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Bewerbungsverfahren – Benachteiligung wegen Schwerbehinderung – Entschädigungsanspruch

ArbG Kempten, Az.: 3 Ca 1581/17, Urteil vom 18.04.2018

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Streitwert wird auf 8.984,10 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Zwischen den Parteien besteht Streit über einen Entschädigungsanspruch, den der Kläger aufgrund einer angeblichen Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung im Bewerbungsverfahren geltend macht.

Der ledige Kläger, geboren am …1987, ist ausweislich des Gleichstellungsbescheids der Bundesagentur für Arbeit – Agentur für Arbeit Chemnitz – vom 17.10.2016 gemäß § 2 III SGB IX einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt (vgl. Bl. 78 d. A.). Nach den Angaben im Lebenslauf des Klägers vom 10.03.2017 beträgt der Grad der Behinderung – GdB – 30% (vgl. Bl. 8 – 9 d. A.).

Nach seinem Abitur mit der Fachrichtung Informations- und Kommunikationstechnologie im Jahr 2007 absolvierte der Kläger von 2008 bis 2011 ein Studium an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung und erwarb den Akademischen Grad eines Diplom-Verwaltungswirts (FH). Im Anschluss daran studierte er von 2012 bis 2015 an der Universität Kassel und schloss mit dem akademischen Grad „Master of Public Administration“ ab. Der Studiengang beinhaltet die direkte Laufbahnbefähigung für den höheren Verwaltungsdienst = 4.) Qualifikationsebene. Im Anschluss daran war der Kläger u. a. im Polizeivollzugsdienst sowie in der kommunalen Verwaltung tätig (vgl. Bl. 8 – 9 d. A.). Zuletzt war er nach seinen Angaben in der Stadtverwaltung … befristet beschäftigt und eingruppiert in die EG 11 des TVöD (vgl. Bl. 32 d. A.).

Der Beklagte Landkreis veröffentlichte über das Online-Stellenportal Interamt im März 2017 die Ausschreibung für die Position eines Mitarbeiter/in für die Personalbetreuung befristet für 12 Monate. In der Ausschreibung war das Anforderungsprofil auszugsweise wie folgt dargestellt:

Mitarbeiter / in für die Personalbetreuung

in Vollzeit bzw. Teilzeit.

Die Aufgaben umfassen insbesondere:

Durchführung von Personalauswahlverfahren (Erstellen von Stellenausschreibungen; Bewerbermanagement; Vorbereiten, Durchführen und Auswerten der Vorstellungsgespräche)

Bearbeitung der arbeits-, tarif- und beamtenrechtlichen Angelegenheiten für Beschäftigte und Beamte (im Zusammenhang mit Eintritt, Austritt, Versetzung, Umsetzung, Abordnung, Dienstjubiläen, Sonderurlaub, Nebentätigkeiten, Elternzeit, Teleheimarbeit, Teilzeitbeschäftigung, Altersteilzeit, Beförderung, Höhergruppierung, Ernennungen, etc.)

Führen von Personalgesprächen (Beratung von Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern und Führungskräften in personalrelevanten Fragestellungen)

Erstellen von Verträgen, Urkunden, Arbeitszeugnissen, etc.

Sonstige Anforderungen:

Dienstleistungsorientierung

Teamfähigkeit

Kommunikationsfähigkeit

selbständige und systematische Arbeitsweise

Erfahrung im Personalbereich (möglichst in der öffentlichen Verwaltung)

Sicherer Umgang mit den einschlägigen Rechtsvorschriften

Ihre Qualifikation:

Die Stelle ist vorrangig für Beamtinnen /Beamte der 3. Qualifikationsebene mit abgeschlossenem Studium zum/r Dipl.-Verwaltungswirt/in (FH) oder Verwaltungsfachwirtinnen/-fachwirte (AL II) geeignet.

