Übersicht:
- Der Fall vor Gericht
- Gekündigt und freigestellt – muss ich trotzdem wieder zur Arbeit, wenn der Chef sich beim Datum vertan hat?
- Wie kam es überhaupt zu dem Streit zwischen der Mitarbeiterin und der Werbeagentur?
- Warum forderte der Arbeitgeber die Mitarbeiterin plötzlich auf, wieder zur Arbeit zu kommen?
- Warum war die Mitarbeiterin überzeugt, dass sie nicht zur Arbeit erscheinen musste?
- Womit begründete der Arbeitgeber die fristlose Kündigung?
- Wie hat das Gericht den entscheidenden Satz im Kündigungsschreiben bewertet?
- Warum war die fristlose Kündigung am Ende unwirksam?
- Musste der Arbeitgeber trotz des Fernbleibens der Mitarbeiterin Gehalt zahlen?
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was bedeutet der Begriff „unwiderrufliche Freistellung“ im Arbeitsrecht?
- Kann ein Arbeitgeber eine einmal erteilte „unwiderrufliche Freistellung“ widerrufen?
- Wie werden unklare Formulierungen in arbeitsrechtlichen Erklärungen ausgelegt?
- Besteht der Anspruch auf Gehaltszahlung bei einer Freistellung grundsätzlich weiter?
- Welche Konsequenzen drohen Arbeitnehmern bei einer unentschuldigten Arbeitsverweigerung?
- Glossar
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 2 Ca 768/21 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: Arbeitsgericht Nordhausen
- Datum: 06.04.2022
- Aktenzeichen: 2 Ca 768/21
- Verfahren: Klageverfahren
- Rechtsbereiche: Arbeitsrecht, Kündigungsrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Eine Mediengestalterin, die gegen ihre fristlose Kündigung klagte und die Fortzahlung ihres Gehalts forderte, da sie sich aufgrund einer unwiderruflichen Freistellung nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet sah.
- Beklagte: Eine Werbeagentur, die das Arbeitsverhältnis der Klägerin fristlos kündigte, weil diese nach einer Arbeitsaufforderung nicht erschien, und die Zahlung von Gehalt verweigerte.
Worum ging es genau?
- Sachverhalt: Der Beklagte kündigte die Klägerin ordentlich und stellte sie unwiderruflich frei. Nachdem ein früheres Gericht die Kündigungsfrist korrigiert hatte, forderte der Beklagte die Klägerin zur Arbeitsaufnahme auf. Da die Klägerin dem nicht nachkam, sprach der Beklagte eine fristlose Kündigung aus, gegen die die Klägerin klagte und ausstehende Gehaltszahlungen forderte.
Welche Rechtsfrage war entscheidend?
- Kernfrage: War die Klägerin aufgrund einer unwiderruflichen Freistellung von der Arbeitsleistung befreit, sodass ihr Nichterscheinen am Arbeitsplatz keine fristlose außerordentliche Kündigung durch den Beklagten rechtfertigte und ihr Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung bestand?
Wie hat das Gericht entschieden?
- Klage stattgegeben: Das Gericht stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung beendet wurde, sondern bis zum 31.10.2021 fortbestand, und verurteilte den Beklagten zur Zahlung der ausstehenden Vergütung.
- Kernaussagen der Begründung:
- Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung: Die fristlose Kündigung war unwirksam, da kein Wichtiger Grund vorlag.
- Unwiderrufliche Freistellung: Die Klägerin war bis zum tatsächlichen Ende des Arbeitsverhältnisses am 31.10.2021 unwiderruflich von der Arbeitsleistung freigestellt.
- Auslegung der Freistellungserklärung: Die Freistellung im Kündigungsschreiben war aus Sicht der Klägerin so zu verstehen, dass sie bis zur rechtlich korrekten Beendigung des Arbeitsverhältnisses galt, auch wenn ein falsches Datum genannt war.
- Keine Pflichtverletzung: Eine unwiderrufliche Freistellung kann nicht einseitig vom Arbeitgeber aufgehoben werden. Daher bestand für die Klägerin keine Arbeitsverpflichtung, und ihr Nichterscheinen war keine Pflichtverletzung, die eine fristlose Kündigung gerechtfertigt hätte.
