Skip to content

Eigenkündigung des Arbeitnehmers bei Verweigerung der vertragsgemäßen Beschäftigung

ArbG Hamburg – Az.: 4 Ca 183/20 – Urteil vom 30.09.2021

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine Abfindung in Höhe von 26.000,00 € brutto zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.600,00 € brutto zu zahlen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

4. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 28.600,00 € € festgesetzt.

5. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche.

Die Beklagte betreibt mehr als 30 Hotels europaweit. Sie wurde von dem ehemaligen geschäftsführenden Gesellschafter G. P. gegründet. Im Jahr 2006 kam als weiterer geschäftsführender Gesellschafter M. R. hinzu. Das lokale Sales & Marketing Team besteht aus 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Klägerin war ausweislich des Zeugnisses vom 31.01.2020 (Anlage B 5, Bl. 28 f. d. A.) seit dem 01.01.2010 bei der Beklagten beschäftigt, zunächst als Manager Sales & Marketing, seit Juli 2014 als Director Sales & Marketing und ab dem 01.06.2019 als Head of Franchise & Openings. Sie arbeitete eng mit Herrn P. zusammen. Ihre Vergütung betrug zuletzt 5.200,00 € brutto monatlich.

Zu Beginn des Jahres 2019 entschied sich der 80-jährige Herr P., aus seiner aktiven Geschäftsführertätigkeit bei der Beklagten auszuscheiden, um sich nur noch mit Beratungstätigkeiten zu beschäftigen und die Beklagte dabei unter anderem bei der Akquise neuer Hotelbetriebe und deren Eröffnung zu beraten.

Am 09.09.2019 teilte Herr R. der Klägerin mit, er sei mit ihr unzufrieden, weil sie ihre Position nicht so ausübe, wie er sich dies vorgestellt habe. Die Klägerin entgegnete, sie habe kaum besser agieren können, weil Herr R. ihr keine klaren Vorgaben gegeben habe. Für den Bereich Marketing, der für die Aufgabe der Klägerin bis dahin wichtig war, hatte die Beklagte inzwischen eine Enkelin des Herrn P. eingestellt. Der Bereich Marketing wurde der Klägerin entzogen.

Im Oktober 2019 erfuhr die Klägerin von den Plänen des Herrn P. Zu dieser Zeit legte Herr P. seine Geschäftsführertätigkeit bei der Beklagten nieder und begann seine Beratungstätigkeit in den Geschäftsräumen der Beklagten.

Am 29.10.2019 gab es ein neues Organigramm der Beklagten, in dem die Klägerin nicht mehr genannt wurde. Am 08.11.2019 erhielt die Klägerin einen Vertragsentwurf vom 28.10.2019 (Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 21.01.2021, Bl. 62 f. d. A.), der vorsah, dass die Beklagte sie an das neue Unternehmen des Herrn P. (nachfolgend „X&X“) ausleiht und die Vergütung der Klägerin ab dem 01.01.2020 von der X&X übernommen und der Beklagten erstattet wird. Die Klägerin lehnte den Abschluss dieser Vereinbarung ab.

Die Beklagte entband die Klägerin mehr und mehr von ihren Aufgaben und koppelte sie aus der Binnen- und Außen-Unternehmenskommunikation weitgehend aus. Sie durfte an keinen Meetings mehr teilnehmen und wurde auch von der Unternehmenswebsite gelöscht. Den Vorschlag, das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten selbst zu beenden, ohne eine Abfindung zu erhalten, und Arbeitnehmerin der neu gegründeten X&X zu werden, lehnte sie wegen der mit einem derartigen Wechsel verbundenen Unsicherheiten ab.

Die Klägerin, vertreten durch ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten, warf der Beklagten vor, sie nicht mehr in ihrer vertraglichen Tätigkeit einzusetzen. In der E-Mail ihres Prozessbevollmächtigten vom 04.12.2019 (Anlage B 1, Bl. 22 d. A.) heißt es:

„… Es wird mehr und mehr deutlich, dass sie Frau U. loswerden wollen aber nicht bereit sind, dafür auch nur einen Cent zu zahlen. Dieses Konzept wird nicht aufgehen. Sie können Frau U. nicht an X&X ausleihen, da X&X nicht zum Konzern gehört. Sie haben eine Verpflichtung, Frau U. einzusetzen und zwar vertragsgemäß …“

Die Beklagte antwortete mit E-Mail vom 05.12.2019 (Anlage B 2, Bl. 23 d. A.), in der die Klägerin vor die Alternative gestellt wird, zur X&X zu wechseln und das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten selbst zu kündigen oder bei der Beklagten zu bleiben.

