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Fristgerechte Kündigung in Kleinbetrieb – Kündigungsschutz

Klägerin scheitert mit Kündigungsschutzklage gegen Arbeitgeberin.

Im vorliegenden Fall hat eine kaufmännische Assistentin gegen die fristgerechte Kündigung durch ihren Arbeitgeber geklagt. Die Beklagte hatte die Kündigung „aus betriebsbedingten Gründen“ ausgesprochen und anschließend Stellen für Vertriebsassistenten ausgeschrieben, die laut Klägerin dieselben Tätigkeiten betreffen würden, die sie bisher ausgeführt hatte. Das Arbeitsgericht Oberhausen wies die Kündigungsschutzklage ab, da das Kündigungsschutzgesetz aufgrund des Kleinbetriebsstatus der Beklagten nicht anwendbar sei. Die Berufung der Klägerin wurde ebenfalls abgelehnt, da die Angabe von betriebsbedingten Gründen im Kündigungsschreiben nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führe und weitere Umstände nicht genannt oder ersichtlich seien. Die Klägerin hatte beantragt, das Arbeitsverhältnis sei nicht durch die Kündigung aufgelöst worden und die Beklagte solle ihr ein qualifiziertes Zwischenzeugnis ausstellen. Die Beklagte vertrat die Ansicht, dass die Kündigung wirksam sei, da betriebsbedingte Gründe vorgelegen hätten und das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar sei.

Landesarbeitsgericht Düsseldorf – Az.: 3 Sa 285/22 – Urteil vom 02.08.2022

I.Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 16.02.2022 – Az.: 3 Ca 1164/21 – wird zurückgewiesen.

II.Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III.Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch die mit Schreiben der Beklagten vom 29.10.2021 erklärte ordentliche, fristgerechte Kündigung zum 30.11.2021.

Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 07.09.2020 als kaufmännische Assistentin gegen ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 3.350,- EUR beschäftigt.

Mit Schreiben vom 29.10.2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis „fristgerecht zum 30.11.2021, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt aus betriebsbedingten Gründen“ (Blatt 38 der Akte).

Mit Stellenausschreibungen vom 14.09.2021 und vom 11.10.2021 schrieb die Beklagte jeweils eine Stelle als „Vertriebsassistent(in) m/w/d (Vollzeit)“ zur sofortigen Besetzung und mit Bewerbungsschluss zum 31.10.2021 aus. Wegen des genauen Inhalts der Ausschreibungen wird auf die Anlagen zum Schriftsatz des Klägervertreters vom 28.01.2022 (Blatt 39 ff. der Akte) Bezug genommen.

Mit ihrer am 19.11.2021 bei dem Arbeitsgericht Oberhausen eingegangenen und der Beklagten am 24.11.2021 zugestellten Kündigungsschutzklage hat die Klägerin die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses gerichtlich angegriffen. Erstinstanzlich hat sie behauptet, die Beklagte beschäftige mehr als 10 Arbeitnehmer, und die soziale Rechtfertigung der Kündigung gerügt. Darüber hinaus hat sie die Treu- und Sittenwidrigkeit der Kündigung und deren Unwirksamkeit gemäß §§ 138, 242 BGB im Zusammenhang mit den erfolgten Ausschreibungen gerügt und behauptet, die ausgeschriebenen Stellen beträfen Tätigkeiten, die sie bisher verrichtet habe. Ersichtlich lägen damit nicht die im Kündigungsschreiben genannten „betriebsbedingten Gründe“ vor. Zwar sei der Arbeitgeber im Kleinbetrieb nicht verpflichtet, Kündigungsgründe anzugeben. Gebe er solche allerdings wie hier an, müssten sie der Wahrheit entsprechen, anderenfalls verstoße die Kündigung gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden und sei damit treu- und sittenwidrig.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche betriebsbedingte Kündigung vom 29.10.2021 nicht aufgelöst worden ist;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 30.11.2021 hinaus fortbesteht;

