LAG Schleswig-Holstein, Az.: 4 Sa 323/15, Urteil vom 07.01.2016
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 30.07.2015 – 3 Ca 551 d/15 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob die Klägerin gegen den beklagten Verein Anspruch auf Entgeltfortzahlung für Zeiträume hat, in denen sie infolge einer künstlichen Befruchtung krankheitsbedingt arbeitsunfähig war.
Die am …. 1972 geborene Klägerin ist beim Beklagten seit dem 1. Januar 1994 als Erzieherin in einer Kindertagesstätte tätig.

Die Klägerin erkrankte arbeitsunfähig an sieben Arbeitstagen in der Zeit vom 26. Mai bis 3. Juni 2014 wegen einer Zyste. Sie war weiterhin vom 14. Juli bis 1. August 2014, vom 15. August bis 29. August 2014 und vom 21. November bis 8. Dezember 2014 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Den Fehlzeiten ab 14. Juli 2014 lagen jeweils zuvor bei der Klägerin durchgeführte In-vitro-Fertilisationen zugrunde. Bei dieser Methode der künstlichen Befruchtung wurden entnommene Eizellen mit präparierten Spermien befruchtet und die Embryos anschließend in den Uterus transferiert. Die die Klägerin behandelnde Fachärztin für Frauenheilkunde erteilte ihr aufgrund der in diesen Zeiträumen durchgeführten Einzelmaßnahmen jeweils krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Ursächlich für die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit waren die medizinischen Eingriffe und der Schutz des ungeborenen Lebens.
Grund für die künstliche Befruchtung war die Unfruchtbarkeit des Partners der Klägerin.
Der beklagte Verein leistete der Klägerin für sämtliche 2014 aufgetretenen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeitszeiten Entgeltfortzahlung. Mit Schreiben vom 19. Februar 2015 vertrat er gegenüber der Klägerin die Auffassung, nicht zur Entgeltfortzahlung für die Krankheitszeiträume mit insgesamt 45 Arbeitstagen im Jahre 2014 verpflichtet gewesen zu sein. Er wies darauf hin, der von ihm gegenüber der Klägerin geltend gemachte Rückzahlungsbetrag belaufe sich auf netto 5.400,27 EUR. Hinzu kämen 5.519,34 EUR, die er von den Sozialversicherungsträgern und dem Finanzamt zurückverlangen werde.
Mit Schreiben vom 10. März 2013 teilte der beklagte Verein der Klägerin mit, aufgrund einer Rückrechnung bestehe nunmehr eine offene Forderung in Höhe von 4.647,91 EUR netto. Diese offene Forderung werde er mit den Gehaltsabrechnungen ab März bis Juli 2015 mit monatlich 815,47 EUR und im August 2015 mit 570,56 EUR verrechnen.
Der beklagte Verein behielt sodann in den Monaten Mai bis Juli 2014 monatlich jeweils den pfändbaren Betrag in Höhe von 815,47 EUR ein.
Die Klägerin hat erstinstanzlich Zahlung dieses einbehaltenen Betrages in Höhe von insgesamt 3.261,88 EUR netto für die Monate März bis Juni 2015 begehrt und weiterhin Verurteilung des beklagten Vereins dahingehend, es zu unterlassen, für die im Jahre 2014 ab 26. Mai 2014 aufgetretenen krankheitsbedingten Fehltage Netto-Arbeitsentgelt und geleistete Sozialabgaben zurückzuverlangen.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, ihr stehe die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu, denn die infolge des Kinderwunsches eingetretenen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeiten seien nicht schuldhaft herbeigeführt.
Die Klägerin hat beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an sie rückständiges Arbeitsentgelt in Höhe von Euro 3.261,88 netto für die Monate März, April, Mai und Juni 2015 zu zahlen;
2. den beklagten Verein zu verurteilen, es zu unterlassen, für die Zeiten vom 21. November 2014 bis 8. Dezember 2014, vom 15. August 2014 bis 29. August 2014, vom 14. Juli 2014 bis 1. August 2014 und für die Zeit vom 26. Mai 2014 bis 3. Juni 2014 geleistetes Netto-Arbeitsentgelt und geleistete Sozialabgaben zurückzuverlangen.