Bewerbungsverfahren - Benachteiligung wegen Schwerbehinderung - Entschädigungsanspruch
Symbolfoto: Wavebreak Media Ltd/Bigstock

Die Bezahlung erfolgt nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) bzw. vergleichbare beamtenrechtliche Besoldung (vgl. Bl. 5 – 6 d. A.).

Der Kläger bewarb sich mit schriftlicher Bewerbung vom 10.03.2017 auf die ausgeschriebene Stelle (vgl. Bl. 6 – 11 d. A.). In dem im Bewerbungsschreiben beigeschlossenen Lebenslauf hatte der Kläger auf seine Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten und den Grad der Behinderung von 30 GdB hingewiesen (vgl. Bl. 9 d. A.). In den Anlagen hatte der Kläger den Gleichstellungsbescheid beigeschlossen (vgl. Bl. 11/78 d. A.). Am 13.03.2017 erhielt der Kläger von der beklagten Partei eine Eingangsbestätigung der Bewerbung.

Der Beklagte erteilte dem Kläger unter dem 12.04.2017 eine Absage (vgl. Bl. 12 d. A.). Dieser lud den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein.

Der Kläger machte unter dem 03.06.2017 gegenüber der ablehnenden Behörde einen Entschädigungsanspruch wegen Diskriminierung nach § 15 AGG geltend (vgl. Bl. 13 – 16 d. A.). Die beklagte Partei wies den Entschädigungsanspruch unter dem 13.07.2017 mit Hinweis auf die Überqualifizierung des Klägers zurück (vgl. Bl. 17 – 19 d. A.). Gleichzeitig wurde die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch abgelehnt und der Kläger auf den Klageweg verwiesen.

Auf die Stellenausschreibung gingen 57 Bewerbungen bei dem Beklagten ein. Der Kläger war als Gleichgestellter der Einzige schwerbehinderte Bewerber auf die ausgeschriebene Sachbearbeiter Stelle in der Personalbetreuung in EG 9 des TVöD.

Mit Klage vom 24.08.2017, bei Gericht am 28.08.2017 eingegangen, erhob der Kläger Klage auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung wegen Diskriminierung.

Der Kläger ist der Ansicht, er sei wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden. Dass der Beklagte seiner Verpflichtung nach § 82 S. 2 SGB IX zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch nicht nachgekommen sei, stelle ein Indiz für die Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung dar. Er sei für die ausgeschriebene Stelle nicht etwa offensichtlich fachlich ungeeignet gewesen. Aufgrund der Diskriminierung stünde ihm die Zahlung einer Entschädigung in Höhe von zumindest drei Bruttomonatsverdiensten a EURO 2.994,70, mithin einen Gesamtbetrag von mindestens EURO 8.984,10, zu. Der Beklagte stelle zwar umfassend dar, dass der Kläger überqualifiziert sei, es bestünde jedoch die Möglichkeit, dass auch die Behinderung des Klägers ein Motiv für die Ablehnung gewesen sei. Es sei fraglich, ob der Beklagte seinen Standpunkt im Wege des Zeugenbeweises unter Nachweis stellen könne und die erforderliche Objektivität bei diesem vorläge. Die hohe Qualifikation des Klägers stünde einer Einstellung nicht entgegen. Der Kläger sei in den vergangenen Jahren in Funktion zwischen EG 8 bis EG 11 tätig gewesen. Er habe sich bewusst für die Bewerbung entschieden. Der Beklagte könne sich daher nicht auf eine Überqualifikation des Klägers als entgegenstehendes Kriterium für die Bewerbung berufen. Der öffentliche Arbeitgeber müsse den Grundsatz der Bestenauslese beachten. Der Beklagte habe sich letztendlich für eine Bewerberin entschieden, die die fachliche Eignung für die ausgeschriebene Stelle nicht besitze. Es werde mit Nichtwissen bestritten, dass dieser die Stellenausschreibung der Agentur für Arbeit mitgeteilt und die Bewerbung unverzüglich der Schwerbehindertenvertretung weitergeleitet habe.

