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COVID-19 – Quarantäne – Nichtanrechnung auf gewährten Urlaub

LAG Baden-Württemberg – Az.: 10 Sa 62/21 – Urteil vom 16.2.2022

Leitsätze

§ 9 BUrlG findet keine analoge Anwendung, wenn ein nicht arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer während seines Urlaubs aufgrund einer Quarantäneanordnung des Gesundheitsamtes nach einem Kontakt mit einer mit COVID-19 infizierten Person die Wohnung nicht verlassen darf. Der Urlaubsanspruch eines solchen Arbeitnehmers wird vielmehr im Umfang des vom Arbeitgeber gewährten Urlaubs erfüllt, und das Urlaubsguthaben des Arbeitnehmers verringert sich um die entsprechenden Tage.

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm – Kammern Ravensburg – vom 9. Juli 2021 – 6 Ca 597/20 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

2. Die Revision wird für den Kläger nur bezogen auf die analoge Anwendung des § 9 BUrlG zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Folgen einer Quarantäneanordnung für bewilligten Urlaub.

COVID-19 - Quarantäne - Nichtanrechnung auf gewährten Urlaub
(Symbolfoto: Tasha Cherkasova/Shutterstock.com)

Der Kläger war im gesamten Kalenderjahr 2020 bei der Beklagten als gewerblicher Arbeitnehmer in der Produktion beschäftigt. Auf seinen Antrag bewilligte die Beklagte am 19. März 2020 für den 17. und 18. September 2020 Urlaub. Die Zahlung des Urlaubsentgeltes sagte sie vorbehaltlos zu.

Nach einem Protokoll des Landratsamtes über das „Anamnese-Gespräch enge Kontaktperson (KP1)“ vom 15. September 2021 (Anlage BK1, Bl. 37 ff. der Berufungsakte) fand an diesem Tag ein Telefonat mit dem Kläger statt und es wurde mündlich Quarantäne angeordnet. Im Rahmen der Gesprächsdokumentation (Anlage BK1, S. 4 des Protokolls, Bl. 40 der Berufungsakte) wurde Folgendes festgehalten:

„Arbeitskollege vom Indexfall. Waren am 14.09.2020 und 15.09.2020 gemeinsam auf Arbeit. Herr F. wurde genau zu seinen Kontakten mit dem Index gefragt. Der Kontakt überschritt kumulativ 15 Minuten, dies wurde auch nochmals mit ärztlicher Rücksprache versichert. (…)“

Dem Telefonat folgte ein Schreiben vom 17. September 2020, in dem das Ordnungsamt für den Kläger bis zum 29. September 2020 häusliche Quarantäne anordnete (Anl. K1, Bl. 5 der erstinstanzlichen Akte). In der Begründung war ausgeführt, der Kläger habe zuletzt am 15. September 2020 Kontakt mit einer Person gehabt, die mit dem Coronavirus infiziert gewesen sei. Es handelte sich hierbei um einen Arbeitskollegen des Klägers.

Die Beklagte zahlte für den 17. und 18. September 2020 das Urlaubsentgelt. Mit Schreiben vom 5. November 2020 (Anl. K2, Bl. 6 der erstinstanzlichen Akte) verlangte der Kläger von der Beklagten, diese Tage nicht auf seinen Urlaubsanspruch anzurechnen, sondern gutzuschreiben. Die Beklagte lehnte dies ab.

Der Kläger hat vorgetragen, ihm stehe gemäß § 9 BUrlG ein Anspruch auf Gutschrift der Urlaubstage zu. Der Urlaub diene der Erholung. Dieser Zweck habe während einer Quarantäne nicht eintreten können. Er bewohne mit seiner Freundin eine 90 m² große Wohnung. Sie verfüge über zwei Stockwerke, nicht aber über einen Balkon. Der Kläger habe seine Wohnung nicht verlassen und auch keinen Besuch empfangen können. Typische, der Erholung dienende Urlaubsaktivitäten seien nicht möglich gewesen. Den geplanten Ausflug in den Europapark habe er nicht unternehmen können. Selbst alltägliche Tätigkeiten wie z.B. einkaufen sei ihm nicht möglich gewesen. Die Quarantäne sei deshalb mit einer Arbeitsunfähigkeit vergleichbar, führe in vielen Fällen sogar zu noch größeren Einschränkungen. Auch die amtliche Begründung zu § 48 des Regierungsentwurfs des Bundes-Seuchengesetzes habe angeführt, dass Ausscheider, Ausscheidungsverdächtige und Ansteckungsverdächtige vom Schicksal in ähnlicher Weise betroffen seien wie Kranke. Soweit das Bundesarbeitsgericht bei einer Schwangerschaft die analoge Anwendung des § 9 BUrlG abgelehnt habe, seien die Sachverhalte nicht vergleichbar. Zu berücksichtigen sei auch, dass es nach § 3 ArbSchG dem Arbeitgeber obliege, dem Arbeitnehmer ein sicheres Umfeld zu schaffen. Dennoch sei während der Arbeitszeit der relevante Kontakt mit einer infizierten Person möglich gewesen. Es scheine daher Schwächen im Hygienekonzept der Beklagten zu geben. Das urlaubsstörende Ereignis stamme somit aus der Sphäre der Arbeitgeberin. Es sei ungerechtfertigt, dem Kläger das daraus resultierende Risiko alleine aufzubürden.

Der Kläger hat zuletzt beantragt: Die Beklagte wird verurteilt, dem Urlaubskonto des Klägers zwei Urlaubstage gutzuschreiben.

