Stellen Sie sich vor, Ihr Arbeitgeber kündigt Ihnen, aber Sie erfahren es nie, weil der Brief angeblich nie ankam. Genau diese heikle Situation rund um den Nachweis der Zustellung per Einwurf-Einschreiben hat das Bundesarbeitsgericht beschäftigt und zu einer wichtigen Entscheidung geführt, die sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer kennen sollten. Denn ein einfacher Einlieferungsbeleg reicht oft nicht aus, um den Zugang rechtssicher zu beweisen.
Übersicht:
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Der Zankapfel Zustellung – Warum der Briefkasten zum Gerichtssaal werden kann
- Der Fall vor dem Bundesarbeitsgericht: Wenn die Kündigung im Briefkasten verschwindet
- Das Kernproblem: Wie beweist man den Zugang eines Briefes?
- Einwurf-Einschreiben: Die vermeintlich sichere Zustellungsart unter der Lupe
- Praktische Konsequenzen: Was bedeutet das Urteil für Arbeitgeber und Arbeitnehmer?
- Alternativen zum Einwurf-Einschreiben: Sichere Wege der Zustellung im Überblick
- Einordnung und Ausblick: Mehr als nur ein Einzelfall
- Zusammenfassung: Das Wichtigste auf einen Blick

Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Urteilskern: Der bloße Einlieferungsbeleg und der Online-Sendungsstatus eines Einwurf-Einschreibens genügen nicht als Anscheinsbeweis für den Zugang eines wichtigen Schreibens (wie einer Kündigung).
- Beweislast: Der Absender (z.B. der Arbeitgeber) trägt die volle Beweislast dafür, dass das Schreiben den Empfänger tatsächlich erreicht hat (Zugang).
- Online-Status wertlos: Das BAG hält den Online-Status für den Zugangsnachweis für ungeeignet, da er anonym, vage und nicht überprüfbar ist und dem Empfänger keine faire Chance zur Gegenwehr gibt.
- Auslieferungsbeleg (eventuell relevant): Ob die Vorlage des Auslieferungsbelegs (vom Zusteller unterschrieben) nach BGH-Rechtsprechung für einen Anscheinsbeweis ausreichen könnte, ließ das BAG offen, da dieser im konkreten Fall nicht vorgelegt wurde. Allein der Einlieferungsbeleg und der Online-Status reichen aber definitiv nicht.
- Risiko für Absender: Verlässt sich ein Arbeitgeber nur auf Einlieferungsbeleg und Online-Status, riskiert er, dass die Kündigung als nicht zugegangen und somit als unwirksam gilt, wenn der Empfänger den Erhalt bestreitet.
- Sichere Zustellalternativen:
- Persönliche Übergabe unter Zeugen (mit Aktenvermerk).
- Zustellung durch einen Boten (mit detailliertem Zustellprotokoll).
- Zustellung durch einen Gerichtsvollzieher.
- Wichtigkeit für Empfänger: Arbeitnehmer sind in einer stärkeren Position, wenn der Zugang strittig ist. Bei Erhalt einer Kündigung unbedingt die 3-Wochen-Frist für die Kündigungsschutzklage beachten und bei Zweifeln am Zugang umgehend Rechtsrat einholen.
Der Zankapfel Zustellung – Warum der Briefkasten zum Gerichtssaal werden kann
Im Geschäftsleben, besonders im Arbeitsrecht, ist der Zugang wichtiger Schreiben von entscheidender Bedeutung. Eine Kündigung, eine Mahnung oder eine Fristsetzung wird rechtlich erst wirksam, wenn sie den Empfänger erreicht hat. Doch was passiert, wenn der Empfänger behauptet, das Schreiben nie erhalten zu haben? Wer muss dann beweisen, dass der Brief tatsächlich im Briefkasten gelandet ist?
Diese Frage stellt sich immer wieder, insbesondere bei der Verwendung von Einwurf-Einschreiben. Viele halten diese Versandart für einen sicheren Weg, den Zugang nachzuweisen. Ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 30. Januar 2025 (Az. 2 AZR 68/24) hat jedoch klargestellt: So einfach ist es nicht. Dieser Artikel erklärt Ihnen verständlich, was das Gericht entschieden hat, welche Fallstricke beim Zustellungsnachweis lauern und was das für Ihre Rechte und Pflichten bedeutet – egal ob Sie Arbeitgeber oder Arbeitnehmer sind.
