Übersicht:
- Böswilliges Unterlassen: Anspruch auf Schadensersatz bei Informationspflichtverletzung
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was muss ich als Arbeitnehmer nachweisen, um den Vorwurf des böswilligen Unterlassens zu entkräften?
- Welche konkreten Pflichten hat der Arbeitgeber beim Nachweis von alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten?
- Ab wann gilt die Ablehnung einer angebotenen Stelle als böswilliges Unterlassen?
- Wie wirkt sich die Unwirksamkeit einer Kündigung auf den Verzugslohnanspruch aus?
- Welche Rolle spielt das Sozialgeheimnis bei Verzugslohnstreitigkeiten?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Weitere Beiträge zum Thema
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landesarbeitsgericht Hamburg
- Datum: 06.04.2023
- Aktenzeichen: 8 Sa 51/22
- Verfahrensart: Berufungsverfahren über Verzugslohnansprüche
- Rechtsbereiche: Arbeitsrecht, Zivilrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Ein Arbeitnehmer, der Verzugslohnansprüche geltend macht. Er argumentiert, dass er keinen anderweitigen Verdienst böswillig unterlassen hat und geht davon aus, dass keine konkreten Erwerbsmöglichkeiten vorhanden waren, die ihm bekannt waren und die er hätte annehmen sollen.
- Beklagte: Der Arbeitgeber, der die Verzugslohnzahlung bestreitet, indem er behauptet, dass der Kläger böswillig anderweitigen Verdienst unterlassen hat. Die Beklagte weist darauf hin, dass es geeignete Stellen gab und der Kläger verpflichtet war, diese anzunehmen oder sich darauf zu bewerben.
Um was ging es?
- Sachverhalt: Der Kläger fordert Verzugslohn von der Beklagten für mehrere Monate im Jahr 2021. Das Arbeitsgericht hatte teilweise zu seinen Gunsten entschieden, wobei es Verzugslohnansprüche für spätere Monate verneinte. Der Kläger behauptet, dass keine geeigneten und ihm bekannten Stellenangebote existierten.
- Kern des Rechtsstreits: Ob der Arbeitnehmer böswillig anderweitigen Verdienst unterlassen hat, obwohl ihm Arbeitsmöglichkeiten bekannt waren und zumutbar gewesen wären.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Berufung des Klägers war zulässig und überwiegend erfolgreich. Die Beklagte wurde dazu verurteilt, den geforderten Verzugslohn zu zahlen. Die Anschlussberufung der Beklagten wurde zurückgewiesen.
- Begründung: Es wurde festgestellt, dass dem Kläger keine konkreten Erwerbsmöglichkeiten bekannt waren, die er böswillig hätte unterlassen können. Ein Verweis auf einen generell günstigen Arbeitsmarkt genügte nicht, um dem Kläger Böswilliges Unterlassen entgegenzuhalten.
- Folgen: Der Kläger erhält die zugesprochenen Verzugslohnzahlungen. Die Entscheidung des Gerichts unterstreicht, dass ein Arbeitnehmer nicht für abgelehnte allgemeine Arbeitsmarktchancen haftbar gemacht werden kann ohne konkrete, ihm bekannte Angebote. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, und es wird keine Revision zugelassen.
Böswilliges Unterlassen: Anspruch auf Schadensersatz bei Informationspflichtverletzung
Böswilliges Unterlassen ist ein juristisches Konzept, das in vielen zivilrechtlichen Kontexten von Bedeutung ist. Es bezieht sich auf die Verantwortlichkeit einer Person, die es unterlässt, einen Erwerb zu tätigen, obwohl sie darüber informiert ist, dass wirtschaftliche Chancen bestehen. Im Rahmen der Erwerbsobliegenheit ergibt sich für Individuen eine Informationspflicht, die sie dazu verpflichtet, potenzielle Erwerbsmöglichkeiten aktiv zu verfolgen und nicht inaktiv zu bleiben.
