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Entfernung einer Anlassbeurteilung aus Personalakte

LG Frankfurt (Oder) – Az.: 2 K 315/20 – Urteil vom 15.06.2022

Der Beklagte wird unter insoweit teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 30. November 2018 und unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 10. Oktober 2019 verpflichtet, die Anlassbeurteilung vom 23. Juni 2017 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Entfernung einer Anlassbeurteilung aus der Personalakte.

Er ist Beamter im höheren allgemeinen Verwaltungsdienst beim Beklagten. Seit 2 … ist sein dienstlicher Wohnsitz Frankfurt (Oder). Vom November 2011 bis zum 20. August 2017 war der Kläger der für sämtliche P … in der Polizeidirektion N … zuständige L …

Da sich der Kläger beim Z … auf eine Beförderungsstelle beworben hatte, wurde für ihn die vom Polizeipräsidenten unterzeichnete Anlassbeurteilung vom 23. Juni 2017 erstellt, die ein Gesamturteil aus der Gesamtnote der Leistungsbeurteilung … und den Werten der Befähigungsbeurteilung bildet, und ihm vom Entwerfer, dem Leiter des Stabsbereichs 1 der Polizeidirektion N … am 24. Juli 2017 eine Kopie ausgehändigt. Eine Besprechung der Beurteilung fand nicht statt. Sie wurde vom Kläger nicht verlangt. Er war vom 25. Juli 2017 bis einschließlich 25. August 2017 dienstunfähig erkrankt. Vom 21. August 2017 bis zum 31. Januar 2018 war der Kläger zum L … umgesetzt.

Die Beurteilung enthält unter dem vorgedruckten Punkt „VII. Eröffnung“ nur die Eintragung des Datums der Aushändigung. Alle weiteren nach dem amtlichen Vordruck vorgesehenen Eintragungen fehlen. Die Aushändigung wurde vom Kläger nicht durch Unterschrift bestätigt. Es wurde weder bestätigt, dass die Beurteilung eröffnet, noch dass ein Beurteilungsgespräch geführt wurde, noch dass der Beurteilungsbeitrag des bis 28. Februar 2017 unmittelbaren Dienstvorgesetzten „nach Nummer 7.2 BeurtVV“ vom Kläger zur Kenntnis genommen wurde, noch dass der Kläger mit der Beurteilung einverstanden ist oder dass der Kläger sie zur Kenntnis genommen hat. Der Kläger verwendete die Beurteilung im Bewerbungsverfahren nicht.

Die ressortinterne Ausschreibung der Stelle, auf die sich der Kläger beworben hatte, wurde aufgehoben. Dies wurde dem Kläger mit Schreiben vom 20. September 2017 mitgeteilt.

Die Beurteilung wurde mit Schreiben vom 14. November 2018 durch den Leiter des Direktionsstabs der Polizeidirektion N … dem Polizeipräsidenten zur Aufnahme in die Personalakte des Klägers übermittelt. Dort fand die Beurteilung als Blätter 221 bis 230 Eingang in die Personalakte des Klägers. Der Kläger nahm am 27. November 2018 wegen der Umsetzung zum L … Einsicht in seine Personalakte.

Mit Schreiben vom 28. November 2018 beanstandete der Kläger unter anderem, dass die Aufnahme der nicht eröffneten dienstlichen Anlassbeurteilung vom 23. Juni 2017 in die Personalakte weisungswidrig sei. Er verlangte die „Berichtigung“ beziehungsweise „Löschung“. Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 30. November 2018 unter anderem die Entfernung der Beurteilung aus der Personalakte, und zwar unter Bezugnahme auf § 99 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Landesbeamtengesetz (LBG) ab. Für die Eröffnung der Beurteilung komme es nur auf die Aushändigung und nicht auf die Quittierung der Kenntnisnahme an. Die Wirksamkeit der Beurteilung sei auch nicht von der Durchführung des Eröffnungsgesprächs abhängig, da dies nur auf Wunsch des Beurteilten zu führen sei.