Der beklagte Verein hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Der beklagte Verein hat sich insbesondere auf die Vorschrift des § 27 a SGB V berufen, der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung betreffend medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft dann ausschließt, wenn die Versicherte das 40. Lebensjahr vollendet habe. Im Sinne einer einheitlichen Rechtsanwendung sei dieser Gedanke auch bei § 3 Entgeltfortzahlung zu berücksichtigen.
Das Arbeitsgericht hat dem Zahlungsantrag in Höhe von 2.301,83 EUR netto stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe mit der Durchführung der medizinischen Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nicht gegen die Interessen einer verständig denkenden Arbeitnehmerin verstoßen. Es sei verfehlt, im Rahmen der Verschuldensprüfung auf die Ursachen der Kinderlosigkeit einzugehen. Werde wie vorliegend ein anerkanntes medizinisches Verfahren durchgeführt, dann seien die gesundheitlichen Risiken auch der künstlichen Befruchtung hinreichend kontrolliert. Die Ursache der Kinderlosigkeit sei für das Entgeltfortzahlungsrecht ohne Bedeutung. Der Leistungskatalog des § 27 a SGB V stehe einer solchen Betrachtung nicht entgegen. Dort werde eine spezifische sozialrechtliche Entscheidung getroffen. Der Leistungskatalog könne nicht auf das Entgeltfortzahlungsrecht übertragen werden. Allerdings habe die Klägerin gegen den beklagten Verein nur für längstens sechs Wochen Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen der infolge der künstlichen Befruchtung angefallenen Fehltage. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung für insgesamt 37 Tage (einschließlich der Erkrankung wegen der Zyste) belaufe sich auf 4.440,22 EUR netto. Da der beklagte Verein jedoch Entgeltfortzahlung für 45 Tage in Höhe von 5.400,27 EUR netto geleistet habe, betrage die Differenz 960,05 EUR, sodass der beklagte Verein mit dieser Überzahlung aufrechnen dürfe mit der Folge, dass die Klägerin lediglich Anspruch auf Zahlung von 2.301,83 EUR netto habe.
Wegen der weiteren Begründung wird Bezug genommen auf den Inhalt der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.
Der beklagte Verein hat gegen das ihm am 7. August 2015 zugestellte Urteil am 3. September 2015 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 9. November 2015 am 9. November 2015 begründet.
Der beklagte Verein greift die erstinstanzliche Entscheidung an mit dem Hinweis, das Arbeitsgericht sei fälschlicher Weise davon ausgegangen, dass die die Schwangerschaft hindernde Unfruchtbarkeit bei der Klägerin vorliege. Die streitgegenständlichen Arbeitsunfähigkeitszeiträume seien durch die willkürlich von der Klägerin veranlassten ärztlichen Eingriffe verursacht worden. Unerheblich sei, dass die künstlichen Befruchtungen nach dem anerkannten medizinischen Standard erfolgt seien. Vielmehr sei auch für § 3 Absatz 1 EFZG auf die Regelungen in § 27 a SGB V abzustellen. Aufgrund der bekannten medizinisch-biologischen Grundlagen bestehe ab einem gewissen Alter der Frau eine zu geringe Wahrscheinlichkeit auf eine Schwangerschaft im Rahmen einer künstlichen Befruchtung. Bei einer 40-jährigen Frau liege die Chance gerade bei 25 %, wobei diese ab einem Alter von 43 Jahren auf zirka 10 % und ab einem Alter von 44 Jahren auf nur noch 1,6 % absinke. Der Gesetzgeber gehe daher in § 27 a SGB V bei dem Lebensalter der Klägerin von einer nur noch geringen Wahrscheinlichkeit aus. Die durch die Behandlung entstehenden Kosten sollten daher nach dem Willen des Gesetzgebers nicht mehr durch die Solidargemeinschaft getragen werden. Dies gelte dann auch für die Pflicht zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Die Klägerin hat im Termin zur Berufungsverhandlung ihren Antrag zu 2. nach entsprechenden Erklärungen des beklagten Vereins zurückgenommen.
