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Fristlose Arbeitnehmerkündigung – beharrliche Arbeitsverweigerung – Tätlichkeiten unter Kollegen

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Az.: 7 Sa 424/15, Urteil vom 01.06.2016

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – Az. 6 Ca 351/15 – vom 13. August 2015 sowie die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – Az. 6 Ca 615/15 – vom 10. Dezember 2015 werden auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über außerordentliche Kündigungen der Beklagten vom 2. April 2015 und 13. April 2015 sowie die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 28. Juli 2015 und die Weiterbeschäftigung des Klägers.

Die Beklagte beschäftigt mehr als 10 Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden. Ein Betriebsrat besteht.

Der 1966 geborene Kläger, GdB von 50, ist gegenüber einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Er ist zwischenzeitlich geschieden. Im Betrieb ist seine Homosexualität bekannt.

Nachdem der Kläger bereits seit dem 4. Februar 1990 als Aushilfe beschäftigt war, ist er seit dem 3. Februar 1992 als Mitarbeiter im Mobilen Postservice mit einer Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden und einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von 3.164,18 € zuzüglich Besitzstandszulage von 54,55 € (Entgeltgruppe 3 des Entgelttarifvertrags für die Arbeitnehmer der Deutschen Post AG) tätig. Er ist zuletzt beim Zustellstützpunkt Z-Stadt in der Niederlassung BRIEF Y.-Stadt eingesetzt.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Bestimmungen des Mantel-/Entgelttarifvertrages für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Deutschen Post AG sowie die sonstigen tariflichen Bestimmungen in ihrer jeweiligen Fassung als unmittelbar zwischen den Parteien vereinbart Anwendung. Die „Arbeitszeit in der Zustellung“ ist in einer gleichlautenden Betriebsvereinbarung vom 2. Mai/25. Mai 2010 geregelt. Wegen des Inhalts dieser Betriebsvereinbarung „Arbeitszeit in der Zustellung“ (im Folgenden: BV Arbeitszeit) wird auf Bl. 150 ff. d. A. Bezug genommen.

Fristlose Arbeitnehmerkündigung - beharrliche Arbeitsverweigerung – Tätlichkeiten unter Kollegen
Symbolfoto: vchal/Bigstock

In der Vergangenheit hat der Kläger zwei Arbeitsunfälle erlitten. Aus einem solchen Arbeitsunfall wurde dem Kläger als weitere Unfallfolge ein psychisches Leiden mit einer MdE von 20 zuerkannt.

Mit Wirkung ab dem 23. Februar 2015 wurde der Kläger, nachdem er zuvor seit dem 15. Oktober 2014 zum Zustellstützpunkt X-Stadt versetzt worden war, von der Beklagten auf seinen Stammbezirk XYZ. zum Zustellstützpunkt Z-Stadt zurückversetzt.

Am späten Nachmittag des 6. März 2015 organisierte die zuständige Personaldisponentin W. V. wegen der Krankmeldung eines Zustellers des Zustellstützpunkts Z-Stadt den Personaleinsatz für Samstag, den 7. März 2015 und verständigte die Zustellteamleiter beim Zustellstützpunkt Z-Stadt per Fax. Am 7. März 2015 wies sodann jedenfalls der Zustellteamleiter U. T. den Kläger an, auf seinen Ausweichbezirk (Bezirk 00) zu wechseln. Der Arbeitnehmer S. R. Q. sollte statt des Klägers dessen Bezirk 000 ausfahren. Der Kläger lehnte die Anweisung, den Bezirk 00 auszufahren, ab, verließ den Zustellstützpunkt und kehrte anschließend zurück. Er weigerte sich telefonisch auch gegenüber der Personaldisponentin, dieser Anweisung Folge zu leisten mit dem Argument, er müsse wegen seiner Schwerbehinderung den Bezirk nicht wechseln. Frau V. wies daher den Kläger an, bis zur Klärung des Sachverhalts erst einmal auf seinem Bezirk 000 abzuwarten. Der ZPL-Leiter Herr P. fuhr, nachdem er vergeblich versucht hatte, mit dem Kläger fernmündlich zu sprechen, in den Zustellstützpunkt. Während des Gesprächs mit Herrn P., dessen Inhalt und Ablauf zwischen den Parteien streitig ist, entfernte der Kläger sich aus dem Zustellstützpunkt. Der Bezirk 00 wurde schließlich vom Mitarbeiter Q. gefahren. Nach der Auseinandersetzung vom 7. März 2015 meldete sich der Kläger arbeitsunfähig.

Mit Schreiben vom 13. März 2015 (Bl. 55 ff. d. A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung an. Der Betriebsrat widersprach mit Schreiben vom 19. März 2015 (Bl. 56 f. d. A.).

Ebenfalls mit Schreiben vom 13. März 2015 (Bl. 60 ff. d. A.) hörte die Beklagte die Schwerbehindertenvertretung an. Diese widersprach mit Schreiben vom 19. März 2015 (Bl. 63 f. d. A.).

Mit Schreiben vom 13. März 2015 (Bl. 42 ff. d. A.) beantragte die Beklagte beim Integrationsamt die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung. Mit Bescheid vom 31. März 2015 (Bl. 45 ff. d. A.) wurde die beantragte Zustimmung erteilt. Der Kläger hat gegen diesen Bescheid Widerspruch eingelegt.

Unter dem 2. April 2015 (Bl. 12 d. A.) kündigte die Beklagte dem Kläger außer-ordentlich wegen „beharrlicher Arbeitsverweigerung“. Gegen diese Kündigung wandte der Kläger sich mit seiner am 20. April 2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage (Az. 6 Ca 351/15).