Der Kläger beantragt zuletzt:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine angemessene Entschädigung in Geld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.05.2017 zu bezahlen. Als angemessene Entschädigung wird vom Kläger ein Betrag in Höhe von 8.984,10 EURO (dreifaches monatliches Entgelt) angesehen.

Die beklagte Partei beantragt: Die Klage ist kostenfällig abzuweisen.

Zur Begründung ihres Antrags führt der Beklagte aus: Die Klage sei nicht begründet. Der Geschehensablauf rechtfertige keinen Entschädigungsanspruch des Klägers. Man habe ihn bewusst nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, da der Kläger offensichtlich überqualifiziert sei. Die Nichteinladung habe mit dessen Schwerbehinderung nichts zu tun.

Der Beklagte führt aus, dass der Kläger, der über eine direkte Laufbahnbefähigung für den höheren Dienst – 4. Qualifikationsebene – verfüge, überqualifiziert für die zu besetzende Stelle in der Entgeltgruppe 9 des TVöD sei. Diese Stelle habe der Beklagte für Beamtinnen und Beamte der 3. Qualifikationsebene mit abgeschlossenem Studium zum Dipl.-Verwaltungswirt (FH) oder Verwaltungsfachwirte (Angestelltenlehrgang II) vorgesehen. Bewerberinnen und Bewerber mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium, z. B. der Rechtswissenschaften oder einem Masterabschluss, sei aus Sicht der Beklagten für die zu besetzende Stelle deutlich überqualifiziert. Überqualifizierte Bewerber seien von Anfang an vom weiteren Besetzungsverfahren ausgeschlossen worden. Grund hierfür sei das personalpolitische Ziel des Landkreises, welches dieser seit vielen Jahren verfolge. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten entsprechend ihrer Qualifikation eingesetzt werden, so dass eine notwendige langfristige Personalplanung durch Mitarbeiterbindung und Zufriedenheit möglich sei. Die Einstellung von überqualifizierten Bewerbern führe zu Frustrationen bei diesen und bei seinen Mitarbeitern, aber auch bei Vorgesetzten, die Probleme hätten, Führungsaufgaben wahrzunehmen gegenüber Mitarbeitern, die höher qualifiziert seien als sie selber. Überqualifizierte Bewerber führten entgegen dem Personalentwicklungskonzept des Beklagten zu einer Sperre bei dem Aufstieg und der Weiterbildung von anderen Mitarbeitern. Eine langfristige Besetzung von Stellen würde dadurch konterkariert. Die Akzeptanz bei gleichgestellten Mitarbeitern und Führungskräften leide unter eine Überqualifizierung und ziehe Probleme im Team nach sich. Es bestehe die Gefahr, dass die Fluktuation hierdurch erhöht werde. Dies stünde dem Ziel einer nachhaltigen langfristigen Personalplanung entgegen. Der Beklagte habe daher die personalpolitische Entscheidung getroffen, überqualifizierte Bewerber – wie den Kläger – der in seiner Bewerbung selber ausführt, Führungsverantwortung übernehmen zu wollen, insbesondere….“im universitären Bereich“, nicht auf deutlich unterqualifizierte Stellen einzusetzen. Aus diesem Grund habe sie von den 57 Bewerbern auf die ausgeschriebene Stelle 26 wegen mangelnder Qualifikation und, neben dem Kläger, 8 weitere Bewerberinnen und Bewerber wegen zu hoher Qualifikation von vorneherein aus dem Bewerbungsverfahren ausgeschlossen. Von den verbleibenden 22 an sich geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern habe der Beklagte 8 Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch am 03.04.2017 eingeladen. Die Auswahlentscheidung sei letztendlich auf die Bewerberin Frau … gefallen, eine ausgebildete Verwaltungsfachangestellte mit Erfahrung im Bereich Personalbetreuung. Alle weiteren 56 unterlegenen Bewerber — unter ihnen auch der Kläger – hätten mit Schreiben vom 02.04.2017 eine Absage erhalten. Die Bewerberin … sei zum 01.07.2017 in der Entgeltgruppe 9 a TVöD auf die ausgeschriebene Stelle eingestellt worden.

