Übersicht:
- Der Fall vor Gericht
- Darf man gefeuert werden, wenn man verdächtigt wird, im Büro etwas gestohlen zu haben?
- Was war genau im Betrieb passiert?
- Wie kam es zur fristlosen Kündigung?
- Warum zog der Mitarbeiter vor Gericht?
- Was ist eine fristlose Kündigung und wann ist sie erlaubt?
- Warum hat das Gericht die fristlose Kündigung für unwirksam erklärt?
- Galt das Gleiche auch für die „normale“ Kündigung?
- Wie ging das Gericht mit den widersprüchlichen Zeugenaussagen um?
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Kann ein Arbeitnehmer aufgrund eines bloßen Verdachts auf Fehlverhalten gekündigt werden?
- Welches Maß an Beweisen ist erforderlich, damit ein Arbeitgeber eine Kündigung wegen Fehlverhaltens rechtlich durchsetzen kann?
- Unter welchen Voraussetzungen kann ein Arbeitgeber eine sofortige (fristlose) Kündigung aussprechen?
- Spielt der Wert eines angeblich entwendeten Firmeneigentums eine Rolle bei der Rechtfertigung einer Kündigung?
- Welche allgemeinen rechtlichen Schutzmechanismen bestehen für Arbeitnehmer, die am Arbeitsplatz mit schwerwiegenden Vorwürfen konfrontiert werden?
- Glossar
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 6 Ca 185/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: Arbeitsgericht Suhl
- Datum: 13.09.2023
- Aktenzeichen: 6 Ca 185/23
- Verfahren: Klageverfahren
- Rechtsbereiche: Arbeitsrecht, Prozessrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Ein Arbeitnehmer, dem der Diebstahl von Arbeitsmaterialien vorgeworfen wurde und der sich gegen die ausgesprochenen Kündigungen wehrte.
- Beklagte: Das Arbeitgeberunternehmen, das dem Kläger Diebstahl vorwarf und daraufhin das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise ordentlich kündigte.
Worum ging es genau?
- Sachverhalt: Einem Arbeitnehmer wurde vorgeworfen, zwei Fächerscheiben des Arbeitgebers entwendet zu haben, nachdem diese in seinem Rucksack entdeckt wurden. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich.
Welche Rechtsfrage war entscheidend?
- Kernfrage: Ist die fristlose oder hilfsweise Ordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers wegen des Verdachts des Diebstahls von zwei geringwertigen Arbeitsmaterialien (Fächerscheiben) aus dem Betrieb wirksam, wenn der Arbeitgeber den Diebstahl selbst oder das Einräumen desselben nicht beweisen kann?
Wie hat das Gericht entschieden?
- Klage teilweise stattgegeben: Das Arbeitsgericht stellte fest, dass die fristlose und die hilfsweise ordentliche Kündigung unwirksam sind, wies aber einen weitergehenden Feststellungsantrag ab.
- Kernaussagen der Begründung:
- Beweislast nicht erfüllt: Der Arbeitgeber konnte den vorgeworfenen Diebstahl der Fächerscheiben durch den Arbeitnehmer nicht beweisen; die Beweislast hierfür lag beim Arbeitgeber.
- Möglichkeit der Fremdplatzierung: Es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass die Fächerscheiben von einer dritten Person im Rucksack des Arbeitnehmers platziert wurden.
- Kein Geständnis nachweisbar: Eine angebliche Einräumung des Diebstahls durch den Arbeitnehmer konnte durch Zeugenaussagen nicht bestätigt werden.
- Folgen für den Kläger:
- Das Arbeitsverhältnis des Klägers besteht ungekündigt fort.
- Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Der Fall vor Gericht
Darf man gefeuert werden, wenn man verdächtigt wird, im Büro etwas gestohlen zu haben?
Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten in einem Betrieb. Eines Tages findet ein Kollege in Ihrem Rucksack, den Sie im Pausenraum abgestellt hatten, zwei Werkzeuge, die der Firma gehören. Sie selbst wissen nicht, wie die Gegenstände dorthin kamen. Ihr Arbeitgeber glaubt Ihnen nicht und kündigt Ihnen fristlos. Er ist überzeugt, dass Sie stehlen wollten. Aber reicht ein bloßer Verdacht für eine Kündigung aus? Mit genau dieser Frage musste sich das Arbeitsgericht Suhl in einem Urteil vom 13. September 2023 befassen.
Was war genau im Betrieb passiert?

Ein Mitarbeiter, nennen wir ihn Herr W., war seit knapp zwei Jahren in der Instandhaltungsabteilung eines Unternehmens beschäftigt. An einem Januarmorgen stellte er wie üblich seinen Rucksack im Schlosserbüro ab, einem Raum, zu dem alle Kollegen Zugang hatten. Im Laufe des Tages bemerkte ein anderer Mitarbeiter in diesem Rucksack zwei blaue Fächerscheiben. Das sind spezielle Schleifscheiben im Wert von jeweils etwa 10 bis 15 Euro, die eindeutig dem Arbeitgeber gehörten. Die Mitnahme von Firmeneigentum war streng verboten.
Der Kollege, der die Entdeckung gemacht hatte, behielt dies zunächst für sich. Zwei Tage später sprach er Herrn W. jedoch auf die Scheiben an. Was genau in diesem Gespräch gesagt wurde, darüber waren sich die beiden später vor Gericht uneinig. Der Vorfall wurde jedenfalls der Geschäftsleitung gemeldet.
Wie kam es zur fristlosen Kündigung?
Die Reaktion des Arbeitgebers war schnell und unmissverständlich. Wenige Tage nach dem Vorfall erhielt Herr W. ein Kündigungsschreiben. Der Arbeitgeber kündigte ihm fristlos. Das bedeutet, das Arbeitsverhältnis sollte mit sofortiger Wirkung beendet werden. Eine solche Kündigung ist die schärfste Maßnahme, die ein Arbeitgeber ergreifen kann, und kommt nur bei sehr schweren Pflichtverletzungen infrage.
Für den Fall, dass diese Fristlose Kündigung vor Gericht keinen Bestand haben sollte, sprach der Arbeitgeber zusätzlich eine „hilfsweise ordentliche Kündigung“ aus. Das ist wie ein Plan B: Wenn die sofortige Beendigung nicht rechtens ist, soll das Arbeitsverhältnis zumindest nach Ablauf der normalen Kündigungsfrist enden. Der Arbeitgeber war der festen Überzeugung, dass der Diebstahl von Firmeneigentum – selbst bei geringem Wert – das Vertrauen so grundlegend zerstört, dass eine weitere Zusammenarbeit unmöglich ist.
Warum zog der Mitarbeiter vor Gericht?
Herr W. wollte die Kündigung nicht akzeptieren und reichte eine Klage beim Arbeitsgericht ein. Sein Ziel war es, feststellen zu lassen, dass beide Kündigungen unwirksam sind und sein Arbeitsverhältnis weiterhin besteht.
Seine Version der Geschichte klang völlig anders. Er bestritt vehement, die Fächerscheiben gestohlen zu haben. Er behauptete, jemand müsse sie ihm untergeschoben haben. Sein Verdacht fiel auf genau den Kollegen, der ihn angezeigt hatte, da ihr Verhältnis schon länger angespannt war. Zur Stützung seiner Behauptung brachte er eine Zeugin ins Spiel – seine Lebensgefährtin, die ebenfalls im Betrieb arbeitete. Sie sagte aus, sie habe beobachtet, wie der besagte Kollege die zwei Scheiben aus dem Materialschrank nahm, damit ins leere Schlosserbüro ging und ohne sie wieder herauskam. Herr W. erklärte, er habe die Scheiben später in seinem Rucksack entdeckt und sie sofort wieder in den Materialschrank zurückgelegt. Dem anzeigenden Kollegen habe er dies auch genau so mitgeteilt.
