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Freistellung ungeimpfter Mitarbeiter – einrichtungsbezogene Impfpflicht

ArbG Gießen – Az.: 5 Ga 1/22 – Urteil vom v12.04.2022

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

Der Verfügungskläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3.600,00 EUR festgesetzt.

Die Berufung wird nicht zugelassen. Die Statthaftigkeit der Berufung nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes bleibt davon unberührt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beschäftigung des Klägers.

Der Verfügungskläger (im Folgenden Kläger) ist am xx.xx.1992 geboren und alleinerziehender Vater von 2 Töchtern im Alter von 1 und 2 Jahren. Er ist mit schriftlichem Arbeitsvertrag vom 9. Oktober 2020 seit dem 1. November 2020 bei der Verfügungsbeklagten (im Folgenden Beklagte) als Wohnbereichsleiter in deren Seniorenheim tätig. Bei dem Seniorenheim handelt es sich um eine vollstationäre, nach § 72 SGB IX zugelassene Pflegeeinrichtung zur Betreuung und Unterbringung älterer und pflegebedürftiger Menschen.

Die durchschnittliche monatliche Bruttovergütung des Klägers beträgt 3.600,00 Euro. Wegen der Einzelheiten des schriftlichen Arbeitsvertrages wird auf Bl. 9 bis 18 d. A. verwiesen.

Der Kläger ist nicht gegen SARS-CoV-2 geimpft. Er hat der Beklagten weder einen Impf- noch einen Genesenennachweis vorgelegt und bei ihm liegt auch keine medizinische Kontraindikation vor, die einer Impfung entgegensteht.

Mit Schreiben vom 14. März 2022 stellte die Beklagte den Kläger ab dem 16. März 2022 bis auf weiteres widerruflich von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei, längstens bis zum 31. Dezember 2022. In ihrem Schreiben führt die Beklagte aus, dass der Hintergrund der Freistellung der Umstand sei, dass nach § 20 a Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes Personen, die in Pflegeeinrichtungen oder ambulanten Pflegediensten tätig sind, ab dem 15. März 2022 grundsätzlich geimpft oder genesen sein müssen. Wegen des genauen Inhaltes des Schreibens wird auf Bl. 19 und 20 d. A. verwiesen.

Der Kläger forderte die Beklagte mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 16. März 2022 erfolglos auf, die Freistellung zu widerrufen und bot der Beklagten seine Arbeitskraft an.

Freistellung ungeimpfter Mitarbeiter - einrichtungsbezogene Impfpflicht
(Symbolfoto: triocean/Shutterstock.com)

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte sei verpflichtet, ihn nach Maßgabe des Arbeitsvertrages zu beschäftigen. Die Beklagte habe lediglich dem Gesundheitsamt seinen Impfstatus mitteilen müssen. Zu der den Kläger benachteiligenden Freistellungsmaßnahme sei sie demgegenüber nicht berufen gewesen. Die Freistellung sei auch nicht von dem arbeitgeberseitigen Direktionsrecht gedeckt. Die Beklagte sei nicht berechtigt, so ultimativ in das Privatleben des Klägers hineinzuregieren, dass sie dem Kläger vorgeben könnte, sich impfen zu lassen. Der Verfügungsgrund ergebe sich bereits daraus, dass der Beschäftigungsanspruch mit jedem Tag der ungewollten Freistellung unwiederbringlich zunichte gemacht werde. Durch den Wegfall seiner Vergütung werde der Kläger unverschuldet in seiner Existenz gefährdet. Er behauptet, seine Freistellung habe zur Folge, dass die bedürfnisorientierte Betreuung und die Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner bei ohnehin schon angespannter Personalsituation extrem eingeschränkt seien. Im Übrigen böte eine Impfung keinen relevanten Fremdschutz. Er sei bei der Beklagten täglich und damit häufiger als die geimpften Beschäftigten getestet worden. Durch diese täglichen Testungen und das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes sei nicht zu erwarten, dass von ihm eine Infektionsgefahr ausgehe, insbesondere keine solche, die auch von einer geimpften Person ausgehen könnte.

Mit seiner am 24. März 2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen, der Beklagten am 30. März 2022 zugestellten Antragsschrift beantragt der Kläger, die Verfügungsbeklagte im Wege der einstweiligen Verfügung zu verurteilen, den Verfügungskläger nach Maßgabe des Arbeitsvertrages vom 9. Oktober 2020 bis auf Weiteres als Wohnbereichsleiter in der Senioren-Residenz A, Haus B in C, zu beschäftigen und tätig werden zu lassen.