Wenn jemand durch dieses Unterlassen einen Schaden verursacht, können rechtliche Folgen in Form von Schadensersatzansprüchen entstehen. Dabei wird die negative Auskunftspflicht relevant, da die betroffene Partei möglicherweise nicht nur für das Unterlassen haftet, sondern auch für die Fakten, die schädigend wirken können. Um die komplexen Details besser zu verstehen, wird im Folgenden ein konkreter Fall vorgestellt, der die Thematik weiter vertieft.
Der Fall vor Gericht
Verzugslohnstreit nach unwirksamer Kündigung: Konkreter Nachweis alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten erforderlich
Das Landesarbeitsgericht Hamburg hat in einem Streit um Verzugslohn die Position von Arbeitnehmern gestärkt. Ein gekündigter Arbeitnehmer klagte gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber auf Zahlung von Verzugslohn für mehrere Monate nach seiner Freistellung. Der Arbeitgeber warf ihm vor, sich nicht ausreichend um eine neue Stelle bemüht zu haben.
Zentrale rechtliche Streitpunkte zum böswilligen Unterlassen
Das LAG Hamburg stellte klar: Ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes kommt nur in Betracht, wenn dem Arbeitnehmer mindestens eine konkrete Erwerbsmöglichkeit bekannt war. Der bloße Verweis des Arbeitgebers auf einen günstigen Arbeitsmarkt reicht nicht aus – dies sei keine feststellungsfähige Tatsache, sondern lediglich eine Bewertung. Auch die pauschale Behauptung des Arbeitgebers, bei bestimmten Unternehmen seien geeignete Stellen zu besetzen gewesen, genügt nicht, wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass der Arbeitnehmer von diesen offenen Stellen wusste.
Pflichten und Möglichkeiten des Arbeitgebers
Das Gericht zeigte auf, wie Arbeitgeber Verzugslohnansprüche rechtmäßig vermeiden können: Sie haben die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer eine zumutbare Prozessbeschäftigung im eigenen Unternehmen anzubieten oder ihn auf konkrete Stellenangebote in anderen Unternehmen hinzuweisen. Die Ablehnung einer zumutbaren Prozessbeschäftigung durch den Arbeitnehmer würde regelmäßig ein böswilliges Unterlassen begründen – selbst wenn die angebotene Tätigkeit von der ursprünglich vereinbarten abweicht.
Grenzen der Nachweispflicht und Datenschutz
Das LAG Hamburg betonte die Grenzen der Nachweismöglichkeiten des Arbeitgebers: Das durch § 35 SGB I geschützte Sozialgeheimnis verhindert, dass Arbeitgeber von der Bundesagentur für Arbeit Auskünfte über Vermittlungsvorschläge an ihre ehemaligen Mitarbeiter erhalten. Dieses Sozialgeheimnis kann auch nicht durch Benennung von Behördenmitarbeitern als Zeugen umgangen werden.
Urteil zugunsten des Arbeitnehmers
Im konkreten Fall gab das LAG der Berufung des Klägers überwiegend statt. Das Risiko der Unwirksamkeit einer Kündigung liegt beim kündigenden Arbeitgeber. Ohne konkrete Hinweise auf zumutbare Beschäftigungsmöglichkeiten war der Arbeitnehmer nicht verpflichtet, von sich aus aktiv zu werden. Die Behauptung des Arbeitgebers über zahlreiche offene Stellen im Pflegebereich reichte nicht aus, um ein böswilliges Unterlassen zu begründen.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil stärkt die Position von Arbeitnehmern beim Thema Verzugslohn nach einer Kündigung. Die zentrale Erkenntnis ist, dass Arbeitgeber konkret nachweisen müssen, welche passenden Stellen dem Arbeitnehmer bekannt waren – ein pauschaler Verweis auf einen „guten Arbeitsmarkt“ reicht nicht aus. Das Gericht stellt klar: Das Risiko einer unwirksamen Kündigung liegt beim Arbeitgeber, und ohne konkrete Stellenangebote muss der Arbeitnehmer nicht von sich aus aktiv werden.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Ihr Arbeitgeber Ihnen Verzugslohn mit der Begründung verweigert, Sie hätten sich nicht ausreichend um eine neue Stelle bemüht, steht er jetzt in der Beweispflicht. Er muss Ihnen konkrete, passende Stellenangebote nachweislich mitgeteilt haben – etwa durch ein Weiterbeschäftigungsangebot im eigenen Unternehmen oder durch den Hinweis auf spezifische offene Stellen bei anderen Arbeitgebern. Besonders wichtig für Sie: Die angebotenen Stellen müssen Ihrer bisherigen Beschäftigungsform entsprechen – war Ihre alte Stelle in Teilzeit, müssen auch die neuen Angebote Teilzeitstellen sein.
