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Corona-Pandemie fristlose Kündigung bei vorsätzlichem Anhusten

Landesarbeitsgericht Düsseldorf – Az.: 3 Sa 646/20 – Urteil vom 27.04.2021

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 20.08.2020 – Az.: 3 Ca 457/20 – teilweise abgeändert und die Klage hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsantrages (Tenor Ziffer 2) abgewiesen.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu ¼ und die Beklagte zu ¾.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Corona-Pandemie fristlose Kündigung bei vorsätzlichem Anhusten
(Symbolfoto: theDirector/Shutterstock.com)

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch Ausspruch einer arbeitgeberseitigen außerordentlichen, fristlosen Kündigung vom 03.04.2020 sowie über den Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers.

Der am 20.05.1996 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.08.2015 zunächst als Auszubildender und seit dem 17.01.2019 als Jung-Zerspanungsmechaniker zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von zuletzt 3.116,50 EUR zuzüglich einer Leistungszulage in Höhe von 233,74 EUR brutto beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der schriftliche Arbeitsvertrag vom 14.11.2019 (Blatt 411 ff. der Akte).

Die Beklagte stellt an ihrem Standort in V. unter anderem Rasierklingen her und beschäftigt ca. 520 Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat ist eingerichtet, ebenso eine Jugend- und Auszubildendenvertretung, deren Mitglied der Kläger ist.

Mit Schreiben vom 31.07.2019 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung wegen einer privaten Handynutzung während der Arbeitszeit (Blatt 100 f. der Akte).

Mit Schreiben vom 16.09.2019 erteilte die Beklagte dem Kläger zudem eine Abmahnung wegen einer – aus ihrer Sicht – nicht fachgerechten Ausführung einer Arbeitsaufgabe (Blatt 102 der Akte).

Mit E-Mail vom 28.02.2020 (Blatt 50 ff. der Akte) übersandte die Beklagte allen Mitarbeitern eine Bekanntmachung. In dieser forderte sie die Mitarbeiter auf, aufgrund eines erhöhten Infektionsrisikos in Bezug auf Magen-Darm-Erkrankungen, Hygiene- und Schutzmaßnahmen einzuhalten und unter anderem in die Ellenbeuge oder in ein Taschentuch zu niesen bzw. zu husten.

Mit Rücksicht auf die Einstufung der Ausbreitung des Coronavirus als Pandemie durch die WHO aktivierte die Beklagte am 11.03.2020 ihren internen Pandemieplan. Hierüber informierte sie mit E-Mail vom 13.03.2020 die Belegschaft. Der eingesetzte Krisenstab habe eine Anzahl von Beschlüssen zur Eindämmung der Ausbreitung von Covid19 gefasst. Unter anderem gelte das Bedecken von Mund und Nase beim Husten oder Niesen mit einem Papiertaschentuch oder Ärmel als Verhaltensregel. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Abschrift des Schreibens der Beklagten vom 13.03.2020 (Blatt 54 f. der Akte).

Die Verhaltensregeln und Hygieneanweisungen druckte die Beklagte ferner auf Handzetteln aus und verteilte sie im Betrieb. Zudem wurden sie auf Monitoren in der Werkshalle mitgeteilt und mündlich durch die Führungskräfte kommuniziert.

In einer Abteilungsversammlung am 17.03.2020 ordnete der Teamleiter und Vorgesetzte des Klägers, Herr P., die Einhaltung von Hygieneregeln wie das Händewaschen und den Verzicht auf Körperkontakt an.

Am Nachmittag des 17.03.2020 gegen ca. 15 Uhr führte der Kläger ein Gespräch mit dem Auszubildenden T.. Im Verlauf dieses Gesprächs hat der Kläger mindestens einmal gehustet, ohne dabei den Mund – insbesondere mit der Armbeuge – bedeckt zu haben. Dabei stand er in der Nähe des Herrn T., wobei die Einhaltung des Sicherheitsabstandes von 1,5 Metern ebenso wie der weitere Verlauf des Gesprächs und etwaige Äußerungen des Klägers in diesem Zusammenhang zwischen den Parteien streitig sind. Zeitlich danach fand am 17.03.2020 ein Gespräch des Vorgesetzten Herrn P. und des Herrn C. in Anwesenheit des Arbeitskollegen X., der sich zuvor auch in der Nähe des Gesprächs zwischen dem Kläger und Herrn T. aufgehalten hatte, mit dem Kläger statt, in dem er auf die Konsequenzen einer Covid19 Infektion für den Betrieb hingewiesen wurde. Die Reaktion des Klägers in diesem Gespräch ist zwischen den Parteien streitig.

Mit E-Mail vom 18.03.2020 (Blatt 31 der Akte) forderte die Beklagte alle Mitarbeiter auf, Abstand zueinander zu halten und Hygieneregeln zu befolgen. Sie wies ferner darauf hin, dass alle Personen vor Zutritt zum Werksgelände einer kontaktlosen Körpertemperaturmessung unterzogen würden.

Ab dem 19.03.2020 ließ die Beklagte über Monitore in den Werkshallen weitere detaillierte Verhaltensanweisungen an die Mitarbeiter mitteilen. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Kommunikations-Präsentation der Beklagten vom 19.03.2020 (Blatt 80 ff. der Akte).

Am 23.03.2020 um 8:00 Uhr führte der Kläger ein Gespräch mit seinem Teamleiter über die Einhaltung des Sicherheitsabstandes, nachdem es zuvor unstreitig jedenfalls zweimal durch den Kläger zu einer Nichtbeachtung desselben gekommen war. Der nähere Inhalt dieses Gesprächs insbesondere zur Reaktion des Klägers ist zwischen den Parteien streitig; unstreitig ist jedoch, dass der Kläger in dem Gespräch gegrinst hat.

Am 23.03.2020 um 14:00 Uhr führte der Kläger mit dem Teamleiter Herrn P. und Frau C. (HR Generalist) ein weiteres Gespräch. In diesem Rahmen wurde dem Kläger eine schriftliche Abmahnung wegen der Missachtung der Abstandsregeln und eines respektlosen Verhaltens gegenüber Vorgesetzten erteilt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Abmahnungsschreibens vom 23.03.2020 (Blatt 98 f. der Akte) Bezug genommen.

Am 24.03.2020 führte der Kläger im Beisein des Herrn P. ein Gespräch mit dem Werksleiter Herrn M.. Dieser konfrontierte den Kläger mit dem Vorwurf, dass er den Arbeitnehmer T. angehustet und geäußert habe, er hoffe der Arbeitnehmer T. bekomme Corona. Der weitere Inhalt des Gesprächs ist zwischen den Parteien streitig.

Im Anschluss an das Gespräch, in dem der Werksleiter den Kläger eindringlich gebeten hatte, sich an die gesetzlichen Vorgaben sowie die betrieblichen Anweisungen zu halten, sprach der Werksleiter gegenüber dem Kläger ein Hausverbot für den Betrieb in V. aus und nahm ihm den Werksausweis ab.

Mit Schreiben vom 30.03.2020 (Blatt 103 ff. der Akte) hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger an und beantragte dessen Zustimmung gemäß §§ 102, 103 BetrVG. Mit Schreiben vom 02.04.2020 teilte der Betriebsratsvorsitzende Herr N. der Beklagten mit, dass der Betriebsrat der außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger zustimme (Blatt 113 der Akte).

Daraufhin sprach die Beklagte mit Schreiben vom 03.04.2020, dem Kläger am selben Tage zugegangen, die außerordentliche, fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus (Blatt 9 der Akte).

Gegen diese Kündigung richtet sich die am 08.04.2020 bei dem Arbeitsgericht Solingen eingegangene und der Beklagten am 16.04.2020 zugestellte Kündigungsschutzklage des Klägers, mit der er zugleich seinen Weiterbeschäftigungsanspruch geltend gemacht hat. Der Kläger hat erstinstanzlich das Fehlen eines wichtigen Grundes gerügt und die Nichteinhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB geltend gemacht. Darüber hinaus hat er bestritten, dass der Betriebsrat der außerordentlichen Kündigung nach § 103 BetrVG zugestimmt habe, hilfsweise dass die Zustimmung des Betriebsrats zeitlich vor dem Ausspruch der Kündigung erteilt worden sei und dass der Betriebsrat zuvor ordnungsgemäß durch die Beklagte informiert worden sei sowie die Zustimmung wirksam beschlossen habe. Er hat die Ansicht vertreten, der Beklagten sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumindest für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist von einem Monat zum Ende des Kalendermonats zuzumuten. Er habe sich stets so verhalten, dass er sich und andere Personen keinen vermeidbaren Infektionsgefahren ausgesetzt habe. Er habe, soweit es ihm möglich gewesen sei, die Sicherheitsabstände und die „Hust-Etikette“ eingehalten. Auch habe er sich nicht gegenüber der Beklagten vollkommen unkooperativ gezeigt. Der Kläger hat bestritten, den Arbeitnehmer T. bewusst provokant und gegen dessen Willen am Arm angefasst zu haben. Auch habe er den Arbeitnehmer T. weder am 17.03.2020 noch an einem anderen Tag vorsätzlich angehustet. Er habe diesem auch nicht gesagt, er hoffe, dass er Corona bekomme. Vielmehr sei es so gewesen, dass der Kläger einen Hustenreiz verspürt und sodann – so noch die erstinstanzliche Behauptung des Klägers – in die Armbeuge gehustet habe. Er habe dabei in ausreichendem Abstand zu seinem Arbeitskollegen gestanden. Herr T. habe sich allerdings durch das Husten des Klägers behelligt gefühlt und habe dies geäußert. Daraufhin habe der Kläger erwidert, der Kollege möge „chillen, er würde schon kein Corona bekommen“. Es sei unzutreffend, dass der Kläger gegenüber dem Werksleiter zugegeben habe, dass er seinen Arbeitskollegen angehustet und ihm Corona gewünscht habe. Mit Nichtwissen hat der Kläger bestritten, dass die Beklagte von der Begebenheit mit dem Arbeitnehmer T. erst nach dem 19.03.2020 erfahren habe. Ferner hat er bestritten, gegenüber seinem Vorgesetzten am 23.03.2020 geäußert zu haben, dass er die Schutzmaßnahmen nicht ernst nehme. Vielmehr habe er mitgeteilt, dass er die ihm gemachten Vorwürfe nicht ernst nehmen könne, da die Vorwürfe falsch seien. Ferner habe der Kläger darauf hingewiesen, dass es Situationen geben könne, in denen es nicht möglich sei, den Sicherheitsabstand einzuhalten. Der Kläger hat zugestanden, wegen der Vorhaltungen, die ihm gemacht worden seien, genervt gewesen zu sein. Er habe diese Vorhaltungen als eine gegen ihn gerichtete Kampagne empfunden. Weder Arbeitskollegen noch die Beklagte habe er vorsätzlich schädigen wollen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 03.04.2020 nicht beendet wird;