Der beklagte Verein beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 30. Juli 2015 – 3 Ca 551 d/15 – abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung des beklagten Vereins zurückzuweisen.
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und vertritt die Auffassung, es sei abwegig, ihren Kinderwunsch als einen groben Verstoß gegen das eigene Interesse eines verständigen Menschen zu werten. Auf § 27 a SGB V komme es nicht an. Sie bestreite zudem die vom beklagten Verein bei zunehmendem Alter behaupteten zurückgehenden Erfolgsaussichten einer künstlichen Befruchtung.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird Bezug genommen auf den Inhalt der dort gewechselten Schriftsätze.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des beklagten Vereins ist zulässig. Sie ist statthaft und frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Die Klägerin hatte gegen den beklagten Verein gemäß § 3 Absatz 1 Satz 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Zeiträume vom 26. Mai 2014 bis 3. Juni 2014, vom 14. Juli 2014 bis 1. August 2014, vom 15. August 2014 bis 29. August 2014 und vom 21. November 2014 bis mindestens 26. November 2014. Der beklagte Verein leistete deshalb Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall an die Klägerin für diese Zeiträume nicht ohne Rechtsgrund, weshalb er auch nicht berechtigt war, sodann später in den Monaten März 2015 bis Juni 2015 von der sich zu Gunsten der Klägerin ergebenden Nettovergütung jeweils monatlich den pfändbaren Nettobetrag in Höhe von 815,47 EUR einzubehalten. Die Klägerin hat daher für die Monate März 2015 bis Juni 2015 gegen den beklagten Verein noch einen Zahlungsanspruch in Höhe von 3.261,88 EUR netto, weshalb es berufungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass das Arbeitsgericht den beklagten Verein verurteilt hat, an die Klägerin den – wenn auch vom Arbeitsgericht fehlerhaft berechneten – geringeren Betrag in Höhe von 2.301,83 EUR netto für die Monate März bis Juni 2015 zu zahlen. Dazu im Einzelnen:
1. Gemäß § 3 Absatz 1 Satz 1 EFZG hat eine Arbeitnehmerin Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn sie durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an ihrer Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass sie ein Verschulden trifft. Diese Voraussetzungen waren für die obigen Zeiträume erfüllt.
a. Soweit es um den Zeitraum vom 26. Mai 2014 bis 3. Juni 2014 (7 Arbeitstage) geht, ist zwischen den Parteien nunmehr unstreitig, dass die Klägerin arbeitsunfähig erkrankte wegen der Behandlung einer Zyste. Zwischen den Parteien ist insoweit ebenfalls unstreitig, dass kein Verschulden vorlag, weshalb die Voraussetzungen des § 3 Absatz 1 Satz 1 EFZG für diesen Zeitraum erfüllt waren.
b. Auch für die weiteren Zeiträume vom 14. Juli 2014 bis 1. August 2014, vom 15. August 2014 bis 29. August 2014 und vom 21. November 2014 bis jedenfalls 26. November 2014 waren die Voraussetzungen des § 3 Absatz 1 Satz 1 EFZG erfüllt.
aa. Die Klägerin war während dieser Zeiträume durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an ihrer Arbeitsleistung verhindert. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit der Klägerin in diesen Zeiträumen eintrat als Folge einer In-vitro-Fertilisation. Die die Klägerin behandelnde Fachärztin für Frauenheilkunde erteilte ihr für die Zeiträume Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen deshalb, weil die Klägerin im Zusammenhang mit den durchgeführten Einzelmaßnahmen der In-vitro-Fertilisation in den obigen Zeiträumen arbeitsunfähig erkrankt war. Ursächlich für die Arbeitsunfähigkeit waren jeweils die medizinischen Eingriffe und der Schutz des ungeborenen Lebens. Dies ist mittlerweile zwischen den Parteien unstreitig.