Die Beklagte hat beantragt: Die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie vorgetragen, der Urlaubsanspruch des Klägers sei im Umfang von zwei Tagen durch die bezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung erfüllt worden und somit erloschen. Die Anordnung von Quarantäne stehe der Erfüllung des Urlaubszwecks nicht entgegen. § 9 BUrlG sei eine nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahmevorschrift. Deren entsprechende Anwendung auf andere als die geregelten urlaubsstörenden Ereignisse komme nicht in Betracht. Auch während einer Quarantäne könne sich ein Arbeitnehmer erholen. Sport sei in der eigenen Wohnung möglich, Besuche könnten virtuell durchgeführt werden. Einen geplanten Besuch im Europapark bestreite sie. Quarantäne stehe daher der Arbeitsunfähigkeit i.S.d. § 9 BUrlG nicht gleich. Sei ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig, könne er nicht erneut zur Urlaubserteilung freigestellt werden. Diese Unmöglichkeit liege bei der Quarantäne nicht generell vor, denn Arbeitsleistung sei trotz Quarantäne z.B. bei Telearbeit oder mobiler Arbeit möglich. Es sei auch unerheblich, dass der Kontakt mit dem infizierten Kollegen am Arbeitsplatz stattgefunden habe. Die Erbringung der Arbeitsleistung am Arbeitsplatz liege genauso im Interesse des Klägers wie in demjenigen der Beklagten. Die Begründung im Regierungsentwurf zum Bundes-Seuchengesetz habe den Verdienstausfall im Blick gehabt. Nur im Rahmen dieser wirtschaftlichen Überlegungen sei ein Vergleich zur Krankheit gezogen worden. Es lägen auch keine Schwächen im Hygienekonzept der Beklagten vor. Sollte der Kläger den darin vorgesehenen Mindestabstand oder sonstige Vorgaben wie die Maskenpflicht nicht eingehalten haben, läge eine Pflichtverletzung des Klägers, nicht aber der Beklagten vor. Das Arbeitsschutzgesetz regle nicht nur Pflichten des Arbeitgebers, sondern in § 15 ArbSchG auch Pflichten der Beschäftigten, für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Sorge zu tragen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 9. Juli 2021 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Freistellungserklärung des Arbeitgebers könne das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zwar nur bewirken, soweit für den Freistellungszeitraum eine Arbeitspflicht des Arbeitnehmers bestehe. Befinde sich ein Arbeitnehmer jedoch in häuslicher Quarantäne und scheide die Arbeitsleistung im Homeoffice aus, werde er von seiner Arbeitspflicht frei, da sie ihm nach § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG bzw. § 31 IfSG rechtlich unmöglich sei. Ein Anspruch auf Gutschrift von Urlaubstagen stünde dem Kläger dennoch nicht zu, da der Urlaubsanspruch in diesem Fall wegen Unmöglichkeit erloschen wäre. Die Beklagte habe als Schuldnerin des Freistellungsanspruchs das zur Leistung Erforderliche getan, indem sie den Urlaubszeitraum im März 2020 festgelegt und das Urlaubsentgelt entweder vor Antritt des Urlaubs gezahlt oder dessen Zahlung vorbehaltlos zugesagt habe. Die nachträglich eintretende Unmöglichkeit befreie sie von der Freistellungsverpflichtung. Die Beklagte sei nicht zur Neufestsetzung des Urlaubs verpflichtet. § 9 BUrlG fände direkt keine Anwendung. Erfasst sei nur die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, nicht die behördlich angeordnete Quarantäne, wenn der Arbeitnehmer nicht zugleich arbeitsunfähig erkrankt sei. Eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG scheide aus. Eine planwidrige Regelungslücke liege nicht vor. Urlaubsstörende Ereignisse fielen als Teil des persönlichen Lebensschicksals in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers. Die allgemeine Gefahrtragungsvorschrift des § 275 BGB komme nur dann nicht in Betracht, wenn der Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien besondere urlaubsrechtliche Normen wie § 9 BUrlG formuliert hätten. Das Bundesurlaubsgesetz sei zudem zeitlich nach dem Bundes-Seuchengesetz erlassen worden. Gleichwohl enthalte es keine ausdrücklichen Regelungen für die Zeiten behördlich angeordneter Quarantäne in Bezug auf gewährten Urlaub. Selbst im Zuge der „Corona-Gesetzgebung“ habe der Gesetzgeber keine Regelung erlassen, die § 24 Satz 2 MuSchG n.F. oder § 3 Abs. 1 Satz 1 THW-Gesetz entspreche. Es fehle zudem an der vergleichbaren Interessenlage. Zwar stelle die behördlich angeordnete Quarantäne ein erheblich urlaubstörendes Ereignis dar. Während § 9 BUrlG das Problem löse, dass der Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht, von der er bereits durch seine Arbeitsunfähigkeit befreit sei, nicht noch einmal suspendiert werden könne, führe die behördlich angeordnete Quarantäne nur zur Absonderung. Diese sei nicht vergleichbar mit der Arbeitsunfähigkeit. Nicht jede Absonderung führe dazu, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht objektiv nicht mehr erbringen könne, wie die Vielzahl der im Homeoffice tätigen Arbeitnehmer zeige. Dem Kläger stehe auch kein Anspruch auf Schadenersatz zu. Offenbleiben könne, ob er sich überhaupt auf einen solchen Anspruch berufen habe. Hätte die Beklagte die Unmöglichkeit der Freistellung zu vertreten, hätte sie zwar Schadenersatz zu gewähren. Es fehle aber an einer zu vertretenden Pflichtverletzung der Beklagten. Aufgrund welcher Tatsachen die Anordnung der Quarantäne gegenüber dem Kläger getroffen worden sei, stehe außerhalb des Wahrnehmungsbereichs der Beklagten. Der Kläger habe deshalb im Rahmen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast hierzu konkret vortragen müssen. Erst dann habe die Beklagte darlegen und gegebenenfalls beweisen müssen, dass die Unmöglichkeit nicht durch ein von ihr zu vertretendes Verhalten herbeigeführt worden sei. Allein der Kontakt während der Arbeitszeit löse die Darlegungs- und Beweislast der Beklagten nicht aus.

Gegen das dem Kläger am 22. Juli 2021 zugestellte Urteil hat er am 17. August 2021 Berufung eingelegt und diese am 22. September 2021 begründet.