- Folgen für die Klägerin:
- Das Arbeitsverhältnis endete erst am 31.10.2021 und nicht durch die fristlose Kündigung.
- Sie hat Anspruch auf die Fortzahlung ihrer vertraglichen Vergütung für die Monate September und Oktober 2021 zuzüglich Zinsen.
Der Fall vor Gericht
Gekündigt und freigestellt – muss ich trotzdem wieder zur Arbeit, wenn der Chef sich beim Datum vertan hat?
Stellen Sie sich vor, Sie erhalten eine Kündigung von Ihrem Arbeitgeber. Das ist nie angenehm, aber im Kündigungsschreiben steht auch eine gute Nachricht: Sie sind ab sofort „unwiderruflich von der Arbeit freigestellt“. Das bedeutet, Sie müssen nicht mehr zur Arbeit kommen, bekommen aber bis zum Vertragsende weiterhin Ihr Gehalt. Sie atmen auf und planen Ihre Zukunft. Doch dann stellt sich heraus, dass Ihr Chef die Kündigungsfrist falsch berechnet hat und Ihr Arbeitsvertrag eigentlich noch zwei Monate länger läuft. Plötzlich fordert er Sie auf, wieder zur Arbeit zu kommen. Müssen Sie das? Und was passiert, wenn Sie es nicht tun?
Genau mit dieser Frage musste sich das Arbeitsgericht Nordhausen in einem Urteil befassen. Ein Fall, der zeigt, wie entscheidend die genaue Formulierung in einem Kündigungsschreiben sein kann.
Wie kam es überhaupt zu dem Streit zwischen der Mitarbeiterin und der Werbeagentur?

Eine Mitarbeiterin, nennen wir sie Frau W., war als Mediengestalterin in einer Werbeagentur angestellt. Ende Juli 2021 erhielt sie von ihrem Arbeitgeber eine Kündigung. In dem Schreiben stand, dass ihr Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen – also Gründen, die im Unternehmen liegen, wie zum Beispiel Auftragsmangel – zum 31. August 2021 endet.
Besonders wichtig war ein Satz in diesem Schreiben: Frau W. wurde mit sofortiger Wirkung „unwiderruflich von der Arbeitsleistung freigestellt“. Unwiderruflich bedeutet, dass der Arbeitgeber diese Entscheidung nicht einfach so zurücknehmen kann. Mit dieser Freistellung sollten auch ihre restlichen Urlaubsansprüche und Überstunden abgegolten werden.
Frau W. war jedoch der Meinung, dass die Kündigungsfrist falsch berechnet wurde. Sie zog vor das Arbeitsgericht, um feststellen zu lassen, dass ihr Arbeitsvertrag in Wirklichkeit erst zum 31. Oktober 2021 endet. Sie wollte also nicht die Kündigung an sich angreifen, sondern nur das falsche Enddatum korrigieren lassen.
Warum forderte der Arbeitgeber die Mitarbeiterin plötzlich auf, wieder zur Arbeit zu kommen?
Der Arbeitgeber merkte offenbar, dass Frau W. mit ihrer Einschätzung zur Kündigungsfrist recht hatte. Anfang September 2021 schickte er ihr ein Schreiben, in dem er anerkannte, dass das Arbeitsverhältnis tatsächlich bis zum 31. Oktober 2021 weiterbesteht. Doch dieses Schreiben enthielt eine überraschende Wendung: Er forderte Frau W. auf, wenige Tage später, am 13. September, wieder zur Arbeit zu erscheinen.
Frau W. kam dieser Aufforderung nicht nach. Sie ging davon aus, dass die ursprünglich ausgesprochene unwiderrufliche Freistellung weiterhin galt. Der Arbeitgeber sah das anders. Er schickte ihr zwei schriftliche Abmahnungen – das sind formelle Warnungen bei Pflichtverstößen. Als Frau W. weiterhin nicht zur Arbeit erschien, sprach er am 21. September 2021 eine Außerordentliche fristlose Kündigung aus. Eine solche Kündigung beendet das Arbeitsverhältnis sofort und ist nur bei sehr schweren Verfehlungen des Arbeitnehmers möglich.
