Skip to content

Formlose Arbeitsverhältnisbeendigung – Überstundenvergütung und Urlaubsabgeltung

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 3 Sa 241/19 – Urteil vom 28.10.2019

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 16.5.2019, Az.: 8 Ca 1415/18, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob dem Kläger gegenüber der Beklagten Urlaubsabgeltungs- und Überstundenvergütungsansprüche zustehen.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.08.2011 beschäftigt. Nach dem schriftlich zwischen den Parteien abgeschlossenen Arbeitsvertrag vom 17.08.2011, hinsichtlich dessen weiteren Inhalts auf Bl. 16-19 d. A. Bezug genommen wird, betrug der Bruttostundenlohn 13,50 Euro; abgerechnet wurde ein Stundenlohn von 15,50 Euro. Der Arbeitsvertrag enthält im Übrigen folgende Ausschlussklausel:

 „§ 15 Ausschluss- und Verfallsfristen

1. Alle Ansprüche aus diesem Arbeitsvertrag und solche, die damit in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von 3 Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht worden sind.

2. Lehnt die andere Vertragspartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von 4 Wochen nach der Geltendmachung des Anspruches, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von 3 Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.“

Seit Mitte Oktober 2016 arbeitet der Kläger tatsächlich nicht mehr für die Beklagte tätig, sondern für die Firma W. GmbH.

Der Kläger macht mit der streitgegenständlichen Klage Ansprüche auf Urlaubsabgeltung für insgesamt 98 Urlaubstage zu je 8,5 Stunden á 15,50 Euro geltend, d. s. 12.911,50 Euro sowie Ansprüche auf Überstundenvergütung für 1280 Stunden á 15,50 Euro, d. s. 19.840,00 Euro geltend.

Der Kläger hat vorgetragen, der Geschäftsführer der Beklagten sei damit einverstanden gewesen, dass er ab Mitte Oktober 2016 für einen anderen Arbeitgeber tätig werde. Er habe seine streitgegenständlichen Ansprüche bislang nicht geltend gemacht, da er davon ausgegangen sei, dass auch die Beklagte ihrerseits Gegenansprüche, die sie nunmehr anderweitig rechtshängig gemacht habe, nicht mehr geltend machen werde.

Die Zahl der abzugeltenden Urlaubstage folge aus den Lohn- und Gehaltsabrechnungen der Beklagten; diese wiesen für das Kalenderjahr 2016 bis einschließlich Oktober 2016 noch nicht genommene Urlaubstage aus, die bereits im Monat Mai 2016 unter Berücksichtigung des rückständigen Urlaubs für das Vorjahr 2015 98 Tage betragen hätten (s. Bl. 32 d. A.).

Zudem habe der Kläger in den Jahren 2015 und 2016 insgesamt 1280 Überstunden geleistet, die die Beklagte nicht vergütet habe.

Formlose Arbeitsverhältnisbeendigung - Überstundenvergütung und Urlaubsabgeltung
(Symbolfoto: Antonio Guillem/Shutterstock.com)

Die vertraglich vorgesehene „Verfallklausel“ greife nicht ein, weil das Arbeitsverhältnis rechtlich nicht ordnungsgemäß beendet worden sei, sodass eine „Fälligkeit“ der geltend gemachten Ansprüche i. S: v. § 15 Nr. 1 des Arbeitsvertrages vom 17.08.2011 erst mit der Erhebung der Klage eingetreten sei.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 32.751,50 EUR nebst 5% Zinsen p. a. über dem Basiszinssatz hieraus seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, sie habe lediglich hingenommen, dass der Kläger seit Mitte Oktober 2016 nicht mehr zur Arbeit erschienen sei. Ansprüche stünden dem Kläger insbesondere aufgrund der Ausschlussfrist, aber auch im Übrigen dem Grunde und der Höhe nach nicht zu. Der Kläger habe sämtlichen Urlaub genommen. Im Übrigen seien Urlaubsansprüche für das Jahr 2015 verfallen. Der Kläger behaupte zudem selbst nicht, dass er bei einem jährlichen Urlaubsanspruch von 25 Werktagen nahezu vier Jahre lang überhaupt keinen Urlaub genommen und erhalten habe. Tatsächlich habe der Kläger im Betrieb der Beklagten der Dauer des Arbeitsverhältnisses insofern einen „Sonderstatus“ genossen, als ihm Urlaub gewährt worden sei, wenn er Urlaub habe haben wollen, ohne dass dies eigentlich in einem Urlaubskonto festgehalten worden sei. Auf diese Weise habe er mindestens den ihm arbeitsvertraglich für die Dauer seines Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten zustehenden Urlaub erhalten. Im Übrigen setze der Anspruch auf Abgeltung nicht genommenen Urlaubs voraus, dass dieser wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr habe genommen werden können. Dies sei vorliegend ersichtlich nicht der Fall.

