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BAG Urteil Freistellung: Keine sofortige Jobsuche bei Kündigung nötig! Arbeitnehmerrechte gestärkt.

Sie erhalten die Kündigung, werden aber sofort freigestellt: Ein vermeintlicher Glücksfall, der sich schnell als tickende Zeitbombe entpuppt. Denn während Sie auf bezahlte Freiheit hoffen, könnten Arbeitgeber Ihnen vorwerfen, sich „böswillig“ einer neuen Stelle verweigert zu haben – mit gravierenden Folgen für Ihr Gehalt. Das Bundesarbeitsgericht hat diesen Sprengsatz nun entschärft und ein Machtwort gesprochen, das tausenden Arbeitnehmern den Rücken stärkt.

Übersicht:

Ehemaliger Arbeitgeber konfrontiert freigestellten ehemaligen Mitarbeiter mit dem Vorwurf, sich nicht schon während der Freistellungsphase um einen neuen Job beworben zu haben. BAG stellt das klar.
Das BAG-Urteil zur Freistellung klärt, wann Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist nicht sofort nach einem neuen Job suchen müssen. | Symbolbild: KI generiertes Bild

Das Wichtigste: Kurz & knapp

  • Gekündigte, aber freigestellte Arbeitnehmer müssen während der Kündigungsfrist in der Regel keinen neuen Job suchen, um Lohnansprüche zu erhalten.
  • Eine Anrechnung fiktiven Verdienstes wegen „böswilligen Unterlassens“ (§ 615 BGB) erfordert bewusste, vorwerfbare Arbeitsverweigerung, nicht bloße Nachlässigkeit.
  • Dies gilt besonders, wenn der Arbeitgeber seine Beschäftigungspflicht durch ungerechtfertigte Freistellung verletzt.
  • Das gesetzliche Wettbewerbsverbot bleibt auch während der Freistellung bestehen, wenn es der Arbeitgeber nicht ausdrücklich aufhebt.
  • Vertragsklauseln, die nur „erzielten“ Verdienst anrechnen, können die Anrechnung fiktiver Einkünfte ausschließen.
  • Das Urteil betrifft die Zeit während der Kündigungsfrist; danach gelten für die Anrechnung fiktiven Verdienstes andere Regeln.

BAG-Urteil: Freigestellt? Jobsuche erst nach Kündigungsfrist!

Herr K. staunte nicht schlecht. Eben noch Senior Consultant mit einem Monatsgehalt von 6.440 Euro brutto, flatterte ihm Ende März 2023 die ordentliche Kündigung seines Arbeitgebers ins Haus. Gleichzeitig wurde er mit sofortiger Wirkung bis zum Ablauf der dreimonatigen Kündigungsfrist Ende Juni 2023 unwiderruflich von der Arbeit freigestellt – nach Abzug seiner restlichen Urlaubstage. Klingt nach bezahlter Freizeit? Nicht ganz. Denn als der Juni anbrach, blieb das Gehalt aus.

Die Begründung der Firma: Herr K. habe es „böswillig unterlassen“, sich um einen neuen Job zu bemühen. Immerhin habe man ihm ganze 43 Stellenangebote zukommen lassen, auf die er sich aber erst sehr spät oder gar nicht beworben habe. Herr K. sah das anders: Er wollte nach seiner Kündigungsschutzklage – die später Erfolg hatte – eigentlich zu seinem alten Arbeitgeber zurückkehren und sah sich nicht verpflichtet, während der laufenden Kündigungsfrist schon anderweitig tätig zu werden. Ein klassischer Streitfall, der viele Arbeitnehmer betrifft: Gekündigt, freigestellt – und muss ich jetzt sofort einen neuen Job annehmen, um meinen Lohnanspruch nicht zu verlieren? Diese Frage landete schließlich vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) und dessen Antwort vom 12. Februar 2025 (Az. 5 AZR 127/24) hat es in sich.

Der Zankapfel: Gehalt trotz Freistellung und Jobsuche-Verweigerung?