2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Zerspannungsmechaniker weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, die außerordentliche Kündigung sei wirksam. Der Kläger habe schwere Pflichtverletzungen begangen, die das Vertrauen der Beklagten in ihn gänzlich zerstört hätten. Er habe sich mehrfach der rechtmäßigen Weisung widersetzt, sich an die wegen der Corona-Pandemie ergriffenen Hygienemaßnahmen sowie die Sicherheitsabstände zu halten und vor allem die „Hust-Etikette“ einzuhalten. Zudem habe der Kläger bewusst und vorsätzlich den Betriebsfrieden gestört. Der Kläger habe sich seit Beginn der ergriffenen Vorsichts- und Sicherheitsmaßnahmen vollkommen unkooperativ verhalten. Er habe die Maßnahmen nicht eingehalten und gegen Weisungen verstoßen. Sein Verhalten führe zu einer erheblichen Störung des Betriebsfriedens und gefährde nicht nur die Gesundheit der Mitarbeiter, sondern auch die Aufrechterhaltung des Betriebes der Beklagten in V.. Der Teamleiter Herr P. sowie der Mitarbeiter Herr A. hätten den Kläger nach dem 17.03.2020 beobachtet, dass er keinen Sicherheitsabstand eingehalten habe. Am 20.03.2020 habe er zudem den Abstand zu seinem Teamleiter nicht beachtet. In dem Gespräch mit seinem Teamleiter am 23.03.2020 über die Einhaltung des Mindestabstandes habe der Kläger mitgeteilt, dass er „dies nicht ernst nehmen würde“. Er habe gegrinst und signalisiert, dass er die Maßnahmen nicht einhalten werde. Die Aussage des Klägers habe sich keinesfalls auf aus seiner Sicht unberechtigte Vorwürfe bezogen, sondern eindeutig darauf, dass er die von der Beklagten getroffenen Schutzmaßnahmen nicht ernst nehmen könne. In dem Gespräch am 23.03.2020 sei der Kläger – dies unstreitig – nochmals eindringlich dazu aufgefordert worden, sich an die Maßnahmen zu halten. Ihm sei vor Augen geführt worden, dass bereits eine Infektion im Betrieb das Risiko beinhalte, dass der gesamte Betrieb durch die Behörden geschlossen würde. In dem Abmahngespräch habe der Kläger, so hat die Beklagte weiter behauptet, sein Verhalten bagatellisiert, sich uneinsichtig gezeigt und im Hinblick auf die Androhung einer Kündigung sinngemäß geäußert, so einfach sei das ja auch nicht, dann treffe man sich halt wieder vor Gericht. Auf jede Belehrung und Aufforderung, sein Verhalten entsprechend der Situation anzupassen, habe der Kläger gegenüber Frau C. angegeben, dass er mit den ganzen Maßnahmen nichts anfangen könne und dass er „das albern finde.“ Auf den Versuch von Frau C., an ihn zu appellieren, sich doch bitte in die Situation seiner Arbeitskollegen zu versetzen und sich zu verdeutlichen, dass es auch Kollegen gebe, die Vorerkrankungen hätten und ängstlich sowie verunsichert seien, habe der Kläger süffisant angegeben, „er könne das alles nicht ernst nehmen.“ Auf den Hinweis von Frau C. und Herrn P., es sei unabdingbar, dass sich alle Arbeitnehmer ausnahmslos an die Maßnahmen zu halten hätten, habe der Kläger Herrn P. angegrinst und gemurmelt: „Komm, hör doch auf.“ Nach dem Gespräch mit dem Kläger am 23.03.2020 habe der Teamleiter Herr P. von dem Arbeitnehmer T. erfahren, dass der Kläger diesen am 23.03.2020, vor dem Abmahngespräch, bewusst provokant und gegen seinen Willen am Arm angefasst habe. Ferner habe der Teamleiter am 24.03.2020 erfahren, dass der Kläger den Auszubildenden Herrn T. am 17.03.2020 gegen ca. 15:00 Uhr unvermittelt vorsätzlich und ohne jegliche Barriere (z.B. Arm, Hand) angehustet habe. Herr T. habe zu diesem Zeitpunkt im Pausenraum gestanden und gerade gehen wollen. Der Kläger sei unvermittelt an ihn herangetreten und habe dabei unnötigerweise den Sicherheitsabstand von 1,5 m deutlich unterschritten, indem er nur eine halbe bis maximal eine Armlänge Abstand zu Herrn T. gehalten habe. Dann habe der Kläger in Richtung des Herrn T. gehustet ohne dabei in die Armbeuge zu husten oder sich die Hand vor den Mund zu halten. Herr T. habe sich dadurch direkt sehr unwohl und schlecht gefühlt. Er habe, ohne sich zu dem Vorfall zu äußern, sofort empört und verunsichert den Pausenraum verlassen. Einen Wortwechsel zwischen dem Kläger und Herrn T. habe es nicht gegeben. Der Kläger habe vielmehr sinngemäß gesagt, er hoffe dass Herr T. Corona bekomme. Herr T. habe diese Aussage des Klägers nicht hören können, da der Kläger dies gesagt habe, als Herr T. aus dem Pausenraum hinausgegangen sei. Der Arbeitskollege Herr X. habe die Äußerung des Klägers jedoch gehört. In dem zeitlich nachgelagerten Gespräch des Klägers am 17.03.2020 mit den Arbeitnehmern X., C. und P. habe der Kläger die Beteiligten nur angegrinst und weiterhin zu verstehen gegeben, dass er sich nicht an die Regeln halten würde. Am 24.03.2020 habe der Kläger den Vorfall mit Herrn T. auf Vorhalt des Werksleiters M. diesem gegenüber vollständig zugegeben, sich jedoch weiter uneinsichtig gezeigt. Die Weisung des Werksleiters, sich an die gesetzlichen Vorgaben sowie die betrieblichen Anweisungen zu halten, habe der Kläger ignoriert und sinngemäß mitgeteilt, dass er „das Thema nicht so ernst nehmen könne.“ Er habe mitgeteilt, dass er „seine eigene Meinung zu Corona“ habe und „das alles spaßig sehe“. Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass damit ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung begründet sei. Es sei auch in Zukunft damit zu rechnen, dass der Kläger sich an keine behördlichen oder arbeitgeberseitigen Weisungen zur Einhaltung von Sicherheitsabständen, der „Hust-Etikette“ oder weitergehende Maßnahmen halten werde. Der Kläger habe mehrfach unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass ihm die Angst der Kollegen vollkommen egal sei und dass er Weisungen seines Arbeitgebers für nicht bindend halte. Durch sein Verhalten am 17.03.2020 gegenüber dem Arbeitnehmer T. habe er bewusst und vorsätzlich den Betriebsfrieden gestört. Dies gelte unabhängig davon, ob er tatsächlich mit COVID-19 infiziert gewesen sei oder nicht. Wäre er tatsächlich infiziert, würde sein Verhalten zumindest den Versuch einer Körperverletzung darstellen. Sei er nicht infiziert, sei sein Verhalten zumindest – im nichtjuristischen Sinn – als Bedrohung eines Kollegen zu werten, das geeignet sei, den Betriebsfrieden ganz erheblich zu stören. Diesen Betriebsfrieden habe der Kläger zudem in der Vergangenheit mehrfach und erheblich gestört: Es sei mehrfach zu Beschwerden von Kollegen und Mitarbeitern gekommen, dass der Kläger sich weder an die Hygienemaßnahmen geschweige denn die Abstandsregeln halte. Das Verhalten des Klägers sei in der pandemischen Ausnahmesituation nicht tragbar. Er verstoße gegen jeglichen Anstand und notwendigen Zusammenhalt innerhalb der Belegschaft. Die Beklagte sei darauf angewiesen, dass sich alle Mitarbeiter so untereinander verhielten, dass jegliches Sicherheitsrisiko möglichst ausgeschlossen werde und auch die Solidarität der Kollegen untereinander nicht infrage gestellt werde. Der Kläger habe sich konträr zu seiner Schadensabwendungs- und Loyalitätspflicht verhalten, in einer Zeit enormer wirtschaftlicher und gesundheitlicher Unsicherheit. Die schwerwiegenden Verstöße des Klägers gegen seine Nebenpflicht, seine Kollegen vor Schäden zu bewahren sowie sich an die Vorgaben des Arbeitgebers zur Risikominimierung zu halten, zeigten, dass dem Kläger die Rechtsgüter der Beklagten vollkommen egal seien. Einer erneuten vorherigen Abmahnung habe es nicht mehr bedurft. Sie wäre im Falle des Klägers zwecklos gewesen. Die vorzunehmende Interessenabwägung falle ebenfalls zulasten des Klägers aus. Weder das Alter noch seine Betriebszugehörigkeit begründeten eine besondere Schutzbedürftigkeit. Ganz erheblich zulasten des Klägers wirkten sich die Schwere der Pflichtverletzung und seine Beharrlichkeit aus sowie der Umstand, dass er diese Pflichtverletzungen trotz seiner Position als Jugend- und Auszubildendenvertreter begangen habe. Die Kündigung sei rechtzeitig nach Kenntnis von den gravierenden Pflichtverletzungen innerhalb der 2-Wochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen worden und auch der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört und um Zustimmung gebeten worden. Er habe seine Zustimmung gemäß § 103 BetrVG wirksam erteilt.