Vom 09.12.2020 bis zum 17.01.2020 war die Klägerin arbeitsunfähig krank.

Mit seiner E-Mail vom 20.12.2019 (Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 24.11.2020, Bl. 47 d. A.) rügte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin deren Ausschluss von wesentlichen Funktionen ihrer vertraglichen Tätigkeit und ihre Entfernung von der Unternehmenswebsite und forderte die Beklagte mit Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen auf, die Klägerin bis zum Jahreswechsel wieder auf der Unternehmenswebsite zu präsentieren und mitzuteilen, an welchen Terminen sie im ersten Quartal 2020 teilzunehmen habe und in welcher Funktion. Am 13.01.2020 mahnte er die Beklagte erneut ab. Die Beklagte reagierte am selben Tag und lehnte Änderungen in der Kommunikation ab.

Mit Schreiben vom 16.01.2020 (Anlage B 3, Bl. 24 d. A.), das der Beklagten am 20.01.2020 zuging, kündigte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin das Arbeitsverhältnis der Parteien „fristlos“ zum 31.01.2020.

Seit Mitte Februar 2020 ist die Klägerin bei einem anderen Hotelunternehmen beschäftigt.

Mit ihrer Klage vom 17.07.2020 macht die Klägerin Schadensersatz geltend. Sie begehrt eine Abfindung in Höhe von 26.000,00 € brutto und den entgangenen Verdienst für die erste Hälfte des Monats Februar 2020 in Höhe von 2.600,00 € brutto.

Die Klägerin trägt vor, die Beklagte habe sie systematisch degradiert und kaltgestellt. Daher habe sie das Arbeitsverhältnis nach § 626 BGB aus wichtigem Grund kündigen dürfen. Die Beklagte habe deshalb den ihr daraus entstandenen Schaden zu ersetzen.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin eine Abfindung in Höhe von 26.000,00 € brutto zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.600,00 € brutto zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, die Klägerin habe immer mehr unmittelbar für Herrn P. gearbeitet. Es sei ihr Wunsch gewesen, in dessen neues Unternehmen zu wechseln und zu diesem Zweck eine Kündigung und eine ungerechtfertigte Abfindung von der Beklagten zu erhalten. Die Beklagte habe die Eigenkündigung der Klägerin nicht verursacht und nicht verschuldet. Die Beklagte habe die Klägerin auch nicht aus dem Unternehmen drängen wollen. Sie sei bereit gewesen, die Klägerin nach Auslaufen ihrer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vertragsgemäß weiter zu beschäftigen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens beider Parteien und ihrer Beweisangebote wird ergänzend auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die zu Protokoll gegebenen Erklärungen verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin kann von der Beklagten Schadensersatz in der geltend gemachten Höhe verlangen.

1. Die Klägerin kann von der Beklagten als Schadensersatz gemäß § 628 Abs. 2 BGB iVm. §§ 9, 10, 13 KSchG analog eine Abfindung in Höhe von 26.000,00 € brutto verlangen.

a) Für die Kündigung bestand ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB. Dies ist Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch nach § 628 Abs. 2 BGB (BAG 14.12.2011 – 5 AZR 439/10 – Rn. 31 mwN).

aa) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, das heißt typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 15 mwN).

bb) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.

(1) Die Weigerung des Arbeitgebers, einen Arbeitnehmer vertragsgemäß zu beschäftigen, kann einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung durch den Arbeitnehmer bilden, und zwar selbst dann, wenn der Arbeitgeber bereit ist, das vereinbarte Gehalt weiter zu zahlen (BAG 15.06.1972 – 2 AZR 345/71, Rn. 18 bei juris). Der Arbeitnehmer hat nämlich grundsätzlich einen Beschäftigungsanspruch, weil es für ihn nicht nur darauf ankommt, sein Gehalt zu erhalten, sondern auch darauf, sich im Arbeitsverhältnis entsprechend seinen Fähigkeiten und Leistungen fachlich und persönlich zu entfalten (BAG aaO mwN).

Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf vertragsgemäße Beschäftigung folgt aus §§ 611 und 613 BGB i.V.m. § 242 BGB unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen der Art. 1 und 2 GG über den Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers und der sich daraus ergebenden arbeitsvertraglichen Förderungspflicht der Beschäftigungsinteressen des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber (BAG 27.02.1985 – GS 1/84 – Rn. 38, 50 bei juris). Dem können nur ausnahmsweise im Einzelfall überwiegende schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen (BAG aaO Rn. 70). Solche ausnahmsweise überwiegenden schutzwürdigen Interessen der Beklagten sind weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Eine Suspendierung des Arbeitnehmers ist auch bei Fortzahlung der Vergütung nur bei einem besonders schutzwürdigen Interesse des Arbeitgebers, an dessen Voraussetzungen strenge Anforderungen zu stellen sind, zulässig. Dabei ist eine teilweise Entziehung von wesentlichen Aufgaben nicht anders zu bewerten als eine völlige Suspendierung, weil das Verlangen, nur noch weniger verantwortungsvolle Aufgaben zu verrichten, demütigender sein kann als eine völlige Nichtbeschäftigung (BAG 15.06.1972 – 2 AZR 345/71, Rn. 19 bei juris).

(2) Danach besteht im vorliegenden Fall an sich ein wichtiger Grund für die von der Klägerin ausgesprochene außerordentliche Kündigung. Die Beklagte hat der Klägerin wesentliche Aufgaben entzogen. Das gilt zunächst für den Bereich Marketing, der für die Aufgabe der Klägerin als Head of Franchise & Openings wichtig war. Für diesen Bereich stellte die Beklagte eine Enkelin des Herrn P. ein. Am 29.10.2019 gab es ein neues Organigramm der Beklagten, in dem die Klägerin nicht mehr genannt wurde. Die Beklagte entband die Klägerin mehr und mehr von ihren Aufgaben und koppelte sie aus der Binnen- und Außen-Unternehmenskommunikation weitgehend aus. Sie durfte an keinen Meetings mehr teilnehmen und wurde auch von der Unternehmenswebsite gelöscht.

(3) Der Klägerin war die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist – nicht zumutbar. Sie hatte die Beklagte vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung bereits zweimal einschlägig abgemahnt, zunächst mit der E-Mail ihres Prozessbevollmächtigten vom 20.12.2019 und sodann noch einmal am 13.01.2020.

Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, sie sei bereit gewesen, die Klägerin nach Auslaufen ihrer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vertragsgemäß weiter zu beschäftigen. Das hat sie erst im vorliegenden Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung vom 30.09.2021 erklärt. Im maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der außerordentlichen Kündigung am 20.01.2020 konnte die Klägerin nach ihren beiden erfolglosen Abmahnungen nicht von einer solchen Bereitschaft ausgehen.

Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Klägerin grundsätzlich lieber für das neue Unternehmen des Herrn P. gearbeitet hätte. Auch wenn man dies zugunsten der Beklagten unterstellt, ist es nicht zu beanstanden, dass die Klägerin einen Arbeitgeberwechsel nur bei Zahlung einer Abfindung für den Verlust des bei der Beklagten erworbenen Bestandsschutzes in Betracht zog. In dem neuen Unternehmen des Herrn P. hätte die Klägerin keinen allgemeinen Kündigungsschutz nach § 1 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 KSchG genossen, solange sie noch nicht länger als sechs Monate dort beschäftigt gewesen wäre (§ 1 Abs. 1 KSchG) und die X&X nicht in der Regel mehr als 10 Arbeitnehmer iSd. § 23 Abs. 1 KSchG beschäftigt hätte.