Im Kern ging es um eine einzige, aber für Herrn K. existenzielle Frage: Muss seine ehemalige Arbeitgeberin ihm das Gehalt für Juni 2023 zahlen, obwohl er in diesem Monat nicht aktiv nach einer neuen Stelle gesucht hat, die ihm von der Firma vorgeschlagen wurde? Die Firma argumentierte, Herr K. hätte sich fiktiven Verdienst anrechnen lassen müssen, den er hätte erzielen können, wenn er sich denn bemüht hätte. Juristisch stützt sich dieser Einwand auf § 615 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Dieser Paragraph regelt den sogenannten Annahmeverzug des Arbeitgebers – also die Situation, wenn der Arbeitgeber die vom Arbeitnehmer angebotene Arbeitsleistung nicht annimmt, zum Beispiel durch eine Freistellung – und die möglichen Kürzungen des Lohnanspruchs.

Was bedeutet „Annahmeverzug“ konkret?

Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Handwerker bestellt. Er steht pünktlich vor Ihrer Tür, bereit zu arbeiten, aber Sie lassen ihn nicht herein, weil Sie es sich anders überlegt haben oder keine Zeit finden. Der Handwerker kann in diesem Fall oft trotzdem eine Vergütung oder zumindest eine Entschädigung verlangen, weil er seine Leistung angeboten hat, Sie diese aber nicht angenommen haben. Ähnlich ist es im Arbeitsrecht: Wenn Ihr Arbeitgeber Sie freistellt, obwohl Sie arbeitsfähig und arbeitswillig sind, befindet er sich im Annahmeverzug Ihrer Arbeitsleistung. Grundsätzlich muss er Ihnen dann trotzdem Ihren Lohn weiterzahlen (§ 615 Satz 1 BGB). Für Herrn K. bedeutete die einseitige Freistellung durch seine Firma genau das: Die Firma war im Annahmeverzug.

Der Knackpunkt: „Böswilliges Unterlassen“ anderweitigen Verdienstes

Die Firma von Herrn K. berief sich jedoch auf eine Ausnahme: § 615 Satz 2 BGB. Dieser besagt, dass sich der Arbeitnehmer auf seinen Lohnanspruch das anrechnen lassen muss, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht „böswillig unterlassen“ hätte, eine andere zumutbare Arbeit anzunehmen. Doch was heißt „böswillig“ in diesem Zusammenhang? Es meint nicht bloße Nachlässigkeit oder dass man einfach keine Lust auf Jobsuche hat. Vielmehr muss dem Arbeitnehmer ein echter Vorwurf gemacht werden können. Er muss quasi wider Treu und Glauben handeln, also bewusst und vorwerfbar eine zumutbare Chance auf Verdienst ausschlagen, obwohl er die Umstände kennt. Fahrlässigkeit, selbst grobe, reicht hierfür nicht aus. Die Konsequenz dieser richterlichen Erwägung für Betroffene ist also: Nur weil man nicht sofort auf jedes Jobangebot anspringt, handelt man nicht automatisch böswillig.

Die Reise durch die Instanzen: Von Abweisung zur Bestätigung

Der Fall von Herrn K. nahm den üblichen Weg durch die deutschen Arbeitsgerichte. Zunächst landete seine Klage auf Zahlung des Junigehalts beim Arbeitsgericht. Dort hatte er keinen Erfolg, das Gericht wies seine Klage ab. Es sah offenbar Gründe, ihm das Unterlassen von Bewerbungen anzulasten.

Doch Herr K. gab nicht auf und legte Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg ein. Und siehe da: Das LAG drehte die Entscheidung und gab Herrn K. Recht. Es entschied, dass er sich keinen fiktiven anderweitigen Verdienst anrechnen lassen müsse. Die Firma könne ihm kein böswilliges Unterlassen vorwerfen. Mit dieser Entscheidung wollte sich die Beklagte aber nicht zufriedengeben und ging in Revision zum Bundesarbeitsgericht, der höchsten Instanz in Deutschland für Arbeitsrechtsstreitigkeiten.

