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Einstweilige Verfügung – Fortbestand eines Betriebsrats

Mindestanzahl von Arbeitnehmern

ArbG Rostock – Az.: 4 Ga 6/20 – Beschluss vom 25.03.2020

I. Der Antrag wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Antragsteller zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Verfügung seine Beschäftigung am bisherigen Firmensitz entgegen einer arbeitgeberseitigen Versetzungsanordnung.

Der Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin als Lkw-Fahrer eines Betonmischers seit dem 02.03.1995 arbeitsvertraglich gebunden. Zum Inhalt des Arbeitsvertrages wird auf die Anlage A1 (Blatt 9 der Akte) verwiesen. Soweit hier von Belang, heißt es unter der Überschrift „Aufgabenbereich“:

„Auf Weisung des Arbeitgebers kann der Arbeitnehmer ganz oder teilweise, insbesondere für Urlaubs- oder Krankheitsvertretung, auf anderen Arbeitsplätzen des Unternehmens eingesetzt werden.“

Unter „Sonstiges“ heißt es:

„Es gelten die gesetzlichen Bestimmungen und die jeweils gültigen tariflichen Vereinbarungen, die der Arbeitgeber mit der IG Bau-Steine-Erden abgeschlossen hat.“

Der Antragsteller ist zugleich Mitglied eines dreiköpfigen Betriebsrats.

Der ursprüngliche Arbeitsort des Antragstellers befand sich in Benz auf der Insel Usedom. Infolge einer Versetzung war sein Betriebssitz zuletzt unter der im Passivrubrum genannten Anschrift. Hier befindet sich auch das Betonmischwerk, von dem aus Beton zu Baustellen befördert wird.

Die Antragsgegnerin war ursprünglich ein Unternehmen mit verschiedenen Betriebsstandorten, verteilt über Mecklenburg-Vorpommern bis hin nach Lübeck. Es erfolgte die Abspaltung zweier Teile. Hierzu schlossen der Betriebsrat und die Beklagte unter dem 10.12.2018, zu deren Inhalt auf die Anlage A2 (Blätter 10 fortfolgende der Akte) verwiesen wird, einen Interessenausgleich. Danach sind die neuen Gesellschaften zum 08.06.2018 bzw. 13.06.2018 gegründet worden und in das jeweilige Handelsregister eingetragen worden. Der Übergang der Arbeitsverhältnisse auf die neuen Gesellschaften war zum 01.12.2018 vorgesehen. Dazu wurde eine Namensliste gefertigt. Außerdem wurde zur Milderung der Maßnahme ein Sozialplan abgeschlossen.

Als Ergebnis dieser Umwandlung/Abspaltung verblieb die Beklagte mit anfänglich 6 Arbeitnehmern, wovon 3 Arbeitnehmer den Betriebsrat bildeten. Darunter eben auch der Antragsteller.

Mit Schreiben vom 24.02.2020 teilte die Antragsgegnerin dem Betriebsratsvorsitzenden mit, dass sie vom Ende der Amtszeit des Betriebsrates ausgehe. Sie begründete dies mit dem Ausscheiden des Disponenten ab dem 19.02.2020 und der ausgebliebenen Verlängerung eines bis zum 18.02.2020 befristeten Teilzeitarbeitsverhältnisses. Damit würde die Zahl der dauernd beschäftigten Arbeitnehmer unter 5, nämlich 4, geraten sein. Daraufhin leitete der Betriebsrat ein Beschlussverfahren zum Erlass einer einstweiligen Verfügung ein, mit welchem zunächst die Feststellung getroffen werden sollte, dass der Betriebsrat fortbestehe. Dieses Verfahren wird unter dem Aktenzeichen 4 BVGa 3/20 vor dem Arbeitsgericht Rostock geführt. Inzwischen liegt dort eine Antragserweiterung vor, mit welchem der Betriebsrat die Unterlassung einer Standortverlegung mit Versetzungen der beschäftigten Arbeitnehmer ohne Zustimmung des Betriebsrats fordert.

Mit Schreiben vom 05.03.2020 teilte die Antragsgegnerin mit, dass der Betriebsstandort mit Wirkung vom 03.03.2020 nach Broderstorf, …, verlegt sei. Der Antragsteller wurde aufgefordert, verschiedene Schlüssel, auch die für das Betriebsratsbüro, herauszugeben.

Die Antragsgegnerin führte bezüglich des Betriebsratsvorsitzenden unter dem Aktenzeichen 3 BV 27/19 vor dem Arbeitsgericht Rostock ein Zustimmungsersetzungsverfahren zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden. Mit Beschluss vom 21. Januar 2020 wurde der Antrag zurückgewiesen. Unter dem Aktenzeichen 4 BV 33/19 führt die Antragsgegnerin derzeit noch ein Beschlussverfahren zur Zustimmungsersetzung gegen den hiesigen Antragsteller. Der dazu vorgesehene Anhörungstermin steht wegen der derzeitigen eingeschränkten Tätigkeit des Gerichts noch aus. In beiden Verfahren argumentierte die Antragsgegnerin unter anderem damit, die Mitglieder des Betriebsrates hätten exzessiv gestreikt und damit erheblich ihre Pflichten verletzt.