3. die Beklagte zu verurteilen, ihr ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, die Kündigung habe das Arbeitsverhältnis wirksam zum 30.11.2021 beendet. Das Kündigungsschutzgesetz finde keine Anwendung, da in ihrem Betrieb regelmäßig nicht mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt würden. Einschließlich der Klägerin und unter Berücksichtigung von Teilzeitquoten habe sie acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Wegen der Aufstellung der einzelnen Beschäftigten wird auf den Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 25.11.2021 (Blatt 7 der Akte) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Oberhausen hat die Kündigungsschutzklage mit Urteil vom 16.02.2022 abgewiesen. Das Urteil ist der Klägerin über ihren Prozessbevollmächtigten am 21.03.2022 zugestellt worden. Sie hat mit am 11.04.2022 bei dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf eingegangenem Anwaltsschriftsatz Berufung eingelegt, die sie – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist durch Beschluss vom 12.05.2022 bis zum 21.06.2022 – mit am 13.06.2022 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenem Anwaltsschriftsatz begründet hat.

Die Klägerin verfolgt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens den Kündigungsschutzantrag sowie den Antrag auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses weiter. Erneut verweist sie darauf, dass die im Kündigungsschreiben genannten „betriebsbedingten Gründe“ angesichts der ihre Tätigkeit als Assistentin betreffenden Stellenausschreibungen nicht vorgelegen hätten. Wenn der Arbeitgeber einen Kündigungsgrund wie hier im Kündigungsschreiben explizit nenne, sei er auch im Kleinbetrieb zur Wahrheit verpflichtet. Im Kleinbetrieb bestehe kein rechtsfreier Raum. Die Beklagte spreche in der Kündigung auch nicht etwa von „betrieblichen Gründen“, sondern von „betriebsbedingten Gründen“ und nehme damit selbst Bezug auf die Kategorisierung des § 1 Abs. 2 KSchG. Solche Gründe lägen der Kündigung tatsächlich nicht zugrunde, so dass die Angabe im Kündigungsschreiben eine Lüge darstelle. Die Klägerin zu den Kündigungsgründen anzulügen, widerspreche dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden und begründe die Sittenwidrigkeit, zumindest aber die Treuwidrigkeit der Kündigung. Schließlich erweise sich die Lüge der Beklagten auch im Verhältnis zur Bundesagentur für Arbeit als problematisch; wenngleich die Klägerin im vorliegenden Fall von vornherein weder Arbeitslosengeld beantragt habe noch habe beantragen müssen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 16.02.2022 – 3 Ca 1164/21 – abzuändern und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche betriebsbedingte Kündigung vom 29.10.2021 nicht aufgelöst worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, ihr ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Sie vertritt die Ansicht, die Klägerin wolle mit dem vorliegenden Verfahren unzulässig indirekt doch eine Prüfung der Kündigung anhand des Maßstabs des Kündigungsschutzgesetzes erreichen. Da dessen Geltungsbereich hier aufgrund des Kleinbetriebsstatus der Beklagten nicht eröffnet sei, habe eine Prüfung von Kündigungsgründen der Beklagten zu unterbleiben. Es könne also dahinstehen, ob tatsächlich betriebsbedingte Kündigungsgründe im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG vorgelegen hätten. Allerdings hätten betriebsbedingte Gründe auch vorgelegen. Die Angabe betriebsbedingter Gründe im Kündigungsschreiben eines anwaltlich nicht beratenen Arbeitgebers könne in der Praxis häufig den Grund haben, dem betroffenen Arbeitnehmer keine Steine in den Weg zu legen. Es sei abwegig anzunehmen, dass die Kündigung damit dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspreche und auch eine Treuwidrigkeit der Kündigung sei damit nicht begründbar. Da es nicht einmal der Angabe von Kündigungsgründen bedürfe, sei nicht ersichtlich, weshalb die Angabe eines möglicherweise nicht zutreffenden Kündigungsgrundes dann zur Unwirksamkeit der Kündigung führen solle, solange nicht noch weitere Umstände hinzuträten. Weitere Umstände seien hier jedoch weder genannt noch ersichtlich.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze beider Parteien nebst Anlagen in erster und zweiter Instanz sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist statthaft gemäß § 64 Abs. 1, Abs. 2 lit. c) ArbGG. Ferner ist sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung ist allerdings nicht begründet. Vielmehr hat das Arbeitsgericht die Klage zu Recht abgewiesen.