Der Beklagte bestreite mit Nichtwissen, dass beim Kläger zum Zeitpunkt seiner Bewerbung beim Beklagten ein Grad der Behinderung von 30 GdB Vorgelegen habe. Den Bewerbungsunterlagen habe lediglich der Gleichstellungsbescheid vom 17.10.2016 beigelegen. Der zugrundeliegende Feststellungsbescheid kenne der Beklagte nicht. Hinweise für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers wolle die Beklagte mit vorliegendem Verfahren nicht vertiefen. Im Ergebnis habe die beklagte Partei aber zu Recht den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen; der alleinige Grund hierfür sei die Überqualifikation des Klägers gewesen. Ein Zusammenhang mit der fachlichen Eignung des Klägers oder seiner Schwerbehinderung bestünde nicht.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugin … .Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Kammerverhandlung vom 18.04.2018 (vgl. Bl. 93-97 d.A.) Bezug genommen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze, jeweils nebst Anlagen, sowie die zu Protokoll gegebenen Erklärungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Dem Kläger steht kein Entschädigungsanspruch nach § 15 II AGG in Höhe von EURO 8.984,10 zu, weil der beklagte Landkreis den einem Schwerbehinderten gleichgestellten Kläger nicht gem. § 82 S. 2 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat.

1.)

Als Schwerbehinderter darf der Kläger nicht wegen seiner Behinderung benachteiligt werden, § 81 II S. 1 SGB IX. Für die Erfüllung des Tatbestands der Benachteiligung gelten gem. § 81 II S. 2 SGB IX die Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes nach deren §§ 1, 2, 7 ff. AGG (vgl. BAG 07.04.2011 – 8 AZR 679/09 – AP Nr. 6 zu § 15 AGG).

Der Anspruch auf Entschädigung nach § 15 II AGG setzt einen Verstoß gegen das in § 7 I AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus und ist verschuldensunabhängig. Ein solcher Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot liegt nicht vor. Der Beklagte hat zu Recht dem Kläger aus der Bewerbung für die ausgeschriebene Stelle eines Sacharbeiters in EG 9 des TVöD wegen dessen Überqualifizierung ausgeschlossen.

2.)

Der Kläger ist einem schwerbehinderten Menschen nach §§ 2 III, 68 I, II SGB IX gleichgestellt. Die Gleichstellung behinderter Menschen mit einem Schwerbehinderten erfolgt aufgrund einer Feststellung nach § 69 SGB IX auf Antrag des behinderten Menschen durch die Bundesagentur für Arbeit, § 68 II, S. 1 SGB IX.

Der Kläger hat mit seiner schriftlichen Bewerbung vom 10.03.2017 den Gleichstellungsbescheid der Bundesagentur für Arbeit gem. § 2 III SGB IX in Vorlage gebracht. Aus diesem geht hervor, dass der Kläger seit 10.10.2016 einem Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist. Im Gegensatz zur bloßen deklaratorischen Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft hat der Gleichstellungsbescheid konstitutive Wirkung (vgl. BAG 10.04.2014 – 2 AZR 647/13 – NZA2015, 162-166 m.w.N.). Der betreffende Verwaltungsakt der Bundesagentur für Arbeit ist für die Rechtsposition des Betroffenen maßgeblich. Im Unterschied zu den kraft Gesetzes geschützten Personen, bei denen durch die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch ein bestehender Rechtsschutz nur festgestellt wird, wird der Schutz des Behinderten durch die Gleichstellung konstitutiv begründet (vgl. BAG 24.11.2005 – 2 AZR 540/04 – zu B II 1 a der Gründe).