Ironischerweise erließ das Arbeitsgericht am selben Tag das Urteil im ersten Verfahren und bestätigte offiziell, dass das Arbeitsverhältnis bis zum 31. Oktober 2021 fortbesteht. Gegen die neue, fristlose Kündigung zog Frau W. erneut vor Gericht. Sie verlangte nicht nur die Feststellung, dass auch diese Kündigung unwirksam ist, sondern auch die Zahlung ihres Gehalts für die Monate September und Oktober.
Warum war die Mitarbeiterin überzeugt, dass sie nicht zur Arbeit erscheinen musste?
Die Argumentation von Frau W. war einfach und direkt. Sie sagte: „Mein Arbeitgeber hat mich im Kündigungsschreiben vom Juli unwiderruflich von der Arbeit freigestellt. Diese Freistellung galt bis zum Ende meines Arbeitsverhältnisses.“
Ihrer Meinung nach war es unerheblich, dass im ersten Schreiben ein falsches Datum stand. Die Freistellung, so ihre Logik, war an das tatsächliche, rechtlich korrekte Ende des Arbeitsvertrags geknüpft – und das war der 31. Oktober. Da sie also gar nicht verpflichtet war zu arbeiten, konnte ihr Fernbleiben auch kein Grund für eine fristlose Kündigung sein. Sie hatte, so ihre Sicht, keine Pflicht verletzt. Folglich stand ihr auch das Gehalt für die umstrittene Zeit zu.
Womit begründete der Arbeitgeber die fristlose Kündigung?
Der Arbeitgeber sah die Sache komplett anders. Er argumentierte, seine ursprüngliche Freistellung habe sich nur auf den von ihm angenommenen Zeitraum bis zum 31. August 2021 bezogen. Als klar wurde, dass der Vertrag länger läuft, sei diese Freistellung beendet gewesen. Ab diesem Moment hätte Frau W. wieder ihre Arbeitspflicht gehabt.
Seine Aufforderung, am 13. September wieder zur Arbeit zu kommen, sei daher rechtmäßig gewesen. Indem Frau W. diese Anweisung ignorierte und der Arbeit trotz zweier Abmahnungen hartnäckig fernblieb, habe sie ihre vertraglichen Pflichten massiv verletzt. Juristen nennen das „Beharrliche Arbeitsverweigerung“. Dies, so der Arbeitgeber, sei ein so wichtiger Grund, dass ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur für einen Tag nicht mehr zugemutet werden könne. Deshalb sei die fristlose Kündigung gerechtfertigt. Er fand das Verhalten von Frau W. außerdem widersprüchlich: Einerseits auf die Verlängerung des Vertrags pochen, andererseits aber nicht arbeiten wollen.
Wie hat das Gericht den entscheidenden Satz im Kündigungsschreiben bewertet?
Das Gericht gab Frau W. in allen Punkten recht. Der Kern der Entscheidung war die genaue Analyse des ursprünglichen Kündigungsschreibens vom 31. Juli. Die zentrale Frage lautete: Was genau hat der Arbeitgeber mit der Formulierung „unwiderrufliche Freistellung bis zum oben angegebenen Beendigungsdatum“ erklärt?
Um das zu beantworten, nutzten die Richter einen wichtigen Grundsatz des deutschen Rechts: den sogenannten Empfängerhorizont (§ 157 BGB). Das klingt kompliziert, bedeutet aber etwas Alltägliches: Bei unklaren Erklärungen kommt es nicht nur darauf an, was der Absender sich gedacht hat, sondern darauf, wie ein vernünftiger und objektiver Empfänger die Erklärung verstehen musste.
Stellen Sie sich vor, ein Freund schreibt Ihnen: „Die Party findet am Samstag statt.“ Wenn es zwei mögliche Samstage gibt, müssen Sie überlegen, welcher gemeint sein könnte. Der Empfängerhorizont fragt: Was würde eine normale Person an Ihrer Stelle vernünftigerweise annehmen?
Das Gericht tat genau das und schaute sich das Schreiben aus der Sicht von Frau W. an.
- Erstens stand in der Kündigung, dass sie „unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist“ erfolgt. Damit signalisierte der Arbeitgeber, dass er die rechtlich korrekte Frist einhalten wollte, auch wenn er sie falsch berechnete.
- Zweitens war die unwiderrufliche Freistellung direkt mit dieser Kündigung verbunden.
