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Firmenwagen nach Kündigung: Ihre Rechte, Fairness beim Widerruf und Entschädigung bei früher Rückgabe

Der Schock nach der Kündigung sitzt tief – und als wäre das nicht genug, verlangt der Arbeitgeber noch blitzschnell den Dienstwagen zurück. Was viele nicht ahnen: Der Zeitpunkt, zu dem Sie den Schlüssel abgeben sollen, kann bares Geld wert sein – und ein brandaktuelles Urteil vom Bundesarbeitsgericht zeigt, warum. Lesen Sie, wie das Bundesarbeitsgericht das unfaire Spiel um den Dienstwagen gestoppt hat und welche Rechte Ihnen jetzt zustehen.

BGH-Urteil zum Widerruf der privaten Nutzung eines Dienstwagens nach Kündigung – und die Nutzungsausfallentschädigung für Rückgabe innerhalb des Monats.
Firmenwagen nach Kündigung: Bei vorzeitiger Rückgabe winkt oft eine steuerlich relevante Entschädigung für Arbeitnehmer. | Symbolbild: KI generiertes Bild

Das Wichtigste: Kurz & knapp

  • Was bedeutet das konkret: Arbeitnehmer müssen den Firmenwagen nach einer Kündigung und Freistellung nur zum Monatsende zurückgeben – nicht mitten im Monat ohne Ausgleich.
  • Wer ist betroffen: Alle Arbeitnehmer, die einen Dienstwagen privat nutzen dürfen und nach einer Kündigung und Freistellung das Auto abgeben sollen.
  • Praktische Konsequenzen: Wird das Auto vor Monatsende zurückverlangt, muss der Arbeitgeber für die restlichen Tage des Monats eine anteilige Entschädigung zahlen.
  • Für Arbeitgeber: Nur wenn das Auto erst zum Monatsende eingezogen wird, ist keine Entschädigung nötig und alles fair geregelt.
  • Hintergrundinformation: Der Dienstwagen zählt zum Gehalt – auch für private Fahrten müssen Arbeitnehmer Steuern zahlen, und zwar stets für den vollen Monat.
  • Zeitlicher Rahmen/Gültigkeit: Das Urteil gilt ab sofort und gibt klare Regeln für ähnliche Fälle in Deutschland vor.

Quelle: Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 12. Februar 2025 – 5 AZR 171/24

Firmenwagen weg nach Kündigung? Warum der Zeitpunkt alles ändert – und was Ihnen zusteht

Der Dienstwagen – für viele Arbeitnehmer mehr als nur ein Fortbewegungsmittel. Er ist Statussymbol, praktischer Alltagshelfer und oft ein fester Bestandteil des vereinbarten Gehalts. Doch was passiert, wenn das Arbeitsverhältnis endet? Insbesondere nach einer Kündigung und der oft folgenden Freistellung von der Arbeit taucht die Frage auf: Muss der Firmenwagen sofort zurückgegeben werden? Ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sorgt hier für wichtige Klarheit und stärkt die Rechte von Arbeitnehmern erheblich.

Stellen Sie sich vor: Jahrelang waren Sie als Führungskraft tätig, der schicke Dienstwagen gehörte wie selbstverständlich dazu – auch für private Fahrten am Wochenende oder in den Urlaub. Dann der Schock: Die Kündigung flattert ins Haus, verbunden mit der sofortigen Freistellung. Und als wäre das nicht genug, verlangt der Arbeitgeber auch noch kurzfristig, mitten im Monat, die Rückgabe des Wagens. Ärgerlich, aber rechtens?

Nicht unbedingt, wie der Fall eines „kaufmännischen und operativen Leiters“ zeigt, der bis vor das höchste deutsche Arbeitsgericht zog und teilweise Recht bekam (BAG, Urteil vom 12. Februar 2025 – 5 AZR 171/24). Seine Geschichte illustriert, warum beim Entzug des Dienstwagens nicht nur das „Ob“, sondern vor allem das „Wann“ entscheidend ist – und welche Rolle dabei eine oft übersehene Steuerregel spielt.

