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Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 2 Sa 289/18 – Urteil vom 14.03.2019

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 23.05.2018 – 5 Ca 63/18 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über die Wirksamkeit einer ordentlichen, auf betriebsbedingte Gründe gestützten Kündigung.

Die Beklagte betreibt in C-Stadt ein Shopping-Center mit einem Lebensmittelmarkt und beschäftigt ca. 350 Mitarbeiter. Sie unterhält u.a. eine eigene IT-Abteilung.

Der am … August 1963 geborene Kläger war seit dem 1. September 2003 bei der Beklagten als Marktleiter beschäftigt und für das gesamte operative Geschäft des Lebensmittelmarktes mit über 5.000 qm Verkaufsfläche sowie für die Führung des Personals (ca. 90 Arbeitnehmer) verantwortlich.

Mit Schreiben vom 8. Januar 2018 kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2018.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 23. Januar 2018 beim Arbeitsgericht Trier eingegangenen Kündigungsschutzklage.

Wegen des wechselseitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Trier vom 23. Mai 2018 – 5 Ca 63/18 – verwiesen.

Mit dem vorgenannten Urteil hat das Arbeitsgericht – soweit für das Berufungsverfahren von Interesse – gemäß dem Kündigungsschutzantrag zu 1. festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch Kündigung vom 8. Januar 2018 aufgelöst wird. Hinsichtlich der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils verwiesen.

Gegen das ihr am 31. Juli 2018 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 30. August 2018, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag eingegangen, Berufung eingelegt und diese nach antragsgemäßer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 31. Oktober 2018 mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2018, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag eingegangen, begründet.

