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Chaotische Kassenführung eines Arbeitnehmers – Abmahnung und Arbeitsvertragskündigung

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 6 Sa 467/19 – Urteil vom 30.01.2020

1.   Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 27.06.2019 – 14 Ca 7927/18 – wird zurückgewiesen

2.  Der Auflösungsantrag des Beklagten wird zurückgewiesen.

3.  Die Kosten der Berufung hat der Beklagte zu tragen.

4.  Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung und im Wege einer Widerklage um Schadensersatz sowie um einen Auflösungsantrag des Arbeitgebers. Im Kern des Rechtsstreits steht der Vorwurf des Beklagten gegenüber dem Kläger, dieser habe die ihm anvertraute Kasse chaotisch geführt und dabei sei im Laufe der Zeit ein Betrag in Höhe von über 4.500,00 EUR abhandengekommen.

Der Beklagte ist ein gemeinnütziger Verein mit inzwischen ca. 50 ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeitern, jedenfalls mehr als 10 Arbeitnehmern iSd. § 23 KSchG, der dem vorrangigen Zweck der Förderung mildtätiger Zwecke folgt, die darauf gerichtet sind, Personen zu unterstützen, die infolge ihres persönlichen körperlichen, geistigen und seelischen Zustandes auf die Hilfe anderer angewiesen sind oder deren Einkünfte eine bestimmte Höhe nicht übersteigen. Dazu gehören unter anderem die Förderung der Kinder-, Jugend- und Erwachsenenarbeit sowie die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen für Behinderte, Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger mit dem Ziel der stufenweisen Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess. In diesem Rahmen wird das „Bürgerhaus M “ und ein Möbellager betrieben.

Der Kläger ist 56 Jahre alt. Neben seinem Realschulabschluss hat er keinen weiteren Ausbildungsnachweis. Er hat auch keine Aus- oder Fortbildung besucht, die die Vermittlung kaufmännischer Kenntnisse zum Gegenstand gehabt hätten. Seit dem Jahre 2008 war er zunächst ehrenamtlich für den Beklagten tätig. Im Jahre 2011 übernahm er ehrenamtlich die Leitung des Sozialbereichs. Schließlich wurde zwischen den Parteien im Juli 2014 mit Blick auf einen vom Jobcenter bewilligten Eingliederungszuschuss ein zunächst befristetes, später unbefristet verlängertes, Arbeitsverhältnis begründet. Ausweislich der Arbeitsvertragsurkunde vom 13.06.2014 (Bl. 4 ff d.A.) wurde der Kläger als „Leiter des Sozialbereichs“ eingestellt. Als wöchentliche Arbeitszeit wurden 30 Stunden vereinbart und als monatliches Bruttoentgelt 1.500,00 EUR. Die Frage, ob der Kläger tatsächlich nur 30 Stunden pro Woche gearbeitet hat, ist nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Die für den Kläger geltende Stellen- und Arbeitsplatzbeschreibung (Bl. 43 d.A.) nennt die „Sozialberatung“ als die „Pflicht- und Hauptaufgabe dieses Bereichs“. Im zehnten Unterpunkt der Teilaufgaben heißt es dort: „Jährliche Erstellung und ggfls. Aktualisierung eines eigenen Budgetplans, laufende Buchführung und Überwachung der Einnahmen und Ausgaben.“

Der vom Kläger geleitete Sozialbereich generiert Einnahmen aus Spenden, dem Verkauf von Möbeln, der Durchführung kleiner Umzüge, der Durchführung von Verwaltungsaufgaben, der Vornahme von Fahrleistungen sowie der Lebensmittelausgabe der Kölner Tafel etc. Die Einnahmen fließen in die Kassen des Sozialbereichs. Aus diesen Einnahmen gewährt der Beklagte durch seinen Sozialbereich, also u.a. durch den Kläger, Mitarbeitern und anderen Personen Kleinstkredite. Dies führt zu entsprechenden Kassenausgaben. Dass der Kläger nach den Maßgaben einer ordnungsgemäßen Buchhaltung die Ausgabe dieser Kleinstkredite nicht immer korrekt behandelt hat, ist zwischen den Parteien unstreitig. Insbesondere fehlen Quittungen der Kreditnehmer. Auch die vollständigen Namen und Adressen der Kreditnehmer sind nicht immer erfasst worden. Vielmehr fand sich bei Prüfungen der Kassen im Jahre 2018 eine Vielzahl von Notizzetteln, auf denen nur Vornamen und Beträge notiert waren. Auf die Dokumentation der Prüfung vom 03.08.2018 wird Bezug genommen, insbesondere auf die dort zu betrachtenden Fotos (Anlage B Bl. 56 ff).