Ein bitterer Abschied: Herr S. muss den Schlüssel abgeben

Nennen wir den Protagonisten Herr S. Er war seit Oktober 2022 als „kaufmännische und operative Leitung“ bei einem Unternehmen angestellt, das Seniorenzentren betreibt. Zu seinem attraktiven Gehalt von über 10.000 Euro brutto monatlich gehörte auch ein Dienstwagen der Mittelklasse, den er laut Arbeitsvertrag ausdrücklich privat nutzen durfte. Diesen Vorteil bewertete der Arbeitgeber, wie üblich nach der sogenannten 1%-Regelung, mit 457 Euro brutto monatlich und führte darauf Steuern und Sozialabgaben ab. Dieser geldwerte Vorteil war also ein fester, vereinbarter Teil seines Lohns.

Im Arbeitsvertrag fand sich allerdings auch eine Klausel (§ 10 Abs. 2), die dem Arbeitgeber das Recht gab, die private Nutzungsmöglichkeit unter bestimmten Umständen zu widerrufen. Ein solcher Umstand war explizit genannt: Wenn das Arbeitsverhältnis gekündigt ist und der Arbeitnehmer „berechtigt“ von seiner Arbeitspflicht freigestellt wird. In diesem Fall, so die Klausel, bestehe kein Anspruch auf Entschädigung für den Entzug der Privatnutzung.

Im Frühjahr 2023 kam es für Herrn S. knüppeldick. Nach einer betrieblichen Umstrukturierung erhielt er am 8. Mai 2023 die ordentliche Kündigung zum 31. August 2023. Gleichzeitig stellte ihn sein Arbeitgeber mit sofortiger Wirkung unwiderruflich von der Arbeit frei. Und nicht nur das: Im selben Schreiben wurde er aufgefordert, den Dienstwagen bis spätestens zum 24. Mai 2023 zurückzugeben. Herr S. folgte der Aufforderung und gab das Fahrzeug bereits am 23. Mai zurück.

Der Streitwert: Mehr als nur Blech – ein Teil des Gehalts fehlt

Herr S. fühlte sich ungerecht behandelt. Zwar akzeptierte er letztlich die Kündigung (deren Wirksamkeit in einem anderen Verfahren bestätigt wurde), doch der Entzug des Wagens mitten im Monat stieß ihm sauer auf. Er argumentierte: Die Privatnutzung ist Teil meiner Vergütung. Wenn man mir diese vorzeitig wegnimmt, steht mir eine Entschädigung zu. Er rechnete nach: Für den Zeitraum vom 23. Mai bis zum eigentlichen Vertragsende am 31. August fehlte ihm dieser Gehaltsbestandteil. Er klagte auf Zahlung einer sogenannten Nutzungsausfallentschädigung.

Doch die ersten juristischen Hürden erwiesen sich als hoch. Sowohl das Arbeitsgericht Köln als auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln wiesen seine Klage ab. Die Begründung der Vorinstanzen folgte im Wesentlichen der Argumentation des Arbeitgebers: Die Widerrufsklausel im Vertrag sei wirksam, die Voraussetzungen (Kündigung und berechtigte Freistellung) lägen vor, also sei der Widerruf rechtens und eine Entschädigung nicht geschuldet. Das LAG Köln ließ jedoch die Revision zum Bundesarbeitsgericht zu – ein Zeichen dafür, dass die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung war.

Finale in Erfurt: Das Bundesarbeitsgericht prüft die Fairness

Der Fall landete schließlich beim Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt. Die obersten Arbeitsrichter mussten nun klären:

  • War die Widerrufsklausel im Arbeitsvertrag überhaupt wirksam nach den strengen Regeln für Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)?
  • Lagen die vertraglichen Voraussetzungen für den Widerruf (Kündigung UND „berechtigte“ Freistellung) tatsächlich vor?
  • Und die entscheidende Frage: War die konkrete Ausübung des Widerrufs – also die Forderung nach Rückgabe zum 24. Mai – fair und angemessen („billiges Ermessen“ nach § 315 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB)?

