …… GmbH unterstützt.
b) Die Massenentlassungsanzeige erfolgte auch in der gem. § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG gebotenen Schriftform. Für die vom Kläger verlangte Vorlage des Originals besteht keine Anspruchsgrundlage. Ein Fälschungseinwand wurde nicht erhoben. Soweit der Kläger bestreitet, die Anzeige sei am 19.11.2019 bei der Agentur für Arbeit eingegangen, wird auf das Schreiben der Bundesagentur für Arbeit vom 27.11.2019 verwiesen, mit dem der vollständige Eingang der Entlassungsanzeige am 19.11.2019 bestätigt wurde.
c) Der Kläger erhebt auch inhaltlich keine tragfähigen Beanstandungen. Die Anzeige enthält alle zwingenden Angaben nach § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG sowie die Sollangaben nach § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG. Der Kläger ist in der Anlage zur Anzeige unter der laufenden Nr. 25 aufgeführt. Die Vorlage einer „ungeschwärzten Namensliste“ kann er nicht verlangen. Zudem ist davon auszugehen, dass der Kläger an diesem Einwand nicht mehr festhält, nachdem ihm die Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 11.08.2022 die Möglichkeit der Einsicht eingeräumt hat.
6. Die Kündigung verstößt nicht gegen Treu und Glauben.
a) Der Grundsatz von Treu und Glauben in § 242 BGB bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung. Eine gegen diesen Grundsatz verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage ist wegen der darin liegenden Rechtsüberschreitung als unzulässig anzusehen. Die Vorschrift des § 242 BGB ist aber auf Kündigungen neben § 1 KSchG nur in beschränktem Umfang anwendbar. Das Kündigungsschutzgesetz hat die Voraussetzungen und Wirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben konkretisiert und abschließend geregelt, soweit es um den Bestandsschutz und das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes geht. Eine Kündigung verstößt deshalb nur dann gegen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glauben aus Gründen verletzt, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind (BAG 5. Dezember 2019 – 2 AZR 107/19 – NZA 2020, 171-173 mwN).
b) Solche Gründe hat der Kläger nicht dargelegt. Es bestehen auch sonst keine Anhaltspunkte dafür, die Kündigung verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.
7. Die Kündigung erweist sich auch nicht wegen der Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes als unwirksam. Der Kläger hat keine der Tatsachen dargelegt, aus denen sich ergibt, die Beklagte habe mit Ausspruch der Kündigung den arbeitsrechtlichen oder allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt. Ein solcher Verstoß ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beklagte den Kollegen des Klägers deutlich höhere Abfindungen gezahlt hat. Weitere Ausführungen erübrigen sich.
II. Die gegen die Beklagte zu 2) auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und Weiterbeschäftigung gerichteten Hilfsanträge zu 5. und 6. sind unbegründet. Ein Betriebs(teil)übergang auf die Beklagte zu 2) fand nicht statt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen in I. 4. verwiesen. Bereits aus diesem Grund konnte das zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) bestehende Arbeitsverhältnis nicht auf die Beklagte zu 2) übergehen. Der Anspruch auf Weiterbeschäftigung ist mangels eines zur Beklagten zu 2) bestehenden Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen.
III. Der zu 6. gestellte Hilfsantrag ist ebenfalls unbegründet. Es erschließt sich bereits nicht, welches Angebot die Beklagte zu 2) annehmen soll, geschweige denn, auf welcher Grundlage.
IV. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs.
1. Der Anspruch gegen die Beklagte zu 1) scheitert am Bestehen eines Betriebsrates.
a) Der Arbeitnehmer hat nach § 113 Abs. 3 BetrVG Anspruch auf Zahlung einer Abfindung, wenn der Unternehmer eine geplante Betriebsänderung nach § 111 BetrVG durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben. Zwingende Voraussetzung für die Auslösung der Beteiligungsrechte gem. § 111 ff. BetrVG ist grundsätzlich das Bestehen eines Betriebsrates in dem von der Maßnahme betroffenen Betrieb. Maßgebend für das Bestehen eines Betriebsrates ist der Zeitpunkt, zu dem sich der Unternehmer zu einer Betriebsänderung entschließt. Wird der Betriebsrat erst gewählt, nachdem der Unternehmer schon mit der Betriebsänderung begonnen hat, stehen ihm keine Beteiligungsrechte hinsichtlich dieser Betriebsänderung mehr zu. Dies gilt auch dann, wenn dem Unternehmer im Zeitpunkt seines Beschlusses bekannt war, dass ein Betriebsrat gewählt werden soll (BAG 28. Oktober 1992 – 10 ABR 75/91 – juris mwN).
b) Hier wurde der Betriebsrat erst gewählt, nachdem die Beklagte zu 1) die Betriebsänderung bereits beschlossen und mit der Betriebsänderung begonnen hatte. Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich besteht daher nicht.
c) Der bei der Beklagten zu 2) gebildete Betriebsrat war für die Verhandlungen über einen Interessenausgleich mangels Vorliegen eines gemeinsamen Betriebes, und unabhängig hiervon auch nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, nicht zuständig. Auf die Ausführungen in I. 3. b) wird verwiesen.
2. Ein Anspruch auf Nachteilsausgleichs gegen die Beklagte zu 2) besteht bereits deshalb nicht, weil zu dieser kein Arbeitsverhältnis bestand und ein gemeinsamer Betrieb nicht vorliegt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.