Chaotische Kassenführung eines Arbeitnehmers - Abmahnung und Arbeitsvertragskündigung
(Symbolfoto: Von Studio Romantic /Shutterstock.com)

Seit Beginn seiner ehrenamtlichen Tätigkeit im Sozialbereich, also seit dem Jahre 2011, führte der Kläger – neben einem Sparschwein – drei Geldkassetten: eine weiße, eine blaue und eine braune, deren Inhalt jeweils unterschiedlichen Bestimmungen gewidmet war. Dabei hatte der Kläger nicht allein Zugriff auf die Geldkassetten. Vielmehr gingen Ein- und Ausgaben auch durch die Hände anderer Mitarbeiter aus dem Sozialbereich. Der Kläger und die anderen Mitarbeiter aus dem Sozialbereich führten Excel-Listen als Kassenbuch. Diese Listen wurden monatlich vom Kläger abgezeichnet und dem Vorstand zur Weitergabe an den Steuerberater übergegeben. Der Kassenbestand, also der tatsächliche Inhalt der drei Geldkassetten und des Sparschweins, wurde in den Jahren 2011 bis 2018 (bis einschließlich April) nicht geprüft. Bei Prüfungen, die dann doch im Jahre 2018 durchgeführt worden waren, erstmals am 18. Mai, wurde zum einen festgestellt, dass ein nachvollziehbares Kassenbuch, insbesondere über die Ausgaben, nicht existierte und dass der tatsächliche Kassenbestand vom Ergebnis des fehlerhaften Kassenbuchs um mehr als 4.000,00 EUR abwich. Nach weiteren Kassenprüfungen am 03.08.2018 und 13.09.2018 wurde dem Kläger am 21.09.2018, diesem zugegangen am 24.09.2018, zusammen mit einer Abmahnung (Bl. 58) und einem zukünftig handschriftlich zu führenden Kassenbuch, eine Dienstanweisung zum Führen der Barkassen überreicht. Gegenstand der Abmahnung war der Vorwurf einer chaotischen Kassenführung und ein von dem Beklagten angenommenes Defizit in Höhe von 4.554,39 EUR. Die Kassenprüfung vom 03.08.2018 wurde ausführlich dokumentiert, auch mit Fotos der mehrfach von der Beklagten angesprochenen „Zettelwirtschaft“ (Anlage B 8, Bl. 56 ff d.A.).

Zusammen mit einer weiteren Abmahnung erhielt der Kläger für die zukünftige Nutzung des Dienstfahrzeugs ein Fahrtenbuch.

Am 30.10.2018 fand schließlich durch den Steuerberater des Beklagten eine Kassenprüfung statt. Der Steuerberater sah sich veranlasst, den Beklagten eindringlich an seine fiskalischen und buchhalterischen Pflichten zu erinnern und diese Erinnerung zu seiner Handakte zu nehmen, als „Nachweis über die erfolgte Belehrung, um eventuellen zukünftigen Haftungsansprüchen an meine Kanzlei entgegen zu treten.“ Der Steuerberater stellte fest, dass in den Geldkassetten weitere Ausgabenbelege aus der Zeit vom 24.09.2018 bis zum 29.10.2018, also aus einer Zeit nach dem Zugang der Abmahnung vom 21.09.2018, lagen, die alle noch nicht in das dem Kläger zwischenzeitlich überlassene Kassenbuch eingetragen worden waren:

mit acht Ausgabenbelegen wurden Barauszahlungen von Vorschüssen für Gehaltsempfänger für den Monat Oktober 2018 nachgewiesen;

ein handschriftlich ausgefüllter Vordruck, datiert auf den 29.10.2018, über eine Einnahme von 128,00 EUR Lebensmittelausgabe war nicht im Kassenbuch eingetragen;

ein handschriftlicher Notizzettel trug die Aufschrift „Wechselgeld 1. Oktober 45,00 EUR“ ohne Unterschrift und ohne Nummerierung;

ein weiterer handgeschriebener Zettel trug den Vermerk „Ausflug Parvin 200 EUR“ ohne Datum, Unterschrift und Nummerierung.

Mit Schreiben vom 07.11.2018 kündigte der Beklagte sodann gegenüber dem Kläger das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis zum 31.12.2018.

