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Freistellung schwerbehinderter Arbeitnehmer – Zustimmungspflicht Integrationsamt?

ArbG Düsseldorf – Az.: 7 Ga 71/16 – Urteil vom 03.11.2016

1. Der Antrag wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Verfügungsklägerin.

3. Der Streitwert beträgt 3.445,60 EUR.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Zuge des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung über den Anspruch der Verfügungsklägerin, als Teamassistentin (Sekretärin) in Düsseldorf tatsächlich beschäftigt zu werden.

Die Verfügungsbeklagte, die vor dem 01.07.2012 als X. firmierte, war die M. des Landes O. sowie eine international tätige Geschäftsbank mit Hauptsitz in Düsseldorf. Sie musste und muss aufgrund diverser Entscheidungen der Europäischen Kommission weitreichende Umstrukturierungsmaßnahmen durchführen. Unter anderem wurde das Bankneugeschäft zum 01.07.2012 vollständig eingestellt, die Verbundbank herausgelöst und das verbliebene Bankgeschäft auf die Erste Abwicklungsanstalt Anstalt des öffentlichen Rechts transferiert. Das Servicegeschäft wird seit dem 01.02.2014 nicht mehr durch die Verfügungsbeklagte durchgeführt. Die verschiedenen Umstrukturierungsmaßnahmen beinhalteten und beinhalten zudem Personalabbau und Personalumschichtung in allen Bereichen. Es kam zum Abschluss verschiedener Interessenausgleiche und Sozialpläne.

Die am 23.09.1958 geborene Verfügungsklägerin ist seit dem 11.02.2000 bei der Verfügungsbeklagten beschäftigt. Sie verdient zuletzt ein monatliches Gehalt von 4.307,25 EUR brutto. Und ist anerkannt schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 90%.

Die letzte bzw. aktuellste arbeitsvertragliche Vereinbarung der Parteien vom 31.01.2001 sieht eine Tätigkeit der Verfügungsklägerin als Sekretärin mit erhöhten Anforderungen im Unternehmensbereich D., X.) in Düsseldorf vor. Eine Versetzungsklausel enthält der Arbeitsvertrag nicht.

Der Arbeitsplatz der Verfügungsklägerin ist wegen der bei der Verfügungsbeklagten vereinbarten Restrukturierung (spätestens) zum 30.03.2013 ersatzlos weggefallen. Im Anschluss hieran wurde die Verfügungsklägerin von der Verfügungsbeklagten nicht mehr als Teamassistentin bzw. Sekretärin beschäftigt. Vielmehr wurde sie phasenweise gar nicht und phasenweise mit Hilfstätigkeiten beschäftigt, die (nur) teilweise in Sekretariatstätigkeit bestanden. Über den genauen Inhalt dieser Hilfstätigkeiten und die zeitlichen Abläufe im Detail streiten die Parteien.

Die Verfügungsklägerin war nach Wegfall ihres Arbeitsplatzes bei der Verfügungsbeklagten dem Geschäftsbereich „Restrukturierung“ zugeordnet. Die diesem Bereich zugeordneten Mitarbeiter erscheinen morgens „normal“ zur Arbeit, haben jedoch keine klar zugewiesene planmäßige Tätigkeit. Tatsächlich halten sich diese Mitarbeiter im Betrieb der Verfügungsbeklagten auf und stehen auf Abruf bereit, wenn und soweit eine außerplanmäßige (Hilfs-)Tätigkeit benötigt wird. Eine planmäßige Beschäftigung ist für diese Mitarbeiter nicht vorgesehen. Regelmäßig werden sie gar nicht abgerufen bzw. tatsächlich beschäftigt.

Die Zuordnung der Verfügungsklägerin zum Geschäftsbereich „Restrukturierung“ war mehrmals durch die Zuordnung zu anderen Geschäftsbereichen und die dort von der Verfügungsklägerin durchgeführten planmäßigen Hilfstätigkeiten unterbrochen. Beginnend ab dem 01.12.2015 war die Klägerin dauerhaft dem Geschäftsbereich „Restrukturierung“ zugeordnet. Eine tatsächliche, planmäßige Beschäftigung erfolgte seit diesem Zeitpunkt nicht mehr.

