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Betriebsteilübergang durch Produktionsverlagerung innerhalb eines Konzerns

LAG Berlin-Brandenburg, Az.: 6 Sa 1998/12, Urteil vom 15.03.2013

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Neuruppin vom 09.08.2012 – 3 Ca 1498/11 – im Kostenausspruch und insoweit geändert, wie es die Beklagte zur Erteilung eines Zeugnisses verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen hat.

2. Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.09.2011 nicht aufgelöst worden.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu den im Arbeitsvertrag geregelten Bedingungen als Leiter von Fertigungssteuerung, Montagelinien, Mechanischer Baugruppenfertigung und Musterbau weiterzubeschäftigen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben bei einem Streitwert von 25.389,44 € der Kläger zu 6,98 % und die Beklagte zu 93,02 % zu tragen, während die Kosten der Berufungsinstanz der Beklagten allein auferlegt werden.

5. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand

Der am …..1956 geborene, schwerbehinderte Kläger trat am 01.07.1987 in die Dienste der Beklagten. Diese führt mit einer Schwestergesellschaft, der F. Vertrieb und Service GmbH (FP VS), in Birkenwerder einen gemeinsamen Betrieb. Dort wurde der Kläger zuletzt im Betriebsteil Produktion als Abteilungsleiter der Mechanischen Baugruppenfertigung eingesetzt. Zusätzlich leitete er den Musterbau, den Montagebereich und die Fertigungssteuerung und war auch für Lager und Wareneingang zuständig.

Betriebsteilübergang durch Produktionsverlagerung innerhalb eines Konzerns
Symbolfoto: GeorgeRudy/Bigstock

Mit Schreiben vom 26.02.2011 (Abl. Bl. 70 – 77 GA) forderte die Beklagte den Betriebsrat zu Gesprächen über einen Interessenausgleich und Sozialplan im Hinblick auf die geplante Schließung des Produktionsstandorts Birkenwerder auf. Laut ihrem Entwurf eines Interessenausgleichs (Abl. Bl. 78 – 79 GA) sollte dies zum Wegfall von 124 Arbeitsplätzen führen.

Nach Scheitern der Verhandlungen hierüber, unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat über die in Zentralwerkstatt, Produktion und kaufmännischem Bereich betroffenen Arbeitsplätze (Abl. Bl. 68 – 69 GA) und hörte ihn mit Schreiben vom 19.08.2011 (Abl. Bl. 102 – 103 GA) zur beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers an. Der Betriebsrat widersprach unter dem 24.08.2011 (Abl. Bl. 21 GA) mit der Begründung, bei der Auswahl des Klägers seien soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt worden. Zur gleichen Zeit zeigte die Beklagte der Agentur für Arbeit die von ihr beabsichtigten Entlassungen an (Abl. Bl. 124 – 139 GA), woraufhin diese mit Bescheid vom 15.09.2011 (Abl. Bl. 140 – 141 GA) eine Entlassungssperre bis 18.10.2011 verhängte.

Nach Einholung der Zustimmung des Integrationsamts kündigte die Beklagte dem Kläger am 29.09.2011 zum 30.04.2012 (Abl. Bl. 20 GA). Gegen diese Zustimmung ist derzeit eine Anfechtungsklage beim VG Cottbus anhängig.

Mit seiner gegen die Kündigung gerichteten Klage hat der Kläger außerdem zunächst noch Feststellung begehrt, dass sein Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände ende, und für den Fall seines Obsiegens vorläufige Weiterbeschäftigung, andernfalls hilfsweise Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses verlangt. Er hat das Vorliegen dringender betrieblicher Gründe für eine Kündigung bestritten, da die Produktion von einer neu gegründeten Schwestergesellschaft der Beklagten, der F. Produktions GmbH (FP PG), in Wittenberge fortgeführt werde. Sofern diese beiden Gesellschaften nicht einen Gemeinschaftsbetrieb führten, läge jedenfalls ein Betriebsteilübergang vor.

Zumindest habe die Beklagte ihm mittels Änderungskündigung einen Arbeitsplatz in Wittenberge anbieten müssen. Auch sei die Sozialauswahl fehlerhaft, weil die Beklagte am Standort Birkenwerder mehrere vergleichbare, sozial weniger schutzbedürftige Arbeitnehmer weiterbeschäftige.

