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Einheit des Verhinderungsfalls: Keine neue Entgeltfortzahlung

Die Anwendung der Einheit des Verhinderungsfalls stand im Fokus, als ein lange kranker Mitarbeiter die Arbeit wegen der betrieblichen Maskenpflicht verweigerte. Die maskenbedingte Arbeitsverweigerung führte trotz attestierter Angststörung nicht zur gewünschten Wiederaufnahme der Lohnzahlung.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 13 Sa 288/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
  • Datum: 24.04.2024
  • Aktenzeichen: 13 Sa 288/23
  • Verfahren: Berufung
  • Rechtsbereiche: Entgeltfortzahlung, Arbeitsunfähigkeit, Direktionsrecht des Arbeitgebers

  • Das Problem: Ein Arbeitnehmer war lange krankgeschrieben und forderte danach Lohn für zwei Monate. Er behauptete, er sei zwischenzeitlich arbeitsfähig gewesen. Der Arbeitgeber lehnte die Lohnzahlung ab.
  • Die Rechtsfrage: War die erneute Krankschreibung wegen einer anderen Diagnose nur eine Fortsetzung der langen Vorkrankheit? Oder bestand ein neuer, eigenständiger Anspruch auf sechs Wochen Lohnfortzahlung?
  • Die Antwort: Nein. Das Gericht sah die verschiedenen Krankheitsphasen als eine einzige, fortlaufende Verhinderung an. Der Arbeitnehmer konnte eine echte Unterbrechung der Arbeitsunfähigkeit nicht ausreichend beweisen. Der Anspruch auf Lohnfortzahlung war daher bereits aufgebraucht.
  • Die Bedeutung: Nach einer langen Krankheit muss der Arbeitnehmer sehr konkret belegen, dass er zwischen zwei Krankschreibungen tatsächlich arbeitsfähig war. Bei engem zeitlichem Abstand gilt oft der Grundsatz, dass die Krankheit fortbesteht.

Eine neue Diagnose, ein neuer Lohnanspruch? Das Prinzip der „Einheit des Verhinderungsfalls“

Ein Mitarbeiter ist über anderthalb Jahre krankgeschrieben. Kaum will er seine Arbeit wieder aufnehmen, folgt die nächste Krankmeldung mit einer völlig neuen Diagnose. Beginnt die sechswöchige Lohnfortzahlung nun von Neuem? Mit genau dieser Frage musste sich das Landesarbeitsgericht Niedersachsen in einem Urteil vom 24. April 2024 (Az.: 13 Sa 288/23) auseinandersetzen. Die Entscheidung verdeutlicht auf eindringliche Weise, wann auch unterschiedliche Krankheiten rechtlich als ein einziger, fortlaufender Krankheitsfall gewertet werden können – und welche entscheidende Rolle die Beweislastverteilung dabei spielt.

Was war genau passiert?

Ein Vorgesetzter mit Maske weist einen älteren Mitarbeiter ohne Mund-Nasen-Schutz in einem Büro ab.
LAG Niedersachsen klärt: Wann gelten unterschiedliche Diagnosen als ein fortlaufender Krankheitsfall? | Symbolbild: KI

Der Kläger, ein 1959 geborener Senior Project Engineer, war seit 1990 bei seinem Arbeitgeber beschäftigt. Im Zuge der Covid-19-Pandemie führte das Unternehmen eine Maskenpflicht auf dem Betriebsgelände ein. Eine Ausnahme galt nur am eigenen Sitzplatz, sofern ein dauerhafter Mindestabstand von 1,5 Metern gewährleistet war.

