Eine examinierte Pflegefachkraft forderte eine zweite Entgeltfortzahlung, weil eine geplante Operation lückenlos auf ihre mehrmonatige psychische Erkrankung folgte. Trotz zwei medizinisch getrennter Diagnosen musste sie vor Gericht beweisen, wann ihre erste Arbeitsunfähigkeit tatsächlich endete.
Übersicht:
- Wann schließt eine neue Krankheit die Lohnfortzahlung aus? Die „Einheit des Verhinderungsfalls“ im Härtetest
- Was war genau passiert? Eine lückenlose Kette von Krankmeldungen
- Welche rechtliche Frage entscheidet über den Anspruch auf Lohnfortzahlung?
- Warum entschied das Gericht gegen die Pflegefachkraft – und nicht anders?
- Was bedeutet dieses Urteil für Ihre Rechte bei Folgeerkrankungen?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Zahlt der Arbeitgeber zweimal sechs Wochen Lohnfortzahlung, wenn eine neue Krankheit folgt?
- Was bedeutet die „Einheit des Verhinderungsfalls“ für meinen Anspruch auf Lohnfortzahlung?
- Wie kann ich beweisen, dass meine erste Krankheit wirklich beendet war?
- Was tun, wenn mein Arbeitgeber wegen fortlaufender Therapie die neue Lohnfortzahlung ablehnt?
- Wie muss mein Arzt das Ende meiner Arbeitsunfähigkeit gerichtsfest dokumentieren?
- Glossar
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 7 Sa 336/18 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
- Datum: 26.09.2018
- Aktenzeichen: 7 Sa 336/18
- Verfahren: Berufung
- Rechtsbereiche: Entgeltfortzahlung, Arbeitsrecht, Beweislast
- Das Problem: Eine Arbeitnehmerin forderte zusätzliche sechs Wochen Lohnfortzahlung vom Arbeitgeber. Sie war wegen einer psychischen Erkrankung lange arbeitsunfähig und wurde danach sofort wegen einer gynäkologischen Operation arbeitsunfähig.
- Die Rechtsfrage: Habe ich als Arbeitnehmer Anspruch auf eine erneute volle Lohnfortzahlung von sechs Wochen, wenn eine zweite, völlig andere Krankheit sofort nach dem behaupteten Ende der ersten, langen Erkrankung beginnt?
- Die Antwort: Nein, der Anspruch wurde abgewiesen. Die Arbeitnehmerin konnte nicht beweisen, dass die erste psychische Erkrankung tatsächlich und vollständig vor dem Beginn der zweiten Erkrankung beendet war.
- Die Bedeutung: Tritt eine zweite Erkrankung lückenlos an eine erste an, gilt dies rechtlich als ein einziger Verhinderungsfall. Der Arbeitnehmer muss beweisen, dass die erste Arbeitsunfähigkeit zwischenzeitlich tatsächlich geendet hat, um einen neuen Zahlungsanspruch auszulösen.
Wann schließt eine neue Krankheit die Lohnfortzahlung aus? Die „Einheit des Verhinderungsfalls“ im Härtetest

Beginnt mit jeder neuen Krankheit auch ein neuer Anspruch auf sechs Wochen Lohnfortzahlung? Nicht immer. Wenn eine neue Erkrankung auftritt, während eine alte noch andauert, kann der Anspruch bereits verbraucht sein. Genau diese komplexe Abgrenzung musste das Landesarbeitsgericht Niedersachsen in seinem Urteil vom 26. September 2018 (Az. 7 Sa 336/18) klären. Im Mittelpunkt stand eine langjährige Pflegefachkraft, die nach monatelanger psychischer Arbeitsunfähigkeit unmittelbar im Anschluss wegen einer gynäkologischen Operation erneut ausfiel. Der Fall drehte sich um die entscheidende Frage: War die erste Erkrankung wirklich beendet, als die zweite begann, oder handelte es sich um einen einzigen, ununterbrochenen Krankheitsfall – eine sogenannte „Einheit des Verhinderungsfalls„?