Für Frau W. als Empfängerin ergab sich daraus ein klares Bild: Der Wille des Arbeitgebers war, das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß zu beenden und sie für die gesamte Dauer der Kündigungsfrist nicht mehr im Haus zu haben. Es gab für sie keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Arbeitgeber die Freistellung nur für den Fall einer kurzen Kündigungsfrist gewähren wollte, aber nicht für den Fall der korrekten, längeren Frist. Aus ihrer Sicht waren die Kündigung zum korrekten Zeitpunkt und die Freistellung bis zu diesem Zeitpunkt ein Gesamtpaket.
Warum war die fristlose Kündigung am Ende unwirksam?
Nachdem das Gericht geklärt hatte, dass die unwiderrufliche Freistellung bis zum 31. Oktober 2021 galt, war der Rest nur noch eine logische Folge. Eine außerordentliche, fristlose Kündigung ist nur wirksam, wenn ein wichtiger Grund vorliegt (§ 626 BGB). Ein solcher Grund liegt vor, wenn das Verhalten eines Mitarbeiters so schwerwiegend ist, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist.
Hartnäckiges und unentschuldigtes Fehlen bei der Arbeit kann definitiv ein solcher wichtiger Grund sein. Aber im Fall von Frau W. war ihr Fehlen nicht unentschuldigt. Im Gegenteil: Sie hatte das Recht, zu Hause zu bleiben. Die unwiderrufliche Freistellung war rechtlich wie ein Vertrag, bei dem der Arbeitgeber auf die Arbeitsleistung verzichtet (juristisch ein Erlassvertrag). Die Mitarbeiterin nahm dieses Angebot an, indem sie nicht mehr zur Arbeit kam. Diesen „Vertrag“ konnte der Arbeitgeber nicht einfach einseitig per Brief aufkündigen.
Da Frau W. also keine Pflicht hatte zu arbeiten, konnte sie diese Pflicht auch nicht verletzen. Ohne Pflichtverletzung gibt es keinen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung. Die Kündigung vom 21. September war daher unwirksam.
Musste der Arbeitgeber trotz des Fernbleibens der Mitarbeiterin Gehalt zahlen?
Ja, auch hier folgte das Gericht der Logik. Das Arbeitsverhältnis bestand rechtlich bis zum 31. Oktober 2021. Die Hauptpflicht des Arbeitgebers aus einem Arbeitsvertrag ist die Zahlung des Gehalts (§ 611a BGB). Die Hauptpflicht des Arbeitnehmers ist die Erbringung der Arbeitsleistung.
Durch die unwiderrufliche Freistellung hat der Arbeitgeber aber auf die Arbeitsleistung von Frau W. verzichtet. Seine Pflicht zur Gehaltszahlung blieb davon unberührt. Man kann es sich so vorstellen: Der Arbeitgeber sagte „Ich möchte deine Arbeit nicht mehr, aber ich bezahle dich trotzdem bis zum Vertragsende“. An dieses Versprechen war er gebunden.
Daher verurteilte das Gericht die Werbeagentur dazu, Frau W. ihr volles Gehalt für die Monate September und Oktober 2021 nachzuzahlen, inklusive Zinsen für die verspätete Zahlung.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil des Arbeitsgerichts Nordhausen verdeutlicht, wie bindend präzise Formulierungen in arbeitsrechtlichen Erklärungen sind und welche weitreichenden Konsequenzen die Auslegung nach dem Empfängerhorizont haben kann.
- Unwiderrufliche Freistellungen sind rechtlich bindend: Das Urteil zeigt, dass eine als „unwiderruflich“ bezeichnete Freistellung einen rechtsverbindlichen Verzicht des Arbeitgebers auf die Arbeitsleistung darstellt, der nicht einseitig widerrufen werden kann, selbst wenn sich die ursprünglich angenommene Kündigungsfrist als falsch erweist.
- Empfängerhorizont entscheidet über Vertragsauslegung: Bei mehrdeutigen Erklärungen kommt es nicht auf die subjektive Absicht des Erklärenden an, sondern darauf, wie ein objektiver Empfänger die Erklärung verstehen musste – hier führte dies dazu, dass die Freistellung bis zum tatsächlichen Ende der korrekten Kündigungsfrist galt.