Mit Urteil vom 20.08.2020 hat das Arbeitsgericht Solingen der Kündigungsschutzklage in vollem Umfang stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Kündigung vom 03.04.2020 ungeachtet der Frage der ordnungsgemäßen Beteiligung des Betriebsrats und der Einhaltung der 2-Wochenfrist jedenfalls den Anforderungen der §§ 15 Abs. 1 KSchG, 626 Abs. 1 BGB nicht standhalte. Als Mitglied der Jugend – und Auszubildendenvertretung könne das Arbeitsverhältnis des Klägers nur aus wichtigem Grund gekündigt werden. Es komme darauf an, ob Tatsachen vorliegen, die zur Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung selbst bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist des besonders gesetzlich geschützten Arbeitnehmers führen. Sei eine Weiterbeschäftigung bis dahin zumutbar, sei die Kündigung unwirksam. Eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist sei gegenüber dem durch § 15 KSchG besonders geschützten Personenkreis ausgeschlossen. Ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung in diesem Sinne sei hier selbst bei Zugrundelegung des von der Beklagten vorgetragenen Sachverhalts nicht festzustellen. Ein wichtiger Grund liege zunächst nicht in dem Verhalten des Klägers gegenüber dem Arbeitnehmer T.. Diesen solle der Kläger nach dem Vorbringen der Beklagten am 23.03.2020 „bewusst provokant und gegen seinen Willen“ am Arm angefasst haben. Unklar bleibe dabei, aufgrund welcher Tatsachen oder Beobachtungen die Beklagte zu der Einschätzung gelangt sei, dass die Berührung „bewusst provokant“ erfolgt sei. Dies dahingestellt, hätte der Kläger durch sein Verhalten zwar gegen die Weisung der Beklagten verstoßen, Körperkontakte zum Schutz vor Infektionen zu unterlassen und Abstand zu halten. Er hätte damit eine im Rahmen der Corona-Pandemie bedeutende und ihm bekannt gemachte Arbeitsschutz- bzw. Infektionsschutzregelung missachtet. Die vorsätzliche Missachtung von Sicherheitsvorschriften, die dem Schutz von Leben und Gesundheit von Arbeitskollegen sowie von erheblichen Sachwerten dienten, sei zudem zwar grundsätzlich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Ein wichtiger Grund an sich könne jedoch regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn der Arbeitnehmer trotz Abmahnung Arbeitsschutz- und Sicherheitsvorschriften nicht einhalte oder das Gefahrenpotenzial eine Abmahnung im Einzelfall entbehrlich erscheinen lasse. Die hiernach erforderliche, einschlägige Abmahnung liege nicht vor. Die Abmahnungen vom 31.07.2020 sowie vom 16.09.2019 bezögen sich auf die Verletzung von Hauptleistungspflichten und beträfen damit keine gleichgelagerte Pflichtverletzung. Auf die Abmahnung vom 23.03.2020 könne sich die Beklagte nicht berufen, da diese zeitlich nach dem behaupteten Verhalten gegenüber dem Arbeitnehmer T. ausgesprochen worden sei. Eine Abmahnung sei angesichts des Gewichts der Pflichtverletzung und ihres Gefahrenpotenzials auch nicht entbehrlich gewesen. Ein wichtiger Grund liege darüber hinaus nicht in dem behaupteten Verhalten des Klägers gegenüber dem Arbeitnehmer T. am 17.03.2020. Den Vortrag der Beklagten unterstellt habe der Kläger durch das Verhalten gegenüber dem Arbeitnehmer T. seine arbeitsvertraglichen Pflichten in mehrfacher Hinsicht verletzt. Durch das behauptete Anhusten ohne jegliche Barriere habe er die ihm bekannten Arbeitsschutz- und Sicherheitsvorschriften missachtet. Eine Äußerung mit dem Inhalt „Ich hoffe, Du bekommst Corona“ sei ferner als Bedrohung oder zumindest Beleidigung des Kollegen aufzufassen, die geeignet sei, den Betriebsfrieden zu stören. Das behauptete Verhalten sei gleichwohl nicht geeignet, die außerordentliche Kündigung ohne vorherige, einschlägige Abmahnung zu rechtfertigen. Das „Anhusten“ eines Arbeitskollegen sei ein eklatanter Verstoß gegen die von der Beklagten rechtmäßig ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie und zum Schutz ihres Betriebsablaufs. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Tat mit dem Coronavirus oder einem anderen, ansteckenden Virus infiziert gewesen sei. Auch die Beklagte habe eine solche Infektion nicht behauptet. Sie habe lediglich mit Nichtwissen bestritten, dass der Kläger nicht infiziert gewesen sei und kein Verdachtsfall in seinem Umfeld vorgelegen habe. Für das Vorliegen einer Pflichtverletzung in Form eines „Anhustens“ trotz Infektion oder zumindest trotz Infektionsrisikos durch z.B. Verdachtsfälle im persönlichen Umfeld sei jedoch die Beklagte beweis- und darlegungsbelastet. Ein Bestreiten mit Nichtwissen sei insoweit nicht ausreichend. Bei der Bewertung der behaupteten Äußerung „Ich hoffe, Du bekommst Corona“ sei ferner zu berücksichtigen, dass diese nach dem Vortrag der Beklagten von dem Arbeitnehmer T. gar nicht gehört worden sei, weil er zeitgleich den Raum verlassen habe. Angesichts dessen liege der Schwerpunkt der Pflichtverletzung nicht auf einer Beleidigung bzw. Bedrohung des betroffenen Arbeitnehmers, sondern eher in der Störung des Betriebsfriedens, da ein anderer Arbeitnehmer die Äußerung des Klägers wahrgenommen habe. Die behauptete Äußerung sei durchaus geeignet, den Betriebsfrieden in einer – pandemiebedingt angespannten – betrieblichen Situation erheblich zu beeinträchtigen. Im Hinblick auf das Ausmaß der Betriebsstörung sei hier jedoch zu beachten, dass der behaupteten Äußerung nur ein einzelner Arbeitnehmer unmittelbar ausgesetzt gewesen sei. Im Ergebnis rechtfertigten weder das Gefahrenpotenzial noch das Gewicht der behaupteten Pflichtverletzung, ohne vorherige Abmahnung einen Grund anzunehmen, der „an sich“ geeignet sei, das Arbeitsverhältnis fristlos zu beenden. Die erforderliche, einschlägige und vorherige Abmahnung liege aber nicht vor. Die von der Beklagten im Jahr 2019 ausgesprochenen Abmahnungen beträfen keine gleichgelagerten Pflichtverletzungen. Die Abmahnung vom 23.03.2020 sei zeitlich nach dem behaupteten Verhalten gegenüber dem Arbeitnehmer T. erfolgt. Die Abmahnung sei auch nicht entbehrlich gewesen. Es bedürfe ihrer zwar dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar sei, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten stehe. Für diese Annahme bestehe aber keine ausreichende Tatsachengrundlage. Dabei seien zwar vor allem die behaupteten Äußerungen des Klägers gegenüber dem Werksleiter am 24.03.2020 zu berücksichtigen. Unklar sei jedoch bereits der genaue Wortlaut der Äußerungen des Klägers geblieben. In der Klageerwiderung habe die Beklagte mitgeteilt, der Kläger habe gegenüber dem Werksleiter „sinngemäß“ geäußert, dass er „das Thema nicht so ernst nehmen könne“. In einem späteren Schriftsatz schildere die Beklagte dann, der Kläger habe sich uneinsichtig gezeigt und mitgeteilt, dass er „seine eigene Meinung zu Corona habe“ und „das alles spaßig sehe“. Aus der sinngemäßen Wiedergabe einer Äußerung („er könne das Thema nicht so ernst nehmen“), könne nicht mit der erforderlichen Klarheit entnommen werden, dass der Kläger nicht gewillt sei, sein Verhalten im Betrieb zu ändern. Entsprechendes gelte für die behauptete Äußerung, dass er „seine eigene Meinung zu Corona habe“ und „das alles spaßig sehe“. Auch aus diesen Meinungsäußerungen und Wertungen sei nicht eindeutig abzuleiten, dass der Kläger sich nach einer weiteren Abmahnung weigern werde, die Infektionsschutzregelungen zu beachten. Zu berücksichtigen sei hierbei, dass die Beklagte keinen Verstoß des Klägers gegen z.B. Abstands- bzw. Kontaktverbote nach Ausspruch der Abmahnung am 23.03.2020 vortrage. Auch in dem kurzen Zeitraum zwischen dem Abmahngespräch (23.03.2020, 14:00 Uhr) und dem Gespräch mit dem Werksleiter am 24.03.2020 habe der Kläger beispielsweise kontinuierlich die Abstandsregelungen zu beachten gehabt. Eine beharrliche Verletzung und Ablehnung der Infektionsschutzbestimmungen, wie von der Beklagten angenommen, hätte sich auch in diesem kurzen Zeitraum offenbaren können. Auch die behaupteten Äußerungen des Klägers vor dem 24.03.2020 führten nicht zu der Annahme, eine Verhaltensänderung sei in der Zukunft ausgeschlossen. Die behaupteten Äußerungen gegenüber dem Vorgesetzten des Klägers seien bereits Gegenstand der Abmahnung vom 23.03.2020. Durch die Abmahnung habe die Beklagte zum Ausdruck gebracht, dass sie eine Verhaltensänderung zumindest als möglich ansehe. Die Äußerungen könnten daher nicht mehr als Grundlage für die Annahme dienen, der Kläger werde sein Verhalten in Zukunft unter keinen Umständen ändern. Schließlich erweise sich die Kündigung jedenfalls im Rahmen der Interessenabwägung als unwirksam. In Abwägung aller Umstände des Falles, insbesondere der Betriebszugehörigkeit des Klägers, dem eingetretenen Schaden und dem Gewicht der Pflichtverletzung, erscheine es der Beklagten zumutbar, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zumindest noch für den kurzen Zeitraum bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist fortzusetzen. Damit allerdings erweise sich die außerordentliche Kündigung bereits als unwirksam. Infolgedessen stehe dem Kläger auch der geltend gemachte allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch zu.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen ist der Beklagten über ihre Prozessbevollmächtigten am 14.09.2020 zugestellt worden. Sie hat mit am 25.09.2020 bei dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf eingegangenem Anwaltsschriftsatz Berufung eingelegt, die sie mit am 12.11.2020 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenem Anwaltsschriftsatz begründet hat.