Der Kläger hat vorgetragen, nach seiner Auffassung lägen keine Gründe vor, aufgrund derer die Kündigung sozial gerechtfertigt sein könne, insbesondere keine Gründe in seinem Verhalten. Er habe nach bestem Wissen die Barkassen geführt. Er sei in dieser Hinsicht nie fortgebildet worden. Nie habe er eine fachliche Einweisung in das Führen einer Barkasse erhalten. Bis zum Jahr 2018 habe es diesbezüglich auch keine Anweisungen gegeben. Als Anweisung habe lediglich im Raume gestanden, die Ein- und Ausgaben in einer Excel-Liste zu vermerken, die in der ersten Hälfte des Folgemonats an Herrn V , der für die Buchführung des Beklagten zuständig sei, weiterzuleiten. Es habe weder die Anweisung gegeben, die Geschäftsvorfälle taggleich zu erfassen, noch habe es Anweisungen gegeben, wie die Vergabe der Darlehen zu dokumentieren sei. Jedenfalls sei er mit der Kassenführung überfordert gewesen. Das habe der Beklagte gemerkt und trotzdem nicht in Erwägung gezogen, ihn fortzubilden bzw. fortbilden zu lassen. Es sei richtig, dass die Ausgaben in der Zeit vom 24.10.2018 bis 29.10.2018 nicht taggenau eingetragen worden seien. Das sei darauf zurückzuführen gewesen, dass er nicht täglich bei der Arbeit gewesen und dort etwas unkonzentriert gewesen sei. Seine Mutter sei nämlich am 19.10.2018 verstorben und zeitgleich sei sein Bruder mit einer schweren Krankheit ins Krankenhaus eingeliefert worden.

Dass für das alte Auto, dessen Zweckbindung bereits vor Jahren abgelaufen sei, noch ein Fahrtenbuch zu führen gewesen sei, sei ihm nicht bekannt gewesen. Über das neu angeschaffte Auto sei in dieser Hinsicht diskutiert worden, ob ein elektronisches Fahrtenbuch nicht sinnvoll sei. Diese Diskussion habe aber erst Anfang Oktober 2018 stattgefunden. Jedenfalls sei eine Kündigung wegen eines fehlerhaft geführten Fahrtenbuchs unverhältnismäßig. Auch das Vorstandsmitglied B habe in diesem Sinne falsche Angaben im Fahrtenbuch gemacht. Für eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit sei die Zukunftsprognose positiv, wenn ihm im Einzelnen erklärt würde, wie das Fahrtenbuch zu führen sei. Das würde er dann in der Zukunft auch genauso machen.

Für einen Kassenfehlbestand sei er nicht verantwortlich. Es sei der Beklagte, der sich jahrelang nicht um die Kassenführung gekümmert habe. Im Übrigen könne aus den Darlegungen des Beklagten nicht zwischen rechnerischem Kassenfehlbestand und tatsächlichem Kassenfehlbestand unterschieden werden.

Schließlich berufe er sich auf Verjährung und Verwirkung.

Der Kläger hat beantragt,

1.  festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 07.11.2018 nicht aufgelöst worden ist;

2.  festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch sonstige Beendigungstatbestände aufgelöst ist, sondern fortbesteht;

3.  die Widerklage des Beklagten abzuweisen.

Der Beklagte hat beantragt,

1.  die Klage abzuweisen;

2.  widerklagend den Kläger zu verurteilen, an ihn 4.615,76 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Widerklage, dem 25.03.2019, zu zahlen.

Er hat vorgetragen, der Kläger habe sich erheblicher Verstöße gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten schuldig gemacht.

Der Hauptgrund für die Kündigung liege in der chaotischen Führung der Kasse des Sozialbereichs, die der Kläger zu verantworten habe. Eine ordnungsgemäße Kassenführung habe nicht vorgelegen, sondern vielmehr eine unübersichtliche Ansammlung von Notizzetteln. Trotz einschlägiger Abmahnung habe der Kläger sein Fehlverhalten in der Zeit nach dem 24.09.2018 fortgeführt. Die letzte Kassenprüfung habe einen Fehlbestand in Höhe von 4.615,76 EUR ergeben. Er gehe zu Gunsten des Klägers davon aus, dass der besagte Fehlbestand durch die fehlende Dokumentation von Kleinkrediten an Bedürftige entstanden sei und nicht durch eine Unterschlagung – wenn auch die Lebenserfahrung in einem Fall wie diesem für die Annahme spreche, dass zumindest ein Teil des fehlenden Geldes veruntreut sei.

Die Leistungsmängel des Klägers seien deshalb nicht aufgefallen, weil die vom Kläger erstellte Excel-Liste über die Kasseneingänge einen ständig wachsenden Betrag ausgewiesen hätten. Erst als der Kläger selbst um Geld gebeten habe, um die Kasse aufzufüllen, sei deutlich geworden, dass der Kassenbestand nicht dem Ergebnis der Excel-Liste entsprochen habe. Dies sei dann erstmals Anlass für eine Kassenprüfung am 18.05.2018 gewesen. Bei dieser Prüfung seien Unregelmäßigkeiten festgestellt worden und dem Kläger seien Empfehlungen und Anweisungen gegeben worden, wie er die Kasse zukünftig zu führen habe. Am 03.08.2018 habe eine weitere Prüfung stattgefunden, bei der keine Besserung der Situation habe festgestellt werden können. Die Kassenprüfung habe gegenüber dem digitalen Kassenbericht des Klägers (der Excel-Liste) zum Kasseninhalt einen Differenzbetrag in Höhe von zuletzt 4.615,76 EUR offengelegt. Dabei sei die Führung des Kassenberichts ganz einfach. Sie ergebe sich unmittelbar aus den Namen der Spalten in der Excel-Datei: Einnahme; Ausgabe; Steuersatz; Gegenkonto; laufende Nummer; Datum; Konto; Kostenstelle; Buchungstext. Pro Monat seien gerade einmal 50 Vorgänge zu bearbeiten. Dies erfordere eine arbeitstägliche Befassung mit der Kasse in einem Umfang von maximal 15 Minuten.