Sie trägt vor, ihre Gesellschafter hätten im Juli 2017 entschieden, den Lebensmittelmarkt als Herzstück des Shopping-Centers zukunftsfähig zu machen. Denn es sei erforderlich, auf die Verwerfungen im Einzelhandel zu reagieren, die den Lebensmitteleinzelhandel zunehmend erreichten. Da Konzerne wie Amazon auch in den Lebensmittelmarkt drängen und hierzu ihre Marktmacht nutzen würden, sähen es ihre Gesellschafter als existenziell an, auf diese Herausforderungen zu reagieren. Hierzu zähle zum einen die Abkehr vom klassischen Lebensmitteleinzelhandel hin zum innovativen Einzelhändler, der sich von Versorgern, wie den Regiemärkten von Edeka, Kaufland, Real usw. grundlegend unterscheide. Erforderlich seien daher eine radikale Erneuerung des Sortiments, die Umgestaltung des Ladenbaus und die Erneuerung der Einrichtung, um den Kunden ein Einkaufserlebnis zu bieten, das Internethändler nicht bieten könnten. Der Lebensmittelmarkt werde daher künftig nicht ausschließlich der Lebensmittelversorgung dienen, sondern sie müsse die Entwicklung zum individuellen Mengenvermarkter vollziehen. Zum anderen sei die Entwicklung einer Online-Strategie erforderlich, die es bislang bei ihr nicht gebe bzw. die derzeit nicht fertiggestellt sei. Daher könne sie nicht substantiiert zu ihrer Strategie vortragen. Zwar solle zu dieser Strategie u.a. die sog. Pickup-Station gehören, an der Kunden ihre online bestellten Waren im Markt abholen könnten. Diese Maßnahme stelle jedoch nur einen Teil der Erneuerung des Lebensmittelmarktes dar und werde in ein großes Konzept eingebettet werden. Die neuen Medien sollten künftig genutzt werden, um Kunden zu erreichen und Waren zu verkaufen. Die Gesellschafter hätten daher entschieden, eine solche Online-Strategie für den Lebensmittelmarkt zu entwickeln, um den dargestellten Herausforderungen zu begegnen. Die Veränderungen des Lebensmittelmarktes und die Entwicklung einer Online-Strategie seien hierbei nicht voneinander zu trennende Maßnahmen, sondern würden Hand in Hand gehen. Sie benötige daher keinen Marktleiter, der ausschließlich die Versorgung mit Lebensmitteln beherrsche, Regale einräume und Papp-Displays aufstelle. Vielmehr benötige sie einen innovativen Kopf, der einen klassischen Lebensmittelmarkt führen könne, es aber auch verstehe, den Markt zum individuellen Mengenverwalter und hierbei aufgrund einschlägiger Berufserfahrung federführend eine Online-Strategie für den Lebensmittelmarkt zu entwickeln. Dabei seien sämtliche digitalen Hilfsmittel zu nutzen, um Kunden anzusprechen, zu erreichen und Produkte zu verkaufen. Ein solcher Marktleiter habe die gesamte Planungs- und Umsetzungsphase federführend zu begleiten und das Personal für die neue Marktsituation im Jahr 2021 weiterzuentwickeln und zu schulen. Insoweit seien die Gesellschafter und der kaufmännische Leiter, Herr Z, bei Ausspruch der Kündigung von einer Planungs- und Umsetzungsdauer von etwa zweieinhalb Jahren ausgegangen. Die Planungsphase habe im Juli 2018 begonnen. In dieser Phase sollten das neue Sortiment sowie die grundlegenden Änderungen der Sortimentsanordnung sowie der Sortimentspräsentation erarbeitet und bis dahin eine Online-Strategie entwickelt werden. Danach sollten die Planungen ab Juni 2019 in die Tat umgesetzt werden, d.h. der Markt werde umgebaut, das Warensortiment erneuert und das Personal geschult und weiterentwickelt werden, damit es mit der neuen Marktsituation umgehen könne. Mit einer Fertigstellung werde für das Jahr 2021 gerechnet. Bei der Entwicklung der unternehmerischen Entscheidung sei geprüft worden, inwieweit sich die Anforderungen an den Marktleiter aufgrund der anstehenden Planungs- und Entwicklungsphase verändern würden. Ihre Gesellschafter und Herr Z seien zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger die geänderten Anforderungen, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung einer Online-Strategie nicht erfülle und daher den Anforderungen an die Beschäftigung des Marktleiters nicht mehr gerecht werden könne. Der Kläger habe weder eine Ausbildung noch einschlägige Berufserfahrung, die