Der Klägerin kann auch nicht ihre krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 09.12.2020 bis zum 17.01.2020 entgegengehalten werden. Zwar konnte die Beklagte die Klägerin in diesem Zeitraum nicht beschäftigen. Sie hätte aber auf die beiden Abmahnungen der Klägerin zumindest ihre Bereitschaft zu einer zukünftig wieder vertragsgemäßen Beschäftigung einschließlich der Wiederaufnahme der Klägerin in das Organigramm und auf der Website der Beklagten erklären können und müssen.

b) Die Klägerin hat die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB eingehalten. Dies ist Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch nach § 628 Abs. 2 BGB (BAG 26.07.2001 – 8 AZR 739/00 – Rn. 35 mwN).

aa) Nach § 626 Abs. 2 BGB beginnt die Ausschlussfrist mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Hierbei ist zu unterscheiden, ob der Kündigungsgrund aus einem in sich abgeschlossenen Lebenssachverhalt hergeleitet wird oder aus einem sog. Dauertatbestand. Ein Dauertatbestand liegt vor, wenn fortlaufend neue kündigungsrelevante Tatsachen eintreten, die zur Störung des Arbeitsverhältnisses führen. In derartigen Fällen ist die Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten, wenn bis in die letzten zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung der Dauertatbestand angehalten hat und damit die Störung des Arbeitsverhältnisses noch nicht abgeschlossen war (BAG 26.07.2001 – 8 AZR 739/00 – Rn. 37 mwN).

bb) Danach hat die Klägerin die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB eingehalten. Das fortlaufende Unterlassen vertragsgemäßer Beschäftigung und einer entsprechenden Bereitschaftserklärung während der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit der Klägerin trotz zweifacher Abmahnung war ein Dauertatbestand, der sich an jedem Tag von neuem realisierte und bis zum Ausspruch der außerordentlichen Kündigung anhielt.

c) Die Klägerin hat durch die Kündigung den Bestandsschutz im Rahmen des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten verloren und deshalb einen Abfindungsanspruch in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10, 13 KSchG.

aa) Der Ersatz des sog. Auflösungsschadens umfasst grundsätzlich die Pflicht, den Anspruchsberechtigten so zu stellen, wie er bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses stehen würde (§§ 249 ff. BGB), weil der Anspruch aus § 628 Abs. 2 BGB auf das volle Erfüllungsinteresse geht. Daraus folgt, dass dem Arbeitnehmer bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist der entgangene Verdienst im Wege des Schadensersatzes vom Arbeitgeber zu ersetzen ist (BAG 21.05.2008 – 8 AZR 623/07 – Rn. 28 mwN). Zu diesem, auf den Zeitraum der fiktiven Kündigungsfrist beschränkten Schadensersatzanspruch wegen Verdienstausfalles kann ein Anspruch auf eine den Verlust des Bestandsschutzes des Arbeitsverhältnisses ausgleichende angemessene Entschädigung entsprechend §§ 9, 10, 13 KSchG hinzutreten. Der kündigende Arbeitnehmer hat nämlich – veranlasst durch das vertragswidrige Verhalten des Arbeitgebers – auf den durch die Kündigungsschutzbestimmungen vermittelten Bestandsschutz verzichtet. Den Arbeitnehmer trifft neben der für die Dauer der Kündigungsfrist entfallenen Vergütung ein weiterer wirtschaftlicher Verlust, für den er einen angemessenen Ausgleich verlangen kann. Für die Bemessung dieses Ausgleiches bietet es sich an, auf die Abfindungsregelungen der §§ 9, 10, 13 KSchG abzustellen. Die Lage des wegen schuldhafter Vertragspflichtverletzung des Arbeitgebers selbst kündigenden Arbeitnehmers ist mit derjenigen des unberechtigt gekündigten Arbeitnehmers vergleichbar, der einen Auflösungsantrag nach § 9 oder § 13 KSchG gestellt hat, weil ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist (BAG aaO mwN). Voraussetzung für den Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers ist jedoch, dass im Falle einer unberechtigten Arbeitgeberkündigung die §§ 9, 10 und/oder 13 KSchG Anwendung fänden (BAG aaO).