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Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was muss ich als Arbeitnehmer nachweisen, um den Vorwurf des böswilligen Unterlassens zu entkräften?
Als Arbeitnehmer müssen Sie sich zunächst bei der Agentur für Arbeit ordnungsgemäß arbeitssuchend melden und den Vermittlungsangeboten sachgerecht nachgehen. Die Beweislast für das böswillige Unterlassen liegt grundsätzlich beim Arbeitgeber.
Erforderliche Nachweise
Wenn Sie sich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet haben, müssen Sie dokumentieren, dass Sie den Vermittlungsangeboten der Agentur aktiv nachgegangen sind. Eine rein formale Arbeitslosmeldung reicht dabei nicht aus – Sie müssen auch nachweisen können, dass Sie sich ernsthaft um eine neue Beschäftigung bemüht haben.
Zumutbare Tätigkeiten
Sie sind nicht verpflichtet, sich unermüdlich um eine zumutbare Arbeit zu kümmern. Allerdings müssen Sie ein eigenes Angebot abgeben, wenn sich eine realistische und zumutbare Arbeitsmöglichkeit bietet. Bei Vermittlungsvorschlägen der Agentur für Arbeit müssen Sie sich im zumutbaren Rahmen mit diesen auseinandersetzen und sich bewerben.
Dokumentation Ihrer Bemühungen
Für eine erfolgreiche Verteidigung gegen den Vorwurf des böswilligen Unterlassens sollten Sie alle Ihre Bewerbungsaktivitäten dokumentieren. Dazu gehören:
- Ihre Meldung bei der Agentur für Arbeit
- Erhaltene Vermittlungsvorschläge
- Durchgeführte Bewerbungen
- Teilnahme an Vorstellungsgesprächen
- Kommunikation mit der Agentur für Arbeit
Wenn der Arbeitgeber Ihnen konkrete Stellenangebote übermittelt, müssen Sie sich zu diesen erklären und darlegen, was Sie unternommen haben. Ein ungefragter Hinweis auf ein laufendes Gerichtsverfahren mit dem bisherigen Arbeitgeber schon vor einem Vorstellungsgespräch entspricht dabei nicht dem Verhalten einer tatsächlich um eine Beschäftigung bemühten Person.
Welche konkreten Pflichten hat der Arbeitgeber beim Nachweis von alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten?
Grundsätzliche Nachweispflicht
Der Arbeitgeber trägt die vollständige Darlegungs- und Beweislast für das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit. Bei der Prüfung muss er alle Betriebe des Unternehmens einbeziehen, nicht nur den Betrieb, in dem der Arbeitnehmer bisher beschäftigt war.
Umfang der Prüfungspflicht
Der Arbeitgeber muss aktiv nach Alternativen suchen in Form von:
- Unbesetzten Arbeitsplätzen
- Arbeitsplätzen, die mit Leiharbeitnehmern besetzt sind
- Stellen, die absehbar innerhalb der Kündigungsfrist oder in zumutbarer Zeit danach frei werden
Besonderheiten bei gesundheitlichen Einschränkungen
Wenn gesundheitliche Einschränkungen vorliegen, muss der Arbeitgeber zusätzlich prüfen:
- Ob der bisherige Arbeitsplatz leidensgerecht umgestaltet werden kann
- Ob eine Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist
- Ob ein anderer, leidensgerechter Arbeitsplatz zur Verfügung steht
Dokumentationspflichten
Der Arbeitgeber muss konkret darlegen und begründen:
- Warum eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes nicht möglich ist
- Weshalb keine andere Beschäftigungsmöglichkeit besteht
- Welche organisatorischen oder finanziellen Gründe gegen eine Weiterbeschäftigung sprechen
Bei Menschen mit Behinderung gelten erweiterte Pflichten. Der Arbeitgeber muss nachweisen, dass die Weiterbeschäftigung zu einer unverhältnismäßigen Belastung führen würde. Dabei sind Faktoren wie die Unternehmensgröße, finanzielle Ressourcen und mögliche öffentliche Unterstützungsleistungen zu berücksichtigen.
