Skip to content

Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeitseinführung – Festlegung der betroffenen Arbeitnehmer

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern – Az.: 1 Sa 34/06 – Urteil vom 20.07.2006

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 13.12.2005 – 1 Ca 1769/05 – wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsmittels trägt die Beklagte.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für den Zeitraum von Februar bis August 2005 die Differenz zwischen Kurzarbeitergeld und Gehalt nachzuzahlen.

Die Beklagte hatte mit ihrem Betriebsrat am 27. Oktober 2004 eine Vereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit geschlossen (Bl. 81 d. A.). Unter Berufung auf diese Vereinbarung hat die Beklagte für die Klägerin ab 1. Februar 2005 Kurzarbeit im Umfang von null Stunden wöchentlich angeordnet. Die Klägerin hat dem mit Schreiben vom 01.03.05 widersprochen und ihre volle Arbeitskraft angeboten.

Das Arbeitsgericht Rostock hat mit Urteil vom 13. Dezember 2005 für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin als weiteres Arbeitsentgelt für die Monate Februar bis August 2005 3.327,01 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf

439,29 seit dem 01.03.2005,

auf weitere 555,84 seit dem 01.04.2005,

auf weitere 533,64 seit dem 01.05.2005,

auf weitere 562,62 seit dem 01.06.2005,

auf weitere 533,64 seit dem 01.07.2005,

auf weitere 240,55 seit dem 01.08.2005 sowie

auf weitere 407,43 seit dem 01.09.2005

zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Streitwert beträgt 3.327,01.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Arbeitsgericht sinngemäß ausgeführt:

Die Klägerin habe einen Anspruch auf die Differenz zwischen Kurzarbeitergeld und vollem Gehalt gemäß § 615 Abs. 1 BGB, da die Anordnung der Kurzarbeit rechtswidrig und die Beklagte daher im Verzug der Annahme gewesen sei. Der Arbeitgeber könne Kurzarbeit nicht auf Grund seiner Direktionsbefugnis, sondern nur auf einzelvertraglicher Grundlage oder auf Grund einer kollektiven Regelung, insbesondere einer Betriebsvereinbarung, einführen (BAG Urteil vom 12.10.1994 – 7 AZR 398/93 – NZA 1995, 641). Die Betriebsvereinbarung vom 27. Oktober 2004 komme als Rechtsgrundlage für die Kurzarbeit nicht in Betracht, da sie nicht hinreichend bestimmt sei. Die Betriebsvereinbarung müsse das ob und wie, das wann und wie lange der Kurzarbeit regeln. Die Umsetzung dürfe nicht allein dem Arbeitgeber überlassen bleiben. In der bei der Beklagten geschlossenen Betriebsvereinbarung fehlten Regelungen zur Dauer, zur Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer bzw. zu deren Auswahl. Eine einzelvertragliche Vereinbarung sei nicht zu Stande gekommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sachstandes und der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil des Arbeitsgerichtes Rostock im Ganzen Bezug genommen.

Gegen das am 5. Januar 2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch den sie vertretenden Unternehmerverband am 27. Januar 2006 Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Fristverlängerung am 24. März 2006 begründet.

Zur Begründung ihrer Berufung führt die Beklagte aus:

Das Arbeitsgericht habe außer dem Wortlaut der Betriebsvereinbarung auch die Begleitumstände berücksichtigen müssen. Die Bestimmung der betroffenen Arbeitnehmer ergebe sich aus der Bezeichnung der Fachabteilungen in der Betriebsvereinbarung; eine Namensnennung sei nicht erforderlich. Innerhalb der Fachabteilung richte sich die Auswahl nach den Regeln der Arbeitsagentur. Schon am 27. Oktober 2004 hätten die Betriebsparteien vereinbart, dass diese Regelungen Grundlage der Kurzarbeit sein sollten und dass danach nur diejenigen Arbeitnehmer in den betroffenen Fachabteilungen, für die nicht genügend Arbeit vorhanden sei, von der Kurzarbeit betroffen sein sollten. Den vollständigen Inhalt der am 27. Oktober 2004 mündlich zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat getroffenen Vereinbarung habe die Betriebsratsvorsitzende in einem Vermerk vom 11.01.06 (Bl. 143 d. A.) niedergelegt.

Für die Arbeitnehmer sei von Anfang an erkennbar gewesen, wer in Kurzarbeit gehen müsste; denn für jeden Ingenieur oder Architekten habe es bei der Beklagten im Voraus erstellte „Monatsvorgaben“ gegeben. Danach habe in der Abteilung Hochbau der Auslastungsgrad der Klägerin im Januar 2005 13 % und in den Folgemonaten 0 % betragen, wie es in der Anlage B 6 (Bl. 44/45 d. A.) wiedergegeben sei. Die im Zusammenhang mit der Betriebsvereinbarung getroffenen mündlichen Vereinbarungen würden der Klägerin auch entsprechend erläutert worden sein, wenn diese sich die Betriebsvereinbarung rechtmäßig vom Betriebsrat verschafft hätte.

