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Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bei Bezug vorgezogener Altersrente

Arbeitnehmer erhält vollen Urlaubsabgeltungsanspruch trotz vorzeitiger Rente

Ein Arbeitnehmer, der während seines genehmigten Erholungsurlaubs erkrankte, hat Anspruch auf die volle Urlaubsabgeltung, obwohl er im Dezember eine vorzeitige Altersrente bezog. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz entschied zugunsten des Arbeitnehmers und hob das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz auf.

Direkt zum Urteil: Az.: 5 Sa 239/21 springen.

Urlaubsabgeltungsanspruch trotz Krankheit und vorzeitiger Rente

Der Kläger war im genehmigten Erholungsurlaub erkrankt und konnte diesen vor der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses nicht mehr nehmen. Gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG hat er Anspruch auf Urlaubsabgeltung. Das Arbeitsgericht Mainz hatte diesen Anspruch teilweise verneint, weil der Kläger im Dezember 2019 vorzeitig eine Altersrente bezog.

Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz entschied zugunsten des Klägers und stellte klar, dass der Anspruch auf Urlaubsabgeltung nicht teilweise durch Aufrechnung erloschen ist. Der Kläger hat somit Anspruch auf die volle Urlaubsabgeltung in Höhe von € 4.246,83 brutto nebst Zinsen.

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Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 5 Sa 239/21 – Urteil vom 03.02.2022

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 7. Juni 2021, Az. 8 Ca 1542/20, insoweit aufgehoben als es das Versäumnisurteil vom 21.12.2020 abgeändert hat.

Das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 21. Dezember 2020, Az. 8 Ca 1542/20, wird aus Gründen der Klarstellung in der Hauptsache insgesamt wie folgt gefasst:

Die beklagte Stadt wird verurteilt, an den Kläger € 4.246,83 brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Februar 2020 zu zahlen.

2. Die beklagte Stadt hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Anspruch des Klägers auf Abgeltung von Urlaub wegen Aufrechnung mit Rückforderungsansprüchen der beklagten Stadt (teilweise) erloschen ist.

Der im Februar 1956 geborene Kläger war seit März 1988 im Entsorgungsbetrieb der beklagten Stadt beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der TVöD im Bereich der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) Anwendung. Der Kläger wurde nach Entgeltgruppe 7 Stufe 6 TVöD vergütet; das Tabellenentgelt betrug zuletzt € 3.279,17 brutto. Der Kläger kündigte im Februar 2019 das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2019, weil er in Rente gehen wollte. Sein letzter Arbeitstag war bereits der 12. April 2019. Im Juli 2019 holte er nach Absprache seine persönlichen Sachen aus dem Betrieb und gab seinen Spindschlüssel ab.

Der Kläger war vom 15. April bis 12. Juli 2019 arbeitsunfähig krank, vom 15. Juli bis 15. November 2019 nahm er vereinbarungsgemäß Freizeitausgleich zum Abbau seiner zahlreichen Überstunden, am 16. November 2019 trat er seinen Erholungsurlaub an, den er planmäßig bis zum Jahresende nehmen sollte. Vom 19. November bis zum 31. Dezember 2019 war er erneut arbeitsunfähig krankgeschrieben.

Die beklagte Stadt zahlte dem Kläger Entgelt bis zum 31. Dezember 2019 einschließlich der tariflichen Jahressonderzahlung 2019. Weil der Kläger den genehmigten Erholungsurlaub wegen Erkrankung ab 19. November 2019 nicht nehmen konnte, rechnete sie im Januar 2020 einen Urlaubsabgeltungsanspruch iHv. € 4.246,83 brutto ab. Erst anschließend erlangte die beklagte Stadt Kenntnis darüber, dass dem Kläger auf seinen Antrag mit Rentenbescheid vom 5. November 2019 bereits ab 1. Dezember 2019 eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte bewilligt worden war. Der Kläger selbst teilte ihr den Rentenbeginn nicht mit. Die beklagte Stadt forderte den Kläger mit Schreiben vom 3. März 2020 wegen Überzahlung ohne Rechtsgrund auf, einen Betrag von € 3.120,98 netto (Entgelt Dezember 2019, Jahressonderzahlung 2019, Leistungsentgelt) zurückzuzahlen. Weil sich der Kläger weigerte, zahlte sie ihm die bereits abgerechnete Urlaubsabgeltung (€ 4.246,83 brutto = € 2.171,42 netto) nicht aus und erklärte die Aufrechnung.