Die Entscheidung des BAG fiel differenziert aus und beleuchtete die verschiedenen Aspekte präzise.

Schritt 1: Die Vertragsklausel – Hält das „Kleingedruckte“?

Zunächst prüfte das BAG die Widerrufsklausel selbst. Solche Klauseln in Arbeitsverträgen sind rechtlich als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) zu behandeln. Das bedeutet, sie unterliegen einer strengen Kontrolle, ob sie den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligen oder unklar formuliert sind.

Transparenz (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB): Die Richter befanden die Klausel für ausreichend klar und verständlich. Sie nannte unmissverständlich den Grund für einen möglichen Widerruf: Die „berechtigte Freistellung nach einer Kündigung“. Herr S. konnte also erkennen, unter welchen Umständen er mit dem Entzug des Wagens rechnen musste.

Angemessenheit (§ 307 Abs. 1 Satz 1, § 308 Nr. 4 BGB): Auch inhaltlich hielt die Klausel der Prüfung stand. Das BAG bestätigte seine ständige Rechtsprechung: Die Privatnutzung ist Teil der Vergütung. Sie steht aber im Zusammenhang mit der dienstlichen Nutzung. Wenn der Arbeitnehmer – wie bei einer berechtigten Freistellung – keine Arbeitsleistung mehr erbringen muss und insbesondere keine Dienstfahrten mehr anfallen, ist es grundsätzlich zumutbar, dass der Arbeitgeber die Privatnutzung widerrufen kann. Ein sachlicher Grund für den Widerruf lag also vor.

Keine Änderungskündigung nötig: Das Gericht stellte auch klar, dass für diesen Widerruf keine komplizierte Änderungskündigung erforderlich war. Zwar handelt es sich bei der Privatnutzung um einen Gehaltsbestandteil (sogenannte Naturalvergütung). Ein Widerrufsvorbehalt für Gehaltsbestandteile ist aber zulässig, solange der widerrufliche Anteil nicht zu groß ist. Eine etablierte Grenze liegt hier bei maximal 25 % der Gesamtvergütung. Da der geldwerte Vorteil des Dienstwagens von Herrn S. (ca. 457 Euro) weit unter 25 % seines Bruttogehalts (10.457 Euro) lag, reichte der einfache Widerruf auf Basis der Vertragsklausel aus.

Zwischenfazit nach Schritt 1: Die Klausel im Vertrag war formal und inhaltlich in Ordnung. Der Arbeitgeber hatte sich vertraglich das Recht vorbehalten, den Wagen unter diesen Umständen zurückzufordern.

Schritt 2: Die Voraussetzungen – War die Freistellung „berechtigt“?

Als Nächstes prüfte das BAG, ob die im Vertrag genannten Bedingungen für den Widerruf im Fall von Herrn S. auch tatsächlich erfüllt waren.

Kündigung: Das Arbeitsverhältnis war unstreitig gekündigt.

Freistellung: Herr S. war ebenfalls unstreitig freigestellt.

„Berechtigte“ Freistellung: Hier wurde es etwas komplexer. Eine Freistellung ist nicht automatisch „berechtigt“. Grundsätzlich hat ein Arbeitnehmer bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf Beschäftigung. Dieser Anspruch kann aber entfallen, wenn der Arbeitgeber überwiegende schutzwürdige Interessen an der Nichtbeschäftigung hat. Dies ist etwa der Fall, wenn der Arbeitsplatz aufgrund einer rechtmäßigen unternehmerischen Entscheidung (wie einer Umorganisation) tatsächlich weggefallen ist. Da die betriebsbedingte Kündigung von Herrn S. auf einer solchen (im Kündigungsschutzprozess als wirksam erachteten) Umorganisation beruhte und sein Arbeitsplatz neu zugeschnitten wurde, sah das BAG die Freistellung als „berechtigt“ im Sinne der Vertragsklausel an.