Der Kläger trägt er vor, die Beklagte schulde ihm Schadenersatz, weil trotz des Hygienekonzeptes ein Kontakt von mehr als 15 Minuten mit einem infizierten Arbeitskollegen möglich gewesen sei. Es sei deshalb davon auszugehen, dass das Hygienekonzept Mängel aufweise und der Beklagten zumindest Fahrlässigkeit vorgeworfen werden könne. Während einer weltweiten Epidemie sei eine Selbstisolation bei der Arbeit nicht möglich. Ein Arbeitnehmer müsse sich auf die Vorkehrungen und Vorsichtsmaßnahmen des Arbeitgebers verlassen können. Jede andere Wertung benachteilige den Arbeitnehmer unangemessen. Er ist auch weiterhin der Auffassung, § 9 BUrlG sei analog anzuwenden. Nach der Rechtsprechung verhindere zwar nicht jede kleine Belastung aus der Sphäre des Arbeitnehmers den Urlaubszweck, sie verhalte sich aber nicht zu dem Umstand, dass bei der Quarantäne die selbstbestimmte Erholung aufgehoben sei. Während einer Schwangerschaft könnten die meisten Aktivitäten noch durchgeführt werden. Das gleiche gelte auch bei Einsätzen für das THW. Nach Auffassung des Gerichtshofs der Europäischen Union bestehe der Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub darin, dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen. Davon weiche nicht nur der Krankheitsurlaub ab, sondern auch die Quarantäne. Dass der Gesetzgeber bislang auf die Quarantäne nicht reagiert habe, liege vermutlich daran, dass diese bisher nur vereinzelt vorgekommen sei. Aus dem Bundes-Seuchengesetz könne kein Argument hergeleitet werden. Auch dass § 28a IfSG Spezialregelungen zur Quarantäne nicht enthalte, sei unergiebig, da nur besondere Schutzmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie eingeführt worden seien. Zudem sei davon auszugehen, dass Quarantäne und Urlaub noch kein großes Problem dargestellt hätten. Auch die Argumentation des Arbeitsgerichts zur fehlenden Vergleichbarkeit der Interessenlage gehe fehl. Die steigenden Zahlen von Arbeitnehmern im Homeoffice änderten nichts an der typischen Vergleichbarkeit. Arbeit im Homeoffice bleibe eine Randerscheinung.

Der Kläger beantragt: Das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm – Kammern Ravensburg – vom 9. Juli 2021 – 6 Ca 597/20 – wird abgeändert und die Berufungsbeklagte verurteilt, dem Urlaubskonto des Klägers zwei Urlaubstage gutzuschreiben.

Die Beklagte beantragt: Die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise zurückzuweisen.

Zur Begründung führt sie an, die Berufungsbegründung entspreche nicht den gesetzlichen Anforderungen. Sie setzte sich nicht im Detail mit der ausführlichen Begründung des Arbeitsgerichts auseinander. Die Berufung sei aber auch unbegründet. § 9 BUrlG könne nicht analog angewendet werden. Der Gesetzgeber habe in Kenntnis der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass urlaubsstörender Ereignisse grundsätzlich dem Risikobereich des Arbeitnehmers zuzuweisen seien, ein umfassendes Benachteiligungsverbot nicht vorgesehen. Es gebe auch keine Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber den Konfliktfall übersehen habe. Die Anordnung der Absonderung in Quarantäne stelle einen Umstand aus der Sphäre des Arbeitnehmers dar, unabhängig von der konkreten Ursache der Anordnung. Zudem habe das Bundesarbeitsgericht bei versicherungsrechtlichen Handlungsobliegenheiten eines Arbeitnehmers gegenüber der Agentur für Arbeit nach einer Kündigung gar nicht darauf abgestellt, aus wessen Sphäre der Beendigungsgrund stamme. Das Unionsrecht habe den besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer durch die Gewährleistung von Mindestruhezeiten und Ruhepausen im Blick, nicht aber einen Anspruch auf „selbstbestimmte Erholung“. Für das Erlöschen des unionsrechtlich determinierten Urlaubsanspruches genüge es daher, dass keine belastende Inanspruchnahme durch den Arbeitgeber drohe. Der Begriff der Freizeit sei also zu interpretieren als „Zeit ohne Arbeitspflicht“. Das Arbeitsgericht habe auch zutreffend festgestellt, dass es an der vergleichbaren Interessenlage fehle. Aus einer Quarantäne-Anordnung ergebe sich gerade nicht, dass die geschuldete Leistung nicht mehr erbracht werden könne, wie Mitarbeiter belegten, die ihre Arbeitsleistung mobil erbringen könnten. Auch ein Schadensersatzanspruch stehe dem Kläger nicht zu. Nach wie vor trage der Kläger konkrete Umstände, die auf ein verschuldetes Fehlverhalten der Beklagten hindeuten könnten, nicht vor. Selbst die Einführung eines gesetzeskonformen Hygienekonzeptes durch einen Arbeitgeber sowie die Umsetzung des Konzeptes durch die Arbeitnehmer schließe die Anordnung einer Absonderung in Quarantäne nicht aus. Eine gesetzliche Regelung, die jeglichen wie auch immer gearteten Kontakt untersage und ein entsprechendes Hygienekonzept vorschreibe, existiere nicht. Die Behauptung des Klägers, er habe mit einem Arbeitskollegen über 15 Minuten Kontakt gehabt, sei nicht erwiderungsfähig und rechtfertige nicht die Annahme eines verschuldeten Fehlverhaltens der Beklagten. Details zu dem vermeintlichen Kontakt, der vorsorglich mit Nichtwissen bestritten werde, trage der Kläger nicht vor. Welchen Mangel das Hygienekonzept aufweise, habe der Kläger nicht dargelegt. Genauso gut sei es möglich, dass der Kläger die Vorgaben des Hygienekonzeptes nicht eingehalten habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze in erster und zweiter Instanz nebst Anlagen sowie auf die Niederschriften über die mündlichen Verhandlungen in erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 Buchstabe a) ArbGG statthaft und frist- und formgemäß eingelegt worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO).

B.