Was war genau passiert? Eine lückenlose Kette von Krankmeldungen
Die Klägerin war seit 2001 als examinierte Pflegefachkraft für die Beklagte tätig. Anfang 2017 begann für sie eine schwere Zeit mit mehreren Krankheitsphasen. Nach einer ersten Erkrankung im Januar war sie ab dem 7. Februar 2017 durchgehend wegen einer psychischen Erkrankung arbeitsunfähig geschrieben. Die letzte Folgebescheinigung ihrer Hausarztpraxis attestierte diese Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich Donnerstag, den 18. Mai 2017.
Direkt am nächsten Tag, Freitag, dem 19. Mai, unterzog sich die Pflegefachkraft einer geplanten gynäkologischen Operation. Ihre Frauenärztin stellte ihr dafür eine neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus, die eine Krankheit vom 19. Mai bis Ende Juni bescheinigte. Für diesen zweiten Zeitraum zahlte die Arbeitgeberin jedoch keine Entgeltfortzahlung mehr. Ihre Begründung: Der sechswöchige Anspruch sei bereits durch die vorangegangene psychische Erkrankung vollständig aufgebraucht. Die neue, gynäkologische Erkrankung sei lediglich während der noch andauernden psychischen Erkrankung hinzugekommen. Es liege daher eine „Einheit des Verhinderungsfalls“ vor.
Die Pflegefachkraft sah das anders. Sie argumentierte, die psychische Arbeitsunfähigkeit habe pünktlich am 18. Mai geendet. Die Arbeitsunfähigkeit wegen der Operation sei eine neue, eigenständige Erkrankung, die erst am 19. Mai begonnen habe. Damit stehe ihr ein neuer, sechswöchiger Anspruch auf Lohnfortzahlung in Höhe von 3.364,90 € brutto zu. Das Arbeitsgericht Hannover gab ihr in erster Instanz Recht. Doch die Arbeitgeberin legte Berufung ein und der Fall landete vor dem Landesarbeitsgericht.
Welche rechtliche Frage entscheidet über den Anspruch auf Lohnfortzahlung?
Das deutsche Arbeitsrecht regelt die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall klar im Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Der Grundsatz nach § 3 Abs. 1 EFZG lautet: Wer unverschuldet krank wird, hat Anspruch auf bis zu sechs Wochen Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber. Tritt nach dem Ende dieser Erkrankung und nach Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit zu einem späteren Zeitpunkt eine neue Krankheit auf, entsteht ein neuer Anspruch auf sechs Wochen Entgeltfortzahlung.
Der Knackpunkt in diesem Fall war jedoch die vom Bundesarbeitsgericht entwickelte Rechtsfigur der Einheit des Verhinderungsfalls. Dieser Grundsatz besagt: Wenn ein Arbeitnehmer bereits wegen einer Krankheit arbeitsunfähig ist und während dieser Zeit eine weitere, neue Krankheit hinzutritt, wird der Sechs-Wochen-Zeitraum nicht unterbrochen oder neu gestartet. Beide Krankheiten zusammen bilden einen einheitlichen Verhinderungsfall. Der Anspruch auf Lohnfortzahlung ist dann auf insgesamt sechs Wochen seit Beginn der ersten Erkrankung begrenzt.
Für den Anspruch der Pflegefachkraft war also eine einzige Frage entscheidend: War ihre Arbeitsunfähigkeit aufgrund der psychischen Erkrankung am Abend des 18. Mai 2017 tatsächlich beendet, sodass sie – wenn auch nur für wenige Stunden in der Nacht – theoretisch wieder arbeitsfähig war, bevor die Arbeitsunfähigkeit durch die Operation am 19. Mai begann? Nur wenn diese „Logische Sekunde“ der Gesundheit existierte, hätte ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entstehen können.
Warum entschied das Gericht gegen die Pflegefachkraft – und nicht anders?
Das Landesarbeitsgericht änderte das erstinstanzliche Urteil und wies die Klage der Pflegefachkraft ab. Die Richter kamen nach einer umfassenden Beweisaufnahme zu dem Schluss, dass die Klägerin nicht nachweisen konnte, dass die psychische Erkrankung tatsächlich am 18. Mai beendet war. Die Argumentation des Gerichts folgte einer klaren juristischen Logik, die sich in mehreren Schritten aufbaute.