Mit Schreiben vom 31.08.2016 informierte die Verfügungsbeklagte die Verfügungsklägerin darüber, dass sie im Zeitraum vom 15.10.2016 bis zum 31.12.2016 unter Fortzahlung der vereinbarten Vergütung unwiderruflich freigestellt werde. Die Verfügungsklägerin widersprach dieser Freistellung mit Schreiben vom 08.09.2016 und machte ihren Beschäftigungsanspruch geltend. Mit Schreiben vom 12.09.2016 reagierte die Verfügungsbeklagte und wies darauf hin, dass eine tatsächliche Beschäftigung faktisch nicht mehr möglich sei. Dies beziehe sich sowohl auf eine vertragsgemäße, wie auch auf eine außerhalb der arbeitsvertraglichen Pflichten liegende tatsächliche Beschäftigung.

Mit ihrer am 17.10.2016 beim Arbeitsgericht Düsseldorf eingegangenen und der Verfügungsbeklagten am 21.10.2016 zugestellten Antragsschrift macht die Verfügungsklägerin im einstweiligen Verfügungsverfahren einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung geltend.

Die Verfügungsklägerin behauptet, sie sei bis Ende März 2013 als Teamassistentin beschäftigt gewesen. Sodann sei sie in der Zeit vom 01.04.2013 bis zum 22.09.2014 unterstützend im Bereich „User Management“ tätig gewesen. Vom 12.01.2015 bis zum 31.07.2015 und in einer weiteren Phase vom 26.10.2015 bis zum 30.11.2015 habe sie im Bereich“ H.“ mitgearbeitet.

Es sei für sie, insbesondere auch vor dem Hintergrund ihrer schwierigen gesundheitlichen Situation, von besonderer Bedeutung tatsächlich beschäftigt zu werden. Dies würde durch ein ärztliches Attest bestätigt.

Es würde in Düsseldorf jedenfalls zehn Teamassistentinnen bzw. Sekretärinnen geben, die nicht freigestellt worden seien. Sämtliche Aufgaben dieser Mitarbeiterinnen könne sie ebenfalls übernehmen. Darüber hinaus gebe es eine Sekretariatsstelle im bzw. für den Betriebsrat, die bis zum 31.10.2016 von Frau C. besetzt gewesen sei. Die Stelle soll von Frau L. übernommen werden. Anders als sie selbst, sei Frau L. an einer Freistellung interessiert. Vor diesem Hintergrund sei sie von der Verfügungsbeklagten auf dieser Stelle tatsächlich zu beschäftigen.

Die Verfügungsklägerin ist der Auffassung, dass ihr ein Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung zustehe. Zum einen Folge dieser Anspruch schon aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Zum anderen würde ihre besondere Situation als anerkannt Schwerbehinderte einen solchen Anspruch begründen. Gemäß § 71 Abs. 1 SGB IX sei die Verfügungsbeklagte verpflichtet schwerbehinderte Mitarbeiter zu beschäftigen. Insbesondere aus den Regelungen der §§ 81 Abs. 4 Nr. 1, 84 SGB IX ergebe sich ein Anspruch auf tatsächliche, leidensgerechte Beschäftigung.

Ihre Freistellung sei darüber hinaus schon deshalb unwirksam, da das Integrationsamt der Freistellung nicht gemäß § 85 SGB IX zugestimmt habe. Durch die Freistellung würde eine Kündigung vorweggenommen bzw. jedenfalls vorbereitet, sodass das Integrationsamt bereits an dieser Stelle zwingend zu beteiligen gewesen sei.

Vor dem Hintergrund, dass es sich bei der Arbeitsverpflichtung um eine Fixschuld handele, bestehe das Bedürfnis an einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz. Darüber hinaus führe ihre schwierige gesundheitliche Situation und der insoweit ärztlich attestierte positive Einfluss einer tatsächlichen Beschäftigung dazu, dass eine Entscheidung erst im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar sei.

Die Verfügungsklägerin beantragt, die Verfügungsbeklagte zu verurteilen, die Verfügungsklägerin als Teamassistentin (Sekretärin) in Düsseldorf zu beschäftigen.

Die Verfügungsbeklagte beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Sie behauptet, dass der Arbeitsplatz der Verfügungsklägerin bereits zum 30.06.2012 endgültig entfallen sei. Die Phasen in denen die Verfügungsklägerin tatsächlich nicht beschäftigt werden konnte, seien umfangreicher gewesen als von dieser dargestellt. Die Verfügungsklägerin sei lediglich in der Zeit vom 01.01.2013 bis zum 31.03.2014 unterstützend im Bereich „User Management“ tätig gewesen. Vom 12.01.2015 bis zum 31.07.2015 und in einer weiteren Phase vom 26.10.2015 bis zum 30.11.2015 habe die Verfügungsklägerin dann, wie von dieser dargestellt, im Bereich“ H.“ mitgearbeitet.

