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Entschädigungszahlung nach § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

ArbG Dresden – Az.: 13 Ca 275/18 – Urteil vom 19.12.2018

1. Das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichtes Dresden vom 04.07.2018 wird aufrechterhalten.

2. Der Beklagte trägt auch die weiteren Kosten des Rechtsstreites.

3. Der Streitwert wird auf 9.778,36 EUR festgesetzt.

4. Die Berufung wird hinsichtlich der ausgeurteilten Verzugspauschale von 40,00 EUR zugelassen, im Übrigen wird die Berufung nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Höhe von 9.738,36 € wegen Nichtbeachtung seiner Eigenschaft als einem Schwerbehinderten Gleichgestellten bei einer Bewerbung auf eine Beförderungsstelle sowie 40,00 € Verzugspauschale gemäß § 288 Abs. 5 BGB.

Der Kläger ist seit dem 01.09.1993 als Straßenwärter bei dem Beklagten beschäftigt. Er verdiente zuletzt in der Entgeltgruppe 8 ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von 3.246,12 € brutto. Der Kläger ist seit dem 27.03.1996, was dem Beklagten bekannt war, mit einem Grad der Behinderung von 40 % einem Schwerbehinderten gleichgestellt. Der Beklagte hat hiervon Kenntnis. Der Beklagte schrieb im September 2017 intern die Stelle eines Kolonnenführers aus. Dabei ist diese Stelle nach der Entgeltgruppe 8 TVöD bewertet. Als Bewerbungsfrist wurde die Zeit bis zum 20.10.2017 ausweislich der internen Stellenausschreibung festgesetzt. Unter dem 11.10.2017 reichte der Kläger sein Bewerbungsschreiben nebst Bewerbungsunterlagen bei dem Beklagten ein. Aus seinem Bewerbungsschreiben geht hervor, dass der Kläger ausweislich eines beigefügten Schreibens des Arbeitsamtes P vom 27.03.1996 als Schwerbehinderter gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX gleichgestellt ist. In seinem Bewerbungsschreiben machte der Kläger geltend, dass er nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung seit 1993 als Straßenwärter in der Straßenmeisterei A arbeite und deswegen auf eine langjährige Berufserfahrung zurückblicken könne. Er habe in der zurückliegenden Zeit mehrfach die Vertretung für den Vorarbeiter, den diensthabenden Schichtleiter im Winterdienst, mit den übertragenen Aufgaben übernommen. Der Kläger wurde am 26.11.2017 zum Bewerbungsgespräch geladen. Anwesend waren dort, neben Mitarbeitern der Personalabteilung, der Referatsleiterin der Straßenmeisterei und Herr … vom Geschäftsbereich VII D, auch der stellvertretende Personalratsvorsitzende Herr …. Das Bewerbungsgespräch dauerte ca. 10 Minuten. Dem Kläger wurden drei Fragen gestellt. Die Schwerbehinderteneigenschaft/Gleichstellung des Klägers wurde im Bewerbungsgespräch nicht angesprochen. Im Übrigen war die Schwerbehindertenvertretung beim Personal- und Bewerbungsgespräch nicht anwesend. Schließlich wurde dem Kläger auf Nachfrage am 04.12.2017 durch die Personalvorsitzende, Frau …, mitgeteilt, dass die Schwerbehindertenvertretung an dem Auswahlverfahren nicht beteiligt war. Der Personalrat war am 27.11.2017 mit der Auswahl der Bewerbung für die Stelle als Kolonnenführer befasst. Eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung erfolgte nicht. Auf eine Anfrage des Klägers erwiderte der stellvertretende Personalratsvorsitzende mit einer E-Mail vom 08.12.2017 (Anlage A 5 auf Bl. 47 der Gerichtsakten):

„Ich war bei den Gesprächen zum Kolonnenführer dabei. Da es eine interne Stellenausschreibung war, gehe ich davon aus, dass sie mit Bewerbungsmappe, Ihre Personalakte meinen? (Anlagenkonvolut K 3)