Die Betriebsratsanhörung sei unzureichend, weil die Beklagte den Betriebsrat nicht darüber informiert habe, warum eine anderweitige Weiterbeschäftigung ausscheide. Schließlich sei auch die Massenentlassungsanzeige nicht ordnungsgemäß erfolgt.

Das Arbeitsgericht Neuruppin hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger ein endgültiges qualifiziertes Zeugnis zu erteilen, und den nach konkludenter Rücknahme des allgemeinen Feststellungsantrags verbliebenen Kündigungsschutzantrag abgewiesen.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe nachvollziehbar dargelegt, weshalb ihre Tätigkeit in Birkenwerder zum 30.04.2012 habe enden sollen und dass ihr eine Weiterbeschäftigung des Klägers in Wittenberge oder an einem anderen Standort nicht möglich sei, weil die dortigen Betriebe jeweils zu anderen Unternehmen gehörten und keinen Gemeinschaftsbetrieb mit der Beklagten führten.

Die Sozialauswahl sei nicht fehlerhaft gewesen. Der Kläger sei dem nachvollziehbaren Vortrag der Beklagten nicht entgegen getreten, wonach es sich bei den Tätigkeiten der von ihm benannten Mitarbeiter um Aufgaben aus dem kaufmännischen Bereich in niedrigeren Entgeltgruppen handele bzw. dafür Qualifikationen erforderlich seien, über die der Kläger nicht verfüge. Zudem sei es nach dem Arbeitsvertrag des Klägers nicht möglich gewesen, ihm diese Tätigkeiten per Direktionsrecht zuzuweisen.

Ein Betriebsteilübergang liege nicht vor. Es fehle an der identitätswahrenden Übertragung einer wirtschaftlichen Einheit. Das Projekt P. werde erstmals in Wittenberge angefahren, während sich die Tätigkeiten in Birkenwerder lediglich auf dessen Testphase bezogen hätten. Hinsichtlich der weiteren Fortführung der Produktion habe es der Kläger versäumt substantiiert vorzutragen, welche wofür erforderlichen Betriebsmittel nach Wittenberge oder zur FP Hanse in Achim bei Bremen, einem weiteren Schwesterunternehmen der Beklagten, verbracht worden sein sollen.

Die Beklagte habe durch Vorlage des Anhörungsschreibens nachgewiesen, den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung umfassend angehört zu haben. Dem Vorbringen der Beklagten zur Massenentlassungsanzeige sei der Kläger nicht entgegen getreten.

Wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei dem Hilfsantrag auf Erteilung eines Arbeitszeugnisses zu entsprechen gewesen.

Gegen dieses ihm am 21.09.2012 zugestellte Urteil richtet sich die am 22.10.2012, einem Montag, eingelegte und am 19.12.2012 nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist begründete Berufung des Klägers. Er vertieft sein Vorbringen zu einer Verlagerung der Produktion nach Wittenberge und verweist darauf, dass die Beklagte in ihrem Schreiben an den Betriebsrat vom 25.02.2011 selbst auf Seite 13 angegeben habe, dass die Aufwendungen dafür in Höhe von 3,1 Mio. € bei ihr anfielen.

Der Rahmenvertrag der Beklagten mit der FP PG vom 26.08.2011 über die Fortführung der Produktion der sog. Remanenzgeräte (Abl. Bl. 89 – 90 GA) sei tatsächlich nicht so durchgeführt worden. Vielmehr habe ein Austausch von Betriebsmitteln, Know-how und Personen stattgefunden. Die Produktionslinien der drei Remanenzgeräte seien dort eins zu eins wieder aufgebaut worden. Sechs feste Mitarbeiter und fünf Leiharbeitnehmer seien nach Wittenberge gewechselt. Mitarbeiter der FP PG seien über mehrere Wochen in Birkenwerder geschult worden. Arbeitsorganisation und Fertigungsmethoden hätten sich nicht geändert. Nur der Teil der Mechanischen Baugruppenfertigung, der sich mit der Blechfertigung und den Optimail-Baugruppen beschäftigt habe, sei an Drittfirmen vergeben worden. In diesen Bereich seien lediglich zehn Mitarbeiter beschäftigt gewesen, in den übrigen von ihm geleiteten Bereichen dagegen 60.