Zwischenfazit nach Schritt 2: Auch die vertraglich vereinbarten Voraussetzungen für den Widerruf lagen im konkreten Fall vor.

Schritt 3: Der Knackpunkt – War die Rückforderung zum 24. Mai fair (§ 315 BGB)?

Nun kam das Gericht zur entscheidenden Frage, an der die Urteile der Vorinstanzen scheiterten: Selbst wenn eine Vertragsklausel gültig ist und die Voraussetzungen für ihre Anwendung vorliegen, muss der Arbeitgeber sein Recht auch fair und nach „billigem Ermessen“ ausüben. Das verlangt § 315 BGB. Hier geht es um eine Abwägung der beiderseitigen Interessen im konkreten Einzelfall.

Der Arbeitgeber hat ein nachvollziehbares Interesse daran, sein Eigentum (oder Leasingfahrzeug) zurückzuerhalten, wenn der dienstliche Zweck entfällt. Der Arbeitnehmer hat jedoch ein ebenso starkes Interesse daran, seine vereinbarte Vergütung – einschließlich des Sachbezugs Dienstwagen – bis zum Vertragsende zu erhalten oder zumindest keine unfairen Nachteile durch den Entzug zu erleiden.

Und genau hier brachte das BAG einen entscheidenden Aspekt ins Spiel, den die Vorinstanzen offenbar nicht ausreichend gewichtet hatten: die deutsche Steuergesetzgebung.

Hintergrund: Die 1%-Regelung bei Dienstwagen

Wird ein Dienstwagen auch privat genutzt, muss dieser Vorteil als Arbeitslohn versteuert werden. Eine gängige Methode ist die pauschale 1%-Regelung (§ 8 Abs. 2 Satz 2 EStG). Dabei wird monatlich 1% des Bruttolistenpreises des Fahrzeugs zum Zeitpunkt der Erstzulassung als geldwerter Vorteil dem Bruttogehalt hinzugerechnet und versteuert.

Das Entscheidende: Diese Versteuerung erfolgt immer für den vollen Kalendermonat, unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer den Wagen den ganzen Monat oder nur wenige Tage nutzen konnte (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG).

Das BAG argumentierte: Wenn Herr S. den Wagen am 23. Mai zurückgeben musste, konnte er ihn für die restlichen 8 Tage des Monats Mai nicht mehr privat nutzen. Trotzdem musste er für den gesamten Monat Mai den vollen geldwerten Vorteil (457 Euro) versteuern. Er zahlte also Steuern und Sozialabgaben auf einen Lohnbestandteil, den er gar nicht mehr vollständig erhalten hatte. Dies führte zu einer spürbaren finanziellen Netto-Belastung für ihn.

Diese steuerliche Konsequenz machte die Forderung des Arbeitgebers, den Wagen entschädigungslos mitten im Monat Mai zurückzugeben, nach Ansicht des BAG unbillig und damit unwirksam im Sinne des § 315 BGB. Die Tatsache, dass Herr S. den Wagen immerhin bis zum 23. Mai nutzen durfte (statt ihn sofort am 8. Mai abgeben zu müssen), änderte daran nichts. Dieser kleine Aufschub kompensierte den steuerlichen Nachteil nicht.

Das Gericht stellte einen wichtigen Grundsatz auf: Ein entschädigungsloser Widerruf der Privatnutzung während einer Freistellung entspricht im Regelfall nur dann billigem Ermessen, wenn er zum Ende eines Kalendermonats wirksam wird. Nur so wird vermieden, dass der Arbeitnehmer steuerlich für einen Vorteil aufkommen muss, den er nicht mehr hat.

Der Einwand des Arbeitgebers, der Leasingvertrag für das Fahrzeug sei möglicherweise am 24. Mai ausgelaufen, ließ das BAG nicht gelten. Selbst wenn dies der Grund für die frühe Rückforderung war, ändere das nichts an der Unbilligkeit gegenüber dem Arbeitnehmer. Interne Vertragsverhältnisse des Arbeitgebers mit Dritten (wie Leasinggebern) können nicht zulasten des Arbeitnehmers gehen, wenn es um die Fairness im Arbeitsverhältnis geht.