Der Fall vor dem Bundesarbeitsgericht: Wenn die Kündigung im Briefkasten verschwindet

Um die Bedeutung des Urteils zu verstehen, hilft ein Blick auf den konkreten Fall, der vor dem höchsten deutschen Arbeitsgericht landete.
Die Vorgeschichte: Ein zerrüttetes Arbeitsverhältnis
Im Mittelpunkt stand eine Arzthelferin, die in einer augenärztlichen Praxis beschäftigt war. Das Vertrauensverhältnis zwischen ihr und ihrem Arbeitgeber war offenbar tiefgreifend gestört. Der Arbeitgeber warf ihr vor, im Impfpass ihres Ehemannes drei Corona-Impfungen eingetragen zu haben, die nie stattgefunden hätten. Nach einer Hausdurchsuchung bei der Mitarbeiterin soll sie sich zudem – dies war unstreitig – nachts per Fernzugriff in das Praxissystem eingeloggt und an 28 Stellen die Patientenakte ihres Mannes manipuliert haben.
Der erste Kündigungsversuch scheitert am Mutterschutz
Bereits im März 2022 hatte der Arbeitgeber versucht, das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, also mit sofortiger Wirkung, zu kündigen. Hilfsweise wurde eine ordentliche Kündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist ausgesprochen. Dagegen wehrte sich die Arzthelferin erfolgreich mit einer Kündigungsschutzklage. Sie wies auf eine bestehende Schwangerschaft hin. Schwangere genießen in Deutschland einen besonderen Kündigungsschutz nach dem Mutterschutzgesetz. Eine Kündigung während der Schwangerschaft ist nur in sehr engen Ausnahmefällen und mit Zustimmung der zuständigen Behörde möglich. Das Arbeitsgericht bestätigte später (im Januar 2023), dass diese erste Kündigung unwirksam war.
Der zweite Kündigungsversuch per Einwurf-Einschreiben
Nachdem die zuständige Behörde (das Regierungspräsidium) dem Arbeitgeber im Juli 2022 die erforderliche Zustimmung zur Kündigung erteilt hatte, unternahm dieser einen neuen Versuch. Mit Schreiben vom 26. Juli 2022 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis erneut außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich. Dieses entscheidende Kündigungsschreiben wurde per Einwurf-Einschreiben an die Adresse der Arzthelferin geschickt.
Der Streitpunkt: Kam der Brief wirklich an?
Im laufenden Kündigungsschutzverfahren brachte der Arbeitgeber diese zweite Kündigung erst Monate später, im November 2022, ins Spiel. Die Arzthelferin bestritt jedoch vehement, dieses zweite Kündigungsschreiben vom 26. Juli 2022 jemals erhalten zu haben. Der Arbeitgeber legte als Beweis für den Zugang den Einlieferungsbeleg des Einwurf-Einschreibens vor sowie einen Ausdruck des online abgerufenen Sendungsstatus, der besagte: „Die Sendung wurde am 28.07.2022 zugestellt.“ Doch reichte das aus?
Das Kernproblem: Wie beweist man den Zugang eines Briefes?
Bevor wir uns die Entscheidung des BAG genauer ansehen, ist es wichtig, das zugrundeliegende rechtliche Prinzip zu verstehen: den Zugang einer Willenserklärung.
Eine Willenserklärung ist eine Äußerung, die darauf abzielt, eine bestimmte Rechtsfolge herbeizuführen – wie eben eine Kündigung. Damit eine solche Erklärung wirksam wird, muss sie dem Empfänger „zugehen“. Nach § 130 Absatz 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gilt ein Schreiben (eine verkörperte Willenserklärung) unter Abwesenden dann als zugegangen, wenn es so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Umständen die Möglichkeit hat, davon Kenntnis zu nehmen.
Der Briefkasten gehört typischerweise zum Machtbereich des Empfängers. Wird ein Brief dort eingeworfen, gilt er in der Regel als zugegangen, sobald nach der allgemeinen Lebenserfahrung mit der nächsten Leerung durch den Empfänger zu rechnen ist (meist im Laufe des Tages des Einwurfs). Ob der Empfänger den Brief tatsächlich liest oder nicht, spielt für den Zeitpunkt des Zugangs keine Rolle. Entscheidend ist die Möglichkeit der Kenntnisnahme.