Überstunden habe der Kläger für die Beklagte nicht geleistet; es werde ausdrücklich bestritten, dass die Beklagte die Ableistung von 1280 Überstunden angeordnet und der Kläger diese geleistet habe. Der Vortrag des Klägers sei insoweit nicht nachvollziehbar; die behauptete Anzahl von 1280 Überstunden sei völlig aus der Luft gegriffen.

Das Arbeitsgericht Kaiserslautern hat die Klage daraufhin durch Urteil vom 16.05.2019 – 8 Ca 1415/18 – abgewiesen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 44-48 d. A. Bezug genommen.

Gegen das ihm am 03.06.2019 zugestellte Urteil hat der Kläger durch am 28.06.2019 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Er hat die Berufung durch am 30.08.2019 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet, nachdem zuvor auf seinen begründeten Antrag hin durch Beschluss vom 02.07.2019 die Frist zu Einreichung der Berufungsbegründung bis zum 03.09.2019 einschließlich verlängert worden war.

Der Kläger wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, das Arbeitsgericht habe eine definitive Entscheidung über eine Beendigung des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsverhältnisses treffen müssen. Aufgrund der Tatbestandswirkung des erstinstanzlichen Urteils könne der Kläger seine Ansprüche auf Urlaubsabgeltung und Überstundenvergütung für den vom Arbeitsgericht offen gelassenen Fall nicht mehr geltend machen, dass das Arbeitsverhältnis nicht erloschen sei. Für diesen Fall habe allenfalls eine Klageabweisung als „zurzeit unbegründet“ erfolgen dürfen. Eine uneingeschränkte Klageabweisung setze zudem die Wirksamkeit der Ausschlussklausel in § 15 des Arbeitsvertrages voraus. Diese sei allerdings zweifelhaft. Zumindest sei von einer Teilunwirksamkeit auszugehen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 29.08.2019 (Bl. 76-81 d. A.) sowie seinen Schriftsatz vom 25.10.2019 (Bl. 102, 103 d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Abänderung des vom Arbeitsgericht Kaiserslautern am 16.05.2019 verkündeten Urteils zu verurteilen, an den Kläger 32.751,50 Euro nebst 5 % Zinsen p. a. über dem Basiszinssatz hieraus seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, wenn vorliegend ein Überstundenkonto gegeben sei, stehe erst im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fest, ob dieses noch geleistete Überstunden aufweise oder ob diese bereits vollständig durch Freizeitausgleich abgegolten seien. Vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses fehle es daher an den Tatbestandvoraussetzungen für einen Anspruch auf Überstundenvergütung. Gleiches gelte für den behaupteten Anspruch auf Urlaubsabgeltung. Zudem sei dem Kläger vorsorglich für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis nicht beendet worden sei, eventuell noch zustehender Urlaub ausdrücklich und mit sofortiger Wirkung gewährt worden. Eine Reaktion des Klägers sei darauf nicht erfolgt. Eine Klageabweisung als „derzeit unbegründet“ komme zudem nicht in Betracht, weil zu bestreiten sei, dass der Kläger Überstunden geleistet habe und diese von der Beklagten angeordnet seien. Insoweit sei keinerlei nähere Darlegung durch den Kläger erfolgt, wann diese Überstunden angeordnet und geleistet worden seien, und auch kein Beweisantritt. Auch hinsichtlich des erhobenen Anspruchs auf Urlaubsabgeltung sei bestritten worden, dass der Kläger überhaupt noch nicht genommenen Urlaub habe und dass er noch einen restlichen Urlaubsanspruch von 98 Tagen in Anspruch nehmen könne. Auch insoweit sei keine nähere Darlegung seitens des Klägers erfolgt.