Schritt 4: Die Konsequenz – Teilweise Entschädigung für Herrn S.

Da der Widerruf zum 24. Mai unbillig war, hatte der Arbeitgeber seine Pflicht zur Gewährung der Privatnutzung verletzt. Herrn S. stand daher grundsätzlich ein Schadensersatzanspruch zu (§ 280 Abs. 1, § 283 BGB).

Das BAG erklärte den Widerruf aber nicht komplett für die gesamte Restlaufzeit bis August für unwirksam. Stattdessen nutzte es eine spezielle Befugnis aus § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB: Das Gericht kann selbst bestimmen, welche Leistung der Billigkeit entsprochen hätte. Die Richter legten fest: Ein fairer, weil die steuerlichen Nachteile vermeidender, Zeitpunkt für den entschädigungslosen Widerruf wäre das Ende des Monats Mai, also der 31. Mai 2023, gewesen.

Daraus folgte: Herrn S. stand eine Nutzungsausfallentschädigung nur für den Zeitraum zu, in dem ihm der Wagen unbilligerweise vorenthalten wurde. Das war die Zeit zwischen der tatsächlichen Rückgabe (23. Mai) und dem vom Gericht bestimmten fairen Widerrufszeitpunkt (31. Mai). Das sind genau 9 Tage.

Die Höhe der Entschädigung berechnete das Gericht anteilig aus dem monatlichen Wert der Privatnutzung:

Monatlicher geldwerter Vorteil: 457,00 Euro

Tage im Mai: 31

Täglicher Wert: 457,00 € / 31 Tage ≈ 14,74 €/Tag

Entschädigung für 9 Tage: 14,74 €/Tag x  9 Tage ≈ 132,67 Euro (Anmerkung: Das Urteil  des BAG nennt tatsächlich 137,10 Euro – Rundungsdifferenzen können hier eine Rolle spielen, der Betrag im Tenor ist maßgeblich: 137,10 Euro).

Wichtig: Dieser Betrag wurde Herrn S. brutto zugesprochen. Da die Entschädigung die entgangene Vergütung ersetzt, ist sie genauso wie regulärer Lohn steuer- und sozialversicherungspflichtig.

Für die Monate Juni, Juli und August 2023 erhielt Herr S. hingegen keine Entschädigung. Da der Widerruf ab dem 31. Mai 2023 vom Gericht als wirksam und billig angesehen wurde, bestand für die Zeit danach kein Anspruch mehr.

Was das Urteil für Arbeitnehmer und Arbeitgeber bedeutet

Auch wenn es im Fall von Herrn S. „nur“ um rund 137 Euro ging, hat das Urteil weitreichende Bedeutung für Tausende Arbeitnehmer mit Dienstwagen und deren Arbeitgeber. Es schafft Klarheit in einer häufigen Streitsituation.

Praktische Auswirkungen für Arbeitnehmer

  • Ihr Recht kennen: Die private Nutzungsmöglichkeit ist Lohn! Ein Entzug ist nicht ohne Weiteres möglich.
  • Vertrag prüfen: Schauen Sie genau in Ihren Arbeits- oder Dienstwagenüberlassungsvertrag. Gibt es eine Widerrufsklausel? Ist sie klar formuliert und nennt sie konkrete Gründe (wie „berechtigte Freistellung nach Kündigung“)? Allgemeine Floskeln wie „aus betrieblichen Gründen“ sind oft unwirksam.
  • Auf den Zeitpunkt achten: Fordert der Arbeitgeber den Wagen nach Kündigung und Freistellung mitten im Monat zurück, ohne eine anteilige Entschädigung anzubieten? Dann ist das nach der BAG-Rechtsprechung in der Regel unbillig!
  • Entschädigung fordern: Weisen Sie den Arbeitgeber auf die Unbilligkeit und die steuerliche Problematik hin. Fordern Sie schriftlich eine zeitanteilige Nutzungsausfallentschädigung für die verbleibenden Tage des Monats, in dem Sie den Wagen abgeben mussten. Die Berechnungsgrundlage ist der monatliche geldwerte Vorteil (oft 1% des Listenpreises).
  • Rechtsrat einholen: Wenn der Arbeitgeber uneinsichtig ist, lassen Sie sich arbeitsrechtlich beraten. Die Chancen, zumindest eine anteilige Entschädigung für den laufenden Monat durchzusetzen, stehen nach diesem Urteil gut. Sprechen Sie uns an und fordern Sie eine Ersteinschätzung an.