Am 9. März 2015 informierte der Zeuge E. seinen Vorgesetzten, den ZSPL-Leiter Herrn P. über einen Vorfall, der sich am Freitag, 6. März 2015 zugetragen haben soll. Der ZSPL-Leiter meldete dies am Nachmittag des 9. März 2015 an die Personalabteilung weiter. Der Zeuge E., der am 9. März 2015 aufgrund eines Wegeunfalls arbeitsunfähig erkrankt war, wurde am 13. März 2015 zum Sachverhalt verhandlungsschriftlich gehört (Verhandlungsschrift Bl. 39 d. A. mit dem Az. 6 Ca 352/15). Der ebenfalls arbeitsunfähig erkrankte Kläger wurde von der Beklagten am 16. März 2015 (Bl. 40 d. A. mit dem Az. 6 Ca 352/15) unter dem Betreff „Anhörung im Rahmen einer Verdachtskündigung“ mit Stellungnahmefrist bis zum 20. März 2015 angeschrieben. Eine Stellungnahme des Prozessbevollmächtigten des Klägers (Bl. 41 d. A. mit dem Az. 6 Ca 352/15) ging am 19. März 2015 bei der Beklagten ein. Die Beklagte hörte hierauf den Mitarbeiter E. am 23. März 2015 nochmals verhandlungsschriftlich an (Verhandlungsschrift Bl. 42 d. A. mit dem Az. 6 Ca 352/15).

Mit Schreiben vom 27. März 2015 (Bl. 54 ff. d. A. mit dem Az. 6 Ca 352/15) teilte die Beklagte dem Betriebsrat ihre Absicht einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung mit und bat um Stellungnahme. Mit Schreiben vom 1. April 2015 (Bl. 57 f. d. A. mit dem Az. 6 Ca 352/15) widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

Mit Schreiben vom 27. März 2015 (Bl. 59 ff. d. A. mit dem Az. 6 Ca 352/15) teilte die Beklagte auch der Schwerbehindertenvertretung mit, dass sie den Ausspruch einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung beabsichtige, und bat um Stellungnahme. Die Schwerbehindertenvertretung widersprach der beabsichtigten außerordentlichen/hilfsweise ordentlichen Kündigung mit Schreiben vom 6. April 2015 (Bl. 62 f. d. A. mit dem Az. 6 Ca 352/15).

Mit Schreiben vom 23. März 2015 (Bl. 43 ff. d. A. mit dem Az. 6 Ca 352/15) beantragte die Beklagte beim Integrationsamt die Zustimmung zur außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Klägers. Das Integrationsamt O-Stadt stimmte der außerordentlichen Kündigung des Klägers mit Bescheid vom 10. April 2015 (Bl. 46 ff. d. A. mit dem Az. 6 Ca 352/15), bei der Beklagten eingegangen am 13. April 2015, zu. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger Widerspruch eingelegt.

Die Niederlassung BRIEF Y.-Stadt der Beklagten kündigte dem Kläger mit Schreiben vom 13. April 2015 (Bl. 11 d. A. mit dem Az. 6 Ca 352/15) außerordentlich wegen des „dringenden Tatverdachts der Tätlichkeit gegenüber einem Kollegen“.

Gegen diese außerordentliche Kündigung vom 13. April 2015 wandte sich der Kläger mit seiner am 20. April 2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage unter dem ursprünglichen Aktenzeichen 6 Ca 352/15. Das Arbeitsgericht hat dieses Verfahren durch Beschluss vom 26. Mai 2015 zum Verfahren mit dem Aktenzeichen 6 Ca 351/15 verbunden.

Der hilfsweisen ordentlichen Kündigung des Klägers wegen des dringenden Tatverdachts der Tätlichkeit stimmte das Integrationsamt O-Stadt mit Bescheid vom 23. Juni 2015 (Bl. 38 ff. d. A. mit dem Az. 6 Ca 615/15), bei der Beklagten eingegangen am 27. Juli 2016, zu.

Unter dem 28. Juli 2015 (Bl. 7 d. A. mit dem Az. 6 Ca 615/15) kündigte die Beklagte dem Kläger „aus verhaltensbedingten Gründen (Dringender Tatverdacht der Tätlichkeit gegenüber einem Kollegen) hilfsweise ordentlich unter Einhaltung der tarifvertraglichen Kündigungsfrist zum 29. Februar 2016 (§ 33 Abs. 3 MTV-DPAG).“ Gegen diese Kündigung wandte sich der Kläger mit seiner am 3. August 2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage (Az. 6 Ca 615/15), mit der er weiter für den Fall des Obsiegens die Verurteilung der Beklagten zu seiner Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens begehrte.

Der Kläger hat den Zeugen E. wegen Verleumdung angezeigt. In der Folgezeit hat der Zeuge E. mehr als zwei Monate nach dem Vorfall eine Anzeige bei der Polizei wegen Körperverletzung eingereicht.

Ein weiteres Verfahren zwischen den Parteien ist vor dem Arbeitsgericht Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – unter dem Az. 6 Ca 489/15 wegen einer ordentlichen Kündigung der Beklagten wegen Arbeitsverweigerung am 7. März 2015 anhängig ist. Dieses Kündigungsschutzverfahren ist derzeit ausgesetzt.

Der Kläger hat zur außerordentlichen Kündigung vom 2. April 2015 im Wesentlichen vorgetragen, ein wichtiger Grund sei nicht gegeben. Er habe weder die Arbeit verweigert noch liege Beharrlichkeit vor. Er hat weiter die Nichteinhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB gerügt. Das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung hat der Kläger bestritten. Zumindest sei diese Kündigung ohne Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochen worden.