Schließlich stehe die arbeitsvertragliche Ausschlussklausel den geltend gemachten Zahlungsansprüchen entgegen. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 08.10.2019 (Bl. 92-97 d. A.) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 28.10.2019.

Entscheidungsgründe

I.

Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Das Rechtsmittel der Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Denn das Arbeitsgericht ist im Ergebnis zurecht davon ausgegangen, dass dem Kläger gegenüber der Beklagten weder ein Anspruch auf Zahlung von Urlaubsabgeltung, noch auf Zahlung von Überstundenvergütung zusteht.

Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 4 BUrlG für die Abgeltung von noch bestehenden Urlaubsansprüchen sind vorliegend nach dem Vorbringen der Parteien in beiden Rechtszügen nicht gegeben.

Während des Bestandes des Arbeitsverhältnisses ist nämlich gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG die Abgeltung des Urlaubs, bezogen auf den gesetzlichen Mindesturlaub, rechtsunwirksam (§ 134 BGB). Das gilt grundsätzlich auch für tariflichen Mehrurlaub, sofern die Tarifvertragsparteien nichts anderes vereinbart haben (BAG 20.04.2012 – 9 AZR 504/10-, jurion RS 2012, 19402; s. Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, Handbuch des Arbeitsrechts, 15. Auflage 2020, Kap. 3 Rz. 2468 ff.). Das folgt auch aus Art. 7 RL 2003/88; es ist ausgeschlossen, Jahresurlaub im Sinne dieser Richtlinie durch eine finanzielle Vergütung zu ersetzen (EUGH 21.02.2013 EzA EG – Vertrag 1999 Richtlinie 200388 Nr. 12 = NZA 2013, 369). Gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG kann der Urlaub also nur ausnahmsweise dann abgegolten werden, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Der Anspruch entsteht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, ohne dass es dafür weiterer Handlungen des Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers bedarf (BAG 19.06.2012 – 9 AZR 652/10, EzA § 7 BUrlG Abgeltung Nr. 22). Voraussetzung für das Entstehen des Abgeltungsanspruchs ist zum einen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, unabhängig von deren Art und Grund (Auflösungsvertrag, Kündigung, Befristungsablauf, Altersgrenze, Tod) und zum anderen das Bestehen eines Urlaubsanspruchs zur Zeit der Beendigung (BAG 16.05.2017 – 9 AZR 572/16, EzA § 7 BUrlG Abgeltung Nr. 28).

Vorliegend kann nach dem tatsächlichen Vorbringen der Parteien in beiden Rechtszügen nicht davon ausgegangen werden, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis beendet worden ist. Anhaltspunkte für das tatsächliche Vorliegen der Voraussetzungen eines der gesetzlichen Schriftform des § 623 BGB genügenden Beendigungstatbestandes bestehen nicht. Die Nichtbeachtung der gesetzlichen Form des § 623 BGB hat gemäß § 125 Satz 1 BGB die Nichtigkeit des Beendigungstatbestandes zur Folge (LAG Rheinland-Pfalz 23.04.2015 – 5 Sa 676/14 -, LAGE § 615 BGB 2002 Nr. 24; s. DLW/Dörner, Kap. 4, Rn 31 ff.). Die Möglichkeit einer Heilung besteht nicht. Die Nichtigkeitsfolge tritt in der Regel auch dann ein, wenn im Einzelfall einem, mehreren oder gar allen Schutzzwecken des § 623 BGB (Warnfunktion, Beweisfunktion, Rechtssicherheit für die Vertragsparteien, Beweiserleichterung) auf andere Weise Genüge getan ist. Die gesetzlichen Formvorschriften sind gegenüber der Erfüllung der Schutzzwecke, die zu ihrer Normierung geführt haben, nämlich verselbständigt (BAG 16.09.2004, EzA § 623 BGB 2002, Nr. 1).