In diesem Fall gibt es ja nur die handschriftliche Bewerbung mit dem Hinweis für die Dienststelle, dass auf eine Personalakte verwiesen wird. Eine Bewerbungsmappe lag mir nicht vor, woraus ich ableiten konnte, dass sie (Kläger) gleichgestellt sind. Auch in den anderen Unterlagen war darüber nichts vermerkt.“

Die Stelle als Kolonnenführer ist nach der Entgeltgruppe 8 TVöD bewertet. Der Kläger hätte damit, wäre er als Kolonnenführer eingestellt worden, mit der Entgeltgruppe 8, Stufe 6 TVöD in Höhe von 3.246,12 € brutto zu vergüten gewesen. Dem Kläger wurde (Anlage A 6 auf Bl. 48 der Gerichtsakten) durch den Sachbearbeiter Personal am 05.12.2017 mitgeteilt, dass der Beklagte sich im Auswahlverfahren für einen anderen Bewerber entschieden habe. Mit Schreiben vom 10.01.2018 (Anlage A 7 auf Bl. 49 der Akten), bei dem Beklagten am 12.01.2018 eingegangen, hat der Kläger die Zahlung der Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend gemacht. Mit am 06.02.2018 beim Arbeitsgericht Dresden eingegangenen Schriftsatz vom 05.02.2018 hat der Kläger Klage auf Entschädigung nach § 15 AGG erhoben.

Der Kläger behauptet, dass bei der Entscheidung über die Einstellung des Kolonnenführers im laufenden Bewerbungsverfahren die Gleichstellung des Klägers keine Beachtung gefunden habe. Weder der Beklagte noch der Personalrat in seiner Befassung vom 27.11.2017 habe die Gleichstellung des Klägers in seine Entscheidung mit einbezogen. Das Indiz für eine Ungleichbehandlung des Klägers als Gleichgestellter sei der Umstand, dass die Schwerbehinderung des Klägers angeblich „nicht bekannt“ war und deswegen auch nicht in den Entscheidungsvorgang eingeflossen sei. So soll die Bewerbungsmappe mit dem Gleichstellungsbescheid des Klägers der Personalvertretung nicht vorgelegen haben. Bei gebührender Berücksichtigung der Schwerbehinderteneigenschaft hätte der Kläger eingestellt werden müssen. So sei die Rede davon, dass drei Bewerber zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurden. Der Beklagte mache geltend, dass der Kläger gegenüber dem Beschäftigten … weniger geeignet sei. Zum einen werde behauptet, dass der Kläger nicht das erforderliche Fingerspitzengefühl und die Kompetenz bei Konfliktlösungen habe. Dem tritt der Kläger entgegen. Der Beklagte habe in diesem Zusammenhang unterlassen, den Vorgesetzten des Klägers, …, zu der bestehenden Führungskompetenz des Klägers zu hören. Ein Indiz für die Benachteiligung des Klägers gemäß § 22 AGG sei der Umstand, dass auch die Schwerbehindertenvertretung zum Vorstellungsgespräch nicht geladen wurde und auch im Übrigen nicht bei den Beratungen hinzugezogen wurde. Wäre die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers in die Diskussion um die Besetzung der Stelle gebührend berücksichtigt worden, so hätte der Kläger Aussichten gehabt, die Stelle zu bekommen. Soweit der Beklagte vortrage, dass ein Vergleich des Klägers anlässlich des Bewerbungsgesprächs mit dem Mitbewerber zu dem Ergebnis gekommen sei, dass der Kläger nur „gut“ und nicht „sehr gut“ geeignet sei, ändere dies nichts an dem Versäumnis im Vorfeld der Bewerbung. Auch der Umstand, dass der Personalsachbearbeiter … nicht dahingehend eingeweiht gewesen sei, dass der Kläger gleichgestellt ist, ändere nichts an dem Versäumnis des Beklagten.