Was ist eine fristlose Kündigung und wann ist sie erlaubt?
Um das Urteil des Gerichts zu verstehen, müssen wir uns kurz anschauen, was das Gesetz zu einer fristlosen Kündigung sagt. Im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 626 BGB) steht, dass eine solche Kündigung nur aus einem „wichtigen Grund“ möglich ist.
Ein „Wichtiger Grund“ liegt vor, wenn Tatsachen gegeben sind, die es dem Kündigenden unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der normalen Kündigungsfrist fortzusetzen. Man kann es sich wie eine Notbremse vorstellen. Ein Diebstahl am Arbeitsplatz kann grundsätzlich ein solcher wichtiger Grund sein, weil er die grundlegende Pflicht zur Rücksichtnahme und Loyalität verletzt und das Vertrauen des Arbeitgebers tief erschüttert. Dabei spielt der Wert der gestohlenen Sache oft eine untergeordnete Rolle. Entscheidend ist der Vertrauensbruch.
Aber – und das ist der entscheidende Punkt in diesem Fall – der Arbeitgeber muss diesen wichtigen Grund auch beweisen können.
Warum hat das Gericht die fristlose Kündigung für unwirksam erklärt?
Das Arbeitsgericht Suhl gab dem gekündigten Mitarbeiter Recht und erklärte die fristlose Kündigung für unwirksam. Die Begründung des Gerichts folgte einer klaren Logik, die sich um ein zentrales Prinzip dreht: die Beweislast. Im Arbeitsrecht muss derjenige, der eine Kündigung ausspricht, die Gründe dafür lückenlos beweisen. Gelingt das nicht, ist die Kündigung unwirksam. Man könnte sagen: Im Zweifel für den Arbeitnehmer.
Das Gericht kam nach der Befragung aller Zeugen zu dem Schluss, dass der Arbeitgeber diesen Beweis nicht erbringen konnte. Konkret konnte der Arbeitgeber nicht beweisen:
- Dass Herr W. die Scheiben selbst in den Rucksack gelegt hat. Es stand Aussage gegen Aussage. Die vom Mitarbeiter geschilderte Möglichkeit, dass ihm die Scheiben untergeschoben wurden, konnte nicht ausgeschlossen werden. Die Aussage seiner Lebensgefährtin, die den anderen Kollegen mit den Scheiben gesehen haben will, stützte diese alternative Version. Das Gericht hielt ihre Aussage für glaubhaft.
- Dass Herr W. die Absicht hatte, die Scheiben zu stehlen. Selbst wenn die Scheiben in seinem Rucksack waren, bewies das noch nicht, dass er sie vom Betriebsgelände entfernen wollte. Niemand hatte ihn dabei beobachtet.
- Dass Herr W. den Diebstahl zugegeben hat. Der Arbeitgeber hatte behauptet, der Mitarbeiter habe die Tat gegenüber dem Kollegen zugegeben. Doch die Zeugenaussagen dazu waren widersprüchlich. Der anzeigende Kollege selbst sagte nur aus, Herr W. habe gesagt, es sei „nur eine“ Scheibe gewesen – aber nicht, dass er sie gestohlen habe. Ein weiterer anwesender Zeuge konnte sich an gar kein Geständnis erinnern.
Da der Arbeitgeber also weder den Diebstahl selbst noch ein Geständnis beweisen konnte, fehlte der „wichtige Grund“ für eine fristlose Kündigung.
Galt das Gleiche auch für die „normale“ Kündigung?
Ja, auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung war nach Ansicht des Gerichts unwirksam. Hier kommt ein anderes Gesetz ins Spiel: das Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Dieses Gesetz schützt Arbeitnehmer in Betrieben mit mehr als zehn Mitarbeitern, wenn sie länger als sechs Monate dort beschäftigt sind – was bei Herrn W. der Fall war.