Am 21. Oktober 2020 wurde der Mitarbeiter ohne Maske angetroffen und angewiesen, ab dem Folgetag eine zu tragen. Er berief sich auf ein ärztliches Attest, das ihn von dieser Pflicht befreie. Ab dem nächsten Tag, dem 22. Oktober 2020, war der Mann durchgehend bis zum 30. April 2022 krankgeschrieben. In dieser Zeit bewilligte ihm die Deutsche Rentenversicherung zudem eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Am 2. Mai 2022, dem ersten Arbeitstag nach Ende seiner Krankschreibung, erschien der Mitarbeiter im Betrieb und bot seine Arbeitsleistung an – allerdings ohne Mund-Nasen-Schutz. Der Arbeitgeber lehnte dies ab und schickte ihn nach Hause. Die betriebliche Maskenpflicht galt noch bis zum 26. Mai 2022. Für die Zeit ab dem 27. Mai 2022 legte der Mitarbeiter eine neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Die Diagnose diesmal: Atherosklerose, eine Erkrankung der Arterien.

Der Mitarbeiter verklagte seinen Arbeitgeber auf Zahlung seines Gehalts für die Monate Mai und Juni 2022. Sein Argument: Für den Zeitraum vom 2. bis 26. Mai stehe ihm Lohn zu, da der Arbeitgeber seine Arbeitsleistung zu Unrecht nicht angenommen habe (sogenannter Annahmeverzugslohn). Er sei aufgrund einer attestierten Angststörung vom Masketragen befreit gewesen. Ab dem 27. Mai habe dann eine neue, eigenständige Krankheit vorgelegen, für die ihm erneut eine sechswöchige Entgeltfortzahlung zustehe.

Der Arbeitgeber sah das anders. Er hielt die Maskenpflicht für rechtmäßig und argumentierte, dass die lange Vorerkrankung und die neue Diagnose in einem engen Zusammenhang stünden. Es handle sich um einen einheitlichen Krankheitsfall. Die Sechs-Wochen-Frist für die Lohnfortzahlung sei daher längst abgelaufen.

Welche Gesetze spielten hier die entscheidende Rolle?

Im Zentrum dieses Falles stehen zwei grundlegende arbeitsrechtliche Regelungen, deren Zusammenspiel die Richter bewerten mussten.

Zum einen ist das der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, geregelt in § 3 Abs. 1 S. 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG). Dieses Gesetz sichert Ihnen als Arbeitnehmer im Krankheitsfall die Fortzahlung Ihres Gehalts durch den Arbeitgeber für die Dauer von bis zu sechs Wochen.

Zum anderen kommt der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls zur Anwendung. Dieser Grundsatz ist entscheidend, wenn mehrere Krankheiten aufeinandertreffen. Er besagt: Beginnt eine neue Erkrankung unmittelbar im Anschluss an eine bereits bestehende, bevor der Arbeitnehmer wieder arbeitsfähig war, wird die Sechs-Wochen-Frist nicht neu ausgelöst. Beide Krankheiten werden rechtlich als ein einziger, ununterbrochener Verhinderungsfall behandelt. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht dann nur einmal für insgesamt sechs Wochen (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11.12.2019 – 5 AZR 505/18). Nur wenn der Arbeitnehmer zwischen den beiden Krankschreibungen nachweislich wieder gesund und arbeitsfähig war, kann ein neuer Sechs-Wochen-Zeitraum beginnen.

Warum sah das Gericht einen einheitlichen Krankheitsfall – und nicht zwei getrennte?

Das Landesarbeitsgericht folgte der Argumentation des Arbeitgebers und wies die Klage des Mitarbeiters vollständig ab. Die Richter sahen die gesamte Zeit von Oktober 2020 bis Ende Juni 2022 als einen zusammenhängenden Verhinderungsfall an. Die Sechs-Wochen-Frist war demnach längst überschritten. Die Begründung des Gerichts lässt sich in drei zentrale Schritte zerlegen.

War der Arbeitnehmer zwischenzeitlich gesund und arbeitsfähig?

Der entscheidende Zeitraum war der Mai 2022. Der Mitarbeiter behauptete, vom 2. bis zum 26. Mai gesund und arbeitswillig gewesen zu sein. Das Gericht sah das anders und stützte sich dabei auf die eigenen Argumente des Klägers. Er hatte ein ärztliches Attest vorgelegt, das ihm eine depressive Persönlichkeitsstörung und eine generalisierte Angststörung bescheinigte. Das Tragen einer Maske führe bei ihm zu Panikattacken, Hyperventilation und Herzrasen.