Er sei mit der Anweisung, auf Bezirk 00 zu wechseln, nicht einverstanden gewesen und habe gegenüber Herrn T. verkündet, dass dies eine Mehrarbeit sei, die er wegen seiner Schwerbehinderung nicht ausüben müsse. Er sei letztmals vor 2,5 Jahren im Bezirk 00 eingesetzt worden. Der Bezirk sei seitdem zweimal umgestellt worden. Er habe die Anweisung nicht lautstark und nicht unter Wutausbrüchen abgelehnt. Herr N. sei nicht anwesend gewesen. Der Arbeitnehmer Q. habe ihm den Handscanner und den Schlüssel für das Fahrzeug für den Bezirk 000 herausgegeben. Er habe sodann den Zustellstützpunkt verlassen, um mit der Zeugin V. zu sprechen, deren Telefon besetzt gewesen sei. Nach seiner zeitnahen Rückkehr habe er darauf hingewiesen, dass er sich bei einer Aufteilung nicht beteiligen würde, da dies eine unzumutbare Mehrbelastung für ihn als schwerbehinderten Menschen bedeuten würde. Er habe keine Veranlassung gesehen, mit Herrn P. zu telefonieren, insbesondere da er mit seiner eigentlichen täglichen Tätigkeit bereits in Verzug gewesen sei und er nunmehr seinen Bezirk 000 zum Austragen habe vorbereiten müssen. Zu dem Gespräch mit Herrn P. sei er weder unter Unmutsbekundungen noch zeitverzögert gekommen. Herr P. habe ihn angeschrien, er solle sich hinsetzen. Er sei dieser Aufforderung nachgekommen, habe dann aber Schweißausbrüche, Beklemmtheit sowie Schwindel und eine Panikattacke bekommen. Dies habe etwas mit dem Leiden zu tun, wegen dem er schwerbehindert sei. Er habe sofort den Zustellstützpunkt verlassen, die ärztliche Bereitschaftszentrale in Z-Stadt aufgesucht und sei dort arbeitsunfähig geschrieben worden. Auf der Heimfahrt habe er Herrn P. angerufen und versucht, diesem die Situation zu erklären. Herr P. habe sich ihm gegenüber dahingehend geäußert, dass er das, was Frau M. versucht habe, zu Ende bringen werde. Gemeint gewesen sei die Tatsache, dass Frau M. im Jahr 2004 bereits versucht habe, ihn aus dem Dienst zu entfernen. Er habe genau gewusst, was Herr P. mit dieser Drohung gemeint habe. Es habe keinerlei Gründe gegeben, Herrn Q. den Bezirk 00 zu geben. Die Anweisung der Beklagten könne nur als Schikane angesehen werden. Darüber hinaus sei es üblich, dass bei Arbeitsunfähigkeiten die Aufteilung des Betriebs erfolge. Die Tatsache, dass Herr Q. ihm den Handscanner und den Autoschlüssel frühzeitig zurückgegeben habe, habe bei ihm den Eindruck erwecken können, dass es überhaupt nicht nötig sei, den Bezirk von 000 auf 00 zu wechseln. Daraus habe er schließen können, dass er seine Rechte als schwerbehinderter Mensch habe geltend machen und darauf habe beharren können, seinen ihm zugewiesenen Stammbezirk 000 wie üblich auch am 7. März 2015 zuzustellen.

Er ist der Auffassung, eine Abmahnung wäre dringend notwendig gewesen.

Hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung vom 13. April 2015 hat der Kläger das Fehlen eines wichtigen Grundes und die Nichteinhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB geltend gemacht. Er hat vorgetragen, er habe den Zeugen E. am 6. März 2015 nicht geschlagen. Er habe an diesem Tag seit circa 9.20 Uhr im Hof sein Fahrzeug mit Paketen beladen. Er sei nach Rückführung des Rollies circa gegen 9.45 Uhr vom Hof gefahren.

Am Nachmittag des angeblichen Schlages hätten der Zeuge E., zwei andere Mitarbeiter und er noch zusammen gestanden und geflachst. Der Vorgesetzte Herr P. sei vorbeigekommen. Der angeblich geschlagene Zeuge E. habe diesen nicht angesprochen. Richtig sei vielmehr, dass der Zeuge E. ihn – offensichtlich in Anspielung auf seine, des Klägers, sexuelle Neigungen – mit einer Zeitung auf das Gesäß geschlagen habe. Dies sei am Nachmittag noch Gegenstand des oben genannten Gesprächs der vier Mitarbeiter gewesen. Offensichtlich habe der befristet beschäftigte Zeuge E. die Möglichkeit gesehen, ihn aus dem Betrieb zu drängen, um seine Stelle zu erhalten.

Die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats hat der Kläger mit Nichtwissen bestritten.

Der Kläger hat im Verfahren 6 Ca 615/15 zur ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 28. Juli 2015 ergänzend die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats mit Nichtwissen bestritten. Er hat den Verbrauch der Anhörung aus März 2015 gerügt. Der Kläger hat weiter gerügt, die Kündigung sei ohne rechtswirksame Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochen worden. Der diesbezügliche – für die Beklagte positive Bescheid – sei nicht rechtskräftig. Er war der Ansicht, unter den gegebenen Umständen sei es der Beklagten verwehrt, sich auf die seines Erachtens erleichterten Voraussetzungen der Verdachtskündigung zu berufen. Dies insbesondere, da nach Auffassung der Beklagten klar sei, dass er den Zeugen E. geschlagen habe. Eine Anhörung gegenüber dem Betriebsrat wegen einer Tatkündigung habe es aber gar nicht gegeben. Selbst wenn er sich allerdings aus gesundheitlichen Gründen, die auch Grundlage seiner Schwerbehinderung seien, unter Umständen an den Sachverhalt nicht erinnere (rein fiktiv), sei eine Provokation gegeben gewesen, die der Zeuge E. selbst darstelle, die, wenn überhaupt, einen Schlag zur Folge gehabt habe. Ein Wischer könne auch in einer spontanen Handbewegung erfolgt sein, die dann eventuell den Zeugen E. getroffen haben könnte.

Der Kläger hat bestritten, sich in der Vergangenheit ungebührlich verhalten zu haben.

Der Kläger hat erstinstanzlich im Verfahren 6 Ca 351/15 beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 2. April 2015 beendet wird,

2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Mitarbeiter Mobiler Postservice weiter zu beschäftigen,

3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 13. April 2015 nicht beendet wird,

4. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Mobiler Postservice weiter zu beschäftigen.

Der Kläger hat erstinstanzlich im Verfahren 6 Ca 615/15 beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28. Juli 2015 nicht beendet wird,

2. im Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. und/oder 2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Mobiler Postservice weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich in beiden Verfahren beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat zur außerordentlichen Kündigung vom 2. April 2015 vorgetragen, der Kläger habe am 7. März 2015 die ihm vom den Zustellteamleitern U. T. und L. N. erteilte Anweisung lautstark unter Wutausbrüchen abgelehnt. Nachdem er nach etwa 15 Minuten zum Zustellstützpunkt zurückgekehrt sei, sei er umhergelaufen und habe lauthals verkündet: „Ja, dann müsst ihr wohl aufteilen!“ Gegenüber der Personaldisponentin W. V. habe er außerdem erklärt, dass er für den Fall, dass er den Bezirk wechseln müsse, nach Hause gehe.

