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Entgeltfortzahlung – Arbeitsunfähigkeit – Quarantäne – Monokausalität – Verschulden

Arbeitsunfähigkeit nach Covid-19-Infektion: Kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Verweigerung der Schutzimpfung?

Ein Arbeitnehmer, der während seiner Urlaubszeit an Covid-19 erkrankt und anschließend vom Gesundheitsamt in Quarantäne geschickt wurde, hat keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn er sich nicht impfen ließ und infolgedessen arbeitsunfähig wurde. Das argumentiert die Arbeitgeberseite in einem Rechtsstreit, bei dem es um eine Forderung von Entgeltfortzahlung eines erkrankten Arbeitnehmers geht. Sie beruft sich dabei auf das Infektionsschutzgesetz, das eine Entschädigung für Verdienstausfall wegen Quarantäne nur dann ausschließt, wenn die Schutzimpfung gesetzlich vorgeschrieben ist oder öffentlich empfohlen wird. Auch im Entgeltfortzahlungsgesetz sei ein Anspruch nur dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer kein Verschulden an der Arbeitsverhinderung treffe, wobei ein „Verschulden gegen sich selbst“ maßgeblich sei. Die Nichtwahrnehmung einer öffentlich empfohlenen Schutzimpfung stelle ein solches Verschulden dar. Der Arbeitnehmer wiederum argumentiert, dass er keinen Anspruch auf Entschädigung, sondern auf Entgeltfortzahlung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit habe. Eine Covid-19-Infektion führe stets zu einer Quarantäneanordnung, unabhängig von einer Schutzimpfung. Eine Kausalität zwischen der Arbeitsunfähigkeit und der Nichtimpfung gebe es nicht, da auch geimpfte Menschen an Covid-19 erkranken könnten. Das Urteil des Arbeitsgerichts wird mit Spannung erwartet. […]

ArbG Mainz – Az.: 11 Ca 188/22 – Urteil vom 14.07.2022

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Zeitraum vom 03.01.2022 bis einschließlich 14.01.2022 in Höhe von 1.184,17 Euro brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.02.2022 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 1.184,17 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Der Kläger ist seit dem 01.04.2012 bei der Beklagten als Maschinenbediener/Anlagenführer in Serienfertigung bei 37,5 Stunden in der Woche und einem Stundenlohn in Höhe von 15,79 € brutto beschäftigt. Der Kläger befand sich bis zum 31.12.2021 im Urlaub. In dieser Zeit verreiste er nicht.

Am 29.12.2021 bemerkte der Kläger an sich Erkältungssymptome. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich noch keiner Covid-19 Schutzimpfung unterzogen. Zwei Schnelltests für den Heimgebrauch fielen positiv aus. Im Testzentrum ZOE A-Stadt wurde das positive Ergebnis bestätigt. Der beim Hausarzt Dr. H. in N. durchgeführte PCR-Test ergab am 30.12.2021 eine Infektion des Klägers mit SARS-CoV 2 Virus (vgl. Blatt 42f d.A.).

Mit Bescheid der Gemeinde A-Stadt vom 03.01.2022 wurde eine Absonderung des Klägers in häusliche Quarantäne angeordnet, und zwar für die Zeit vom 31.12.2021 bis einschließlich 13.01.2022. Auf den Bescheid wird verwiesen (vgl. Blatt 38 -41 d.A.). Der Kläger wurde für Zeit vom 03.01.2022 bis 14.01.2022 am 03.01.2022 wegen einer Bronchitis krankgeschrieben (vgl. Blatt 13 d.A.).

Die Beklagte rechnete für den Zeitraum 03. – 14.01.2022 kein Entgelt ab und verbuchte laut Zeitnachweisliste für diesen Zeitraum unbezahlten Urlaub (vgl. Blatt 11,12 d.A.).

Der Kläger hätte an diesen 10 Arbeitstagen je 7,5 Stunden arbeiten sollen. Seine Forderung machte er mit Schreiben vom 21.03.2022 schriftlich gegenüber der Beklagten geltend. Die Beklagte lehnte eine Zahlung ab.

Mit Klageschrift vom 13.04.2022, eingegangen beim angerufenen Arbeitsgericht am gleichen Tag, hat der Kläger die vorliegende Zahlungsklage erhoben, die der Beklagten am 21.04.2022 zugestellt wurde.