Der Kläger habe einen Anspruch auf Zahlung einer Verzugspauschale in Höhe von 40,00 € gemäß § 288 Abs. 5 BGB. Die Rechtsfrage sei noch nicht abschließend höchstrichterlich geklärt. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (8 AZR 26/18) überzeuge nicht. § 12 a ArbGG werde nicht für einschlägig erachtet.

Im Termin vom 04.07.2018 hat der Kläger gegen den Beklagten ein Versäumnisurteil (Bl. 75 der Akten) erlangt, das diesem laut Empfangsbekenntnis (Bl. 79 der Akten) am 17.07.2018 zugestellt worden ist. Dagegen hat der Beklagte bereits am 10.07.2018 Einspruch eingelegt (Bl. 80 der Akten).

Der Kläger beantragt: Das Versäumnisurteil vom 04.07.2018 wird aufrechterhalten.

Der Beklagte beantragt: Das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 04.07.2018 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der Beklagte stellt unstreitig, dass ihm die Gleichstellung des Klägers bereits seit Jahren bekannt gewesen sei. Der Bescheid über die Gleichstellung vom 27.03.1996 sei vom Kläger zu seiner Personalakte eingereicht und daher seither deren Bestandteil. Im Ergebnis des Stellenbesetzungsverfahrens habe sich der Beklagte für den Mitbewerber … entschieden, der bis dato wie der Kläger als Straßenwärter der Straßenmeisterei A eingesetzt war. Dieser sei am besten geeignet gewesen. Insbesondere habe er durch eine hervorragende Beantwortung der Fachfragen und durch den Gesamteindruck aus dem Vorstellungsgespräch und seinen Leistungen in der bisherigen Tätigkeit beim Beklagten überzeugt. Der Kläger sei nicht der am besten Geeignete gewesen. Er habe unter den drei Bewerbern lediglich den Rang 2 belegt. Der Kläger sei nicht wegen seiner Behinderung benachteiligt worden, sondern wegen seiner nicht gleichguten fachlichen Eignung. Eine Kausalität zwischen dem Merkmal der Behinderung des Klägers und seiner Benachteiligung bestehe nicht. Es gehe dem Kläger nicht darum, dass er als gleichgestellter behinderter Mensch in einem Auswahlverfahren benachteiligt worden sei, einen geeigneten Arbeitsplatz zu erhalten oder darum, einen geeigneten Arbeitsplatz nicht behalten zu können. Mit anderen Worten: Er falle schon nicht in den Kreis derjenigen, die die von ihm als missachtet behaupteten Bestimmungen schützen sollen. Dies könne aber sogar dahinstehen. Bei dem Beklagten bestehe die Prozessanweisung, dass Schwerbehindertenvertretung und Personalrat von allen Bewerbungen Schwerbehinderter bzw. Gleichgestellter unverzüglich nach Eingang der Bewerbungen (auch Initiativbewerbungen) von dem Eingang der Bewerbung, der Stelle und dem Namen des Bewerbers sowie Grad der Behinderung zu unterrichten sei. Der mit der Sache befasste Personalsachbearbeiter … meine, dementsprechend auch mit der Bewerbung des Klägers verfahren zu sein, vermag dies aber nicht aus eigener Erinnerung für den hier in Rede stehenden Vorgang zuverlässig zu sagen. Doch darauf käme es nicht an. Denn selbst wenn er dies nicht getan haben würde, habe dies allein auf einem Versehen beruht. In keinem Fall beruhe das (vermeintliche) Versäumnis des Sachbearbeiters darauf, weil der Kläger gleichgestellter behinderter Mensch sei. Auch der Vorsitzende der Schwerbehindertenvertretung könne bestätigen, dass er ansonsten immer über Bewerbungen Schwerbehinderter und Gleichgestellter informiert worden sei, sodass es sich auch aus seiner Sicht allenfalls um einen singulären Ausnahmefall gehandelt haben könne. Die vollständigen Bewerbungsunterlagen des Klägers habe dem vom Personalrat zu den Vorstellungsgesprächen gesandten Vertreter am Tag des Vorstellungsgesprächs vorgelegen. Wenn der Vertreter des Personalrats diese nicht zur Kenntnis genommen habe, gehe das nicht zu Lasten des Beklagten. Die vollständigen Bewerbungsunterlagen des Klägers hätten dem Personalrat auch vorgelegen, als er am 27.11.2017 den Beschluss gefasst habe, der Besetzung der Stelle mit dem als besser geeigneten Konkurrenten zuzustimmen. Auch hier gelte, wenn der Personalrat die Unterlagen nicht zur Kenntnis genommen habe, könne dies nicht zu Lasten des Beklagten gehen.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Einspruch ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. In der Sache hat er jedoch keinen Erfolg.

