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Direktionsrechtliche Weisung – gleichwertiger Arbeitsplatz

ArbG Siegburg – Az.: 1 Ca 2695/18 – Urteil vom 01.08.2019

1. Es wird festgestellt, dass die Weisung der Beklagten vom 26.11.2018, mit der der Klägerin die Tätigkeit als „Leitung Prozessoptimierung“ zugewiesen worden ist, unwirksam ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin als Leiterin Finanz- und Rechnungswesen insbesondere mit folgenden Tätigkeiten in M. zu beschäftigen:

–  Monats-/Jahresabschlüsse der Q. Q. T. GmbH

–  Liquiditätsplanung und Steuerung

–  Führung der Haupt- und Nebenbücher

–  Bewertung von Anlage- und Umlaufvermögen

–  Erstellung und Verbuchung von Abgrenzungen und Rückstellungen

–  Führung des Buchhaltungsteams von derzeit sieben Mitarbeitern.

3. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

4. Der Streitwert wird auf 11.400,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Weisung.

Die Klägerin ist seit dem 01.04.2017 bei der Beklagten zu einem Bruttomonatsverdienst vom 5.700,00 EUR beschäftigt.

Der Arbeitsvertrag der Parteien vom 08.02.2017 enthält unter anderem folgende Bestimmungen:

„§ 1 Tätigkeit

1.1.  Der Arbeitnehmer wird im Unternehmen ab dem 01.04.2017 oder früher als Leiterin Finanz- und Rechnungswesen beschäftigt.

1.2.  Der Arbeitgeber ist berechtigt, dem Arbeitnehmer innerhalb des Betriebes eine dessen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechende gleichwertige und gleichbezahlte Aufgabe zuzuweisen. Dies beinhaltet auch die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer eine Tätigkeit zuzuweisen, die mit einem Wechsel der stellenabhängigen Entlohnungsform (z.B. spezielle Zulagen und / oder ein Wechsel der täglichen Arbeitszeit einhergeht…..“ (Blatt 11 der Akte)

Mit Schreiben vom 27.03.2018 und 28.03.2018 sprach die Beklagte eine Kündigung zum 30.06.2018 aus. In dem dieser halb beim Arbeitsgericht Siegburg geführten Kündigungsrechtsstreit (3 Ca 969/18) erging am 24.10.2018 ein klagestattgebendes Feststellungsurteil, in dem von der Beklagten gestellte Auflösungsantrag zurückgewiesen wurde.

Am 26.11.2018 wies die Beklagte die Klägerin an, künftig die neu geschaffene Stelle „Leitung Prozessoptimierung“ einzunehmen. In der der Klägerin in diesem Zusammenhang übergebenen Stellenbeschreibung heißt es unter anderem:

„Ziele der Stelle:

Das Hauptziel der Stelle Leitung Prozessoptimierung ist die Verbesserung bestehender Prozesse P.S.G. und die Schaffung neuer Prozesse zur Erhöhung der Produktivität und der Fehlersicherheit.

Dies geschieht in enger Abstimmung mit den betroffenen Abteilungen, wobei die Stelleninhaberin hierbei insbesondere die kaufmännischen und buchhalterischen Aspekte der Prozess prüft und verbessert. Die Auswahl der Prozesse geschieht durch die Geschäftsleitung…..“ (Blatt 30 der Akte)

Wegen der weiteren Einzelheiten der Stellenbeschreibung wird auf Blatt 30 und 31 der Akte Bezug genommen. Gleichzeitig übergab die Beklagte der Klägerin einen Auftrag zur Optimierung der Q.-Fakturaüberwachung und des Fakturavorrates (Blatt 32 der Akte), die bis März 2019 umgesetzt und abgeschlossen sein sollte. Außerdem wurde die Klägerin das Projekt „Neuzertifzierung des Q.-Dokumentenarchivs“ übertragen. Zunächst sollte ihr auch die Aufgabe der Unterstützung und Begleitung der Vorbereitung auf die Wiederaufnahme des M&A-Prozesses der Q. zugewiesen werden, bislang ist ihr diese Aufgabe jedoch nicht übertragen worden.