- Keine fristlose Kündigung ohne Pflichtverletzung: Das Gericht bestätigt den Grundsatz, dass eine außerordentliche Kündigung einen wichtigen Grund erfordert, der bei rechtmäßigem Fernbleiben aufgrund gültiger Freistellung nicht vorliegt – die Gehaltszahlungspflicht des Arbeitgebers bleibt dabei unberührt.
Diese Entscheidung unterstreicht die fundamentale Bedeutung eindeutiger Formulierungen in Kündigungsschreiben und die Verbindlichkeit einmal getroffener arbeitsvertraglicher Vereinbarungen.
Auch Sie wurden trotz unwiderruflicher Freistellung zur Arbeitsleistung aufgefordert und sehen sich mit einer Kündigung konfrontiert? Lassen Sie Ihren individuellen Fall unverbindlich prüfen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet der Begriff „unwiderrufliche Freistellung“ im Arbeitsrecht?
Eine unwiderrufliche Freistellung im Arbeitsrecht bedeutet, dass ein Arbeitgeber einseitig und endgültig darauf verzichtet, die Arbeitsleistung eines Mitarbeiters bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses oder einem festgelegten Zeitpunkt einzufordern. Obwohl der Mitarbeiter nicht mehr zur Arbeit erscheinen muss, bleibt der Arbeitgeber weiterhin zur vollen Zahlung des Gehalts verpflichtet.
Das Besondere an der „unwiderruflichen“ Freistellung ist ihre starke Bindungswirkung: Der Arbeitgeber kann diese Entscheidung grundsätzlich nicht einseitig zurücknehmen oder ändern. Dies gilt auch dann, wenn sich später herausstellt, dass bei der ursprünglichen Annahme – beispielsweise zur korrekten Kündigungsfrist – ein Fehler gemacht wurde. Die Freistellung erstreckt sich dann auf die gesamte, rechtlich gültige Dauer des Arbeitsverhältnisses.
Im Gegensatz zu einer widerruflichen Freistellung, bei der der Arbeitgeber die Rückkehr zur Arbeit jederzeit wieder verlangen könnte, ist die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers bei einer unwiderruflichen Freistellung dauerhaft aufgehoben. Gleichzeitig bleibt die Pflicht des Arbeitgebers zur Lohnzahlung bestehen. Für den Arbeitnehmer schafft dies die Gewissheit, von der Arbeitsleistung befreit zu sein, ohne finanzielle Einbußen bis zum tatsächlichen Vertragsende befürchten zu müssen.
Kann ein Arbeitgeber eine einmal erteilte „unwiderrufliche Freistellung“ widerrufen?
Ein Arbeitgeber kann eine einmal erteilte „unwiderrufliche Freistellung“ grundsätzlich nicht einseitig widerrufen. Diese Erklärung bindet den Arbeitgeber, da er damit auf sein Recht verzichtet, die Arbeitsleistung vom Arbeitnehmer einzufordern.
Eine unwiderrufliche Freistellung wirkt rechtlich wie eine verbindliche Zusage oder ein Vertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber hat damit erklärt, dass er die Arbeitsleistung des Mitarbeiters bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses nicht mehr in Anspruch nehmen möchte, aber weiterhin das Gehalt zahlt. Eine solche Erklärung kann nicht einfach von der Arbeitgeberseite zurückgenommen werden.
Selbst wenn dem Arbeitgeber bei der Berechnung der Kündigungsfrist ein Fehler unterlaufen ist, bleibt die unwiderrufliche Freistellung bestehen. Gerichte bewerten solche Erklärungen aus Sicht eines vernünftigen Empfängers: Ein Arbeitnehmer darf davon ausgehen, dass die Freistellung für die gesamte, rechtlich korrekte Dauer des Arbeitsverhältnisses gilt. Der Arbeitgeber ist an die Formulierung gebunden, die er selbst gewählt hat.
Nur in sehr seltenen Ausnahmefällen, wie einem neuen, schwerwiegenden Pflichtverstoß des Arbeitnehmers nach der Freistellung, könnte dies eine neue Kündigung rechtfertigen; die ursprüngliche Freistellung selbst wird dadurch aber nicht aufgehoben.
Wie werden unklare Formulierungen in arbeitsrechtlichen Erklärungen ausgelegt?