Der Kläger ist der Ansicht, er habe für den streitgegenständlichen Zeitraum Anspruch auf eine Entgeltfortzahlung, da er sich nicht nur vom 31.12.2021 bis 13.01.2022 in Quarantäne befunden habe, sondern zusätzlich wegen einer Covid-19-Infektion vom 03.01.2022 bis einschließlich 14.01.2022 arbeitsunfähig erkrankt sei. Am 30.12.2021 habe er sich – von der Beklagten nicht bestritten – wegen seines Urlaubs keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erstellen lassen und gehofft, dass er über das Wochenende wieder genesen würde.

Richtig sei, dass nach § 56 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz eine Entschädigung nicht erhalte, wer durch die Inanspruchnahme einer Schutzimpfung eine Absonderung hätte vermeiden können. Er begehre jedoch keine Entschädigung im vorliegenden Fall, sondern Entgeltfortzahlung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit.

Er hätte trotz fehlender Schutzimpfung keine Absonderung vermeiden können, den in dem Augenblick, in dem ein Mensch positiv auf das Corona-Virus getestet werde, müsse er sich in Absonderung begeben, gleichgültig, ob der Betroffene als geimpft gelte oder nicht. Schutzimpfungen verringerten zwar die Gefahr einer Infektion und das Risiko schwererer Erkrankungen deutlich, doch eine Kausalität dahingehend, dass derjenige, der geimpft sei, sich nicht absondern müsse, auch wenn er arbeitsfähig sei, gebe es nicht. Soweit die Erkrankung monokausal für den Anspruch auf eine Entgeltfortzahlung sein müsse, sei zu beachten, dass im Falle einer Infektion mit dem Covid-19 stets eine Quarantäne angeordnet werde. Denn es sei kein Fall denkbar, in dem ein Mensch wegen einer Infektion mit Covid-19 arbeitsunfähig erkranke, aber von einer Quarantäne abgesehen werden könne. Mithin hätte dann kein Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Entgeltfortzahlung bei einer Covid-19 Infektion. Damit sei es im vorliegenden Fall irrelevant, ob sich der Betroffene einer Schutzimpfung unterzogen habe oder nicht. Dass der Arbeitnehmer sich keiner Impfung unterzogen habe, sei im vorliegenden Fall somit nicht kausal für die Arbeitsunfähigkeit gewesen.

Bei dem Erfordernis für einen Entgeltfortzahlungsanspruch, dass die Arbeitsunfähigkeit ohne Verschulden des Arbeitnehmers eintreten müsse, sei Maßstab ein „Verschulden gegen sich selbst“, an welchem hohe Maßstäbe anzusetzen seien. Voraussetzung sei ein grober Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse billiger Weise zu erwartende Verhalten. Die Arbeitsunfähigkeit dürfe demnach nicht auf ein unverständiges, ungewöhnlich leichtfertiges oder mutwilliges oder gegen die guten Sitten verstoßenes Verhalten des Arbeitnehmers zurückzuführen sein. Ein grobes Verschulden gegen sich selbst liege nicht vor, denn auch im Falle einer Impfung könne ein Mensch an Covid-19 erkranken.

Soweit die Beklagte über § 56 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz die Auffassung vertrete, dass der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung habe, weil er sich nicht habe impfen lassen, sei auf den Wortlaut des § 56 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz hingewiesen. Dort werde ausdrücklich der „Kranke“ nicht erwähnt. Der Entschädigungsanspruch nach § 56 Infektionsschutzgesetz sei somit subsidiär gegenüber dem Entgeltfortzahlungsgesetz, denn Anspruchsvoraussetzung sei nicht nur, dass jemand als Nicht-Kranker einem Verbot unterliege, sondern, dass diese Person auch einen Verdienstausfall erleide. Diesen gebe es nicht, wenn die betroffene Person vorrangig einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall habe. Der Gedanke des § 56 Abs.1 Satz 4 Infektionsschutzgesetz sei nicht auf das Entgeltfortzahlungsgesetz übertragbar.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine Entgeltfortzahlung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit für den Zeitraum 03.01.2022 bis einschließlich 14.01.2022 in Höhe von 1.184,17 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5% Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 15.02.2022 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, Voraussetzung für die Entgeltfortzahlung nach § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz sei, dass die Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache für die Arbeitsverhinderung sein müsse. Könne die Arbeit bereits aus einem anderen Grund nicht geleistet werden, sei die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht die alleinige Ursache für die Arbeitsverhinderung. Das sei vorliegend der Fall, weil dem Kläger bereits aufgrund des Absonderungsbescheids nicht möglich gewesen sei, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Die Quarantäne – Anordnung bedeute in seinem Fall zugleich die Unmöglichkeit der Erbringung einer Arbeitsleistung im Sinne von § 275 Abs. 1 BGB.