Experten-Tipp für Arbeitnehmer:

Wenn Ihr Arbeitgeber den Dienstwagen während der Freistellung im laufenden Monat zurückfordert:

Weisen Sie schriftlich (z. B. per E-Mail) auf die Entscheidung des BAG (5 AZR 171/24) und die steuerliche Belastung durch die 1%-Regel hin.

Fordern Sie konkret eine zeitanteilige Nutzungsausfallentschädigung für die verbleibenden Tage des Monats.

Geben Sie den Wagen ggf. unter Vorbehalt zurück, um keine arbeitsvertraglichen Pflichten zu verletzen, halten Sie aber Ihre Forderung aufrecht.

Praktische Auswirkungen für Arbeitgeber

  • Verträge prüfen und gestalten: Bestehende Klauseln zum Dienstwagenwiderruf sollten überprüft werden. Sind sie transparent? Nennen sie spezifische, zulässige Gründe? Ist die 25%-Grenze beachtet?
  • Zeitpunkt des Widerrufs planen: Der sicherste Weg, um Streitigkeiten über § 315 BGB zu vermeiden, ist, den entschädigungslosen Widerruf der Privatnutzung erst zum Ende des Kalendermonats wirksam werden zu lassen. Dies sollte idealerweise schon im Widerrufsschreiben so kommuniziert werden.
  • Frühere Rückgabe nur mit Entschädigung: Ist eine frühere Rückgabe des Fahrzeugs (z. B. wegen Leasingende oder dringendem betrieblichem Bedarf) unumgänglich, sollte dem Arbeitnehmer proaktiv eine zeitanteilige Nutzungsausfallentschädigung für den Rest des Monats angeboten und gezahlt werden. Berechnen Sie diese auf Basis des monatlichen geldwerten Vorteils.
  • „Berechtigte“ Freistellung sicherstellen: Der Widerrufsgrund „berechtigte Freistellung“ setzt voraus, dass die Freistellung selbst rechtmäßig ist, d. h., dass tatsächlich keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr besteht und die Interessen des Arbeitgebers überwiegen. Eine pauschale Freistellung ohne triftigen Grund reicht nicht aus, um den Widerruf darauf zu stützen.
  • Dokumentation: Halten Sie die Gründe für den Widerruf und die Abwägungen zur Billigkeit (insbesondere zum Zeitpunkt und einer evtl. gezahlten Entschädigung) sorgfältig fest.

Häufige Fragen (FAQ) zum Dienstwagen-Widerruf nach Kündigung

Hier einige der wichtigsten Fragen, die sich nach diesem Urteil stellen:

Kann mein Arbeitgeber den Dienstwagen immer wegnehmen, wenn ich gekündigt werde und freigestellt bin?

Nein, nicht automatisch. Es braucht eine wirksame Widerrufsklausel im Vertrag und die Voraussetzungen müssen erfüllt sein (z.B. berechtigte Freistellung). Selbst dann muss die Ausübung – insbesondere der Zeitpunkt – fair sein (§ 315 BGB).

Was ist, wenn mein Vertrag gar keine Widerrufsklausel enthält?

Dann kann der Arbeitgeber die Privatnutzung in der Regel nicht einseitig widerrufen, solange das Arbeitsverhältnis besteht (also bis zum Ablauf der Kündigungsfrist). Der Wagen muss erst zum Vertragsende zurückgegeben werden.