Unklare Formulierungen in arbeitsrechtlichen Erklärungen werden danach beurteilt, wie ein vernünftiger Empfänger sie unter Berücksichtigung aller Umstände verstehen musste und durfte. Es kommt dabei nicht primär darauf an, was der Absender der Erklärung, etwa der Arbeitgeber, sich ursprünglich gedacht hat.
Dieses wichtige juristische Prinzip wird als „Empfängerhorizont“ bezeichnet und ist in § 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches verankert. Es fragt danach, wie eine durchschnittliche, objektive Person an Stelle des Empfängers (z.B. des Arbeitnehmers) die Erklärung verstanden hätte. Wenn Ihnen beispielsweise ein Freund schreibt: „Die Party findet am Samstag statt“, und es zwei mögliche Samstage gibt, würde der Empfängerhorizont fragen, welchen Samstag der Empfänger vernünftigerweise annehmen durfte.
Für das Arbeitsrecht bedeutet dies, dass eine einmal getroffene Aussage, die der Empfänger in einer bestimmten Weise vernünftigerweise verstehen konnte, für den Absender bindend ist. Dieses Prinzip schützt den Empfänger der Erklärung und zwingt den Absender, seine Formulierungen präzise und eindeutig zu wählen. Ungenaue oder mehrdeutige Aussagen können sich somit zu Lasten des Absenders auswirken.
Besteht der Anspruch auf Gehaltszahlung bei einer Freistellung grundsätzlich weiter?
Ja, in der Regel bleibt der Anspruch auf Gehaltszahlung bei einer Freistellung bestehen. Eine Freistellung entbindet den Arbeitnehmer von der Pflicht zur Arbeitsleistung, die Gehaltszahlungspflicht des Arbeitgebers bleibt davon jedoch unberührt.
Das Arbeitsverhältnis besteht auch während einer Freistellung formell weiter. Der Arbeitgeber verzichtet auf die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers, muss aber die vereinbarte Vergütung bis zum Ende des Arbeitsvertrags zahlen. Man kann es sich so vorstellen, als ob der Arbeitgeber sagt: „Ich brauche deine Arbeitsleistung nicht mehr, aber ich bezahle dich trotzdem bis zum Vertragsende.“
Ein Gerichtsurteil hat bestätigt, dass eine einmal ausgesprochene, unwiderrufliche Freistellung den Arbeitgeber weiterhin zur Gehaltszahlung verpflichtet, selbst wenn die ursprüngliche Kündigungsfrist falsch berechnet wurde und das Arbeitsverhältnis länger dauert als angenommen. Die Freistellung gilt dann oft bis zum tatsächlich korrekten Vertragsende.
Es gibt jedoch Ausnahmen, etwa wenn die Freistellung ausdrücklich zur Anrechnung von Überstunden oder Resturlaub dient und diese damit abgegolten werden, oder wenn eine unbezahlte Freistellung explizit vereinbart wurde.
Welche Konsequenzen drohen Arbeitnehmern bei einer unentschuldigten Arbeitsverweigerung?
Eine beharrliche und unentschuldigte Arbeitsverweigerung stellt eine schwere Pflichtverletzung dar, die in der Regel eine Abmahnung oder sogar eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann. Eine fristlose Kündigung beendet das Arbeitsverhältnis sofort und ist nur zulässig, wenn ein „wichtiger Grund“ vorliegt. Dieser wichtige Grund muss so gravierend sein, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum regulären Ende unzumutbar ist.
Liegt jedoch eine wirksame, insbesondere unwiderrufliche, Freistellung von der Arbeitsleistung vor, entfällt die Pflicht des Arbeitnehmers zur Arbeit. In diesem speziellen Fall ist das Fernbleiben von der Arbeit keine Arbeitsverweigerung. Eine solche unwiderrufliche Freistellung bindet den Arbeitgeber, sodass er sie nicht einfach einseitig zurücknehmen kann.