Damit ist das bloße Bestreiten der Beklagten mit Nichtwissen, das beim Kläger zum Zeitpunkt seiner Bewerbung ein Grad der Behinderung von 30 vorlag, unbehelflich. Der vom Kläger vorgelegte Gleichstellungsbescheid wirkt tatbestandsbegründend, so dass es auf die zugrundeliegende Feststellung der Schwerbehinderung nicht ankommt. Nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast wäre es nunmehr an der Beklagten gewesen, hiergegen einen substantiierten Sachvortrag zu leisten und entsprechend Beweis anzubieten. Eine solche Darlegung von substantiierten Bestreitensgründen liegt ebenso wenig vor wie ein hinreichendes Beweisangebot, so dass von der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers i.S.v. § 2 III SGB IX auszugehen ist.

3.)

Nach § 82 S. 2 SGB IX hat der öffentliche Arbeitgeber den sich bewerbenden schwerbehinderten Menschen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Diese Pflicht besteht § 82 S. 3 SGB IX nur dann nicht, wenn dem schwerbehinderten Menschen die fachliche Eignung offensichtlich fehlt.

Ein schwerbehinderter Bewerber oder ein diesem gleichgestellter Arbeitnehmer muss bei einem öffentlichen Arbeitgeber die Chance eines Vorstellungsgesprächs bekommen, wenn seine fachliche Eignung zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist (vgl. BAG 16.09.2008 – 9 AZR 791/07 – NZA 2009, 79 ff.).

Auf die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung kommt es im Streitfall nicht an. Ihr Fehlen könnte allenfalls den Einwand des treuwidrigen Verhaltens des Klägers als Bewerber begründen (vgl. BAG 16.02.2012 – 8 AZR 697/10 – AP Nr. 4 zu § 22 AGG). Ein hinreichender Sachvortrag der beklagten Partei zum Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 242 BGB liegt nicht vor. Allein der Umstand, dass der Kläger sich für unterwertige Stellen bewirbt, lässt den Schluss auf ein treuwidriges Verhalten nicht zu. Gleiches gilt für den Ansatz, dass der Kläger glaublich bereits mehrere gleiche oder ähnliche Klagen anhängig gemacht hat. Die Beklagte geht selber davon aus, dass eine Überqualifikation nicht ohne weiteres auf einen Rechtsmissbrauch hindeutet und die Einrede derzeit nicht vertieft werden soll. Damit ist die Ernsthaftigkeit der Bewerbung prozessual zunächst keine Voraussetzung für die Anspruchsentstehung (vgl. BAG 11.08.2016 – AZR 4/15 – Rz. 38 ff.).

4.)

Der Beklagte ist als Arbeitgeber i.S.v. §§ 6 II S. 1, 151 i.V.m. II AGG passiv legitimiert. Der Beklagte hat die Stellenausschreibung betrieben und ist damit Adressat für Bewerbungen auf ein Arbeitsverhältnis (vgl. BAG 19.08.2010, 8 AZR 370/09 – AP Nr. 19 zu § 81 SGB IX).

5.)

Der Kläger hat die materiell-rechtlichen Ausschlussfristen zur Geltendmachung einer Entschädigungsklage nach § 15 II AGG beachtet.

a)

Nach § 15 IV S. 1 AGG muss ein Anspruch nach § 15 I, II AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Im Falle einer Bewerbung beginnt die Frist grundsätzlich mit Zugang der Ablehnung, §15 IV S. 2 AGG, nicht jedoch vor dem Zeitpunkt, in dem der Bewerber von seiner Benachteiligung Kenntnis erlangt (vgl. BAG 15.03.2012 – 8 AZR 730/11 AP Nr. 11 zu § 15 AGG).

ln streitbefangener Sache hat die Beklagte die Bewerbung des Klägers vom 10.03.2017 unter dem 12.04.2017 abgelehnt. Gegen die Ablehnung hat der Kläger am 03.06.2017 seinen glaublich bestehenden Entschädigungsanspruch schriftlich geltend gemacht. Damit ist die zweimonatige Geltendmachungsfrist des § 15 IV S. 1 AGG eingehalten.

b)

Die Frist zur Klageerhebung von drei Monaten gern. § 61 b I AGG ist beachtet.