Den fehlenden Betrag fordere er vom Kläger im Wege der Widerklage als Schadensersatz. Er gehe davon aus, dass der Kläger zumindest grob fahrlässig gehandelt habe. Spätestens seit der Kassenprüfung vom 18.05.2018 sei von bedingtem Vorsatz auszugehen.

Ein weiterer Grund für die Kündigung sei die Missachtung von Dienstanweisungen mit Blick auf den Einsatz des Behindertenbusses. Nach einer Dienstanweisung vom 30.05.2014 sei nämlich für das besagte Fahrzeug ein Fahrtenbuch zu führen. Diese Dienstanweisung sei am 21.09.2018 aktualisiert und vom Kläger unterzeichnet worden. Da das Fahrtenbuch nicht ordnungsgemäß geführt worden sei, sei der Kläger mit Schreiben vom 15.10.2018 abgemahnt worden. Der Kläger habe das Fahrtenbuch aber trotzdem nicht richtig geführt, indem er für Fahrten als Reiseroute und Ziel vielfach nur Köln oder Köln/Köln angegeben habe (Anlage B 16, Bl. 64 ff).

Schließlich habe der Kläger im Rahmen seiner Zuständigkeit für Arbeitsgelegenheitsmaßnahmen nach dem SGB II fehlerhaft gearbeitet. Die Fehlerhaftigkeit ergebe sich aus einem Bescheid des Jobcenters (Anlage B 17, Bl. 65 f d.A.).

Nach seiner Auffassung sei die Zukunftsprognose für eine gedeihliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit negativ. Der Kläger habe trotz entsprechender Hinweise und trotz einschlägiger Abmahnungen sein Verhalten nicht geändert und weiterhin gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen. Er gehe davon aus, dass der Kläger seine Anweisungen bewusst missachte. Die ausschweifenden prozessualen Darlegungen des Klägers seien Zeichen dafür, dass er diverses nicht verstanden habe und im Übrigen an Selbstüberschätzung leide.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage des Klägers mit Urteil vom 27.06.2019 stattgegeben. Abgewiesen hat es jedoch die Klage des Klägers mit dem allgemeinen Feststellungsantrag sowie die Wiederklage des Beklagten. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei nicht gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Insbesondere sei sie nicht durch das Verhalten des Klägers bedingt. Das gelte auch dann, wenn der Vortrag der Beklagten als richtig unterstellt werde. Nach der in jedem Falle durchzuführenden Interessenabwägung überwiege das Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses das Interesse des Beklagten an der Beendigung desselben. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Kläger 56 Jahre alt sei und über keine Berufsausbildung verfüge. Der Beklagte habe den Kläger über Jahre hinweg nicht geführt, nicht kontrolliert und insbesondere nicht fortgebildet. Aus den Darlegungen des Beklagten ergebe sich nicht, welche konkreten Anweisungen er dem Kläger gegeben habe. Die Behauptung, die Ergebnisse der Kassenprüfungen seien mit dem Kläger besprochen worden, seien bis zuletzt unsubstantiiert geblieben. Auf den Kassenfehlbestand in Höhe von 4.554,39 EUR könne der Beklagte die Kündigung nicht mehr stützen, nachdem der Vorwurf durch die Abmahnung vom 21.09.2018 „verbraucht“ worden sei. Auch eine Kündigung wegen des Fahrtenbuchs sei unverhältnismäßig. Der Kläger habe nach der Abmahnung das Fahrtenbuch geführt. Sollte dies fehlerhaft erfolgt sein, sei dies eine Schlechtleistung, die für die Rechtfertigung einer Kündigung nicht ausreiche. Schließlich könne der Beklagte die Kündigung auch nicht auf Fehler des Klägers im Zusammenhang mit den AGH-Maßnahmen stützen. Der Vortrag des Beklagten hierzu bleibe unkonkret und nicht einlassungsfähig. Mit dem Antrag zu 2 sei die Klage demgegenüber abzuweisen gewesen, da es an einem Feststellungsinteresse fehle. Die Widerklage des Beklagten sei zwar zulässig, aber unbegründet. Der rechnerische Kassenfehlbestand sei nicht gleichbedeutend mit einem Schaden, denn unstreitig sei der Kläger berechtigt gewesen, Kleinkredite herauszugeben. Im Falle der Nichtverbuchung solcher Kleinkredite, sei ein Schaden in gleicher Höhe nicht zwingend eingetreten.