Das BAG-Urteil: Eine Stärkung der Arbeitnehmerrechte bei Freistellung

Das Bundesarbeitsgericht bestätigte mit seinem Urteil vom 12. Februar 2025 die Sichtweise des Landesarbeitsgerichts und wies die Revision der Beklagten zurück. Herr K. bekommt sein Gehalt für Juni 2023. Die Begründung der Erfurter Richter ist für viele freigestellte Arbeitnehmer von großer Bedeutung und klärt einige wichtige Streitfragen.

Kein Zwang zur Jobsuche während laufender Kündigungsfrist bei Pflichtverletzung des Arbeitgebers

Der zentrale Punkt der BAG-Entscheidung ist eine klare Ansage: Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ordentlich und stellt den Arbeitnehmer trotz dessen Beschäftigungsanspruchs von der Arbeit frei, unterlässt der Arbeitnehmer in der Regel nicht böswillig im Sinne des § 615 Satz 2 BGB anderweitigen Verdienst, wenn er nicht schon vor Ablauf der Kündigungsfrist ein anderweitiges Beschäftigungsverhältnis eingeht.

Was bedeutet das im Klartext? Wenn Ihr Arbeitgeber Sie einseitig freistellt, obwohl er Sie eigentlich weiter beschäftigen könnte und müsste, dann verletzt er seine sogenannte Beschäftigungspflicht. Diese Pflicht ist die Kehrseite Ihres Rechts als Arbeitnehmer, nicht nur Lohn zu bekommen, sondern auch tatsächlich arbeiten zu dürfen. Es ist vergleichbar mit einem Musiker, der nicht nur dafür bezahlt werden will, ein Instrument zu besitzen, sondern auch das Recht hat, es zu spielen und sein Können zu zeigen.

Wenn der Arbeitgeber diese Pflicht verletzt, kann er laut BAG nicht ohne Weiteres vom Arbeitnehmer verlangen, sich während der noch laufenden Kündigungsfrist um einen neuen Job zu kümmern, nur um die Lohnkosten des vertragsuntreuen Arbeitgebers zu senken. Das Gericht betont hier das Prinzip von Treu und Glauben (§ 242 BGB), das wie eine Art ungeschriebene Fairness-Regel über allen Verträgen schwebt. Es wäre unfair, so das BAG, wenn der Arbeitgeber, der sich seiner eigenen Pflicht zur Beschäftigung entzieht, den Arbeitnehmer dann zur Schadensminderung heranziehen könnte. Für Herrn K. bedeutete dies konkret: Da seine Firma ihn freigestellt und nicht dargelegt hatte, warum eine Weiterbeschäftigung für sie unzumutbar gewesen wäre, musste er nicht schon im Juni einen neuen Job annehmen.

Dieser Aspekt der „Unzumutbarkeit“ ist ein wichtiger Hebel. Hätte die Firma gute Gründe gehabt, warum Herrn K.s Anwesenheit im Betrieb bis zum Vertragsende nicht tragbar gewesen wäre (z.B. schwere Pflichtverletzungen, massive Konflikte), hätte die Situation anders aussehen können. Aber eine bloße Freistellung, etwa weil es für den Arbeitgeber bequemer ist, reicht nicht aus, um dem Arbeitnehmer eine sofortige Jobsuche-Obliegenheit aufzuerlegen. Sie als Arbeitnehmer sollten daher wissen: Wenn Sie ohne triftigen Grund freigestellt werden, sind Sie nicht automatisch der „Schadensmanager“ für Ihren Arbeitgeber.