Der Kläger habe sich geweigert, mit Herrn P. zu telefonieren. Nur unter Unmutsbekundungen und zeitverzögert sei der Kläger der Anordnung nachgekommen, sich in den Aufenthaltsraum zu begeben, um dort im Beisein des Zustellungsleiters eine Verhandlungsschrift aufzunehmen. Der Kläger habe sodann ohne jegliche Ankündigung den Aufenthaltsraum verlassen und sich aus dem Zustellstützpunkt entfernt. Durch das Verhalten des Klägers sei das Vertrauensverhältnis zerstört. Es habe zu einer unerträglichen Belastung des Arbeitsverhältnisses geführt. Ihr sei daher die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht mehr zumutbar.

Die Beklagte hat zur außerordentlichen Kündigung vom 13. April 2015 vorgetragen, es sei am Freitag, 6. März 2015 gegen 9.30 Uhr zwischen dem Zeugen E. und dem Kläger zu einer verbalen und körperlichen Auseinandersetzung gekommen, in deren Verlauf der Kläger seinen Kollegen tätlich angegriffen habe, indem er ihm eine Ohrfeige verpasst habe. Nach Schilderung des Zeugen E. habe sich dieser an seinem Zustellvorbereitungstisch im Betriebsraum des Zustellstützpunkts Z-Stadt befunden, als plötzlich und unerwartet der Kläger an ihn herangetreten sei und ihn verbal belästigt und beleidigt habe. Der Zeuge E. habe sich verbal gewehrt, indem er dem Kläger eine entsprechende Antwort gegeben habe. Daraufhin sei der Kläger an ihn herangetreten und habe ihm ohne Vorwarnung eine schallende Ohrfeige gegeben. Der Zeuge E. habe sich mit einem leichten Stoß aus dieser Lage befreit. Unter wüsten Beschimpfungen habe der Kläger dann letztlich von dem Zeugen abgelassen unter dem Eindruck, als wäre er von Sinnen.

Es könne schon sein, dass die anderen Beschäftigten die lautstarke verbale Auseinandersetzung und die Ohrfeige nicht mitbekommen hätten, da zu dieser Zeit im Zustellstützpunkt Z-Stadt Umbaumaßnahmen durchgeführt worden seien und dadurch der Geräuschpegel, der allein schon durch die Kommissioniertätigkeit sehr hoch sei, nochmals gesteigert worden sei.

Der Kläger habe sein Fahrzeug an diesem Tag von 9.40 Uhr bis 9.52 Uhr beladen. Eine Gesprächsrunde am Nachmittag habe es nicht gegeben.

Bereits in der Vergangenheit habe der Kläger durch ungebührliches Verhalten den Betriebsfrieden in erheblichem Maß gestört. Aufgrund des zwingenden und begründeten Verdachts der Tätlichkeit gegenüber einem Arbeitskollegen sei das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen nachhaltig zerstört und habe zu einer unerträglichen Belastung des Arbeitsverhältnisses geführt. Sie könne es aus fürsorgerischen Gründen und zur Wahrung des Betriebsfriedens den Kollegen des Klägers nicht zumuten, weiterhin mit diesem zusammenzuarbeiten. Auch hätten die diversen Gespräche, die von Herrn P. geführt worden seien, gezeigt, dass der Kläger sein Lügenkonstrukt aufrecht erhalte und die Kollegen unberechtigt beschuldige.

Die Beklagte war erstinstanzlich im Verfahren 6 Ca 615/15 der Ansicht, der tätliche Angriff des Klägers auf einen Arbeitskollegen sei eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten und rechtfertige eine ordentliche Kündigung. Sie sei nicht nur allen Arbeitnehmern verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass sie keinen Tätlichkeiten ausgesetzt seien, sondern habe auch ein eigenes Interesse daran, dass die betriebliche Zusammenarbeit nicht durch die tätlichen Auseinandersetzungen beeinträchtigt werde und nicht durch Verletzungen Arbeitskräfte ausfielen. Sie dürfe auch berücksichtigen, wie es sich auf das Verhalten der übrigen Arbeitnehmer auswirke, wenn sie von einer Kündigung absehe. Sie sehe keinen Grund, an den Aussagen des Mitarbeiters E. zu zweifeln. Aufgrund des zwingenden und begründeten Verdachts der Tätlichkeit gegenüber einem Arbeitskollegen sei das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen nachhaltig zerstört und habe zu einer unerträglichen Belastung des Arbeitsverhältnisses geführt. Ihr sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar. Auch eine wegen psychischer Erkrankung bestehende Schwerbehinderung stelle keinen Freifahrschein für jedwedes unangemessene Verhalten dar.

Das Arbeitsgericht Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – hat im Verfahren mit dem Az. 6 Ca 351/15 durch Urteil vom 13. August 2015 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch eine hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 2. April 2015 noch durch die außerordentliche Kündigung vom 13. April 2015 aufgelöst worden ist. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Verfahren mit dem Aktenzeichen 6 Ca 351/15 – zusammengefasst – ausgeführt, die Klage sei, soweit sie gegen eine jeweils fristlose Kündigung gerichtet sei, unbegründet. Soweit der Kläger sich gegen eine hilfsweise ordentliche Kündigung vom 2. April 2015 wende, sei die Kündigungsschutzklage unzulässig, da keine ordentliche Kündigung ausgesprochen worden sei und es dem Antrag an einem Substrat fehle. Die Weiterbeschäftigungsanträge seien im Ergebnis letztlich unbegründet.

Hinsichtlich der außerordentlichen Kündigungen fehle es an den gesetzlichen Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB. Hinsichtlich der Kündigung vom 2. April 2015 sei der Kläger verpflichtet gewesen, der Anweisung, den Zustellbezirk 00 zu bedienen zu folgen. Allerdings sei im Rahmen der Abwägung auf der zweiten Stufe zu berücksichtigen, dass der Kläger immerhin seit 1990 im Dienst der Beklagten sei und diese keinerlei Umstände vorgetragen habe, dass der Kläger in der Vergangenheit in Bezug auf arbeitsverweigernde Handlungen in irgendeiner Form auffällig gewesen sei. Auch sei zu berücksichtigen, dass im Rahmen der Stellungnahme durch das Integrationsamt belegt sei, dass das Auftreten des Klägers krankheitsbedingt zumindest mitverursacht sei, da dies die Grundlage für seine anerkannte Schwerbehinderung bilde. Schließlich habe die Beklagte nichts dazu vorgetragen, dass man dem Kläger in eindeutiger Weise vor Augen geführt hätte, dass er dem Grunde nach verpflichtet gewesen sei, die Arbeitsleistung im Zustellbezirk 00 zu erbringen, sowie dass er im Fall einer weiteren Verweigerung beharrliche Arbeitsverweigerung begehe und insoweit mit einer Kündigung zu rechnen habe.