Unerheblich für die Frage, ob die Klägerin während der Zeiträume infolge Krankheit arbeitsunfähig war, ist der Umstand, dass die Problematik der Unfruchtbarkeit nicht bei der Klägerin gegeben war, sondern bei ihrem Partner. Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit als Folge durchgeführter Behandlungen zur Realisierung des Kinderwunsches ist nicht nur dann relevant gemäß § 3 Absatz 1 Satz 1 EFZG, wenn es um Maßnahmen zur Behebung der Unfruchtbarkeit der Frau geht. Vielmehr liegt der Tatbestand der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit immer dann vor, wenn die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit eine Folge der durchgeführten In-vitro- Fertilisation ist, wobei es keine Rolle spielt, ob Unfruchtbarkeit bei der Frau oder deren Partner gegeben war.
bb. Die Klägerin war in den oben genannten Zeiträumen auch nicht aus Verschulden infolge Krankheit arbeitsunfähig. Bei dem Begriff des Verschuldens gemäß § 3 Absatz 1 Satz 1 EFZG handelt es sich um einen anderen als den in § 276 BGB definierten Begriff über die Verantwortlichkeit des Schuldners. Im Entgeltfortzahlungsrecht wird das Verhalten als anspruchsausschließend bewertet, bei dem es sich um einen groben Verstoß gegen das eigene Interesse eines verständigen Menschen handelt, also um Verschulden gegen sich selbst. Leichtsinniges Verhalten erfüllt den Tatbestand nicht, sondern nur ein besonders leichtfertiges oder vorsätzliches Verhalten.
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, obwohl die Klägerin als Folge der von ihr gewollten In-vitro-Fertilisationen willentlich den anschließenden Zustand krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit herbeiführte.
(1.) Der Klägerin kann nicht vorgehalten werden, sie habe mit den von ihr gewollten In-vitro-Fertilisationen und der anschließend eintretenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit gegen die Interessen eines verständigen Menschen verstoßen. Eingriffe, die eine bestehende Unfruchtbarkeit beseitigen sollen und die eine krankheits- bedingte Arbeitsunfähigkeit zur Folge haben, enthalten keinen Verstoß gegen die eigenen Interessen eines verständigen Menschen, sondern werden in seinem Interesse wahrgenommen. (ErfK – Reinhard, § 3 EFZG Rn 28; Müller – Glöge in MüKo; § 3 EFZG Rn 44, 6. Auflage 2012; Treber, EFZG, 2. Auflage Rn 34)
Unerheblich ist es insoweit, dass der Tatbestand der Unfruchtbarkeit nicht bei der Klägerin vorlag, sondern bei ihrem Partner. Denn für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung gilt, dass immer dann, wenn durch Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung Arbeitsunfähigkeit eintritt, auch ein Krankheitsgeschehen zugrunde liegt, gleichgültig, bei wem die Ursachen der Kinderlosigkeit vorliegen. (Gagel in juris PR – ArbR 5/2009 Anmerkung 5 zu LAG Düsseldorf vom 13.06.2008 – 10 Sa 449/08 -). Der Kinderwunsch kann immer nur gemeinsam von Mann und Frau realisiert werden. Wo die Ursache für die Unfruchtbarkeit liegt, ist dabei unerheblich. Würde man allein danach fragen, ob die Unfruchtbarkeit bei der Frau vorliegt und deren Behebung Ursache für die anschließende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ist, so würde die Frau ohne sachlichen Grund nachteilig behandelt werden, sofern nicht bei ihr, sondern bei ihrem Partner Unfruchtbarkeit gegeben wäre. Besteht bei einem der beiden Partner Unfruchtbarkeit, so ist es unerheblich, bei wem. Es kommt nur darauf an, ob die anschließende Behandlung bei der Frau zu einer – wie hier – krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit führt. Dabei handelt die Frau nicht gegen ihre eigenen Interessen, sondern es geht gerade um die Realisierung des gemeinsamen Kinderwunsches.