Seine Klage vom 24.08.2017 ist beim Gericht am 28.08.2017 eingegangen. Damit ist die Klage auf Entschädigung nach § 15 AGG fristgerecht innerhalb von drei Monaten, nachdem der Anspruch schriftlich geltend gemacht worden ist, erhoben worden.

6.)

Der Kläger unterfällt grundsätzlich dem Benachteiligungsverbot in § 7 I AGG.

§ 7 I AGG verbietet sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen. Nach § 3 I S. 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, u. a. einer Behinderung, eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine Person in einer vergleichbaren Situation. In diesem Sinne ist der Kläger für die ausgeschriebene Stelle objektiv geeignet. Die Überqualifizierung ändert daran nichts. Durch diese wird die objektive Eignung des Klägers nicht in Frage gestellt (vgl. BAG 23.01.2014 – 8 AZR 118/13; 14.11.2013 – 8 AZR 997/12).

7.)

In streitgegenständlicher Sache liegen zwar Indizien vor, die eine Benachteiligung des Klägers wegen der Behinderung vermuten lassen, so dass der Bewerber wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung, welche drei Monatsgehälter nicht übersteigen darf, nach § 15 II AGG geltend machen könnte. Insbesondere der Umstand, dass der Beklagte den Kläger entgegen § 82 S. 2 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat, löst die Vermutung aus, dass nach der Beweislastregelung des § 22 AGG ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vorliegt. Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist (vgl. EuGH 25.04.2013 – C-81/12 Accept Rz. 55 m.w.N.). Hierfür gilt das Beweismaß des sog. Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss demnach Tatsachen vortragen ggfs. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben. In dem Motivbündel des Arbeitgebers darf der betreffende Grund weder als negatives noch der fehlende Grund als positives Kriterium enthalten gewesen sein (vgl. BAG 16.02.2012 – 8 AZR 697/10).

8.)

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist der Kläger nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt worden.

Der Kläger hat zwar eine ungünstigere Behandlung erfahren, da er, anders als andere Bewerber, nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist und damit vorab aus dem Auswahlverfahren ausgeschieden wurde. Die Vermutung der Benachteiligung hat die beklagte Partei jedoch widerlegt. Nach der Beweisaufnahme steht fest, dass der Kläger nicht wegen seiner Schwerbehinderung unberücksichtigt geblieben ist, sondern ausschließlicher Grund hierfür personalpolitische Erwägungen des Beklagten waren. Dieser hat die unternehmerische Entscheidung getroffen, den Kläger wegen seiner deutlichen Überqualifizierung nicht zum Vorstellungsgespräch einzuladen.

9.)

Aufgrund der glaubwürdigen Aussage der Zeugin … steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass ausschließlich andere Gründe als die Behinderung des Klägers für die Benachteiligung ausschlaggebend gewesen sind. Der Umstand, dass der Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist, stellt keinen Diskriminierungstatbestand i.S.v. § 82 S. 2 SGB IV dar und kann folgerichtig keinen Entschädigungsanspruch nach § 15 II AGG auslösen.

a)

Die Zeugin hat bekundet, dass ursprünglich 57 Bewerbungen auf die ausgeschriebene Stelle eingegangen sind und der Beklagte Kenntnis von der Schwerbehinderung des Klägers gehabt habe. Dieser habe bei Prüfung der Bewerbungen 26 Bewerber wegen mangelnder Qualifikation ausgeschlossen. Von den verbleibenden 31 Bewerbern seien 9 wegen Überqualifikation ausgeschlossen worden; darunter habe sich der Kläger befunden. Bei der ausgeschriebenen Stelle handelt es sich ausweislich des Anforderungsprofils um eine Sachbearbeiterstelle in der Personalbetreuung, welche nach dem Anforderungsprofil mit der Entgeltgruppe 9 des TVöD bewertet werde. Es handle sich um eine Stelle der Qualifikationsstufe Ende der zweiten, Anfang der dritten Qualifikationsebene. Der Kläger hingegen habe die Qualifikation für die vierte Qualifikationsstufe, da er einen Abschluss mit Studium zum Dipl.-Verwaltungswirt – Dritte Qualifikationsebene und zusätzlichen Abschluss als Master of Public Administration = Vierte Qualifikationsebene habe. Damit sei der Kläger für die ausgeschriebene Stelle überqualifiziert.

