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Fristgerechte Arbeitnehmerkündigung – fehlerhafte Betriebsratsanhörung

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Az.: 2 Sa 5/15, Urteil vom 09.06.2015

1. Die Berufung wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Bestand des Arbeitsverhältnisses nach arbeitgeber-seitiger ordentlicher Kündigung.

Der Kläger war seit Juni 2011 bei einem VW-Autohaus in C-Stadt als Serviceleiter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis ist später durch Betriebsübergang auf die Beklagte übergegangen, die inzwischen dieses Autohaus betreibt. Die Beklagte beschäftigt ständig mehr als 10 Mitarbeiter. Bei der Beklagten ist ein Betriebsrat gebildet.

Der Kläger hat bei der Beklagten zuletzt 3.500,00 EUR brutto monatlich in einer 40-Stunden-Arbeitswoche verdient. Er war zum Kündigungszeitpunkt 38 Jahre alt; er ist verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet.

Spätestens gegen Ende des Jahres 2013 kam es zu Spannungen im Arbeitsverhältnis der Parteien. Die Beklagte wirft dem Kläger vor, er verhalte sich unkollegial gegenüber den anderen Mitarbeitern auf der von ihm bekleideten Führungsebene. Im Einzelnen wird dem Kläger vorgeworfen, er habe seine Kollegen vor deren Untergebenen schlecht gemacht, dies teilweise auch in Anwesenheit von Kunden. Außerdem habe er über angebliches Fehlverhalten seiner Kollegen Buch geführt. Der Kläger ist daher im Dezember 2013 befristet bis Ende Februar 2014 durch die Beklagte seiner Führungsposition enthoben worden. Da sich das Verhalten des Klägers aus der Sicht der Beklagten trotzdem nicht gebessert hatte, hat sie sich dann entschlossen das Arbeitsverhältnis zu kündigen.

Mit Schreiben vom 31. März 2014, zugegangen am selben Tag, hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum Ablauf des 30. April 2014 gekündigt. Dagegen richtet sich die rechtzeitig beim Arbeitsgericht eingegangene Kündigungsschutzklage, die der Kläger mit einem Weiterbeschäftigungsantrag verbunden hat.

Das Arbeitsgericht Schwerin hat am 22. August 2014 (3 Ca 560/14) wegen Säumnis der Beklagten im Kammertermin ein Versäumnisurteil nach den Anträgen des Klägers erlassen. Der Tenor lautet in der Hauptsache:

„1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 31.03.2014, zugegangen am 31.03.2014, nicht aufgelöst, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Serviceleiter mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden und einem Bruttogehalt von 3.500 EUR monatlich weiterzubeschäftigen.“

Nach ordnungsgemäß eingelegtem Einspruch hat das Arbeitsgericht Schwerin das Versäumnisurteil mit Urteil vom 5. Dezember 2014 (3 Ca 560/14) aufrechterhalten. Auf dieses Urteil wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

Mit der rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter fort.

Die Beklagte behauptet, Grund der Kündigung sei der Umstand gewesen, dass der Kläger nicht in der Lage gewesen sei, sich in das Team der Mitarbeiter im Betrieb der Beklagten einzufügen. Es habe massive Differenzen zwischen dem Kläger und den Leitungsmitgliedern der Abteilung Verkauf, Teiledienst und Werkstattleitung gegeben. Der Kläger habe durch sein Verhalten die Autorität der einzelnen Leiter untergraben, da er strittige Sachverhalte mit den einzelnen Leitern unterstellten Mitarbeitern erörtert und ausgewertet habe. Mit der Entbindung von den Aufgaben als Serviceleiter im Dezember 2013 sei dem Kläger nahegelegt worden, seinen Führungsstil zu überdenken und zu ändern. Gleichzeitig sei in Aussicht gestellt worden, dass mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu rechnen sei, sollte keine Änderung im Verhalten des Klägers festzustellen sein. Im Rahmen der weiteren Arbeitsberatung am 19. Februar 2014 sei dann festgestellt worden, dass sich die Differenzen zwischen den einzelnen Leitern und dem Kläger weiter intensiviert hätten. Da sich der Kläger in den Betrieb der Beklagten nicht habe einfügen können, sei eine weitere Zusammenarbeit nicht möglich gewesen und die Kündigung unausweichliche Folge.

Die Beklagte behauptet weiter, sie habe den bei ihr gebildeten Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung auch ordnungsgemäß beteiligt. In der Berufungsbegründung wird insoweit – in Ergänzung des erstinstanzlichen Vortrages – ausgeführt, die Anhörung sei gegenüber dem Betriebsratsmitglied J. erfolgt. Herrn J. sei mitgeteilt worden, dass sich der Kläger nicht in das Team einfügen könne; dazu seien auch die einzelnen Tatsachen wie hier im Rechtsstreit vorgetragen worden.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 05.12.2014, Az. 3 Ca 560/14, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die ergangene Entscheidung. Er trägt nochmals im Einzelnen zu den Schwächen der behaupteten Anhörung des Betriebsrates vor und bleibt bei seinem Bestreiten bezüglich des eigentlichen Kündigungsgrundes. Es habe keine massiven Differenzen zwischen ihm und seinen Kollegen gegeben. Er habe auch nicht die Autorität seiner Kollegen untergraben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags im Berufungsrechtszug wird auf die überreichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht in vollem Umfang stattgegeben. Die Begründung des Arbeitsgerichts macht sich das Berufungsgericht ausdrücklich zu Eigen. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht.

I.

Die streitgegenständliche ordentliche Kündigung vom 31. März 2014 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet. Die streitgegenständliche Kündigung ist schon nach § 102 Absatz 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Nach § 102 Absatz 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. § 102 Absatz 1 Satz 3 BetrVG regelt ergänzend, dass eine ohne Anhörung des Betriebsrates ausgesprochene Kündigung unwirksam ist. Das ist hier der Fall.