Vorliegend ist zwischen den Parteien unstreitig, dass ein den Voraussetzungen des § 623 BGB genügender Beendigungstatbestand nicht gegeben ist. Damit besteht das Arbeitsverhältnis unverändert fort. Rechtliche Anhaltspunkte dafür, dass im konkreten Einzelfall die Berufung auf die Nichteinhaltung der Form ausnahmsweise eine unzulässige Rechtsausübung darstellen kann, bestehen nicht; ohnehin ist grundsätzlich die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Form zu beachten. Wenn die Formvorschriften des Bürgerlichen Rechts nicht ausgehöhlt werden sollen, können Formmängel nur ausnahmsweise nach § 242 BGB als unbeachtlich angesehen werden (BAG 16.09.2004 a. a. O.). In Betracht zu ziehen ist das nur dann, wenn es nach den Beziehungen der Parteien und den gesamten Umständen mit Treu und Glauben unvereinbar wäre, das Rechtsgeschäft am Formmangel scheitern zu lassen; das Ergebnis muss für die Parteien nicht nur hart, sondern schlechthin untragbar sein (BAG 15.03.2011 – 10 AZB 32/10, NZA 2011, 874). Ein „untragbares Ergebnis“ liegt insoweit nicht einmal dann ohne weiteres vor, wenn die Voraussetzungen der Verwirkung (§ 242 BGB) erfüllt sind. Es müssen vielmehr Umstände hinzukommen, die das Verhalten des Berechtigten in hohem Maße als widersprüchlich erscheinen lassen (BAG 15.03.2011 a. a. O.). Denn Formvorschriften dürfen im Interesse der Rechtssicherheit nicht aus bloßen Billigkeitserwägungen heraus außer Acht gelassen werden (BAG 15.03.2011 a. a. O.).

Vor diesem Hintergrund kann von einer Beendigung des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses nicht ausgegangen werden.

Unbeschadet dessen kann nach dem schriftsätzlichen Vorbringen der Parteien im vorliegenden Rechtstreit in beiden Rechtszügen auch nicht davon ausgegangen werden, dass dem Kläger dem Grunde und der Höhe nach ein Abgeltungsanspruch in der geltend gemachten Höhe zusteht. Die Darlegungs- und Beweislast für das vorliegende tatbestandliche Voraussetzen eines Abgeltungsanspruchs trägt der Kläger; insoweit gelten für das tatsächliche Vorbringen sowohl der darlegungsbelasteten Partei als auch des Prozessgegners gemäß § 138 ZPO folgende Anforderungen: Gemäß § 138 Abs. 1 ZPO haben die Parteien ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben. Gemäß § 138 Abs. 2 ZPO hat sich jede Partei über die von dem Gegner behauptete Tatsachen zu erklären. Gemäß § 138 Abs. 3 ZPO sind Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht. Gemäß § 138 Abs. 4 ZPO ist eine Erklärung mit Nichtwissen nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.