Unter Hinweis auf das ihm erteilte Zwischenzeugnis vom 01.06.2011 (Abl. Bl. 363 – 365 GA) vertieft der Kläger sein Vorbringen zu seiner Vergleichbarkeit mit neun in Birkenwerder weiterbeschäftigten Mitarbeitern und einem zur FP Hanse in Achim gewechselten Mitarbeiter.

Kläger beantragt, unter Änderung des angefochtenen Urteils

1.festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 29.09.2011 nicht aufgelöst worden sei,

2.die Beklagte zu verurteilen, ihn zu den im Arbeitsvertrag geregelten Arbeitsbedingungen als Leiter der Fertigungssteuerung, Montagelinien, MBF und Musterbau bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über seinen Kündigungsschutzantrag weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt den Angriffen der Berufung im Einzelnen entgegen und betont insbesondere, dass man sich am Standort in Wittenberge das erforderliche Know-how für die Produktion des P. selbst erworben habe, da dieser in Birkenwerder nicht in Serie produziert worden sei. Bei den Montagetischen, Materialregalen, Bürotischen und einzelnen Betriebshilfsstoffen habe es sich nicht um wesentliche Betriebsmittel gehandelt.

Zwei leitende Mitarbeiter seien bereits Mitte 2011 bei ihr ausgeschieden und hätten bei der FP PG in Wittenberge andere Funktionen übernommen. Drei weitere frühere Mitarbeiter, die am 01.10.2011 in die Dienste der FP PG getreten seien, hätten dort den Aufbau der Produktionslinie des neuen Produkts P. begleiten sollen. Die Leiharbeitnehmer seien in Birkenwerder erst eingesetzt worden, als es nach Ausspruch der Kündigung zu einem hohen Krankenstand gekommen sei.

Die Aufwendungen für die Einrichtung des Betriebs in Wittenberge und den Umzug dorthin seien bei ihr angefallen, weil bei ihr auch die Erlöse in einen Cashpool flössen. Eigentümer des Grundstücks dort sei ihre Muttergesellschaft geworden, wie für die Beklagte im Verhandlungstermin vorgebracht worden ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

1. Die gemäß § 222 Abs. 2 ZPO fristgemäß eingelegte und innerhalb der verlängerten Begründungsfrist ordnungsgemäß begründete Berufung des Klägers ist auch in der Sache begründet.

1.1 Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.09.2011 nicht aufgelöst worden.

1.1.1 Die Kündigung ist allerdings nicht entsprechend § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG wegen unzureichender Anhörung des Betriebsrats unwirksam. Vielmehr hat die Beklagte den Betriebsrat mit Schreiben vom 19.08.2011 über ihre Gründe für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers umfassend unterrichtet, nachdem sie ihn bereits zuvor über ihre geplanten unternehmerischen Maßnahmen ins Bild gesetzt hatte. Da aus ihrer Sicht eine Stilllegung des Betriebsteils Produktion beabsichtigt war und sie auch weder meinte, einen Gemeinschaftsbetrieb mit der FP PG in Wittenberge oder der FP Hanse in Achim zu führen, noch von einer auf diese beiden Unternehmen bezogenen Pflicht zur konzernweiten Weiterbeschäftigung des Klägers ausging, hatte sie nach dem Grundsatz der subjektiven Determinierung (dazu BAG, Urteil vom 22.09.1994 – 2 AZR 31/94 – BAGE 78, 39 = AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 68 zu II 2 der Gründe) keine Veranlassung, hierzu nähere Angaben zu machen.

1.1.2 Die aufgrund der Schwerbehinderung des Klägers gemäß § 85 SGB IX erforderliche Zustimmung des Integrationsamts hat bei Ausspruch der Kündigung vorgelegen. Die vom Kläger nach Zurückweisung seines Widerspruchs erhobene Anfechtungsklage berührt als solche die Wirksamkeit der Kündigung nicht, wie sich aus § 88 Abs. 4 SGB IX ergibt, wonach Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben.

1.1.3 Die Wirksamkeit der Kündigung scheiterte auch nicht an § 18 Abs. 1 KSchG. Die Beklagte hat die von ihr geplante Massenentlassung der Agentur für Arbeit rechtzeitig ordnungsgemäß angezeigt und ihre Kündigung unter Beachtung der verlängerten Entlassungssperre erklärt.