(2.) Der Klägerin kann auch nicht entgegengehalten werden, sie habe grob gegen ihre eigenen Interessen verstoßen, weil sie im 42. Lebensjahr die In-vitro- Fertilisationen durchführen ließ. Für das Berufungsgericht ist die von dem beklagten Verein herangezogene Vorschrift des § 27 a SGB V nicht geeignet, um einen Maßstab für die Prüfung eines groben Verstoßes gegen die eigenen Interessen zu bilden. Vielmehr ist nach Auffassung des Berufungsgerichts allein darauf abzustellen, ob der behandelnde Arzt in der konkreten Situation der Klägerin auch in deren 42. Lebensjahr die In-vitro-Fertilisationen befürwortete. Der behandelnde Arzt beziehungsweise die behandelnde Ärztin wird mit der Klägerin genau deren Situation, insbesondere ihr Lebensalter sowie die bestehenden Risiken beziehungsweise Erfolgsaussichten, erörtert haben. Wird in einer solchen Situation aus medizinischer Sicht nicht von solchen In-vitro-Fertilisationen abgeraten, so kann der betroffenen Frau, die wie die Klägerin das 40. Lebensjahr bereits überschritten hat, nicht vorgehalten werden, sie habe trotz ärztlicher Befürwortung grob gegen ihre eigenen Interessen verstoßen.
Sicherlich wird insoweit auch zu berücksichtigen sein, wie oft Versuche unternommen wurden. Geht es aber – wie hier – um drei Zeiträume und damit vermutlich um drei vorgenommene In-vitro-Fertilisationen, so ist nach Auffassung des Berufungsgerichts noch nicht der Rahmen überschritten, bei dem der Arbeitnehmerin vorgehalten werden könnte, sie handele grob gegen ihre eigenen Interessen. Insoweit ist bei lediglich drei Zeiträumen allein auf die ärztliche Befürwortung abzustellen.
(3.) § 27 a SGB V führt zu keiner anderen Betrachtung. Zwar ist dort geregelt, dass Anspruch auf Sachleistungen nach Absatz 1 – also medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft – nur von weiblichen Versicherten beansprucht werden können, die das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Der Regelungsgehalt dieser Vorschrift ist jedoch nicht geeignet, einen Maßstab für das Vorliegen eines groben Verstoßes gegen die eigenen Interessen eines verständigen Menschen gemäß § 3 Absatz 1 Satz 1 EFZG zu bilden (so auch Treber, EFZG, 2. Auflage, § 3 Rn 34; Reinhard, EFZG, § 3 RN 87; andere Ansicht zur Berücksichtigung des Regelungsgehalts des § 27 a SGB V: Schmidt, EFZG, 7. Auflage 2012, § 3 Rn 82; Vogelsang, EFZG, § 3 Rn 135)
§ 27 a SGB V ist deshalb kein geeigneter Maßstab für das Vorliegen eines groben Verstoßes gegen die eigenen Interessen gemäß § 3 Absatz 1 Satz 1 EFZG, weil es dort um einen vollständig anderen Regelungsgehalt geht. Es wird abgestellt auf Leistungen der Krankenbehandlung zur Herbeiführung einer Schwangerschaft und die Begrenzung des Anspruchs auf Sachleistungen für weibliche beziehungsweise männliche Versicherte, die ein bestimmtes Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Zwar mag dort für den Gesetzgeber eine Rolle gespielt haben, dass mit fortschreitendem Alter die Erfolgsaussichten solcher Behandlungen deutlich zurückgehen und deshalb eine Begrenzung des Anspruchs vorgenommen wurde. Der vermeintliche Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung gebietet es jedoch nicht, diesen Regelungsgehalt auf § 3 Absatz 