ihn befähigen würde, Online-Strategien zu entwickeln. Insoweit habe sie zur Veranschaulichung angeführt, dass der Kläger in keiner Weise im Umgang mit neuen Medien versiert sei. Selbst wenn er ein Smartphone nutze, heiße dies nicht, dass er versiert sei, eine Online-Strategie zu entwickeln. Weiterhin habe sie zur Veranschaulichung angeführt, dass der Kläger seinen dienstlichen PC nicht genutzt, nur selten per E-Mail kommuniziert und weder das im Betrieb zur Kalkulation gebräuchliche Programm Excel verwendet, noch die ihm zur Verfügung gestellte Planogramm-Software genutzt habe, um die Anordnung von Waren im Regal zu planen. Auch wenn er E-Mails nutze, mache ihm dies noch nicht zum Experten, um Kunden online zu erreichen, zumal er nach Einschätzung der Gesellschafter und des kaufmännischen Leiters nicht technikaffin sei und gemäß seinem eigenen Vortrag einen vorsichtigen Umgang mit den neuen Medien pflege. Insofern sei bezeichnend, dass der Kläger darauf hingewiesen habe, die Handzettelwerbung mitverantwortet zu haben. Nach alledem erfülle der Kläger nicht das neue Anforderungsprofil, welches an den Marktleiter gestellt werde. Sie habe ihre Entscheidung umgesetzt und einen neuen Marktleiter gefunden, der das gesetzte Anforderungsprofil erfülle. Entgegen den Feststellungen des Arbeitsgerichts würden die geänderten Anforderungen an den Marktleiter sachlich gebotene, arbeitsplatzbezogene Merkmale darstellen. Sie habe sich entschieden, die Anforderungen an den Marktleiter dahingehend zu erweitern, dass neben der Fähigkeit, den Markt zum individuellen Mengenverwalter zu entwickeln, seit dem 1. Juli 2018 auch einschlägige Berufserfahrung erforderlich sei, um federführend eine Online-Strategie für den Lebensmittelmarkt entwickeln zu können. Es handele sich nicht um eine Austauschkündigung, weil es nicht darum gehe, einen besseren Marktleiter einzustellen, sondern einen Marktleiter mit anderen Fähigkeiten entsprechend der erweiterten Aufgabenstellung. Ihre unternehmerische Entscheidung habe auch greifbare Formen angenommen. Sie habe sich von dem Kläger als ihrem langjährigen und in der Versorgung erfolgreichen Marktleiter getrennt, die Anforderungen an den Marktleiter umgestellt und einen neuen Marktleiter eingestellt. Dass sie die Planungsphase erst mit dem neuen und nicht mit dem bisherigen Marktleiter starte, sei Teil der unternehmerischen Entscheidung und sachlich nachvollziehbar. Die Kündigung sei daher auch nicht verfrüht ausgesprochen worden. Soweit das Arbeitsgericht davon ausgehe, dass das geänderte Anforderungsprofil keine Qualifikationsmerkmale mit einem Bezug zur Organisation der auszuführenden Arbeiten enthalte, teile sie diese Auffassung nicht. Sie habe entschieden, die Anforderungen an den Marktleiter zu erweitern. Der Marktleiter müsse über Fähigkeiten verfügen, den Markt zum individuellen Mengenverwalter zu entwickeln und im Bereich der Entwicklung von Online-Strategien einschlägige Berufserfahrung haben, um federführend an der Strategie zu arbeiten. Die vom Arbeitsgericht angeführten Merkmale „technikaffin“, „Besitz eines Smartphones“ usw. seien keine Qualifikationsmerkmale, sondern dienten der Veranschaulichung, weshalb der Kläger für den Arbeitsplatz des Marktleiters nicht mehr geeignet sei. Für die Entwicklung einer Online-Strategie sei nicht die IT-Abteilung verantwortlich, sondern nach ihrer unternehmerischen Entscheidung der Marktleiter, der die Produkte, die Kunden und den Markt kenne. Auch sei nicht zu beanstanden, dass sie eine unternehmerische Entscheidung dahingehend treffe, ein Anforderungsprofil zu ändern, um mit einem neuen Marktleiter in die Planungsphase zu starten. Dementsprechend könne sie vor Abschluss der Planungen nicht näher definieren, wie ihre Strategie aussehen werde. Im Hinblick darauf, dass der Kläger für die Aufgabe mangels Berufserfahrung und Ausbildung nicht in Betracht komme, habe sie diesen vor Ausspruch der Kündigung auch nicht fragen müssen, ob er sich die Aufgabe zutraue. Die Kündigung sei auch verhältnismäßig. Eine Schulung des Klägers habe entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts keinen Erfolg versprochen, zumal im Urteil nicht erwähnt werde, welche Schulung sie hätte anbieten sollen, damit der Kläger das geänderte Anforderungsprofil erfüllen könne.