Mit seiner am 14. Dezember 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrte der Kläger die Zahlung der Urlaubsabgeltung iHv. € 4.246,83 brutto nebst Zinsen. Weil im Termin vom 21. Dezember 2020 für die beklagte Stadt niemand erschienen ist, hat das Arbeitsgericht ein klagestattgebendes Versäumnisurteil erlassen. Auf den Einspruch der beklagten Stadt hat das Arbeitsgericht mit Urteil vom 7. Juni 2021 das Versäumnisurteil mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass die beklagte Stadt zur Zahlung von € 1.415,61 brutto (1/3 von € 4.246,83) nebst Zinsen verurteilt wird. Im Übrigen hat es das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Arbeitsgericht – zusammengefasst – ausgeführt, der Kläger habe nach §§ 7 Abs. 4, 9 BUrlG zwar einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung in abgerechneter Höhe, weil er während des Urlaubs vom 19. November bis zum 31. Dezember 2019 erkrankt sei. Die beklagte Stadt sei jedoch berechtigt, gegen den Abgeltungsanspruch teilweise (2/3 von € 4.246,83) aufzurechnen, weil sie dem Kläger im Monat Dezember 2019 zu Unrecht Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geleistet habe. Der Anspruch setzte nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EntgFG voraus, dass der erkrankte Arbeitnehmer ohne die Arbeitsunfähigkeit arbeitswillig gewesen wäre. Vorliegend sei von einer Arbeitsunwilligkeit des Klägers im Dezember 2019 auszugehen, weil er bereits ab 1. Dezember 2019 eine vorzeitige Altersrente bezogen habe, die ihm auf seinen Antrag bewilligt worden sei. Dem Antrag auf Bewilligung einer vorzeitigen Altersrente sei der Wunsch zu entnehmen, ab Rentenbeginn nicht mehr zu arbeiten. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 7. Juni 2021 Bezug genommen.

Gegen das am 11. Juni 2021 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 5. Juli 2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 4. August 2021 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Er macht geltend, der beklagten Stadt stehe gegen seinen Urlaubsabgeltungsanspruch kein aufrechenbarer Gegenanspruch zu. Er habe die Entgeltfortzahlung im Dezember 2019 nicht ohne Rechtsgrund erlangt. Die Rentenzahlung ab 1. Dezember 2019 habe keine Auswirkungen auf seine Zahlungsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis. Die Auffassung des Arbeitsgerichts, die beklagte Stadt habe wegen einer „Arbeitsunwilligkeit“ im Dezember 2019 einen Rückforderungsanspruch, entbehre jeder Grundlage.

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich, das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 7. Juni 2021, Az. 8 Ca 1542/20, teilweise abzuändern und die beklagte Stadt zu verurteilen, an ihn weitere € 2.831,22 brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1. Februar 2020 zu zahlen.

Die beklagte Stadt beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie genügt den gesetzlichen Begründungsanforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO und erweist sich auch sonst als zulässig.

II.

Die Berufung hat in der Sache Erfolg. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung von Urlaubsabgeltung iHv. € 4.246,83 brutto nebst Zinsen. Der Anspruch ist nicht teilweise durch Aufrechnung erloschen. Das angefochtene Urteil ist daher abzuändern und das klagestattgebende Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts vollumfänglich aufrechtzuerhalten.

1. Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Kläger gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG Anspruch auf Urlaubsabgeltung hat, weil er vor der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses seinen Erholungsurlaub nicht nehmen konnte. Der Kläger hat seinen genehmigten Erholungsurlaub am 16. November 2019 zwar angetreten, erkrankte aber vom 19. November bis zum 31. Dezember 2019. Nach § 9 BUrlG werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet, wenn der Arbeitnehmer – wie hier – während des Urlaubs erkrankt. Die Tarifvertragsparteien haben in § 26 TVöD hierzu keine vom Bundesurlaubsgesetz abweichenden Regelungen für den tariflichen Mehrurlaub getroffen. Der Kläger kann von der beklagten Stadt für diese Tage – wie bereits abgerechnet – eine Urlaubsabgeltung iHv. € 4.246,83 brutto verlangen. Die Forderung ist der Höhe nach unstreitig. Gleiches gilt für die beantragte Verzinsung wegen Verzugs (§ 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB).

2. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung ist nicht durch Aufrechnung nach §§ 387, 388, 389 BGB teilweise erloschen, denn der beklagten Stadt stand keine aufrechenbare Gegenforderung zu. Sie kann vom Kläger nicht die Rückzahlung der im Dezember 2019 geleisteten Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sowie der Jahressondervergütung 2019 verlangen.

a) Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund der Eigenkündigung des Klägers erst mit Ablauf des 31. Dezember 2019, obwohl der Kläger bereits ab dem 1. Dezember 2019 eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte bezog. Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass die tarifliche Altersgrenzenregelung in § 33 Abs. 1 Buchst. a TVöD nur die gesetzliche Regelaltersrente betrifft, nicht auch andere (vorgezogene) Altersrenten. Die Regelaltersgrenze hätte der Kläger erst am 1. Januar 2022 erreicht.

b) Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts hatte der Kläger nicht nur in der Zeit vom 19. bis 30. November 2019, sondern auch im Monat Dezember 2019 nach § 3 Abs. 1 EntgFG, § 22 Abs. 1 TVöD einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Das Arbeitsgericht hat den Entgeltfortzahlungsanspruch des Klägers im Dezember 2019 zu Unrecht wegen fehlenden Arbeitswillens verneint.

Das Arbeitsgericht hat zunächst zutreffend angenommen, ein Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EntgFG – und damit auch nach § 22 Abs. 1 TVöD – bestehe nur dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung sei. Der Anspruch auf Arbeitsentgelt darf nicht bereits aufgrund anderer Ursachen entfallen. Der Entgeltfortzahlungsanspruch setzt also voraus, dass der erkrankte Arbeitnehmer ohne die Arbeitsunfähigkeit einen Vergütungsanspruch gehabt hätte. Das bedeutet aber nicht, dass alle hypothetischen Geschehensabläufe zu berücksichtigen sind. Vielmehr muss es sich um reale Ursachen handeln, die im konkreten Fall für den Ausfall der Arbeit auch wirksam geworden sind. Der Arbeitnehmer, der nicht bereit ist zu arbeiten, erhält auch im Falle einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Erkrankung keine Vergütung (vgl. dazu BAG 24.03.2004 – 5 AZR 355/03 – Rn. 27 mwN).

Vorliegend hatte die beklagte Stadt dem Kläger für die Zeit vom 16. November bis zum Jahresende 2019 Erholungsurlaub bewilligt. Der Ausfall der Arbeit ab 1. Dezember 2019 beruhte nicht auf fehlendem Arbeitswillen. Der Kläger hätte im Erholungsurlaub nicht mehr arbeiten müssen. Es ist deshalb auch unerheblich, dass er im Juli 2019 seine persönlichen Sachen aus dem Betrieb geholt und seinen Spindschlüssel abgegeben hat.

c) Der Umstand, dass der Kläger bereits ab dem 1. Dezember 2019 eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezog, führt zu keinem Rückforderungsanspruch der beklagten Stadt. Das bestätigt ein Umkehrschluss aus § 22 Abs. 4 Satz 2 TVöD. Nach dieser Bestimmung wird der Krankengeldzuschuss nicht über den Zeitpunkt hinaus gezahlt, von dem an Beschäftigte eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten. § 22 Abs 4 Satz 2 TVöD will einen Doppelbezug von Krankengeldzuschuss und Rentenleistung für denselben Zeitraum ausschließen. Die Beschäftigten sind sowohl zur Rückzahlung des Krankengeldzuschusses als auch der anteiligen Jahressonderzahlung verpflichtet, § 22 Abs. 4 Satz 4 Halbs. 1 iVm. Satz 2 TVöD (vgl. dazu BAG 12.05.2016 – 6 AZR 365/15). Für das Entgelt im Krankheitsfall trifft § 22 Abs. 4 Satz 1 TVöD, vom hier nicht vorliegenden Sonderfall der Anlasskündigung nach § 8 EntgFG abgesehen, nur die Regelung, dass es nicht über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus gezahlt wird. Daraus folgt, dass die Tarifvertragsparteien einen Doppelbezug der (sechswöchigen) Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und einer Rentenleistung nicht ausschließen wollten.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

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