Die Beweislast: Wer muss das Ende einer Krankheit beweisen?
Zunächst stellte das Gericht die Regeln zur Darlegungs- und Beweislast klar. Grundsätzlich muss der Arbeitnehmer, der Lohnfortzahlung verlangt, das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit beweisen. Dafür legt er in der Regel eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Diese hat einen hohen Beweiswert.
Die Arbeitgeberin zweifelte hier aber nicht die Existenz der Krankheiten an, sondern behauptete, die erste Krankheit habe über das auf der Bescheinigung genannte Datum hinaus fortgedauert. Wenn ein Arbeitgeber solch einen Zweifel mit stichhaltigen Indizien untermauert, kehrt sich die Beweislast um. Dann reicht die bloße Bescheinigung nicht mehr aus. Der Arbeitnehmer muss dann den vollen Beweis erbringen, dass die erste Arbeitsunfähigkeit tatsächlich an dem bescheinigten Tag endete. Genau an dieser Hürde scheiterte die Klägerin.
Die Indizien der Arbeitgeberin: Warum die psychische Erkrankung als fortbestehend galt
Die Arbeitgeberin legte dem Gericht eine Reihe von überzeugenden Indizien vor, die Zweifel am Ende der psychischen Erkrankung am 18. Mai aufkommen ließen:
- Die lange Dauer der Erkrankung: Die psychische Arbeitsunfähigkeit bestand bereits seit über drei Monaten (seit dem 7. Februar 2017). Eine solch langwierige Erkrankung endet selten abrupt an einem willkürlich erscheinenden Datum.
- Die fortlaufende Medikation: Die Pflegefachkraft nahm seit März das Antidepressivum Citalopram ein und setzte diese Behandlung auch im Juli noch fort. Eine durchgehende medikamentöse Behandlung deutet stark auf ein Fortbestehen der Grunderkrankung hin.
- Die Suche nach Therapie: Die Klägerin war bereits aktiv auf der Suche nach einem Psychotherapieplatz und begann eine solche Therapie tatsächlich im Juli 2017. Auch dies sprach dafür, dass die psychische Belastung nicht plötzlich am 18. Mai verschwunden war.
Das Gericht wertete diese unbestrittenen Fakten als so gewichtig, dass der Beweiswert der ärztlichen Bescheinigung erschüttert war. Nun lag es an der Pflegefachkraft, das Gegenteil zu beweisen.
Das Scheitern des Gegenbeweises: Warum die Zeugenaussagen der Ärzte nicht überzeugten
Um den Beweis für das Ende ihrer psychischen Erkrankung zu erbringen, benannte die Klägerin die Mitarbeiter der ausstellenden Hausarztpraxis als Zeugen. Doch deren Aussagen konnten das Gericht nicht überzeugen – im Gegenteil.
- Der Hausarzt Dr. E.: Er gab zu, die Klägerin zuletzt Ende März/Anfang April als „völlig fertig“ erlebt und danach nicht mehr selbst behandelt zu haben. Er konnte keine medizinischen Befunde oder Untersuchungen benennen, die die Prognose rechtfertigten, die Arbeitsunfähigkeit würde exakt am 18. Mai enden. Seine Aussage war für den entscheidenden Zeitpunkt ohne Substanz.
- Die medizinische Fachangestellte G.: Sie hatte die letzte Folgebescheinigung in Vertretung unterschrieben. Sie räumte ein, dies ohne eigene Untersuchung oder ein ausführliches Gespräch mit der Patientin getan zu haben. Auch sie konnte keine medizinischen Gründe für das spezifische Enddatum nennen.