Mit der Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass die Weisung der Beklagten vom 26.11.2018 unwirksam ist, sowie die Verurteilung der Beklagten zu ihrer Beschäftigung als Leiterin Finanz- und Rechnungswesen. Sie vertritt die Auffassung, die Direktionsklausel im § 1 Ziffer 1.2 des Arbeitsvertrages sei nach § 307 BGB unwirksam, da sie intransparent sei. Die Versetzung entspreche nicht billigem Ermessen, da sie weder ihrer Ausbildung als Steuerfachgehilfin entspreche, noch auch nur annährend mit dem ursprünglichen Aufgabenbereich zu tun habe. Im Rahmen der ihr übertragenen Aufgaben der Fakturaüberwachung habe sie nach Anwendungsfehlern im Kundenservice zu suchen, nicht in der Buchhaltung. Der Kundenservice übernehme die Aufgaben der Kundenbetreuung und lege den Kundenauftrag in SAP-System an. Dieses Projekt habe nichts mit buchhalterischen Aufgaben zu tun, sondern lediglich mit dem Kundenservice in Verbindung mit der SAP-Programmbedienung. Bei dem Projekt Neuzertifizierung des Q.-Dokumentenarchives würden keine buchhalterischen Tätigkeiten oder Tätigkeiten, die mit dem Rechnungswesen auch nur im Entferntesten zu tun hätten, von ihr ausgeführt. Sie habe sich in diesem Bereich erst Kenntnisse zur Zertifizierung und der dazu gehörenden Dokumentationen erst aneignen müssen. Dabei habe sie festgestellt, dass die damalige Aufgabenstellung vom 26.11.2018 so nicht durchführbar gewesen sei. Die Bestätigung habe sie am 19.02.2019 durch den Geschäftsführer der Beklagten erhalten. Die Verfahrensdokumentation werde mit Hilfe eines Wirtschaftsprüfers und des Leiters IT erstellt. Sie habe sich auch wieder in die Materie einarbeiten müssen. Sie sei gezwungen, hierüber im Internet zu recherchieren und sei auf die Hilfe der Mitarbeiter angewiesen. Das berufliche Fachwissen als Bilanzbuchhalterin könne sie hier nicht nutzen, dieses Projekt habe auch nichts mit dem Rechnungswesen zu tun. Am 11.03.2019 habe sie eine weitere Aufgabe erhalten, nämlich das Projekt Problembehebung und Optimierung der Logistikprozesse und deren Abrechnung. Die Aufgabe bestehe darin, die vorhandenen Probleme in der Logistik zu recherchieren, diese aufzulisten und zu beschreiben sowie für gefundene Probleme Verbesserungsvorschläge zu machen. Auch bei diesem Thema gehe es nicht um buchhalterischen Lösungen bzw. Kontrollen, sondern darum herauszuarbeiten, was die Mitarbeiter im Kundenservice zu beachten haben, wenn Speditionskosten für einen Auftrag anfallen und wie diese Positionen in SAP in den Auftrag eingepflegt werden müssen, damit der Kunde mit dem vorausbezahlten Speditionskosten belastet werden könne. Im Übrigen habe sie nunmehr keinerlei Leitungsfunktion, da eine Leitung impliziere, dass es eine Abteilung Prozessoptimierung gäbe, die die Klägerin leite. Eine solche Abteilung gäbe es aber nicht. Es gäbe auch keine weiteren Mitarbeiter, die in dieser Abteilung wären. Sie habe keine Personalverantwortung mehr, die sie als Leiterin Buchhaltung jedoch gehabt habe, da sie das Buchhaltungsteam von 7 Mitarbeitern geführt habe.