Spielt es eine Rolle, warum ich freigestellt wurde?

Ja, sehr. Die Klausel im Fall von Herrn S. (und viele ähnliche Klauseln) verlangte eine „berechtigte“ Freistellung. Das bedeutet, der Arbeitgeber braucht einen triftigen Grund, warum er Sie nicht mehr beschäftigen kann oder will (z. B. Wegfall des Arbeitsplatzes, tiefgreifendes Zerwürfnis). Eine reine Freistellung „zur Sicherheit“ reicht eventuell nicht.

Mein Arbeitgeber sagt, der Leasingvertrag läuft mitten im Monat aus. Muss ich den Wagen dann entschädigungslos zurückgeben?

Nein, laut BAG ist das unerheblich für die Frage der Billigkeit gegenüber dem Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber muss dann entweder den Widerruf erst zum Monatsende erklären oder Ihnen eine anteilige Entschädigung zahlen.

Bekomme ich auch Entschädigung, wenn der Widerruf erst zum Monatsende erfolgt?

Nein. Wenn der Widerruf an sich wirksam ist (gültige Klausel, Voraussetzungen erfüllt) und erst zum Monatsende erfolgt (oder bei früherer Rückgabe anteilig entschädigt wird), ist er in der Regel billig. Dann gibt es keinen Grund für weiteren Schadensersatz.

Ist die Nutzungsausfallentschädigung steuerfrei?

Nein. Das BAG hat klargestellt, dass es sich um Brutto-Entschädigung handelt, die steuer- und sozialversicherungspflichtig ist, weil sie entgangenen Arbeitslohn ersetzt.

Gilt das Urteil auch, wenn ich selbst gekündigt habe?

Das Urteil betraf eine Arbeitgeberkündigung mit anschließender Freistellung. Ob die Grundsätze uneingeschränkt gelten, wenn der Arbeitnehmer selbst kündigt und dann (vielleicht auf eigenen Wunsch) freigestellt wird, ist nicht explizit entschieden. Die Argumentation zur steuerlichen Unbilligkeit bei Rückgabe im laufenden Monat dürfte aber ähnlich greifen, sofern eine wirksame Widerrufsklausel besteht und angewendet wird.

Fazit: Fairness zählt – auch beim Abschied vom Firmenwagen

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (5 AZR 171/24) ist ein wichtiges Signal für mehr Fairness im Umgang mit Dienstwagenregelungen am Ende eines Arbeitsverhältnisses. Es bestätigt zwar, dass Arbeitgeber sich das Recht vorbehalten können, die Privatnutzung nach einer Kündigung und bei berechtigter Freistellung zu widerrufen. Es setzt diesem Recht aber klare Grenzen durch das Gebot des billigen Ermessens (§ 315 BGB).

Die Kernaussage ist deutlich: Wer den Dienstwagen mitten im Monat entschädigungslos zurückfordert, handelt in der Regel unfair, weil er dem Arbeitnehmer durch die Tücken des Steuerrechts (1%-Regelung) einen finanziellen Nachteil aufbürdet. Der faire Zeitpunkt für einen entschädigungslosen Widerruf ist das Monatsende. Jede frühere Rückgabe sollte mit einer anteiligen Ausgleichszahlung verbunden sein.

Für Arbeitnehmer bedeutet dies eine gestärkte Position und die Möglichkeit, sich gegen unfaire Praktiken zu wehren. Für Arbeitgeber schafft das Urteil Rechtssicherheit, wie sie Widerrufe korrekt und ohne Risiko von Schadensersatzforderungen umsetzen können. Es unterstreicht einmal mehr, dass vertragliche Rechte nicht isoliert betrachtet werden dürfen, sondern immer im Kontext der gesamten Rechtsordnung – einschließlich des Steuerrechts – und unter dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme fair ausgeübt werden müssen. Der Abschied vom Dienstwagen mag schmerzlich sein, aber er muss zumindest fair ablaufen.

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