Die Beweisaufnahme offenbarte, dass die Krankschreibung bis zum 18. Mai offenbar ohne eine konkrete ärztliche Untersuchung oder eine fundierte medizinische Prognose ausgestellt worden war. Es fehlte jeder Nachweis, dass an diesem Tag eine Besserung eingetreten war. Da die Klägerin den ihr obliegenden Beweis nicht führen konnte, ging das Gericht von der von der Arbeitgeberin dargelegten Version aus: Die psychische Erkrankung dauerte über den 18. Mai hinaus an. Die Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Operation trat also während einer bereits bestehenden Arbeitsunfähigkeit ein. Damit lag eine Einheit des Verhinderungsfalls vor, und ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung bestand nicht.
Was bedeutet dieses Urteil für Ihre Rechte bei Folgeerkrankungen?
Der Fall zeigt eindrücklich, dass eine lückenlose Kette von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht automatisch einen neuen Anspruch auf Lohnfortzahlung auslöst. Die „Einheit des Verhinderungsfalls“ ist eine wichtige Ausnahme, die Arbeitgeber vor doppelten Zahlungsverpflichtungen schützt. Für Arbeitnehmer bedeutet das Urteil vor allem eines: Auf die Qualität und Nachvollziehbarkeit der ärztlichen Atteste kommt es im Streitfall entscheidend an.
Checkliste: Wann ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung entsteht
- Der Grundsatz: Neue Krankheit, neuer Anspruch.
Wenn Sie nach einer Krankheit wieder arbeitsfähig sind und später wegen einer völlig anderen Ursache erneut erkranken, beginnt der Sechs-Wochen-Zeitraum der Entgeltfortzahlung von Neuem. - Die Ausnahme: Die „Einheit des Verhinderungsfalls“.
Tritt eine neue Krankheit hinzu, während Sie wegen einer anderen Krankheit bereits arbeitsunfähig sind, entsteht kein neuer Anspruch. Der Sechs-Wochen-Zeitraum läuft einfach weiter. - Die Rolle der ärztlichen Bescheinigung.
Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist Ihr wichtigster Beleg. Sie beweist zunächst, dass und wie lange Sie krank sind. Ihr Beweiswert ist hoch, aber nicht unumstößlich. - Die Macht der Gegenindizien.
Ein Arbeitgeber kann den Beweiswert Ihrer Bescheinigung erschüttern, wenn er stichhaltige Indizien für ein Fortbestehen der Ersterkrankung vorlegt (z. B. durchgehende Medikation, laufende Therapien, Art und Dauer der Krankheit). - Ihre entscheidende Beweislast im Streitfall.
Gelingt es Ihrem Arbeitgeber, begründete Zweifel zu säen, müssen Sie vor Gericht den vollen Beweis erbringen, dass die erste Krankheit tatsächlich beendet war, bevor die zweite begann. Wie das Urteil zeigt, reicht eine reine „Schreibtisch-Krankschreibung“ ohne aktuelle Untersuchung dafür nicht aus. Sorgen Sie daher besonders bei geplanten Folgebehandlungen dafür, dass das Ende einer vorangehenden Arbeitsunfähigkeit ärztlich fundiert und nachvollziehbar dokumentiert ist.
Die Urteilslogik
Die Abgrenzung zwischen zwei aufeinanderfolgenden Krankheiten entscheidet darüber, ob der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach Ablauf der Sechs-Wochen-Frist neu entsteht.
- Die Einheit des Verhinderungsfalls begrenzt den Anspruch: Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung beginnt nicht erneut, wenn eine zweite Krankheit hinzukommt, während die Arbeitsunfähigkeit aufgrund der ursprünglichen Erkrankung noch andauert.
- Nachweis der Arbeitsfähigkeit obliegt dem Arbeitnehmer: Macht der Arbeitgeber berechtigte Zweifel an der Genesung geltend, muss der Arbeitnehmer zweifelsfrei beweisen, dass die ursprüngliche Arbeitsunfähigkeit vollständig beendet war, bevor die neue Erkrankung eine erneute Verhinderung der Arbeitsleistung begründete.
- Gegenindizien widerlegen den Attest-Beweiswert: Der Arbeitgeber kann den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern, indem er gewichtige Indizien für die Fortdauer der Ersterkrankung vorbringt, etwa eine durchgehende medikamentöse Behandlung oder die anhaltende Notwendigkeit psychotherapeutischer Maßnahmen.