Was die Kündigung vom 13. April 2015 angehe, seien Tätlichkeiten gegenüber einem Arbeitskollegen grundsätzlich Umstände, die auch ein ruhig und verständig urteilender Arbeitgeber zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung nehmen würde. Zwischen den Parteien sei allerdings hoch streitig, dass und in welchem Umfang es überhaupt zu Tätlichkeiten gekommen sei. Ungeachtet dieser rein tatsächlichen Probleme scheitere die außerordentliche Kündigung aber auch in diesem Fall im Rahmen der Interessenabwägung.

Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Bad Kreuznach (Bl. 96 ff. d. A.) Bezug genommen.

Im Verfahren mit dem Aktenzeichen 6 Ca 615/15 hat das Arbeitsgericht Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – durch Urteil vom 10. Dezember 2015 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28. Juli 2015 nicht aufgelöst wird. Es hat die Beklagte weiter verurteilt, den Kläger bis zum Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten vertraglichen Bedingungen als Mobiler Postservice weiter zu beschäftigen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Urteil vom 10. Dezember 2015 – zusammengefasst – ausgeführt, die streitgegenständliche Kündigung habe das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht wie gekündigt beendet. Vorliegend behaupte die Beklagte, der Kläger habe dem Mitarbeiter E. am 6. März 2015 eine Ohrfeige verpasst. Die Stärke dieser Ohrfeige werde in der – unstreitigen – polizeilichen Zeugenaussage des Mitarbeiters E. und der eigenen Verhandlungsschrift der Beklagten vom 13. März 2015 unterschiedlich dargestellt. Während in der Verhandlungsschrift von einer schallenden Ohrfeige die Rede sei, handele es sich bei der Polizeivernehmung mehr um ein sogenanntes „Wischen“. Die Beklagte habe nichts dazu vorgetragen, dass der Kläger im Vorfeld durch körperliche Attacken gegenüber Arbeitskollegen aufgefallen sei. Ferner habe sie nichts Konkretes dazu vorgetragen, dass der Kläger diesbezüglich in irgendeiner Form abgemahnt worden sei. Grundsätzlich sei vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Arbeitgeberkündigung allerdings der Ausspruch einer Abmahnung notwendig. Eine derartige Abmahnung sei dann entbehrlich, wenn der Arbeitnehmer unter Anspannung seiner geistigen Kräfte erkennen müsse, dass der Arbeitgeber ein Verhalten wie das von dem Arbeitnehmer an den Tag gelegte keinesfalls lediglich mit einer Abmahnung sanktionieren werde, sondern dass sein Verhalten so gravierende Züge trage, dass er sofort mit einer Kündigung zu rechnen habe. Grundsätzlich müsse ein Arbeitnehmer, der einen anderen Arbeitnehmer körperlich attackiere, damit rechnen, dass er den Bestand seines Arbeitsverhältnisses unmittelbar gefährde. Dies sei allerdings nach Auffassung der Kammer nicht einschränkungslos der Fall. Vielmehr komme es auf die konkreten Umstände an. Unter Berücksichtigung der Wertungen des Strafrechts – der aktuell Beleidigte dürfe, ohne strafrechtlich sanktioniert zu werden, Beleidigungen unmittelbar mit Körperverletzungen beantworten – komme es darüber hinaus darauf an, wie gravierend und intensiv die Körperverletzung sich konkret darstelle. Vorliegend sei insoweit zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass der geohrfeigte Mitarbeiter E. selbst nach eigener Darstellung eine verbale Antwort gegeben habe, deren näherer Inhalt von diesem weder vor der Polizei noch vor dem Arbeitgeber näher dargestellt werde. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass die Reaktion des Klägers ausweislich der Aussage des Mitarbeiters E. vor der Polizei zwar in einer körperlichen Attacke bestanden habe, dieser allerdings keinen festen Schlag, sondern lediglich ein sogenanntes „Wischen“ angeführt habe. Hinzu komme im vorliegenden Fall, dass der Kläger psychische Schäden aufweise, die seine Steuerungsfähigkeit einschränkten. Insgesamt habe daher nicht zugunsten der Beklagten auf eine Abmahnung verzichtet werden können. Im fortbestehenden Arbeitsverhältnis habe der Kläger Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu den Bedingungen seines Arbeitsvertrages.

Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründungen wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach (Bl. 86 ff. d. A. mit dem Az. 7 Sa 48/16) Bezug genommen.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – Az. 6 Ca 351/15 – vom 13. August 2015 ist der Beklagten am 28. August 2015 zugestellt worden ist. Die Beklagte hat hiergegen mit einem am 23. September 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag unter dem Az. 7 Sa 424/15 Berufung eingelegt und diese mit – innerhalb der durch Beschluss vom 23. Oktober 2015 bis einschließlich 30. November 2015 verlängerten Berufungsbegründungsfrist – am 30. November 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag begründet. Die Formalien der Berufung werden geprüft und für in Ordnung befunden.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – Az. 6 Ca 615/15 – vom 10. Dezember 2015 der Beklagten am 11. Januar 2016 zugestellt worden. Die Beklagte hat hiergegen mit einem am 4. Februar 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag unter dem Az. 7 Sa 48/16 Berufung eingelegt und diese mit – innerhalb der durch Beschluss vom 2. März 2016 bis einschließlich 11. April 2016 verlängerten Berufungsbegründungsfrist – am 11. April 2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag begründet.