Genau hier setzte das Gericht an: Die vom Arbeitgeber angeordnete Maskenpflicht war nach Ansicht der Richter rechtmäßig. Sie basierte auf der damals geltenden SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung und war Teil des Weisungsrechts des Arbeitgebers (§ 106 Gewerbeordnung (GewO)), um seiner Schutzpflicht gegenüber der gesamten Belegschaft nachzukommen (§ 3 Abs. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)). Die geschuldete Arbeitsleistung umfasste also auch das Tragen der Maske.

Da der Mitarbeiter aber aus gesundheitlichen Gründen – seiner attestierten Angststörung – nicht in der Lage war, eine Maske zu tragen, war er nach Auffassung des Gerichts auch nicht fähig, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Seine krankheitsbedingte Unfähigkeit, eine zentrale Arbeitsschutzanweisung zu befolgen, bedeutete im Ergebnis, dass er auch in der Zeit ohne formale Krankschreibung weiterhin arbeitsunfähig war. Die lange vorausgegangene Krankschreibung und die Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente dienten als zusätzliche Indizien, die diese Annahme stützten. Ein Anspruch auf Annahmeverzugslohn nach § 615 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) scheiterte somit, da der Mitarbeiter seine Arbeitsleistung nicht wie geschuldet anbieten konnte.

Begründete die neue Diagnose einen neuen Anspruch auf Entgeltfortzahlung?

Nachdem das Gericht festgestellt hatte, dass die Arbeitsunfähigkeit bis zum 26. Mai andauerte, prüfte es die neue Krankschreibung ab dem 27. Mai. Hier griff der Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls. Das Bundesarbeitsgericht hat wiederholt entschieden, dass ein unmittelbarer zeitlicher Anschluss einer neuen Krankschreibung ein starkes Indiz für einen fortgesetzten Verhinderungsfall ist.

In diesem Fall lag zwischen dem Ende der (unterstellten) Arbeitsunfähigkeit am 26. Mai und dem Beginn der neuen Krankschreibung am 27. Mai kein einziger Arbeitstag. Das Gericht sah es als Aufgabe des Arbeitnehmers, diesen starken Anschein eines einheitlichen Falls zu widerlegen. Er hätte konkret darlegen und beweisen müssen, dass die neue Erkrankung (Atherosklerose) in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der vorherigen Arbeitsunfähigkeit stand und dass er in der Zwischenzeit tatsächlich wieder arbeitsfähig war.

Diesen Beweis blieb der Mitarbeiter schuldig. Er trug nicht stichhaltig vor, dass die Atherosklerose erst am 27. Mai plötzlich aufgetreten sei. Das Gericht merkte an, dass solche Erkrankungen sich typischerweise über einen längeren Zeitraum entwickeln. Die Tatsache, dass der Arzttermin an diesem Tag der Eröffnung von Untersuchungsergebnissen (MRT) diente, sprach ebenfalls dafür, dass die Erkrankung bereits länger bestand. Da der Mitarbeiter die Indizien des Arbeitgebers nicht entkräften konnte, wertete das Gericht die neue Krankschreibung als Fortsetzung der bisherigen Arbeitsunfähigkeit.

Hätte der Arbeitgeber eine Arbeit ohne Maske ermöglichen müssen?

Der Mitarbeiter hatte auch argumentiert, der Arbeitgeber hätte ihm eine leidensgerechte Beschäftigung, etwa im Homeoffice oder in einem Einzelbüro, anbieten müssen. Diesen Einwand ließ das Gericht für den geltend gemachten Lohnanspruch nicht gelten. Der Mitarbeiter hatte auf Lohnfortzahlung und Annahmeverzugslohn geklagt. Einen möglichen Schadensersatzanspruch, weil der Arbeitgeber ihn pflichtwidrig nicht anderweitig beschäftigt hatte, machte er nicht gesondert geltend. Daher musste das Gericht diese Frage im Rahmen der vorliegenden Klage nicht entscheiden.