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 23. Mai. 2018 – AZ: 5 Ca 63/18 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er erwidert, die von der Beklagten angeführte „Entwicklung zum individuellen Mengenverwalter“ sei unsubstantiiert und nicht nachvollziehbar. Der Ausdruck eines „individuellen Mengenverwalters“ sei im Lebensmitteleinzelhandel überhaupt nicht existent und die Beklagte erläutere auch in keiner Weise, was damit gemeint sein solle. Im Gegenteil räume die Beklagte selbst ein, dass sie nicht substantiiert zu ihrer Strategie vortragen könne. Der Vortrag sei auch widersprüchlich. Die Beklagte beschreibe zum einen eine angebliche Online-Strategie, um Waren über die neuen Medien zu verkaufen, zum anderen solle ein Einkaufserlebnis geboten werden, das Internethändler nicht bieten könnten. Das passe an sich bereits nicht zusammen und lasse erkennen, dass die Beklagte überhaupt keine neue Strategie habe. Weder zum Zeitpunkt der Kündigung noch zum Ablauf der Kündigungsfrist gebe es eine greifbare Änderung im Konzept. Die Beklagte gebe selbst an, dass sie bis heute zu ihrer Strategie nichts Konkretes vortragen könne. Die Beklagte habe mit ihm nicht über die behaupteten Änderungen gesprochen und ihm überhaupt nicht die Möglichkeit gegeben, seine Ideen hierzu einzubringen und sich ggf. – wenn erforderlich – noch fortzubilden. Eine erfolgreiche Marktleitung erfordere auch im Hinblick auf die Entwicklung neuer Strategien nicht, dass er diese selbst technisch umsetze. Auch der neu eingestellte Marktleiter belege aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung, dass ein Strategiewechsel nicht geplant sei. Ausweislich der als Anlage A4 vorgelegten Vorstellung des neuen Marktleiters sei dort von besonderen Fähigkeiten oder einer Änderung der Strategie nicht die Rede. Vielmehr werde betont, dass der neue Leiter der Lebensmittelabteilung die Bereiche Wein und Süßwaren weiterentwickeln wolle. Der neue Marktleiter habe keinerlei einschlägige Berufserfahrung im Online- oder Technikbereich, so dass die Anforderungen der Beklagten an den Marktleiter entgegen deren Vortrag nicht verändert worden seien. Zudem habe er eine höherwertige Ausbildung als der neu eingestellte Marktleiter. Er habe eine duale Ausbildung und sei nicht nur Einzelhandelskaufmann, sondern auch Handelsfachwirt. Weiterhin habe er Berufserfahrung in sieben verschiedenen Unternehmen und sei IHK-Ausbilder und Prüfer. Außerdem verfüge er über eine weitaus höhere und diversifiziertere Berufserfahrung im klassischen Einzelhandel, wo er bereits mehrere Strategiewechsel erfolgreich mitgeplant und umgesetzt habe. Für die angeführte Handzettelwerbung habe er die Artikel- und Preisauswahl vorgenommen. Aus diesem Grund habe er hohe Kompetenzen auch im Bereich des Marketings, die er gut auf andere Marktstrategien im Onlinebereich anwenden könne. Im Hinblick darauf, dass er unstreitig keine technische Umsetzung vornehmen solle, könnten Erfahrungen mit der Artikel- und Preisauswahl sowie der Präsentation sowohl im Rahmen der klassischen Werbung als auch bei der Onlinewerbung gleichermaßen angewandt werden. Die Entscheidung zur Kündigung selbst könne nicht die unternehmerische Entscheidung sein. Eine anderweitige unternehmerische Entscheidung sei aber nicht greifbar. Unabhängig davon hätte die Beklagte ihm vor Ausspruch einer Kündigung ermöglichen müssen, sich zur Erfüllung des – bestrittenen – neuen Anforderungsprofils weiterzubilden, was sie nicht getan habe. Pauschal persönliche Merkmale wie „Technikaffinität“ für eine Marktleiterstelle zu verlangen, stelle kein Qualifikationsmerkmal dar, zumal auch ein nicht technikaffiner Marktleiter dennoch erfolgreich einen Strategiewechsel begleiten könnte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 Buchst. b und c ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. 519, 520 ZPO).