Die Entscheidung nicht mehr beschäftigte Mitarbeiter nicht „nur“ dem Geschäftsbereich Restrukturierung zuzuordnen, sondern freizustellen, gründe auf der Entscheidung bzw. Notwendigkeit Equipment und Räumlichkeiten nur dann weiter vorzuhalten, wenn ein tatsächlicher (Hilfs-)Einsatz realistisch ist.

Zwar sei Frau C. bereits am 31.10.2016 aus dem Betrieb ausgeschieden, jedoch würde auch die Sekretariatsstelle im bzw. für den Betriebsrat zum 31.12.2016 ersatzlos entfallen. Zum einen solle die Stelle also nicht von Frau L. übernommen werden. Zum anderen habe sie Frau C. nur deshalb bereits zum 31.10.2016 ausscheiden lassen, da auf dieser Stelle tatsächlich keine Tätigkeiten mehr anfallen würden. Eine Beschäftigungsmöglichkeit für die Verfügungsklägerin auf dieser Stelle bestehe daher nicht.

Rein tatsächlich gebe es für sie gegenwärtig keinerlei Möglichkeit die Verfügungsklägerin tatsächlich zu beschäftigen. Eine vertragsgemäße Beschäftigung komme seit dem Wegfall des Arbeitsplatzes der Verfügungsklägerin nicht mehr in Betracht. Auch die tatsächliche Beschäftigung mit einer anderen Tätigkeit sei, anders als teilweise in der Vergangenheit, nicht mehr möglich. Es gebe schlicht keine freie Beschäftigungsmöglichkeit, auf der die Verfügungsklägerin eingesetzt werden könnte. Die Freistellungsentscheidung habe sie an Hand der zu erwartenden Möglichkeiten eines tatsächlichen (Hilfs-)Einsatzes aus dem Geschäftsbereich Restrukturierung heraus getroffen. Hier habe sie bezüglich der Verfügungsklägerin kaum noch Möglichkeiten gesehen, dass diese mit (Hilfs-)Tätigkeiten tatsächlich beschäftigt werden könnte.

Die Verfügungsbeklagte ist der Auffassung, dass der Verfügungsklägerin im laufenden Arbeitsverhältnis grundsätzlich lediglich ein Anspruch auf die vertraglich geschuldete Beschäftigung zustehen kann. Diese sei mit dem Wegfall des Arbeitsplatzes unmöglich. Eine unmögliche Verpflichtung könne ihr nicht aufgezwungen werden. Ein darüber hinausgehender Anspruch auf (irgend-)eine, über den Arbeitsvertrag hinausgehende, Beschäftigung bestehe schon grundsätzlich nicht.

Ein anderes Ergebnis würde sich auch weder aus den Regelungen der §§ 71 Abs. 1, 81 Abs. 4 Nr. 1 und 84 SGB IX ergeben. Noch sei im Rahmen einer Freistellung unter Fortzahlung der vertraglichen Vergütung eine Sozialauswahl durchzuführen, anhand derer die freizustellende Mitarbeiter zu bestimmen sind. Die Freistellungsentscheidung obliege dem Arbeitgeber. Selbst eine hypothetischen Sozialauswahl würde jedoch nicht zu Gunsten der Verfügungsklägerin ausfallen, da gegenwärtig 34 bzw. 35 Mitarbeiter von ihr tatsächlich nicht beschäftigt werden können und die Verfügungsklägerin von diesen Mitarbeitern die sozial drittstärkste und mithin bei weitem nicht schutzwürdigste Mitarbeiterin sei.

Schließlich gehe der Hinweis auf § 85 SGB IX fehl. Es sei nicht erforderlich die Zustimmung des Integrationsamts vor Ausspruch einer unwiderruflichen Freistellung einzuholen. Dies ergebe sich zum einen aus dem Wortlaut und zum anderen auch aus Sinn und Zweck dieser Regelung.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und insbesondere den der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Der zulässige Antrag ist unbegründet.

A.

Der Antrag ist zulässig.

Der Erlass einer einstweiligen Verfügung ist gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 935, 940 ZPO zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis statthaft. Das Arbeitsgericht ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG zuständig.