Das Landesarbeitsgericht hat die Verfahren 7 Sa 424/15 und 7 Sa 48/16 durch Beschluss vom 1. Juni 2016 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Zur Begründung der Berufung macht die Beklagte nach Maßgabe der Schriftsätze vom 30. November 2015 und 19. Mai 2016 sowie der Schriftsätze vom 11. April 2016 und vom 25. Mai 2016 im Verfahren mit dem Az. 7 Sa 48/16, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 125 ff., 168 f. d. A. sowie Bl. 116 ff. und 146 ff. d. A. mit dem Az. 7 Sa 48/16), zusammengefasst geltend,

ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung vom 2. April 2015 sei gegeben, da der Kläger sich geweigert habe, der ihm von vier verschiedenen Vorgesetzten gegebenen Dienstanweisung Folge zu leisten. „Ausweichbezirk“ sei ein den Mitarbeitern zugeordneter zweiter Bezirk. Die Zustellung in Bezirk 00 könne dem Kläger aufgrund § 8 Abs. 1 der BV im Vertretungsfall (Krankheit, Urlaub, sonstige Verhinderung des Stammzustellers) – wie anderen Beschäftigten im Mobilen Postservice auch – von seinem Vorgesetzten jederzeit und ohne Vorankündigung zugewiesen werden. Sie ist der Ansicht, die vom Kläger herangezogene Schwerbehinderung ändere nichts daran, dass dieser verpflichtet sei, den billigen Ermessen entsprechenden Dienstanweisungen seiner Vorgesetzten Folge zu leisten. Im Übrigen trage der Kläger das Risiko, dass sich seine gegenteilige Rechtsauffassung als falsch herausstelle. Sie trägt vor, der letzte vorangegangene Einsatz des Klägers auf dem Ausweichbezirk sei am 20. August 2014 erfolgt. Der Kläger kenne in dieser Rollierungsgruppe alle Bezirke, auch den Bezirk 00, da er dort als Springer eingesetzt gewesen sei. Die Bezirke würden einmal im Jahr neu bemessen. Dabei gebe es jedoch meist nur geringfügige Änderungen. Das sei im Fall des Klägers jedoch unerheblich, da er Springer in diesem Verband gewesen sei und somit alle Teilbereiche, die eine Veränderung erfahren könnten, bereits bestens kenne.

Der Zeuge Q. habe um 9.45 Uhr, als der Zeuge P. den Kläger habe am Telefon sprechen wollen, noch nachweislich auf dem Hof Pakete geladen. Alle Gespräche mit dem Kläger hätten vor dieser Uhrzeit stattgefunden. Der Wechsel des Bezirks wäre dem Kläger also – von der zeitlichen Komponente her – in jedem Fall möglich gewesen.

Herr P. habe den Kläger, als dieser erschienen sei, nicht angeschrien und dem Kläger nicht gedroht, er werde ihn aus dem Dienst entfernen.

Das Arbeitsverhältnis bestehe nicht seit Anbeginn störungsfrei. Zum Zustellstützpunkt X-Stadt sei der Kläger wegen Störungen des Betriebsfriedens versetzt gewesen. Sie nehme in diesem Zusammenhang auch Bezug auf die gutachterliche Stellungnahme von Frau Dr. K., leitende Amtsärztin des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung, die Bedenken äußere, dass auf Grund des behindertengerechten Fehlverhaltens des Klägers, insbesondere in Gestalt von Wutausbrüchen und Aggressionen, eine Weiterbeschäftigung für den Arbeitgeber unzumutbar sei. Diese Stellungnahme sei im Bescheid des Integrationsamtes vom 31. März 2015 auf Seite 6 vermerkt. Das Abwarten der ordentlichen Kündigungsfrist sei ihr nicht zuzumuten gewesen.

Die der außerordentlichen Kündigung vom 13. April 2015 zugrunde liegende Auseinandersetzung sei nicht dadurch ausgelöst worden, dass der Zeuge E. dem Kläger mit einer Zeitung einen Klaps auf den Po gegeben habe. Diesen Vorfall habe es nicht gegeben. Der Kläger habe den Zeugen E. am Morgen des 6. März 2015 gegen 9.30 Uhr verbal belästigt und beleidigt. Der Kläger sei dann näher an den Zeugen E. herangetreten und habe diesem ohne Vorwarnung eine schallende Ohrfeige gegeben. Der Zeuge E. habe es mit der Angst zu tun bekommen, da der Kläger auf ihn gewirkt habe, als sei er wie von Sinnen. Unter wüsten verbalen Beschimpfungen habe der Kläger dann von dem Zeugen E. abgelassen. Frau Dr. K. gehe aus sozialmedizinischer Sicht davon aus, dass der Kläger sein behinderungsbedingtes Verhalten – unkontrollierte Wutausbrüche und Aggressionen – auch künftig fortsetzen werde und es nicht wahrscheinlich sei, dass der Kläger sein (nicht steuerbares) Verhalten bessern werde, was es für sie unzumutbar mache, ihn weiter zu beschäftigen.

Herr J. P. sei am 6. März 2015 nicht im Zustellstützpunkt Z-Stadt anwesend gewesen.

Zumindest die streitgegenständliche ordentliche Kündigung vom 28. Juli 2015 habe das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien habe auch in der Vergangenheit nicht störungsfrei bestanden, sondern es habe massive Probleme mit dem Verhalten des Klägers gegenüber seinen Kolleginnen und Kollegen gegeben. In einem Gespräch mit dem Integrationsamt sei dem Kläger am 20. März 2012 erklärt worden, dass die Kollegen des ZSP I. im zwischenmenschlichen Bereich Probleme mit ihm hätten (vgl. Vermerk zu einem Gespräch mit dem Integrationsamt am 20. März 2012, B. 159 f. d. A. mit dem Az. 7 Sa 48/16). Die zwischenmenschlichen Probleme dadurch bedingt gewesen, dass der Kläger gemeint habe, ausgerechnet jeden 2. Freitag im Monat ab 11.00 Uhr durch Dienstabwesenheit zwecks Wahrnehmung von Therapie-terminen glänzen zu müssen, obgleich freitags das Postaufkommen sehr hoch sei und die Kollegen dies für ihn hätten miterledigen müssen. Zum 4. Februar 2012 sei er daher zum ZSP H. versetzt worden. Ihm sei anlässlich dieses Gesprächs mitgeteilt worden, dass sie diesen Wechsel als letzte Chance für einen Neuanfang sehe. Am 16. März 2013 habe dann die komplette Mannschaft des Zustellstützpunkts H. in einem Fax an den Zustellstützpunktleiter … (Bl. 161 d. A. mit dem Az. 7 Sa 48/16) gebeten, in Zukunft von einem Einsatz des Klägers im Zustellstützpunkt H. – wegen dauernder Erkrankungen und der damit verbundenen Mehrarbeit für die Kolleginnen und Kollegen – abzusehen. Weitere Umsetzungen des Klägers seien aufgrund der gleichen Probleme vor Ort erfolgt.