Die Krux mit dem Nachweis: Wer muss was beweisen?
Im Streitfall liegt die Beweislast – also die Pflicht, eine Tatsache vor Gericht zu beweisen – bei demjenigen, der sich auf den Zugang beruft. Im Fall einer Kündigung ist das der Absender, also der Arbeitgeber. Er muss beweisen, dass das Kündigungsschreiben tatsächlich im Briefkasten der Arbeitnehmerin gelandet ist und sie somit die Möglichkeit hatte, es zur Kenntnis zu nehmen. Gelingt ihm dieser Beweis nicht, gilt die Kündigung als nicht zugegangen und ist somit unwirksam.
Einwurf-Einschreiben: Die vermeintlich sichere Zustellungsart unter der Lupe
Viele Absender greifen zum Einwurf-Einschreiben, weil sie glauben, damit den Zugang sicher nachweisen zu können. Doch das BAG-Urteil zeigt die Grenzen dieser Methode auf.
Was ist ein Einwurf-Einschreiben?
Beim Einwurf-Einschreiben dokumentiert der Postzusteller den Einwurf der Sendung in den Briefkasten oder das Postfach des Empfängers mit seiner Unterschrift auf einem Auslieferungsbeleg. Der Absender erhält einen Einlieferungsbeleg als Nachweis, dass er den Brief aufgegeben hat, und kann den Sendungsstatus online verfolgen. Im Gegensatz zum Übergabe-Einschreiben (Einschreiben mit Rückschein) wird die Sendung nicht persönlich übergeben, und der Empfänger quittiert den Erhalt nicht selbst.
Der Trugschluss vom Anscheinsbeweis: Warum der Einlieferungsbeleg nicht reicht
Der Arbeitgeber im BAG-Fall hoffte auf den sogenannten Anscheinsbeweis (auch Prima-facie-Beweis genannt). Ein Anscheinsbeweis erleichtert die Beweisführung in Situationen, in denen ein bestimmter Ablauf typischerweise zu einem bestimmten Ergebnis führt. Man geht aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung davon aus, dass, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen, auch das erwartete Ergebnis (hier: Der Zugang des Briefes) eingetreten ist.
Das BAG stellte jedoch klar:
- Bei einfachen Briefen gibt es keinen Anscheinsbeweis für den Zugang. Die bloße Absendung beweist nichts über den Erhalt.
- Die Vorlage des Einlieferungsbelegs eines Einwurf-Einschreibens allein erhöht die Wahrscheinlichkeit des Zugangs gegenüber einem einfachen Brief nicht signifikant genug, um einen Anscheinsbeweis zu begründen. Der Einlieferungsbeleg beweist nur die Aufgabe bei der Post, nicht den Einwurf in den richtigen Briefkasten.
Der entscheidende Unterschied: Der Auslieferungsbeleg als Schlüssel zum Beweis
Hier kommt der Auslieferungsbeleg ins Spiel. Der Bundesgerichtshof (BGH), das oberste deutsche Zivilgericht, hatte in früheren Entscheidungen (z.B. BGH, Urteil v. 27.09.2016 – II ZR 299/15) ausgeführt, dass ein Anscheinsbeweis für den Zugang eines Einwurf-Einschreibens dann sprechen kann, wenn der Absender sowohl den Einlieferungsbeleg als auch eine Reproduktion des Auslieferungsbelegs vorlegt.
Dieser Auslieferungsbeleg muss bestimmten Anforderungen genügen: Er sollte idealerweise dokumentieren, dass der Zusteller ein bestimmtes Verfahren eingehalten hat (z.B. Abziehen eines Etiketts vom Brief, Aufkleben auf den Beleg, Bestätigung des Einwurfs mit Unterschrift und Datum). Dieser dokumentierte Vorgang soll sicherstellen, dass der Zusteller seine Aufmerksamkeit besonders auf diese Sendung gerichtet hat und der Einwurf korrekt erfolgt ist.
Das BAG ließ in seiner Entscheidung offen, ob es dieser BGH-Rechtsprechung uneingeschränkt folgt. Im konkreten Fall spielte das aber keine Rolle, denn der Arbeitgeber konnte den entscheidenden Auslieferungsbeleg gar nicht vorlegen, sondern lediglich den Ausdruck der Online-Sendungsverfolgung.