B.

Der Antrag ist jedoch unbegründet.

Gemäß § 940 ZPO sind einstweilige Verfügungen zur Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis begründet, sofern diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen erforderlich ist. Eine solche Regelungsverfügung setzt wie jede einstweilige Verfügung das Vorliegen eines Verfügungsanspruches und eines Verfügungsgrundes voraus. Vorliegend fehlt es nach Auffassung der Kammer an beiden Voraussetzungen. Die Verfügungsklägerin hat keinen Anspruch auf den Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung.

1. Nach Auffassung der Kammer steht der Verfügungsklägerin kein Anspruch gegen die Verfügungsbeklagte zu, von dieser als Teamassistentin (Sekretärin) in Düsseldorf beschäftigt zu werden.

a. Unstreitig ist der (arbeitsvertraglich festgelegte) Arbeitsplatz der Verfügungsklägerin bei der Verfügungsbeklagten spätestens zum 31.03.2013 entfallen. Der Arbeitsvertrag der Parteien sieht nicht lediglich (irgend-)eine Teamassistententätigkeit in Düsseldorf vor, sondern konkretisiert (und beschränkt) die Tätigkeit der Verfügungsklägerin auf den Geschäftsbereich „D.“. Eine Versetzungsklausel enthält der Arbeitsvertrag nicht. Vor diesem Hintergrund konnte und kann die Verfügungsbeklagte der Verfügungsklägerin einseitig auch keine andere Teamassistententätigkeit in einem anderen Geschäftsbereich in Düsseldorf zuweisen. Sie kann und muss die Klägerin demnach nur in diesem Geschäftsbereich während des laufenden Arbeitsverhältnisses tatsächlich beschäftigen. Dies ist der Verfügungsbeklagten nicht mehr möglich. Wegen dieser Unmöglichkeit steht ihr ein berechtigtes und überwiegendes Interesse an der Freistellung der Verfügungsklägerin zu.

Der Beschäftigungsanspruch ist arbeitsplatz- bzw. arbeitsvertragsbezogen. So hat das Bundesarbeitsgericht (Beschluss des Großen Senats, Az. GS 1/84, Juris Rn.53) grundlegend festgestellt:

„Verlangt er [der Arbeitnehmer] seine vertragsgemäße Beschäftigung, so muß ihm dazu grundsätzlich auch Gelegenheit gegeben werden.“

Ein Beschäftigungsanspruch besteht dann nicht, wenn die vertragsgemäße Beschäftigung des Arbeitnehmers für den Arbeitgeber nicht mehr möglich ist und dieser die Arbeitsleistung somit nicht mehr entgegen nehmen kann. Bei einem Wegfall des bisherigen Arbeitsplatzes wird die Beschäftigung auf diesem Arbeitsplatz unmöglich. Unmöglichkeit liegt insbesondere vor, wenn der Leistungserfolg weder von dem Schuldner noch von einem Dritten herbeigeführt werden kann. Setzt die Leistung eine bestimmte Grundlage voraus, im Arbeitsrecht also den Arbeitsplatz im Betrieb des Arbeitgebers, führt dessen Wegfall dazu, dass die ursprünglich geschuldete Leistung nicht mehr erbracht werden kann. Einem Wegfall des Arbeitsplatzes und der damit verbundenen Unmöglichkeit steht nicht entgegen, wenn die bisherigen Aufgaben nicht entfallen, sondern durch Umorganisation auf andere Bereiche verteilt worden sind (BAG Urteil vom 13.6.1990, Az. 5 AZR 350/89, Juris Rn.18; LAG München, Urteil vom 18.08.2011, Az. 2 Sa 62/10, Juris Rn.45).

b. Selbst wenn man, zugunsten der Verfügungsklägerin, unterstellen würde, dass ihr arbeitsvertraglich ein Anspruch zustehen würde, als Teamassistentin (Sekretärin) in (irgend-)einem Geschäftsbereich in Düsseldorf im Rahmen des Direktionsrechts der Verfügungsbeklagten eingesetzt zu werden, so würde auch hieraus im vorliegenden Fall kein Beschäftigungsanspruch gegenüber der Verfügungsbeklagten entstehen. Es gibt (u.U. mit Ausnahme der Stelle der Frau C., siehe dazu sogleich unter c.) keine freie Stelle als Teamassistentin (Sekretärin) auf welcher die Verfügungsklägerin beschäftigt werden könnte.