Im Einzelnen:

1. Die ordentliche, fristgerechte Kündigung vom 29.10.2021 ist nicht am Maßstab des § 1 Abs. 2 KSchG auf ihre soziale Rechtfertigung zu überprüfen, denn diese Norm findet auf den Kleinbetrieb der Beklagten gemäß § 23 Abs. 1 KSchG keine Anwendung. Das hat das Arbeitsgericht zutreffend unter I.1.a) der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils festgestellt. Die Berufungskammer folgt dem und sieht insoweit gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG von weiteren Ausführungen nicht zuletzt auch deshalb ab, weil diese Feststellungen mit der Berufung ohnehin inhaltlich nicht angegriffen werden.

2. Die Kündigung ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht sittenwidrig.

a. Ein Rechtsgeschäft ist sittenwidrig im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB, wenn es nach seinem Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht. Verstößt das Rechtsgeschäft – wie eine an sich neutrale Kündigung – nicht bereits seinem Inhalt nach gegen die grundlegenden Wertungen der Rechts- oder Sittenordnung, muss ein persönliches Verhalten des Handelnden hinzukommen, welches diesem zum Vorwurf gemacht werden kann (BAG vom 05.12.2019 – 2 AZR 107/19, juris, Rz. 11). Hierfür genügt es im Allgemeinen nicht, dass vertragliche Pflichten verletzt werden. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln oder der zutage tretenden Gesinnung ergeben kann (BAG vom 11.06.2020 – 2 AZR 374/19, juris, Rz. 32; BAG vom 05.12.2019 – 2 AZR 107/19, juris, Rz. 11; BGH vom 16.07.2019 – II ZR 426/17, juris, Rz. 24).

Im Rahmen der Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB ist der objektive Gehalt der Grundrechte zu berücksichtigen (BAG vom 05.12.2019 – 2 AZR 107/19, juris, Rz. 13; BAG vom 19.10.2017 – 8 AZR 845/15, juris, Rz. 20). Der durch die zivilrechtlichen Generalklauseln vermittelte verfassungsrechtliche Schutz ist allerdings umso schwächer, je stärker die mit der Kleinbetriebsklausel des § 23 Abs. 1 KSchG geschützten Grundrechtspositionen des Arbeitgebers im Einzelfall betroffen sind. Es geht vor allem darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen (BVerfG vom 27.01.1998 – 1 BvL 15/87, juris, Rz. 34 ff.; BAG vom 05.12.2019 – 2 AZR 107/19, juris, Rz. 13; BAG vom 05.11.2009 – 2 AZR 383/08, juris, Rz. 24).

b. Hieran gemessen ergeben sich aus dem Vorbringen der darlegungspflichtigen Klägerin keine hinreichenden Gründe zur Annahme von Sittenwidrigkeit.

Der Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte liegt kein persönliches Verhalten einer auf Beklagtenseite handelnden, vertretungsberechtigten Person zugrunde, das der Rechts- oder Sittenordnung grundlegend widerspräche. Jedenfalls lässt sich ein solches nicht ansatzweise aus dem Vorbringen der Klägerin entnehmen.