Das Kündigungsschutzgesetz verlangt, dass eine ordentliche Kündigung „sozial gerechtfertigt“ sein muss. Das ist sie nur, wenn es Gründe gibt, die im Verhalten oder in der Person des Arbeitnehmers liegen oder wenn dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen. Der Arbeitgeber stützte seine Kündigung auf einen Verhaltensgrund: den angeblichen Diebstahl. Da das Gericht aber, wie schon bei der fristlosen Kündigung geprüft, zu dem Ergebnis kam, dass der Diebstahl nicht nachgewiesen werden konnte, fehlte auch hier der Kündigungsgrund. Ohne bewiesene Pflichtverletzung gibt es keine sozial gerechtfertigte Kündigung.
Wie ging das Gericht mit den widersprüchlichen Zeugenaussagen um?
Das Gericht musste sorgfältig abwägen, wem es glaubt. Der Arbeitgeber versuchte, die Aussage der Lebensgefährtin von Herrn W. zu entkräften. Er argumentierte, sie hätte von ihrem Standpunkt aus gar nicht sehen können, was am Materialschrank passierte. Das Gericht prüfte dies sehr genau. Es schaute sich den Flucht- und Rettungsplan sowie Fotos vom Arbeitsplatz an und kam zu dem Schluss: Die Beobachtung war durchaus möglich.
Gleichzeitig fiel dem Gericht auf, dass die Darstellung des Arbeitgebers selbst Ungenauigkeiten aufwies. So war in einer internen Notiz von „grünen Schruppscheiben“ die Rede, obwohl es sich tatsächlich um blaue Fächerscheiben handelte. Solche Details trugen zur Unsicherheit bei und schwächten die Position des Arbeitgebers. Am Ende blieb eine Situation, in der ein schwerwiegender Vorwurf im Raum stand, der aber nicht über den Status eines unbewiesenen Verdachts hinauskam.
Ein kleiner Teil der Klage von Herrn W. wurde jedoch abgewiesen: sein allgemeiner Antrag, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch „andere Beendigungstatbestände“ endet. Ein solcher Antrag ist nur zulässig, wenn eine konkrete Gefahr durch weitere, nicht genannte Kündigungen droht. Diese sah das Gericht hier nicht. Für die beiden im Streit stehenden Kündigungen bekam Herr W. jedoch vollumfänglich Recht.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl verdeutlicht, dass bloße Verdachtsmomente nicht ausreichen, um eine Kündigung rechtlich zu begründen.
- Beweislast liegt beim Arbeitgeber: Das Urteil bestätigt, dass derjenige, der eine Kündigung ausspricht, die vorgeworfene Pflichtverletzung lückenlos beweisen muss. Widersprüchliche Zeugenaussagen und unausgeräumte Zweifel führen dazu, dass die erforderliche Beweislast nicht erfüllt wird.
- Unbewiesene Verdächtigungen rechtfertigen keine Kündigungen: Selbst bei schwerwiegenden Vorwürfen wie Diebstahl reicht es nicht aus, wenn Firmeneigentum im persönlichen Besitz eines Arbeitnehmers gefunden wird. Es muss zusätzlich bewiesen werden, dass dieser die Gegenstände selbst dorthin gebracht hat und die Absicht zur unrechtmäßigen Wegnahme hatte.
- Glaubwürdigkeit entscheidet bei widersprüchlichen Darstellungen: Das Gericht prüfte sorgfältig die Plausibilität der verschiedenen Versionen und berücksichtigte dabei auch Ungenauigkeiten in der Darstellung des Arbeitgebers sowie die räumlichen Gegebenheiten am Arbeitsplatz.
Dieses Urteil stärkt den Grundsatz, dass im deutschen Arbeitsrecht im Zweifel für den Arbeitnehmer entschieden wird, wenn der Arbeitgeber seine Kündigungsgründe nicht zweifelsfrei belegen kann.
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Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Kann ein Arbeitnehmer aufgrund eines bloßen Verdachts auf Fehlverhalten gekündigt werden?