Die Beklagte beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, § 20a Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) normiere ausdrücklich eine Tätigkeitsvoraussetzung, nach der nur Geimpfte und Genesene in den benannten Einrichtungen tätig werden dürften. Ein Einsatz ungeimpfter Beschäftigter dürfe nicht erfolgen. Dies ergebe sich auch aus der Systematik des Gesetzes, das zwischen dem in § 20a Abs. 1 IfSG geregelten gesetzlichen Tätigkeitsverbot, welches an den Impf- und Genesenenstatus anknüpfe, und der Pflicht zur Vorlage des Impf- und Genesenennachweises in § 20a Abs. 2-5 IfSG unterscheide. Im Übrigen liege kein Verfügungsgrund vor. Ein gesteigertes Abwehrinteresse des Klägers zur Abwendung wesentlicher Nachteile sei nicht ersichtlich.

Wegen des Parteivorbringens im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

Nach §§ 62 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG), 935, 940 Zivilprozessordnung (ZPO) kann auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren der Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrt werden. Nach § 935 ZPO ist eine einstweilige Verfügung in Bezug auf den Streitgegenstand zulässig, wenn zu besorgen ist, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechtes einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Verfügungen sind gemäß § 940 ZPO auch zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

Der Kläger begehrt hier die Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis gemäß § 940 ZPO. Voraussetzung dafür ist das Vorliegen einer zu sichernden Rechtsposition (Verfügungsanspruch) und eine besondere Eilbedürftigkeit (Verfügungsgrund), welche es erforderlich macht, zur Abwendung wesentlicher Nachteile bereits vor einer Klärung strittiger Rechtsfragen im regulären arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren (Hauptsacheverfahren) vorab im Wege einer summarischen Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine vorläufige Regelung zu treffen.

Dem Kläger mangelt es an einem Verfügungsanspruch.

Die Beklagte ist nicht verpflichtet, den nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpften Kläger in ihrem Seniorenheim tatsächlich zu beschäftigen. Die von der Beklagten ausgesprochene Freistellung ist durch ein das Beschäftigungsinteresse des Klägers überwiegendes schutzwürdiges Interesse gerechtfertigt.

Nach der Rechtsprechung des Bundearbeitsgerichts, der sich die Kammer anschließt, ist der allgemeine Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses gemäß §§ 611a, 613 i.V.m. § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nur mit Begrenzungen anzuerkennen. Er setzt jedenfalls voraus, dass das Interesse des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung das des Arbeitgebers an seiner Nichtbeschäftigung überwiegt. Während Treu und Glauben den Arbeitgeber nicht verpflichten, die Interessen des Arbeitnehmers ohne Rücksicht auf eigene überwiegende und schutzwerte Interessen zu fördern, kann auf Seiten des Arbeitnehmers das allgemeine ideelle Beschäftigungsinteresse im Einzelfall noch durch besondere Interessen ideeller und/oder materieller Art verstärkt sein. Lehnt der Arbeitgeber wegen entgegenstehender eigener Interessen die Beschäftigung des Arbeitnehmers ab, bedarf es einer Interessenabwägung, in die alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen sind. Bestehen danach keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers, kann der Arbeitnehmer grundsätzlich eine vertragsgemäße Beschäftigung verlangen. Stehen überwiegende schutzwerte Interessen der Beschäftigung entgegen, ist der Arbeitgeber nicht zur Beschäftigung des Arbeitnehmers verpflichtet (vgl. BAG, Urteil vom 15. Juni 2021 – 9 AZR 217/20 – juris; BAG, Beschluss vom 27. Februar 1985 – GS 1/84 – juris).

Der Beschäftigung des Klägers steht das überwiegende schutzwerte Interesse der Beklagten, die Bewohnerinnen und Bewohner des von ihr betriebenen Seniorenheims vor einer Beschädigung von Leib und Leben zu schützen, entgegen.

Diese Abwägung ergibt sich bereits aus der Regelung in § 20a Abs. 1 IfSG.

Nach dieser Vorschrift müssen u.a. Personen, die in voll- oder teilstationären Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen oder in vergleichbaren Einrichtungen tätig sind, ab dem 15. März 2022 über einen Impf- oder Genesenennachweis nach § 22 a Absatz 1 oder Absatz 2 IfSG verfügen.

Hierin kommt der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass in den genannten Einrichtungen grundsätzlich keine Personen beschäftigt werden sollen, die nicht geimpft oder genesen sind.

Zwar ist ein ausdrückliches Beschäftigungsverbot nur in § 20a Abs. 3, S. 4 und 5 IfSG für diejenigen Personen vorgesehen, die ab dem 16. März 2022 in den genannten Einrichtungen tätig werden sollen und über keinen Impf- oder Genesenennachweis verfügen oder diesen nicht vorlegen. Hierbei handelt es sich um Personen, die ab dem 16. März 2022 erstmalig tätig werden sollen, also nicht um Personen, die bereits vor dem 16. März 2022 in den Einrichtungen beschäftigt sind. Bezüglich der bereits in den Einrichtungen beschäftigten Personen ist in § 20a Abs. 2 IfSG zunächst lediglich die Verpflichtung des Arbeitgebers normiert, dem Gesundheitsamt bei Nichtvorlage eines Impf- oder Genesenennachweises die entsprechenden personenbezogenen Daten zu übermitteln.