Warum der Online-Sendungsstatus laut BAG nicht genügt
Der Arbeitgeber hatte stattdessen nur den Online-Sendungsstatus vorgelegt. Diesen bewertete das BAG als unzureichend für einen Anscheinsbeweis.
Die Gründe:
Anonymität: Der Status verrät nicht, wer die Zustellung vorgenommen hat.
Fehlende Details: Es fehlen Angaben zur genauen Uhrzeit, zur konkreten Adresse oder zum Zustellbezirk. Es ist unklar, wie zugestellt wurde (Einwurf, Übergabe?).
Kein Nachweis über Verfahren: Der Status belegt nicht, dass der Zusteller das vorgeschriebene Verfahren (wie vom BGH beschrieben) eingehalten und die notwendige Sorgfalt hat walten lassen.
Erschwerte Gegenwehr: Für den Empfänger ist es praktisch unmöglich, den Anscheinsbeweis zu erschüttern oder einen Gegenbeweis anzutreten, wenn nur ein solch vager Online-Status vorliegt. Er weiß nicht, wen er als Zeugen benennen könnte oder welche konkreten Umstände der Zustellung er widerlegen sollte.
Der Arbeitgeber hätte die Reproduktion des Auslieferungsbelegs bei der Deutschen Post anfordern können (die Aufbewahrungsfrist beträgt laut Urteil 15 Monate). Da er dies versäumt hatte, obwohl die Arbeitnehmerin den Zugang frühzeitig bestritten hatte, blieb er den Beweis für den Zugang schuldig. Die Kündigung vom 26. Juli 2022 war somit unwirksam.
[themifybox]Wichtig: Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (2 AZR 68/24) stellt klar: Der bloße Einlieferungsbeleg und der Online-Sendungsstatus eines Einwurf-Einschreibens begründen keinen Anscheinsbeweis für den Zugang einer Kündigung oder eines anderen wichtigen Schreibens. Für einen möglichen Anscheinsbeweis ist nach der Rechtsprechung des BGH zusätzlich die Vorlage einer Reproduktion des Auslieferungsbelegs erforderlich, der die ordnungsgemäße Zustellung durch den Postboten dokumentiert.[/themifybox]
Praktische Konsequenzen: Was bedeutet das Urteil für Arbeitgeber und Arbeitnehmer?
Die Entscheidung des BAG hat erhebliche praktische Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wichtige Dokumente, insbesondere Kündigungen, zugestellt werden sollten.
Für Arbeitgeber: Risiken minimieren, Kündigungen sicher zustellen
Für Arbeitgeber bedeutet das Urteil primär eines: Vorsicht bei der Wahl der Zustellmethode! Das Einwurf-Einschreiben birgt erhebliche Risiken, wenn der Zugang im Streitfall nicht lückenlos bewiesen werden kann. Scheitert der Zugangsnachweis, ist die Kündigung unwirksam – mit allen Konsequenzen (z.B. Lohnnachzahlungen, Weiterbeschäftigung).
Was können Arbeitgeber tun, um den Zugang rechtssicher nachzuweisen?
- Persönliche Übergabe unter Zeugen: Die sicherste Methode ist die persönliche Übergabe des Schreibens an den Empfänger. Idealerweise geschieht dies im Beisein eines Zeugen, der nicht selbst Partei des Arbeitsvertrages ist (z.B. ein Kollege aus der Personalabteilung, der nicht direkt Vorgesetzter ist). Der Zeuge sollte den Inhalt des übergebenen Schreibens kennen (oder zumindest das Kuvert und dessen Inhalt bezeugen können) und den Vorgang (Datum, Uhrzeit, Ort, Reaktion des Empfängers) schriftlich dokumentieren (Aktenvermerk). Der Empfänger kann gebeten werden, den Erhalt zu quittieren, ist dazu aber nicht verpflichtet.
- Zustellung durch Boten: Eine ebenfalls sehr sichere Methode ist die Zustellung durch einen Boten. Dies kann ein Mitarbeiter des Unternehmens sein oder ein externer Kurierdienst. Wichtig ist:
Der Bote sollte zuverlässig sein und als Zeuge vor Gericht aussagen können.