Was bedeutet dieses Urteil jetzt für Sie?

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen hat weitreichende Konsequenzen für die Praxis und schärft die Anforderungen an Arbeitnehmer, die nach langer Krankheit eine neue Entgeltfortzahlung beanspruchen.

Checkliste für Arbeitnehmer

  • Verstehen Sie den Grundsatz der „Einheit des Verhinderungsfalls“: Schließt eine neue Krankschreibung direkt an eine alte an, geht das Gesetz zunächst von einer Fortsetzung aus. Die sechswöchige Lohnfortzahlung beginnt nicht automatisch von Neuem.
  • Der Beweis liegt bei Ihnen: Wenn Sie geltend machen, zwischen zwei Krankheiten wieder arbeitsfähig gewesen zu sein, müssen Sie das im Streitfall beweisen. Ein oder zwei Tage ohne Krankschreibung reichen dafür nicht aus.
  • Dokumentieren Sie Ihre Arbeitsfähigkeit: Der beste Beweis für die Wiederherstellung Ihrer Gesundheit ist die tatsächliche Wiederaufnahme der Arbeit. Wenn das nicht möglich ist, lassen Sie sich Ihre Arbeitsfähigkeit für den Zwischenzeitraum explizit ärztlich bescheinigen.
  • Arbeitsunfähigkeit ist nicht nur die Diagnose: Arbeitsunfähig sind Sie auch dann, wenn Sie aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sind, rechtmäßige und zumutbare Weisungen des Arbeitgebers (wie z. B. Arbeitsschutzmaßnahmen) zu befolgen.

Checkliste für Arbeitgeber

  • Prüfen Sie den zeitlichen Zusammenhang: Liegt zwischen dem Ende einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und dem Beginn einer neuen nur ein Wochenende oder wenige Tage, ist die Annahme eines einheitlichen Verhinderungsfalls wahrscheinlich.
  • Sammeln Sie Indizien: Dokumentieren Sie alle Umstände, die auf eine fortgesetzte Erkrankung hindeuten (z. B. eine unveränderte gesundheitliche Einschränkung des Mitarbeiters, vorausgegangene Langzeiterkrankung).
  • Fordern Sie einen substantiierten Nachweis: Bestreitet ein Mitarbeiter den einheitlichen Verhinderungsfall, fordern Sie ihn auf, konkret darzulegen und zu beweisen, wann und wodurch er zwischenzeitlich wieder vollständig arbeitsfähig war.
  • Weisungsrecht konsequent anwenden: Ihre auf gesetzlichen Grundlagen basierenden Arbeitsschutzanweisungen sind Teil der geschuldeten Arbeitsleistung. Die Unfähigkeit eines Mitarbeiters, diese zu befolgen, kann ein klares Indiz für eine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit sein.

Die Urteilslogik

Schließt eine neue Krankheitsdiagnose unmittelbar an eine vorausgegangene Arbeitsunfähigkeit an, beginnt die sechswöchige Entgeltfortzahlung nicht automatisch von Neuem.

  • Kein automatischer Neustart der Lohnfortzahlung: Schließt eine neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zeitlich nahtlos an eine bestehende an, gilt die gesamte Zeitspanne juristisch als ein einziger Verhinderungsfall, selbst wenn die Diagnosen unterschiedlich sind.
  • Der Nachweis der Genesung obliegt dem Arbeitnehmer: Behauptet der Arbeitnehmer, zwischen zwei Krankschreibungen vollständig gesund und arbeitsfähig gewesen zu sein, muss er diesen Beweis erbringen, um den starken Anschein eines fortlaufenden Verhinderungsfalls zu widerlegen.
  • Arbeitsunfähigkeit entsteht durch mangelnde Weisungsbefolgung: Wer aus gesundheitlichen Gründen eine rechtmäßige und zumutbare Arbeitsschutzanweisung des Arbeitgebers (z. B. Maskenpflicht) nicht befolgen kann, erbringt die geschuldete Arbeitsleistung nicht und gilt als fortgesetzt arbeitsunfähig.