Der Antragsteller hält das Direktionsrecht für überschritten. Die Anweisung stelle eine Versetzung dar. Die plötzliche Verlagerung des Betriebssitzes sei als Maßregelung anzusehen. Es solle verhindert werden, dass der Antragsteller als Mitglied des Betriebsrates mit anderen Mitarbeitern der ebenfalls auf dem bisherigen Gelände der Antragsgegnerin ansässigen Firmen in persönlichem Kontakt bleiben könne. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat als Gremium oder den einzelnen Betriebsratsmitgliedern sei offensichtlich nicht gewollt.

Im Übrigen fehle es an der Zustimmung zur Versetzung durch den Betriebsrat. Dieser sei zu beteiligen.

Würde der Antragsteller der Weisung zur Versetzung beanstandungslos Folge leisten, so hieße das, dass sein stillschweigendes Einverständnis angenommen werden könnte. Er könne insoweit nicht auf ein Hauptsacheverfahren verwiesen werden, weil dies zu lange Zeit in Anspruch nehmen und sich der Zustand nach Befolgung manifestieren würde. Zum Zustand des Geländes oder der Gebäude könnten keine Angaben gemacht werden. Die Befolgung der Versetzung unter diesen Umständen könne keinesfalls zugemutet werden.

Er beantragt, wegen der besonderen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung – hilfsweise nach mündlicher Verhandlung unter Abkürzung der Ladungs- und Einlassungsfristen – der Antragsgegnerin aufzugeben, bei Meidung eines vom Gericht festzusetzenden Zwangsgeldes bis zu 25.000 € gegen die gesetzlichen Vertreter der Antragsgegnerin, den Antragsteller entgegen der Weisung der Antragsgegnerin vom 05.03.2020, bis auf weiteres ausschließlich am Betriebsstandort der Antragsgegnerin, …, zu beschäftigen.

Der Antrag wurde der Antragsgegnerin zugestellt.

II.

Der Antrag ist unbegründet.

Er konnte ohne mündliche Verhandlung beschieden werden. Die §§ 919 fortfolgende ZPO gelten gemäß § 62 Abs. 2 ArbGG grundsätzlich unmittelbar auch für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in der Arbeitsgerichtsbarkeit. Das bedeutet vor allem, dass die Entscheidung über das Gesuch ohne mündliche Verhandlung ergehen kann (§§ 922 Abs. 1, 937 Abs. 2 ZPO). Diese Regelungen dienen der Verfahrensbeschleunigung. In § 62 Abs. 2 Satz 2 ArbGG ist geregelt, dass ein Verzicht auf mündliche Verhandlung in dringenden Fällen möglich ist, auch dann, wenn der Antrag zurückzuweisen ist. Diese Regelung stellt sich als Besonderheit zu § 937 Abs. 2 ZPO dar. In der arbeitsgerichtlichen Norm wird lediglich klargestellt, dass ein dringender Fall auch bei einer Zurückweisung des Gesuchs vorliegen kann. Damit ist die früher vor allem für das arbeitsgerichtliche Eilverfahren vertretene Ansicht, eine Zurückweisung des Verfügungsgesuchs komme nur nach mündlicher Verhandlung in Betracht (so etwa LAG Hamm, Beschluss vom 03.01.1984 – 8 Ta 365/83, MDR 1984, 338), überholt (vergleiche Schwab/Weht/Walker, § 62 Fußnote 5).

Eine Dringlichkeit ist nicht nur durch den Antrag des Antragstellers gegeben. Er hatte seinen Antrag so formuliert, dass wegen der Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung entschieden werden soll. Dringlichkeit ist gegeben bei besonderer Eilbedürftigkeit, wenn also die Eilbedürftigkeit dermaßen über die dem einstweiligen Verfügungsverfahren ohnehin innewohnende Dringlichkeit (Verfügungsgrund) hinausgeht und selbst eine innerhalb kürzester Frist terminierte mündliche Verhandlung nicht abgewartet werden kann, oder wenn der Zweck der einstweiligen Verfügung gerade den Überraschungseffekt der Beschussverfügung erfordert (Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 937 ZPO Rn. 2).

Ein solcher Fall ist hier gegeben. Unter den gegenwärtigen Bedingungen der pandemiebedingten Einschränkungen ist es nicht möglich, schnellstmöglich zu terminieren. Hinzu kommt, dass der Antragsteller offensichtlich einem Irrtum unterlegen ist. Der Antrag kann in keinem Fall erfolgreich sein. Falls er sich darauf versteift, besteht die Gefahr, dass er die Versetzung als unzulässig weiterhin betrachtet und damit den Bestand seines Arbeitsverhältnisses gefährdet.

Es besteht hier nämlich schon kein Verfügungsanspruch nach §§ 935, 940 ZPO. Die Standortverlegung der Antragsgegnerin und damit verbundene Versetzung ist nicht unzumutbar. Die daraus folgende Versetzung liegt im Rahmen des Ermessens gemäß § 106 GewO. Das Direktionsrecht ist nicht deshalb unzulässig, weil ein Betriebsrat zu beteiligen ist. Spätestens seit dem 19.02.2020 besteht kein Betriebsrat mehr. Damit war ein solcher auch nicht anzuhören.