Die Qualität der ärztlichen Dokumentation und die lückenlose Beweisbarkeit der Genesung sind ausschlaggebend dafür, ob für eine Folgeerkrankung ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht.
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Experten Kommentar
Viele Arbeitnehmer gehen davon aus, dass eine lückenlose Kette an Krankschreibungen automatisch neue Zahlungen auslöst. Dieses Urteil zieht hier eine klare rote Linie: Wenn es um die Abgrenzung der Einheit des Verhinderungsfalls geht, reicht die Unterschrift des Arztes allein nicht, um einen neuen Anspruch auf Entgeltfortzahlung zu begründen. Wer nach einer langen Krankheit direkt in eine neue Arbeitsunfähigkeit rutscht, muss lückenlos beweisen, dass die erste Erkrankung tatsächlich beendet war – die bloße Schreibtisch-Bescheinigung ohne fundierte Untersuchung ist vor Gericht angreifbar. Arbeitgeber können den Beweiswert des Attests mit stichhaltigen Indizien, wie fortlaufender Therapie oder Medikation, erfolgreich kippen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Zahlt der Arbeitgeber zweimal sechs Wochen Lohnfortzahlung, wenn eine neue Krankheit folgt?
Nein, das ist nicht automatisch der Fall. Nach § 3 Abs. 1 EFZG beginnt der Anspruch nur neu, wenn die erste Krankheit tatsächlich und lückenlos beendet war. War die Arbeitsunfähigkeit der ersten Krankheit zum Zeitpunkt des Eintritts der neuen Erkrankung noch nicht abgeschlossen, spricht man von der Einheit des Verhinderungsfalls. In diesem Fall läuft die Sechs-Wochen-Frist ab dem Beginn der ersten Erkrankung ununterbrochen weiter.
Der Gesetzgeber gewährt Arbeitnehmern einen neuen Lohnfortzahlungsanspruch, wenn sie nach vollständiger Genesung zu einem späteren Zeitpunkt erneut erkranken. Juristisch entscheidend ist dabei, ob zwischen dem Ende der ersten und dem Beginn der zweiten Arbeitsunfähigkeit eine „logische Sekunde“ der Genesung lag. Fehlt diese Unterbrechung, greift die vom Bundesarbeitsgericht entwickelte Rechtsfigur. Sie dient dem Schutz des Arbeitgebers vor einer doppelten Zahlungsverpflichtung bei chronisch fortlaufendem Arbeitsausfall, auch wenn sich die Diagnose gewechselt hat.
Die Beweispflicht für das tatsächliche Ende der Ersterkrankung liegt im Streitfall beim Arbeitnehmer. Wechseln Sie beispielsweise von einer langwierigen psychischen Behandlung direkt in eine geplante Operation, müssen Sie die medizinisch fundierte Wiederherstellung Ihrer Arbeitsfähigkeit vor der OP nachweisen. Eine bloße Schreibtisch-Krankschreibung, die das Enddatum ohne aktuelle Untersuchung festlegt, reicht vor Gericht oft nicht aus, um den Anspruch auf eine zweite Lohnfortzahlung zu begründen.
Überprüfen Sie Ihre AU-Bescheinigungen sofort auf lückenlose Anschlüsse und sorgen Sie für eine ärztliche Dokumentation des tatsächlichen Endes der ersten Erkrankung.
Was bedeutet die „Einheit des Verhinderungsfalls“ für meinen Anspruch auf Lohnfortzahlung?
Die Einheit des Verhinderungsfalls ist eine wichtige juristische Ausnahme, die verhindert, dass der Lohnfortzahlungsanspruch bei mehreren aufeinanderfolgenden Krankheiten stets neu beginnt. Diese Regelung fasst zwei oder mehr unterschiedliche Diagnosen zu einem einzigen Arbeitsausfall zusammen. Ist dies der Fall, bleibt Ihr Anspruch ab dem Beginn der ersten Erkrankung auf insgesamt sechs Wochen begrenzt. Arbeitgeber nutzen diesen Grundsatz, um eine unberechtigte Verlängerung der Zahlungsverpflichtung zu umgehen.