Die rechtliche Bewertung der Arbeitsunfähigkeit verlangt eine Gesamtschau aller Umstände und privilegiert die Kontinuität des Verhinderungsfalls bei fehlendem stichhaltigen Nachweis einer Genesung.


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Müssen Sie beweisen, dass Ihre Arbeitsunfähigkeit zwischenzeitlich tatsächlich unterbrochen war? Kontaktieren Sie uns für eine schnelle professionelle Ersteinschätzung Ihrer individuellen Lage.


Experten Kommentar

Wer nach langer Krankheit die Entgeltfortzahlung neu starten will, muss wirklich beweisen, dass er zwischendurch kerngesund war – das Landesarbeitsgericht hat die Messlatte dafür sehr hoch gelegt. Hier zeigt sich die strategische Bedeutung: Die Arbeitsunfähigkeit dauert so lange an, wie der Mitarbeiter nicht die gesamte geschuldete Leistung erbringen kann, einschließlich des Befolgens rechtmäßiger Arbeitsschutzanweisungen. Ein Attest, das von einer Pflicht befreit, kann schnell zum Bumerang werden, da es gleichzeitig beweist, dass der Mitarbeiter eben nicht voll arbeitsfähig war. Dieses Urteil macht klar: Die „Einheit des Verhinderungsfalls“ lässt sich nicht durch einen einfachen Diagnosetausch oder minimale Lücken in der Krankschreibung umgehen.


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Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Beginnt meine Lohnfortzahlung neu, wenn ich nach langer Krankheit eine neue Diagnose habe?

Die einfache Antwort lautet Nein: Eine neue Diagnose löst nicht automatisch einen neuen Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus. Wenn Ihre Krankschreibung unmittelbar an eine lange Vorerkrankung anschließt, vermuten Gerichte die Einheit des Verhinderungsfalls. In diesem Fall gilt Ihr Anspruch auf sechs Wochen Lohnfortzahlung als bereits ausgeschöpft. Juristisch wird bei einem direkten Anschluss von zwei Krankschreibungen ein fortlaufender Verhinderungsfall angenommen, selbst wenn die Diagnosen medizinisch verschieden sind.

Das Entgeltfortzahlungsgesetz soll den Arbeitgeber vor der doppelten finanziellen Belastung schützen, wenn fortlaufende oder chronische Gesundheitsprobleme vorliegen. Ein neuer Anspruch beginnt nur dann, wenn Sie zwischen den beiden Krankheitsfällen nachweislich wieder vollständig arbeitsfähig waren. Die Richter prüfen den engen zeitlichen Zusammenhang sehr kritisch, weil dieser als starkes Indiz für die Fortsetzung der ursprünglichen Arbeitsunfähigkeit dient.

Dieser Grundsatz führt zur kritischen Frage der Beweislast: Im Streitfall müssen Sie als Arbeitnehmer stichhaltig nachweisen, dass die neue Erkrankung in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der vorherigen gesundheitlichen Einschränkung steht. Es ist riskant, sich nur auf die neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu verlassen und anzunehmen, der Arbeitgeber müsse das Gegenteil belegen. Sie müssen konkrete Beweise für eine vollständige Wiederherstellung Ihrer Gesundheit für den Zwischenzeitraum vorlegen.

Fordern Sie Ihren behandelnden Arzt unverzüglich auf, die neue Diagnose explizit als medizinisch unabhängig von der langwierigen Vorerkrankung zu attestieren, um einen neuen Anspruch zu sichern.


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Wann gilt eine neue Krankheit rechtlich als Fortsetzung des alten Verhinderungsfalls?

Wenn eine neue Arbeitsunfähigkeit unmittelbar auf die vorherige folgt, nehmen Gerichte zunächst die Einheit des Verhinderungsfalls an. Entscheidend ist der enge zeitliche Anschluss, nicht die medizinische Diagnose selbst. Ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung entsteht nur, wenn die Kette der Verhinderung durch eine Phase tatsächlicher Arbeitsfähigkeit unterbrochen wurde.