Die Beklagte verfolgt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens den Antrag auf Klageabweisung weiter. Unverändert wirft sie dem Kläger eine beharrliche vorsätzliche und erhebliche Störung des Betriebsfriedens ebenso vor wie die durch den beharrlichen Verstoß gegen behördliche wie betriebliche Corona-Schutzmaßnahmen bewirkte konkrete Gefährdung von Arbeitskollegen. Sie weist in diesem Zusammenhang auf die besondere Situation Mitte/Ende März 2020 im Hinblick auf die auch in Deutschland ausgebrochene Covid19-Pandemie hin. Vor allem ab Mitte März 2020 habe eine erhebliche Verunsicherung in der Bevölkerung geherrscht, wie sich die Pandemie entwickeln würde. In diesem Zeitraum habe der Kläger mehrere schwerwiegende Pflichtverletzungen begangen und sich unbelehrbar gezeigt. Dass er den Kollegen T. bewusst provokant am Arm unter Missachtung des Sicherheitsabstandes angefasst habe, ergebe sich bereits daraus, dass er zuvor noch zur Einhaltung des Mindesabstands ermahnt worden sei und es keinen ersichtlichen Grund zum Anfassen des Herrn T. gegeben habe. Herr T. habe sich durch das Anfassen auch provoziert gefühlt, was er zum Ausdruck gebracht habe, indem er „Lass das“ zu dem Kläger gesagt habe. Bereits die Berührung des Kollgen T. als solche habe diesen einem erheblichen Infektionsrisiko ausgesetzt, zudem sei der Betriebsfrieden erheblich hierdurch gestört worden. Es handele sich um einen vorsätzlichen Verstoß gegen Arbeitsschutzbestimmungen, der an sich bereits zur fristlosen Kündigung berechtige. Das Verhalten gegenüber Herrn T. begründe gleichfalls einen schwerwiegenden Verstoß gegen Arbeitsschutzbestimmungen und die Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB. In Verbindung mit der von der Beklagten behaupteten Äußerung des Klägers in Richtung des Herrn T. sei darin zudem eine versuchte Körperverletzung zu sehen und auch eine Bedrohung und Beleidigung liege vor. Der Betriebsfrieden sei erheblich durch das Verhalten des Klägers beeinträchtigt worden, was sich daran zeige, dass der Arbeitskollege X. des Klägers, der das Anhusten gesehen und die Äußerung gehört habe, ihm angedroht habe, ihm „auf die Fresse zu hauen“. Zu dieser Aussage hätte sich Herr X. nicht hinreißen lassen, wenn er sich nicht durch das Verhalten des Klägers bedroht gefühlt hätte. Eine Abmahnung sei entbehrlich gewesen, da eine Verhaltensänderung beim Kläger nicht zu erwarten gewesen sei. Seine Äußerungen insbesondere auch gegenüber dem Werksleiter M. zeigten, dass er die Notwendigkeit der Infektionsschutzmaßnahmen nicht anerkenne und sich auch künftig nicht an diese halten werde. Noch unmittelbar nach Erhalt der Abmahnung vom 23.03.2020 habe er zudem geäußert, dass man die Infektionsschutzmaßnahmen nicht ernst nehmen könne. Eine vorherige Abmahnung angesichts der Schwere der Pflichtverletzung zu fordern, berücksichtige zudem nicht hinreichend, welchem Haftungsrisiko gegenüber den Mitarbeitern sich die Beklagte aussetze, wenn sie einen Mitarbeiter weiterbeschäftige, der nicht bereit sei, die Infektionsschutzmaßnahmen zu beachten. Diese Weigerung habe der Kläger mehrfach zum Ausdruck gebracht. Außerdem, so die Ansicht der Beklagten, liege mit der Abmahnung vom 31.07.2019 eine einschlägige, nämlich ebenfalls den Verstoß gegen Nebenpflichten aus dem Arbeitsverhältnis betreffende Abmahnung vor. Schließlich ist die Beklagte der Ansicht, es sei auch das Gesamtverhalten des Klägers als Dauertatbestand zu würdigen. Vor diesem Hintergrund könne ihr eine Weiterbeschäftigung auch bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden. Zum Weiterbeschäftigungsantrag weist die Beklagte unabhängig davon darauf hin, dass es die Tätigkeit des Zerspannungsmechanikers nicht gibt. Auch die Beschäftigung als Zerspanungsmechaniker stehe dem Kläger nicht zu, da er unstreitig und nach seinem Arbeitsvertrag lediglich als Jung-Zerspanungsmechaniker eingestellt sei. Einen Anspruch auf Beschäftigung auf einer höherwertigen und damit besser bezahlten Position habe er nicht. Der Zerspanungsmechaniker werde in einem ganz anderen Umfang und mit deutlich mehr eigenständiger Verantwortung an den Maschinen der Beklagten eingesetzt. Hierfür fehle dem Kläger die Berufserfahrung.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 20.08.2020 – Az.: 3 Ca 457/20 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Hinsichtlich des Vorfalls vom 17.03.2020 mit dem Auszubildenden Herrn T. sei es so gewesen, dass er den Sicherheitsabstand durchaus eingehalten habe. Im Verlauf des mit Herrn T. geführten Gesprächs habe der Kläger aufgrund eines Hustenreizes ein paar Mal husten müssen. Dabei habe er am Anfang nicht in die Armbeuge gehustet, worauf Herr T. ihn hingewiesen habe. In diesem Zusammenhang habe er sinngemäß geäußert „Du kriegst schon kein Corona“. Als er dann nochmal habe husten müssen, habe er dies in die Armbeuge getan. Das sei nur noch einmal der Fall gewesen und dann sei das Gespräch ohnehin bereits beendet gewesen und Herr T. sei gegangen. Die ihm von der Beklagten vorgehaltene Äußerung habe es nicht gegeben und es habe sich ohnehin auch nicht um ein Streitgespräch gehandelt. Dass er den Sicherheitsabstand im Übrigen in zwei Fällen nicht eingehalten habe, sei ein Versehen gewesen. Richtig sei, dass er gegrinst habe, als Herr P. ihn darauf hingewiesen habe, jedoch habe das nicht bedeutet, dass er die Vorschriften nicht ernst nehme. Vielmehr betreibe die Beklagte gegen ihn aus seiner Sicht eine Kampagne. Er habe sich wiederholt gegen rechtswidrige Maßnahmen der Beklagten zur Wehr setzen müssen und dabei in allen Fällen Recht bekommen. So habe die Beklagte zunächst das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses nach § 78a Abs. 2 Satz 1 BetrVG ignoriert, danach habe er zur Durchsetzung seiner Vergütungsansprüche erst gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen, da die Beklagte ihm den ihm zustehenden Annahmeverzugslohn verweigert habe.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze beider Parteien nebst Anlagen in erster und zweiter Instanz sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Die Berufungskammer hat den Kläger gemäß § 141 ZPO angehört und Beweis erhoben nach Maßgabe des Beweisbeschlusses vom 27.04.2021 durch Vernehmung der Zeugen T., X., M., P. und C.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 27.04.2021 (Blatt 433 ff. der Akte) verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist angesichts des Streits der Parteien über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Ausspruch der Kündigung vom 03.04.2020 statthaft gemäß § 64 Abs. 1, Abs. 2 lit. c) ArbGG. Ferner ist sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung ist jedoch lediglich zum Weiterbeschäftigungsantrag begründet und führt insoweit zur teilweisen Abänderung des erstinstanzlichen Urteils und zur teilweisen Klageabweisung. Im Übrigen und damit zur Kündigungsschutzklage ist die Berufung nicht begründet. Vielmehr ist dem Arbeitsgericht jedenfalls im Ergebnis darin zu folgen, dass ein wichtiger Grund zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch das dem Kläger zur Last zu legende Verhalten noch nicht begründet ist.

Im Einzelnen:

1. Die form- und fristgerecht im Sinne der §§ 13, 4, 7 KSchG erhobene Kündigungsschutzklage ist zulässig und begründet.

Wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann das Arbeitsverhältnis des Klägers als Jugend- und Auszubildendenvertreter nach § 15 Abs. 1 KSchG nur gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, die zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB berechtigen.

Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, das heißt typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG vom 31.07.2014 – 2 AZR 407/13, juris, Rz. 25; BAG vom 08.05.2014 – 2 AZR 249/13, juris, Rz. 16; BAG vom 21.11.2013 – 2 AZR 797/11, juris, Rz. 15; BAG vom 21.06.2012 – 2 AZR 694/11, juris, Rz. 20; BAG vom 09.06.2011 – 2 AZR 323/10, juris, Rz. 14; BAG vom 10.10.2010 – 2 AZR 541/09, juris, Rz. 30). Dabei ist im Rahmen des § 15 Abs. 1 KSchG auf die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist des Mandatsträgers abzustellen. Ist eine Weiterbeschäftigung bis dahin zumutbar, ist die Kündigung unwirksam (BAG vom 19.07.2012 – 2 AZR 989/11, juris, Rz. 44; BAG vom 12.05.2010 – 2 AZR 587/08, juris, Rz. 17).

Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein (BAG vom 31.07.2014 – 2 AZR 407/13, juris, Rz. 26; BAG vom 08.05.2014 – 2 AZR 249/13, juris, Rz. 19; BAG vom 27.01.2011 – 2 AZR 825/09, juris, Rz. 29). Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG vom 31.07.2014 – 2 AZR 407/13, juris, Rz. 26; BAG vom 08.05.2014 – 2 AZR 249/13, juris, Rz. 19).