Die Berufung der Beklagten hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht dem Kündigungsschutzantrag stattgegeben. Die von der Beklagten auf betriebsbedingte Gründe gestützte Kündigung vom 8. Januar 2018 ist sozial ungerechtfertigt i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG und damit gemäß § 1 Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam. Das Arbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass keine dringenden betrieblichen Erfordernisse vorliegen, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstehen. Das Berufungsgericht folgt den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils (I. 1. u. 2. a – d der Gründe) und stellt dies hiermit ausdrücklich gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Die hiergegen gerichteten Berufungsangriffe sind unbegründet.

I.

Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung i.S.v. § 1 KSchG können sich aus innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gründen ergeben. Eine Kündigung ist aus innerbetrieblichen Gründen gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitgeber zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren innerbetrieblicher Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt. Von den Arbeitsgerichten voll nachzuprüfen ist, ob eine derartige unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt und durch ihre Umsetzung das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist. Dagegen ist die unternehmerische Entscheidung nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Dabei unterliegt auch die Gestaltung des Anforderungsprofils eines Arbeitsplatzes der lediglich auf offenbare Unsachlichkeit zu überprüfenden Unternehmerdisposition des Arbeitgebers. Soweit für die sachgerechte Erledigung der Arbeitsaufgabe bestimmte persönliche oder sachliche Voraussetzungen erforderlich sind, kann die unternehmerische Entscheidung, welche Anforderungen an den Stelleninhaber zu stellen sind, nur auf offenbare Unsachlichkeit gerichtlich überprüft werden. Die Entscheidung des Arbeitgebers, bestimmte Tätigkeiten nur von Arbeitnehmern mit bestimmten Qualifikationen ausführen zu lassen, ist von den Arbeitsgerichten grundsätzlich zu respektieren. Auch die Organisationsentscheidung zur Umstrukturierung des gesamten oder von Teilen eines Betriebes oder einzelner Arbeitsplätze, von der das Anforderungsprofil der im Betrieb nach Umstrukturierung verbleibenden Beschäftigungsmöglichkeiten erfasst wird, unterliegt damit nur einer Missbrauchskontrolle. Wenn allerdings die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss ohne nähere Konkretisierung praktisch deckungsgleich sind, kann die Vermutung, die Unternehmerentscheidung sei aus sachlichen Gründen erfolgt, nicht unbesehen greifen. Der Arbeitgeber kann sich nicht lediglich auf seine Entscheidungsfreiheit berufen. Er muss vielmehr konkret darlegen, wie sich seine Entscheidung auf die Einsatzmöglichkeiten auswirkt und in welchem Umfang dadurch ein konkreter Änderungsbedarf besteht. Erhöhte Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers sind insbesondere dann zu stellen, wenn der Arbeitgeber durch eine unternehmerische Entscheidung das Anforderungsprofil für Arbeitsplätze ändert, die bereits mit langjährig beschäftigten Arbeitnehmern besetzt sind. Sonst hätte der Arbeitgeber die naheliegende Möglichkeit, unter Berufung auf eine nur eingeschränkt überprüfbare Unternehmerentscheidung eine missbräuchliche Umgehung des Kündigungsschutzes des betreffenden Arbeitnehmers dadurch zu erzielen, dass er in sachlich nicht gebotener Weise die Anforderungen an die Vorbildung des betreffenden Arbeitsplatzinhabers verschärft. Der Arbeitgeber hat insoweit darzulegen, dass es sich bei der zusätzlich geforderten Qualifikation für die Ausführung der Tätigkeit nicht nur um eine „wünschenswerte Voraussetzung“ für die Ausführung der Tätigkeit, sondern um ein nachvollziehbares, arbeitsplatzbezogenes Kriterium für eine Stellenprofilierung handelt (BAG 07. Juli 2005 – 2 AZR 399/04 – Rn. 31-33, NZA 2006, 266; BAG 10. Juli 2008 – 2 AZR 1111/06 – Rn. 24-26, NZA 2009, 312; BAG 02. März 2017 – 2 AZR 546/16 – Rn. 23, NZA 2017, 905). Ungeeignet für eine Stellenprofilierung ist allerdings die Festlegung rein persönlicher Merkmale ohne hinreichenden Bezug zur Arbeitsaufgabe oder solcher Merkmale, die an das Verhalten oder die Leistung des Arbeitnehmers anknüpfen (BAG 10. Juli 2008 – 2 AZR 1111/06 – Rn. 27, NZA 2009, 312). Außerdem hat der Arbeitgeber bei einer betrieblich erforderlichen Anhebung des Stellenprofils konkret darzulegen, dass die Kündigung nicht durch mildere Mittel, insbesondere Umschulung und Fortbildung des Arbeitnehmers zu vermeiden war. Welche zeitliche Dauer für eine Fortbildung des bisherigen Arbeitsplatzinhabers im Hinblick auf nunmehr gesteigerte Arbeitsplatzanforderungen dem Arbeitgeber zumutbar ist, wird dabei vom Einzelfall abhängen und für Führungspositionen und mehr oder weniger untergeordnete Tätigkeiten ggf. unterschiedlich zu bewerten sein (BAG 07. Juli 2005 – 2 AZR 399/04 – Rn. 33, NZA 2006, 266).