Eine Corona-Infektion, insbesondere, wenn sie symptomlos verlaufe, bedeute aber nicht zugleich Arbeitsunfähigkeit. Folglich beruhe im Fall des Klägers die ab dem 31.12.2021 vorliegende Unmöglichkeit zur Erbringung seiner Arbeitsleistung auch nicht auf eine Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz, sondern resultiere allein auf der behördlich angeordneten Quarantäne. Wenn nun zusätzlich ab dem 03.01.2022 eine Arbeitsunfähigkeit hinzukomme, handele es sich bei dieser nicht um die alleinige Ursache für die Arbeitsverhinderung. Erkranke der Arbeitnehmer also während einer Quarantäne, dann lebe der Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz nicht auf.

Darüber hinaus könne im Falle einer Corona-Erkrankung die Regelung des § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz nicht isoliert von den Regelungen des § 56 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz betrachtet werden. Gem. § 56 Abs. 1 Satz 4 Infektionsschutzgesetz erhalte grundsätzlich keine Entschädigung für Verdienstausfall wegen behördlich angeordneter Quarantäne, wer durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung, die gesetzlich vorgeschrieben sei oder im Bereich des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Betroffenen öffentlich empfohlen worden sei, das Tätigkeitsverbot oder die Absonderung hätte vermeiden können. Vor dem Hintergrund, dass ausreichende Mengen Impfstoff zur Verfügung stünden, um allen Bürger*innen in Deutschland eine Impfung gegen Covid-19 anbieten zu könne, hätte auch der Kläger eine Schutzimpfung wahrnehmen können. Entsprechend § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz bestehe ein Anspruch auch Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber nur dann, wenn den Arbeitnehmer kein Verschulden an der Arbeitsverhinderung treffe, wobei ein sog. Verschulden gegen sich selbst maßgeblich sei. In dem ein Arbeitnehmer eine öffentlich empfohlene Schutzimpfung nicht wahrnehme, habe er schuldhaft gegen sich selbst gehandelt und die Infektion mit dem Corona-Virus bewusst in Kauf genommen. Zwar bleibe nach aktuellen Erkenntnissen auch mit einer Impfung eine Erkrankung weiterhin grundsätzlich möglich, sie sei aber deutlich weniger wahrscheinlich. Man könne also davon ausgehen, dass bei einer möglichen Impfung durch einen aktuellen zugelassenen Impfstoff die Nichtimpfung als kausal für den Ausbruch der Corona-Erkrankung und auch für deren Langzeitfolgen anzusehen sei. Daher erscheine in diesem Zusammenhang eine Übertragung der Wertung aus § 56 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz angemessen. In § 56 Infektionsschutzgesetz gehe somit der Gesetzgeber ausdrücklich davon aus, dass jemand, der eine mögliche Impfung nicht vorgenommen habe, und deswegen infiziert werde und daher in Quarantäne müsse, dies in ihm vorwerfbarer Weise vorursacht habe, weshalb ihm im Fall des § 56 Infektionsschutzgesetz keine Entschädigung zukomme. Es wäre nur nachvollziehbar, dass hier eine einheitliche Wertung des Ausschlussgrundes nach § 56 Abs. 1 Satz 4 Infektionsschutzgesetz und eines Verschuldens nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz herangezogen werde. Wenn die Nichtwahrnehmung einer Schutzimpfung ein Verschulden als Ausschlussgrund im Sinne des § 56 Infektionsschutzgesetz darstelle, werde sie in der Konsequenz auch ein „Verschulden gegen sich selbst“ im Sinne des § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz darstellen. Ansonsten wäre es widersprüchlich, wenn einem nicht geimpften Arbeitnehmer im Falle einer Infektion ohne Arbeitsunfähigkeit zwar keine Entschädigung zu zahlen wäre, ein und derselbe Arbeitnehmer dann aber bei Eintritt einer Arbeitsunfähigkeit aufgrund eben dieser Infektion dann Entgeltfortzahlung erhalten würde. Die explizite Regelung des § 56 Infektionsschutzgesetz würde die Regelung des § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz in diesem Punkt überlagern. Die Anreizfunktion zur Wahrnehmung einer Schutzimpfung, welche der Gesetzgeber mit der Regelung des § 56 Infektionsschutzgesetz bezweckt habe, würde sonst fehlschlagen.