Dieser Grundsatz greift immer dann, wenn eine lückenlose Kette der Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Es kommt dabei nicht auf die medizinische Ursache oder den Wechsel der Diagnose an, sondern ausschließlich auf die Kontinuität der Verhinderung, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Die Sechs-Wochen-Frist wird durch den Eintritt der neuen Krankheit nicht neu gestartet. Sie läuft stattdessen ununterbrochen auf Basis des ursprünglichen Ausfalltages weiter.
Um einen neuen, vollen Anspruch von sechs Wochen auszulösen, muss die Arbeitsunfähigkeit der ersten Krankheit vollständig beendet gewesen sein. Gerichte sprechen hier oft von der logischen Sekunde: Nur wenn der Arbeitnehmer zwischen dem Ende der ersten und dem Beginn der zweiten Erkrankung nachweislich und theoretisch arbeitsfähig war, wird der Verhinderungsfall gebrochen. Fehlt dieser Nachweis der Genesung, gelten beide Krankheiten als einheitlicher Fall, selbst wenn die zweite Erkrankung eine völlig andere medizinische Ursache hat.
Prüfen Sie Ihre ärztlichen Unterlagen sorgfältig auf Nachweise, die eine Wiederherstellung Ihrer Arbeitsfähigkeit am letzten Tag der ersten Krankschreibung belegen, um den vollen Beweis im Streitfall zu führen.
Wie kann ich beweisen, dass meine erste Krankheit wirklich beendet war?
Sobald Ihr Arbeitgeber stichhaltige Zweifel am tatsächlichen Ende der ersten Arbeitsunfähigkeit äußert, benötigen Sie den vollen Beweis. Das bloße Enddatum auf der Krankschreibung, oft ein sogenanntes Schreibtisch-Attest, ist dann nicht mehr ausreichend. Sie müssen objektiv nachweisen, dass die Ersterkrankung vor dem Beginn der neuen Erkrankung medizinisch abgeschlossen oder zumindest stabilisiert war. Der hohe Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird damit erschüttert.
Der Arbeitgeber muss seine Zweifel mit stichhaltigen Indizien untermauern, beispielsweise durch den Nachweis fortlaufender Medikation oder aktiver Therapiesuche. Liegen solche Belege vor, kehrt sich die Beweislast um. Sie müssen dann aktiv den Gegenbeweis erbringen, dass die Arbeitsunfähigkeit der ersten Krankheit an dem bescheinigten Tag endete. Juristisch entscheidend ist dabei die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, nicht nur die formelle Diagnosestellung für die Folgeerkrankung.
Verlassen Sie sich keinesfalls auf Zeugenaussagen von Praxispersonal, das die letzte Bescheinigung lediglich in Vertretung ohne eigene Untersuchung ausstellte. Sie müssen stattdessen fundierte medizinische Befunde vorlegen. Führen Sie Abschlussuntersuchungen durch, die eine Besserung oder Heilung objektiv dokumentieren. Nur Belege, die eine konkrete medizinische Grundlage für das Ende der Ersterkrankung liefern (z.B. stabile psychische Verfassung, Abklingen akuter Symptome), überzeugen das Gericht.
Sammeln Sie frühzeitig alle medizinischen Unterlagen, die eine konkrete Besserung oder den Abschluss der Behandlung Ihrer ersten Erkrankung vor dem Startdatum der neuen AU belegen.
Was tun, wenn mein Arbeitgeber wegen fortlaufender Therapie die neue Lohnfortzahlung ablehnt?
Die Verweigerung der Lohnfortzahlung basiert oft darauf, dass die fortlaufende Einnahme von Medikamenten oder die aktive Therapiesuche als Beweis für ein ununterbrochenes Fortbestehen der Grunderkrankung gewertet wird. Sie müssen diesen Zweifel entkräften. Dafür müssen Sie klar darlegen, dass die akute, zur Arbeitsunfähigkeit führende Phase beendet war und die Behandlung nur noch der Stabilisierung oder Prävention dient.