Gegen die Beurteilung vom 23. Juni 2017 und die Entscheidung der Nichtentfernung erhob der Kläger am 10. Dezember 2018 „Dienstaufsichtsbeschwerde“, die er insbesondere damit begründete, dass er nicht gemäß § 96 LBG vor Aufnahme der Beurteilung in die Personalakte angehört worden sei. Von dem zuständigen Mitarbeiter des Beklagten sei ihm die Vernichtung des Beurteilungsentwurfs in einem Gespräch am 4. August 2017 zugesagt worden. Zu dem Zeitpunkt sei es unstreitig gewesen, dass die Beurteilung nicht eröffnet worden sei. Der Kläger sei auch nicht durch seinen unmittelbaren Vorgesetzten beurteilt worden.

Hierauf wies der Beklagte die als Widerspruch gewertete „Dienstaufsichtsbeschwerde“ mit Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2019 zurück. Die dienstliche Beurteilung vom 23. Juni 2017 sei nicht aus der Personalakte zu entfernen. Das Recht, gegen die Beurteilung vorzugehen, sei verwirkt. Ein erstmaliger Widerspruch nach 17 Monaten sei treuwidrig. Die Beurteilung sei übergeben worden. Auf ein Eröffnungsgespräch komme es nicht an. Es bestehe aus der Schutz- und Fürsorgeverpflichtung des Dienstherrn kein Anspruch auf Entfernung aus der Personalakte. § 99 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBG stehe dem sogar entgegen. Eine schriftliche Zusicherung, die Beurteilung zu vernichten, liege nicht vor.

Der Kläger hat am 7. November 2019 Klage beim Verwaltungsgericht Potsdam erhoben. Das Verfahren ist mit Beschluss vom 5. März 2020 – VG 2 K 2815/19 – an das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) verwiesen worden.

Der Kläger trägt vor, dass es mehrere Gründe gebe, die Beurteilung aus der Personalakte zu entfernen. Die Beurteilung sei nie über das Stadium des Entwurfs hinausgegangen. Der Entwerfer der Beurteilung sei nur ein Abwesenheitsvertreter des zum Zeitpunkt der Beurteilung umgesetzten und eigentlich nach der Beurteilungsrichtlinie zuständigen unmittelbaren Vorgesetzten gewesen. Da dem Vertreter die Wahrnehmung der Dienstgeschäfte des Leiters des Direktionsstabs zum Zeitpunkt der Beurteilung noch nicht förmlich übertragen worden sei, sei er für den Entwurf der Beurteilung nicht zuständig gewesen.

Der Kläger sei mit der Anlassbeurteilung nicht einverstanden, da sie nicht seine anderweitig dokumentierte Leistungssteigerung widerspiegele. Vielmehr sei man ihm gegenüber wegen einer dienstlichen Auseinandersetzung voreingenommen gewesen. Mit der Beurteilung habe er sich nicht für ein Spitzenamt bewerben können.

Die Beurteilung sei bis heute nicht eröffnet worden. Zur Eröffnung habe nach der damals geltenden Beurteilungsrichtlinie auch die Besprechung gehört. Die Beurteilung enthalte nicht die entsprechenden Bestätigungsvermerke, die nach dem amtlichen Vordruck anzubringen seien. Das Eröffnungsgespräch hätte ihm trotz seiner Erkrankung angeboten werden müssen. Dies sei entgegen der Behauptung des Leiters der Polizeidirektion N … nicht geschehen.

Der Anlass für die Anlassbeurteilung sei entfallen. Die Beurteilung sei nie in einem Auswahlverfahren zur Stellenbesetzung verwendet worden, da das Auswahlverfahren abgebrochen und die Stellenausschreibung aufgehoben worden sei. Die Anlassbeurteilung habe beim Entwerfer gelegen, bis dieser sie am 14. November 2018 an die Polizeidirektion N … übersandt habe.

Verwirkung sei nicht eingetreten, da die Beurteilung erst nach Übersendung mit Schreiben vom 14. November 2018 in die Personalakte aufgenommen worden sei. Davon habe der Kläger durch Einsichtnahme in die Personalakte am 27. November 2018 Kenntnis erlangt. Zu dieser Aufnahme hätte er allein schon wegen des zeitlichen Abstands aus Fürsorge und gemäß § 96 LBG informiert und angehört werden müssen.

