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Einstweiliges Verfügungsverfahren gegen Versetzung an anderen Arbeitsort

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 8 SaGa 1/20 – Urteil vom 10.06.2020

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 22.01.2020 – 2 Ga 4/20 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, die Klägerin an einen anderen Arbeitsort zu versetzen.

Die Beklagte betreibt in B und in S Filialen eines Lebensmittelsupermarktes. Die Klägerin ist seit dem 18.11.1996 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten beschäftigt. Mit Wirkung zum 01.01.2019 ist das Arbeitsverhältnis auf die Beklagte übergegangen. Die Klägerin war seit ihrem Eintritt durchgängig als Verkäuferin in der Fleischabteilung als Vollzeitkraft eingesetzt.

Der zuletzt – am 12.05.1998 –  abgeschlossene Arbeitsvertrag der Klägerin enthält – soweit hiervon Bedeutung – folgende Regelungen:

„Zwischen der Firma a als Arbeitgeber

und

Frau N B (…) als Arbeitnehmer

wird folgender Vertrag geschlossen:

§ 1  Einstellung und Aufgabengebiet

(1)  Der Arbeitnehmer wird mit Wirkung vom 18.05.98 als Fleischpackerin eingestellt.

(2)  Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer im Rahmen der gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen auch in einer anderen Abteilung einsetzen oder ihm andere, zumutbare Tätigkeiten zuweisen.

(…)“

In der Filiale der Beklagten in B werden sechs Teilzeitkräfte, zwei geringfügig Beschäftigte und zwei Vollzeitkräfte beschäftigt. Neben der 59jährigen Klägerin arbeitet noch eine 32jährige Mitarbeiterin in Vollzeit, die auch den Serviceverantwortlichen vertritt.

Die Beklagte versetzte die Klägerin mit Schreiben vom 02.01.2020 zum 06.01.2020 in die Filiale S wegen eines dort bestehenden akuten Personalbedarfs im Servicebereich für eine Vollzeitkraft.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes, einschließlich des Antrags, wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat die Verfügungsklage abgewiesen. Auf das Urteil (Bl. 65 – 76 d.A.) wird verwiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin, die weiter der Auffassung ist, die Versetzung sei nicht vom arbeitgeberseitigen Direktionsrecht gedeckt, da der zuletzt abgeschlossene Arbeitsvertrag B als Arbeitsort festgelegt habe.  Die Versetzung entspreche im Übrigen nicht billigem Ermessen. Sie habe bereits im Gespräch mit der Beklagten am 04.12.2019 mitgeteilt, dass sie zwar einen Führerschein habe, aber nicht außerhalb der Ortschaft und insbesondere nicht auf der Autobahn fahre und, dass sie ihre Mutter, die Pflegestufe 2 habe, als Pflegeperson betreue. Die Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, ihren Gesundheitszustand nicht gekannt zu haben. Sie – die Klägerin – sei am Ende jeder Schicht aufgrund der langen Stehzeiten an der Fleischtheke wegen einer ausgeprägten Kniearthrose und dem Verschleiss der Lendenwirbelsäule nach Hause gehumpelt. In der mündlichen Verhandlung überreicht die Klägervertreterin ein Attest des die Klägerin behandelnden Orthopäden vom 17.02.2020.

Auf den am 08.06.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz der Klägerin wird verwiesen. Darin beruft sich die Klägerin vor allem auf ihr gesteigertes Abwehrinteresse wegen durch die Versetzung offensichtlich bestehender erheblicher Gesundheitsgefahren und den Umstand, dass sie nunmehr kein Auto mehr habe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, sie als Verkäuferin in der Fleischabteilung der Filiale in 5 , zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Sie bestreitet, dass die Parteien am 04.12.2019 ein Gespräch mit dem von der Klägerin behaupteten Inhalt geführt haben. Sie bestreitet mit Nichtwissen, die von der Klägerin behaupteten Gesundheitlichen Beschwerden, einschließlich der Angaben in dem Attest vom 17.02.20. Selbst wenn diese Beschwerden vorliegen würden, wäre es der Klägerin möglich die Strecke von 23,8 Kilometern nach B mit dem Auto zurückzulegen. Der Einsatz in S verlängere die Stehzeiten nicht.