I.

Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu.

A.

Der auf Zahlung einer Entschädigung gerichtete Klageantrag ist zulässig, insbesondere ist er hinreichend bestimmt i.S.v. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

B.

Die Klage ist auch begründet. Der Beklagte hat bei der Besetzung der Stelle eines Kolonnenführers im November 2017 gegen das Verbot verstoßen, schwerbehinderte Beschäftigte wegen ihrer Behinderung beim beruflichen Aufstieg zu benachteiligen (§ 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX).

1. Der Kläger ist einem Schwerbehinderten gleichgestellt (§ 2 Abs. 3 SGB IX) und hat daher wie ein benachteiligter schwerbehinderter Beschäftigter nach § 81 Abs. 2 Satz 2 SGB IX, § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG Anspruch auf angemessene Entschädigung.

2. Der Kläger hat den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG innerhalb der Frist des § 15 Abs. 4 AGG schriftlich geltend gemacht und die Klage auf Entschädigung auch innerhalb der in § 61 b Abs. 1 ArbGG bestimmten Frist erhoben.

Gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG muss ein Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, wenn keine anderen tariflichen Regelungen bestehen. Solche tariflichen Regelungen gibt es nicht. Nach § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG beginnt die Frist im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit Zugang der Ablehnung. Diese erfolgt durch den Sachbearbeiter Personal am 05.12.2017. Der Kläger hat mit am 12.01.2018 zugegangenem Schreiben vom 10.01.2018 die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend gemacht.

Der Kläger hat auch die Klagefrist nach § 61 b Abs. 1 ArbGG von drei Monaten nach schriftlicher Geltendmachung des Anspruchs gewahrt. Die Klage ist am 06.02.2018 beim Arbeitsgericht eingegangen und wurde dem Beklagten am 19.02.2018 zugestellt (§ 253 Abs. 1 ZPO).

3. Die Voraussetzungen für eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG i.V.m. § 81 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB IX sind erfüllt.

Der Entschädigungsanspruch setzt einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot voraus. Dies stellt § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG zwar nicht ausdrücklich klar, ergibt sich aber aus dem Gesamtzusammenhang der Bestimmungen (BAG 22.01.2009 – 8 AZR 906/07 – Rn. 28, juris). Der Beklagte benachteiligte den Kläger wegen seiner Gleichstellung als Schwerbehinderter und verstieß damit gegen das Benachteiligungsverbot gemäß § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX.

a) Der Beklagte ist Arbeitgeber i.S.v. § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG. Der Kläger ist schwerbehinderter Beschäftigter i.S.v. § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Er ist nämlich Arbeitnehmer des Beklagten, hat einen Grad der Behinderung von 40 % und ist einem Schwerbehinderten gleichgestellt (§ 2 Abs. 3 SGB IX).

b) Der Beklagte benachteiligte den Kläger wegen der Gleichstellung als Schwerbehinderter. Es liegen Tatsachen vor, die dies vermuten lassen. Der Beklagte hat diese Vermutung auch nicht widerlegt.

aa) Der Beklagte benachteiligte den Kläger unmittelbar wegen der Gleichstellung als Schwerbehinderter. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG i.V.m. § 81 Abs. 2 Satz 2 SGB IX liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn ein schwerbehinderter Beschäftigter wegen seiner Behinderung eine weniger günstige Behandlung als ein andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