Arbeitsvertragliche Klauseln unter der Lupe: Ein wichtiger Hinweis des BAG

Interessanterweise warf das BAG noch einen weiteren Punkt auf, der für Herrn K.s Fall zwar nicht mehr entscheidend war, aber für viele Arbeitsverträge relevant ist. In Herrn K.s Arbeitsvertrag stand eine Klausel, wonach er sich „einen in der Zeit der Freistellung durch Verwendung seiner/ihrer Arbeitskraft erzielten Verdienst“ anrechnen lassen müsse. Auch im Kündigungsschreiben war nur von erzielten Einkünften die Rede.

Das BAG deutete an, dass eine solche Formulierung – die sich oft in Standardverträgen findet – so ausgelegt werden könnte, dass die Anrechnung von nicht erzieltem (fiktivem) Verdienst von vornherein ausgeschlossen ist. Solche Klauseln sind oft Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB). Und bei AGB gilt: Unklare Formulierungen gehen zulasten des Verwenders, also meist des Arbeitgebers (§ 305c Abs. 2 BGB).

Wenn also im Vertrag nur steht, dass tatsächlich verdientes Geld angerechnet wird, könnte der Arbeitgeber später nicht argumentieren, der Mitarbeiter hätte ja etwas verdienen können. Für Arbeitnehmer kann es sich also lohnen, genau in den Vertrag zu schauen. Ist dort nur von „erzieltem“ Verdienst die Rede, ist das ein starkes Argument gegen die Anrechnung fiktiver Einkünfte.

Wettbewerbsverbot: Auch bei Freistellung nicht automatisch passé!

Eine weitere wichtige Klarstellung betrifft das gesetzliche Wettbewerbsverbot (§ 60 Handelsgesetzbuch, HGB). Dieses verbietet es Arbeitnehmern, ihrem Arbeitgeber ohne dessen Einwilligung Konkurrenz zu machen. Lange war umstritten, ob dieses Verbot bei einer unwiderruflichen Freistellung automatisch entfällt. Das BAG hatte dies in einer früheren Entscheidung (2006) einmal angedeutet.

Dieser Ansicht erteilte der Senat nun eine Absage: Solange der Arbeitgeber nicht ausdrücklich auf das Wettbewerbsverbot verzichtet hat, besteht es auch im Falle einer Freistellung fort. Ein bloßer Vorbehalt der Anrechnung anderweitigen Verdienstes im Freistellungsschreiben reicht nicht als Verzicht auf das Wettbewerbsverbot aus.

Das ist für Sie als Arbeitnehmer wichtig: Nehmen Sie während einer Freistellung nicht einfach einen Job bei der Konkurrenz an, wenn Ihr Arbeitgeber nicht explizit zugestimmt oder auf das Wettbewerbsverbot verzichtet hat. Andernfalls riskieren Sie arbeitsrechtliche Konsequenzen, schlimmstenfalls eine weitere (fristlose) Kündigung, falls sich die ursprüngliche Kündigung als unwirksam erweist. Für Herrn K. war dieser Punkt weniger relevant, da die Firma ihm die Aufnahme einer anderweitigen Tätigkeit sogar nahegelegt hatte, aber für viele andere Freigestellte ist dies eine essenzielle Information.

Wichtig: Das Urteil betrifft die Situation während der Kündigungsfrist bei einer Freistellung. Für die Zeit nach dem (vermeintlichen) Ende des Arbeitsverhältnisses, wenn Sie beispielsweise eine Kündigungsschutzklage führen und um Weiterbeschäftigung kämpfen, gelten andere Regeln für die Anrechnung von Verdienst (§ 11 Kündigungsschutzgesetz). Dort sind die Anforderungen an Ihre Bemühungen, anderweitigen Verdienst zu erzielen, in der Regel strenger.

Was bedeutet dieses Urteil für Ihren Alltag?

Die Entscheidung des BAG hat handfeste Konsequenzen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber und verdeutlicht einige Fallstricke im Umgang mit Kündigungen und Freistellungen.

Konsequenzen für Arbeitnehmer

Wenn Ihnen gekündigt und Sie freigestellt werden, sind Sie nicht automatisch verpflichtet, sofort einen neuen Job anzutreten, um Ihren Lohnanspruch nicht zu gefährden. Entscheidend ist, ob Ihr Arbeitgeber Sie zu Recht freigestellt hat oder ob er damit seine Beschäftigungspflicht verletzt.