Ein Arbeitnehmer kann grundsätzlich auch aufgrund eines dringenden Verdachts auf schwerwiegendes Fehlverhalten gekündigt werden. Dies ist jedoch nur unter sehr strengen Voraussetzungen möglich und erfordert, dass der Arbeitgeber den Verdacht umfassend aufklären und beweisen kann.
Für eine solche Kündigung, die sogenannte Verdachtskündigung, muss der Verdacht auf ein schwerwiegendes Fehlverhalten wie Diebstahl beruhen, das das Vertrauensverhältnis nachhaltig stört. Dabei ist nicht der Wert der Sache entscheidend, sondern der mögliche Vertrauensbruch.
Der Arbeitgeber muss einen dringenden Verdacht beweisen können, der auf überprüfbaren Tatsachen basiert. Diese Tatsachen müssen so stark sein, dass sie bei objektiver Betrachtung eine erhebliche Pflichtverletzung plausibel erscheinen lassen. Kann der Arbeitgeber diesen Beweis nicht erbringen, weil beispielsweise alternative Erklärungen für den Vorfall nicht ausgeschlossen werden können oder Zeugenaussagen widersprüchlich sind, ist die Kündigung unwirksam. Das Gericht prüft sehr genau, ob der Arbeitgeber alle zumutbaren Schritte zur Aufklärung unternommen hat und die Beweislage eindeutig ist. Es gilt der Grundsatz „Im Zweifel für den Arbeitnehmer“.
Der Fall aus Suhl zeigt, dass die bloße Vermutung eines Fehlverhaltens nicht ausreicht, sondern ein solider Beweis des dringenden Verdachts erforderlich ist, um eine Kündigung zu rechtfertigen.
Welches Maß an Beweisen ist erforderlich, damit ein Arbeitgeber eine Kündigung wegen Fehlverhaltens rechtlich durchsetzen kann?
Für die rechtliche Durchsetzung einer Kündigung wegen Fehlverhaltens muss der Arbeitgeber die Kündigungsgründe lückenlos beweisen können. Bloße Vermutungen, unbewiesene Verdachtsmomente oder widersprüchliche Aussagen reichen hierfür nicht aus.
Im Arbeitsrecht trägt der Arbeitgeber die volle Beweislast für die Tatsachen, die eine Kündigung rechtfertigen sollen. Es ist nicht die Aufgabe des Arbeitnehmers, seine Unschuld zu beweisen. Das Prinzip „Im Zweifel für den Arbeitnehmer“ kommt hier zur Anwendung.
Das bedeutet, der Arbeitgeber muss nachweisen, dass der Arbeitnehmer die vorgeworfene Handlung tatsächlich begangen hat und bei verhaltensbedingten Gründen – wie im Fall eines angeblichen Diebstahls – auch die entsprechende Absicht hatte.
Im vom Arbeitsgericht Suhl verhandelten Fall eines angeblichen Werkzeugdiebstahls konnte der Arbeitgeber beispielsweise weder beweisen, dass der Mitarbeiter die Gegenstände in seinen Rucksack gelegt hatte, noch dass er die Absicht zum Stehlen hatte oder die Tat gestanden hatte. Da diese Beweise fehlten, erklärte das Gericht die Kündigung als unwirksam.
Unter welchen Voraussetzungen kann ein Arbeitgeber eine sofortige (fristlose) Kündigung aussprechen?
Eine sofortige (fristlose) Kündigung durch den Arbeitgeber ist nur unter sehr strengen Voraussetzungen und bei einem sogenannten „wichtigen Grund“ zulässig. Sie gilt als die schärfste Maßnahme im Arbeitsrecht und kommt nur in Ausnahmefällen infrage.
Ein „wichtiger Grund“ liegt vor, wenn es dem Arbeitgeber unzumutbar ist, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ende der regulären Kündigungsfrist fortzusetzen. Dies kann man sich wie eine Notbremse vorstellen. Es handelt sich stets um eine Abwägung der Umstände im Einzelfall.