Die Klägerin beantragt,

1. festzustellen, dass die Weisung der Beklagten vom 26.11.2018, mit der der Klägerin die Tätigkeit als „Leitung Prozessoptimierung“ zugewiesen worden ist, unwirksam ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin als Leiterin Finanz- und Rechnungswesen insbesondere mit folgenden Tätigkeiten in M. zu beschäftigen:

–  Monats-/Jahresabschlüsse der Q. Q. T. GmbH

–  Liquiditätsplanung und Steuerung

–  Führung der Haupt- und Nebenbücher

–  Bewertung von Anlage- und Umlaufvermögen

–  Erstellung und Verbuchung von Abgrenzungen und Rückstellungen

–  Führung des Buchhaltungsteam von derzeit sieben Mitarbeitern.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, der Klägerin sei mit dem Projekt Fakturaüberwachung eine bedeutende Aufgabe übertragen worden. Die Bedeutung des Projekts zeige sich anhand des gesamten Volumens der nach dem insoweit erstellten Protokolls nicht bzw. nicht ordnungsgemäß erstellten Rechnungen in Höhe von knapp 200.000,00 EUR. Zur Aufdeckung der im Rahmen Berechnungserstellung erfolgenden Ziele sei ein fundiertes kaufmännisches Verständnis erforderlich. Aufgrund ihrer finanzbuchhalterischen Kenntnisse habe die Klägerin durch eine strukturierte Überprüfung des Faktura-Überwachers Fehlerquellen erkennen können, die im Anschluss hieran hätten beseitigt oder vermindert werden können. Zudem sei darauf hinzuweisen, dass die Betreuung des Faktura-Laufs ebenso wie die Bearbeitung des Faktura-Überwachers und des Faktura-Vorrats zwar durch die Rechnungsprüfung erfolge, die als Abteilung organisatorisch ein Teil des Kundenservices sei. Die Rechnungsprüfung müsse sich jedoch zu allen kaufmännischen Fragen ganz eng und regelmäßig mit der Finanzbuchhaltung abstimmen. Die Abteilung sei das Bindeglied zwischen Kundenservice und Finanzbuchhaltung, weshalb in der Vergangenheit bereits mehrfach überlegt und von der früheren Leiterin der Finanzbuchhaltung auch vorgeschlagen worden sei, diese der Finanzbuchhaltung zu unterstellen, was ebenso gut möglich und sinnvoll wäre. Dies verdeutliche, dass die Tätigkeit der Klägerin einen sehr engen Bezug zu buchhalterischen Themen aufweist. Das Projekt Neuzertifizierung des Q.-Dokumentenarchivs sei der Finanzbuchhaltung zuzuordnen. Die Beklagte habe die Aufgabe, die gesetzlich vorgegebenen Abläufe und Anforderungen der §§ 239, 257 HGB und der §§ 146, 147 Abgabenordnung umzusetzen. Nachdem die Klägerin in den ersten beiden Projekten bereits gute Fortschritte habe erzielen können, habe die Beklagte der Klägerin ein weiteres Projekt zugewiesen, bei dem es um die Problembehebung und Optimierung der Logistikprozesse und deren Abrechnung gehe. Dabei gehe es darum, Probleme im Zusammenhang mit den Logistikdienstleistungen, die die Beklagte einkaufe, zu identifizieren und zu lösen. Das betreffe sowohl die Abrechnung gegenüber den Lieferanten als auch die Abrechnung gegenüber den Kunden der Beklagten. Letzteres sei ein wichtiger Faktor für den Rohertrag der Beklagten und deren finanzielle Stabilität. Wichtige und komplexe Fragestellungen ergäben sich insbesondere im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Leistungen, wie z.B. Zollabwicklung, Erhebung von Einfuhrumsatzsteuer, Mehrwertsteuer auf Waren, Behandlung ausländischer Währungen in SAP. Aufgrund dieser kaufmännischen und buchhalterischen Fragestellungen würden die Mitarbeiter des Kundenservices laufend durch die Finanzbuchhaltung unterstützt. Um die Finanzbuchhaltung zu entlasten, sei die Klägerin beauftragt worden, bestimmte Prozesse zu analysieren und Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Hierfür sei die Klägerin aufgrund ihres fachlichen Knowhows bestens geeignet. Die Versetzung der Klägerin sei auch deshalb erfolgt, weil die Personalführung bei der Beklagten zu gravierenden Problemen geführt habe. Zwei Mitarbeiterinnen hätten übereinstimmend dargestellt, dass die Klägerin Mitarbeiterinnen gezielt und systematisch ausgrenze und herabwürdige.