Entgegen der Auffassung des Klägers, lässt sich aber daraus im Umkehrschluss gerade nicht entnehmen, dass bereits beschäftigte ungeimpfte Personen zwingend tatsächlich zu beschäftigen sind. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber vermeiden wollte, dass mit einem zwingenden Beschäftigungsverbot für ungeimpfte, bereits in den Einrichtungen beschäftigte Personen die Funktionsfähigkeit der Einrichtungen unter Umständen nicht mehr gegeben ist. Dies ändert jedoch nichts an der gesetzlichen Wertung, die § 20a IfSG zugrunde liegt, dass vulnerable Personen, zu denen insbesondere die Bewohnerinnen und Bewohner von Seniorenheimen gehören, vor einer Ansteckung mit dem SARS-CoV2-Virus geschützt werden sollen, was u. a. damit gewährleistet werden soll, dass grundsätzlich keine ungeimpften Personen in den Einrichtungen zum Einsatz kommen sollen. Im Hinblick auf die bereits beschäftigten, ungeimpften Personen ergibt sich daraus, dass der Arbeitgeber eben nicht an deren Freistellung gehindert ist.

In dem Gesetzentwurf (BT-Drs. 20/188) wird hierzu insbesondere folgendes ausgeführt:

„Dem Personal in den Gesundheitsberufen und Berufen, die Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen betreuen, kommt eine besondere Verantwortung zu, da es intensiven und engen Kontakt zu Personengruppen mit einem hohen Risiko für einen schweren, schwersten oder gar tödlichen COVID-19 Krankheitsverlauf hat. Ein verlässlicher Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 durch eine sehr hohe Impfquote bei dem Personal in diesen Berufen ist besonders wichtig, denn so wird das Risiko gesenkt, dass sich die besonders vulnerablen Personengruppen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren.“ (S. 28)

„Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und vulnerabler Personengruppen vor einer COVID-19-Erkrankung wird vorgesehen, dass in bestimmten Einrichtungen und Unternehmen tätige Personen geimpft oder genesen sein oder ein ärztliches Zeugnis über das Bestehen einer Kontraindikation gegen eine Impfung gegen COVID-19 besitzen müssen.“ (S. 30)

„Geimpfte und genesene Personen werden seltener infiziert und werden somit auch seltener zu Überträgern des Coronavirus SARS-CoV-2. Zudem sind sie, wenn sie trotz Impfung infiziert werden sollten, weniger bzw. für

einen kürzeren Zeitraum infektiös. Das Risiko, das von Geimpften oder Genesenen ausgeht, ist somit deutlich geringer als bei Personen, die über keine Immunisierung aufgrund eines vollständigen Impfschutzes oder einer durchgemachten Infektion verfügen. In bestimmten Settings, z. B. in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen, halten sich typischerweise eine Vielzahl von besonders vulnerablen Personen auf. Diese sind regelmäßig aufgrund ihrer gesundheitlichen Verfassung im Hinblick auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 besonders gefährdet und tragen unter Umständen ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe. (…) Daher wird für solche Einrichtungen und Unternehmen, in denen sich typischerweise eine Vielzahl von besonders vulnerablen Personen aufhalten oder die von diesen Einrichtungen und Unternehmen versorgt werden, vorgeschrieben, dass dort tätige Personen geimpft oder genesen sein müssen oder ein ärztliches Zeugnis über das Bestehen einer Kontraindikation gegen eine Impfung gegen COVID-19 besitzen.“ (S. 37)

Die Entscheidung der Beklagten, den Kläger zum Schutz der in dem von ihr betriebenen Seniorenheim tatsächlich nicht zu beschäftigen, ist nicht zu beanstanden. Das von der Beklagten zu vermeidende Risiko einer Beschädigung von Leib und Leben der Bewohnerinnen und Bewohner des von der Beklagten betriebenen Seniorenheims wiegt dabei schwerer als die von dem Kläger hinzunehmenden Nachteile seiner Nichtbeschäftigung.

Als unterliegende Partei hat der Kläger die Kosten des Rechtsstreits gemäß §§ 46 Abs. 2 ArbGG i.v.m. 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu tragen.

Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht gem. §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 3 ZPO auf einer Bruttomonatsvergütung.

Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Rechtssache nach Überzeugung der Kammer keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch sonst kein Fall des § 64 Abs. 3 ArbGG gegeben ist.

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