Typische wichtige Gründe sind schwere Pflichtverletzungen, die das Vertrauen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer grundlegend zerstören. Ein Beispiel hierfür ist der Diebstahl von Firmeneigentum, selbst wenn es sich um Gegenstände von geringem Wert handelt. Entscheidend ist dabei der Vertrauensbruch. Der Arbeitgeber muss den wichtigen Grund, der zur Kündigung führt, lückenlos beweisen können.
Daher ist eine fristlose Kündigung stets an sehr hohe Hürden gebunden, um Arbeitnehmer vor willkürlichen Entlassungen zu schützen.
Spielt der Wert eines angeblich entwendeten Firmeneigentums eine Rolle bei der Rechtfertigung einer Kündigung?
Der Wert eines angeblich entwendeten Firmeneigentums spielt bei der Rechtfertigung einer Kündigung in der Regel eine untergeordnete Rolle. Entscheidend ist vielmehr der durch die Tat zerstörte Vertrauensbruch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Ein Diebstahl am Arbeitsplatz verletzt grundlegende Pflichten wie Loyalität und Rücksichtnahme. Dies erschüttert das Vertrauen des Arbeitgebers tiefgreifend. Selbst der Diebstahl von geringwertigen Gegenständen kann das Vertrauen so stark zerstören, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber unzumutbar wird.
Nur in Ausnahmefällen, beispielsweise bei einmaligen Vergehen unter besonderen Umständen, kann die Geringwertigkeit im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung noch eine Rolle spielen, falls eine Abmahnung nicht in Betracht kommt. Doch der grundsätzliche Fokus liegt stets auf der Schwere des Vertrauensbruches.
Welche allgemeinen rechtlichen Schutzmechanismen bestehen für Arbeitnehmer, die am Arbeitsplatz mit schwerwiegenden Vorwürfen konfrontiert werden?
Arbeitnehmer in Deutschland sind durch Gesetze wie das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) umfassend vor willkürlichen Kündigungen geschützt. Eine Kündigung muss demnach in vielen Fällen „sozial gerechtfertigt“ sein und der Arbeitgeber muss die Gründe dafür beweisen.
Das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) gilt in Betrieben mit mehr als zehn Mitarbeitern und schützt Arbeitnehmer nach sechs Monaten Betriebszugehörigkeit. Eine Kündigung ist dann nur wirksam, wenn sie „sozial gerechtfertigt“ ist, was bedeutet, dass die Gründe im Verhalten oder in der Person des Arbeitnehmers liegen müssen, oder auf dringenden betrieblichen Erfordernissen basieren.
Unabhängig davon, ob es sich um eine sofortige (fristlose) oder eine reguläre Kündigung handelt, trägt stets der Arbeitgeber die volle Beweislast für die Kündigungsgründe. Kann er die vorgeworfenen Tatsachen – etwa einen Diebstahl oder andere Pflichtverletzungen – nicht lückenlos beweisen, ist die Kündigung unwirksam. Dieses Prinzip wird oft als „Im Zweifel für den Arbeitnehmer“ zusammengefasst.
Arbeitnehmer haben zudem das Recht, sich gegen eine aus ihrer Sicht ungerechtfertigte Kündigung mit einer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht zu wehren und die Wirksamkeit der Kündigung überprüfen zu lassen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Beweislast
Die Beweislast legt fest, welche Partei in einem Gerichtsverfahren bestimmte Tatsachen beweisen muss. Im Arbeitsrecht trägt grundsätzlich der Arbeitgeber die volle Beweislast für die Gründe, die eine Kündigung rechtfertigen sollen. Kann er diese Beweise nicht erbringen, gilt der Grundsatz „Im Zweifel für den Arbeitnehmer“, und die Kündigung ist unwirksam. Dies schützt den Arbeitnehmer vor unbegründeten Vorwürfen und Entlassungen.