Kann gemessen daran ein wichtiger Grund „an sich“ grundsätzlich vorliegen, ist Voraussetzung jedenfalls der Tatkündigung jedoch weiterhin, dass die dem Arbeitnehmer vorgeworfene Pflichtverletzung – soweit streitig – nachgewiesen wird. Nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer ggf. durchgeführten Beweisaufnahme nach seiner freien Überzeugung darüber zu befinden, ob es eine tatsächliche Behauptung für wahr erachtet oder nicht. Die Beweiswürdigung muss vollständig, widerspruchsfrei und umfassend sein. Mögliche Zweifel müssen überwunden, aber nicht völlig ausgeschlossen sein. Für die volle richterliche Überzeugungsbildung nach § 286 Abs. 1 ZPO ist ausreichend, dass ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit erreicht ist, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig ausschließen zu müssen (st. Rspr., vgl. BAG vom 25.04.2018 – 2 AZR 611/17, juris, Rz. 24; BAG vom 16.07.2015 – 2 AZR 85/15, juris, Rz. 73; BGH vom 18.10.2017 – VIII ZR 32/16, juris, Rz. 14). Soll ein Vortrag mittels Indizien bewiesen werden, hat das Gericht zu prüfen, ob es die vorgetragenen Hilfstatsachen – deren Richtigkeit unterstellt – von der Wahrheit der Haupttatsache überzeugen. Es hat die insoweit maßgebenden Umstände vollständig und verfahrensrechtlich einwandfrei zu ermitteln und alle Beweisanzeichen erschöpfend zu würdigen. Dabei sind die Tatsacheninstanzen allerdings grundsätzlich frei darin, welche Beweiskraft sie den behaupteten Indiztatsachen im Einzelnen und in einer Gesamtschau beimessen (BAG vom 25.04.2018 – 2 AZR 611/17, juris, Rz. 24).

a. Gemessen hieran vermag zunächst das dem Kläger im Hinblick auf den Auszubildenden Herrn T. für den 17.03.2020 gegen ca. 15 Uhr vorgeworfene Verhalten des vorsätzlichen und provokanten Anhustens in Verbindung mit der sinngemäßen Äußerung „Ich hoffe, Du bekommst Corona“ die außerordentliche Kündigung nicht zu begründen.

aa. Zunächst ist die Kündigung insoweit wie auch zu allen weiteren zur Begründung herangezogenen Gründen allein als Tatkündigung zu prüfen und zu würdigen. Denn weder beruft sich die Beklagte – zumindest hilfsweise – auf den dringenden Verdacht entsprechender Taten als Kündigungsgrund noch ist eine ordnungsgemäße (vgl. hierzu BAG vom 25.04.2018 – 2 AZR 611/17, juris, Rz. 31 ff. m.w.N.) vorherige Anhörung des Klägers ersichtlich. Streitentscheidend insoweit ist allerdings unabhängig von alldem, dass der Betriebsrat ausweislich des Anhörungsschreibens vom 30.03.2020 und des Sachvortrages der Beklagten nicht dazu angehört worden ist, dass die beabsichtigte Kündigung neben dem Tatvorwurf als solchem auch auf einen dringenden Verdacht gestützt werde. Wurde der Betriebsrat jedoch nicht zumindest auch zum Verdacht einer Pflichtverletzung als (eigenständigem) Kündigungsgrund angehört, ist der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess mit dem Kündigungsgrund des Verdachts wegen insoweit fehlender Betriebsratsanhörung ausgeschlossen (BAG vom 07.05.2020 – 2 AZR 678/19, juris, Rz. 22; BAG vom 20.06.2013 – 2 AZR 546/12, juris, Rz. 40; BAG vom 23.10.2010 – 2 AZR 804/08, juris, Rz. 24; BAG vom 11.12.2003 – 2 AZR 536/02, juris, Rz. 27).

bb. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts würde das vorsätzliche, provokante Anhusten eines Arbeitskollegen – erst recht eines Auszubildenden – unter Missachtung der im Zusammenhang mit der Covid19-Pandemie erlassenen behördlichen wie betrieblichen Arbeitsschutzregeln nach Ansicht der Berufungskammer durchaus einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses begründen.

Denn der vorsätzlich und provokant handelnde „Corona-Anhuster“ nimmt zumindest billigend in Kauf, den von seiner Tat betroffenen Arbeitskollegen entweder objektiv der tatsächlichen, konkreten Gefahr einer lebensbedrohlichen Infektion und Erkrankung oder jedenfalls subjektiv dem entsprechend konkreten Angstgefühl auszusetzen. Mit beidem geht – ohne dass es auf die Frage der Strafbarkeit eines solchen Verhaltens im Einzelnen ankäme (dazu näher Gaede in: Ulsenheimer/Gaede, Arztstrafrecht in der Praxis, 6. Auflage, Rn. 1759 ff. („1. Aktive Verbreitung des Virus“); Zitzelsberger in: Esser/Tsambikakis, Pandemiestrafrecht, 1. Auflage, § 2 Rn. 1 ff.; zur strafrechtlichen Behandlung des „Corona-Hustens“ in den Niederlanden beck-aktuell unter becklink 2015834 („Niederlande: Haftstrafe für Corona-Huster“) – eine massive Störung des Betriebsfriedens ebenso wie die Verletzung der sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebenden Nebenpflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers einher (ebenso Kleinebrink, NZA 2020, 1361, 1362 ff., 1365; Halbhuber, SPA 2020, 169, 170; generell zur Verletzung der Rücksichtnahmepflicht als außerordentlichem Kündigungsgrund BAG vom 20.05.2021 – 2 AZR 596/20, juris, Rz. 23; BAG vom 25.04.2018 – 2 AZR 611/17, juris, Rz. 43 f.; BAG vom 29.06.2017 – 2 AZR 47/16, juris, Rz. 23).

cc. Die Beklagte ist für den Tatvorwurf eines solchen vorsätzlichen und provokanten Anhustens des Auszubildenden T. durch den Kläger am Nachmittag des 17.03.2020 allerdings beweisfällig geblieben. Die Berufungskammer konnte sich im Rahmen der mehrstündigen, intensiven Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen T., X., M. und P. nicht den notwendigen, für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit verschaffen, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig ausschließen zu müssen, dass der Kläger den Zeugen T. vorsätzlich und provokativ angehustet hat.

Dabei verkennt die Kammer nicht, dass erst durch die Einlassung des Klägers in der mündlichen Berufungsverhandlung überhaupt unstreitig geworden ist, dass er den Zeugen T. am 17.03.2020 „angehustet“, also ohne Beachtung der Hust-Etikette (Husten in die Armbeuge oder mit der Hand oder einem Taschentuch vor dem Mund) in seine Richtung gehustet hat. Das hat er in erster Instanz und auch mit der Berufungserwiderung noch ebenso bestritten wie die Nichteinhaltung des Sicherheitsabstands gegenüber Herrn P.. Dieses Prozessverhalten des Klägers wirft durchaus die Frage auf, inwieweit seinen Erklärungen Glauben zu schenken ist und inwieweit eben nicht mehr.

Neben diesem wechselnden Vortrag des Klägers sind allerdings auch deutliche Abweichungen in den Zeugenaussagen festzustellen ebenso wie Abweichungen der Aussagen von dem Parteivortrag der Beklagten. Und diese trägt nun einmal die Beweislast für die streitig gebliebenen, den Kündigungsvorwurf begründenden Tatsachen. Teilweise widersprüchlicher Vortrag des Klägers führt nicht per se dazu, dass sämtliches Vorbringen der Beklagten als wahr unterstellt werden könnte. Es ist vielmehr nur ein, wenn auch kein unwesentlicher Bestandteil des nach § 286 Abs. 1 ZPO zu würdigenden gesamten Inhalts der Verhandlungen. Hinzu kommen die weiteren Einlassungen des Klägers und der Beklagten und das Ergebnis der Beweisaufnahme.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zwar nach den übereinstimmenden Aussagen der Zeugen T. und X., die sich insoweit mit der Einlassung des Klägers decken, fest, dass dieser den Zeugen T. am Nachmittag des 17.03.2020 im Rahmen eines Gesprächs kurz vor Dienstende des Zeugen T. zumindest einmal angehustet hat, d.h. ohne Beachtung der Hust-Etikette in seine Richtung gehustet hat. Dass dies allerdings provokant und vorsätzlich geschehen wäre, kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und entgegen der Ansicht der Beklagten zur Überzeugung der Kammer nicht festgestellt werden.