Die Berufung ist, soweit sie sich auf die analoge Anwendung des § 9 BUrlG stützt, auch im Übrigen zulässig, jedoch unbegründet.

I.

Die Berufung ist bezogen auf diesen Streitgegenstand nicht nur statthaft, sondern enthält auch eine ausreichende Auseinandersetzung mit dem Urteil des Arbeitsgerichts.

1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Deshalb hat der Berufungskläger die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchem Grund er das angefochtene Urteil für unrichtig hält (st. Rspr., vgl. nur BAG 10. Dezember 2019 – 3 AZR 122/18 – Rn. 27 m.w.N.). Die Berufungsbegründung muss auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will (BAG 8. Mai 2008 – 6 AZR 517/07- Rn. 30).

2. Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung. Der Kläger hat sich mit den Erwägungen des Arbeitsgerichts zur planwidrigen Lücke sowie zur vergleichbaren Interessenlage auseinandergesetzt und dargestellt, weshalb die vom Arbeitsgericht angezogenen Entscheidungen aus der Rechtsprechung sowie die gesetzgeberische (Un-)Tätigkeit seiner Auffassung nach nicht maßgeblich sind. Er hat damit nicht nur auf sein Vorbringen in erster Instanz verwiesen. Dass er in seinem Berufungsvorbringen an seiner bereits in erster Instanz geäußerten Rechtsansicht festgehalten und insofern Argumente aus der ersten Instanz wiederholt hat, ist Bestandteil seiner Auseinandersetzung mit dem Urteil des Arbeitsgerichts gewesen. Sinn der Berufung ist es gerade, dem Berufungskläger die Überprüfung der Rechtsansicht der ersten Instanz zu ermöglichen (BGH 7. Juni 2018 – I ZB 57/17 – Rn. 10).

II.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die Klage ist zwar zulässig, jedoch folgt ein Anspruch des Klägers auf Gutschrift von zwei Urlaubstagen nicht aus § 9 BUrlG analog. Es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke sowie einer vergleichbaren Interessenlage. Das hat das Arbeitsgericht mit zutreffender Begründung festgestellt.

1. Die Klage ist insgesamt zulässig.

a) Der Kläger hat den Klageantrag jedenfalls im Berufungsverfahren aus mehreren prozessualen Ansprüchen (Streitgegenstände) hergeleitet. Geht es um die Anwendung verschiedener Normen auf verschiedene Sachverhalte – Quarantäneanordnung als der Arbeitsunfähigkeit i.S.d. § 9 BUrlG vergleichbarer Umstand einerseits, Vertretenmüssen der Quarantäneanordnung i.S.d. § 280 Abs. 1 BGB durch die Beklagte andererseits -, die beide für sich betrachtet zu demselben Anspruch zu führen vermögen, so liegen verschiedene Streitgegenstände vor. Der Kläger hat dem Berufungsgericht auf Nachfrage in der mündlichen Berufungsverhandlung vorgegeben, in welcher Reihenfolge er sie zur Überprüfung stellt. Danach soll zunächst der Anspruch auf Gutschrift aus der analogen Anwendung des § 9 BUrlG geprüft werden, nur hilfsweise der Streitgegenstand einer zum Schadenersatz führenden Pflichtverletzung der Beklagten. Damit hat der Kläger die beiden Streitgegenstände in ein hinreichend bestimmtes Eventualverhältnis gesetzt, die den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügt (vgl. nur BAG 2. August 2018 – 6 AZR 437/17 – Rn. 18; 2. August 2017 – 6 AZR 437/17 – Rn. 17 ff.).

b) Die Klage ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist der Antrag auf Gutschrift ausreichend bestimmt i.S.d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Beklagte führt ein Urlaubskonto (vgl. dazu auch BAG 21. Juli 2021 – 6 AZR 460/20 – Rn. 32 ff.).

2. Die Klage ist aber unbegründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Gutschrift aus § 9 BUrlG analog nicht zu.

a) Der unmittelbare Anwendungsbereich des § 9 BUrlG ist nicht eröffnet. Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit stimmt mit dem des § 3 EFZG überein (ErfK/Galllner 22. Aufl. § 9 BUrlG Rn. 4; Arnold/Tillmanns/Rambach BUrlG 4. Aufl. § 9 Rn. 3). Nach seinem eigenen Vortrag war der Kläger nicht arbeitsunfähig erkrankt, ein nach § 9 BUrlG erforderliches ärztliches Zeugnis hat er nicht vorgelegt (vgl. dazu LAG Düsseldorf 15. Oktober 2021 – 7 Sa 857/21 – Rn. 28 ff., zitiert nach juris). Folgerichtig stützt er seinen Anspruch auch nicht auf die unmittelbare Anwendbarkeit des § 9 BUrlG.

b) Eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG kommt für den vorliegenden Sachverhalt nicht in Betracht. Die Beklagte hat vielmehr alles zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs getan, die angeordnete Quarantäne während des Urlaubs fällt in den Risikobereich des Klägers.

aa) Die Beklagte hat dem Kläger am 19. März 2020 wirksam für den 17. und 18. September 2020 Urlaub erteilt. Sie hat insbesondere auch die Zahlung von Urlaubsentgelt vorbehaltlos zugesagt. Mit der Festlegung des Urlaubszeitraums und der vorbehaltlosen Zusage des Urlaubsentgelts hat die Beklagte als Schuldnerin das nach § 7 Abs. 1 BUrlG erforderliche getan (§ 243 Abs. 2 BGB). Die Beklagte als Arbeitgeberin trifft zwar bei einem richtlinienkonformen Verständnis von § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub selbst hat aber ausschließlich die Freistellung von der Arbeitspflicht und die Zahlung des Urlaubsentgelts zum Gegenstand. Hierauf ist die Erfüllungshandlung der Beklagten bezogen. Einen darüberhinausgehenden „Urlaubserfolg“ schuldet sie dem Kläger nicht (BAG 25. August 2020 – 9 AZR 612/19 – Rn. 28 m.w.N.).