Fristlose Kündigung
Eine fristlose Kündigung beendet ein Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung, ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist. Sie ist die schärfste Maßnahme im Arbeitsrecht und nur in Ausnahmefällen zulässig, wenn ein sogenannter „wichtiger Grund“ vorliegt. Dieser Grund muss so schwerwiegend sein, dass es dem Arbeitgeber unzumutbar ist, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der regulären Frist fortzusetzen. Ein Diebstahl am Arbeitsplatz kann, auch bei geringem Wert, einen solchen Vertrauensbruch darstellen, muss aber lückenlos bewiesen werden.
Kündigungsschutzgesetz (KSchG)
Das Kündigungsschutzgesetz ist ein wichtiges Gesetz in Deutschland, das Arbeitnehmer vor willkürlichen oder ungerechtfertigten Kündigungen schützt. Es gilt in der Regel in Betrieben mit mehr als zehn Mitarbeitern, sofern der Arbeitnehmer länger als sechs Monate beschäftigt ist. Das Gesetz verlangt, dass eine ordentliche Kündigung „sozial gerechtfertigt“ sein muss, also einen triftigen Grund haben muss. Ohne einen solchen Grund ist die Kündigung unwirksam, was die Rechtssicherheit für Arbeitnehmer erheblich stärkt.
Kündigungsschutzklage
Eine Kündigungsschutzklage ist ein gerichtliches Verfahren, das ein Arbeitnehmer einleitet, um die Wirksamkeit einer von seinem Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung überprüfen zu lassen. Ziel ist es oft, feststellen zu lassen, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht, weil die Kündigung unwirksam war. Die Klage muss in der Regel innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung beim zuständigen Arbeitsgericht eingereicht werden. Sie ist das zentrale Rechtsmittel für Arbeitnehmer, um sich gegen ungerechtfertigte Entlassungen zu wehren.
Ordentliche Kündigung
Eine ordentliche Kündigung beendet ein Arbeitsverhältnis unter Einhaltung einer gesetzlich, tariflich oder vertraglich festgelegten Kündigungsfrist. Im Gegensatz zur fristlosen Kündigung wirkt sie nicht sofort. In Betrieben, die unter das Kündigungsschutzgesetz fallen, muss die ordentliche Kündigung zudem „sozial gerechtfertigt“ sein. Das bedeutet, es muss ein Grund im Verhalten, in der Person des Arbeitnehmers oder dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen.
Verdachtskündigung
Eine Verdachtskündigung ist eine Form der Kündigung, die der Arbeitgeber ausspricht, wenn er einen dringenden und schwerwiegenden Verdacht auf eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers hat, die Tat aber nicht beweisen kann. Der Verdacht muss auf konkreten Tatsachen beruhen und umfassend aufgeklärt worden sein. Es muss dem Arbeitgeber unzumutbar sein, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, selbst wenn die Schuld nicht bewiesen ist. Das Gericht prüft hier sehr streng, ob der Verdacht wirklich dringend und durch objektivierbare Tatsachen begründet ist, wobei alternative Erklärungen nicht ausgeschlossen werden dürfen.
Wichtiger Grund
Ein „wichtiger Grund“ ist die zwingende Voraussetzung für eine fristlose Kündigung gemäß § 626 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Er liegt vor, wenn Tatsachen gegeben sind, die es dem Kündigenden – hier dem Arbeitgeber – unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der regulären Kündigungsfrist fortzusetzen. Man kann es sich wie eine Notbremse vorstellen, die nur bei besonders schweren Pflichtverletzungen gezogen werden darf. Beispiele sind Diebstahl, schwere Beleidigungen oder Arbeitszeitbetrug, sofern sie zweifelsfrei bewiesen sind.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Beweislast des Arbeitgebers bei Kündigungen (Grundsatz, vgl. § 626 Abs. 1 BGB und § 1 Abs. 2 KSchG): Im Arbeitsrecht trägt der Arbeitgeber die volle Verantwortung dafür, die Tatsachen zu beweisen, die zu einer Kündigung führen sollen. Wenn er eine Kündigung ausspricht, muss er die Gründe dafür vor Gericht lückenlos nachweisen können. Kann der Arbeitgeber seine Vorwürfe nicht mit ausreichenden Beweisen untermauern, ist die Kündigung unwirksam. Man spricht hier oft vom Grundsatz „im Zweifel für den Arbeitnehmer“.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Dies war der entscheidende Punkt im Urteil. Der Arbeitgeber konnte nicht beweisen, dass Herr W die Werkzeuge gestohlen hatte oder dies beabsichtigte. Da ihm dieser Beweis nicht gelang, musste das Gericht die Kündigungen als unwirksam ansehen.
- Wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung (§ 626 Abs. 1 BGB): Eine fristlose Kündigung ist die schärfste Form der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses und nur unter sehr engen Voraussetzungen erlaubt. Das Gesetz verlangt hierfür einen „wichtigen Grund“, der so schwerwiegend ist, dass dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden kann, das Arbeitsverhältnis auch nur für die Dauer der gesetzlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Ein Diebstahl am Arbeitsplatz kann grundsätzlich ein solcher wichtiger Grund sein, da er das Vertrauensverhältnis tiefgreifend zerstört, oft unabhängig vom Wert der gestohlenen Sache.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Arbeitgeber begründete die fristlose Kündigung mit dem angeblichen Diebstahl der Fächerscheiben. Das Gericht musste prüfen, ob dieser „wichtige Grund“ tatsächlich vorlag und vom Arbeitgeber bewiesen werden konnte. Da der Diebstahl nicht nachweisbar war, fehlte der notwendige wichtige Grund für die fristlose Kündigung.
- Soziale Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung (§ 1 Abs. 2 KSchG): Das Kündigungsschutzgesetz schützt Arbeitnehmer in den meisten Betrieben vor willkürlichen Kündigungen. Eine ordentliche Kündigung ist demnach nur wirksam, wenn sie „sozial gerechtfertigt“ ist. Das bedeutet, es muss Gründe geben, die entweder im Verhalten des Arbeitnehmers (z.B. Pflichtverletzungen), in seiner Person (z.B. Krankheit) oder in dringenden betrieblichen Erfordernissen liegen. Ohne einen solchen rechtfertigenden Grund ist eine ordentliche Kündigung unwirksam.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Arbeitgeber hatte hilfsweise eine ordentliche Kündigung ausgesprochen, die er ebenfalls auf den angeblichen Diebstahl (also ein verhaltensbedingter Grund) stützte. Da das Gericht jedoch feststellte, dass der Diebstahl nicht bewiesen werden konnte, fehlte auch dieser ordentlichen Kündigung die soziale Rechtfertigung nach dem Kündigungsschutzgesetz.
- Richterliche Beweiswürdigung (vgl. § 286 ZPO): Im Gerichtsprozess hat der Richter die Aufgabe, alle vorgelegten Beweise – wie Zeugenaussagen, Dokumente oder Gutachten – frei zu bewerten. Er entscheidet nach seiner Überzeugung, was er für wahr und bewiesen hält und was nicht. Dabei berücksichtigt er die Glaubwürdigkeit von Zeugen und die Plausibilität der Aussagen. Es geht darum, ein Gesamtbild zu erhalten und die tatsächlichen Geschehnisse so genau wie möglich zu rekonstruieren.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht musste entscheiden, welcher Version der Geschehnisse es glaubt, da die Aussagen von Herrn W. und dem Arbeitgeber sowie den Zeugen widersprüchlich waren. Durch die genaue Prüfung von Zeugenaussagen (z.B. der Lebensgefährtin und des anzeigenden Kollegen) und weiteren Umständen (z.B. der räumlichen Gegebenheiten im Betrieb) kam das Gericht zu dem Schluss, dass die Darstellung des Arbeitgebers nicht bewiesen war.
Das vorliegende Urteil
ArbG Suhl – Az.: 6 Ca 185/23 – Urteil vom 13.09.2023
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