Gegen dieses ihm am 19.07.2019 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 12.08.2019 Berufung eingelegt und er hat diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 18.10.2019 begründet und mit Schriftsatz vom 24.01.2020 um einen Auflösungsanatrag erweitert.

Der Beklagte trägt zur Begründung der Berufung vor, das Arbeitsgericht habe seiner Entscheidung einen unzutreffenden Sachverhalt zu Grunde gelegt, in wesentlichen Punkten eine gebotene Sachaufklärung unterlassen und die Darlegungs- und Beweislast verkannt. So sei das Arbeitsgericht unzutreffend davon ausgegangen, der Kläger habe im Rahmen der Kassenprüfungen keine konkreten Hinweise oder Anweisungen erhalten. Das Gegenteil sei der Fall. Die Mails an den Vorstand habe der Kläger in „cc“ an seine dienstliche Adresse erhalten. Außerdem seien dem Kläger durch die Kassenprüfer im Mai 2018 und im August 2018 zweimal freundschaftliche Belehrungen gegeben worden, wie er die Kasse zu führen habe. Der Kläger habe sich dennoch pflichtwidrig verhalten. Deshalb sei die Kündigung ausgesprochen worden. Dem Kläger die Kasse zu entziehen, komme – als gegenüber der Kündigung milderes Mittel – nicht in Betracht. Eine derartige Umorganisation des Betriebes könne ihm, dem Beklagten, nicht zugemutet werden. Auch mit Blick auf das Fahrtenbuch seien die Anweisungen an den Kläger konkret und nachvollziehbar gewesen, spätestens mit dem Inhalt der Abmahnung. Durch die erneut fehlerhaften Eintragungen nach Übergabe der Abmahnung habe der Kläger die Beharrlichkeit seines Pflichtverstoßes dokumentiert.

Mit Blick auf die Widerklage habe das Arbeitsgericht fehlerhaft von ihm den Vortrag von Einzelheiten zum Schicksal des Bargeldbestandes verlangt. Diesen Vortrag könne er nicht leisten. Es treffe nach seiner Auffassung vielmehr den Kläger eine (abgestufte) Darlegungslast. Danach sei es am Kläger darzustellen, was mit dem Geld passiert sei.

Der nunmehr in der Berufungsinstanz gestellte Auflösungsantrag sei begründet. Der Kläger habe im Laufe des Prozesses hinsichtlich seines Fehlverhaltes Uneinsichtigkeit gezeigt, den Vorstand des Beklagten massiv angegriffen und wahrheitswidrig behauptet, der Zeuge V habe von den Kassendifferenzen gewusst. All dies schließe aus, dass eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien erwartet werden könne. Das gelte insbesondere für den Vortrag, der Vorstand des Vereins selbst habe seine Vermögensbetreuungspflicht verletzt. Diese bösartige Unterstellung mache eine weitere Zusammenarbeit unmöglich.

Der Beklagte beantragt,

1.  das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 27.06.2019 – 14 Ca 7927/18 – abzuändern und die Klage abzuweisen, sowie den Kläger auf die Widerklage zu verurteilen, an ihn 4.615,76 EUR zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.03.2019 zu zahlen;

2.  das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aufzulösen.

Der Kläger beantragt, die Berufung und den Auflösungsantrag zurückzuweisen.

Er verteidigt das mit der Berufung des Beklagten angegriffene Urteil und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei die Feststellung des Arbeitsgerichts richtig gewesen, dass er, der Kläger, bis zum September 2018 nie eine Anweisung zur Führung der Kasse erhalten habe. In seinem Arbeitsvertrag stehe ausdrücklich, dass es der Vorstand sei, der Anweisungen zu geben habe. Der Vorstand habe aber ihm gegenüber bis zum September 2018 nicht gehandelt, obwohl die Kassenprüfer dem Vorstand eindeutige Empfehlungen gegeben hätten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet. Gleiches gilt für den Auflösungsantrag.

I.  Die Berufung des Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.  Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht und mit zutreffender Begründung stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Der in der Rechtsmittelinstanz vom Beklagten gestellte Auflösungsantrag ist mangels eines Auflösungsverschuldens des Klägers unbegründet.

1.  Zurecht hat das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage des Klägers stattgegeben. Auf die ausführlichen Entscheidungsgründe im arbeitsgerichtlichen Urteil wird Bezug genommen. Die folgenden Ausführungen geschehen zur Vertiefung, soweit der Vortrag des Beklagten in der Berufungsbegründung hierzu Anlass gab.

Die streitgegenständliche Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam, weil sie nicht gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist. Insbesondere ist sie nicht durch Tatsachen gerechtfertigt, die im Verhalten des Klägers liegen. Auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts und die Fundstellennachweise zu den notwendigen Voraussetzungen einer verhaltensbedingten Kündigung wird Bezug genommen. Die Regelungen in § 1 KSchG sind besondere Ausprägungen des das ganze Arbeitsrecht bestimmenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Diesem Grundsatz wird die Kündigung nicht gerecht.