bb) Alle nach Festlegung des Urlaubszeitraums und vorbehaltloser Zusage des Urlaubsentgelts eintretenden urlaubsstörenden Ereignisse fallen entsprechend § 275 Abs. 1 BGB als Teil des persönlichen Lebensschicksals grundsätzlich in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers. Nur soweit der Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien – wie in §§ 9, 10 BUrlG – besondere Regelungen zur Nichtanrechnung von Urlaub treffen, findet eine Umverteilung des Risikos zugunsten des Arbeitnehmers statt. Die Bestimmungen der §§ 9, 10 BUrlG sind nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahmevorschriften. Ihre entsprechende Anwendung auf andere urlaubsstörende Ereignisse oder Tatbestände, aus denen sich eine Beseitigung der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ergibt, kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Somit trägt regelmäßig der Arbeitnehmer das Risiko, dass sich der Urlaubszweck nach der Urlaubsgewährung durch den Arbeitgeber nicht (vollständig) realisiert. Dieses Risiko wird regelmäßig durch innere und äußere Umstände beeinflusst, die dem persönlichen Lebensbereich des Arbeitnehmers zuzuordnen sind (BAG 25. August 2020 – 9 AZR 612/19 – Rn. 29 m.w.N.; ebenso LAG Düsseldorf für den Fall der Anordnung der Quarantäne 15. Oktober 2021 – 7 Sa 857/21 – Rn. 38, zitiert nach juris).

cc) Die Voraussetzungen einer analogen Anwendbarkeit des § 9 BUrlG liegen nicht vor (zur fehlenden Analogiefähigkeit vgl. BAG 9. August 1994 – 9 AZR 384/92 – zu 2. c) der Gründe, Rn. 33 ff. juris zum Beschäftigungsverbot bei Schwangeren). Es fehlt bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Das hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Das Berufungsgericht folgt den Gründen unter 2. c) aa) bis bb) der angefochtenen Entscheidung (S. 8 bis 11 des Urteils) und sieht gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG zur Vermeidung von Wiederholungen von der Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Das zweitinstanzliche Vorbringen des Klägers rechtfertigt keine anderweitige Beurteilung der Rechtslage. Es bringt im Kern weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht Neues vor. Die vom Kläger vertretene Rechtsansicht überzeugt auch das Berufungsgericht nicht. Das Vorbringen erfordert deshalb keine erneute systematische Darstellung, sondern veranlasst nur folgende ergänzende Erwägungen.

(1) Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es nicht darauf an, wie sehr sich urlaubsstörende Ereignisse oder Tatbestände auf die Qualität der durch den Urlaub gewährten Freistellung auswirken. Denn der Gesetzgeber hat nur die Arbeitsunfähigkeit als bedeutsamen Umstand angesehen, der einen Anspruch auf Nachgewährung von Urlaub begründet. Bereits im Jahr der Verkündung des Bundesurlaubsgesetzes waren zahlreiche urlaubsstörende Ereignisse, auch neben denjenigen aus dem Bundes-Seuchengesetz, denkbar. Dennoch hat sich der Gesetzgeber auf eine Regelung für den Fall von Arbeitsunfähigkeit beschränkt. Auch nach Auffassung des Gerichtshofs der Europäischen Union stehen „urlaubsschädliche“ Bedürfnisse und Verpflichtungen wie Krankenhausaufenthalt, chirurgische Operation oder der Tod eines nahen Angehörigen der Erfüllung des Urlaubsanspruchs nicht entgegen (4. Juni 2020 – C-588/18 – [Fetico u.a.] Rn. 31, 35 ff. Rn. 42). Hierauf hat das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 25. August 2020 – 9 AZR 612/U 19 – Rn. 32 Bezug genommen. Für die Berufungskammer steht fest, dass die Einschränkung, die durch die Anordnung einer Quarantäne einhergeht, wesentlich weniger einschneidend ist als ein Krankenhausaufenthalt oder der Tod eines nahen Angehörigen, und deshalb auf die Erfüllung des Urlaubsanspruchs keinen Einfluss hat. Auf die vom Kläger aufgeworfene Frage, welchen Freizeitaktivitäten Schwangere oder Personen, die für das Technische Hilfswerk eingesetzt werden, nachgehen können, kommt es daher nicht an.

(2) Unerheblich ist auch, ob die Quarantäne wegen des Kontaktes des Klägers mit einem infizierten Kollegen am Arbeitsplatz erfolgt ist. Die Anordnung der Quarantäne stört nicht deshalb den Urlaub, weil der maßgebliche Kontakt am Arbeitsplatz stattgefunden hat. Die Frage, ob ein Urlaubsanspruch erfüllt worden ist oder nicht, ist nicht von einem Verschulden abhängig. Nur dann wäre es entscheidungserheblich, wer die urlaubsstörenden Umstände verursacht hat. Deshalb ist es grundsätzlich unerheblich, aus wessen Sphäre die urlaubstörenden Umstände stammen. Die Quarantäne stört den Urlaub des Klägers unabhängig davon, ob sie wegen eines Kontaktes mit einer infizierten Person im Betrieb oder im privaten Umfeld angeordnet worden ist.

(3) Zugunsten des Klägers kann davon ausgegangen werden, dass die fehlende gesetzgeberische Initiative im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie nicht von entscheidungserheblicher Bedeutung ist. Es braucht deshalb nicht entschieden zu werden, ob der urlaubsrechtlichen Untätigkeit des Gesetzgebers während der COVID-19-Pandemie der Wille zugrunde gelegen hat, keine weitere Ausnahmevorschrift wie § 9 BUrlG, § 24 Satz 2 MuSchG, § 3 Abs. 1 THW-Gesetz zu erlassen, oder ob die Problematik zwar gesehen worden, aber bewusst ungeregelt geblieben ist, um sie der Rechtsprechung zu überantworten (so Eufinger ARbR-Aktuell 2021, 622, 623). Selbst wenn letzteres der Fall wäre, ist die an die Rechtsprechung und damit das Berufungsgericht delegierte Frage angesichts der klaren Systematik des Bundesurlaubsgesetzes dahin zu beantworten, dass es einer Ausnahmeregelung bedarf, wenn urlaubsstörende Ereignisse nicht zur endgültigen Erfüllung von Urlaubsansprüchen führen sollen. Solange eine dem § 9 BUrlG, § 24 Satz 2 MuSchG n.F. oder § 3 Abs. 1 THW-Gesetz vergleichbare Regelung nicht besteht, fällt die Anordnung der Quarantäne in den Risikobereich des Klägers und steht der Erfüllung seiner Urlaubsansprüche nicht entgegen.