Am 15. Dezember 2014 sei der Kläger wegen Qualitätsmängeln ermahnt (Bl. 162 f. d. A. mit dem Az. 7 Sa 48/16), am 18. Januar 2016 wegen Qualitätsmängeln abgemahnt worden (Bl. 164 f. d. A. mit dem Az. 7 Sa 48/16).

Eine Abmahnung sei als Voraussetzung einer verhaltensbedingten Kündigung im Übrigen nur dann erfolgversprechend, wenn es sich um ein steuerbares Verhalten handele. Das sei vorliegend jedoch gerade nicht gegeben, das heißt der Kläger sei nicht in der Lage, sein Verhalten zu steuern. Er neige infolge seiner Behinderung zu Wutausbrüchen und Aggressionen und sei nach Maßgabe der Fest-stellungen der leitenden Amtsärztin Frau Dr. K. von vorneherein nicht in der Lage, seine Affekte zu regulieren. Die streitbefangene Kündigung bewege sich damit im Bereich zwischen verhaltens- und personenbedingt mit starker Tendenz zu personenbedingt. Die personenbedingte Kündigung erfordere keine Abmahnung. Sie habe jede mögliche zumutbare und geeignete Maßnahme ergriffen, die im Rahmen der betrieblichen Interessen die Kündigung vermeiden helfe, indem sie den Kläger in der Vergangenheit wegen diverser Vorfälle zum Zustellstützpunkt X-Stadt versetzt habe. Der Kläger habe sich dies jedoch nicht zur Warnung gereichen lassen und, beispielsweise, ein Anti-Aggressionstraining oder eine Psychotherapie zwecks Vermeidung grenzüberschreitenden und sozial inadäquaten Verhaltens am Arbeitsplatz durchgeführt. In der konkreten Situation am Morgen des 6. März 2015 wäre es dem Kläger unbenommen geblieben, sich an seinen Vorgesetzten zu wenden und diesen um Deeskalation zu bitten. Jedenfalls könne er nicht im Wege des Faustrechts vorgehen.

Eine angeblich schwierige private Situation und ständige Nachfragen am Arbeitsplatz seit Bekanntwerden seiner Homosexualität seien keine Entschuldigungsgründe für sozial inadäquates Verhalten am Arbeitsplatz.

Die betriebliche Beeinträchtigung sei von ihr aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalles billigerweise nicht mehr hinzunehmen. Die negative Zukunftsprognose sei durch die Angaben von Frau Dr. K. indiziert.

Die Beklagte beantragt,

1. unter Abänderung des am 13. August 2015 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – Az. 6 Ca 351/15, die Klage abzuweisen;

2. unter Abänderung des am 10. Dezember 2015 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – Az. 6 Ca 615/15, die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufungen zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil vom 13. August 2015 nach Maß-gabe seines Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 4. Februar 2016 sowie das Urteil vom 10. Dezember 2015 nach Maßgabe seines Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 19. Mai 2016, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 162 ff. d. A. sowie Bl. 144 d. A. mit dem Az. 7 Sa 48/16), als rechtlich zutreffend.

Die vorliegende Nichtumsetzung der Arbeitsanweisung genüge nicht, um die außerordentliche Kündigung vom 2. April 2015 zu begründen. Zu dem Zeitpunkt, als Herr T. ihm mitgeteilt habe, dass Herr P. ihn am Telefon gern sprechen möchte, sei R. Q. bereits mit der Post, dem Fahrzeug und dem auf den Zustellbezirk eingestellten Handscanner unterwegs gewesen. Er habe sich auch nicht geweigert, mit Herrn P. zu telefonieren, sondern lediglich mitgeteilt, dass er bereits spät dran sei und von unterwegs zurückrufe. Dazu sei es nicht gekommen, da dann Herr P. erschienen sei. Er habe das stattfindende Gespräch mit Herrn P. „wie im Tunnel“ erlebt. Er sei in einen Raum zitiert worden und habe Herrn P. gegenüber gesessen, nachdem dieser ihn lautstark aufgefordert habe sich zu setzen. Links neben ihm sei Herr T. gewesen, direkt hinter ihm habe sich Herr G. positioniert. In seinem Rücken habe sich auch die Tür befunden. Er habe das Gespräch inhaltlich nicht vollumfänglich erfassen können. In unmittelbarem Anschluss daran habe er sich arbeitsunfähig gemeldet und sei von einem Freund abgeholt worden. Er sei nicht mehr fahrtüchtig gewesen. Der Freund habe ihn in einem fast apathischen Zustand erlebt und ihn unverzüglich zum behandelnden Arzt gefahren, der eine Arbeitsunfähigkeit festgestellt habe.

Die Interessenabwägung sei zu seinen Gunsten durchzuführen. Es komme hinzu, dass er in der streitgegenständlichen Situation neben der bekannten Schwerbehinderung und den daraus resultierenden gesundheitlichen Einschränkungen emotional angespannt gewesen sei. Dies vor dem Hintergrund seiner seinerzeit laufenden Scheidung und dem Tod seiner Mutter, der er sehr nahegestanden habe, drei Wochen vor dem hier streitgegenständlichen Vorfall.

Hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung vom 13. April 2015 bestreite er weiter, dass er den Zeugen E. am Morgen des 6. März 2015 gegen 9.30 Uhr verbal belästigt und beleidigt habe und es zu einer verbalen und körperlichen Auseinandersetzung gekommen sei.

Er bestreitet, dass seine Kollegen des Zustellstützpunkts I. Probleme im zwischenmenschlichen Bereich mit ihm gehabt hätten. Ebenso bestreitet er, dass die komplette Mannschaft des Zustellstützpunkts H. mit einem Fax gebeten habe von seinem Einsatz wegen dauernder Erkrankung abzusehen. Weiterhin bestreitet er, dass er wegen Störung des Betriebsfriedens zum Zustellstützpunkt X-Stadt versetzt worden sei.