1 Satz 1 EFZG zu übertragen. Dort ist allein entscheidend die Beurteilung des behandelnden Arztes im konkreten Fall, der auch unter Berücksichtigung des Lebensalters der Frau solche Maßnahmen befürwortet oder ablehnt. Befürwortet er aber bei einer Frau, die das 40. Lebensjahr überschritten hat, Maßnahmen der künstlichen Befruchtung, kann trotz des Regelungsgehalts in § 27 a SGB V nicht von einem groben Verstoß gegen die eigenen Interessen eines verständigen Menschen ausgegangen werden. Maßnahmen zur Begrenzung der Belastungen der gesetzlichen Krankenversicherung sind nicht geeignet, als Maßstab für den § 3 Absatz 1 Satz 1 EFZG und das dort zu prüfende Verschulden zu dienen. § 27 a SGB V ist bereits deshalb ein ungeeigneter Maßstab, weil er beispielsweise abstellt auf die Voraussetzung, dass die Personen, die die Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiratet sein müssen. Dies ist ein für § 3 Absatz 1 Satz1 EFZG völlig unbeachtliches Kriterium. Hinzu kommt, dass es auch aus der Sicht des Berufungsgerichts bei Anwendung des § 27 a Absatz 3 SGB V und der Übertragung der dortigen Regelung auf § 3 Absatz 1 Satz 1 EFZG zu widersprüchlichen Ergebnissen kommen würde. Wäre der Partner der Frau beispielsweise 49 Jahre alt, so hätte dieser Anspruch auf Leistung der Krankenbehandlung zur Herbeiführung des Kinderwunsches, wenn es darum ginge, bei ihm Maßnahmen vorzunehmen, die nach ärztlicher Feststellung erforderlich sind. Soll die Frage der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für seine Partnerin, bei der dann anschließend die In-vitro-Fertilisation durchgeführt wird, davon abhängen, ob diese jünger oder älter als 40 Jahre ist?
Der Regelungsgehalt des § 27 a SGB V ist deshalb nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht geeignet, als Maßstab für das Verschulden gemäß § 3 Absatz 1 Satz 1 EFZG zu dienen.
cc. Auch die Regelungen in §§ 3 Absatz 2 EFZG und 3 a EFZG führen nicht dazu, den Anspruch der Klägerin auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall im Zusammenhang mit den In-vitro-Fertilisationen zu verneinen. Zwar geht es bei diesen In-vitro- Fertilisationen ebenso wie bei dem Regelungsgehalt des § 3 Absatz 2 EFZG (nicht rechtswidrige Sterilisation oder nicht rechtswidriger Abbruch der Schwangerschaft) beziehungsweise § 3 a EFZG (Spende von Organen oder Geweben) auch um willentliche Entscheidungen der betroffenen Arbeitnehmerin beziehungsweise des betroffenen Arbeitnehmers. Es kann im Umkehrschluss aus § 3 a EFZG und § 3 Absatz 2 EFZG jedoch nicht geschlossen werden, dass grundsätzlich willentliche Entscheidungen, die zur krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit führen, einen Entgeltfortzahlungsanspruch ausschließen. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 06.08.1986 – 5 AZR 607/85 -) entschieden, dass die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung des Entgelts im Krankheitsfall bedeute, dass der Arbeitgeber das allgemeine Krankheitsrisiko seiner Arbeitnehmer tragen sollte. Dieses zu tragende Krankheitsrisiko wurde bei Knochen-, Gewebe- oder Organtransplantationen jedoch überschritten, da der Arbeitnehmer insoweit nicht mehr von einem normalen Krankheitsschicksal getroffen werde.