(4) Unerheblich ist, dass § 17 Satz 2 MuSchG a.F. (§ 24 Satz 2 MuSchG n.F.) und § 3 Abs. 1 Satz 1 THW-Gesetz nicht in das Bundesurlaubsgesetz aufgenommen worden sind. Das Arbeitsgericht hat zwar darauf abgestellt, dass das Bundesurlaubsgesetz zeitlich nach dem Bundes-Seuchengesetz erlassen worden ist, dennoch aber keine ausdrücklichen Regelungen für die Zeiten behördlich angeordneter Quarantäne in Bezug auf gewährten Urlaub enthält. Das Arbeitsgericht hat damit aber nicht zum Ausdruck gebracht, dass sämtliche Ausnahmeregelungen im Bundesurlaubsgesetz geregelt sein müssten. Vielmehr hat es auf die Kenntnis des Gesetzgebers von anderen urlaubsstörenden Umständen abgestellt. Er hat bei Erlass des Bundesurlaubsgesetzes gewusst, dass Menschen nicht nur bei Arbeitsunfähigkeit, sondern auch als Ausscheider, Ausscheidungsverdächtige oder Ansteckungsverdächtige gemäß den Regeln des Bundes-Seuchengesetzes von einem Verbot in der Ausübung der bisherigen Erwerbstätigkeit belegt sein können. Dennoch hat er es nicht für angezeigt angesehen, Regelungen zu ihren Gunsten vergleichbar § 9 BUrlG zu erlassen.

(5) Auch die amtliche Begründung zu § 48 des Regierungsentwurfs eines Bundes-Seuchengesetzes (BT-Drs. III/1888 v. 27. Mai 1960 S. 27), auf die der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren hingewiesen hat, führt zu keiner anderen Bewertung der Rechtslage. Soweit darin ausgeführt wird, Ausscheider, Ausscheidungsverdächtigte und Ansteckungsverdächtige seien vom Schicksal in ähnlicher Weise betroffen wie Kranke, hat der Vergleich mit kranken Personen allein zur Rechtfertigung einer Entschädigung für einen Vergütungsausfall gedient. Mit der Gewährung von Urlaub ist dies nicht vergleichbar. Dass Arbeitsunfähigkeit i.S.d. § 9 BUrlG und Quarantäne-Anordnung daher vergleichbare Folgen nach sich ziehen sollen, nämlich die Nichtanrechnung von Urlaubstagen, lässt sich aus dem Bundes-Seuchengesetz gerade nicht herleiten.

(6) Soweit sich der Kläger schließlich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH 30. November 1978 – III ZR 43/77 – zu I. 3. c der Gründe) berufen hat, steht dieser Entscheidung die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entgegen. Zwar hat es auch das Bundesarbeitsgericht in seiner älteren Rechtsprechung als angemessen angesehen, neben der Krankheit auch in sonstigen Fällen urlaubsstörender Ereignisse dem Arbeitgeber die Verpflichtung zur Gewährung von Nachurlaub aufzuerlegen, wenn in diesen Fällen der Lohn für den Arbeitsausfall kraft Gesetzes unabdingbar weiterzuzahlen ist (BAG 1. August 1963 – 5 AZR 59/63 – und – 5 AZR 74/63 -). An dieser Auffassung hat es aber später nicht wieder angeknüpft (vgl. BAG Urteil vom 11. Januar 1966 – 5 AZR 383/65 -; bestätigt Im Urteil vom 9. August 1994 – 9 AZR 384/92 – zu 2. c der Gründe, Rn. 33 zitiert nach juris). Das Berufungsgericht folgt der jüngeren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.

dd) Es liegt auch keine vergleichbare Interessenlage vor.

(1) Die Frage, ob eine „vergleichbare Interessenlage“ zwischen der Anordnung einer Quarantäne einerseits und der Arbeitsunfähigkeit andererseits vorliegt, ist schon deshalb zu verneinen, weil eine „typische“ Vergleichbarkeit nicht festzustellen ist (vgl. dazu auch ausführlich LAG Düsseldorf 15. Oktober 2021 – 7 Sa 857/21 – Rn. 41 ff., zitiert nach juris). Die vom Bundesarbeitsgericht angestellten Erwägungen, weshalb § 9 BUrlG nicht analog bei mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverboten anzuwenden ist (BAG 9. August 1994 – 9 AZR 384/92 – zu 2. c) der Gründe, Rn. 33 ff. juris), treffen auch im vorliegenden Fall zu. Danach käme eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG nur dann in Betracht, wenn typischerweise bei Quarantäne-Anordnung eine mit der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vergleichbare Beeinträchtigung vorläge. Das trifft jedoch nicht zu. Die Parteien haben anschaulich ausgeführt, was alles während einer Quarantäne noch möglich, aber auch nicht möglich ist: Jede Aktivität draußen ist nicht möglich, drinnen kann sich die betroffene Person aber frei bewegen. Auch bei der Arbeitsunfähigkeit kann es zwar auf die Schwere der Symptome ankommen, die die Beeinträchtigung des Bewegungsradius bestimmen. Möglicherweise soll die arbeitsunfähige Person sogar das Haus verlassen und andere Menschen treffen, was insbesondere bei psychischen Erkrankungen der Fall sein kann. All diese Unwägbarkeiten, wie störend sich eine Arbeitsunfähigkeit auf den Urlaub auswirkt, sind in § 9 BUrlG einer Lösung zugeführt worden. Diese Unwägbarkeiten stellen sich aber gerade wieder, wenn es um das Ausmaß der Störung des Urlaubs bei Anordnung einer Quarantäne geht. Letztlich käme es auch hier immer auf eine Einzelfallprüfung an, ob die durch die Quarantäne-Anordnung verursachten Beschränkungen die betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen hindern, ihren Erholungsurlaub selbstbestimmt zu gestalten. Wohnten sie in großzügigen Wohnverhältnissen und wollten sie nicht verreisen, sondern nur Zuhause verweilen, wäre keine Einschränkung zu sehen. Ginge es nur um einen Tag, kann anderes gelten, wie wenn der Jahresurlaub im Sommer anstünde. Für eine analoge Gesetzesanwendung muss jedoch die typische Vergleichbarkeit und nicht der im Einzelfall festzustellende Grad der Beeinträchtigung ausschlaggebend sein.