Insoweit hat jede Partei ihre allgemeine Darlegungslast zu beachten, die sie für die tatsächlichen Behauptungen trägt, für die sie die objektive Beweislast hat. Sie genügt den insoweit maßgeblichen Anforderungen dann, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen (BGH 31.07.2013 – VII ZR 59/12 – NJW 2013, 3180; 09.02.2009 – II ZR 77/08 – NJW 2009, 2137). Der Grad der Wahrscheinlichkeit der Behauptungen ist für den Umfang der Darlegungslast ohne Bedeutung (BGH 11.11.2014 – VIII ZR 302/13 – NJW 2015, 409). Im Interesse der Wahrung von Art. 103 Abs. 1 GG darf das Gericht keine überspannten Anforderungen an die Darlegung stellen (BGH 06.12.2012 – III ZR 66/12 – NJW – RR 2013, 296). Gemäß § 138 Abs. 2 ZPO hat sich sodann jede Partei über die vom Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. Die Anforderungen an die Substantiierungspflicht des Bestreitenden – vorliegend des Klägers – hängen davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner – hier die Beklagte – vorgetragen hat (BGH 03.02.1999 – VIII ZR 14/98 – NJW 1999, 1404; 11.06.1990 – II ZR 159/89 – NJW 1990, 3151). In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung des Darlegungspflichtigen das einfache Bestreiten des Gegners. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, lässt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei ist (LAG Rheinland-Pfalz 10.07.2019 – 7 Sa 433/18 – NZA – RR 2019, 578). Eine darüberhinausgehende Substantiierungspflicht trifft die nicht beweisbelastete Partei nur ausnahmsweise dann, wenn der darlegungspflichtige Gegner außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs steht und die maßgebenden Tatsachen nicht näher kennt, wenn sie der anderen Partei bekannt und ihr ergänzende Angaben zuzumuten sind (BGH 03.02.1999, a.a.O.). Eine über diese anerkannten Fälle der Pflicht zum substantiierten Bestreiten hinausgehende allgemeine Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweispflichtigen Partei kennt die Zivilprozessordnung nicht (BAG 20.11.2003 – 8 AZR 580/02 – NJW 2004 2848; BGH 11.06.1990 a.a.O.). Keine Partei ist – über die genannten Fälle hinaus – gehalten, dem Kläger für seinen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt (BGH 11.06.1999, a.a.O.). Eine allgemeine, nicht aus besonderen Rechtsgründen abgeleitete Pflicht zur Auskunftserteilung besteht (auch) im Arbeitsverhältnis nicht (BAG 14.11.2012 – 10 AZR 783/11 – Beck RS 2013, 65960). Zu berücksichtigen ist auch, dass für den Zivilprozess ebenso wie für strafrechtliche oder vergleichbare Verfahren anerkannt ist, dass die Wahrheitspflicht der Partei dort ihre Grenze findet, wo sie gezwungen wäre, eine ihr zur Unehre gereichende Tatsache oder eine von ihr begangene strafbare Handlung zu offenbaren (BVerfG 13.01.1981 – 1 BVR 116/77 – NJW 1981, 1431).

In Anwendung dieser Grundsätze ist der Kläger der ihm obliegenden Darlegungslast ersichtlich in beiden Rechtszügen nicht nachgekommen. Er hat lediglich unsubstantiiert behauptet, ihm stehe ein Abgeltungsanspruch in der von ihm geltend gemachten Höhe zu. Dieses Vorbringen hat die Beklagte substantiiert bestritten; sie hat zudem darauf hingewiesen, dass der Kläger insoweit selbst nicht behauptet, dass er bei einem jährlichen Urlaubsanspruch von 25 Werktagen nahezu vier Jahre lang überhaupt keinen Urlaub genommen und erhalten hat. Danach hat der Kläger im Betrieb der Beklagten und während der Dauer des Arbeitsverhältnisses insofern einen „Sonderstatus“ genossen, dass ihm Urlaub gewährt wurde, wenn er Urlaub haben wollte, ohne dass dies eigens in einem Urlaubskonto festgehalten worden wäre. Auf diese Weise hat der Kläger nach dem Vorbringen der Beklagten mindestens den ihm arbeitsvertraglich für die Dauer seines Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten zustehenden Urlaub erhalten. Auf dieses Vorbringen hat der Kläger nicht substantiiert erwidert, sondern sich lediglich auf den Hinweis beschränkt, dass sich die Zahl der abzugeltenden Tage aus den Lohnabrechnungen der Beklagten aus dem Kalenderjahr 2016 ergebe. Damit genügt der Kläger aber nicht der ihm obliegenden Darlegungslast; er hat keinerlei Tatsachen vorgetragen, woraus sich im Einzelnen bezogen auf welche Jahre, welche Urlaubstage unter Abzug tatsächlich gewährter Urlaubstage ergeben sollen, die nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften noch nicht verfallen sind.