Wegen den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitgegenstandes wird auf den Inhalt der Akte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig.

Für  den Klageantrag zu 1) ist das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse gegeben. Die begehrte Feststellung betrifft den Umfang der Leistungspflicht der Klägerin und ist geeignet die Reichweite des Direktionsrechts der Beklagten klarzustellen (BAG NZA 2019, 619 mit weiteren Nachweisen).

Soweit die Klägerin im Kammertermin den Klageantrag zu 2) vor dem Satzteil „mit folgenden Tätigkeiten“ das Wort „insbesondere“ eingefügt hat, liegt darin keine Klageerweiterung / Klageänderung, sondern lediglich eine Klarstellung. Schon die ursprüngliche Fassung des Antrags zu 2) war nach dem wohl verstandenen Willen der Klägerin im Zusammenhang mit dem schriftsätzlichen Klagevortrag dahin auszulegen, dass die Aufzählung der Tätigkeiten im Antrag nicht abschließend sein sollte.

Die Klage ist auch begründet.

Die Weisung der Beklagten vom 26.11.2018 mit der die Klägerin die Tätigkeit der Leitung Prozessoptimierung zugewiesen wurde, ist unwirksam, denn sie ist nicht vom arbeitgeberseitigen Direktionsrecht nach § 106 Gewerbeordnung gedeckt.

Zwar ist die Klausel im § 1 Ziffer 1.2 des Arbeitsvertrages der Parteien wirksam und stellt keine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 309 BGB dar. Nach der vorgenannten Vertragsbestimmung ist die Beklagte berechtigt, der Klägerin eine ihren Kenntnis- und Fähigkeiten entsprechende gleichwertige und gleichbezahlte Aufgabe zuzuweisen.

Die Beklagte hat der Klägerin indes am 26.11.2018 keine gleichwertige Aufgabe zugewiesen.

Ob Gleichwertigkeit im diesem Sinn vorliegt, ist nach der auf den Betrieb abgestellten Verkehrsanschauung und dem sich daraus ergebenden Sozialbild zu beurteilen. Dabei kann auf die Kriterien der Anzahl der unterstellten Mitarbeiter, den Umfang der Entscheidungsbefugnisse über den Einsatz von Sachmitteln oder einer Personalkapazität abgestellt werden (BAG NZA 1996, 440; LAG Hamm NZA-RR 1997, 33).

Im vorliegenden Fall erweisen sich die der Klägerin übertragenen Projekte als nicht der Funktion Leitung Finanz- und Rechnungswesen gleichwertig. Das gilt auch dann, wenn der Beklagten darin gefolgt wird, dass die Gleichwertigkeit eines Aufgabenbereichs im Vergleich mit der Leitung Finanz- und Rechnungswesen auch dann gegeben sein kann, wenn mit der neuen Aufgabe keine Personalverantwortung verbunden ist. Denn in diesem Fall müssen die statt der Personalverantwortung übertragenen Aufgaben eine so erhebliche Bedeutung für das Unternehmen haben, dass sie den Verlust der Leitungsfunktion kompensieren. Keines der Klägerin zugewiesenen Projekte erfüllt diese Voraussetzung.

Da die Beklagte von dem ihr zustehenden Direktionsrecht bislang nicht wirksam anderweitig Gebrauch gemacht hat, ist die Klägerin gemäß dem Antrag zu 2) als Leiterin Finanz- und Rechnungswesen weiter zu beschäftigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 ZPO.

Der gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG urteilweisende Streitwert war für die Anträge 1) und 2) je mit dem einfachen Betrag der Bruttomonatsvergütung der Klägerin zu bewerten.

 

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