(2) Analoge Gesetzesanwendung erfordert zudem, dass der gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangt wie die gesetzessprachlich erfassten Fälle (BAG 21. Februar 2013 – 2 AZR 433/12 – Rn. 20). Die Anordnung der Quarantäne erfordert jedoch nicht, dass stets ein Anspruch auf Nachgewährung von Urlaub, wie in § 9 BUrlG geregelt, gewährt wird. Auch der Kläger kann nicht begründen, weshalb ein solcher Anspruch auch dann bestehen sollte, wenn die Quarantäne aufgrund von Umständen angeordnet worden ist, die außerhalb des Betriebes aufgetreten sind.

Dem Schutzbedürfnis von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen beim Eintreten urlaubsstörender Umstände kann dennoch, allerdings auf andere Weise Rechnung getragen werden. So sieht das THW-Gesetz gerade nicht wie § 9 BUrlG den Anspruch auf Nachgewährung vor. Der Anspruch auf Nachgewährung wird vielmehr als Schadenersatz geschuldet, weil ansonsten gegen den Grundsatz aus § 3 Abs. 1 Satz 1 THW-Gesetz verstoßen würde, dass Arbeitnehmern aus ihrer Verpflichtung zum Dienst im Technischen Hilfswerk und aus diesem Dienst keine Nachteile im Arbeitsverhältnis erwachsen dürfen (BAG 10. Mai 2005 – 9 AZR 251/04 – Rn. 29 ff.) Eine solche Regelung gibt die Möglichkeit, dem Verhalten der Parteien Rechnung zu tragen und im Rahmen der Prüfung von Pflichtverletzung und Verschulden eine dem Einzelfall gerecht werdende Lösung zu finden. Das Berufungsgericht spielte sich als Ersatzgesetzgeber auf, wenn es diese Möglichkeit außer Betracht ließe und § 9 BUrlG als einzige normative Regelung zur Lösung des urlaubsstörenden Ereignisses der Anordnung der Quarantäne ansähe.

C.

Da der Kläger mit dem Streitgegenstand der analogen Anwendung des § 9 BUrlG unterlegen ist, ist der für diesen Fall zur Entscheidung gestellte Streitgegenstand der Verpflichtung zum Schadenersatz im Berufungsverfahren zur Entscheidung angefallen. Insofern ist die Berufung bereits unzulässig, aber auch unbegründet.

I.

Die Berufungsbegründung hat sich mit den Erwägungen des Arbeitsgerichts im Urteil zum Streitgegenstand des Schadenersatzes nicht ausreichend auseinandergesetzt.

1. Das Arbeitsgericht hat nicht nur über den Streitgegenstand der Verpflichtung der Beklagten zur Gutschrift von zwei Urlaubstagen aus der analogen Anwendung des § 9 BUrlG entschieden, sondern auch über den davon zu trennenden Schadenersatzanspruch. Das Arbeitsgericht hat zwar auf Seite 13 des Urteils unter 2. d) ausgeführt, es könne offenbleiben, ob der Kläger sich überhaupt auf einen solchen Anspruch berufe. Es hat aber zuvor eindeutig einen solchen Anspruch verneint.

2. Es kann jedenfalls im Berufungsverfahren dahinstehen, ob aus dem Sachvortrag des Klägers in erster Instanz zu erkennen gewesen ist, dass er die Gutschrift auch auf den Streitgegenstand des Schadenersatzes gestützt hat. Wäre das nicht der Fall gewesen, läge ein Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO vor, weil das Arbeitsgericht dem Kläger einen Anspruch aberkannt hätte, den er nicht zur Entscheidung gestellt hätte (st. Rspr., vgl. nur BAG 22. Januar 2019 – 3 AZR 9/18 – Rn. 34 f.). Allerdings hat sich der Kläger den Anspruch auf Schadenersatz in der Berufung zu eigen gemacht und damit einen etwaigen Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO genehmigt (BAG 15. Mai 2018 – 1 ABR 75/16 – Rn. 13).

3. Der Berufung fehlt es aber an der ausreichenden Auseinandersetzung (zu den Erfordernissen vgl. vorstehend B. I. 1. der Gründe) mit der klageabweisenden Begründung unter 2. d) der Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils auf Seite 13 f.

Das Arbeitsgericht hat seine abweichende Entscheidung damit begründet, dass die Beklagte nicht alleine deshalb verpflichtet sei, im Einzelnen ihre Schutzmaßnahmen darzulegen, weil der Kontakt zu einer infizierten Person während der Arbeitszeit erfolgt sei. Vielmehr hätte zunächst der Kläger im Einzelnen darlegen müssen, wann und in welchem Zusammenhang es überhaupt zum Kontakt mit dem infizierten Arbeitskollegen gekommen sei, weil die Tatsachenbasis, aufgrund derer die Quarantäne angeordnet worden sei, sich außerhalb des Wahrnehmungsbereichs der Beklagten befinde. Weder hat sich der Kläger mit der Verteilung der Darlegungslast auseinandergesetzt noch hat er Vortrag geleistet, wie genau er Kontakt mit seinem Kollegen hatte. Er hat nur die Auffassung vertreten, es sei davon auszugehen, dass das Hygienekonzept der Beklagten Mängel aufgewiesen habe, weil es möglich gewesen sei, dass er über 15 Minuten Kontakt gehabt habe. Der Kläger nimmt damit eine gesetzlich nicht geregelte und damit unerhebliche Vermutung in Anspruch oder er behauptet einen Erfahrungssatz, demzufolge ein über 15-minütiger Kontakt im Betrieb auf Mängeln in einem Hygienekonzept beruhen müsse. Damit setzt er seine Rechtsauffassung an die Stelle derjenigen des Arbeitsgerichts, ohne aber auf die Erwägungen des Arbeitsgerichts einzugehen.