Der Arbeitgeber hört den Betriebsrat zu einer beabsichtigten Kündigung an, indem er dem Vorsitzenden des Betriebsrats seine Absicht zur Kündigung mitteilt und diese begründet; ergänzend hat er zur Person des zu kündigenden Arbeitnehmers vorzu-tragen. Schon nach dem eigenen Vortrag der Beklagten kann nicht festgestellt werden, dass es zu einer Anhörung in diesem Sinne vor Ausspruch der Kündigung gekommen ist. Zwar trägt die Beklagte im Berufungsrechtszug erstmals vor, sie habe den Kündigungssachverhalt mit einem Herrn J., der offensichtlich Mitglied im Betriebsrat ist, erörtert. Das reicht als Darlegung der Anhörung im Sinne von § 102 BetrVG aber nicht aus. Darauf hat bereits das Arbeitsgericht in seinem Urteil zutreffend hingewiesen.

Selbst wenn man zu Gunsten der Beklagten unterstellt, dass die Beklagte die Betriebsratsanhörung durch die nunmehr vorgetragene Beteiligung von Herrn J. ordnungsgemäß eingeleitet hat, würde das im Ergebnis nichts ändern. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts tritt die gesetzliche Rechtsfolge der Unwirksamkeit der Kündigung aus § 102 Absatz 1 Satz 3 BetrVG nicht nur dann ein, wenn der Arbeitgeber die notwendige Anhörung des Betriebsrats gänzlich unterlässt, sondern auch dann, wenn er die Anhörung nicht ordnungsgemäß – also ohne Ein-haltung der gesetzlich geforderten Standards – durchführt (vgl. nur BAG 16. September 1993 – 2 AZR 267/93 – BAGE 74, 185 = AP Nr. 62 zu § 102 BetrVG 1972 = DB 1994, 381). Das ist hier der Fall. Schon nach dem eigenen Vortrag der Beklagten hat diese dem Betriebsrat nicht mitgeteilt, welcher Art die auszusprechende Kündigung sein soll (ordentlich oder außerordentlich). Daneben ist nicht vorgetragen, dass die Beklagte den Betriebsrat überhaupt über die sozialen Grunddaten des Klägers unterrichtet hat (Lebensalter, Familienstand, Betriebszugehörigkeit).

Zutreffend hat sich das Arbeitsgericht geweigert, den von der Beklagten angebotenen Zeugen Herrn J. zu vernehmen. Denn eine gerichtliche Beweisaufnahme dient allein dazu, widerstreitende Tatsachenbehauptungen der Parteien aufzuklären. Solange eine der Parteien aber schon keine ausreichenden Tatsachen vorträgt, kann und darf das Gericht nicht in die Beweisaufnahme eintreten.

Letztlich ist hervorzuheben, dass die Unwirksamkeitsfolge aus § 102 Absatz 1 Satz 3 BetrVG auch dann eintritt, wenn der Arbeitgeber vor Beendigung des Beteiligungs-verfahrens die Kündigung ausspricht. Als insoweit beweisbelastete Partei hat der Arbeitgeber daher vorzutragen, an welchem Tag er die Betriebsratsbeteiligung ein-geleitet hat. Er kann dann entweder nach Ablauf der Wochenfrist aus § 102 Absatz 2 Satz 2 BetrVG die Kündigung aussprechen, oder er muss vortragen, dass er schon zu einem früheren Zeitpunkt, der aber auch vor Ausspruch der Kündigung liegen muss, eine endgültige Stellungnahme des Betriebsrats zu der beabsichtigten Kündigung erhalten hat. An einem derartigen Vortrag mangelt es hier. Es ist schon nicht mitgeteilt, zu welchem Datum Herr J. von der Beklagten angehört wurde.

II.

Im Übrigen fehlt der Kündigung auch die soziale Rechtfertigung im Sinne von § 1 KSchG.

Die Beklagte wirft dem Kläger vor, er habe sich nicht ins Team einordnen können, vielmehr habe er die Autorität der weiteren Angestellten auf seiner Führungsebene dadurch untergraben, dass er mit deren Untergebenen über Fehler seiner Kollegen auf derselben Hierarchieebene gesprochen habe. Derartige Unkollegialitäten soll es sogar in Anwesenheit von Kunden gegeben haben und der Kläger soll über die Fehler seiner Kollegen auch Buch geführt haben. Es kann zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden, dass damit ein Sachverhalt umrissen ist, der an sich zur Kündigung eines Arbeitsverhältnisses geeignet ist.

Der Kündigung fehlt dennoch die sachliche Rechtfertigung, weil es die Beklagte verabsäumt hat, über diese thematische Beschreibung des Kündigungsgrundes hinaus Tatsachen mitzuteilen, aus denen das Gericht schließen könnte, dass es tatsächlich zu den behaupteten Unkollegialitäten gekommen war. Darauf hatte das Berufungsgericht zuletzt noch mit gerichtlicher Verfügung vom 29. April 2015 hingewiesen. Trotzdem war es auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht möglich, diesbezüglich weitere gerichtliche Feststellungen zu treffen.

III.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zutreffend auch zur weiteren Beschäftigung des Klägers verurteilt.

Aus der Unwirksamkeit der Kündigung folgt, dass der Kläger einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsprozesses hat (vgl. BAG 27. Februar 1985 – GS 1/84 – BAGE 48, 122 = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht = DB 1985, 2197). Überwiegende schützenswerte Interessen des Arbeitgebers, die einer solchen Beschäftigung vorliegend entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.

IV.

Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen, da das von ihr eingelegte Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist (§ 97 ZPO).

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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