Der Personalleiter des Polizeipräsidiums habe dem Kläger in einem persönlichen Gespräch am 4. August 2017 die Vernichtung der Beurteilung zugesagt, da diese nicht eröffnet worden sei. Dies habe der Personalleiter auch gegenüber der damaligen Rechtsanwältin des Klägers zugesagt. Der Kläger habe sich darauf verlassen, dass die Beurteilung vernichtet werden würde.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Beklagten unter insoweit teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 30. November 2018 und unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 10. Oktober 2019 zu verpflichten, die Anlassbeurteilung vom 23. Juni 2017 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen,

und trägt unter anderem vor, dass dem Kläger ein Eröffnungsgespräch angeboten worden sei. Der Kläger sei allerdings zunächst länger dienstunfähig erkrankt und danach umgesetzt worden. Das Gespräch sei daher nicht mehr zustande gekommen. Der Kläger habe nie danach gefragt. Rechtsbehelfe gegen die Beurteilung seien verwirkt. Wäre zudem ein Eröffnungsgespräch Voraussetzung einer wirksamen Beurteilung, läge es in der Disposition des Beamten, ob die dienstliche Beurteilung verwertbar werde oder nicht. Dem Kläger sei bekannt gewesen, dass er Rechtsschutz gegen die Beurteilung habe suchen müssen, und er habe auch die Möglichkeit dazu gehabt. Der Entwerfer sei bereits zuvor Abwesenheitsvertreter des Stabsleiters gewesen. Er habe selbstverständlich auch Beurteilungsentwürfe fertigen dürfen. Der beurteilende Polizeipräsident habe den Kläger mit allen anderen Beamtinnen und Beamten im gleichen Statusamt verglichen. Gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBG dürfe die dienstliche Beurteilung selbst dann nicht aus der Personalakte entfernt werden, wenn sie für den Beamten ungünstig sei. Es bestehe auch kein Anspruch aus der Schutz- und Fürsorgeverpflichtung, die Beurteilung aus der Personalakte zu entfernen.

Kläger und Beklagter haben mit Schriftsatz vom 15. März 2021 beziehungsweise vom 25. März 2020 auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet. Das Verfahren ist nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 2. Juni 2022 auf die Einzelrichterin übertragen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten zu diesem Verfahren und zum Verfahren VG 2 K 316/20 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Entfernung einer Anlassbeurteilung aus Personalakte
(Symbolfoto: Chinnapong/Shutterstock.com)

Die Einzelrichterin ist an Stelle der Kammer zur Entscheidung berufen, da das Verfahren mit Beschluss der Kammer vom 2. Juni 2022 gemäß § 6 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Einzelrichterin zur Entscheidung übertagen worden ist. Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen, da die Beteiligten hierzu gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ihr Einverständnis erklärt haben.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig und begründet. Der Kläger hat gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO einen Anspruch auf teilweise Aufhebung des Bescheids vom 30. November 2018 und Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 10. Oktober 2019, da diese (teilweise) rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen. Gemäß § 113 Abs. 4 VwGO kann neben der Aufhebung der Verwaltungsakte auch im selben Urteil zur Leistung verurteilt werden. Die Entfernung der Anlassbeurteilung aus der Personalakte ist ein Realakt, für den die allgemeine Leistungsklage statthafte Klageart ist.

Die Bescheide vom 30. November 2018 und 10. Oktober 2019 sind (teilweise) rechtswidrig, weil der Kläger einen Anspruch auf Entfernung der Anlassbeurteilung vom 23. Juni 2017 aus der Personalakte hat. Nur diesbezüglich ist der Bescheid vom 30. November 2018 mit der Klage angefochten und verfahrensgegenständlich. Er wird daher nur teilweise aufgehoben. Der Anspruch auf Entfernung ergibt sich aus dem öffentlich-rechtlichen allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruch gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwGO analog, weil die Anlassbeurteilung nicht mehr in die Personalakte hätte aufgenommen werden dürften.

Voraussetzung des Folgenbeseitigungsanspruchs ist eine Amtshandlung, die rechtswidrige Folgen nach sich gezogen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juli 1984 – 3 C 81/82 -, juris, Rn. 29, m. w. N.). Diese rechtswidrigen Folgen sind wieder zu beseitigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juli 1984 – 3 C 81/82 -, juris, Rn. 30). Es ist der Zustand herzustellen, der bestünde, wenn die rechtswidrigen Folgen nicht herbeigeführt worden wären (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juli 1984 – 3 C 81/82 -, juris, Rn. 33). Dies ergibt sich aus dem Abwehrcharakter der Grundrechte, die auch im Beamtenverhältnis gelten, in Verbindung mit dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG sowie der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG.