Der unmittelbare zeitliche Anschluss – das Fehlen eines einzigen Arbeitstags zwischen den Krankschreibungen – gilt als stärkstes Indiz für einen fortlaufenden Fall. Das Bundesarbeitsgericht sieht in dieser lückenlosen Kette einen starken Anschein dafür, dass die ursprüngliche Arbeitsunfähigkeit nie vollständig behoben war. Gerichte berücksichtigen zudem unterstützende Indizien, etwa ob die Vorerkrankung bereits sehr langwierig war oder ob die Deutsche Rentenversicherung eine Rente wegen Erwerbsminderung bewilligte.

Die Rechtsprechung prüft ferner, ob die neue Diagnose typischerweise schleichend entsteht. Liegt beispielsweise eine chronische Erkrankung vor, ist davon auszugehen, dass diese nicht plötzlich auftrat, sondern womöglich bereits während der ersten Krankschreibung vorhanden war. Melden Sie sich nur für den Tag nach Ende der alten AU krank, ohne dazwischen die Arbeit aufgenommen zu haben, werten Gerichte dies als Versuch, die gesetzlichen Regeln bewusst zu umgehen.

Prüfen Sie alle ärztlichen Befunde, ob sie Rückschlüsse auf einen chronischen oder schleichenden Krankheitsverlauf zulassen, der bereits während der ersten Krankschreibung bestand.


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Wie weise ich meine Arbeitsfähigkeit nach, um einen neuen Lohnanspruch zu sichern?

Der stärkste Beweis für die notwendige Unterbrechung (Zäsur) zwischen zwei Krankheitsfällen ist die tatsächliche Wiederaufnahme der Arbeit. Ein einzelner Tag ohne Krankschreibung ist juristisch nicht ausreichend, wenn die zugrundeliegende gesundheitliche Einschränkung fortbesteht. Gerichte verlangen den klaren Nachweis, dass Sie die geschuldete Arbeitsleistung uneingeschränkt und vollwertig erbringen konnten, um einen neuen Anspruch auf Entgeltfortzahlung auszulösen.

Die Regel basiert auf der Erwartung, dass die Arbeitsfähigkeit umfassend ist. Das bedeutet, Sie müssen nicht nur arbeitswillig sein, sondern auch physisch und psychisch in der Lage, alle vertraglich geschuldeten Aufgaben zu erfüllen. Dazu gehört zwingend das Befolgen aller rechtmäßigen betrieblichen Weisungen, insbesondere im Bereich des Arbeitsschutzes. Wenn Sie aus gesundheitlichen Gründen eine zentrale Anweisung des Arbeitgebers ablehnen, gilt dies als fortbestehende Arbeitsunfähigkeit, selbst wenn keine AU-Bescheinigung vorliegt.

Der juristische Goldstandard ist die Dokumentation der vollständigen Wiederherstellung der Gesundheit. Nehmen Sie die Arbeit nach einer langen Krankheitsphase kurzzeitig wieder auf, dokumentieren Sie die pünktliche und uneingeschränkte Erledigung aller Ihrer Aufgaben. Fordern Sie zusätzlich eine explizite ärztliche Bescheinigung an, die nicht nur das Ende der vorangegangenen Diagnose, sondern konkret Ihre volle Arbeitsfähigkeit für Ihre spezifische Tätigkeit bestätigt.

Dokumentieren Sie die vollständige, pünktliche Erfüllung Ihrer Aufgaben und lassen Sie sich die Arbeitsaufnahme bei Unsicherheit von einem Vorgesetzten schriftlich bestätigen.


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Was passiert, wenn ich aus gesundheitlichen Gründen betriebliche Schutzregeln nicht befolgen kann?