Ab wann gilt die Ablehnung einer angebotenen Stelle als böswilliges Unterlassen?
Ein böswilliges Unterlassen liegt vor, wenn Sie während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleiben und eine zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnehmen oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindern.
Zumutbarkeit der angebotenen Stelle
Die Beurteilung erfolgt durch eine Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls. Die Unzumutbarkeit kann sich aus der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit oder den sonstigen Arbeitsbedingungen ergeben.
Ein niedrigeres Gehalt allein macht eine Stelle nicht unzumutbar. Wenn Sie eine Änderungskündigung erhalten, die auf die Änderung der bisherigen vertraglichen Tätigkeit gerichtet ist, kann deren Nichtannahme bereits als böswilliges Unterlassen gewertet werden.
Pflichten bei der Arbeitssuche
Sie müssen sich nicht „unermüdlich“ um eine neue Arbeit kümmern. Allerdings reicht eine rein formale Arbeitslosmeldung nicht aus. Wenn Sie sich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend melden und deren Vermittlungsangeboten nachgehen, ist dies in der Regel ausreichend.
Verhalten bei Stellenangeboten
Ein böswilliges Unterlassen kann vorliegen, wenn Sie:
- Vermittlungsangebote der Arbeitsagentur bewusst verhindern
- Eine realistische zumutbare Arbeitsmöglichkeit nicht wahrnehmen
- Die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit vorsätzlich verhindern
Die Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung reicht ohne weitere Umstände nicht aus, um ein böswilliges Unterlassen auszuschließen. Nach einer Kündigung haben Sie einen angemessenen Zeitraum für die Arbeitssuche – bei normalen Arbeitsmärkten etwa drei Monate.
Wie wirkt sich die Unwirksamkeit einer Kündigung auf den Verzugslohnanspruch aus?
Wird eine Kündigung durch das Arbeitsgericht als unwirksam festgestellt, hat dies erhebliche finanzielle Konsequenzen für den Arbeitgeber. Das Arbeitsverhältnis besteht in diesem Fall ununterbrochen fort, wodurch der Arbeitgeber verpflichtet ist, den gesamten Lohn für den Zeitraum nach der unwirksamen Kündigung nachzuzahlen.
Grundlagen des Annahmeverzugslohns
Der Anspruch auf Verzugslohn ergibt sich aus §§ 615 S. 1, 611a Abs. 1 BGB. Er umfasst nicht nur das reguläre Grundgehalt, sondern auch sämtliche Entgeltbestandteile wie Tantiemen und ein eventuelles 13. Monatsgehalt.
Anrechnung anderweitiger Einkünfte
Wenn Sie während des Kündigungsrechtsstreits einer anderen Beschäftigung nachgehen, müssen Sie sich dieses Einkommen auf den Verzugslohnanspruch anrechnen lassen. Dies gilt jedoch nicht für Einkünfte aus bereits bestehenden Nebentätigkeiten, die Sie auch während der regulären Beschäftigung hätten ausüben können.
Einschränkungen des Anspruchs
Der Verzugslohnanspruch entfällt, wenn Sie:
- nicht leistungsfähig oder leistungswillig waren
- eine zumutbare andere Arbeit böswillig abgelehnt haben
Die Beweislast für diese anspruchshindernden Umstände liegt beim Arbeitgeber. Er muss konkret darlegen, welche zumutbaren Beschäftigungsmöglichkeiten Ihnen zur Verfügung standen.