Die Rügen des Beklagten mit Blick auf den Sachverhalt, den das Arbeitsgericht festgestellt hat, und die Erwiderungen und Richtigstellungen des Klägers hierzu können dahinstehen, denn die Kündigung ist jedenfalls unverhältnismäßig. Gegenüber der ultima ratio, der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, standen viele mildere Mittel zur Verfügung, um eine positive Zukunftsprognose für eine gedeihliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit zu gewährleisten: Eine professionelle Mitarbeiterführung, eine einschlägige Fortbildung, ein externes Coaching oder schlicht der Entzug des in der Tätigkeitsbeschreibung unter Nr. 10 Satz 2 genannten Arbeitsvorgangs „laufende Buchführung und Überwachung der Einnahmen und Ausgaben“.

Die vom Beklagten dargelegte und mit der Fotodokumentation der Kassenprüfung vom 03.08.2018 offenbare Schlechtleistung des Klägers zeigt spiegelbildlich ein Versäumnis des Beklagten im Rahmen seiner Mitarbeiterführung. Wenn der Beklagte den Zustand der Kasse des Sozialbereichs als so wichtig betrachtet, dass Fehler kündigungsrelevant sein sollen, dann hätte bereits nach den Feststellungen der ersten Kassenprüfung im Mai 2018 dem Kläger die Führung der Kasse sofort entzogen werden müssen. Sofort hätte der Beklagte die Kasse durch einen anderen Mitarbeiter aufarbeiten lassen müssen, um so viele Vorgänge wie möglich für vereinsrechtliche und fiskalische Zwecke zu dokumentieren und um die Kasse mit einem Neuanfang aufzusetzen. Schon bei der ersten Kassenprüfung im Mai 2018, spätestens jedoch bei der Kassenprüfung im August 2018, sind die folgenden Punkte festgestellt und teilweise sogar fotografisch festgehalten worden:

„Ein Sparschwein und drei Geldkassetten“;

Notizzettel mit Vornamen und Beträgen (ohne Nachname, Datum, Quittung);

Keine Übereinstimmung des Barbestandes mit dem Kassenbuch;

Gewährung des Kassenzugriffs an mehrere Mitarbeiter;

Kassen-Manko in Höhe von drei Buttomonatsentgelten;

Keine nachvollziehbaren Informationen, wann das besagte Manko in den Jahren 2011 bis 2018 entstanden ist.

Diese Feststellungen sprechen alle einzeln für sich, aber insbesondere in der Gesamtschau, eine klare Sprache: Die vom Kläger geführte Kasse des Sozialbereichs war im Sommer 2018 in einem alarmierenden Zustand. Ihr Zustand war so haltlos chaotisch, dass sich die Annahme des Beklagten nicht aufdrängt, der Kläger könne eine ordnungsgemäße Kassenführung gewährleisten, wolle das aber nicht. Jedenfalls gleich wahrscheinlich ist die Annahme, es fehle in der Person des Klägers eine Eigenschaft, nämlich die Fähigkeit eine Kasse zu führen. Der Beklagte äußert schriftsätzlich wiederholt, der Kläger leide an Selbstüberschätzung. Die Art, wie der Kläger die Kasse über acht Jahre geführt hat, legt aber zumindest in gleichem Maße nahe, dass der Beklagte selbst die Fähigkeiten des Klägers mit der Annahme überschätzt hat, ihm könne die Kassenführung überlassen werden. Der Kläger hat einen Realschulabschluss, mehr nicht. Das dort Gelernte scheint für eine ordnungsgemäße Kassenführung nicht auszureichen. Vor diesem Hintergrund ist es auch zu kurz gegriffen, wenn der Beklagte meint, es sei so einfach, das Kassenbuch zu führen, die Spalten seien doch beschriftet. Zum Führen einer Kasse gehört mehr, als die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können und die Grundrechenarten zu beherrschen. Wenn sich die Kassenführung nicht auf automatisierte Vorgänge beschränkt, wie bei einer Registrierkasse in einer Bäckerei, dann sind Arbeitsorganisation, Organisationsentwicklung, Zeitmanagement, fokussierte Konzentration sowie das klare setzen von Prioritäten unabdingbare Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Kassenführung. Diese Fähigkeiten erlernt man im Rahmen einer kaufmännischen Ausbildung oder in entsprechenden Fortbildungen bzw. individuellen Coaching-Maßnahmen. Diese Fähigkeiten erlernt man eher nicht durch die Lektüre von Berichten an den Vorstand oder von Abmahnungen, erst recht nicht durch die Übergabe eines Kassenbuchs.