Die Verfügungsklägerin kann nicht mit dem Argument gehört werden, dass statt ihrer eine andere Teamassistentin (Sekretärin) hätte freigestellt werden müssen, damit der Verfügungsklägerin die tatsächliche Beschäftigung auf diesem Arbeitsplatz hätte ermöglicht werden können. Die Verfügungsbeklagte ist bei einem Überhang im Verhältnis zwischen Mitarbeitern und zu besetzenden Arbeitsstellen, anders als im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung, nicht dazu verpflichtet ihre Beschäftigungs- bzw. Freistellungsentscheidung im Rahmen einer Sozialauswahl streng an sozialen Gesichtspunkten vorzubereiten bzw. zu treffen. Vielmehr ist die Verfügungsbeklagte bei ihrer Freistellungsentscheidung an die Ausübung eines billigen Ermessens gemäß § 315 BGB unter Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte gebunden (BAG, Urteil vom 27.02.2002, Az. 9 AZR 562/00, Juris Rn.68; LAG Hamm, Urteil vom 26.10.2005, Az. 2 Sa 1682/05, Juris Rn.20).

Eine nicht zu billigende Ermessensentscheidung ist für die Kammer vorliegend nicht ersichtlich. Vor diesem Hintergrund ist es nach Auffassung der Kammer unerheblich, ob und in welchem Umfang Sekretariatstätigkeiten bei der Verfügungsbeklagten in Düsseldorf weiter anfallen.

Die Freikündigung von besetzten Stellen bei der Verfügungsbeklagten, um so eine Beschäftigungsmöglichkeit für die Verfügungsklägerin zu eröffnen, kann von der Verfügungsbeklagten nicht verlangt werden. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Verfügungsbeklagte aufgrund der ihr auferlegten Kündigungsrestriktionen nicht ohne weiteres Kündigungen aussprechen könnte.

c. Die Verfügungsbeklagte ist darüber hinaus nicht verpflichtet die Verfügungsklägerin auf der Sekretariatsstelle im bzw. für den Betriebsrat (ehemalige Stelle der Frau C.) tatsächlich zu beschäftigen.

Zunächst weist die Kammer darauf hin, dass nicht nachvollzogen werden kann, dass bzw. warum aus Sicht der Verfügungsbeklagten auf dieser Stelle kein Beschäftigungsbedarf mehr besteht. Es scheint (jedenfalls) widersprüchlich, wenn die Stelle auf der einen Seite erst zum 31.12.2016 wegfällt und Frau C. bereits zum 31.10.2016 ausscheidet, auf der anderen Seite auf dieser Stelle in der Zwischenzeit jedoch tatsächlich keinerlei Beschäftigungsbedarf mehr bestehen soll. Es stellt sich die Frage, warum die Stelle dann nicht bereits zum 31.10.2016 entfällt.

Selbst wenn auf dieser freien Stelle jedoch ein tatsächlicher Beschäftigungsbedarf bestünde, so würde dies jedoch nicht dazu führen, dass die Verfügungsklägerin einen Anspruch hat auf dieser Stelle tatsächlich beschäftigt zu werden. Zum einen würde die Beschäftigung der Verfügungsklägerin auf einer Sekretariatsstelle im bzw. für den Betriebsrat keine vertragsgemäße Beschäftigung der Verfügungsklägerin darstellen (siehe oben unter Ziffer B. 1. a.) und nur hierauf kann sich ein Anspruch der Klägerin richten. Zum anderen ist kein Grund ersichtlich, warum gerade die Verfügungsklägerin und nicht ein anderer der ebenfalls gegenwärtig beschäftigungslosen Mitarbeiter der Verfügungsbeklagten auf dieser (vermeintlich freien) Stelle beschäftigt werden darf bzw. muss. Selbst wenn man also als „milderes Mittel“ zur Freistellung bei Unmöglichkeit der vertragsgemäßen Beschäftigung die Beschäftigung auf einem anderen (möglichst ähnlichen) Arbeitsplatz ansehen wollte, so drängt sich die Frage auf, wem der 34 bzw. 35 gegenwärtig nicht beschäftigten Mitarbeiter die Beschäftigung auf diesen freien Arbeitsplatz angeboten werden muss. Wenn und soweit man diese Entscheidung nicht dem Arbeitgeber im Rahmen einer Ermessensentscheidung zugestehen bzw. überantworten möchte, sondern sie strikt an sozialen Kriterien ausrichtet, so ist zu berücksichtigen, dass die Verfügungsklägerin eine der am wenigsten sozial schutzwürdigen Mitarbeiterinnen, der gegenwärtig tatsächlich nicht beschäftigten Mitarbeiter bei der Verfügungsbeklagten ist.

d. Auch die von der Verfügungsklägerin benannten Normen des Neunten Sozialgerichtsbuchs zum Schutz anerkannt schwerbehinderter Mitarbeiter führen vorliegend nicht zu dem von ihr begehrten Beschäftigungsanspruch.