b)

In ihrer Aussage hat die Zeugin begründet, dass der Beklagte die Entscheidung getroffen habe, nur Mitarbeiter einzustellen, die der jeweiligen Qualifikationsebene entsprächen. Sie sei seit dem Jahr 1987 in der Personalabteilung des beklagten Landratsamts beschäftigt; seitdem sie dort tätig sei, gäbe es das personalpolitische Konzept, jeweils nur Bewerber auf der jeweils zuzuordnenden Ebene einzustellen und keine überqualifizierten oder unterqualifizierten Bewerber zu nehmen. Dies sei ein festes personalpolitisches Ziel der beklagten Partei. Die Zeugin hat betont, dass eine Überqualifikation nach dem personalpolitischen Ziel des Beklagten unerwünscht sei, weil diese die Mitarbeiter langfristig an das Landratsamt binden wolle. Überqualifizierte Mitarbeiter würden zur Unzufriedenheit führen, insbesondere auch deswegen, weil der berufliche Aufstieg andernfalls nicht gewährleistet sei. Die Überqualifikation führe zu Problemen bei der Akzeptanz von Führungskräften. Wenn die Führungskraft weniger qualifiziert sei als der Mitarbeiter, führe dies zu Spannungen. Dies wolle der Beklagte nicht. Eine Überqualifikation auf derselben Qualifikationsebene führe zudem zu Spannungen im Team. Es sei davon auszugehen, dass die Kollegen bei einem überqualifizierten Mitarbeiter sich zurückgesetzt fühlten. Dies widerspreche dem personalpolitischen Konzept der beklagten Partei. Weiter hat die Zeugin bekundet, dass in Hinblick auf den Aufstieg der Mitarbeiter sich aus der Überqualifikation Probleme ergäben, da ein überqualifizierter Mitarbeiter ggfs. anderen Mitarbeitern auf derselben Ebene vorgezogen werden müsse. Dies widerspreche der getroffenen personalpolitischen unternehmerischen Entscheidung.

c)

Die Zeugin hat weiter ausgesagt, dass der Beklagte sich entschlossen habe, die externe Bewerberin … auf die ausgeschriebene Stelle in EG 9 einzustellen. Diese sei Verwaltungsfachangestellte und sei zuvor in einer Gemeinde in der Personalbetreuung tätig gewesen; sie habe zuvor die Aufgaben wahrgenommen, die nunmehr von ihr bei dem Beklagten durchgeführt werden müssten. Diese habe die erforderlichen Kenntnisse im Fachverfahren sowie in Personalverfahren und sei für die vorgesehene Eingruppierung EG 9 qualifiziert.

Die Zeugin hat betont, dass sie bei Durchführung des Auswahlverfahrens vom Krankheitsbild des Klägers keine Kenntnis gehabt habe. Sie habe auch nicht gewusst, wann dieser die Masterqualifikation erworben habe und ob der Abschluss der Qualifikation vor Ausbruch seiner Krankheit oder danach gewesen sei.

d)

Die in sich stimmige Aussage der glaubwürdigen Zeugin deckt sich mit den objektiven Beweisanzeigen und ist glaubhaft. Auch unter Berücksichtigung der Position der Zeugin im Personalbereich der Beklagten und der damit verbundenen Funktion ist die Zeugin, die ihre Aussage in ruhiger und in sachlicher Form gemacht hat, in vollem Umfang überzeugend. Das Gericht hat keinerlei Anhaltspunkte, die es erlauben würden, an deren Glaubwürdigkeit zu zweifeln.

10.)