Bei der Interessenabwägung und bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne war weiter zu berücksichtigen, dass es sich bei der Kassenführung um einen marginalen Anteil der Gesamttätigkeit des Klägers handelt und dass Beanstandungen seiner Arbeit in den anderen Aufgabengebieten nicht ersichtlich, jedenfalls nicht konkret vorgetragen worden sind. Die Kassenführung beansprucht nach den Angaben des Beklagten maximal 15 Minuten arbeitstäglich. Wird davon ausgegangen, dass der Kläger tatsächlich nur gut 30 Stunden pro Woche arbeitet, so belegt die Aufgabe der Kassenführung etwas mehr als ein Dreißigstel seiner Gesamtaufgaben.

Dem Beklagten wäre es möglich und zumutbar gewesen, als milderes Mittel gegenüber der Kündigung dem Kläger die Kassenführung, also das besagte Dreißigstel seiner Tätigkeit, zu entziehen. Eine Kündigung ist trotz Vorliegens von Gründen in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers durch diese nicht „bedingt“, deshalb unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn die Möglichkeit besteht, den Arbeitnehmer zu anderen (ggf. auch schlechteren) Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen, unter denen sich die eingetretene Vertragsstörung nicht mehr, zumindest nicht mehr in erheblicher Weise auswirkt (BAG 10.06.2010 – 2 AZR 1020/08 -). Würde dem Kläger das Führen der Kasse entzogen, dann wären entsprechende Schlechtleistungen für die Zukunft ausgeschlossen. Der pauschale Einwand des Beklagten, eine derartige Umorganisation des Betriebes sei ihm nicht zumutbar, musste wegen seiner Pauschalität unberücksichtigt bleiben. Der Beklagte selbst trägt vor, es handele sich um nur wenige Buchungsvorgänge pro Tag und damit um einen Arbeitsaufwand von maximal 15 Minuten. Mangels weitern konkreten Vortrages ist davon auszugehen, dass diese maximal 15 Minuten auf einen anderen Mitarbeiter übertragen werden können, ohne dass es dort zu überobligatorischer Mehrarbeit kommen müsste.

Auch die ungenauen Angaben im Fahrtenbuch sind nicht geeignet eine Kündigung zu rechtfertigen. Sie sind für den Beklagten ärgerlich, sie sind pflichtwidrig und diese Pflichtwidrigkeit wurde vom Beklagten einschlägig abgemahnt. Auch nach dem eigenen Vortrag des Beklagten geht es aber nicht um die Verschleierung von unerlaubten Privatfahrten (vgl. Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz v. 23.10.2017 – 3 Sa 285/17 -). Es geht vielmehr um mangelnde Sorgfalt in Organisationsdingen. Vor Ausspruch einer Kündigung hätte dem Kläger als milderes Mittel noch einmal mit einer unmissverständlichen Abmahnung die Kündigungsrelevanz seines Verhaltens vor Augen geführt werden müssen.

Schließlich ist auch der dritte vom Beklagten eingeführte Sachverhalt, das Verhalten des Klägers rund um die AGH-Maßnahmen, nicht geeignet, die Kündigung des Klägers zu rechtfertigen. Auch in der Berufungsinstanz blieb der Vortrag des Beklagten hierzu unkonkret und daher nicht einlassungsfähig.