Der Kläger erfuhr eine weniger günstige Behandlung als der erfolgreiche Bewerber Kai Müller, weil er nicht berücksichtigt wurde. Die Benachteiligung kann schon in der Versagung einer Chance liegen (vgl. BAG 23.08.2012 – 8 AZR 285/11 – Rn. 22; 13.10.2011 – 8 AZR 608/10 – Rn. 24; vom 22.08.2013 – 8 AZR 574/12 – Rn. 29, zitiert nach juris).

c) Der Kläger und der erfolgreiche Bewerber befanden sich in einer vergleichbaren Situation (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AGG), da sich alle als langjährig Beschäftigte innerhalb der von dem Beklagten vorgegebenen Bewerbungsfrist um die ausgeschriebene Stelle beworben hatten. Auch der Beklagte stellte nicht in Abrede, dass der Kläger für die ausgeschriebene Stelle objektiv geeignet war.

4. Ob der Kläger „wegen“ seiner Behinderung benachteiligt wurde, steht nicht fest.

Der Kausalzusammenhang zwischen benachteiligender Behandlung und dem Merkmal der Behinderung ist dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Behinderung anknüpft oder durch diese motiviert ist. Dabei ist nicht erforderlich, dass der betreffende Grund das ausschließliche Motiv für das Handeln des Benachteiligten ist. Ausreichend ist vielmehr, dass die Behinderung Bestandteil eines Motivbündels ist, welches die Entscheidung beeinflusst hat (ständige Rechtsprechung des BAG 21.06.2012 – 8 AZR 364/11 – Rn. 32; 16.02.2012 – 8 AZR 697/10 – Rn. 42, zitiert nach juris). Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an (BAG 21.02.2013 – 8 AZR 180/12 – Rn. 35).

5. Der Kläger hat aber Tatsachen und Indizien vorgebracht, die eine Benachteiligung wegen seiner Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten vermuten lassen.

a) Unterlässt es der Arbeitgeber, entgegen §§ 81 Abs. 1, 95 Abs. 2 SGB IX, die Schwerbehindertenvertretung zu beteiligten, so ist dies nach ständiger Rechtsprechung ein Indiz i.S.d. § 22 AGG, das mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Benachteiligung spricht (vgl. BAG 10.05.2005 – 9 AZR 230/04 –; BAG vom 22.08.2013 – 8 AZR 574/12 – Rn. 35, juris). Gerade für Bewerbungsverfahren enthalten die Vorschriften des SGB IX einen umfassenden Pflichtenkatalog, dem entsprechende Rechte der Schwerbehindertenvertretung und einzelner schwerbehinderter Bewerber entnommen werden können. Nach § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX i.d.F. vom 17.07.2017 muss der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend unterrichten. Die Unterrichtungs- und Anhörungsrechte sollen es der Schwerbehindertenvertretung ermöglichen, auf eine sachdienliche Behandlung hinzuwirken, wenn die spezifischen Belange eines schwerbehinderten Menschen oder der schwerbehinderten Beschäftigten als Gruppe für die Entscheidung des Arbeitgebers erheblich sind (BAG 17.08.2010 – 9 ABR 83/09 – Rn. 17, juris). Dadurch sollen behinderungsbedingte Nachteile ausgeglichen und gleiche Teilhabechancen eröffnet werden.

Die Unterrichtungs- und Anhörungspflicht aus § 95 Abs. 2 SGB IX besteht auch und gerade, wenn sich ein schwerbehinderter oder gleichgestellter behinderter Mensch um eine Beförderungsstelle bewirbt (BAG 17.10.2010 – 9 ABR 83/09 – Rn. 13; BAG 22.08.2013 – 8 AZR 574/12, zitiert nach juris). Die Bewerber sollen nach § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zum Schutz vor Benachteiligung durch die Schwerbehindertenvertretung unterstützt werden können. Nach § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX hat die Schwerbehindertenvertretung spezifisch das Recht auf Beteiligung am Verfahren nach § 81 Abs. 1 SGB IX bei Bewerbungen schwerbehinderter Menschen, insbesondere das Recht auf Einsicht in die entscheidungsrelevanten Teile der Bewerbungsunterlagen und Teilnahme an Vorstellungsgesprächen. Jenes Recht erstreckt sich auch auf die Bewerbungsunterlagen und Vorstellungsgespräche der nicht behinderten Bewerbung, da nur so eine Vergleichsmöglichkeit für die Schwerbehindertenvertretung besteht.