II.

Nach diesen Grundsätzen reicht der Vortrag der darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten zur Begründung eines dringenden betrieblichen Erfordernisses i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG gemäß der zutreffenden Annahme des Arbeitsgerichts nicht aus.

Die Beklagte hat sich auf eine im Juli 2017 getroffene unternehmerische Entscheidung berufen, den Lebensmittelmarkt als Herzstück des von ihr betriebenen Shopping-Centers zukunftsfähig zu machen. Dazu solle zum einen die Abkehr vom klassischen Lebensmitteleinzelhandel hin zum innovativen Einzelhändler zählen. Erforderlich sei daher eine radikale Erneuerung des Sortiments, die Umgestaltung des Ladenbaus und die Erneuerung der Einrichtung, um den Kunden ein Einkaufserlebnis zu bieten, das Internethändler nicht bieten könnten. Der Lebensmittelmarkt werde daher künftig nicht ausschließlich der Lebensmittelversorgung dienen, sondern sie müsse die Entwicklung zum individuellen Mengenvermarkter vollziehen. Zum anderen sei die Entwicklung einer Online-Strategie erforderlich, die es bislang bei ihr nicht gebe bzw. die derzeit nicht fertiggestellt sei. Daher könne sie nicht substantiiert zu ihrer Strategie vortragen. Zu dieser Strategie solle u.a. die sog. Pickup-Station gehören, wobei diese Maßnahme nur einen Teil der Erneuerung des Lebensmittelmarktes darstelle. Die neuen Medien sollten künftig genutzt werden, um Kunden zu erreichen und Waren zu verkaufen. Sie gehe von einer Planungs- und Umsetzungsdauer von etwa zweieinhalb Jahren aus. Die Planungsphase habe im Juli 2018 begonnen, wonach die Planungen ab Juni 2019 umgesetzt werden sollten und mit einer Fertigstellung für das Jahr 2021 gerechnet werde. Bei der Entwicklung der unternehmerischen Entscheidung habe sie geprüft, inwieweit sich die Anforderungen an den Marktleiter aufgrund der anstehenden Planungs- und Entwicklungsphase verändern würden. Dabei sei sie zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger die geänderten Anforderungen insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung einer Online-Strategie nicht erfülle und daher den Anforderungen an die Beschäftigung des Marktleiters nicht mehr gerecht werden könne. Der Kläger habe weder eine Ausbildung noch einschlägige Berufserfahrung, die ihn befähigen würde, Online-Strategien zu entwickeln.