Wenn die Arbeitspflicht aufgrund einer gültigen Freistellung entfällt, kann sie auch nicht verletzt werden. Ohne eine Pflichtverletzung kann das Fernbleiben somit keinen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen. Es ist daher entscheidend, klar zu wissen, ob eine Arbeitspflicht besteht oder ob man wirksam freigestellt ist, um gravierende Folgen zu vermeiden.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Abmahnung
Eine Abmahnung ist eine formelle Rüge des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer wegen eines konkreten Pflichtverstoßes. Sie dient dazu, den Arbeitnehmer auf sein Fehlverhalten hinzuweisen und ihn aufzufordern, dieses zukünftig zu unterlassen. Gleichzeitig warnt sie den Arbeitnehmer vor den Konsequenzen bei erneuten Verstößen, die bis zur Kündigung reichen können. Oft ist eine Abmahnung die Voraussetzung für eine verhaltensbedingte Kündigung, es sei denn, der Verstoß ist so schwerwiegend, dass sie entbehrlich ist. Im vorliegenden Fall wurde Frau W. abgemahnt, weil sie trotz Aufforderung nicht zur Arbeit erschien.
Außerordentliche fristlose Kündigung
Eine außerordentliche fristlose Kündigung beendet ein Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung, ohne dass die sonst üblichen Kündigungsfristen eingehalten werden müssen. Sie ist nur in Ausnahmefällen zulässig, wenn ein „wichtiger Grund“ vorliegt, der es dem kündigenden Teil unzumutbar macht, das Arbeitsverhältnis auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist fortzusetzen. Solche Gründe sind in der Regel schwere Verfehlungen des Arbeitnehmers, wie Diebstahl, massive Arbeitsverweigerung oder tätliche Angriffe. Im vorliegenden Fall versuchte der Arbeitgeber, Frau W. fristlos zu kündigen, weil sie trotz Aufforderung und Abmahnungen nicht zur Arbeit kam.
Beharrliche Arbeitsverweigerung
Beharrliche Arbeitsverweigerung liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer bewusst und wiederholt seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung trotz klarer Aufforderung und ohne berechtigten Grund verweigert. Es handelt sich um eine schwerwiegende Pflichtverletzung des Arbeitsvertrages, die das Vertrauensverhältnis erheblich stören kann. Dieses Verhalten kann nach einer Abmahnung oder bei besonderer Schwere auch sofort eine außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigen. Im Artikel wurde dies vom Arbeitgeber als Begründung für die fristlose Kündigung von Frau W. angeführt.
Empfängerhorizont
Der Empfängerhorizont ist ein juristischer Grundsatz aus dem Zivilrecht (§ 157 BGB), der bei der Auslegung von Erklärungen herangezogen wird. Er besagt, dass es bei der Bedeutung einer Erklärung nicht nur darauf ankommt, was der Absender gemeint hat, sondern wie ein vernünftiger und objektiver Dritter – der sogenannte Empfänger – die Erklärung verstehen musste und durfte. Entscheidend ist also die Sichtweise einer durchschnittlichen, verständigen Person unter Berücksichtigung aller Umstände. Das Gericht nutzte diesen Grundsatz, um zu beurteilen, wie Frau W. die unwiderrufliche Freistellung ihres Arbeitgebers verstehen durfte.
Erlassvertrag
Ein Erlassvertrag ist ein zivilrechtlicher Vertrag (§ 397 BGB), durch den ein Gläubiger auf ein ihm zustehendes Recht verzichtet und damit eine Schuld oder Pflicht des Schuldners aufhebt. Im Kontext des Arbeitsrechts kann dies bedeuten, dass der Arbeitgeber (als Gläubiger der Arbeitsleistung) mit dem Arbeitnehmer (als Schuldner der Arbeitsleistung) vereinbart, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht nicht mehr erfüllen muss. Im vorliegenden Fall interpretierte das Gericht die unwiderrufliche Freistellung als einen Erlassvertrag, durch den der Arbeitgeber auf die Arbeitsleistung von Frau W. verzichtete. Damit war ihre Arbeitspflicht entfallen.
Unwiderrufliche Freistellung
Die unwiderrufliche Freistellung im Arbeitsrecht bedeutet, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gestattet, die Arbeitsleistung dauerhaft einzustellen, ohne dass dies Einfluss auf die fortlaufende Gehaltszahlung hat. Der Zusatz „unwiderruflich“ ist dabei entscheidend: Er bindet den Arbeitgeber fest an diese Entscheidung, sodass er sie später nicht mehr einseitig rückgängig machen oder den Arbeitnehmer zur Rückkehr an den Arbeitsplatz auffordern kann. Die Freistellung gilt in der Regel bis zum rechtlich korrekten Ende des Arbeitsverhältnisses und entbindet den Arbeitnehmer von seiner Arbeitspflicht. Dies war der zentrale Punkt des Rechtsstreits im Artikel.