b) Indem der Beklagte die Schwerbehindertenvertretung bei dem Auswahlverfahren vorliegend nicht beteiligt hat, ist er diesen gesetzlichen Förderpflichten nicht nachgekommen und hatte grundsätzlich den Kläger schlechter gestellt, weil er den gesetzlichen Auftrag zur Herstellung von Chancengerechtigkeit nicht entsprochen hat. Die Vertrauensperson der Schwerbehinderten hat die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung wahrzunehmen, wie durch das Gesetz vorgeschrieben. Diese Aufgaben stehen nicht zur Disposition der Vertrauensperson der Schwerbehinderten, weil sie nicht Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und damit der individuellen Selbstbestimmung des Vertrauensmanns oder Vertrauensfrau sind. Auf eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung zu verzichten, ist allein einem schwerbehinderten Bewerber möglich. Nach § 81 Abs. 1 Satz 10 SGB IX ist die Schwerbehindertenvertretung bei Bewerbungen schwerbehinderter Personen nur dann nicht zu beteiligen, wenn der schwerbehinderte Mensch die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausdrücklich ablehnt. Der Kläger hat hierauf jedoch nicht verzichtet.

6. Der Beklagte hat die Vermutung der Benachteiligung des Klägers nicht widerlegt. Sein bisheriges Vorbringen rechtfertigt nicht den Schluss, dass die Behinderung bzw. Gleichstellung mit einem Behinderten des Klägers in dem Motivbündel, das der Beklagte bei der Nichteinhaltung der Prüfpflicht nicht enthalten war.

a) Wenn die festgestellten Tatsachen eine Benachteiligung wegen der Behinderung vermuten lassen, trägt der Arbeitgeber nach § 22 AGG die Beweislast dafür, dass eine solche Benachteiligung nicht vorlag. Der Arbeitgeber muss das Gericht davon überzeugen, dass die Benachteiligung nicht – auch – auf der Schwerbehinderung beruht. Damit muss er Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass es ausschließlich andere Gründe waren als die Behinderung, die zu der weniger günstigen Behandlung führten (vgl. BAG vom 21.07.2009 – 9 AZR 431/08 – Rn. 33, 37 f.; 18.11.2008 – 9 AZR 643/07 – Rn. 24, 49; BAG vom 17.08.2010 – 9 AZR 839/08 – Rn. 45, juris) und in seinem Motivbündel weder die Behinderung als negatives noch die fehlende Behinderung als positives Kriterium enthalten war.

b) Der Beklagte beruft sich zur Widerlegung der Benachteiligungsvermutung ohne Erfolg darauf, dass der Mitbewerber … optimal für die Stelle geeignet sei. Die bessere Eignung von Mitbewerbern schließt eine Benachteiligung nicht aus. Dies folgt schon aus dem eindeutigen Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG. Danach ist selbst dann eine Entschädigung zu leisten, wenn der schwerbehinderte Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Dies zeigt sich, dass die Bestimmungen in § 81 Abs. 2 SGB IX i.V.m. § 15 Abs. 2 AGG das Recht der schwerbehinderten Menschen auf ein diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren schützen (vgl. BAG 21.07.2009 – 9 AZR 431/08 – Rn. 42; vom 03.04.2007 – 9 AZR 823/06 – Rn. 33; BAG vom 17.08.2010 – 9 AZR 839/08 – Rn. 48, juris).