Die Kündigung ist nicht von Willkür gekennzeichnet. Der Willkürvorwurf scheidet aus, wenn ein irgendwie einleuchtender Grund für die Rechtsausübung vorliegt (BAG vom 05.12.2019 – 2 AZR 107/19, juris, Rz. 17; BAG vom 28.08.2003 – 2 AZR 333/02, juris, Rz. 17). Soweit die Klägerin behauptet, die Angabe von betriebsbedingten Gründen im Kündigungsschreiben stelle vor dem Hintergrund der Stellenausschreibungen eine Lüge dar, beruht diese Wertung maßgeblich darauf, dass sie den Begriff der „betriebsbedingten Gründe“ mit dem der „dringenden betrieblichen Erfordernisse“ im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG gleichsetzt und damit – wie ihr von der Beklagten zu Recht vorgehalten wird – indirekt versucht, doch noch eine Prüfung der Kündigungsgründe am Maßstab eben dieser gesetzlichen Norm zu erreichen, die aber mangels Erfüllung der Voraussetzungen des betrieblichen Geltungsbereichs gerade keine Anwendung im Arbeitsverhältnis der Parteien findet. Die Klägerin lässt dabei außer Acht, dass „betriebsbedingt“ jenseits des Verständnisses der genannten und hier nicht einschlägigen Norm jede durch betriebliche Umstände bedingte Kündigung erfolgen kann. Damit können jegliche Änderungen im Betrieb gemeint sein, ebenso kann damit gemeint sein, dass eine Person aus Sicht des Arbeitgebers nicht mehr „in den Betrieb passt“. Einer Abgrenzung zu personenbedingten oder gar verhaltensbedingten Kündigungsgründen bedarf es außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG nicht. Die Neuausschreibung der Stelle der Klägerin oder jedenfalls von Stellen, deren Tätigkeitsprofil die Klägerin grundsätzlich erfüllen würde, könnte zwar einer zeitgleich erfolgenden „betriebsbedingten Kündigung“ im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 2 KSchG entgegenstehen, nicht aber einer Kündigung außerhalb dieses Anwendungsbereichs, die allein dadurch, dass ihre betriebsbedingt en Gründe keine soziale Rechtfertigung begründen könnten, nicht willkürlich wird.

Zudem ist auch die von der Beklagten mitgeteilte Motivation für die Angabe „betriebsbedingter Gründe“ im Kündigungsschreiben, dass damit der Klägerin „keine Steine in den Weg gelegt werden sollten“, durchaus ein einleuchtender und mitnichten ein zur Annahme von Willkür führender Grund. Es handelt sich damit um einen betriebsbedingten Grund im Sinne des Verständnisses der Beklagten. Erneut sei betont, dass es keinen rechtlichen Ansatz für die Annahme gibt, der Arbeitgeber des Kleinbetriebes müsse sich bei der Nennung „betriebsbedingter Gründe“ am Maßstab des für ihn ja gar nicht geltenden § 1 Abs. 2 KSchG messen lassen. Das muss er eben gerade nicht. Im Verständnis der Betriebsbedingtheit seiner Kündigungsgründe ist er frei. Dass seinem Verständnis Willkür zugrunde läge und es noch dazu dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspräche, wenn damit der Klägerin gerade keine Steine in den Weg gelegt werden sollten, weil nach der durchaus gut nachvollziehbaren Einschätzung der Beklagten weder die Arbeitsagentur noch ggfs. ein potentieller Folgearbeitgeber Anstoß an einer derart begründeten Kündigung nehmen dürften, erschließt sich der Berufungskammer nicht im Ansatz. Denn der von der Klägerin hierfür allein herangezogene rechtliche Ansatz beruht erneut auf der Kategorisierung des § 1 Abs. 2 KSchG und ist deshalb hier aber auch nicht tragfähig.