Prozessbeschäftigung als Alternative
Arbeitgeber können das Risiko hoher Verzugslohnzahlungen durch das Angebot einer Prozessbeschäftigung während des Kündigungsrechtsstreits minimieren. Lehnen Sie ein solches Angebot ohne triftigen Grund ab, kann dies zum Verlust des Verzugslohnanspruchs führen.
Welche Rolle spielt das Sozialgeheimnis bei Verzugslohnstreitigkeiten?
Das Sozialgeheimnis nach § 35 SGB I schützt Ihre persönlichen Sozialdaten vor unbefugter Verarbeitung durch die Leistungsträger, insbesondere die Agentur für Arbeit. Bei Verzugslohnstreitigkeiten hat dies besondere Bedeutung für die Frage des böswillig unterlassenen anderweitigen Erwerbs.
Auskunftsanspruch des Arbeitgebers
Das Bundesarbeitsgericht hat einen wichtigen Ausgleich zwischen dem Sozialgeheimnis und den Interessen des Arbeitgebers geschaffen: Der Arbeitgeber kann von Ihnen als Arbeitnehmer direkt Auskunft über erhaltene Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit verlangen. Dieser Auskunftsanspruch folgt aus § 242 BGB (Treu und Glauben).
Grenzen des Sozialgeheimnisses
Der Arbeitgeber hat keinen direkten Zugriff auf Ihre Daten bei der Arbeitsagentur. Das Sozialgeheimnis verhindert, dass der Arbeitgeber unmittelbar von der Agentur für Arbeit Auskünfte über Vermittlungsvorschläge einholen kann.
Praktische Auswirkungen
Wenn Sie als Arbeitnehmer Verzugslohn fordern, müssen Sie mit einem Auskunftsverlangen des Arbeitgebers rechnen. Nach Erteilung der Auskunft über erhaltene Vermittlungsvorschläge tragen Sie die Beweislast dafür, dass die angebotenen Stellen für Sie nicht zumutbar waren. Diese Regelung ist für Sie besonders relevant, da Sie bei einer Verzugslohnklage nachweisen müssen, dass Sie sich ausreichend um eine andere Beschäftigung bemüht haben.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Verzugslohn
Ein finanzieller Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Zahlung des vereinbarten Arbeitslohns, wenn dieser trotz bestehenden Arbeitsverhältnisses keine Beschäftigung anbietet. Dies tritt besonders nach unwirksamen Kündigungen auf, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht weiterbeschäftigt. Geregelt ist der Verzugslohn in § 615 BGB. Beispiel: Ein Arbeitgeber kündigt unwirksam und stellt den Arbeitnehmer frei – der Anspruch auf Lohnfortzahlung bleibt dann grundsätzlich bestehen.
Böswilliges Unterlassen
Das bewusste Ablehnen oder Nichtverfolgen von zumutbaren Erwerbsmöglichkeiten, obwohl diese bekannt sind und wahrgenommen werden könnten. Basiert auf § 615 Satz 2 BGB und kann zum Verlust von Lohnansprüchen führen. Beispiel: Ein gekündigter Arbeitnehmer lehnt ohne triftigen Grund ein konkretes, zumutbares Jobangebot ab, das ihm vom ehemaligen Arbeitgeber nachweislich mitgeteilt wurde.
Prozessbeschäftigung
Eine vorläufige Weiterbeschäftigung während eines laufenden Kündigungsschutzprozesses, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer anbietet. Sie dient der Vermeidung von Verzugslohnansprüchen gemäß § 615 BGB. Die Tätigkeit kann von der ursprünglichen abweichen, muss aber zumutbar sein. Beispiel: Ein gekündigter Buchhalter wird während des Kündigungsschutzprozesses vorübergehend in der Verwaltung eingesetzt.
Sozialgeheimnis
Ein gesetzlich verankerter Datenschutz nach § 35 SGB I, der persönliche und sachliche Verhältnisse einer Person im Zusammenhang mit Sozialleistungen schützt. Es verhindert, dass Arbeitgeber Informationen über Vermittlungsvorschläge ihrer ehemaligen Mitarbeiter von der Arbeitsagentur erhalten. Dies gilt auch für potenzielle Zeugenaussagen von Behördenmitarbeitern.