Der Hinweis, dass die Verfügungsbeklagte gemäß § 71 Abs. 1 SGB IX auf wenigstens 5 % der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen hat, kann den begehrten Beschäftigungsanspruch nicht begründen. Die Regelung statuiert keinen über den obig beschriebenen arbeitsvertraglichen Beschäftigungsanspruch hinausgehenden Anspruch. Es handelt sich um eine Ordnungsnorm, anhand derer der Gesetzgeber bestimmt hat, welche Arbeitgeber in welchem quantitativen Umfang schwerbehinderte Menschen beschäftigen müssen. Eine inhaltliche, individual-arbeitsrechtliche Regelung enthält § 71 Abs. 1 SGB IX nicht.

Gemäß § 81 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen gegenüber ihren Arbeitgebern einen Anspruch auf Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, einen schwerbehinderten Menschen auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz einzusetzen, wenn dieser den Anforderungen auf seinem vertraglichen Arbeitsplatz nicht (mehr) gerechnet werden kann. Die Schwerbehinderung soll bzw. darf nicht dazu führen, dass es zu Beeinträchtigungen auf dem bestehenden Arbeitsplatz kommt. Der von einem schwerbehinderten Menschen besetzte Arbeitsplatz ist in einer solchen Situation dann entsprechend seinen Bedürfnissen auszustatten, umzubauen oder umzuorganisieren. Die Regelung macht also Vorgaben zur Ausgestaltung der tatsächlich stattfindenden Beschäftigung, sie eröffnet jedoch keinen zusätzlichen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung. Dies zeigt insbesondere auch der Blick auf die weiteren Nummern des § 81 Abs. 4 SGB IX, insbesondere der Blick auf die Nr. 4 und Nr. 5.

Vergleichbar erweitert auch die Regelung des § 84 SGB IX den Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung nicht. Vielmehr werden Maßnahmen zur Prävention und Wiedereingliederung festgeschrieben, die bei auftretenden Problemen im Arbeitsverhältnis einen Schutz der schwerbehinderten Mitarbeiter sicherstellen und als Präzisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen einer Kündigung des bestehenden Arbeitsverhältnisses besondere Abläufe festlegen (BAG, Urteil vom 07.12.2006, Az. 2 AZR 182/06, Juris).

e. Wenn und soweit die Verfügungsklägerin der Auffassung ist, dass die streitgegenständliche Freistellung nur mit bzw. nach Zustimmung des Integrationsamts gemäß § 85 SGB IX wirksam ist, so vermag die Kammer dem nicht zu folgen.

Die Befürchtung der Verfügungsklägerin, dass es im Nachgang zu der Freistellung zu einer Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses kommen kann ist – insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Verfügungsklägerin „Ausscheidensformalia“ umzusetzen hatte – zwar in gewisser Weise nachvollziehbar. Jedoch ist die Schlussfolgerung, dass eine Kündigung durch die (befristete) Freistellung vorweggenommen oder jedenfalls vorbereitet werde nicht nachvollziehbar. Eine Kündigung wäre entgegen der Darstellung der Verfügungsklägerin durch die streitgegenständliche Freistellung kein „Selbstläufer“. Freistellung und Kündigung haben nicht nur unterschiedliche Rechtsfolgen, sondern vor allen Dingen auch verschiedene Voraussetzungen. Weder der Wortlaut von § 85 SGB IX, noch Sinn und Zweck dieser Regelung lassen den Schluss zu, dass die Zustimmung des Integrationsamtes nicht nur bei der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, sondern auch bei dessen Freistellung erforderlich ist. Ein solche „Vorverlagerung“ des Zustimmungserfordernisses ist auch zum Schutz der betroffenen Mitarbeiter nicht erforderlich.

f. Schließlich verfängt auch das Argument der Verfügungsklägerin nicht, dass im Hinblick auf die Regelung des § 7 des Interessenausgleichs vom 12.07.2013 nur eine widerrufliche, nicht jedoch eine unwiderrufliche Freistellung möglich ist. Die Verfügungsklägerin verkennt, dass § 7 des Interessenausgleichs vom 12.07.2013 nicht die Modifikation/Beschränkung etwaig bestehender Freistellungsmöglichkeiten regelt, sondern unter bestimmten Voraussetzungen ein (zusätzliches) Recht zur widerruflichen Freistellung statuiert.