Hinzu kommt unabhängig von Vorstehendem und die Entscheidung eigenständig tragend, dass selbst für den Fall, es hätten der Kündigung auch nach dem Verständnis der Beklagten keine betriebsbedingten Gründe zugrunde gelegen, zur Überzeugung der Berufungskammer eine ordentliche Kündigung, die ohne Angabe von Gründen ausgesprochen werden kann, grundsätzlich nicht dadurch sittenwidrig werden kann, dass – überobligatorisch – angegebene Gründe nicht oder nicht in vollem Umfang zutreffend sind. Denn das Recht zur ordentlichen Kündigung besteht gerade auch deshalb, weil Parteien, die aus irgendwelchen Gründen nicht mehr „miteinander können“, in einem Dauerschuldverhältnis wie dem Arbeitsverhältnis ihre Bindung unabhängig von der Qualität der dahinterstehenden Gründe beenden können sollen (ebenso bereits OLG Nürnberg vom 28.08.2019 – 13 U 1305/19, juris, Rz. 74). Weder die Willenserklärung der Kündigung selbst noch deren tragendes Motiv der Trennung, dass es „nicht mehr passt“, widersprechen allein deshalb dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, weil der im Kündigungsschreiben genannte, dem weiteren Fortkommen der gekündigten Person aber – möglicherweise im Unterschied zu dem „wahren Kündigungsgrund“ – mitnichten hinderliche, sondern neutrale oder sogar förderliche Grund nicht zutrifft. Das Motiv der Nennung eines unzutreffenden Grundes liegt in diesem Fall in der Förderung des weiteren Fortkommens der gekündigten Person und beeinträchtigt sie mithin nicht, erst recht nicht in sittenwidriger Weise. Die Beeinträchtigung liegt in der Kündigung, nicht in der Angabe unzutreffender Gründe für dieselbe. Die Verknüpfung einer außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG an sich neutralen Kündigung mit einer zwar unzutreffenden, dem Fortkommen der gekündigten Person jedoch nicht hinderlichen Kündigungsbegründung macht aus dem neutralen Rechtsgeschäft kein sittenwidriges.

3. Die Kündigung vom 29.10.2021 ist ferner nicht treuwidrig.

a. Der Grundsatz von Treu und Glauben in § 242 BGB bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung. Eine gegen diesen Grundsatz verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage ist wegen der darin liegenden Rechtsüberschreitung als unzulässig anzusehen. Die Vorschrift des § 242 BGB ist aber auf Kündigungen neben § 1 KSchG nur in beschränktem Umfang anwendbar. Das Kündigungsschutzgesetz hat die Voraussetzungen und Wirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben konkretisiert und abschließend geregelt, soweit es um den Bestandsschutz und das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes geht. Eine Kündigung verstößt deshalb nur dann gegen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glauben aus Gründen verletzt, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind (BAG vom 05.12.2019 – 2 AZR 107/19, juris, Rz. 12; BAG vom 22.04.2010 – 6 AZR 828/08, juris, Rz. 41). Als solche typische Anwendungsfälle einer treuwidrigen Kündigung sind insbesondere anerkannt ein widersprüchliches Verhalten des Arbeitgebers, der Ausspruch der Kündigung zur Unzeit oder in ehrverletzender Form und eine diskriminierende Kündigung sowie eine solche, die auf einer Auswahlentscheidung beruht, die jede soziale Rücksichtnahme vermissen lässt (BAG vom 11.06.2020 – 2 AZR 374/19, juris, Rz. 33; BAG vom 16.01.2003 – 2 AZR 609/01, juris, Rz. 36 m.w.N.).

b. In Anwendung dieser Grundsätze liegt kein schlüssiges Vorbringen der Klägerin zur Begründung einer Treuwidrigkeit der Kündigung vor.

Für eine Kündigung zur Unzeit oder in ehrverletzender Form ist nichts ersichtlich und auch eine Diskriminierung oder eine Kündigung unter Missachtung eines Mindestmaßes an sozialer Rücksichtnahme wird von der Klägerin weder schlüssig behauptet noch wäre sie ersichtlich.