Die Anlassbeurteilung, die wegen der Perpetuierung des Gesamturteils eine belastende Wirkung für den Kläger hat, durfte im November 2018 nicht mehr zur Personalakte genommen werden, da der Anlass für diese Beurteilung mit Aufhebung der Ausschreibung im September 2017 weggefallen und die Anlassbeurteilung im konkreten Fall noch streitbefangen war.

Die Anlassbeurteilung bedarf eines Anlasses. Das Nichtbestehen eines Anlasses für die Anlassbeurteilung ist ein Verfahrensfehler, der zur Rechtwidrigkeit der Beurteilung und zum Anspruch auf ihre Entfernung aus der Personalakte und auf ihre Vernichtung führt; bei nachträglichem Wegfall des Anlasses gilt dies zumindest dann, wenn über die Beurteilung noch Streit besteht (vgl. OVG NW, Beschluss vom 22. Juni 2009 – 6 A 4634/06 -, Juris, Rn. 3; OVG Saarland, Beschluss vom 12. November 2001 – 1 R 5/01 -, juris, Rn. 39; VG Potsdam, Urteil vom 15. September 2016 – 2 K 590/16 -, juris, Rn. 19, 22; VG Potsdam, Urteil vom 3. Dezember 2018, juris, Rn. 12, 13; Schnellenbach/Bodanowitz, BeamtenR, § 11 Rn. 70, 71).

Anlassbeurteilungen werden gerade im Hinblick auf eine anstehende Auswahlentscheidung erstellt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2020 – 2 A 6/19 -, juris Rn.11). Dies ergibt sich auch aus Ziff. 3.1.1 und 3.1.2 der Verwaltungsvorschrift des Ministeriums des Innern und für Kommunales über die dienstliche Beurteilung der Beamtinnen und Beamten im Landesdienst (Beurteilungsrichtlinie – BeurtVV) vom 16. November 2010, in der Fassung vom 28. Januar 2019 (ABl./19, S. 211), die bei der Leistungsklage als Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung zugrunde zu legen ist. Nach Ziff. 3.1.1 BeurtVV werden Anlassbeurteilungen erstellt, wenn Beamte sich um eine ausgeschriebene Stelle oder andere Funktion bewerben und damit Auswahlverfahren verbunden sind. Nach Ziff. 3.1.2. BeurtVV werden Anlassbeurteilungen auch für Beamte, die für eine Beförderung in Betracht kommen, erstellt, es sei denn, sie verzichten darauf, am Auswahlverfahren teilzunehmen.

Besteht für eine Beurteilung kein Anlass, kann der Beamte die Aufhebung der Anlassbeurteilung verlangen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2020 – 2 A 6/19 -, juris, Rn.14). Dies wird insbesondere dadurch deutlich, dass ein System von Regelbeurteilungen zu einem bestimmten Stichtag nicht dadurch unterlaufen werden darf, dass Anlassbeurteilungen erstellt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2020 – 2 A 6/19 -, juris, Rn.12). Somit darf bei hinreichend aktueller Regelbeurteilung eine Anlassbeurteilung nicht ohne ausreichenden Grund erstellt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2020 – 2 A 6/19 -, juris, Rn.12). Auch in einem System reiner Anlassbeurteilungen ist der Wegfall einer Anlassbeurteilung nach Wegfall des Anlasses systembedingt hinzunehmen (vgl. VG Potsdam, Urteil vom 15. September 2016 – 2 K 590/16 -, juris, Rn. 22). Der Grundsatz der zeitlichen Lückenlosigkeit der Beurteilungsbiographie in Verbindung mit der Vollständigkeit der Personalakte, der Grund für den Dienstherrn zur Aufnahme der Anlassbeurteilung in die Personalakte sein könnte, gilt nur im System der Regelbeurteilungen und nicht im System der Anlassbeurteilungen (vgl. OVG NW, Beschluss vom 22. Juni 2009 – 6 A 4634/06 -, juris, Rn. 6; VG Potsdam, Urteil vom 15. September 2016 – 2 K 590/16 -, juris, Rn. 22).