Insoweit hat der Zeuge T. zwar bekundet, der Kläger habe ihn „angehustet“, worunter er verstehe, dass das „extra“, also vorsätzlich gemacht worden sei. Denn im Unterschied zum „Anhusten“, so der Zeuge, gehe der normale „Husten“ vom Körper aus. Gemeint hat der Zeuge damit offenbar, dass der von ihm so genannte normale „Husten“ körperlich plötzlich verursacht und damit nicht willentlich steuerbar und beeinflussbar ist. Ob der Kläger den Zeugen nun aber vorsätzlich angehustet hat oder ein nicht steuerbarer Hustenreiz vorlag, kann letztlich nur anhand der feststellbaren Indizien überprüft werden. Insoweit handelt es sich bei der Einschätzung des Zeugen T. nur um seine eigene Wertung des Verhaltens des Klägers. Um diese nachvollziehen und daraus Rückschlüsse auf die Motivation und einen evtl. Vorsatz des Klägers schließen zu können, müssen weitere objektive Anknüpfungstatsachen hinzukommen, die auch zur Überzeugung der Kammer aus einem „Husten“ ein „Anhusten“ im Sinne des Verständnisses des Zeugen, also im Sinne eines vorsätzlichen Anhustens machen. Solche ergeben sich aus der Aussage des Zeugen T. gerade nicht. Im Gegenteil begründet der Zeuge seine Wertung damit, dass der Kläger ihn angehustet habe, da er ihn ja direkt frontal angehustet habe. Das ist zirkulär. Auch die Bekundung des Zeugen, es habe sich um ein Anhusten gehandelt, da man bei einem Husten, der von selbst komme, eher in die Armbeuge huste, vermag nicht zu überzeugen. Auch hierin liegt allein eine subjektive Einschätzung, die zudem nicht recht nachvollziehbar ist. Gerade der vom Körper und gar nicht mehr vom Willen gesteuerte oder wenigstens beeinflussbare – z.B. verzögerbare – Husten, also der allein auf dem plötzlichen Hustenreiz beruhende Husten kann ja durchaus so spontan kommen, dass keine Zeit und Möglichkeit mehr verbleibt, in die Armbeuge zu husten oder sich wegzudrehen. Dass der Zeuge frontal angehustet wurde, liegt zunächst einmal daran, dass Zeuge und Kläger sich frontal gegenüberstanden. Darin liegt für sich genommen keine Pflichtverletzung. Die durch den Zeugen bekundete Nichteinhaltung des Sicherheitsabstandes als solche stellte zwar eine Pflichtverletzung dar. Dass diese wiederum vom Kläger willentlich im Zusammenhang mit einem Anhusten begangen worden wäre, ist ebenso wenig nachvollziehbar und damit bewiesen wie das willentliche Anhusten selbst. Denn objektive Anhaltspunkte und mithin Indizien, die die willentliche Steuerung des Hustens als Anhusten ins Gesicht des Zeugen T. belegen oder auch nur stützen könnten, liefert die Aussage des Zeugen nicht. An eine Äußerung des Klägers, so bekundet der Zeuge, habe er keine Erinnerung, da er ja direkt gegangen sei. Ein Streitgespräch hat nach seiner Bekundung ebenfalls nicht stattgefunden, wobei er Einzelheiten des Gesprächs auch im Übrigen nicht mitteilen konnte. Weiter hat der Zeuge bekundet, der Kläger sei weder als aggressiv noch gewalttätig bekannt, sondern eher für Späße unter den Azubis, und ein Anhusten durch den Kläger habe es zuvor nach seiner Kenntnis noch nicht gegeben. Das Anhusten sei unvermittelt erfolgt. All dies stützt keine Annahme vorsätzlichen, steuerbaren Anhustens. Denn so unvermittelt wie es für den Zeugen war, kann es mithin auch für den Kläger infolge eines spontanen Hustenreizes gekommen sein. Andere Indizien für einen Vorsatz wie etwa ein Grinsen des Klägers, sollte er einen – sicherlich makabren – Scherz beabsichtigt haben, hat der Zeuge ebenfalls nicht bekundet. Er sei zwar verärgert gewesen, diese Verärgerung bezieht sich aber immer wieder allein auf das Husten in seine Richtung als solches, das er als Anhusten empfunden hat. Ob dahinter ein vorsätzliches Anhusten stand, ist damit aus der Bekundung des Zeugen T. nicht schlüssig zu entnehmen. Auch wenn er zum Schluss seiner Aussage bekundet, er könne ausschließen, dass es beim Kläger ein Hustenreiz gewesen sei, vielmehr sei das für den Zeugen ganz klar ein Anhusten gewesen, beruht diese Aussage ausschließlich auf einer subjektiven Wertung. Denn der Zeuge kann nicht wissen, ob der Kläger einem Hustenreiz unterlag oder vorsätzlich gehustet hat und von ihm wahrgenommene Indizien zum schlüssigen Beleg seiner Einschätzung benennt er nicht.

Gleiches gilt im Ergebnis für die Aussage des Zeugen X.. Dieser hat zwar bekundet, der Kläger habe den Zeugen T. angehustet und geäußert „Ich hoffe, Du kriegst Corona“. Damit hat er den Tatvorwurf der Beklagten zunächst bestätigt. In Verbindung mit der von dem Zeugen bekundeten Aussage läge zudem ein gewichtiges Indiz für ein vorsätzliches Anhusten durch den Kläger vor. Die Aussage des Zeugen X. ist allerdings nicht glaubhaft. Denn außer diesem Kernvorwurf vermochte der Zeuge keine wesentlichen Details des Geschehens mehr zu schildern bzw. bei den wenigen Details, die er bekundet hat, liegen gewichtige Widersprüche zur Aussage des Zeugen T. wie auch zum Sachvortrag der Beklagten vor. Danach fand das Gespräch des Klägers mit dem Zeugen T. im Pausenraum statt, in dessen Nähe sich der Zeuge X. an seiner Maschine befunden habe. Demgegenüber hat der Zeuge X. bekundet und mehrfach ausdrücklich bestätigt, er sei sich sicher, dass das Gespräch und das Husten nicht im Pausenraum, sondern in der Werkshalle an der Fräsmaschine stattgefunden habe. Wenn der Zeuge X. bekundet, sich bei dem Ort des Gesprächs ganz sicher zu sein, während unstreitig und insbesondere nach Beklagtenvorbringen ebenso wie nach der Bekundung des Zeugen T. der Vorgang im Pausenraum stattgefunden hat, lässt dies erhebliche Zweifel an der sicheren Erinnerungsfähigkeit des Zeugen aufkommen. Diese werden noch bestärkt durch seine weitere Bekundung, die angebliche Aussage des Klägers „Ich hoffe, Du kriegst Corona“ sei im Zusammenhang mit dem Husten erfolgt und ob der Zeuge T. danach dann gegangen sei, wisse er nicht mehr. Denn der Zeuge T. hat bekundet, sich an keine und mithin auch an keine solche Aussage des Klägers zu erinnern. Wenn nach Bekundung des Zeugen X. aus ca 3 Metern Entfernung eine Aussage des Klägers für ihn wahrnehmbar gewesen sein soll, die noch in Gegenwart des Zeugen T. erfolgt sein soll, die dieser unmittelbar beim Kläger stehend und unmittelbar betroffen aber seinerseits nicht erinnert, begründet dies nicht nur gewisse, sondern erhebliche Zweifel der Kammer daran, dass es diese Aussage des Klägers so wirklich gegeben hat. Sie wäre aber das entscheidende Indiz wiederum für ein vorsätzliches Anhusten, weil nur aus ihr schlüssig auf die subjektive Zielrichtung des Klägers geschlossen werden kann. Andere objektive Indizien für den dem Kläger vorgeworfenen Vorsatz eines „Anhustens“, noch dazu eines „provokanten“ Anhustens, gibt es insoweit nicht.

Beim Zeugen X. ist nicht auszuschließen – und das beeinträchtigt die Glaubhaftigkeit seiner Aussage und seine Glaubwürdigkeit erheblich -, dass er sich von einem Augenblicks-Eindruck in Verbindung mit der ohnehin zu Beginn der Pandemie schon angesichts der ungewissen Lage und der allgemein vorherrschenden Angst zu Schlüssen hat verleiten lassen, die dann zur Wiedergabe von Vorgängen führen, bei denen tatsächliche Wahrnehmung und Schlussfolgerung untrennbar miteinander verbunden sind. So bekundet der Zeuge, dass er an seiner Maschine gearbeitet und mit der Einrichtung gerade fertig gewesen sei. Als er seinen Blick gerade in Richtung des Klägers und des Zeugen T. gewendet habe, habe er dann direkt das „Anhusten“ gesehen. Eine solche Schilderung erinnert unwillkürlich an sogenannte „Knallzeugen“ bei Verkehrsunfällen. Symptomatisch für diese Einordnung ist zudem, dass der Zeuge nichts zum Gesprächsinhalt und -verlauf im Übrigen bekunden konnte, sich aber sicher in der Wahrnehmung des Anhustens und der folgenden Aussage des Klägers sein will. Das überzeugt die Kammer nicht. Vielmehr ist angesichts der Detailarmut der weiteren Schilderungen zum Kontext nicht auszuschließen, dass der Zeuge sich von der damaligen Aufgeregtheit im Zusammenhang mit der für alle neuen und bedrohlichen Pandemielage hat zu Schlüssen verleiten lassen, bei denen tatsächliche Wahrnehmung und Schlussfolgerung verschwimmen. Insoweit hat die Zeugin C. nachvollziehbar bekundet, dass damals alle im Betrieb sehr in Aufruhr gewesen seien und keiner so richtig gewusst habe, was dort mit Corona auf sie zukomme. Hier kommt hinzu, dass der Zeuge X. bekundet hat, dass seine eigene Frau Risikopatientin sei und er da das mit Corona nun wirklich nicht gebrauchen könne. Daher habe er dann auch den Vorgesetzten Herrn P. angesprochen. Im Zusammenhang mit der von Frau C. geschilderten, ohnehin schon allgemeinen Aufgeregtheit kann insoweit eine Überreaktion des Zeugen X., die die Wahrnehmung fehlgesteuert hat, nicht ausgeschlossen werden. Zwar könnte man insoweit auch argumentieren, gerade wegen dieser Betroffenheit des Zeugen sei die Wahrnehmung dann bei solchen Vorfällen wie dem hier bekundeten besonders wach. Eben dann hätte aber auch zumindest die Angabe des Gesprächsortes glaubhaft bekundet werden müssen – was wie aufgezeigt gerade nicht der Fall ist – und gerade dann wäre zu erwarten gewesen, dass der Zeuge zur Reaktion des unmittelbar betroffenen Herrn T. noch Wahrnehmungen erinnern würde, was gleichfalls nicht der Fall ist. Die Aussage kann von der Kammer vor diesem Hintergrund nicht als glaubhaft eingestuft werden. Die Feststellung eines vorsätzlichen Anhustens durch den Kläger ist auf Grundlage dieser Aussage ebenso wenig wie auf der des Zeugen T. möglich.