Ein widersprüchliches Verhalten der Beklagten liegt mit der Kündigung nicht vor. Dieses käme nur in Betracht, wenn die Willenserklärung selbst, also die Kündigung als solche sich wegen widersprüchlichen Verhaltens als unzulässige Rechtsausübung darstellte. Zur Annahme des sog. venire contra factum proprium bedarf es eines eigenen vorausgegangenen Verhaltens, durch welches beim Vertragspartner ein schutzwürdiges Vertrauen erweckt worden ist, zu dem nunmehr die Kündigung in einem solchen Widerspruch steht, dass sich die damit einhergehende Rechtsausübung als treuwidrig darstellt (vgl. BAG vom 12.03.2009 – 2 AZR 894/07, juris, Rz. 16 f.). So liegt etwa eine unzulässige Rechtsausübung vor, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer durch sein Verhalten Anlass gegeben hat, zu glauben, das Arbeitsverhältnis werde längere Zeit fortbestehen, und dann plötzlich kündigt. Hat er dem Arbeitnehmer erklärt, dieser brauche nicht mit einer Kündigung zu rechnen, verstößt es gegen § 242 BGB, wenn er ihm kurz darauf kündigt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Arbeitgeber sich auf einen besonderen nachträglich entstandenen sachlichen Grund berufen kann (BAG vom 21.03.1996 – 8 AZR 290/94, juris, Rz. 25; LAG Berlin vom 25.10.2002 – 19 Sa 1484/02, juris, Rz. 36).

Die Voraussetzungen einer solchen Widersprüchlichkeit liegen hier nicht vor. Es gibt schon kein vorangegangenes und ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin begründendes Verhalten der Beklagten, zu dem sie sich mit der Kündigung in Widerspruch gesetzt hätte. Selbst wenn die Klägerin vor Ausspruch der Kündigung bereits Kenntnis von den Stellenausschreibungen erlangt hätte, wäre mit diesen ja gerade kein Vertrauen in den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses begründet worden, sondern eher das Gegenteil. Die Annahme eines venire contra factum proprium im Zusammenhang mit der Nennung möglicherweise unzutreffender Kündigungsgründe im Kündigungsschreiben scheidet aus, denn dabei handelte es sich schon nicht um ein vorangegangenes und Vertrauen erweckendes Verhalten. Kündigung und Kündigungsbegründung erfolgten vielmehr zeitgleich.

Schließlich scheidet auch in diesem Zusammenhang die Annahme einer willkürlichen und aus diesem Grunde treuwidrigen Kündigung aus. Insoweit kann auf die Ausführungen zur fehlenden Willkür als Begründungselement der Sittenwidrigkeit unter II.2.b der Entscheidungsgründe Bezug genommen werden, welche hier in gleicher Weise auch gegen die Annahme von Treuwidrigkeit sprechen.

4. Da die ordentliche Kündigung vom 29.10.2021 das Arbeitsverhältnis der Klägerin mithin fristgerecht gemäß § 622 Abs. 1 BGB zum 30.11.2021 beendet hat und die Kündigungsschutzklage auch in der Berufungsinstanz erfolglos bleibt, ist der Zwischenzeugnisantrag der Klägerin nicht zur Entscheidung angefallen. Denn dieser wird nach der Berufungsbegründung (dort unter IV.) gerade damit begründet, dass die Klägerin einen Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses habe, da das Arbeitsverhältnis nicht beendet worden sei. Sie macht den Anspruch also nicht unabhängig von der Entscheidung des Gerichts über die Wirksamkeit der Kündigung geltend, sondern ausweislich ihrer Begründung wegen von ihr angenommener und damit für den Fall der Begründetheit der Kündigungsschutzklage. Bei verständiger Auslegung steht ihr Antrag damit konkludent unter der innerprozessualen Bedingung des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag (vgl. BAG vom 05.12.2019 – 2 AZR 240/19, juris, Rz. 116; BAG vom 19.11.2015 – 2 AZR 217/15, juris, Rz. 57). Da diese Bedingung nicht eingetreten ist, fällt der Antrag nicht zur Entscheidung an.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 525, 97 Abs. 1 ZPO. Danach hat die Klägerin die Kosten des von ihr ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen.

IV.

Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 1 ArbGG. Ein Zulassungsgrund nach § 72 Abs. 2 ArbGG liegt nicht vor, insbesondere betrifft die Entscheidung weder entscheidungsrelevante Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG noch liegt eine Divergenz im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG vor.

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