Wichtiger Grund
Ein wichtiger Grund ist die zentrale Voraussetzung für die Wirksamkeit einer außerordentlichen, insbesondere einer fristlosen Kündigung im Arbeitsrecht (§ 626 BGB). Er liegt vor, wenn Tatsachen gegeben sind, die es dem kündigenden Teil, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien, unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der regulären Kündigungsfrist fortzusetzen. Beispiele hierfür sind schwere Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers wie Diebstahl, Betrug oder eben eine beharrliche Arbeitsverweigerung. Im Fall von Frau W. entschied das Gericht, dass kein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung vorlag, da ihre Arbeitspflicht entfallen war.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Auslegung von Willenserklärungen nach dem Empfängerhorizont (§ 157 BGB): Wenn jemand eine Erklärung abgibt – zum Beispiel in einem Brief oder Vertrag – dann kommt es nicht nur darauf an, was derjenige selbst dabei gedacht hat. Vielmehr ist entscheidend, wie ein verständiger und objektiver Empfänger diese Erklärung unter Berücksichtigung aller Umstände vernünftigerweise verstehen durfte. Dieses Prinzip dient der Rechtssicherheit und dem Vertrauensschutz im Rechtsverkehr, da es Missverständnisse auflösen und faire Ergebnisse erzielen soll.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht nutzte diesen Grundsatz, um die Formulierung „unwiderrufliche Freistellung“ im Kündigungsschreiben zu interpretieren. Es entschied, dass Frau W. als Empfängerin die Freistellung vernünftigerweise so verstehen durfte, dass sie bis zum tatsächlichen, rechtlich korrekten Ende ihres Arbeitsverhältnisses galt und nicht nur bis zum fälschlicherweise genannten Datum.
- Wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung (§ 626 BGB): Eine fristlose Kündigung ist nur in Ausnahmefällen zulässig, wenn ein „wichtiger Grund“ vorliegt. Das bedeutet, dass das Verhalten des Arbeitnehmers so schwerwiegend sein muss, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses – selbst für die Dauer einer ordentlichen Kündigungsfrist – nicht zugemutet werden kann. Typische wichtige Gründe sind zum Beispiel Diebstahl, massive Beleidigungen oder beharrliche Arbeitsverweigerung.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Arbeitgeber kündigte Frau W. fristlos wegen angeblicher „beharrlicher Arbeitsverweigerung“. Da das Gericht aber feststellte, dass die unwiderrufliche Freistellung fortbestand und Frau W. daher gar keine Arbeitspflicht hatte, konnte sie diese Pflicht nicht verletzen. Folglich lag kein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung vor, und diese war unwirksam.
- Anspruch auf Arbeitsvergütung bei unwiderruflicher Freistellung (vgl. § 611a BGB): Grundsätzlich erhält ein Arbeitnehmer sein Gehalt als Gegenleistung für die erbrachte Arbeit. Wird der Arbeitnehmer jedoch vom Arbeitgeber unwiderruflich von der Arbeitsleistung freigestellt, verzichtet der Arbeitgeber auf die Arbeitskraft des Arbeitnehmers. Trotzdem bleibt der Arbeitgeber in der Regel zur Zahlung des vollen Gehalts verpflichtet, da er durch die Freistellung auf die Arbeitsleistung verzichtet hat, die Vergütungspflicht aber bestehen bleibt.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Nachdem das Gericht die Wirksamkeit der unwiderruflichen Freistellung bis zum 31. Oktober 2021 bestätigt hatte, musste Frau W. keine Arbeit leisten. Dennoch hatte sie Anspruch auf ihr Gehalt für die Monate September und Oktober, da der Arbeitgeber durch die unwiderrufliche Freistellung auf ihre Arbeitsleistung verzichtet hatte, aber seine Pflicht zur Gehaltszahlung unberührt blieb.
Das vorliegende Urteil
ArbG Nordhausen – Az.: 2 Ca 768/21 – Urteil vom 06.04.2022
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