Schließlich steht ein vorsätzliches, provokantes Anhusten auch nicht infolge der Aussagen der Zeugen M. und P. zum Gesprächsverlauf vom 24.03.2020 fest. Der Zeuge M. hat zwar eine lapidare Einstellung zu den Arbeitsschutzregeln durch den Kläger bekundet, zum Tatvorwurf selbst und insbesondere zu der strittigen Aussage jedoch hat er lediglich die Reaktion des Klägers, das könne schon sein und das nehme er nicht so ernst, sondern sehe das eher spaßig, bekundet. Ob sich die bekundete lapidare Reaktion des Klägers nun aber auf den Vorhalt, dass er die Aussage so getroffen habe, oder auf ein Husten ohne Einhaltung der Arbeitsschutzregeln bezogen hat, ist der Aussage des Zeugen nicht klar zu entnehmen. Da ihm nach der Bekundung des Zeugen M. unmittelbar vor seiner Antwort, „das kann schon sein“, vorgehalten worden sein soll, dass der Zeuge T. „dies“, also Anhusten nebst Aussage, bestätigt habe, kann sich die Antwort des Klägers ohne Weiteres darauf beziehen, dass er damit sagen wollte, es könne schon sein, dass der Zeuge T. das so bestätigt habe. Damit ist ein Zugeständnis, tatsächlich vorsätzlich angehustet und dies mit der strittigen Aussage, die eben der Zeuge T. vor Gericht in keiner Weise bestätigt hat, belegt zu haben, nicht zwingend verbunden. Da das Gespräch nach Bekundung des Zeugen M. nur kurz dauerte und offenbar keine Nachfrage zur Konkretisierung mehr stattgefunden hat, ist die Aussage jedenfalls zum Beweis eines vorsätzlichen Anhustens durch den Kläger nicht hinreichend. Hinzu kommt, dass der ebenfalls beim Gespräch am 24.03.2020 anwesende Zeuge P. nur bekunden konnte, dass der Kläger das „Anhusten“ bestätigt habe, während er sich zu erinnern meinte, dass der Kläger die Aussage „Ich hoffe, Du bekommst Corona“ bestritten habe. Auch das unterstreicht, dass das Gespräch am 24.03.2020 insoweit unklar verlaufen ist. Klar war nach den Bekundungen beider Zeugen lediglich die Reaktion, dass der Kläger einen objektiven Verstoß gegen die Arbeitsschutzregeln (Abstand, Hust-Etikette) zugegeben hat und sich auf die Vorhaltungen dann lapidar hierzu dahin äußerte, dass er das eher spaßig sehe und nicht ernst nehme. Damit ist das vorsätzliche und provokante Anhusten des Zeugen T. durch den Kläger am 17.03.2020 nicht bewiesen, sondern lediglich das Bekunden einer lapidaren Einstellung zu den Regeln und Vorwürfen am 24.03.2020. Das eine begründet hier aber nicht zwingend das andere. Und vor dem Hintergrund der bereits aufgezeigt fehlenden Überzeugungskraft der übrigen und unmittelbar den 17.03.2020 betreffenden Aussagen ist die Berufungskammer damit nicht von einem vorsätzlichen Anhusten und dem hierfür maßgeblichen Indiz der dem Kläger vorgeworfenen Aussage gegenüber dem Auszubildenden T. überzeugt.

b. Der verbleibende, festzustellende Verstoß des Klägers gegen die Arbeitsschutzregeln der Beklagten, indem er am 17.03.2020 nachmittags ohne Einhaltung des Sicherheitsabstandes von 1,5 m dem Zeugen T. gegenüberstand, als es zu dem Husten kam, begründet zwar eine Pflichtverletzung des Klägers.

Diese begründet aber keine außerordentliche, fristlose Kündigung. Denn aufgrund Beweisfälligkeit der Beklagten kann die Einlassung des Klägers, infolge eines Hustenreizes unvermittelt und mithin nicht steuerbar gehustet zu haben, nicht widerlegt werden. Es kann mithin nicht widerlegt werden, dass der Kläger den Zeugen T. weder gefährden wollte noch auch nur eine Gefährdung billigend in Kauf nahm oder ihm entsprechend Angst machen wollte. Steuerbares Fehlverhalten liegt dann aber lediglich noch hinsichtlich des Abstandsverstoßes als solchem vor und insoweit bedurfte es zuvor mindestens einer einschlägigen, also eine gleichartige Pflichtverletzung betreffenden Abmahnung, um dann im Wiederholungsfall auf eine beharrliche Verweigerung der Einhaltung berechtigter Arbeitsschutzregeln schließen zu können. Erst das wiederum wäre dann gewichtig genug, um eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i.V.m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG vom 20.11.2014 – 2 AZR 651/13, juris, Rz. 22; BAG vom 23.10.2014 – 2 AZR 865/13, juris, Rz. 47; BAG vom 25.10.2012 – 2 AZR 495/11, juris, Rz. 16).

Die Verletzung von Abstandsregeln im Zusammenhang mit der Covid19-Pandemie, die teilweise durch den Kläger zugestanden ist und hier für den 17.03.2020 mit den Bekundungen der Zeugen T. und X. zugunsten der Beklagten unterstellt werden kann, beruht auf steuerbarem Verhalten. Sie ist als solche noch nicht derart gewichtig, dass sie für den Arbeitnehmer ex ante erkennbar sofort zur Kündigung führen müsste und auch die erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben ausgeschlossen wäre. Vielmehr war gerade zu Beginn der Pandemie vielen Arbeitnehmern wie auch Arbeitgebern noch gar nicht hinreichend klar, was zu tun und was in welchem Umfang sinnvoll und notwendig für einen hinreichenden Schutz gegen Ansteckung und Erkrankung war. Außerdem drang auch die außerordentliche Gefährlichkeit dieses neuen Virus erst allmählich in das Bewusstsein der Allgemeinheit. Insofern war objektiv erwartbar und auch erforderlich, auf Verstöße gegen neue und bislang ungewohnte Arbeitsschutzregeln wie einen permanent zu beachtenden Mindestabstand mit Hinweisen und bei Verstoß zunächst mit einer eindringlichen Warnung vor der Gefährdung des Arbeitsverhältnisses zu reagieren anstatt sogleich zu kündigen. Dass der Kläger eine solche Abmahnung, also nicht nur eine Ermahnung, sondern auch die konkrete Warnung vor der fristlosen Kündigung im Wiederholungsfall nicht beachtet hätte, wird zwar von der Beklagten behauptet, aber nicht belegt. Dass der Kläger Corona als solches geleugnet hätte und in diesem Zusammenhang gar als unbelehrbar gelten müsste, ist nicht ersichtlich. Soweit die Beklagte ihm vorhält, die Pandemie und ihre Arbeitsschutzmaßnahmen nicht ernst genug genommen und sich darüber eher lustig gemacht zu haben – was durch die Aussagen der Zeugen M. und P. belegt wird und durchaus schlüssig und für die Kammer glaubhaft ist -, muss und kann solchem Verhalten eines noch verhältnismäßig jungen und in diesem Zusammenhang möglicherweise nicht hinreichend verstandesreifen Mitarbeiters zunächst mit einer Abmahnung begegnet werden. Denn gerade dem „Spaßvogel“ im Betrieb vergeht im Regelfall das Lachen, wenn ihm die Erheblichkeit seines Fehlverhaltens nochmals eindrücklich vor Augen geführt und dies mit der klaren Warnung verbunden wird, dass im Wiederholungsfall eine Kündigung droht. Darin hätte hier das vorrangige mildere Mittel gelegen und dass dieses beim Kläger keine Wirkung entfaltet hätte, ist nicht erkennbar.

Da die Abmahnung vom 23.03.2020 dem Vorfall vom 17.03.2020 nachfolgte, war der Kläger hinsichtlich dieses Fehlverhaltens zur Tatzeit noch nicht einschlägig abgemahnt. Soweit die Beklagte meint, jedenfalls die Abmahnung vom 31.07.2019 zur Handynutzung sei einschlägig, da sie ebenfalls eine Nebenpflichtverletzung und damit eine gleichartige Pflichtverletzung betreffe, verkennt sie den Begriff der Gleichartigkeit. Pflichtverletzungen sind dann gleichartig, wenn sie in einem inneren Bezug zu der der Kündigung zugrundeliegenden negativen Zukunftseinschätzung stehen (BAG vom 16.09.2004 – 2 AZR 406/03, juris, Rz. 34). Abmahnung und Kündigung sind in erster Linie keine Sanktionen für vergangenes Fehlverhalten. Die Abmahnung dient vielmehr als Mittel der möglichst ordnungsgemäßen und vollständigen Vertragserfüllung in der Zukunft. Sie soll bei Vertragsverstößen, die nicht so schwer wiegen, als dass aus ihrem einmaligen Vorkommen mit hinreichender Sicherheit eine nachteilige Einschätzung der zukünftigen Entwicklung gewonnen werden könnte, auf ordnungsgemäße Vertragserfüllung hinwirken. Wenn mit solcher Vertragserfüllung – z.B., weil sich Abmahnungen als erfolglos erwiesen haben – nicht mehr gerechnet werden kann, ist der Gläubiger berechtigt, das Vertragsverhältnis zu beenden. Es liegt auf der Hand, dass Vertragsverstöße, die zu etwa bereits abgemahnten Pflichtverletzungen in keinem Zusammenhang stehen, nichts zu einer Einschätzung der Frage beitragen können, ob mit einer Wiederholung der abgemahnten Pflichtverletzungen zu rechnen ist (BAG vom 16.09.2004 – 2 AZR 406/03, juris, Rz. 34). Die weisungswidrige Nutzung eines Handys während der Arbeitszeit mag im vorliegenden Fall nicht nur die Verletzung der Hauptleistungspflicht betreffen, sondern auch eine Nebenpflichtverletzung begründen. Sie hat aber keinen inneren Bezug zu der Einschätzung, ob der Kläger künftig Arbeitsschutzregeln im Zusammenhang mit der Covid19- oder einer anderen Pandemie beachten wird. Ihr fehlt die Gleichartigkeit mit der hier relevanten und kündigungsauslösenden Pflichtverletzung.