  • Prüfen Sie Ihre Situation: Wurden Sie freigestellt, weil Ihre Weiterbeschäftigung für den Arbeitgeber nachweislich unzumutbar war (z.B. wegen schwerer Verfehlungen)? Oder erfolgte die Freistellung eher aus Bequemlichkeit des Arbeitgebers oder um Sie „loszuwerden“? Im letzteren Fall sind Ihre Pflichten zur Jobsuche während der Kündigungsfrist geringer.
  • Arbeitsvertrag und Kündigungsschreiben lesen: Achten Sie auf Formulierungen zur Anrechnung anderweitigen Verdienstes. Ist nur von „erzieltem“ Verdienst die Rede? Das stärkt Ihre Position.
  • Wettbewerbsverbot beachten: Klären Sie, ob Sie während der Freistellung bei einem Konkurrenten arbeiten dürfen. Holen Sie sich im Zweifel eine schriftliche Erlaubnis oder einen Verzicht auf das Wettbewerbsverbot von Ihrem Arbeitgeber. Ansonsten könnte eine neue Tätigkeit bei einem direkten Wettbewerber ein Bumerang sein, wenn Ihr alter Arbeitsvertrag doch noch fortbesteht.
  • Arbeitssuchend melden: Unabhängig davon sollten Sie sich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend melden, um keine Nachteile beim Arbeitslosengeld zu erleiden.
  • Dokumentation: Auch wenn die Pflicht geringer sein mag, ist es oft klug, eigene Bemühungen um eine neue Stelle zu dokumentieren. Man weiß nie, wie ein Gericht im Einzelfall entscheidet. Herr K. hatte sich immerhin auf einige Stellen beworben, wenn auch spät.
  • Kommunikation: Suchen Sie das Gespräch mit Ihrem Arbeitgeber. Klären Sie, was er von Ihnen während der Freistellung erwartet. Dies kann helfen, Missverständnisse wie im Fall von Herrn K. zu vermeiden.

Konsequenzen für Arbeitgeber

Auch Arbeitgeber müssen nach diesem Urteil ihre Praxis bei Freistellungen überdenken. Die pauschale Erwartung, der freigestellte Mitarbeiter müsse sofort für Entlastung bei den Lohnkosten sorgen, ist oft nicht haltbar.

  • Freistellungen sorgfältig abwägen: Eine Freistellung sollte nicht leichtfertig erfolgen. Wenn keine Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung vorliegt, trägt der Arbeitgeber das Risiko der vollen Lohnfortzahlung, auch wenn der Mitarbeiter nicht aktiv nach einem neuen Job sucht. Dokumentieren Sie die Gründe für eine Freistellung genau, falls Sie eine Unzumutbarkeit geltend machen wollen.
  • Vertragsklauseln präzisieren: Wenn Sie sich die Anrechnung fiktiven Verdienstes vorbehalten wollen, muss dies im Arbeitsvertrag (unter Beachtung der strengen AGB-Kontrolle!) klar formuliert sein. Eine bloße Erwähnung von „erzieltem“ Verdienst genügt nicht.
  • Stellenangebote mit Bedacht: Das „Bombardieren“ mit Dutzenden unpassenden Stellenangeboten, wie im Fall von Herrn K. mit seinen 43 Exposés, ist wenig zielführend und beeindruckt die Gerichte nicht. Wenn Sie Stellen vorschlagen, sollten diese passend und zumutbar sein. Zudem müssen Sie darlegen können, dass der Mitarbeiter die Stelle auch tatsächlich hätte bekommen können und welchen Verdienst er erzielt hätte. Im Fall von Herrn K. bemängelte das BAG auch die mangelnde Substantiierung des Arbeitgebervortrags zu diesen Punkten, auch wenn es darauf nicht mehr ankam.
  • Wettbewerbsverbot klar regeln: Wollen Sie, dass der freigestellte Mitarbeiter sich auch bei Wettbewerbern bewerben kann (oder soll), heben Sie das Wettbewerbsverbot für die Dauer der Freistellung ausdrücklich und schriftlich auf.
  • Risikomanagement: Die einseitige Freistellung eines Mitarbeiters, der seinen Beschäftigungsanspruch hat, ist ein teures Vergnügen, wenn die Voraussetzungen für eine Anrechnung anderweitigen Verdienstes nicht vorliegen. Dies sollte in die wirtschaftliche Kalkulation einer Kündigung einfließen.