Die Beklagte verweist schließlich auf einen Parallelprozess, in dem die zweite Kammer des Arbeitsgerichtes Rostock mit Urteil vom 09.02.2006 (2 Ca 1920/05, Bl. 174 ff. d. A.) die Klage abgewiesen habe.

Die Beklagte beantragt, das unter Aktenzeichen 1 Ca 1769/05 am 13. Dezember 2005 verkündete Urteil des Arbeitsgerichtes Rostock abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hält das erstinstanzliche Urteil für richtig. Die Berufungsbegründung gehe schon deshalb fehl, weil die Klägerin nicht ausschließlich in der Abteilung Hochbau tätig gewesen sei, wie sie bereits erstinstanzlich im Schriftsatz vom 21.10.2005 auf Seite 2 vorgetragen habe.

Auf der Betriebsversammlung vom 14. Oktober 2004 seien nähere Informationen über die Ausgestaltung der später abgeschlossenen Betriebsvereinbarung nicht gegeben worden. Vielmehr sei auf dieser Betriebsversammlung erklärt worden, dass Kurzarbeit vermieden werden könnte, wenn alle Arbeitnehmer die angebotenen Änderungsverträge unterschreiben würden. In Kurzarbeit seien dann letztlich nur die 5 Arbeitnehmer geschickt worden, die nicht unterschrieben hätten. Soweit die Beklagte sich auf mündliche Zusatzvereinbarungen zu der Betriebsvereinbarung berufe, seien diese unbeachtlich, da sie nicht der Schriftform gemäß § 77 BetrVG genügten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszuge wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 24.03.2006 und die Berufungsbeantwortung vom 20.04.2006 ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die nach Form, Fristen und Beschwer statthafte und zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Das Berufungsgericht teilt die Rechtsauffassung der ersten Kammer des Arbeitsgerichtes Rostock und macht sich deren Entscheidungsgründe ausdrücklich zu Eigen. Ihnen ist auch in Ansehung der Berufungsbegründung nur wenig hinzuzufügen.

Die Betriebsvereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit beschränkt sich auf den Text:

„Bezugnehmend auf das Protokoll zur Beratung Betriebsrat und Geschäftsführung am 12.10.2004 Punkt 5 wird die Kurzarbeit ab 01.11.2004 in folgenden Fachabteilungen eingeführt.

  • Fachabteilung Heizung, Lüftung, Sanitär
  • Fachabteilung Freiraum- und Landschaftsplanung
  • Fachabteilung Tragwerksplanung
  • Fachabteilung Verkehrsanlagen
  • Fachabteilung Tiefbau
  • Fachabteilung Hochbau

Diese Maßnahme wird auf Grund der wirtschaftlichen Situation in diesen Fachabteilungen notwendig“

Diese Betriebsvereinbarung ist als Rechtsgrundlage für einen Eingriff in die Arbeitsverhältnisse der einzelnen Arbeitnehmer wegen ihrer völligen Unbestimmtheit ungenügend.

Die Betriebsvereinbarung gewinnt auch keinerlei Konkretisierung durch ihre Verweisung auf das Protokoll vom 12.10.2004 (Bl. 48 d. A.). Dort heißt es unter Punkt 5 zur Frage der Kurzarbeit lediglich:

„Der Betriebsrat hat als mögliche Variante die Kurzarbeit vorgeschlagen und um Prüfung und Berechnung gebeten. Die Geschäftsführung hat dieses Ansinnen nach Auffassung des BR nicht differenziert genug dargelegt (Einsparungspotential).“

Soweit die Beklagte darüber hinaus auf mündliche Absprachen zum Verständnis der Betriebsvereinbarung beruft, ist das Arbeitsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass diese nicht dem Formerfordernis des § 77 BetrVG (Schriftform) genügen.