Erwerbsobliegenheit
Die rechtliche Pflicht eines Arbeitnehmers, sich nach einer Kündigung um eine neue angemessene Beschäftigung zu bemühen. Diese Pflicht basiert auf § 615 BGB in Verbindung mit § 254 BGB (Schadensminderungspflicht). Sie greift jedoch nur bei nachweislich bekannten, konkreten und zumutbaren Beschäftigungsmöglichkeiten. Beispiel: Ein gekündigter Arbeitnehmer muss sich auf konkret genannte, seiner Qualifikation entsprechende Stellen bewerben.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 615 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch): Dieser Paragraph regelt den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber mit der Leistung des Lohns in Verzug gerät. Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf seine vereinbarte Vergütung, auch wenn er aufgrund von Umständen, die nicht von ihm zu vertreten sind, nicht arbeiten kann. Im konkreten Fall geht es um die Frage, ob der Kläger für bestimmte Monate Anspruch auf Verzugslohn hat, während der Arbeitgeber die Bezahlung verweigert hat.
- § 138 II ZPO (Zivilprozessordnung): Dieser Paragraph sieht vor, dass eine Partei in einem Prozess zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen muss, wenn die andere Partei dazu vorgetragen hat. Der Arbeitnehmer muss sich erklären, welche Maßnahmen er unternommen hat, um eine andere Beschäftigung zu finden oder warum ihm dies nicht möglich oder zumutbar war. Dies ist relevant, um festzustellen, ob der Kläger tatsächlich einen Anspruch auf Verzugslohn hat und ob ihm alternative Verdienstmöglichkeiten angeboten wurden.
- § 35 SGB I (Sozialgesetzbuch, Erstes Buch): Diese Vorschrift schützt das Sozialgeheimnis von Sozialleistungen und besagt, dass Informationen über Leistungen des Jobcenters oder der Bundesagentur für Arbeit nicht ohne Zustimmung des Arbeitnehmers weitergegeben werden dürfen. Hierbei ist wichtig, dass der Arbeitgeber keine Auskunft über vermittelnde Vorschläge verlangen kann, um seine Argumentation zu untermauern, dass der Kläger alternative Beschäftigungsmöglichkeiten hatte. Dies spielt eine Rolle, da die Beklagte behauptet hat, dass der Kläger andere Stellenangebote erhalten hat.
- BAG-Urteil vom 27.05.2020, Az.: 5 AZR 387/19: In diesem Urteil hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass der Arbeitgeber nicht darauf bestehen kann, dass der Arbeitnehmer Beweise für erhaltene Vermittlungsvorschläge erbringt, die der Arbeitgeber jedoch selbst nicht direkt nachweisen kann. Dieses Urteil steht im Einklang mit dem Sozialgeheimnis und wirft ein Licht darauf, wie der Arbeitgeber in diesem Fall nicht auf die Aussagen von Mitarbeitern des Jobcenters zurückgreifen kann, um die Ansprüche des Klägers zu widerlegen.
- § 1 KSchG (Kündigungsschutzgesetz): Dieser Paragraph schützt Arbeitnehmer davor, dass ihnen aus sozial ungerechtfertigten Gründen gekündigt werden kann. Im Kontext des Verzugslohns spielt der Kündigungsschutz eine Rolle, weil der Arbeitgeber möglicherweise auch den Arbeitnehmer zu einer anderen Beschäftigung drängen könnte, um zu beweisen, dass Verdienstmöglichkeiten zur Verfügung standen. Hierzu muss jedoch klar sein, dass trotz Kündigung der Anspruch auf Lohn bestehen bleibt, wenn die Kündigung sozial ungerechtfertigt ist.
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Das vorliegende Urteil
Landesarbeitsgericht Hamburg – Az.: 8 Sa 51/22 – Urteil vom 06.04.2023
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