Mit der Aufhebung der Ausschreibung im September 2017 ist der Anlass für die Anlassbeurteilung nachträglich entfallen. Die Anlassbeurteilung hätte nach Aufhebung der Ausschreibung nicht mehr in die Personalakte aufgenommen werden dürfen. Es ist auch in der Zwischenzeit kein anderer Anlass für die Anlassbeurteilung entstanden (vgl. zu dieser Möglichkeit: VG Potsdam, Urteil vom 3. Dezember 2018, juris, Rn. 12).

Die Anlassbeurteilung war zwar nicht zeitnah mit schriftlichem Widerspruch und Klage angegriffen worden. Sie war aber in diesem Einzelfall zum Zeitpunkt ihrer Aufnahme in die Personalakte in besonderer Weise streitbefangen. Der Kläger hatte weder die Aushändigung der Beurteilung bestätigt, noch die weiteren schriftlichen Erklärungen abgegeben, dass er die Beurteilung zur Kenntnis genommen habe und dass er entweder mit der Beurteilung einverstanden sei oder er sie lediglich „zur Kenntnis genommen“ habe, das heißt, nicht mit ihr einverstanden sei. Erst nach Abgabe dieser schriftlichen Erklärungen ist die Beurteilung reif für die Aufnahme in die Personalakte. Ob ein Beurteilter durch die Verweigerung seiner Mitarbeit die Aufnahme der Beurteilung in die Personalakte grundsätzlich verhindern kann, kann hier offenbleiben. Denn in diesem besonderen Fall brachte der Kläger sein Nichteinverständnis zumindest gegenüber dem Personalleiter des Polizeipräsidiums am 4. August 2017 in einem persönlichen Gespräch zum Ausdruck. Vom Personalleiter des Polizeipräsidiums erhielt er das Versprechen, dass die Beurteilung vernichtet werden sollte. Da sich die Beurteilung quasi auch noch in einem Entwurfsstadium befand, und der Kläger meinte, sich mit der Beurteilung nicht mehr erfolgreich bewerben zu können, und er sie auch nicht zur Bewerbung vorlegte, d.h. er auf das weitere Betreiben seines Bewerbungsverfahrens verzichtete, war die Vernichtung auch noch möglich. Da der Kläger davon ausging, dass die Beurteilung nicht zur Personalakte genommen werden würde, – was bis November 2018 ja auch tatsächlich nicht der Fall war -, sondern sie vernichtet werden würde, da er sie nicht würde gebrauchen wollen, bestand keine Veranlassung für ihn, gegen die Beurteilung förmlich vorzugehen. Auch konnte der Beklagte dies nach der Einlassung des zuständigen Personalleiters nicht erwarten.

Die Geltendmachung des Anspruchs auf Entfernung der Anlassbeurteilung vom 23. Juni 2017 aus der Personalakte durch Schreiben vom 28. November 2018 ist nicht verwirkt.

Die Verwirkung als Hauptanwendungsfall des venire contra factum proprium (Verbot widersprüchlichen Verhaltens) bedeutet, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werden würde (Vertrauenstatbestand) und er sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2005 – 8 C 15/04 -, juris, Rn. 25, m. w. N.).

Die Aufnahme der Beurteilung in die Personalakte erfolgte nach dem Eintreffen des Übersendungsschreibens, das unter dem 14. November 2018 datiert war. Da der Kläger die Aufnahme in die Personalakte mit Schreiben vom 28. November 2018 rügte, liegt bereits kein relevanter Zeitablauf vor. Maßgeblich ist auch nicht die Erstellung oder Bekanntgabe der Anlassbeurteilung, sondern die Aufnahme in die Personalakte, mit der die Wirkung gegenüber dem Kläger perpetuiert werden sollte. Es bestand keine Veranlassung für den Kläger, mit Rechtsbehelfen gegen eine Beurteilung vorzugehen, die nach seinem Kenntnisstand nicht in die Personalakte aufgenommen, sondern vernichtet werden sollte. Dies war ihm vom Personalleiter des Polizeipräsidenten versprochen worden. Dies war auch nicht rechtlich unmöglich, da die Anlassbeurteilung noch als Entwurf betrachtete werden konnte, da sie nicht bestätigt ausgehändigt worden war. Es handelte sich auch nicht um eine Regelbeurteilung, an der ein dienstliches Interesse des Dienstherrn besteht und die zu bestimmten Stichdaten erstellt werden muss.

Somit ist der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 Zivilprozessordnung.

Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Streitwertfestsetzung entspricht dem gesetzlichen Auffangstreitwert (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz).

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