Zwar ist die Versetzung mitbestimmungspflichtig, weshalb eine Anweisung nichtig wäre, zu der die Zustimmung gemäß § 99 BetrVG des Betriebsrates nicht vorliegt, das setzt aber voraus, dass ein Betriebsrat zum Zeitpunkt der Ausübung des Direktionsrechts überhaupt existiert. Der Betriebsrat existiert jedoch nicht mehr. Die Zahl der regelmäßigen Beschäftigten ist unstreitig unter 5 gesunken. Die Mindestanzahl von 5 Arbeitnehmern ist nicht nur Voraussetzung für die Errichtung, sondern auch für den Fortbestand eines Betriebsrats. Sinkt die Zahl der ständig beschäftigten Wahlberechtigten Arbeitnehmer nicht nur vorübergehend unter diese Zahl, endet das Amt des Betriebsrats (vergleiche ErfK/Koch, § 1 BetrVG Rn. 21).

Aufgrund des Weisungsrechts kann der Arbeitgeber die im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschriebene Leistungspflicht nach Ort, Zeit und Art bestimmen (BAG, Urteil vom 25.10.1989 NZA 1990, 561). Grenzen des Weisungsrechts finden sich auch im Einzelvertragsrecht. Im Arbeitsvertrag des Klägers findet sich jedoch sogar ein Anhaltspunkt dafür, dass er andernorts eingesetzt werden kann, mithin keine Begrenzung. Die fehlende Begrenzung in der Vergangenheit ist offensichtlich auch so gelebt worden.

So ist der Antragsteller nach seiner eigenen Darstellung von Usedom nach Rostock versetzt worden.

Demnach war die Antragsgegnerin berechtigt, den Antragsteller in einem anderen Betrieb einzusetzen.

Dabei hatte sie allerdings billiges Ermessen zu beachten. Eine Verletzung dieses Ermessens kann nicht erkannt werden. Billiges Ermessen ist nach dem Bundesarbeitsgericht ein unbestimmter Rechtsbegriff, bei dessen Anwendung dem Tatsachengericht ein Beurteilungsrecht zusteht (Bundesarbeitsgericht, Urt. vom 18.10.2017, NZA 2017, 1452). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Arbeitgeber allein seine Interessen durchzusetzen versucht. Beruht die Weisung auf einer unternehmerischen Entscheidung, so kommt dieser besonderes Gewicht zu (ErfK/Preis, § 106 GewO Rn. 11 m.w.N.).

Eine unternehmerische Entscheidung liegt hier schon nach dem Vortrag des Antragstellers vor. Der Verlegung des Betriebssitzes muss eine Organisationsentscheidung der Antragsgegnerin zugrunde gelegen haben. Für eine Schlussfolgerung, dass hier Maßregelung vorliegt, ist kein Raum gegeben. Das ergibt sich auch nicht aus der Darstellung der zeitlichen Abfolgen.

Auch die Interessen des Antragstellers sind nicht über Gebühr beansprucht. Der Arbeitsweg hat sich für ihn nicht verschlechtert. Selbst wenn hier eine Verschlechterung vorliegen würde, liegt sie im Rahmen des § 106 GewO. Der neue Standort ist nach Google Maps weniger als 12 km vom ursprünglichen Betriebssitz entfernt. Ebenfalls nach diesem Kartenwerk ist der tägliche Arbeitsweg vom Wohnort des Klägers zum neuen Sitz des Betriebes weniger als 12 km entfernt. Vom Wohnort des Klägers aus zum bisherigen Sitz des Betriebes betrug die schnellste Strecke etwas mehr als 13 km. In beiden Fällen muss für die schnellste Strecke die A 19 verwendet werden. Für beide Richtungen sind etwas mehr als 20 Minuten Fahrtstrecke einzuplanen. Der Antragsteller muss als Kraftfahrer Beton zu unterschiedlichen Auftraggebern fahren. Dabei dürfte es unerheblich sein, von welchem Betriebssitz er startet.

Hier ist folglich eine Unbilligkeit nicht erkennbar. Dem Antragsteller wird dringend angeraten, die Arbeitsaufnahme nicht abzulehnen mit der Begründung, die Versetzung sei unwirksam.

Unter diesen Bedingungen kann es für den Antragsteller günstiger sein, dass sein Antrag sofort ohne mündliche Verhandlung entschieden wird. Dem Antragsteller soll durch die möglichst frühe Entscheidung Gelegenheit gegeben werden, das Rechtsmittelgericht anzurufen oder seinen Antrag ggf. (verbessert) zu wiederholen (Zöller/Vollkommer, § 937 ZPO Rn. 6).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Der Streitwert wurde auf der Grundlage der §§ 3 ff. ZPO in Verbindung mit §§ 46 Abs.2, 61 ArbGG und § 46 GKG festgesetzt.

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