Eine lange Dauer der ursprünglichen Krankheit, die kontinuierliche Einnahme von Medikamenten wie Antidepressiva oder das Suchen eines Therapieplatzes sind gewichtige Indizien für Gerichte. Diese Indizien deuten darauf hin, dass die ursprüngliche psychische Belastung über das auf der Krankschreibung genannte Enddatum hinaus fortdauerte. Juristisch entscheidend ist jedoch nicht die bloße Existenz einer oft chronischen Erkrankung, sondern die tatsächliche Wiedererlangung der Fähigkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.
Der wichtigste Schritt ist die präzise Dokumentation durch Ihren behandelnden Arzt. Bitten Sie ihn um eine schriftliche Bestätigung, inwiefern die aktuelle Medikation lediglich eine Erhaltungsdosis darstellt. Es muss dokumentiert werden, dass diese Dosis Ihre Arbeitsfähigkeit ab dem Stichtag nicht mehr direkt einschränkte. Versuchen Sie niemals, die Therapie oder Medikation zu verheimlichen, da dies das Vertrauen des Gerichts in Ihre gesamte Aussage untergräbt.
Kontaktieren Sie sofort Ihren Arzt und lassen Sie die Notwendigkeit der Behandlung im Hinblick auf Ihre wiederhergestellte Arbeitsfähigkeit schriftlich bewerten.
Wie muss mein Arzt das Ende meiner Arbeitsunfähigkeit gerichtsfest dokumentieren?
Um einen neuen Anspruch auf Lohnfortzahlung zu sichern, muss das Ende der ersten Arbeitsunfähigkeit juristisch nachweisbar sein. Eine bloße Enddatierung auf dem AU-Schein genügt nicht, da dieser bei Zweifeln des Arbeitgebers seinen hohen Beweiswert verliert. Ihr behandelnder Arzt muss das genaue Ende der Arbeitsunfähigkeit daher durch eine konkrete, aktuelle Untersuchung oder ein ausführliches Gespräch belegen.
Diese Nachweispflicht erfordert eine lückenlose und detaillierte Dokumentation in der Patientenakte. Bitten Sie Ihren Arzt, genau festzuhalten, auf welchen medizinischen Befunden die Entscheidung basiert. Die ärztliche Praxis sollte vermerken, welche Symptome der Ersterkrankung (zum Beispiel psychische Belastung) konkret abgeklungen sind und warum eine vollständige Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit prognostiziert wird. Es muss eine fundierte Prognose existieren.
Vermeiden Sie unbedingt, dass die letzte Bescheinigung nur als „Schreibtisch-Attest“ ohne aktuelle Konsultation erstellt wird. Vertretungspersonal, das Ihre Genesung nicht beurteilen kann, mindert den Beweiswert massiv. Die Ausstellung des Enddatums darf nicht willkürlich erfolgen, etwa pauschal am Tag vor einer geplanten Operation. Die Begründung für die Genesung der ersten Erkrankung muss nachvollziehbar sein.
Bitten Sie Ihren behandelnden Arzt proaktiv um einen kurzen Aktenvermerk, der die medizinische Begründung für das spezifische Enddatum der Arbeitsunfähigkeit schriftlich festhält.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung)
Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, oft kurz AU-Bescheinigung genannt, ist ein ärztliches Zeugnis, das die medizinisch bedingte Unfähigkeit eines Arbeitnehmers belegt, seine geschuldete Arbeit zu leisten.
Dieses wichtige Dokument dient dem Arbeitnehmer als zentraler Nachweis gegenüber dem Arbeitgeber, um den gesetzlichen Anspruch auf Lohnfortzahlung geltend zu machen, und hat vor Gericht zunächst einen hohen Beweiswert.
Beispiel: Im vorliegenden Fall verlor die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Hausarztpraxis ihren Beweiswert, weil das Gericht annahm, sie sei ohne aktuelle Untersuchung der Patientin ausgestellt worden.
Beweislast (Darlegungs- und Beweislast)
Juristen verstehen unter der Beweislast die Pflicht einer Prozesspartei, die für sie günstigen, aber von der Gegenseite bestrittenen Tatsachen vor Gericht zu beweisen.