Damit steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass ausschließlich andere Gründe als die Behinderung des Klägers für die Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch entscheidend gewesen sind. Ebenso ist das Gericht davon überzeugt, dass diese Gründe nicht die fachliche Eignung des Klägers betrafen. Der beklagte Landkreis hat seine Entscheidung, nur Bewerber mit einer bestimmten Qualifikation zu berücksichtigen, allein auf personalpolitische Gründe gestützt, die die fachliche Eignung nicht betreffen (vgl. BAG 20.01.2016 – 8 AZR 194/14 – Rz. 45 ff. – NZA 2016, 681-687). Die von der beklagten Partei angeführten Erwägungen der Personalpolitik, die die Mitarbeiterzufriedenheit und eine nachhaltige Personalplanung zum Ziel haben, sind neutrale Bewertungskriterien, die eine Diskriminierung ausschließen. Gleiches gilt für die nach Aussage der Zeugin maßgeblichen Kriterien, überqualifizierte Mitarbeiter könnten aufgrund der Wahrnehmung nicht ihrer Qualifikation entsprechender Aufgaben frustriert werden. Dies gilt auch für das personalpolitische Ziel der Beklagten, eine Verdrängung der Bewerber von oben nach unten bei der Besetzung von Beförderungsstellen zu vermeiden (vgl. BAG 20.01.2016 a.a.O.).

a)

Der beklagte Landkreis hat damit die Vermutung der Kausalität der Behinderung des Klägers unter Berufung auf die unternehmerische Entscheidung zum personalpolitischen Konzept widerlegt. Diese von der beklagten Partei getroffenen Erwägungen sind nicht an den Vorgaben von Art. 33 II GG zu messen, wonach jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt hat. Beruft sich der beklagte öffentliche Arbeitgeber zur Widerlegung der Kausalitätsvermutung, die auf Verstößen gegen Verfahrensvorschriften beruht, die zur Förderung der Chancen schwerbehinderter Menschen im konkreten Stellenbesetzungsverfahren geschaffen wurden, auf Gründe der Personalpolitik, die nicht an die Kriterien des Art. 33 II GG anknüpfen, muss er nicht darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass er den Grundsatz der Bestenauslese gewahrt hat. In einem derartigen Fall reicht es aus – wie hier – wenn der öffentliche Arbeitgeber Tatsachen vorträgt und beweist, aus denen sich ergibt, dass es ausschließlich andere Gründe waren als die Behinderung, die zur weniger günstigen Behandlung geführt haben, und in seinem Motivbündel weder die Behinderung als negatives noch die fehlende Behinderung als positives Kriterium enthalten gewesen ist (vgl. BAG 22.08.2013 – 8 AZR 563/12 – Rz. 64 ff.).

Personalpolitische Erwägungen, wie sie die beklagte Partei getroffen hat, die die Mitarbeiterzufriedenheit und eine nachhaltige Personalplanung zum Ziel haben, sind nicht sachwidrig (vgl. BAG 20.01.2016 a.a.O.).

b)

Damit liegt eine Diskriminierung des Klägers im Bewerbungsverfahren nicht vor.

Dies gilt ungeachtet dessen, ob der Beklagte die Schwerbehindertenvertretung nach § 81 I S. 4, § 95 II S. 1 SGB IX über die Bewerbung des Klägers unterrichtet hat. Ebenso kann dahinstehen, ob der beklagte Landkreis gegen die aus § 81 I S. 2, § 82 S. 1 SGB IX folgende Verpflichtung verstoßen hat, die zu besetzende Stelle der Bundesagentur für Arbeit zu melden. Der Beklagte hat – wie aus der Zeugenaussage hervorgeht – die aus den Indizien folgende Vermutung der Kausalität der Behinderung für die Benachteiligung des Klägers widerlegt (vgl. oben unter Ziff. 7. ff.; BAG 20.01.2016 a.a.O., Rz. 37 ff.).

11.)

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits beruht auf den §§ 91 I ZPO, 46 II ArbGG.

Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 61 I, 46 II ArbGG, 39, 40 GKG, 3 ZPO.

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