Die Erkrankung des Klägers nach verweigerter Schutzimpfung führe daher zum Anscheinsbeweis eines Verschuldens gegen sich selbst, was zum Ausschluss eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlungsgesetz führe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Zahlungsklage ist begründet. Der Kläger kann Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Zeitraum 03.01.2022 bis einschließlich 14.01.2022 in Höhe von 1.184,17 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 15.02.2022 von der Beklagten beanspruchen.

I.

Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, § 3 Abs. 1 S. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz.

1. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ist vorliegend die Monokausalität zwischen Erkrankung des Klägers und der Arbeitsverhinderung anzunehmen.

Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit muss die alleinige Ursache für die Arbeitsverhinderung sein. Der Arbeitgeber wird mit dem Entgelt ohne Gegenleistung nur belastet, wenn der Arbeitnehmer ohne Erkrankung gearbeitet hätte. Das ist nicht der Fall, wenn die Arbeit zumindest auch aus einem anderen Grund nicht geleistet worden ist (vgl. Erfurter Kommentar/Reinhardt, 22. Auflage, § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz Randziffer 14 m.w.N.).

Soweit mit Bescheid der Gemeinde A-Stadt vom 03.01.2022 rückwirkend ab dem 31.12.2021 bis einschließlich 13.01.2022 die Absonderung des Klägers wegen Infizierung mit dem Corona-Virus SARS-CoV 2 in häusliche Quarantäne angeordnet worden ist, steht diese Absonderung der Monokausalität nicht entgegen.

Zunächst wird davon ausgegangen, dass der Kläger spätestens ab dem 30.12.2021 arbeitsunfähig erkrankt ist. Zwar weist die vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 03.01.2022 eine Arbeitsunfähigkeit ab dem 03.01.2022 bis 14.01.2022 wegen einer Bronchitis aus (vgl. Blatt 13 d.A.). Der Kläger hat jedoch – von der Beklagten nicht bestritten – vorgetragen, dass er am Morgen des 29.12.2021 an sich Erkältungssymptome bemerkt habe und für den 29.12.2021 einen Termin bei seinem Hausarzt Dr. H. in N. vereinbart habe, anlässlich dessen ein PCR Test vorgenommen worden sei. Er habe sich am 30.12.2021 keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erstellen lassen, da er in Urlaub gewesen sei und gehofft habe, dass er über das Wochenende wieder genesen würde. Tatsächlich habe sich sein gesundheitlicher Zustand dann aber verschlechtert.

Mithin ist von einer Arbeitsunfähigkeit spätestens ab dem 30.12.2021 abzugehen.

Soweit die Beklagte die Auffassung vertreten will, dass im Falle einer behördlich angeordneten Quarantäne bei infizierten Menschen gem. § 30 Abs. 1 Satz 2 Infektionsschutzgesetz nicht anzunehmen sei, dass die Krankheit die alleinige Ursache für die Arbeitsunfähigkeit darstelle, wird diese Auffassung nicht geteilt.