Typische Alltagssituationen, in denen das Urteil relevant wird

Das Urteil des BAG hat Auswirkungen auf viele Szenarien, die im Arbeitsleben alltäglich sind:

  1. Ein Unternehmen kündigt einem langjährigen Mitarbeiter betriebsbedingt und stellt ihn frei, um mögliche Störungen im Betriebsablauf durch einen demotivierten Mitarbeiter zu vermeiden. Der Mitarbeiter findet nicht sofort eine neue Stelle.
  2. Eine Führungskraft wird nach Meinungsverschiedenheiten mit der Geschäftsleitung gekündigt und freigestellt. Der Arbeitgeber schickt ihr diverse Jobangebote, die aber unter ihrem bisherigen Niveau liegen.
  3. Ein Arbeitnehmer wird gekündigt und klagt dagegen. Während des laufenden Kündigungsschutzprozesses wird er freigestellt. Er konzentriert sich auf den Prozess und will bei Obsiegen zurückkehren, statt sich intensiv um eine neue Stelle zu bemühen. Genau das war die Situation von Herrn K.
  4. Ein Arbeitgeber stellt einen Mitarbeiter frei und verweist pauschal auf Jobportale, erwartet aber, dass der Mitarbeiter sich dort täglich umschaut und bewirbt.
  5. Ein Arbeitnehmer erhält während der Freistellung ein Jobangebot von einem direkten Konkurrenten, ist aber unsicher, ob er dieses annehmen darf, da im Arbeitsvertrag ein Wettbewerbsverbot steht, das nicht explizit aufgehoben wurde.

Für all diese Situationen gibt das BAG-Urteil wichtige Leitplanken vor und stärkt die Position des Arbeitnehmers, der unverschuldet in die Situation der Freistellung gerät, weil der Arbeitgeber seine Arbeitsleistung nicht mehr annehmen will, obwohl er es müsste.

Die rechtliche Tragweite: Mehr als nur ein Einzelfall

Das Urteil 5 AZR 127/24 ist mehr als nur eine Entscheidung im Fall des Herrn K. Es präzisiert die Auslegung des § 615 Satz 2 BGB und die Anforderungen an das „böswillige Unterlassen“ anderweitigen Verdienstes im Kontext einer arbeitgeberseitigen Freistellung während der Kündigungsfrist. Es stellt klar, dass die primäre Verantwortung für die Lohnzahlung beim Arbeitgeber liegt, wenn dieser die Freistellung ohne nachgewiesene Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung ausspricht. Man könnte sagen, das Gericht hat die „Spielregeln“ bei Freistellungen zugunsten der Arbeitnehmer justiert. Es ist wie bei einem Foul im Sport: Wer das Foul begeht (der Arbeitgeber durch die ungerechtfertigte Nichtbeschäftigung), kann nicht ohne Weiteres vom Gefoulten (dem Arbeitnehmer) verlangen, die Konsequenzen des Fouls allein zu tragen.

Die Entscheidung unterstreicht auch die Bedeutung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) im Arbeitsrecht. Er dient als Korrektiv und verhindert, dass eine Partei die Rechtsposition der anderen einseitig und unfair schwächt. Die Richter machen deutlich, dass der Arbeitgeber, der seine eigene Hauptpflicht – die Beschäftigung – verletzt, nicht ohne Weiteres vom Arbeitnehmer Solidarität in Form intensiver Jobsuche zur Kostenreduktion erwarten kann.