Wegen der Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.  Die Berufung der Klägerin ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Verfügungsklage zu Recht abgewiesen. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit welcher der Beklagten aufgegeben wird, die Klägerin in B einzusetzen, ist zulässig, jedoch in der Sache unbegründet. Es fehlt an einem Verfügungsanspruch. Die Versetzung der Beklagten vom 02.01.2020 ist nicht offensichtlich rechtswidrig. Damit besteht kein hinreichendes Abwehrinteresse der Klägerin.

Das Berufungsgericht schließt sich der zutreffenden Begründung des Arbeitsgerichts an. Die Berufung der Klägerin enthält keine neuen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkte, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten.

1.  Mit dem Arbeitsgericht ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:

Nach § 62 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 935, 940 ZPO kann im arbeitsgerichtlichen Verfahren der Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrt werden. Eine einstweilige Verfügung ist nach § 935 ZPO zu erlassen, wenn zu besorgen ist, dass durch die Veränderung eines bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 940 ZPO sind einstweilige Verfügungen auch zum Zweck der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen dringend erforderlich erscheint. Voraussetzung dafür ist auch im Rahmen des § 940 ZPO das Vorliegen einer zu sichernden Rechtsposition (Verfügungsanspruch) sowie eine besondere Eilbedürftigkeit (Verfügungsgrund), welche es erforderlich macht, zur Abwendung wesentlicher Nachteile bereits vor einer Klärung strittiger Rechtsfragen im Hauptsacheverfahren nach summarischer Prüfung eine vorläufige Regelung zu treffen (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 25.07.2017 – 11 SaGa 605/17). Es muss eine Abwägung der Folgen des Erlasses bzw. Nichterlasses der einstweiligen Verfügung unter Beachtung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache erfolgen (LAG Köln 07.04.2016 – 12 SaGa 9/16).

Wesentliche Nachteile sind bei der summarischen Überprüfung von Versetzungsanordnungen des Arbeitgebers nur in Ausnahmefällen anzunehmen. Allein der Umstand, dass eine möglicherweise vertragswidrige Beschäftigung des Arbeitnehmers nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, reicht hierfür nicht aus. Vielmehr erfordert die Bejahung eines Verfügungsgrundes für eine einstweilige Verfügung gegen Weisungen des Arbeitgebers zu Inhalt, Ort und Art der Arbeitsleistung, ein deutlich gesteigertes Abwehrinteresse des Arbeitnehmers, wie es bei erheblichen Gesundheitsgefahren, einer drohenden irreparablen Schädigung des beruflichen Ansehens oder bei schweren Gewissenskonflikten bestehen kann. Fehlt es an einem solchen Abwehrinteresse ist dem. Neben einem gesteigerten Abwehrinteresse des Arbeitnehmers erkennt die Rechtsprechung lediglich bei einer offenkundigen Rechtswidrigkeit der arbeitgeberseitigen Maßnahme das Bestehen eines Verfügungsgrundes an (vgl. dazu LAG Köln 10.02.2017 – 4 SaGa 3/17 – mwN); Korinth, Einstweiliger Rechtschutz im Arbeitsgerichtsverfahren, 3. Aufl. 2015, Rn. 51, 56).