Wenn Sie aus gesundheitlichen Gründen rechtmäßige Schutzanweisungen Ihres Arbeitgebers nicht einhalten können, gelten Sie juristisch als nicht in der Lage, die geschuldete Arbeitsleistung vollständig zu erbringen. Die Einhaltung dieser Vorgaben ist integraler Bestandteil Ihrer Vertragspflichten. Diese Situation führt dazu, dass Sie keinen Anspruch auf Annahmeverzugslohn haben, selbst wenn Sie arbeitswillig sind und der Arbeitgeber Ihre Arbeitsleistung verweigert.

Ihr Arbeitgeber hat die gesetzliche Pflicht, die Belegschaft zu schützen, und nutzt dafür sein Weisungsrecht (§ 106 GewO), um Arbeitsschutzmaßnahmen anzuordnen. Kann ein Mitarbeiter diese Anweisungen krankheitsbedingt nicht befolgen – etwa weil eine Angststörung das Tragen einer Maske verhindert – kann er die vertraglich geschuldete Leistung nicht erbringen. Gerichte werten die Unfähigkeit, einer zentralen betrieblichen Weisung zu folgen, als Fortsetzung der Arbeitsunfähigkeit, selbst wenn keine Krankschreibung vorliegt.

Wenn der Arbeitgeber Ihre angebotene Arbeit ablehnt, weil Sie die Schutzregel nicht einhalten, scheitert Ihr Anspruch auf Annahmeverzugslohn (§ 615 BGB). Das liegt daran, dass Sie Ihre Arbeitsleistung nicht wie vereinbart und ohne Einschränkungen angeboten haben. Ein ärztliches Attest, das Sie von der Einhaltung einer Pflicht befreit, reicht zur Sicherung des Lohnanspruchs nicht aus, solange der Arbeitgeber keine leidensgerechte Alternative schaffen kann oder muss.

Fordern Sie Ihren Arbeitgeber schriftlich und nachweisbar dazu auf, eine leidensgerechte Beschäftigung – wie Homeoffice oder Umsetzung in ein Einzelbüro – aktiv zu prüfen und anzubieten.


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Welche Unterbrechung der Arbeitsunfähigkeit brauche ich für einen neuen 6-Wochen-Anspruch?

Die Regel: Es existiert keine starre gesetzliche Frist, wie lange eine Unterbrechung der Arbeitsunfähigkeit (AU) dauern muss. Juristisch zählt bei der Feststellung eines neuen Lohnanspruchs nicht die Quantität der Tage, sondern die Qualität der Zäsur. Sie müssen nachweislich Ihre volle Arbeitsfähigkeit wiedererlangt und die vertraglich geschuldete Leistung tatsächlich erbracht haben.

Gerichte prüfen stets, ob die erste Erkrankung tatsächlich abgeschlossen war, bevor die neue begann. Die bloße Abwesenheit einer AU-Bescheinigung, selbst über mehrere Wochen, reicht hierfür nicht aus. Wenn die zugrundeliegende gesundheitliche Einschränkung, die das Erbringen Ihrer Arbeit verhindert, fortbesteht, werten Gerichte dies als fortgesetzten Verhinderungsfall. Das Ziel ist es, den Kausalzusammenhang zwischen der alten und der neuen Krankheit zweifelsfrei auszuschließen.

Der stärkste Beweis für die Wiederherstellung Ihrer Arbeitsfähigkeit ist die tatsächliche und vollständige Wiederaufnahme der Arbeit. Ein einziger Tag zwischen zwei Krankschreibungen wird in der Praxis oftmals nicht als ausreichende Zäsur akzeptiert, da dies den Anschein einer Umgehung erweckt. Sie müssen die geschuldete Arbeitsleistung uneingeschränkt erbringen können. Wenn Sie beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen eine zentrale betriebliche Anweisung nicht befolgen, gelten Sie trotz fehlender Krankschreibung weiterhin als arbeitsunfähig.