Die Klarstellung zum Fortbestand des Wettbewerbsverbots trotz Freistellung beseitigt zudem eine Rechtsunsicherheit, die oft zu Konflikten führte. Arbeitnehmer wissen nun genauer, woran sie sind, und Arbeitgeber müssen aktiver werden, wenn sie eine anderweitige Tätigkeit bei Konkurrenten ermöglichen wollen.

Dieses Urteil wird die Verhandlungsposition von Arbeitnehmern in Aufhebungsverhandlungen oder bei Kündigungsschutzklagen potenziell stärken. Arbeitgeber müssen das Risiko, auch während einer langen Freistellungsperiode vollen Lohn zahlen zu müssen, ernster nehmen, wenn sie die Gründe für die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung nicht stichhaltig darlegen können. Es ist ein weiterer Baustein für fairen Umgang am Ende eines Arbeitsverhältnisses. Herr K. jedenfalls hat durch alle Instanzen gekämpft und am Ende Recht bekommen – eine Bestätigung dafür, dass sich Hartnäckigkeit lohnen kann, wenn man im Recht ist.

Häufig gestellte Fragen zum Thema Gehaltsanspruch bei Freistellung und Jobsuche

Nachfolgend beantworten wir die häufigsten Fragen zu unserem Artikel über das BAG-Urteil zur Jobsuche-Pflicht während der Freistellung und dessen Auswirkungen für Sie.

Was ist, wenn mein Arbeitgeber mich berechtigterweise freigestellt hat – muss ich dann sofort einen neuen Job suchen?

Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) stärkt vor allem Arbeitnehmer, die freigestellt werden, obwohl der Arbeitgeber seine Beschäftigungspflicht verletzt – also Sie eigentlich weiter beschäftigen könnte und müsste. Wenn Ihr Arbeitgeber Sie aber aus einem triftigen Grund freistellt, weil ihm eine Weiterbeschäftigung nachweislich unzumutbar war (z.B. wegen schwerer Pflichtverletzungen Ihrerseits), könnte die Situation anders bewertet werden. In einem solchen Fall könnten von Ihnen unter Umständen doch frühere und intensivere Bemühungen um eine neue Stelle erwartet werden, um den Vorwurf des „böswilligen Unterlassens“ anderweitigen Verdienstes zu vermeiden. Die Beweislast dafür, dass eine Weiterbeschäftigung unzumutbar war, liegt aber beim Arbeitgeber.

Was bedeutet „böswilliges Unterlassen“ anderweitigen Verdienstes genau? Reicht es, wenn ich einfach keine passende Stelle finde?

Nein, „böswilliges Unterlassen“ ist ein recht hoher Maßstab und bedeutet nicht einfach, dass Sie Pech bei der Jobsuche hatten oder nicht sofort jede erstbeste Stelle annehmen. Wie im Artikel erklärt, muss Ihnen ein echter Vorwurf gemacht werden können, dass Sie quasi wider Treu und Glauben (§ 242 BGB) handeln. Das heißt, Sie müssten bewusst und vorwerfbar eine Ihnen bekannte und zumutbare Chance auf Verdienst ausschlagen, obwohl Sie alle Umstände kennen. Bloße Nachlässigkeit, auch grobe Fahrlässigkeit, oder dass Sie sich bemühen, aber keine passende Stelle finden, erfüllt diesen Tatbestand in der Regel nicht. Der Arbeitgeber muss dieses böswillige Verhalten Ihrerseits nachweisen.

Darf ich während der Freistellung einfach bei einem Konkurrenzunternehmen anfangen zu arbeiten?