Für den Fall der Durchführung von Maßnahmen zur Überwindung von Unfruchtbarkeit – egal bei welchem Partner die Unfruchtbarkeit vorliegt – ist aber kein triftiger Grund dafür erkennbar, warum es sich damit nicht mehr um ein allgemeines Krankheitsrisiko handeln soll. Der regelwidrige Körperzustand – um dessen Überwindung es zur Herbeiführung einer Schwangerschaft geht – liegt bei einem der beiden Partner vor. Da zur Realisierung des Kinderwunsches immer zwei Partner erforderlich sind, kann insoweit auch nicht differenziert werden, bei wem die Unfruchtbarkeit gegeben ist. Mit anderen Worten: Auch bei Maßnahmen zur Überwindung einer Unfruchtbarkeit geht es immer noch um das allgemeine Krankheitsrisiko. Mit einem Hinweis auf den konturlosen Begriff des „Schutzzwecks der Norm“ lassen sich nicht beliebig weitere Einschränkungen des § 3 Absatz 1 Satz 1 EFZG vornehmen. (LAG Düsseldorf, Urteil vom 13.06.2008 – 10 Sa 449/08 -, zitiert nach juris Rn 35)
Im Übrigen vertreten auch nicht diejenigen, die § 27 a SGB V als Maßstab für den groben Verstoß heranziehen wollen, nicht die Auffassung, Behandlungen zur Herbeiführung des Kinderwunsches seien nicht mehr als allgemeines Krankheitsrisiko zu werten. Würden sie dies so beurteilen, so dürften sie von vornherein nicht auf § 27 a SGB V abstellen, sondern müssten generell die Auffassung vertreten, solche willentlichen Maßnahmen zur Realisierung des Kinderwunsches seien unabhängig vom Alter der betroffenen Partner nie vom Regelungsgehalt des § 3 Absatz 1 Satz1 EFZG erfasst. Diese Auffassung wird aber – soweit ersichtlich – ganz überwiegend nicht vertreten.
2. Der beklagte Verein leistete daher an die Klägerin – jedenfalls bis zum 26. November 2014 – mit Rechtsgrund Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Da sich nach den Berechnungen des Arbeitsgerichts, die der beklagte Verein nicht angegriffen hat, der Anspruch auf Entgeltfortzahlung für 37 Tage auf 4.440,22 EUR netto belief, war der beklagte Verein auch nicht berechtigt, für die Monate März bis Juni 2015 insgesamt 3.261,88 EUR netto einzubehalten. Die Auszahlung dieses einbehaltenen Betrags konnte die Klägerin vom beklagten Verein begehren. Fehlerhaft war insoweit die Berechnung des Arbeitsgerichts, diesen Betrag unter dem Gesichtspunkt der Aufrechnung um 960,05 EUR zu reduzieren. Zum einen missachtete das Arbeitsgericht dabei die Pfändbarkeitsgrenzen. Zum anderen führte das Arbeitsgericht ohne nähere Prüfung aus, der Anspruch auf Entgeltfortzahlung für insgesamt 45 Tage habe sich auf 5.400,27 EUR netto belaufen. Zwar hat der beklagte Verein diesen Betrag ursprünglich in dem Schreiben vom 19. Februar 2015 genannt. Im Schreiben vom 10. März 2015 hat er aber den Betrag konkret beziffert mit 4.647,91 EUR. Wieso das Arbeitsgericht insoweit dennoch eine Aufrechnung in Höhe von 960,05 EUR gestattete, ist nicht nachvollziehbar. Der beklagte Verein hat in der Berufungsverhandlung deshalb auch bestätigt, dass die Berechnung des Arbeitsgerichts unzutreffend sei und er bereits den vollen Betrag in Höhe von 3.261,88 EUR an die Klägerin nach der erstinstanzlichen Entscheidung erstattet habe. Dem Berufungsgericht war aber einer Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zugunsten der Klägerin nicht möglich, weil diese keine Anschlussberufung eingelegt hat.
Nach alledem ist die Berufung des beklagten Vereins gegen die Verurteilung zur Zahlung des ausgeurteilten Betrags zurückzuweisen, wobei die Klägerin in der Berufungsverhandlung ihren Unterlassungsantrag mit Zustimmung des beklagten Vereins bereits zurücknahm.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Absatz 2 ArbGG, 97 ZPO. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.