Allein der Hinweis auf Lohnabrechnungen der Beklagten genügt diesen Anforderungen nicht. Denn Lohnabrechnungen geben grundsätzlich nur die Höhe der aktuellen Vergütung an. Sie dokumentieren den abgerechneten Lohn, bestimmen aber nicht den Anspruch. Die in der Lohnabrechnung enthaltenen tatsächlichen Angaben, z.B. über die Zahl der verbliebenen Urlaubstage, stellen in der Regel kein Schuldanerkenntnis dar (s. DLW/Dörner, Kapitel 3, RdNr 1001 ff., 904 ff.). Denn ein Schuldanerkenntnisvertrag liegt nur dann vor, wenn die vereinbarte Regelung zum Ziel hat, ein bestehendes Schuldverhältnis insgesamt oder in einzelnen Beziehungen dem Streit oder der Ungewissheit der Parteien zu entziehen. Mit ihm wird bezweckt, für die Zukunft die Vertragsbeziehungen auf eine verlässliche Basis zu stellen. Er setzt übereinstimmende Willenserklärungen voraus. Inwieweit durch ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis Einwendungen des Schuldners gegen den Anspruch ausgeschlossen sind, ist eine Frage der Auslegung. In Anwendung dieser Grundsätze enthält die Lohn- oder Gehaltsabrechnung regelmäßig, wie vorliegend, kein Schuldanerkenntnis. Denn in der Regel teilt der Arbeitgeber in der Lohnabrechnung, zu der er nach § 108 GewO, § 82 Abs. 2 BetrVG, tarifvertraglich oder arbeitsvertraglich (Nebenpflicht) verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer nur die Höhe des Lohns oder sonstiger Ansprüche mit. Die Lohnabrechnung hat aber nicht den Zweck, streitig gewordene Ansprüche endgültig festzulegen (LAG Rheinland-Pfalz 09.10.2002, LAGE § 781 BGB Nr. 5). Sie bezweckt vielmehr nur die Information über die erfolgte Zahlung; es handelt sich auch nicht um einen selbständigen Abrechnungsanspruch zur Vorbereitung eines Zahlungsanspruchs (BAG 12.07.2006 NZA 2006, 1294; 10.01.2007 NZA 2007, 679).

Inwieweit darüber hinaus der geltend gemachte Urlaubsabgeltungsanspruch auch nach Maßgabe der arbeitsvertraglich vereinbarten Ausschlussfrist verfallen ist, bedarf folglich keiner Entscheidung.

Auch ein Anspruch auf Überstundenvergütung steht dem Kläger nach Maßgabe des tatsächlichen Vorbringens der Parteien in beiden Rechtszügen nicht zu.

Der Anspruch auf Vergütung von Überstunden (s. BAG 21.12.2016 – 5 AZR 362/16, NZA – RR 2017, 233; DLW/Dörner, a. a. O., Kapitel 3 RdNr 131 ff.) setzt neben der Leistung voraus, dass die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung geschuldeten Arbeiten notwendig gewesen sind. Die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt der Arbeitnehmer. Für eine ausdrückliche Anordnung von Überstunden muss der Arbeitnehmer vortragen, wer wann und auf welche Weise wieviel Überstunden angeordnet hat. Für eine konkludente Anordnung von Überstunden muss der Arbeitnehmer darlegen, dass er eine bestimmte angewiesene Arbeit innerhalb der normalen Arbeitszeit nicht zu leisten imstande war oder ihm zur Erledigung der aufgetragenen Arbeiten ein bestimmter Zeitrahmen vorgegeben war, der nur durch die Leistung von Überstunden eingehalten werden konnte. Mit der ausdrücklichen oder konkludenten Billigung von Überstunden ersetzt der Arbeitgeber die vorherige Anordnung schon geleisteter Überstunden. Dazu muss der Arbeitnehmer darlegen, wer wann auf welche Weise zu erkennen gegeben habe, mit der Leistung welcher Überstunden einverstanden zu sein. Die Duldung von Überstunden bedeutet, dass der Arbeitgeber in Kenntnis einer Überstundenleistung diese hinnimmt und keine Vorkehrungen trifft, die Leistung von Überstunden fürderhin zu unterbinden, er also nicht gegen die Leistung von Überstunden einschreitet, sondern sie vielmehr weiterhin entgegennimmt (LAG Mecklenburg-Vorpommern 22.01.2014 LAGE § 611 BGB 2002 Überarbeit Nr. 5). Dazu muss der Arbeitnehmer vortragen, von welchen wann geleisteten Überstunden der Arbeitgeber auf welche Weise wann Kenntnis erlangt haben soll und dass es im Anschluss daran zu einer weiteren Überstundenleistung gekommen ist. Erst wenn dieses feststeht, ist es Sache des Arbeitgebers, darzulegen, welche Maßnahmen er zur Unterbindung der von ihm nicht gewollten Überstunden ergriffen hat (BAG 10.04.2013 EzA § 611 BGB 2002 Mehrarbeit Nr. 7).