II.

Die Berufung ist aber auch unbegründet. Soweit der Kläger sich auf einen Schadenersatzanspruch aus §§ 275 Abs. 1 und 4, 280 Abs. 1 und 3, 283 Satz 1 BGB beruft, hat er durch seinen Vortrag eine Pflichtverletzung der Beklagten nicht schlüssig dargelegt.

1. Wird auf die Schutzpflichten der Beklagten aus § 618 BGB, § 3 ArbSchG abgestellt, gehört dazu auch, dass sie die die Arbeitnehmer schützenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die im Zusammenhang mit dem Coronavirus ergangen sind, einhält. Wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, hat die Beklagte ein Hygienekonzept eingeführt. Welche Pflicht die Beklagte konkret verletzt haben soll, die zum Schadenersatz in Form der Nachgewährung von zwei Urlaubstagen führt, hat der Kläger nicht vorgetragen. Der Kläger hat auch nicht vorgetragen, wann und wie sich der Kontakt mit dem infizierten Kollegen abgespielt hat. Erst dann wäre es möglich zu prüfen, ob das Hygienekonzept der Beklagten Mängel aufgewiesen hat oder ob der Kläger und/oder der infizierte Kollege sich nicht an das Hygienekonzept gehalten haben. Das ist insbesondere deshalb von Bedeutung, weil der Kläger nach dem Gesprächsprotokoll (Anlage BK1) nicht einen einzigen Kontakt über 15 Minuten mit dem Kollegen gehabt hat, sondern mehrere, die kumulativ 15 Minuten überschritten haben. Bevor die Beklagte selbst Nachforschungen anstellt, ist es am Kläger hierzu schlüssig vorzutragen. Dass ihm ein solcher Vortrag nicht möglich ist, hat der Kläger nicht behauptet.

2. Allein der Verweis auf eine weltweite Pandemie ersetzt die Darlegung der Pflichtverletzung nicht. Denn die Pandemie ändert nichts daran, dass im vorliegenden Fall das Verhalten einzelner Personen zu würdigen ist. Hierzu kann der Kläger vortragen. Der Kläger kann sich auch weder auf eine Vermutung berufen, die die Beklagte zu widerlegen hätte (§ 292 ZPO) noch kommt ihm ein Anscheinsbeweis zu Gute. Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass ein kumulativer Kontakt von Arbeitskollegen über zwei Tage auf Mängeln im Hygienekonzept einer Arbeitgeberin beruht. Ein Erfahrungssatz setzt einen gleichförmigen Vorgang voraus, aufgrund dessen Typizität es sich erübrigt, die tatsächlichen Einzelumstände eines bestimmten historischen Geschehens nachzuweisen (vgl. nur MünchKommZPO 6. Aufl. § 286 Rn. 50). Von einem gleichförmigen Vorgang kann schon angesichts der Vielgestaltigkeit von Arbeitsplätzen sowie des Verhaltens von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen in Bezug auf die Pflicht zum Einhalten von Hygiene-Maßregeln nicht die Rede sein.

D.

I. Der Kläger trägt als unterlegene Partei die Kosten des Berufungsverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO).

II. Die Revision war bzgl. der Frage der analogen Anwendbarkeit des § 9 BUrlG zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG gegeben sind. In der Entscheidung vom 25. August 2020 – 9 AZR 612/19 – hat das Bundesarbeitsgericht einerseits ausgeführt, ein Arbeitgeber schulde über die Freistellung von der Arbeitspflicht und die Zahlung des Urlaubsentgelts keinen darüberhinausgehenden „Urlaubserfolg“ (Rn. 28). Entsprechend hat es in Rn. 29 seine bisherige Rechtsprechung fortgeführt, wonach nach der Erfüllungshandlung des Arbeitgebers eintretende urlaubsstörende Ereignisse als Teil des persönlichen Lebensschicksals grundsätzlich in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers fallen und hat klargestellt, dass es sich bei §§ 9,10 BUrlG um nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahmevorschriften handelt. Andererseits hat das Bundesarbeitsgericht bei der Frage der Erfüllung von Urlaubsansprüchen ausgeführt, dass weder die Mindestanforderungen an Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung unterlaufen noch die Erholung und Entspannung maßgeblich vereitelt werden dürfen (Rn. 30 f.). Ob dies bei der Frage der Anordnung von Quarantäne der Fall ist und ob eine Ausnahme von der grundsätzlichen Risikoverteilung anzunehmen ist, wenn der die Quarantäne auslösende Kontakt am Arbeitsplatz stattgefunden hat, ist damit nicht geklärt. Angesichts der andauernden COVID-19-Pandemie kommt der Frage grundsätzliche Bedeutung zu.

Dagegen war die Revision nicht bzgl. des Streitgegenstandes des Schadenersatzes zuzulassen. Der Sachvortrag des Klägers hat keine Fragen aufgeworfen, die nach § 72 Abs. 2 ArbGG einen Zulassungsgrund bildeten. Dieser Streitgegenstand war auch in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig vom Prozessstoff, der für die Frage der analogen Anwendbarkeit des § 9 BUrlG zu berücksichtigen ist. Selbst im Falle einer Zurückverweisung kann nach Auffassung des Berufungsgerichts kein Widerspruch zur Frage des Schadenersatzes auftreten (BAG 24. Oktober 2019 – 8 AZN 624/19 – Rn. 5).

 

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