1.1.4 Die Kündigung des gemäß §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG unter Kündigungsschutz stehenden Arbeitsverhältnisses ist gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam, weil sie sozial ungerechtfertigt ist. Es haben keine dringenden betrieblichen Erfordernisse vorgelegen, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers bei Ablauf der Kündigungsfrist entgegengestanden hätten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 KSchG).

1.1.4.1 Allerdings war auf der Grundlage des insoweit übereinstimmenden Vortrags der Parteien davon auszugehen, dass die Beklagte in Vollzug einer zuvor getroffenen unternehmerischen Entscheidung die im Gemeinschaftsbetrieb mit der FP VS von ihr getragene Produktion noch vor Ablauf der Kündigungsfrist zum 31.03.2012 dauerhaft eingestellt hat. Dies führte indessen nicht zum Wegfall der Möglichkeit, den Kläger weiterzubeschäftigen, weil sein Arbeitsverhältnis gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB aufgrund eines rechtsgeschäftlichen Betriebsteilübergangs auf die FP PG übergegangen ist.

1.1.4.1.1 Der Übergang eines Betriebsteils auf einen anderen Inhaber setzt voraus, dass eine wirtschaftliche Einheit dabei ihre Identität behält. Der Begriff wirtschaftliche Einheit bezieht sich auf eine organisatorische Gesamtheit von Personen und Sachen zur auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Bei der Prüfung, ob eine solche Einheit übergegangen ist, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören als Teilaspekte der Gesamtwürdigung namentlich die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebes, ein Übergang von materiellen Betriebsmitteln wie Gebäuden oder beweglichen Gütern, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, eine Übernahme der Hauptbelegschaft, ein Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer evtl. Unterbrechung dieser Tätigkeit. Die Identität der Einheit kann sich auch aus anderen Merkmalen, wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden oder den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln ergeben. Den für das Vorliegen eines Übergangs maßgeblichen Kriterien kommt je nach der ausgeübten Tätigkeit und je nach den Produktions- und Betriebsmethoden unterschiedliches Gewicht zu. Hingegen stellt die bloße Fortführung der Tätigkeit durch einen anderen Auftragnehmer (Funktionsnachfolge) keinen Betriebsübergang dar (BAG, Urteil vom 21.08.2008 – 8 AZR 481/07 – AP BGB § 613a Nr. 354 R 24). Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt.

1.1.4.1.1.1 Der Bereich Produktion des Betriebs in Birkenwerder stellte neben der Zentralwerkstatt und dem Ersatzteilzentrum (SPC) unstreitig eine arbeitsorganisatorische Einheit dar, innerhalb deren unter eigener Leitung diverse Frankiersysteme hergestellt wurden.

1.1.4.1.1.2 Dieser Bereich ist auf die FP PG in Wittenberge übertragen worden.

1.1.4.1.1.2.1 Die FP PG führt die Herstellung der sog. Remanenzgeräte aufgrund des mit der Beklagten am 26.08.2011 geschlossenen Rahmenvertrags fort. Dazu hat sie in Abweichung von Punkt 2.3 dieses Vertrags sogar Tische und Regale der Beklagten übernommen, denen allerdings aufgrund ihrer leichten Ersetzbarkeit am Markt allein noch keine identitätsstiftende Bedeutung zukam.

1.1.4.1.1.2.2 Außerdem hat die FP PG auch die Herstellung des neuen Frankiersystems P. übernommen. Dieses System war unter Beteiligung des vom Kläger geleiteten Musterbaus in Birkenwerder zur Systemreife entwickelt worden. Dass es dort nicht bereits in die Massenfertigung gegangen ist, war angesichts dessen unerheblich, dass es sich dabei um das Nachfolgemodell für die Remanenzgeräte handelt, deren Produktion dementsprechend auch bereits heruntergefahren worden ist. Entscheidend ist vielmehr, dass die FP PG mit dem Gerätemodell und den dafür hergestellten Werkzeugen überhaupt erst in die Lage versetzt worden ist, dessen Produktion aufzunehmen. Die FP PG ist nicht als ein am Markt agierender Hersteller von Frankiersystemen mit der Herstellung eines bestimmten Anforderungen entsprechenden Geräts beauftragt worden, was eine bloße Funktionsnachfolge dargestellt hätte. Ihr ist vielmehr von der Beklagten die Möglichkeit verschafft worden, genau das sonst bei ihr wie die Remanenzgeräte erzeugte Produkt herzustellen.