Das Gesetz weist jeder Partei bestimmte Tatsachen zu, die sie darlegen und beweisen muss; kann dieser Nachweis nicht erbracht werden, entscheidet das Gericht zum Nachteil der beweisbelasteten Partei.
Beispiel: Die Klägerin trug im Arbeitsgerichtsprozess die Beweislast dafür, dass ihre langwierige psychische Erkrankung tatsächlich am 18. Mai 2017 beendet war, bevor die neue Arbeitsunfähigkeit begann.
Beweiswert
Der Beweiswert beschreibt die Überzeugungskraft, die ein vorgelegtes Beweismittel – beispielsweise eine ärztliche Bescheinigung – in einem Gerichtsverfahren besitzt, um eine Tatsache als wahr anzunehmen.
Obwohl der Beweiswert einer AU-Bescheinigung grundsätzlich hoch ist, kann dieser durch stichhaltige Gegenindizien, wie die fortlaufende Medikation oder die Suche nach Therapie, erschüttert werden.
Beispiel: Das Landesarbeitsgericht entschied, dass die Indizien der Arbeitgeberin, welche die Weiterführung der Medikation belegten, den hohen Beweiswert der ärztlichen Bescheinigung erfolgreich erschüttert hatten.
Einheit des Verhinderungsfalls
Die Einheit des Verhinderungsfalls ist eine vom Bundesarbeitsgericht entwickelte Rechtsfigur, die mehrere zeitlich lückenlos aufeinanderfolgende Arbeitsunfähigkeiten, selbst wenn sie auf unterschiedlichen Diagnosen beruhen, zu einem einzigen Sechs-Wochen-Anspruch zusammenfasst.
Dieser Grundsatz dient dazu, Arbeitgeber davor zu schützen, bei einem nahtlos fortlaufenden Arbeitsausfall immer wieder neu zur Lohnfortzahlung verpflichtet zu werden, nur weil die Diagnose gewechselt hat.
Beispiel: Da die psychische Erkrankung der Pflegefachkraft nahtlos in die Arbeitsunfähigkeit wegen der geplanten Operation überging, bejahte das Gericht die Einheit des Verhinderungsfalls, wodurch kein neuer Anspruch entstand.
Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG)
Dieses deutsche Sozialgesetz, das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG), bildet die rechtliche Grundlage dafür, dass Arbeitnehmer bei unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit Anspruch auf eine Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber für die Dauer von bis zu sechs Wochen haben.
Ziel des EFZG ist es, Arbeitnehmer finanziell abzusichern und ihren Lebensunterhalt zu garantieren, wenn sie aufgrund einer Erkrankung kurzzeitig arbeitsunfähig sind.
Beispiel: Gemäß § 3 Abs. 1 EFZG hätte der Anspruch der Klägerin nur dann neu begonnen, wenn die Arbeitsunfähigkeit der ersten Krankheit vor Eintritt der neuen Erkrankung tatsächlich und vollständig beendet gewesen wäre.
Logische Sekunde
Experten im Arbeitsrecht verwenden den bildhaften Begriff der logischen Sekunde, um den theoretisch kleinstmöglichen Zeitraum zu definieren, in dem ein Arbeitnehmer zwischen dem Ende der ersten und dem Beginn der zweiten Erkrankung nachweislich wieder arbeitsfähig war.
Nur wenn diese Zäsur der Genesung – diese logische Sekunde – lückenlos bewiesen werden kann, wird der ursprüngliche Verhinderungsfall gebrochen und ein neuer, voller Anspruch auf Entgeltfortzahlung ausgelöst.
Beispiel: Die Pflegefachkraft musste die Existenz dieser logischen Sekunde der Genesung beweisen, da die Arbeitsunfähigkeit durch die Operation direkt am Tag nach dem attestierten Ende der psychischen Erkrankung begann.
Das vorliegende Urteil
Landesarbeitsgericht Niedersachsen – Az.: 7 Sa 336/18 – Urteil vom 26.09.2018
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