2. Darüber hinaus bestehen auch erhebliche Bedenken gegen die Annahme eines Verfügungsgrundes. Die Kammer vermag einen solchen Verfügungsgrund vorliegend nicht zu erkennen.

Das Vorliegen eines Verfügungsgrundes setzt voraus, dass der Verfügungsklägerin durch die Freistellung im Zeitraum vom 15.10.2016 bis zum 31.12.2016 wesentliche Nachteile drohen, die über die bloße Nichterfüllung der Vertragspflichten durch die Verfügungsbeklagte hinausgehen.

Solche wesentlichen Nachteile für den Verfügungskläger sind für die Kammer vorliegend nicht ersichtlich.

Zwar ist der Verfügungsklägerin zuzugestehen, dass eine Entscheidung über die tatsächliche Beschäftigung der Verfügungsklägerin in einem Hauptsacheverfahren keine rechtzeitige (jedenfalls rechtskräftige) Klärung der Frage der Beschäftigung im Zeitraum vom 15.10.2016 bis zum 31.12.2016 wird herbeiführen können.

Jedoch ist zu berücksichtigen, dass die Verfügungsklägerin (jedenfalls) seit dem 01.04.2013 nicht mehr vertragsgemäß und auch nicht mehr als Teamassistentin bzw. Sekretärin planmäßig beschäftigt wird. Jedenfalls seit dem 01.04.2013 ist die Verfügungsklägerin dem Geschäftsbereich „Restrukturierung“ zugeordnet und übt, wenn sie überhaupt tatsächlich von der Verfügungsbeklagten beschäftigt wird, wechselnde (Hilfs-)Tätigkeiten aus. Selbst wenn zugunsten der Verfügungsklägerin unterstellt wird, dass es sich hierbei vereinzelt auch um Sekretariatsarbeiten gehandelt hat, so bestand im Zeitpunkt der Einreichung der Antragsschrift am 17.10.2016 seit (jedenfalls) mehr 3,5 Jahren die Situation, dass die Verfügungsklägerin nicht mehr als Teamassistentin (Sekretärin) planmäßig beschäftigt wurde. Dass bzw. warum in dieser Situation am 17.10.2016 die dringende Notwendigkeit einer Entscheidungsfindung im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens bestehen soll, vermag die Kammer nicht zu erkennen.

Die Verfügungsklägerin kann auch nicht mit dem Argument gehört werden, dass es einen Unterschied machen würde, ob sie – zugeordnet zum Geschäftsbereich „Restrukturierung“ – „normal zur Arbeit geht“ und somit in den Geschäftsbetrieb der Verfügungsbeklagten eingebunden ist oder ob sie freigestellt und somit aus dem Geschäftsbetrieb der Verfügungsbeklagten herausgehalten wird. Zwar kann die Kammer sehr wohl nachvollziehen, dass dies für die Verfügungsklägerin eine Zusatzbelastung darstellt und sich die Situation für sie somit durch die Freistellung verändert hat. Jedoch begehrt die Verfügungsklägerin vorliegend nicht die Wiederaufnahme in den und „Beschäftigung“ im Geschäftsbereich „Restrukturierung“, sondern die Beschäftigung als Teamassistentin (Sekretärin) in Düsseldorf. Die insoweit festzustellende Nichtbeschäftigung besteht aber (jedenfalls) seit mehr als 3,5 Jahren.

II.

Über die Kostentragung war gemäß § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG in Verbindung mit § 308 Abs. 2 ZPO auch ohne Antrag zu entscheiden. Die Kosten des Verfahrens waren der Verfügungsklägerin als unterlegender Partei gemäß § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO aufzuerlegen.

III.

Als Gegenstandswert gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG wurde ein Wert von 80% eines Bruttomonatseinkommens in Höhe von 4.307,25 EUR in Ansatz gebracht.

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