Eine Entschädigung nach § 628 Abs. 2 BGB iVm. §§ 9, 10, 13 KSchG analog ist immer dann zu zahlen, wenn der durch das Kündigungsschutzgesetz vermittelte Bestandsschutz verloren geht. Das Gesetz bestimmt in §§ 9, 10, 13 KSchG den Wert des Bestandsschutzes, wenn das Festhalten am Arbeitsplatz für den Arbeitnehmer unzumutbar ist. Diese gesetzliche Wertung rechtfertigt es, den Verlust des Bestandsschutzes als normative Schadensposition anzuerkennen. Für die Feststellung des Schadens kommt es daher nicht darauf an, ob unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände eine Abfindung gezahlt worden wäre, sondern darauf, ob der Arbeitnehmer in einem durch das Kündigungsschutzgesetz bestandsgeschützten Arbeitsverhältnis gestanden hat (BAG 21.05.2008 – 8 AZR 623/07 – Rn. 31).

Ein Entschädigungsanspruch nach § 628 Abs. 2 BGB wegen des Verlustes des Bestandsschutzes setzt neben der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes weiter voraus, dass der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Arbeitnehmerkündigung das Arbeitsverhältnis seinerseits nicht selbst hätte kündigen dürfen, dass also kein Kündigungsgrund iSd. § 1 Abs. 2 KSchG oder § 626 BGB bestanden hat (BAG 21.05.2008 – 8 AZR 623/07 – Rn. 33).

bb) Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.

(1) Die Klägerin stand in einem durch das Kündigungsschutzgesetz bestandsgeschützten Arbeitsverhältnis. Das Arbeitsverhältnis bestand seit 2010 und damit länger als sechs Monate (§ 1 Abs. 1 KSchG) und die Beklagte beschäftigte mehr als 10 Arbeitnehmer, sodass der erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes (§§ 1 – 14) auf das Arbeitsverhältnis Anwendung fand (§ 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG).

bb) Die Beklagte hätte das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt der Kündigung auch nicht selbst kündigen können. Auf einen solchen Kündigungsgrund beruft sie sich selbst auch nicht.

cc) Die von der Klägerin begehrte Höhe der Abfindung ist nicht zu beanstanden. Sie beträgt rechnerisch ein halbes Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr und entspricht damit der Berechnung nach § 1a Abs. 2 KSchG, die auch im Rahmen des § 10 KSchG unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Streitfalls in Betracht kommt (BAG 21.06.2012 – 21.06.2012 – 2 AZR 694/11 – Rn. 42). Diese Abfindungshöhe ist auch im Rahmen des Abfindungsanspruchs der Klägerin nach § 628 Abs. 2 BGB iVm. §§ 9, 10, 13 KSchG analog nach Auffassung der Kammer unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Streitfalls angemessen.

2. Die Klägerin hat nach § 628 Abs. 2 BGB auch einen Schadensersatzanspruch wegen des entgangenen Verdienstes für die erste Hälfte des Monats Februar 2020 in Höhe von 2.600,00 € brutto.

Wie bereits oben unter 1 c aa ausgeführt wurde, ist dem Arbeitnehmer bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist der entgangene Verdienst im Wege des Schadensersatzes vom Arbeitgeber zu ersetzen. Die Frist für die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Klägerin betrug nach § 622 Abs. 1 BGB vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats. Da der Beklagten die außerordentliche Kündigung der Klägerin am 20.01.2020 zuging, hätte eine zum selben Zeitpunkt zugegangene ordentliche Arbeitnehmerkündigung das Arbeitsverhältnis zum 28.02.2020 beendet. Die Klägerin macht nur den entgangenen Verdienst für die erste Hälfte des Monats Februar 2020 geltend, weil sie in der zweiten Hälfte dieses Monats bereits in einem neuen Arbeitsverhältnis stand.

II.

Als unterliegende Partei des Rechtsstreits hat die Beklagte nach § 91, § 495 ZPO, 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG dessen Kosten zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG in Höhe der Summe der Klageforderungen festzusetzen.

Für den Fall, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 € nicht übersteigt, war die Berufung gemäß § 64 Abs. 3a ArbGG nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG vorliegt. Im Übrigen ist die Berufung bereits aufgrund der gesetzlichen Regelung in § 64 Abs. 2 b ArbGG zulässig.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!