Selbst wenn man dies anders sähe, bliebe festzuhalten, dass schon angesichts der neuen und außergewöhnlichen Sachlage zu Beginn der Pandemie bei einem Arbeitsschutzverstoß, wie er dem Kläger zur Last zu legen ist, jedenfalls eine weitere, dann zweite Abmahnung erforderlich und geboten wäre. Denn in einer solchen Ausnahmesituation muss gerade in einer aufgeregten Betriebsatmosphäre, wie sie hier nach der glaubhaften, weil ohne weiteres nachvollziehbaren Bekundung der Zeugin C. vorgelegen hat, mit Augenmaß gehandelt und bei zunächst unwilligen und den Ernst der Lage noch nicht verinnerlichenden Mitarbeitern mit dem Mittel der Abmahnung nachgesteuert werden. Der unmittelbare Ausspruch einer fristlosen Kündigung erweist sich daher aus Sicht der Kammer als überzogen und unverhältnismäßig. Das gilt auch vor dem Hintergrund einer Gefährdung des Betriebsfriedens, denn auch dieser kann durch klare Kommunikation im Wege der Abmahnung vorgebeugt werden. Wenn alle Mitarbeiter wissen, dass Fehlverhalten in diesem Bereich nicht ungeahndet bleibt, sondern mit der unmittelbaren Warnung vor dem Verlust des Arbeitsplatzes im Wiederholungsfall beantwortet wird, ist dies nicht minder geeignet, den Betriebsfrieden wiederherzustellen als eine Kündigung. Die fehlende Eignung steht erst im Wiederholungsfall selbst fest. Dann kann gekündigt werden. Nichts anderes gilt für die von der Beklagten geschilderte Haftungsgefahr. Die Pflicht zum Schutz der Belegschaft vor Gefahren für Leben und Gesundheit beseitigt nicht das Erfordernis abgewogenen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrenden Handelns bei Pflichtverstößen im Bereich des Arbeitsschutzes.

c. Der Vorwurf des bewusst provokanten Anfassens des Mitarbeiters T. am 23.03.2020 begründet gleichfalls keine außerordentliche, fristlose Kündigung. Insoweit hat bereits das Arbeitsgericht überzeugend ausgeführt, dass objektive Anhaltspunkte (Indizien) dafür, dass das Anfassen des Mitarbeiters T. „bewusst provokant“ erfolgt sei, nicht vorgetragen wurden. Daran hat sich auch in der Berufungsinstanz nichts geändert. Soweit die Beklagte die Provokation daraus herleitet, dass der Kläger noch am Morgen desselben Tages auf den Mindestabstand und die Pflicht, diesen einzuhalten, hingewiesen worden war und ihn dann doch gleichwohl grundlos missachtete und den Kollegen grundlos anfasste, begründet dies zwar den Vorwurf der Sorgfaltswidrigkeit im Umgang mit den neuen Arbeitsschutzregeln, nicht aber den der Provokation. Denn dieser beinhaltet den Vorwurf vorsätzlichen Handelns, also einer Auflehnung gegen die geltenden Regeln in dem Bewusstsein, hiergegen auch verstoßen zu wollen. Dieser Vorsatz ist objektiv im Kontext des Vorfalls nicht belegt und nicht begründet worden. Gegen einen solchen Vorsatz spricht eher, dass die Beklagte nicht behauptet, der Kläger hätte von Herrn T. selbst nach dessen abwehrender Aussage „Lass das“ nicht abgelassen.

Unabhängig davon ist dem Arbeitsgericht aber auch in seiner Einschätzung zuzustimmen, dass der dem Kläger hier vorgeworfene Pflichtverstoß selbst im Falle vorsätzlich provokanten Handelns abmahnfähig gewesen wäre und eine Kündigung mangels einschlägiger vorangegangener Abmahnung hierauf nicht gestützt werden kann. Insoweit folgt die Berufungskammer gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG den Entscheidungsgründen auf Seite 11 des angefochtenen Urteils. Dass eine einschlägige Abmahnung diesbezüglich noch nicht vorlag, hilfsweise jedenfalls nicht ausreichend gewesen wäre, wurde zudem vorstehend unter II.1.b bereits ausgeführt; hierauf wird Bezug genommen. Der Ansatz der Beklagten, mit Äußerungen des Klägers bei Übergabe der später am 23.03.2020 überreichten Abmahnung und seinen Äußerungen am 24.03.2020 die Nutzlosigkeit einer Abmahnung begründen zu wollen, überzeugt nicht. Denn die „Sprüche“ des Klägers mögen das eine sein, seine Taten insoweit sind aber das – entscheidende – andere. Insoweit bleibt die Erkenntnis des Arbeitsgerichts richtig, dass der Kläger vor den ihm hier vorgeworfenen Pflichtverletzungen – seinen Taten – (noch) nicht hinreichend einschlägig abgemahnt war und seine lapidare und verantwortungslose Haltung gerade zunächst über eine entsprechende Abmahnung zu steuern wäre, bevor man allein aus seinen unbedachten Äußerungen auf eine negative Prognose schließen könnte. Das gilt – erneut – im Besonderen in einer aufgeregten Lage wie hier am Anfang der Covid19-Pandemie, auf die Bürger im Allgemeinen ebenso wie Beschäftigte eben unterschiedlich reagieren. Dort bedarf es im Besonderen der ebenso besonnenen wie klaren Steuerung durch den Arbeitgeber und das Steuerungsmittel schlechthin insoweit ist die einschlägige Abmahnung. Eben diese fehlt hier.

d. Auch in der Gesamtschau ändert sich die Beurteilung des Falles nicht entscheidend. Die Argumentation der Beklagten zu einem Dauertatbestand pflichtwidrigen Verhaltens des Klägers ist überzogen und kommt nicht daran vorbei, dass es zunächst der erfolglosen einschlägigen Abmahnung bedürfte, bevor man im Sinne der Beklagten von einem Dauertatbestand eines Fehlverhaltens – gemeint ist damit letztlich ja nichts anderes als eben die Beharrlichkeit zur Begründung einer negativen Zukunftsprognose – sprechen könnte. Letztlich liegt das Problem des Falles darin begründet, dass die Beklagte erst nach Ausspruch ihrer Abmahnung vom 23.03.2020 von anderem Fehlverhalten des Klägers erfahren hat, das dieser Abmahnung jedoch nicht nachfolgte, sondern vorausging. Erst ein nachfolgendes Fehlverhalten vermag aber eine negative Zukunftsprognose zu begründen. Das neu erfahrene Fehlverhalten ist wie aufgezeigt zudem nicht gewichtig genug, als dass allein deshalb bereits die Kündigung auch ohne vorausgegangene einschlägige Abmahnung begründet wäre.

Nachfolgende Äußerungen des Klägers, die Arbeitsschutzregeln nicht ernst nehmen zu können oder zu wollen und alles „eher spaßig zu sehen“, vermögen hier gleichfalls weder einzeln noch in der Gesamtschau eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Denn damit hat der Kläger auch nach dem Vorbringen der Beklagten nicht etwa eine konkrete Androhung eines erneuten Pflichtverstoßes verbunden, dem sie sozusagen präventiv zum Schutz der Belegschaft hätte zuvorkommen müssen. Nach dem Eindruck der Berufungskammer von dem Kläger handelte es sich vielmehr um seinen Weg, sich des auf ihn einwirkenden Drucks mehrerer Personalgespräche zu erwehren. Das rechtfertigt sein Verhalten nicht, nimmt den Äußerungen aber das Gewicht eines eigenständigen Kündigungsgrundes. Es bleibt mithin dabei, dass das Verhalten, welches sich nachgewiesen, zugestanden bzw. zugunsten der Beklagten unterstellt als Pflichtverletzung darstellt, zur Tatzeit noch nicht einschlägig abgemahnt war und aus diesem Grunde eine negative Prognose nicht zu rechtfertigen vermag. Die der einzigen einschlägigen Abmahnung vom 23.03.2020 lediglich noch nachfolgenden Äußerungen wiederum begründen ihrerseits ebenfalls keine zur außerordentlichen Kündigung berechtigende Pflichtverletzung; insoweit kann auf die überzeugenden Ausführungen bereits des Arbeitsgerichts verwiesen werden. Dass der Kläger eine Abmahnung nicht zum Anlass für Verhaltensänderungen nehmen würde, ist seinem bisherigen Verhalten jenseits von Äußerungen und „Sprüchen“, denen aber insoweit keine Taten gefolgt sind, nicht zu entnehmen und daher auch künftig nicht zu erwarten. Denn die Beklagte behauptet selbst nicht, der Kläger hätte nach Erhalt der Abmahnung vom 31.07.2019 erneut unerlaubt während der Dienstzeit sein Handy benutzt. Daraus kann zunächst einmal kein anderer Schluss gezogen werden als der, dass er die konkrete Warnung vor dem Arbeitsplatzverlust in einer Abmahnung durchaus ernst nimmt und beachtet. Das stützt eher eine positive denn die negative Prognose zur Frage der Möglichkeit einer Verhaltenssteuerung.

2. Hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsantrages hingegen ist die Berufung begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Weiterbeschäftigung als Zerspanungsmechaniker. Wenn es sich auch bei dem Begriff „Zerspannungsmechaniker“ statt zutreffend „Zerspanungsmechaniker“ noch um einen bloßen unbeachtlichen Schreibfehler handelt, so besteht doch unstreitig ein Unterschied zwischen der Beschäftigung als Jung-Zerspanungsmechaniker und Zerspanungsmechaniker. Zum einen liegt dieser unstreitig in der Berufserfahrung, mit deren Zunahme mehr und mehr Maschinen zugewiesen und bedient werden (können). Zum anderen liegt er in der unterschiedlichen Vergütung. Der Kläger ist nach seinem Arbeitsvertrag und zudem unstreitig Jung-Zerspanungsmechaniker und hat dementsprechend auch allein einen Anspruch auf Beschäftigung als solcher. Indem er die Beschäftigung als Zerspanungsmechaniker fordert, fordert er ein aliud, also etwas anderes als vertraglich vereinbart. Das steht ihm nicht zu und das Gericht kann es ihm ohne Verstoß gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO auch nicht zusprechen, weshalb das Urteil des Arbeitsgerichts insoweit abzuändern und die Klage teilweise abzuweisen ist.

3.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 525, 92 Abs.1 ZPO und berücksichtigt die Anteile von Unterliegen und Obsiegen der Parteien in beiden Instanzen.

IV.

Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 1 ArbGG. Ein Zulassungsgrund nach § 72 Abs. 2 ArbGG liegt nicht vor, insbesondere betrifft die Entscheidung weder entscheidungsrelevante Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG noch liegt eine Divergenz im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG vor.

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