c) Der Beklagte hat insbesondere keine substantiierten Tatsachen dafür vorgetragen, dass der Kläger objektiv nicht für die Besetzung der Stelle geeignet gewesen wäre. Vielmehr sei er auf Rang 2 von drei Bewerbern gelandet. Der erfolgreiche Mitbewerber … sei sehr gut, der Kläger lediglich gut geeignet gewesen. Der Kläger war im Zeitpunkt der Bewerbung 29 Jahre bei dem Beklagten beschäftigt und hat in der Vergangenheit nach unbestrittenem und damit zugestandenem Vortrag (§ 138 Abs. 3 ZPO) die Vertretung des Vorarbeiters, die Vertretung des Straßenaufsichtsführenden sowie die Vertretung des Schichtleiters bereits erledigt. Nach unbestrittenem Vortrag des Klägers wurden ihm drei Fragen gestellt, die alle nicht unmittelbar die Führungskompetenz des Klägers betrafen. Angesichts dessen hätte der Beklagte begründen müssen, weshalb er es unterlassen hat, den Vorgesetzten des Klägers, …, zu der bestehenden Führungskompetenz des Klägers zu hören.

7. Auch die von dem Beklagten behauptete Beachtung der Vorschriften des § 81 AGG in der Vergangenheit in anderen Fällen ist nicht geeignet, die bestehende Vermutung zu widerlegen. Arbeitgeber, die im Allgemeinen die Bestimmungen beachten, können auch im Einzelfall diesen Bestimmungen zuwiderhandeln. In diesem Zusammenhang ist auch unbeachtlich, dass ein neuer Personalsachbearbeiter, Herr …, möglicherweise nicht vertraut war mit den Bestimmungen. Unstreitig ist es, dass eine allgemeine Prozessanweisung bei dem Beklagten bestand, die objektiv nicht beachtet wurde. Das Verhalten des Herrn … ist dem Beklagten gemäß § 276 BGB zuzurechnen.

8. Anhaltspunkte für einen Rechtfertigungsgrund gemäß § 8 AGG sind nicht ersichtlich.

9. Die Bewerbungsabsicht des Klägers war auch ernsthaft.

10. Dem Kläger steht damit gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG eine angemessene Entschädigung zu.

a) § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG räumt dem Gericht einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Höhe der Entschädigung ein, um bei der Prüfung der Angemessenheit der Entschädigung die Besonderheiten jedes einzelnen Falls berücksichtigen zu können.

b) Die Entschädigung in Höhe von drei Monatsgehältern ist angemessen.

Nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG darf die Entschädigung bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Nach § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 SGB IX, a.F., galt die summenmäßige Beschränkung kraft Verweisung auf § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB IX, a.F., auch für den beruflichen Aufstieg. Eine entsprechende Regelung fehlt in § 15 AGG. Der Gesetzeswortlaut lässt es aber nicht zu, die Entschädigungssumme im Fall des beruflichen Aufstiegs von vornherein nur auf die dreifache Vergütungsdifferenz zu beschränken, wenn der Beschäftigte die Stelle auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht bekommen hätte (vgl. BAG, Urteil vom 17.08.2010 – Rn. 61 a.a.O.). Die Entschädigung erfolgt allein wegen des immateriellen Schadens. Die Persönlichkeitsverletzung muss im Falle der Auswahl bei Aufstiegsentscheidungen keine geringere sein als bei einer nicht erfolgten erstmaligen Einstellung. Denn auch die Schwere der Verstöße ist bei der Höhe der Entschädigung zu berücksichtigen.