1.1.4.1.1.2.3 Über das Wissen von den Produkten und ihrer Herstellung hinaus ist es auch zu einem nicht unerheblichen personellen Transfer von Know-how gekommen. So ist der bisherige Leiter der Arbeitsvorbereitung der Beklagten nahtlos zur FP PG gewechselt, wo er die Technische Leitung und die Montageleitung übernommen hat. Zugleich ist die Arbeitsvorbereitung und Fertigungssteuerung dort von einem bisherigen Mitarbeiter „Entwicklung, Elektronik und Drucktechnologie“ übernommen worden. Dass beides bereits am 01.07.2011 vollzogen worden ist, war mit Rücksicht auf den dahinter stehenden Plan einer schrittweisen Übertragung der Produktion unerheblich.

Außer den beiden Mitarbeitern in leitender Stellung hat die FP PG noch drei weitere Mitarbeiter zum 01.10.2011 übernommen, die nach Darstellung der Beklagten den Aufbau der Produktionslinie des neuen Produkts P. hatten begleiten sollen, um weiteres Know-how für die Serienproduktion aufzubauen.

Auch der bisherige technische Berater der Beklagten, der insbesondere mit Fragen technischer und finanzieller Art bei der Stilllegung der Produktionsabteilung und dem Aufbau neuer Produktionseinrichtungen befasst war, ist nunmehr für die FP PG als deren Geschäftsführer tätig. Sein jeweiliger Status als Dienstnehmer änderte nichts daran, dass er seine intimen Kenntnisse der innerbetrieblichen Abläufe nunmehr für die FP PG nutzen kann, auch wenn er selbst weder damals noch jetzt in der Produktion tätig ist.

Für personelle Kontinuität im Bereich der Produktionsarbeiter ist auch dadurch gesorgt worden, dass fünf Leiharbeitnehmer, die wegen des hohen Krankenstands nach Ausspruch der Kündigungen im Betrieb in Birkenwerder für die Produktion der Remanenzgeräte eingesetzt worden waren, in ein Arbeitsverhältnis zur FP PG getreten sind, mögen davon jetzt auch nur noch drei dort tätig sein.

Weiterhin wurden im März/April 2012 drei Mitarbeiter der FP PG in die Tätigkeit bei der Herstellung der Centormail eingewiesen, dem komplexesten und größten Frankiersystem der drei Remanenzgeräte. Auch auf diesem Wege bleibt der für die Wertschöpfung erforderliche Funktionszusammenhang erhalten (a.A. Fuhlrott NZA 2013, 183, 185).

Schließlich hat der Kläger im Verhandlungstermin unwidersprochen darauf hingewiesen, dass zur Überwindung von Anlaufschwierigkeiten beim P. Mitarbeiter aus der Entwicklung der Beklagten nach Wittenberge hätten entsandt werden müssen.

1.1.4.1.1.2.4 Dass die FP PG mit deutlich weniger Personal als die Beklagte auskommt, war unerheblich. Ein entsprechender Personalabbau wäre nach den ursprünglichen Plänen der Beklagten ohnehin auch am Standort Birkenwerder vollzogen worden, wenn der Betriebsrat für das Gesamtkonzept hätte gewonnen werden können. Die Identität der organisatorischen Einheit selbst wurde dadurch nicht aufgehoben.

1.1.4.1.1.2.5 Nicht entscheidend war auch, ob es zu einem Wechsel von Gruppenarbeit mit flexiblen Arbeitszeiten zu festen Arbeitszeiten gekommen ist und ob jetzt nicht mehr weitestgehend auftragsabhängig, sondern ggf. auch auf Lager produziert wird. Ein solcher Wechsel änderte nichts daran, dass es in beiden Fällen um industrielle Produktion von Massenware ginge.