Das Berufungsgericht geht mit den schon von der Vorinstanz zitierten Entscheidungen anderer Landesarbeitsgerichte davon aus, dass eine Betriebsvereinbarung, die normative Wirkung für die betroffenen Arbeitsverhältnisse entfalten soll, regelmäßig Regelungen über Beginn und Dauer der Kurzarbeit, die Lage und Verteilung der Arbeitszeit, die Auswahl der von der Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer oder Abteilungen sowie auch die Zeiträume, in denen die Arbeit ganz ausfallen soll, enthalten muss (insbesondere Hessisches LAG, Urteil vom 14.03.1997, 17/13 Sa 162/96, NZA – RR 1997, 479 ff.; ähnlich LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.11.2005, 20 Sa 112/04, n.v.). Auch soweit man davon ausgeht, dass die Betriebsparteien in einer Betriebsvereinbarung dem Arbeitgeber eine weitgehende Gestaltungsfreiheit einräumen können (BAG vom 17.10.1999, 1 ABR 31/87, AP Nr. 39 zu § 76 BetrVG 1972), ist doch jedenfalls vorauszusetzen, dass eine Betriebsvereinbarung über Kurzarbeit wegen des schwerwiegenden Eingriffs in den Vergütungsbereich die Anforderungen an eine wirksame Ausübung des Mitbestimmungsrechtes nur dann erfüllt, wenn in ihr wenigstens die tatbestandlichen Vorgaben vorgezeichnet sind, innerhalb derer dem Arbeitgeber dann ein gewisser Freiraum für die Einzelfallregelung zustehen kann (LAG Berlin, Urteil vom 29.10.1998, 10 Sa 95/98).

Die Betriebsvereinbarung vom 27. Oktober 2004 erfüllt nicht einmal derartige Mindestanforderungen an die Bestimmtheit. Sie gibt dem Arbeitgeber einen völligen Freibrief dafür, nach dem 1. November 2004 in 6 Fachabteilungen – die in der Zusammenschau letztlich im Wesentlichen den gesamten Betrieb ausmachen dürften – nach völligem zeitlichen und personellen Belieben Kurzarbeit in beliebigem Umfang einzuführen. Dass er sich dabei an die gesetzlichen Vorgaben bezüglich der Gewährung des Kurzarbeitergeldes halten muss, ist eine banale Selbstverständlichkeit und stellt keine Präzisierung der Regelung der Betriebsvereinbarung dar.

Das Berufungsgericht sieht sich auch nicht im Gegensatz zu Entscheidungen anderer Landesarbeitsgerichte, die davon ausgehen, dass eine Betriebsvereinbarung auch so gestaltet werden könne, dass sie abstrakt die Einführung von Kurzarbeit aus einem bestimmten Anlass regele und die personelle Festlegung des Personenkreises einer formlosen Absprache der Betriebsparteien überlasse (so LAG Thüringen, Urteil vom 07.10.1999, 2 Sa 404/98; ähnlich LAG Brandenburg, Urteil vom 10.08.1994, 5 Sa 286/94). Die hier streitgegenständliche Betriebsvereinbarung vom 27. Oktober 2004 überlässt eben nicht nur die personelle Festlegung des betroffenen Personenkreises einer formlosen Absprache der Betriebsparteien, sondern verlangt nicht einmal dies; sie überlässt von einem bestimmten Datum an alle Maßnahmen zur Einführung der Kurzarbeit dem Belieben des Arbeitgebers. Demgegenüber enthielt die der Beurteilung des Thüringer Landesarbeitsgericht (a.a.O.) unterliegende Betriebsvereinbarungen konkrete Vorgaben nicht nur über den Beginn, sondern auch über das Ende der Kurzarbeit und über die Mindest- und Höchstzahl der von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer sowie konkrete ausführliche Regelungen über die Auswahl der für Kurzarbeit vorgesehenen Arbeitnehmer im Allgemeinen (Erstellung einer Liste durch den Arbeitgeber mit Widerspruchsrecht des Betriebsrates) sowie eine Verpflichtung des Arbeitgebers, im Falle der konkreten Anordnung der Kurzarbeit für bestimmte Arbeitnehmer die Namen dem Betriebsrat 6 Tage vorher mitzuteilen.

Demgegenüber enthält die hier zu beurteilende Betriebsvereinbarung vom 27.10.2004 keinerlei Verfahrensregelungen. Auf Grund dieser extremen Besonderheit der Gestaltung der Betriebsvereinbarung hat die Kammer auch keine Veranlassung zur Zulassung der Revision gesehen.

Insoweit das Arbeitsgericht hinsichtlich der Höhe der Forderung dem Rechenwerk der Klägerin in ihrem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 21.10.2005 gefolgt ist, hat die Beklagte in der Berufungsbegründung keine besonderen Einwendungen erhoben. Insoweit bedarf es hier keiner Vertiefung. Zutreffend ist das Arbeitsgericht auch davon ausgegangen, dass die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 01.03.2005 hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass sie mit der Kurzarbeit nicht einverstanden ist und die Beklagte in Annahmeverzug gesetzt hat. Auch insoweit enthält die Berufungsbegründung nichts, worauf hier weiter eingegangen werden müsste.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!