Für die Darlegung und den Beweis der Leistung von Überstunden gelten dieselben Grundsätze wie für die Behauptung des Arbeitnehmers, die geschuldete Normalarbeit verrichtet zu haben. Verlangt der Arbeitnehmer Arbeitsvergütung für Überstunden, hat er folglich darzulegen und – im Bestreitensfall zu beweisen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang verrichtet hat. Dabei genügt der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast, indem er vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Leistung bereitgehalten hat. Auf diesen Vortrag muss der Arbeitgeber im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast substantiiert erwidern und im Einzelnen vortragen (s. BAG 06.09.2018 – 6 AZR 204/17, EzA § 611 BGB 2002 Arbeitsbereitschaft Nr. 8), welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen – nicht – nachgekommen ist. Die Darlegung der Leistung von Überstunden durch den Arbeitnehmer und die substantiierte Erwiderung hierauf durch den Arbeitgeber haben entsprechend § 130 Nr. 3, 4 ZPO schriftsätzlich zu erfolgen. Beigefügte Anlagen können den schriftsätzlichen Vortrag lediglich erläutern oder belegen, verpflichten das Gericht aber nicht, sich die unstreitigen oder streitigen Arbeitszeiten aus den Anlagen selbst zusammenzusuchen (BAG 21.12.2016 – 5 AZR 362/16, NZA-RR 2017, 233).

Nach alledem muss also der Arbeitnehmer, der im Prozess von seinem Arbeitgeber die Bezahlung von Überstunden fordert, zumal wenn zwischen der Geltendmachung und der behaupteten Leistung ein längerer Zeitraum liegt, beim Bestreiten der Überstunden – wie vorliegend – im Einzelnen darlegen, an welchen Tagen und zu welchen Tageszeiten er über die übliche Arbeitszeit hinaus tätig geworden ist (BAG 29.05.2002 NZA § 611 BGB Mehrarbeit Nr. 10; 25.05.2005 EzA § 611 BGB 2002 Mehrarbeit Nr. 1). Er muss vortragen, von welcher Normalarbeitszeit er ausgeht, er muss die genauen Zeiten angeben, die er über die Normalarbeitszeit hinaus gearbeitet hat, dass er tatsächlich gearbeitet hat und welche Tätigkeit er ausgeführt hat (BAG 03.11.2004 – 5 AZR 648/03, Jurion RS 2004, 25939; 17.08.2011 EzA § 612 BGB 2002 Nr. 10).

Tatsächliches Vorbringen des Klägers insoweit fehlt in beiden Rechtszügen vollständig. Der Kläger hat insoweit lediglich behauptet, er habe in den Jahren 2015 und 2016 insgesamt 1280 Überstunden geleistet, die die Beklagte nicht vergütet habe. Das genügt den zuvor dargestellten Anforderungen ersichtlich nicht.

Auch insoweit bedarf es folglich keiner Entscheidung darüber, inwieweit etwaige Überstundenvergütungsansprüche zudem auch nach Maßgabe der vertraglich vereinbarten Ausschlussklausel verfallen sind, ganz oder zumindest teilweise.

Veranlassung, die Klage lediglich als derzeit unbegründet abzuweisen, besteht nicht.

Nach alledem war die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Für eine Zulassung der Revision war nach Maßgabe der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!