1.1.4.1.1.2.6 Der Annahme, dass der Betriebsteil Produktion seine Identität gewahrt hat, stand nicht entgegen, dass es zu einer räumlichen Verlagerung der Betriebsstätte gekommen ist. Zwar kann eine Entfernung von 144 km mit einer Fahrzeit im Pkw von eindreiviertel Stunden die Wahrung der Identität zweifelhaft erscheinen lassen (BAG, Urteil vom 26.05.2011 – 8 AZR 37/10 – AP BGB § 613a Nr. 409 R 36). Dies ist jedoch nicht notwendigerweise der Fall. Maßgeblich ist vielmehr ob die übernommene Produktion unverändert fortgeführt wird (vgl. BAG, Urteil vom 12.02.1987 – 2 AZR 247/86 – AP BGB § 613a Nr. 67 zu II 3 a a. E. der Gründe; Urteil vom 30.10.2001 – 1 AZR 65/01 – BAGE 99, 266 = AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 145 zu I 1 der Gründe; ErfK-Preis, 13 Aufl. 2013, § 613a BGB R 57; Stück MDR 2001, 312, 318).

1.1.4.1.1.2.7 Vorliegend kam hinzu, dass durch die räumliche Verlagerung die Beziehungen zu den Abnehmern der produzierten Geräte nicht berührt worden sind, weil diese nicht auf einem auf den bisherigen Standort begrenzten Markt angeboten wurden und werden (vgl. zu diesem Aspekt EuGH, Urteil vom 07.03.1976 – C-171/94 – Merckx – AP EWG-Richtlinie Nr. 77/187 Nr. 9 R 21).

1.1.4.1.1.2.8 Der Annahme eines Übergangs des Betriebsteils Produktion stand nicht entgegen, dass die mechanische Baugruppenfertigung davon nur teilweise erfasst worden ist, weil diese nur einen untergeordneten Teil der Produktion dargestellt hatte.

1.1.4.1.1.2.9 Schließlich hat die Beklagte auch dafür gesorgt, dass die Lieferantenbeziehungen mit der FP PG fortgesetzt wurden, wie einem Musterschreiben vom 27.10.2011 (Abl. Bl. 96R GA) zu entnehmen ist.

1.1.4.1.2 Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist von dem Betriebsteilübergang erfasst worden. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit lag im Bereich der Produktion, wo er zuletzt nicht nur Leiter der Mechanischen Baugruppenfertigung war, sondern den gesamten Montagebereich geleitet hat und auch für die Fertigungssteuerung verantwortlich war. Dass er zusätzlich noch für Lager und Wareneingang zuständig war, kam bei dem nur geringen Anteil an seiner Arbeitszeit keine Bedeutung zu.

1.1.4.1.3 Soweit im Fall fehlender Verpflichtung, die Arbeitsleistung an einem anderen Ort zu erbringen, für den Übergang eines Arbeitsverhältnisses zu verlangen sein sollte, dass der Arbeitnehmer seine Bereitschaft dazu bekundet hat (so BAG, Urteil vom 20.04.1989 – 2 AZR 431/88 – BAGE 61, 369 = AP BGB § 613a Nr. 81 zu II 2 a und 3 a der Gründe), hat dies der Kläger wiederholt getan.

1.1.4.2 Dass die Beklagte dem Kläger möglicherweise in Umsetzung eines entsprechenden Erwerberkonzepts der FP PG hätte betriebsbedingt kündigen können (dazu BAG, Urteil vom 20.03.2003 – 8 AZR 97/02 – BAGE 105, 338 = BGB § 613a AP Nr. 250 zu II 1 c der Gründe), konnte keine Berücksichtigung finden. Dabei hätte es sich um einen anderen Kündigungsgrund als die vermeintliche Betriebsstilllegung gehandelt, zu dem es an einer Anhörung des Betriebsrats fehlte. Nicht vom Betriebsrat vorbehandelte Kündigungsgründe können zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung im Rechtsstreit nicht nachgeschoben werden, wenn sie dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung bekannt gewesen waren (BAG, Urteil vom 11.04.1985 – 2 AZR 239/84 – BAGE 49, 39 = AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 39 zu B I 2 a der Gründe).