Hier ist Vorsicht geboten! Das BAG hat in dem besprochenen Urteil klargestellt, dass das gesetzliche Wettbewerbsverbot (§ 60 Handelsgesetzbuch, HGB) auch während einer unwiderruflichen Freistellung grundsätzlich weiterbesteht. Sie dürfen also nicht ohne Weiteres bei einem direkten Konkurrenten Ihres alten Arbeitgebers tätig werden, es sei denn, Ihr Arbeitgeber hat ausdrücklich und am besten schriftlich auf das Wettbewerbsverbot verzichtet oder Ihnen die Aufnahme einer solchen Tätigkeit gestattet. Ein bloßer Hinweis im Freistellungsschreiben, dass anderweitiger Verdienst angerechnet wird, reicht dafür nicht aus. Handeln Sie hier eigenmächtig, riskieren Sie arbeitsrechtliche Konsequenzen, falls Ihre ursprüngliche Kündigung sich später als unwirksam erweisen sollte.

In meinem Arbeitsvertrag steht, dass ich mir anderweitigen Verdienst anrechnen lassen muss. Gilt das Urteil dann trotzdem für mich?

Das ist eine interessante Frage, die das BAG im Fall von Herrn K. zwar nicht abschließend entscheiden musste, aber dennoch wichtige Hinweise gegeben hat. Wenn in Ihrem Arbeitsvertrag oder im Kündigungsschreiben nur davon die Rede ist, dass Sie sich „erzielten“ Verdienst anrechnen lassen müssen (also Geld, das Sie tatsächlich bei einem neuen Job verdienen), könnte das Ihre Position stärken. Das BAG deutete an, dass solche Formulierungen so ausgelegt werden könnten, dass eine Anrechnung von nicht erzieltem (fiktivem) Verdienst – also dem, was Sie hätten verdienen können – von vornherein ausgeschlossen ist. Es lohnt sich also, die genaue Formulierung in Ihren Unterlagen zu prüfen.

Ich wurde gekündigt und freigestellt. Muss ich mich jetzt trotzdem bei der Agentur für Arbeit melden und was ist, wenn meine Kündigungsschutzklage noch läuft?

Ja, unbedingt! Unabhängig von den Details dieses Urteils sollten Sie sich nach einer Kündigung und Freistellung umgehend bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend melden. Dies ist wichtig, um keine Nachteile beim Bezug von Arbeitslosengeld zu erleiden. Was Ihre Kündigungsschutzklage betrifft: Das hier besprochene BAG-Urteil bezieht sich auf die Pflicht zur Jobsuche während der laufenden Kündigungsfrist, in der Ihr Arbeitsverhältnis formal noch besteht und der Arbeitgeber im Annahmeverzug ist. Für die Zeit nach dem (vom Arbeitgeber behaupteten) Ende des Arbeitsverhältnisses, also wenn Sie beispielsweise im Rahmen Ihrer Kündigungsschutzklage um Weiterbeschäftigung kämpfen, gelten oft andere, strengere Regeln für die Anrechnung von Verdienst (gemäß § 11 Kündigungsschutzgesetz), wie auch im Artikel erwähnt.

Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.

BAG-Urteil: Vertragsbruch des Arbeitgebers schützt Lohnanspruch bei Freistellung

Dieses Urteil unterstreicht: Wer als Arbeitgeber ohne zwingenden Grund freistellt und damit seine Beschäftigungspflicht verletzt, kann den Lohnanspruch des Mitarbeiters nicht ohne Weiteres kürzen, nur weil dieser nicht sofort anderweitig sucht. Die Richter stärken damit den Grundsatz von Treu und Glauben und die Verantwortung des Arbeitgebers für seine eigenen Vertragsentscheidungen.

Für freigestellte Arbeitnehmer bedeutet dies eine gestärkte Position: Die Entlassung aus der Arbeitspflicht mindert nicht automatisch den vollen Lohn, wenn der Arbeitgeber die Freistellung verschuldet. Ein genauer Blick in Vertragsklauseln bezüglich der Anrechnung von Verdienst und das weiterhin bestehende Wettbewerbsverbot bleiben für Betroffene aber unerlässlich, um Fallstricke zu vermeiden.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

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