Der Bote sollte den Inhalt des Schreibens kennen oder zumindest bestätigen können, dass das Originalschreiben in den Umschlag gelegt wurde, der dann verschlossen und von ihm zugestellt wurde.
Der Bote sollte den Einwurf in den Briefkasten des Empfängers (Datum, Uhrzeit, genaue Adresse, Beschreibung des Briefkastens) detailliert schriftlich dokumentieren (Zustellprotokoll). Dieses Protokoll dient als Gedächtnisstütze für eine mögliche spätere Zeugenaussage.
Auch die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) empfahl im Nachgang zur Entscheidung des Landesarbeitsgerichts in diesem Fall die Zustellung durch einen persönlich bekannten Boten als sicherere Alternative.
- Zustellung durch Gerichtsvollzieher: Eine weitere, sehr sichere, aber auch aufwändigere und kostenintensivere Methode ist die Zustellung durch einen Gerichtsvollzieher (§ 132 BGB). Der Gerichtsvollzieher stellt das Schreiben förmlich zu und erstellt darüber eine amtliche Urkunde, die öffentlichen Glauben genießt und als starker Beweis für den Zugang dient.
- Übergabe-Einschreiben (mit Rückschein)? Dieses ist nicht unbedingt sicherer als das Einwurf-Einschreiben. Zwar erhält der Absender bei erfolgreicher Zustellung einen vom Empfänger unterschriebenen Rückschein. Wird der Empfänger aber nicht angetroffen und holt er das hinterlegte Schreiben nicht bei der Post ab, gilt es als nicht zugegangen. Auch die Annahmeverweigerung kann problematisch sein.
Zusammenfassend für Arbeitgeber: Verlassen Sie sich nicht blind auf das Einwurf-Einschreiben. Wählen Sie eine Zustellmethode, die Ihnen einen lückenlosen und glaubhaften Beweis des Zugangs ermöglicht. Dokumentieren Sie den Zustellvorgang sorgfältig.
Für Arbeitnehmer: Rechte kennen und wahrnehmen
Für Arbeitnehmer bedeutet das Urteil eine Stärkung ihrer Position, wenn der Zugang einer Kündigung oder eines anderen wichtigen Schreibens strittig ist.
Die Beweislast liegt beim Arbeitgeber: Wenn Sie bestreiten, ein Schreiben erhalten zu haben, muss der Arbeitgeber das Gegenteil beweisen. Gelingt ihm das nicht, ist das Schreiben (z.B. die Kündigung) unwirksam.
Prüfen Sie Ihre Post sorgfältig: Achten Sie darauf, wann welche Schreiben in Ihrem Briefkasten landen. Leeren Sie Ihren Briefkasten regelmäßig, auch während Abwesenheiten (Urlaub, Krankheit), oder organisieren Sie eine Vertretung. Das Ignorieren von Post löst das Problem nicht.
Handeln Sie bei Kündigungen schnell: Wenn Sie eine Kündigung erhalten, beginnt eine dreiwöchige Frist für die Erhebung einer Kündigungsschutzklage (§ 4 KSchG). Diese Frist startet erst mit dem Zugang der schriftlichen Kündigung. Wenn Sie Zweifel am behaupteten Zugangsdatum haben oder die Kündigung erst verspätet erhalten, ist dies ein wichtiger Punkt für eine mögliche Klage.
Suchen Sie rechtzeitig Rat: Wenn Sie eine Kündigung erhalten oder wenn Ihr Arbeitgeber sich auf den Zugang eines Schreibens beruft, das Sie Ihrer Meinung nach nicht oder erst später erhalten haben, sollten Sie umgehend rechtlichen Rat einholen (z.B. bei einem Fachanwalt für Arbeitsrecht oder einer Gewerkschaft). Ein Experte kann prüfen, ob der Zugang ordnungsgemäß erfolgt ist und ob die Kündigung auch aus anderen Gründen angreifbar ist.
Alternativen zum Einwurf-Einschreiben: Sichere Wege der Zustellung im Überblick
Um Missverständnisse und rechtliche Auseinandersetzungen über den Zugang zu vermeiden, bieten sich folgende Zustellmethoden als sicherere Alternativen zum Einwurf-Einschreiben an:
Persönliche Übergabe mit Zeugen:
Vorteil: Direkte Übergabe, Möglichkeit der sofortigen Klärung von Fragen (optional), Zeuge kann den Vorgang bestätigen.