1.1.4.3 War sonach davon auszugehen, dass es wegen eines Betriebsteilübergangs nicht zu einer Betriebsteilstilllegung gekommen war, konnte dahingestellt bleiben, ob sich die Kündigung nicht auch im Falle einer solchen Stilllegung wegen einer konzerndimensionalen Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger als sozialwidrig dargestellt hätte. Eine solche Möglichkeit kommt trotz des dafür nötigen Arbeitgeberwechsels in Betracht, wenn die Stilllegung eines Betriebs mit der Neugründung eines anderen Konzernunternehmens mit identischer arbeitstechnischer und wirtschaftlicher Zielsetzung einhergeht (BAG, Urteil vom 23.03.2006 – 2 AZR 162/08 – AP KSchG 1969 § 1 Konzern Nr. 13 zu B III 2 e aa der Gründe).

1.2 Der Kläger kann seine vorläufige Weiterbeschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits verlangen.

1.2.1 Wegen der durch die unwirksame Kündigung der Beklagten begründeten Besorgnis der Nichterfüllung kann der Kläger seinen Anspruch gemäß § 259 ZPO im Wege einer Klage auf künftige Leistung verfolgen.

1.2.2 Auch kann der Kläger die Beklagte in Anspruch nehmen, obwohl diese ihn nach Übergang ihres Betriebsteils Produktion nicht mehr selbst vertragsgemäß zu beschäftigen vermag. Dies ergibt sich aus einer analogen Anwendung des § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO, wonach eine Veräußerung oder Abtretung auf den Prozess keinen Einfluss hat (BAG, Urteil vom 15.12.1976 – 5 AZR 600/75 – AP BGB § 611 Arzt-Krankenhaus-Vertrag Nr. 3 zu 1 a der Gründe). Der Betriebsteilübergang ist erst nach der am 22.10.2011 durch Zustellung der Klageschrift gemäß §§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO eingetretenen Rechtshängigkeit durch Abnahme der Montagelinie P. gemäß Protokoll vom 27.10.2011 (Abl. Bl. 223 GA) und Verlagerung der drei Montagelinien für die Remanenzgeräte am 11.11.2011 bzw. 16.02.2012 vollzogen worden.

1.2.3 Die Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG für einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung waren nicht erfüllt. Der Widerspruch des Betriebsrats gegen die beabsichtigte Kündigung erfüllte nicht die Voraussetzungen des § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG. Statt abstrakt mangelnde Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte zu rügen, hätte der Betriebsrat andere Arbeitnehmer benennen müssen, die er für weniger sozial schutzbedürftig als den Kläger hielt, oder diese zumindest anhand abstrakter Merkmale bestimmbar machen müssen (BAG, Urteil vom 09.07.2003 – 5 AZR 305/02 – AP BetrVG 1972 § 102 Weiterbeschäftigung Nr. 14 zu II 2 b der Gründe).

1.2.4 Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf vorläufige Weiterbeschäftigung ergibt sich im Wege ergänzender Vertragsauslegung gemäß § 157 BGB mit Rücksicht auf seine dabei zu beachtende Menschenwürde und sein Persönlichkeitsrecht aus Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG. Dieser Anspruch kann auch für die Zeit eines Rechtsstreits über die Wirksamkeit einer Kündigung eines Arbeitsverhältnisses geltend gemacht werden. Dies jedenfalls dann, wenn ein Gericht für Arbeitssachen auf eine entsprechende Kündigungsschutzklage hin gleichzeitig feststellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ohne dass besondere Umstände vorliegen, aus denen sich ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen (BAG, Beschluss vom 27.02.1985 – GS 1/84 – BAGE 48, 122 = AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 14 zu C I 2 der Gründe). Dabei können nur solche zusätzlichen Umstände ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers begründen, die ihn auch im streitlos bestehenden Arbeitsverhältnis zur vorläufigen Suspendierung des Arbeitnehmers berechtigten (BAG, Urteil vom 02.04.1987 – 2 AZR 418/86 – AP BGB § 626 Nr. 96 zu B III der Gründe). Dafür hat die Beklagte vorliegend nichts vorgebracht.

2. Die Kostenentscheidung beruht für die erste Instanz auf §§ 92 Abs. 1 S. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO und für die Berufungsinstanz auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Dabei ist der konkludent zurückgenommene allgemeine Feststellungsantrag mit 0,3 Monatseinkommen bewertet worden.

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG für die Beklagte wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

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