Die Erkrankung des Klägers basiert offensichtlich auf der Infektion des Klägers mit dem Corona-Virus, die gleichzeitig ebenso die Quarantäneanordnung gem. § 30 Abs. 1 Satz 2 Infektionsschutzgesetz begründete. Die Infektion war somit zeitgleich die Ursache für die Arbeitsunfähigkeit und die Anordnung der Absonderung des Klägers. Wäre der Kläger nicht mit dem Corona-Virus infiziert worden, hätte er keine Krankheitssymptome entwickelt und hätte sich nicht in Umsetzung des Bescheides der Gemeinde A-Stadt vom 03.01.2022 absondern müssen. Die Infektion hatte somit zwei Folgen, was dazu führte, dass der Kläger nicht nur wegen seiner Arbeitsunfähigkeit seiner Arbeitsleistung nicht nachkommen konnte, sondern zeitgleich auch aufgrund der Absonderungsanordnung. Die Verpflichtung zur Absonderung kommt daher zur Arbeitsunfähigkeit des Klägers hinzu, was aber nicht zum Entfallen der Monokausalität führt (vgl. Dr. Schürgers, Dr. Marski in: BB 2022, 308ff, 309).

2. Weitere Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz, ist, dass die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht auf einem Verschulden des Arbeitnehmers beruht. Die Darlegungs- und Beweislast für ein solches anspruchshindernde Verschulden trägt grundsätzlich der Arbeitgeber, wobei den Arbeitnehmer eine Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung der Umstände trifft, die zur Arbeitsunfähigkeit geführt haben (vgl. BeckOK Arbeitsrecht/Ricken, Stand 01.06.2022, § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz, Randziffer 34 m.w.N.).

Schuldhaft im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz handelt nur der Arbeitnehmer, der in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise verstößt. Bei dem Verschulden im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz handelt es sich nicht um ein Verschulden im Sinne von § 276 BGB, der das Maß an Verhaltensanforderungen des Schuldners gegenüber Dritten bestimmt. Dagegen betrifft das Entstehen einer Krankheit und/oder die daraus resultierende Arbeitsunfähigkeit die Person des Arbeitsnehmers selbst. Es gilt deshalb festzustellen, ob ein „Verschulden gegen sich selbst“ vorliegt. Schuldhaft im Sinne des Entgeltfortzahlungsrechts handelt nach der Rechtsprechung deshalb nur der Arbeitnehmer, der in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise verstößt. Erforderlich ist ein grober oder gröblicher Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen und damit ein besonders leichtfertiges oder vorsätzliches Verhalten (vgl. BAG vom 18.03.2015 – 10 AZR 99/14 -, zitiert nach Juris).

Kein Tatbestandsmerkmal des § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz ist hingegen der Gedanke, dass es unbillig wäre, dem Arbeitgeber vom Arbeitnehmer selbstverschuldete Entgeltfortzahlungskosten aufzubürden. Es handelt sich um ein bloßes Begründungselement zur Rechtfertigung der Beschränkung des grundsätzlich bestehenden Entgeltfortzahlungsanspruchs. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit nicht nur den individualen Interessen des Arbeitnehmers dient, sondern § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz eine gesetzlich angeordnete Risikoverteilung zwischen Arbeitgeber und Krankenversicherung festlegt. Der Arbeitgeber hat grundsätzlich für den Zeitraum von bis zu sechs Wochen Entgeltfortzahlung zu leisten. Ohne den gegen den Arbeitgeber gerichteten Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz könnte der Arbeitnehmer von der Krankenkasse die Zahlung von Krankengeld verlangen. Die Verpflichtung zur Zahlung ruht, solange der Versicherte Zahlungen vom Arbeitgeber erhält. § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz dient ganz wesentlich der Entlastung der gesetzlichen Krankenkassen und damit mittelbar aller Beitragszahler (vgl. BAG – a.a.O.). Aus der sprachlichen Fassung des § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz folgt weiterhin, dass das Risiko der Unaufklärbarkeit der Ursachen einer Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit und eines möglichen Verschuldens des Arbeitnehmers daran beim Arbeitgeber liegt (vgl. BAG, a.a.O.).

In Anwendung dieser Grundsätze steht für die Kammer nicht fest, dass dem Kläger kein Verschulden an der Ursache seiner Krankheit im oben genannten Sinne vorzuwerfen ist.

Soweit die Beklagte hierzu ausführt, dass zum Zeitpunkt Dezember 2021/Januar 2022 es sowohl die Möglichkeit einer Schutzimpfung gegen eine Corona-Erkrankung als auch eine öffentliche Empfehlung für eine Schutzimpfung gegeben hat, ist dies zutreffend. Der Kläger hat sich trotz entsprechender Empfehlung bis zum Zeitpunkt seiner Infektion unstreitig keiner Impfung unterzogen.