2.  Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Widerklage des Beklagten abgewiesen. Richtigerweise hat das Arbeitsgericht seine Entscheidung auf die Tatsache gestützt, dass sich aus den Darlegungen des Beklagten die Höhe eines kausalen Schadens nicht ergibt. Der Beklagte trägt die Darlegungs- und Beweislast für alle Tatbestandsvoraussetzungen der Anspruchsgrundlagen aus § 280 BGB und aus § 823 Abs. 2 BGB, im letzten Fall auch die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, die die Voraussetzungen des Schutzgesetzes erfüllen sollen. Der Beklagte hat zwar Recht, wenn er mit Blick auf die prozessualen Obliegenheiten des Klägers auf § 138 Abs. 2 ZPO hinweist und damit auf die Tatsache, dass der Kläger seinerseits verpflichtet ist, sich auf den Vortrag des Beklagten (Differenz zwischen Buchungsbetrag und Kasseninhalt) wahrheitsgemäß und vor allem vollständig einzulassen. Ein kurzer Blick auf die bereits zitierte Fotodokumentation der Kassenprüfung aus dem Monat August 2018 zeigt, dass der Kläger zur weiteren Aufklärung genauso wenig in der Lage sein wird, wie der Beklagte. Vor allem ist – insbesondere mit Blick auf die vom Beklagten nicht nur geduldete sondern sogar erwünschte Herausgabe von Kleinkrediten – keine Tatsache ersichtlich, aus der geschlossen werden könnte, der Kläger habe Bargeld für sich selbst abgezweigt, also unterschlagen. Bei der Berücksichtigung der Darlegungs- und Beweislast nach § 138 Abs. 1 und 2 ZPO ist regelmäßig auf die Sachnähe der jeweiligen Prozesspartei abzustellen, aber auch auf die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass sich die Parteien einer streitigen Tatsachen gegenüber sehen. In diesem Zusammenhang ist vorliegend die Feststellung wichtig, dass der Beklagte den Kläger sieben Jahre lang eine Kasse hat führen lassen, deren Bestand der Beklagte nie überprüft hat, deren Bestand er nicht einmal abgefragt hat. Der Beklagte hat gedulde t, dass der kaufmännisch nicht ausgebildete Kläger die Kasse mit einem Sparschwein (!) und drei (!) Geldkassetten geführt hat. Der Beklagte hat geduldet, dass sich nach dem Inhalt der regelmäßig übergebenen Excel-Listen (angeblich) ein Barbestand von ca. 4.500,00 EUR angesammelt hat, ohne darauf hinzuwirken, das Geld auf einem Bankkonto zu sichern. Der Beklagte hat keine Einwände erhoben, dass der Kläger weiteren Mitarbeitern Zugriff auf die Kasse gewährt hat. All diese Kontrollmängel reichen bis in das Jahr 2011 zurück, also in einen Zeitraum, aus dem Ansprüche längst verjähren konnten. Dieser Mangel an Kontrolle macht deutlich, dass dem darlegungsbelasteten Beklagten die Darlegung des von ihm behaupteten kausalen Schadens nicht erleichtert werden muss. Nach alldem liegt zwar eine Differenz zwischen einem unstreitig nicht vollständigen Kassenbuch mit einem unstreitig chaotisch geführten Kassenbestand vor. Nicht aufklärbar ist aber, in welcher Höhe tatsächlich ein Schaden eingetreten ist und wessen Verhalten für den tatsächlichen oder vermeintlichen Kassenfehlbestand kausal war. Das Risiko der Nichtaufklärbarkeit und der Nichtbeweisbarkeit trägt derjenige, der die Beweislast trägt, hier also der Beklagte.

3.  Der Auflösungsantrag des Beklagten ist mangels eines Auflösungsverschuldens des Klägers unbegründet. Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommen Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, eine Wertung seiner Persönlichkeit, Leistung oder Eignung für die ihm übertragenen Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz die Besorgnis rechtfertigt, eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit sei gefährdet (BAG v. 19.11.2015 – 2 AZR 217/15 -). Als Auflösungsgründe geeignet sind Beleidigungen, sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen. Überdies können bewusst wahrheitswidrig aufgestellte Tatsachenbehauptungen – insbesondere wenn sie den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen – die Rechte eines Arbeitgebers in gravierender Weise verletzen und eine gedeihliche künftige Zusammenarbeit infrage stellen. Der Arbeitnehmer kann sich dafür nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Falsche Tatsachenbehauptungen sind nicht vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst (BAG v. 29.08.2013 – 2 AZR 419/12 -). Auch das Verhalten des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Parteien zur Verteidigung ihrer Rechte schon im Hinblick auf das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen dürfen, was als re chts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann. Anerkannt ist insbesondere, dass ein Verfahrensbeteiligter in den Grenzen der Wahrheitspflicht starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen darf, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können (BAG v. 24.05.2018 – 2 AZR 73/18 -). Zudem dürfen die Parteien nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liegt (BAG v. 24.03. 2011- 2 AZR 674/09 -; BAG v. 23.02.2010 – 2 AZR 554/08 -).

Nach diesen Vorgaben ist ein Auflösungsverschulden des Klägers nicht ersichtlich. Der Beklagte stützt seinen Auflösungsantrag insbesondere auf den Vortrag des Klägers, der Vorstand des Vereins selbst habe seine Vermögensbetreuungspflicht verletzt. Dies sei eine böswillige Unterstellung. Es mag sein, dass der Kläger mit der Formulierung „Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht“, die an ein strafbares Handeln denken lässt, sehr drastisch formuliert hat, wenn er damit zum Ausdruck bringen wollte, dass die Kasse nicht häufig genug und intensiv genug durch den Beklagten selbst kontrolliert worden sei. Diese Formulierung ist aber genau das, was das Bundesarbeitsgericht in den oben zitierten Entscheidungen meint, wenn dort die Rede von „starken, eindringlichen Ausdrücken und sinnfälligen Schlagworten“ ist. Eine derartige Überspitzung im prozessualen Vortrag ist insbesondere der Prozesspartei gestattet, der ihrerseits von der anderen Partei (nicht nur) zwischen den Zeilen eine Unterschlagung unterstellt wird.

III.  Nach allem bleibt es somit bei der erstinstanzlichen Entscheidung über Kündigungsschutzklage, allgemeinen Feststellungsantrag und Widerklage. Der in der Berufungsinstanz gestellte Auflösungsantrag war zurückzuweisen. Als unterliegende Partei hat der Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.

 

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