Nachteil: Empfänger muss anwesend sein, kann Quittung verweigern.
Zustellung durch Boten (mit detailliertem Protokoll):
Vorteil: Funktioniert auch bei Abwesenheit des Empfängers (Einwurf in Briefkasten), Bote dient als glaubhafter Zeuge, Protokoll als Beweismittel.
Nachteil: Erfordert einen zuverlässigen Boten und sorgfältige Dokumentation.
Zustellung durch Gerichtsvollzieher:
Vorteil: Höchste Beweiskraft durch amtliche Zustellungsurkunde.
Nachteil: Höhere Kosten, etwas mehr organisatorischer Aufwand.
Die Wahl der Methode hängt von der Wichtigkeit des Dokuments, der spezifischen Situation und der gewünschten Beweissicherheit ab.
Einordnung und Ausblick: Mehr als nur ein Einzelfall
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum Einwurf-Einschreiben ist mehr als nur die Entscheidung eines Einzelfalls. Es unterstreicht die fundamentale Bedeutung von Formvorschriften und Beweislastregeln im Rechtsverkehr, insbesondere im sensiblen Bereich des Arbeitsrechts, wo Kündigungen tiefgreifende Auswirkungen auf die Existenz von Arbeitnehmern haben.
Die Entscheidung erinnert daran, dass technische Möglichkeiten wie die Online-Sendungsverfolgung nicht automatisch die etablierten rechtlichen Anforderungen an einen Beweis erfüllen. Gerichte legen weiterhin Wert auf nachvollziehbare, dokumentierte und überprüfbare Zustellvorgänge, die auch dem Empfänger eine faire Chance zur Gegenwehr lassen.
Auch wenn sich das Urteil konkret auf eine arbeitsrechtliche Kündigung bezieht, hat die Frage des Zugangsnachweises auch in vielen anderen Rechtsbereichen Relevanz (z.B. Mietrecht, Vertragsrecht, Mahnwesen). Die Grundsätze zur Beweislast und zur Bewertung von Zustellmethoden sind übertragbar. Es bleibt abzuwarten, ob und wie sich die Praxis der Zustelldienstleister möglicherweise anpasst, um den Anforderungen der Rechtsprechung besser gerecht zu werden.
Zusammenfassung: Das Wichtigste auf einen Blick
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass der Einlieferungsbeleg und der Online-Sendungsstatus eines Einwurf-Einschreibens allein nicht ausreichen, um den Zugang einer Kündigung per Anscheinsbeweis nachzuweisen (BAG, Urteil v. 30.01.2025 – 2 AZR 68/24).
Die Beweislast für den Zugang eines Schreibens (z.B. einer Kündigung) liegt immer beim Absender (z.B. dem Arbeitgeber).
Für einen möglichen Anscheinsbeweis beim Einwurf-Einschreiben ist nach Rechtsprechung des BGH zusätzlich die Vorlage einer Reproduktion des Auslieferungsbelegs erforderlich, der die ordnungsgemäße Zustellung durch den Postboten dokumentiert.
Der Online-Sendungsstatus bietet laut BAG keine ausreichende Gewähr für den Zugang, da er zu vage ist und dem Empfänger kaum Möglichkeiten zur Gegenwehr bietet.
Sicherere Alternativen zur Zustellung wichtiger Schreiben sind die persönliche Übergabe unter Zeugen, die Zustellung durch einen Boten mit detailliertem Protokoll oder die Zustellung durch einen Gerichtsvollzieher.
Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer sollten sich der Bedeutung des Zugangsnachweises bewusst sein und im Streitfall bzw. bei Erhalt wichtiger Schreiben rechtzeitig rechtlichen Rat einholen.
Dieses Urteil ist eine wichtige Erinnerung daran, dass im Recht Sorgfalt und nachweisbare Fakten zählen – gerade wenn es um so einschneidende Ereignisse wie eine Kündigung geht.
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Hinweis: Dieser Artikel dient der allgemeinen Information und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung. Die dargestellten Rechtsauffassungen entsprechen dem Stand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Rechtsänderungen und abweichende Einzelfallentscheidungen sind möglich.