Dass die fehlende Schutzimpfung, an welchem die Beklagte das Verschulden des Klägers im o.g. Sinne festmachen will, aber die Ursache für die Infektion des Klägers gewesen ist, die mit einer Erkrankung einherging, sieht die Kammer nicht als nachgewiesen an.

Zwar ist davon auszugehen, dass etwa Covid-19-mRNA-Impfstoffe wie Comirnaty von BioNTech/Pfizer und Spikevax (Vaccine Moderna) von Moderna sowie der Vector-Impfstoff Vaxzevria von AstraZeneca bei einer Infektion mit Delta eine sehr hohe Wirksamkeit von etwa 90 % gegen eine schwere Covid-19 Erkrankung boten und eine gute Wirksamkeit von etwa 75% gegen eine symptomatische SARS-CoV-2 Infektion. Dieser Schutz soll vor der Omikron-Variante allerdings geringer ausfallen (vgl. Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA zum Stichwort „Wirksamkeit der Covid-19 Impfstoffe“)).

Trotz vollständiger Grundimmunisierung gegen Covid-19 kann es aber auch – wie bei anderen Impfungen – zu Impfdurchbrüchen kommen, also einer Ansteckung und Erkrankung trotz vollständiger Impfung. Hierzu lautet es etwa auf der Webseite der BZgA „Die Impfstoffe haben zwar eine sehr gute Wirksamkeit, sie beträgt aber nicht 100%. Zudem ist die Wirksamkeit der Covid-19-Impftstoffe insbesondere bei der Virus-Variante Omikron geringer. Daher können die Impfungen nicht bei allen Geimpften Infektionen verhindern. Infektionen bei Geimpften verlaufen aber meist ohne Symptome oder nur mit leichter Erkrankung. Die Impfung schützt gut vor schweren Erkrankungen, die einen Krankenhausaufenthalt notwendig machen.“

Wenn aber trotz vollständiger Impfung sogenannte Impfdurchbrüche möglich sind, und die Impfung damit vor allen Dingen den Zweck erfüllt, schwere Verläufe zu verhindern, schließen die Impfungen somit eine Erkrankung an sich nicht aus. Sollte man annehmen, dass die Impfstoffe eine Wirksamkeit von etwa 75 % gegen eine symptomatische SARS-CoV 2 Infektion zur Folge hätten, wäre somit immerhin noch 25 % der vollständig geimpften Personen nicht gegen eine symptomatische Erkrankung und somit gegen eine Arbeitsunfähigkeit geschützt. Somit dürfte eine Infektion mit dem SARS-CoV 2 Virus durch eine Schutzimpfung nicht wissenschaftlich ausgeschlossen werden können, wobei der Kläger mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 % auch keine Symptome trotz Schutzimpfung hätte ausschließen können.

Von einem typischen Geschehensablauf in dem Sinne, dass nach der Lebenserfahrung anzunehmen ist, eine symptomatische Erkrankung an Covid-19 sei durch eine Schutzimpfung zu verhindern, wird unter diesen Umständen nicht angenommen werden können.

Hinzu kommt zudem die Problematik, ob unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers, welches durch Artikel 2 Abs. 1 GG geschützt ist, eine Verweigerung der Covid-19 Impfung nicht als grundsätzlich zulässig bewertet werden müsste und dies zur Folge haben könnte, dass damit ein Verschulden im Sinne des § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz ausgeschlossen werden müsste. Dieser weitere Aspekt kann jedoch aus den o.g. Gründen dahingestellt bleiben.

3. Die Kammer folgt nicht der Rechtsansicht, dass die vom Gesetzgeber im Infektionsschutzgesetz, konkret § 56 Abs. 1 Satz 4 Infektionsschutzgesetz ausgedrückte grundlegende Wertentscheidung auf § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz übertragen werden kann.