Um rechtliche Klarheit zu schaffen und einen neuen Anspruch zu sichern, nehmen Sie die Arbeit nach langer Krankheit physisch für mindestens zwei volle Wochen ohne Einschränkungen wieder auf.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


Glossar für Fachbegriffe aus dem Arbeitsrecht: Der Schriftzug 'Glossar' vor dem Foto einer belebten Baustelle

Glossar


Juristische Fachbegriffe kurz erklärt

Annahmeverzugslohn

Annahmeverzugslohn ist der Anspruch eines Arbeitnehmers auf sein reguläres Gehalt, wenn der Arbeitgeber die angebotene Arbeitsleistung zu Unrecht ablehnt oder nicht annehmen kann. Das Gesetz (§ 615 BGB) will damit verhindern, dass der Arbeitnehmer finanzielle Nachteile erleidet, wenn die Gründe für die Nichtbeschäftigung in der Sphäre des Arbeitgebers liegen.
Beispiel: Da der Mitarbeiter seine Arbeitsleistung wegen der fehlenden Maske nicht wie geschuldet erbringen konnte, scheiterte sein Anspruch auf Annahmeverzugslohn für den Zeitraum vom 2. bis 26. Mai 2022.

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Beweislastverteilung

Die Beweislastverteilung legt in einem gerichtlichen Streit fest, welche Prozesspartei die Beweispflicht für eine bestimmte strittige Tatsache trägt. Dieses prozessuale Prinzip schafft Rechtsklarheit, indem es regelt, wer im Zweifelsfall, wenn eine Behauptung nicht bewiesen werden kann (non liquet), den Nachteil trägt.
Beispiel: Im vorliegenden Fall musste der Mitarbeiter die Beweislast tragen und konkret belegen, dass er zwischen den beiden Krankschreibungen tatsächlich wieder vollständig arbeitsfähig war, um die Vermutung des einheitlichen Falls zu widerlegen.

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Einheit des Verhinderungsfalls

Juristen nennen das die Einheit des Verhinderungsfalls, wenn zwei aufeinanderfolgende Arbeitsunfähigkeitszeiten, auch bei unterschiedlicher Diagnose, rechtlich als ein einziger, ununterbrochener Krankheitsfall gewertet werden. Dieser Grundsatz verhindert, dass Arbeitnehmer durch einen bloßen Diagnosewechsel die gesetzlich maximale Entgeltfortzahlung von sechs Wochen umgehen können.
Beispiel: Weil die neue Diagnose (Atherosklerose) unmittelbar an die lange Vorerkrankung anschloss, wertete das Landesarbeitsgericht die gesamte Dauer von Oktober 2020 bis Juni 2022 als Einheit des Verhinderungsfalls.

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Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist der gesetzliche Anspruch von Arbeitnehmern, ihr reguläres Gehalt vom Arbeitgeber für die Dauer von maximal sechs Wochen weiter zu erhalten, wenn sie infolge einer Krankheit arbeitsunfähig werden. Das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) soll Arbeitnehmern im Krankheitsfall eine finanzielle Absicherung bieten und ihre schnelle Genesung unterstützen.
Beispiel: Der Mitarbeiter strebte eine erneute Entgeltfortzahlung an, weil er argumentierte, die neue Krankheit ab dem 27. Mai 2022 sei eine unabhängige und fristauslösende Erkrankung gewesen.

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Weisungsrecht

Das Weisungsrecht (§ 106 GewO) erlaubt es dem Arbeitgeber, nach billigem Ermessen die genauen Modalitäten wie Inhalt, Zeit und Ort der geschuldeten Arbeitsleistung festzulegen. Arbeitgeber nutzen dieses Recht, um den Betriebsablauf zu organisieren und notwendige Schutzmaßnahmen, wie eine Maskenpflicht, anzuordnen, da sie ihrer gesetzlichen Fürsorgepflicht nachkommen müssen.
Beispiel: Die Richter hielten die betriebliche Maskenpflicht für eine rechtmäßige Ausübung des Weisungsrechts, weil diese auf gesetzlichen Arbeitsschutzbestimmungen basierte und dem Schutz der gesamten Belegschaft diente.

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Das vorliegende Urteil


Landesarbeitsgericht Niedersachsen – Az.: 13 Sa 288/23 – Urteil vom 24.04.2024


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