Die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat bereits nicht nachvollziehbar dargelegt, welche Berufserfahrung und welche Ausbildung zur Erfüllung von welchem (angeblich geänderten) Anforderungsprofil mit welcher zusätzlichen Qualifikation überhaupt gefordert werden und nicht nur „wünschenswert“ sein sollen. Die Beklagte unterhält eine eigene IT-Abteilung und hat selbst ausgeführt, dass von ihr nicht vorgetragen werde, dass der Marktleiter die Maßnahmen technisch umsetzen solle. Welche Berufserfahrung und welche Ausbildung zur Entwicklung welcher Online-Strategie von der Beklagten gefordert werden soll, geht aus ihrem Vortrag nicht hervor. Soweit sich die Beklagte darauf berufen hat, dass sie die Anforderungen an den Marktleiter umgestellt und einen neuen Marktleiter eingestellt habe, ist weder vorgetragen noch ersichtlich, über welche „einschlägige Berufserfahrung“ und welche Ausbildung der neue Marktleiter – im Gegensatz zum Kläger – verfügen soll. Der Kläger hat darauf verwiesen, dass auch der vorgestellte Marktleiter keinerlei einschlägige Berufserfahrung im Online- oder Technikbereich habe. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich bei der erstinstanzlich angeführten „Technikaffinität“ um rein persönliche Merkmale, die zwar „wünschenswerte Voraussetzungen“ sein mögen, deren Festlegung jedoch für eine Stellenprofilierung ungeeignet ist, zumal für die technische Umsetzung einer nicht näher dargestellten Online-Strategie jedenfalls nicht der Kläger, sondern die bei der Beklagten vorhandene IT-Abteilung zuständig wäre. Daraufhin hat die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung selbst eingeräumt, dass die angeführte „Technikaffinität“ kein Qualifikationsmerkmal sei, sondern die verwandten Begriffe lediglich der Veranschaulichung dienten, weshalb der Kläger für den Arbeitsplatz des Marktleiters nicht mehr geeignet sei. Soweit die Beklagte angeführt hat, dass der Kläger weder eine Ausbildung noch einschlägige Berufserfahrung habe, die ihn befähigen würde, Online-Strategien zu entwickeln, hat sie nicht dargelegt, welche Ausbildung und welche Berufserfahrung künftig verlangt werden soll, bei der es sich nicht nur um eine „wünschenswerte Voraussetzung“, sondern um ein nachvollziehbares, arbeitsplatzbezogenes Kriterium für eine Stellenprofilierung handelt. Mangels näherer Darlegung, welche (IT-)Kenntnisse bzw. Qualifikationen zur Verfolgung welcher Online-Strategie zusätzlich gefordert werden, lässt sich auch nicht sagen, welche Schulung zur Erfüllung von welchem geänderten Anforderungsprofil mit welcher Qualifikation in Betracht kommt. Soweit die Beklagte beanstandet, dass im angefochtenen Urteil nicht erwähnt werde, welche Schulung sie zur Erfüllung des geänderten Anforderungsprofils dem Kläger hätte anbieten sollen, ist ihr entgegenzuhalten, dass ihr Vortrag derart unzureichend ist, dass sich nicht einmal ein bestimmter Umschulungs- und Fortbildungsbedarf angeben lässt. Wie bereits ausgeführt, hat der Arbeitgeber bei einer betrieblich erforderlichen Anhebung des Stellenprofils konkret darzulegen, dass die Kündigung nicht durch mildere Mittel, insbesondere Umschulung und Fortbildung des Arbeitnehmers zu vermeiden war. Allein die angeführte Einrichtung einer sog. Pickup-Station, an der Kunden ihre online bestellten Waren im Markt abholen können, lässt nicht erkennen, weshalb der Kläger hierfür nicht über welche geforderte Qualifikation verfügen soll, zumal die technische Umsetzung aufgrund der vorhandenen IT-Abteilung nicht dem Marktleiter obliegen soll. Mithin fehlt es an einer nachvollziehbaren Darstellung, welche zusätzlichen Qualifikationsmerkmale zur Verfolgung welcher Online-Strategie gefordert werden sollen und weshalb die Kündigung nicht durch mildere Mittel, insbesondere Umschulung und Fortbildung des Klägers zu vermeiden gewesen sein soll.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

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