Gem. § 56 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz erhält eine Entschädigung in Geld insbesondere eine Person, die nach § 30 Infektionsschutzgesetz abgesondert wird. Dagegen enthält eine Entschädigung nicht, wer durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung oder anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die gesetzlich vorgeschrieben ist oder im Bereich des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Betroffenen öffentlich empfohlen wurde, oder durch Nichtantritt einer vermeidbaren Reise in ein bereits zum Zeitpunkt der Abreise eingestuftes Risikogebiet ein Verbot in der Ausübung seiner bisherigen Tätigkeit oder einer Absonderung hätte vermeiden können.

Die Rechtsauffassung der Beklagten, dass sich aus der Regelung in § 56 Abs. 1 Satz 4 Infektionsschutzgesetz in Zusammenhang mit § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz zugleich ein grundlegender Anspruchsausschluss für die begehre Entgeltfortzahlung des Klägers ergeben soll, teilt die Kammer nicht. Soweit die Beklagte ausführt, eine Übertragung der Wertung aus § 56 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz erscheine angemessen, § 56 Infektionsschutzgesetz ginge im Fall einer Nichtimpfung demnach von einem „Verschulden“ der Person aus, welches wiederum zu einem Anspruchsausschluss führe und es wäre nicht nachvollziehbar, dass hier eine einheitliche Wertung des Ausschlussgrundes nach § 56 Abs. 1 Satz 4 Infektionsschutzgesetzes und eines Verschuldens nach § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz herangezogen würde, ist diese Bewertung grundsätzlich verständlich.

Dennoch sieht die Kammer keine gesetzliche Grundlage dafür gegeben, denselben Maßstab, den der Gesetzgeber ausdrücklich für die Entschädigung nach § 56 Infektionsschutzgesetz definiert hat, und zwar ausdrücklich bezogen auf die unterlassene Schutzimpfung, auf die Norm des § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz anzuwenden.

Der Maßstab des § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz ist – wie oben ausgeführt – ein Verschulden gegen sich selbst. Anders als § 56 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz enthält § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz keine ausdrückliche Regelung zu dem Fall der möglichen, aber unterlassenen Schutzimpfung. Vielmehr muss ein gröblicher Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten vorliegen, welches gerade – wie oben festgestellt – nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgemacht werden konnte.

Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, sondern Aufgabe des Gesetzgebers im Hinblick auf diese unterschiedlichen Maßstäbe ggf. tätig zu werden.

Schließlich hat der Gesetzgeber die infektionsschutzrechtliche Entschädigungsregel als sog. Billigkeitsregelung“ verstanden, die einer gewissen Sicherung der von einem Berufsverbot Betroffenen vor materieller Not dienen soll. Die Adressaten infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen sind Störer im polizeirechtlichen Sinne, die die Inanspruchnahme grundsätzlich entschädigungslos hinnehmen müssen (vgl. Preis/Mazurek/Schmid in NZA 2020, 1137,1139). § 56 Abs. 1 Satz 4 Infektionsschutzgesetz soll den Grundsatz von Treu und Glauben konkretisieren, während § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz den Verstoß gegen das Eigeninteresse betrifft (vgl. Beden in NZA 2021, Seite 917 ff, 919). Nicht jedes Handeln, das eine Entschädigungszahlung durch die Allgemeinheit unbillig erscheinen lässt, ist zugleich ein Verschulden gegen sich selbst, nur um die gesetzgeberische Wertung des § 56 Abs. 1 S. 4 Infektionsschutzgesetz auf Entgeltfortzahlungstatbestände in Arbeitsverhältnissen übertragen zu können.

Nach alledem war somit davon auszugehen, dass der Entgeltfortzahlungsanspruch des Klägers dem Grunde nach begründet ist.

4. Der Kläger errechnet seinen Entgeltfortzahlungsanspruch für die Zeit vom 03.01.2022 bis 14.01.2022 mit einer Höhe von insgesamt 1.184,17 € brutto. Dabei geht er von 10 Arbeitstagen á 7,5 Stunden aus und einem Stundenlohn von 15,79 € brutto.

Diese Berechnung des Klägers ist unbestritten geblieben, so dass dem Klageantrag auch der Höhe nach vollumfänglich stattzugeben war.

Der Zinsanspruch in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 15.02.2022 ist gem. §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1, 247 BGB begründet.

II.

Die Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits gem. § 91 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 ArbGG zu tragen. Die Festsetzung des Streitwertes im Urteil beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG, § 3 ZPO.

 

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