2.  Zu Recht hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass nach diesen Grundsätzen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Beschäftigung der Klägerin in der Filiale B nicht erfüllt sind. Denn es fehlt insoweit an einem Verfügungsanspruch. Die Versetzung der Beklagten vom 02.01.2020 ist nicht offensichtlich rechtswidrig. Damit besteht auch kein hinreichendes Abwehrinteresse der Klägerin.

a.  Das Arbeitsgericht hat mit sorgfältiger Begründung – mit der sich die Klägerin in der Berufung nicht im Einzelnen auseinandergesetzt hat – festgestellt, dass der Arbeitsort der Klägerin im zuletzt abgeschlossenen Arbeitsvertrag nicht abschließend festgelegt worden ist und sich die Leistungspflicht der Klägerin nicht auf den Arbeitsort B konkretisiert hat. Wegen der weiteren Begründung, der sich das Berufungsgericht vollinhaltlich anschließt, wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts verwiesen. Damit unterliegt die Versetzung der Klägerin dem Direktionsrecht der Beklagten nach §§ 106 GewO, 315 BGB.

b.  Die Beklagte hat das ihr dabei obliegende Ermessen auch nicht offensichtlich fehlerhaft ausgeübt.  Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Versetzung vom 02.01.2020 auf der unternehmerischen Entscheidung beruht, einen in S akuten Personalbedarf im Umfang einer Vollzeitkraft mit einer Arbeitnehmerin aus der Filiale B zu besetzen. Das Arbeitsgericht hat weiter mit ausführlicher Begründung festgestellt, dass die Auswahl der Klägerin nicht willkürlich, sondern aus sachlichen Gründen erfolgt ist. Dabei hat die Beklagte betriebliche und soziale Gesichtspunkte hinsichtlich der Klägerin sowie der übrigen Mitarbeiterinnen abgewogen. Das Arbeitsgericht kommt zutreffend zu dem Ergebnis, dass die Ermessensausübung jedenfalls nicht offensichtlich ermessensfehlerhaft ist. Wegen der weiteren Begründung, der sich das Berufungsgericht vollinhaltlich anschließt, wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts verwiesen.

Die Einwände der Klägerin in der Berufung greifen nicht durch. Die Klägerin wendet vor allem ein, die Beklagte habe ihre besonderen gesundheitlichen Beschwerden, die ihr auch bekannt gewesen seien, nicht ausreichend berücksichtigt. Diesen Vortrag, einschließlich der Angaben des in der mündlichen Verhandlung überreichten Attestes hat die Beklagte in zulässiger Weise bestritten. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Klägerin ihren Vortrag nach den Maßstäben des einstweiligen Verfügungsverfahrens hinreichend glaubhaft gemacht hat, bleibt es dabei, dass die Versetzung der Klägerin nach dem damaligen Kenntnisstand Beklagte jedenfalls nicht offensichtlich ermessensfehlerhaft gewesen ist. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Versetzung nach S zu keiner Veränderung der Tätigkeit der Klägerin geführt hat. Das Gericht verkennt nicht, dass auch der längere Weg zur Arbeit eine gesundheitliche Belastung darstellen kann, insbesondere, wenn dieser Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden müsste. Die Klägerin hat jedoch – im Unterschied zu anderen Mitarbeiterinnen der Filiale B – einen Führerschein und besaß außerdem zum Zeitpunkt der Versetzung ein Auto. Dass es der Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist, die Strecke von ca. 23 Kilometern nach S mit dem Auto zu fahren und sie dies darüber hinaus der Beklagten zur Kenntnis gebracht hat, hat die Klägerin nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Soweit die Klägerin in der Berufung vorträgt, sie habe nun kein Auto mehr zur Verfügung, konnte  dieser erst nach Ausspruch der Versetzung eingetretene Umstand – als wahr unterstellt – von der Beklagten nicht in ihre Ermessensabwägung einbezogen werden. Dieser Umstand ist daher auch nicht geeignet, die Rechtswidrigkeit der Versetzung zu begründen.

Es fehlt somit an einem Verfügungsanspruch. Damit besteht auch kein hinreichendes Abwehrinteresse der Klägerin.

II.  Die Klägerin hat die Kosten der erfolglosen Berufung zu tragen(§ 97 Abs. 1 ZPO).

Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben.

 

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