c) Die Entschädigung ist durch das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass es bei § 15 Abs. 2 AGG um den Ersatz des immateriellen Schadens geht und nicht um den Ersatz von Vermögensschäden. Vorliegend ist die Stelle endgültig besetzt. Ob die Führungskompetenz des Klägers vorlag, wurde von dem Beklagten jedenfalls nicht durch Anhörung des direkten Vorgesetzten, Herrn …, festgestellt. Damit steht aber nicht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Beklagte den Grundsätzen der Bestenauslese nach § 33 Abs. 2 GG gefolgt ist. Die Art und Schwere der Benachteiligung und die Folgen für den Kläger hinsichtlich seines Persönlichkeitsrechtes lassen es für gerechtfertigt erscheinen, vorliegend eine Entschädigung in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern anzunehmen. Als Monatsverdienst i.S.v. § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG ist der Bruttoverdienst anzusehen, den der Beschäftigte erzielt hätte, wenn er eingestellt worden wäre. Dabei spielt auch eine Rolle, dass der Beklagte noch im laufenden Verfahren vorträgt: „Es geht dem Kläger nicht darum, dass er als gleichgestellter behinderter Mensch in einem Auswahlverfahren benachteiligt worden sei, einen geeigneten Arbeitsplatz zu erhalten, oder darum, einen geeigneten Arbeitsplatz nicht behalten zu können. Mit anderen Worten: Er fällt schon nicht in den Kreis derjenigen, die die von ihm als missachtet behaupteten Bestimmungen schützen sollen.“. Dies ist eine Verkennung der Rechte eines behinderten gleichgestellten Menschen. Hinzu kommt, dass der stellvertretende Personalratsvorsitzende in seiner E-Mail vom 08.12.2017 vortrug, dass er als Personalrat nicht berechtigt sei, Einsicht in die Personalakte zu nehmen und ihm die Bewerbungsmappe nicht vorgelegen habe und er deswegen keine Anhaltspunkte dafür gehabt habe, dass der Kläger einem Schwerbehinderten gleichgestellt war. Der Personalrat konnte also unter diesem Aspekt seine Beteiligungsrechte bei der personellen Einzelmaßnahme auch nicht einfließen lassen. Dies gilt umso mehr, als der Beklagte selbst vorträgt, dass die fachlichen Fragestellungen nach Einschätzung des Fachbereichs vom Kläger weitgehend gut beantwortet seien. Außerdem habe man den Eindruck gehabt, dass dem Kläger in Konfliktsituationen das erforderliche Fingerspitzengefühl fehle und die Kompetenz zur Konfliktlösung und Befriedung fehlen könnte. Der Beklagte trägt aber nicht vor, woraus diese Schlüsse gezogen wurden. Die Fragen im Vorstellungsgespräch betrafen nicht die Führungskompetenz und die Konfliktlösungskompetenz des Klägers. Der Beklagte trägt auch vor, dass der Kläger in seiner bisherigen Tätigkeit eine solche noch nicht an den Tag gelegt habe.

Nach alledem war wie erkannt zu entscheiden.

C.

Entgegen der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 15.09.2018, 8 AZR 26/18 ist die Kammer weiterhin der Auffassung, dass der Anspruch auf Zahlung der Verzugspauschale gemäß § 288 Abs. 5 BGB besteht, da eine Ausnahme für arbeitsrechtliche Ansprüche gesetzgeberisch nicht vorgenommen wurde (so auch LAG Hamm 18.07.2018, 2 Sa 1828/17). Bei richtlinienkonformer Auslegung des § 288 Abs. 5 BGB ist eine Beschränkung des Verzugsschadensersatzanspruches auf Entschädigung für sogenannte Beitreibungskosten i.S.d. § 12 a ArbGG auch nicht geboten.

Nach alledem war wie erkannt zu entscheiden.

II.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus der Summe der eingeklagten Klageforderungen, wobei nach Auffassung der Kammer es sich bei der Verzugspauschale nach § 288 Abs. 5 BGB nicht um „Kosten“ i.S.d. § 4 Abs. 1, Halbsatz 2 ZPO handelt. Sie ist daher bei der Ermittlung des Wertes des Beschwerdegegenstandes nach § 64 Abs. 2 b ArbGG und damit auch beim Urteilsstreitwert gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG zu berücksichtigen.

Die Kammer hat hinsichtlich der Verzugspauschale die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG). Im Übrigen lagen solche Zulassungsgründe nicht vor.

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