Die Stellungnahme von Frau Dr. K., die diese aufgrund einer Aktenlage abgegeben habe, sei von der Beklagten unzureichend wiedergegeben worden. Es erschließe sich nicht, warum er nicht zu einem steuerbaren Verhalten in der Lage sein solle. Die Arbeitsleistung sei für ihn weiterhin erbringbar.

Das Landesarbeitsgericht hat aufgrund des Beweisbeschlusses vom 1. Juni 2016 Beweis erhoben über die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe den Zeugen E. am Freitag, 6. März 2015 gegen 9.30 Uhr im Rahmen einer verbalen und körperlichen Auseinandersetzung tätlich angegriffen, indem er ihm eine schallende Ohrfeige verpasst habe, durch Vernehmung des Zeugen E.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Bl. 5 ff. des Protokolls der Sitzung vom 1. Juni 2016 (Bl. 176 ff. d. A.) Bezug genommen.

Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der Sitzung vom 1. Juni 2016 (Bl. 172 ff. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaften Berufungen der Beklagten sind gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweisen sich auch sonst als zulässig.

B.

In der Sache hatten die Berufungen der Beklagten jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 2. April 2015 wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung des Klägers noch durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 13. April 2015 noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 28. Juli 2015 aufgelöst worden. Im Hinblick auf die Unwirksamkeit dieser Kündigungen hat der Kläger auch einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung als Mobiler Postservice bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Kündigungsschutzverfahrens. Im Einzelnen:

I.

Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 2. April 2015 wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung aufgelöst worden.

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteil vom 16. Juli 2015 – 2 AZR 85/15 -, juris, Rz. 21 m. w. N.).

2. Eine nachhaltige rechtswidrige und schulhafte Arbeitsverweigerung ist an sich als wichtiger Grund geeignet (BAG, Urteil vom 5. April 2001 – 2 AZR 580/99 – NZA 2001, 893). Auf Grund seines Weisungsrechts kann der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer einseitig bestimmte Arbeiten unter Beachtung billigen Ermessens im Sinn von § 315 Abs. 3 BGB zuweisen, soweit das Weisungsrecht nicht durch Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Einzelarbeitsvertrag eingeschränkt ist. Weigert der Arbeitnehmer sich, die ihm im Rahmen einer rechtmäßigen Ausübung des Weisungsrechts zugewiesene Tätigkeit auszuführen, so kann dies im Fall der so genannten beharrlichen Arbeitsverweigerung den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigen. Danach setzt die beharrliche Arbeitsverweigerung in der Person des Arbeitnehmers Nachhaltigkeit im Willen voraus; der Arbeitnehmer muss die ihm übertragene Arbeit bewusst und nachhaltig nicht leisten wollen, wobei es nicht genügt, dass er eine Weisung des Arbeitgebers nicht befolgt, vielmehr muss eine intensive Weigerung vorliegen. Das Moment der Beharrlichkeit kann allerdings auch schon darin zu sehen sein, dass der Arbeitnehmer in einem einmaligen Fall eine Anweisung nicht befolgt; das muss dann aber zum Beispiel durch eine vorhergehende erfolglose Abmahnung verdeutlicht werden (BAG, Urteil vom 5. April 2001 – 2 AZR 580/99 – NZA 2001, 893).

Unstreitig lehnte Kläger jedenfalls die Anweisung des Zustellbeamten U. T. ab, auf seinen Ausweichbezirk (Bezirk 00) zu wechseln. Streitig ist zwischen den Parteien, ob die Anweisung zusätzlich auch von Herrn N. erteilt wurde. Der Kläger verließ stattdessen den Zustellstützpunkt und kehrte nach etwa 15 Minuten zurück. Er weigerte sich unstreitig auch gegenüber der Personaldisponentin V., dieser Anweisung Folge zu leisten. Frau V. wies daraufhin den Kläger an, bis zur Klärung des Sachverhalts erst einmal auf Bezirk 000 abzuwarten. Der Kläger telefonierte auch nicht mit seinem Vorgesetzten P., der versuchte ihn fernmündlich zu erreichen. Er kam damit unstreitig Arbeitsanweisungen von mehreren ihm vorgesetzten und fachlich sowie personell weisungsbefugten Mitarbeitern der Beklagten am 7. März 2015 nicht nach.

Die Arbeitsanweisungen wurden dem Kläger auch unter Beachtung billigen Ermessens (§ 315 BGB) erteilt. Das Weisungsrecht der Beklagten war ebenfalls nicht durch Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Einzelvertrag eingeschränkt.

Das Direktionsrecht erlaubt es dem Arbeitgeber, die Einzelheiten der zu er-bringenden Arbeitsleistungen zu bestimmen, soweit diese nicht anderweitig geregelt sind. Sein Umfang bestimmt sich vor allem nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages. Es kann einzelvertraglich oder auch durch tarifliche Regelung innerhalb bestimmter Grenzen erweitert werden, soweit nicht zwingendes Recht entgegensteht (BAG, Urteil vom 19. April 2007 – 2 AZR 78/06 – BeckRS 2009, 73620, Rz. 23).

In Ausübung des ihm zustehenden Direktionsrechts war die Beklagte grundsätzlich berechtigt, den Kläger anzuweisen, seine Arbeitsleistung am 7. März 2015 in seinem Ersatzzustellbezirk 00 zu erbringen.

Nicht ersichtlich ist, dass die Weisung gegen ein Gesetz verstoßen hätte. Insbesondere ein Verstoß gegen die Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes oder zum Schutz von schwerbehinderten Menschen ist nicht ersichtlich. Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich nicht, dass es sich bei der Bearbeitung des Zustellbezirks 00 um Mehrarbeit gehandelt hätte, von der schwerbehinderte Menschen auf ihr Verlangen freizustellen sind (§ 124 SGB IX). Der Kläger sollte den Zustellbezirk 00 nicht zusätzlich zu seinem Bezirk 000 ausfahren, sondern an seiner Stelle. Mehrarbeit im Sinn des § 124 SGB IX ist die über die normale gesetzliche Arbeitszeit (§ 3 S. 1 ArbZG) hinaus geleistete Arbeit, nicht aber die über die individuelle Arbeitszeit des schwerbehinderten Menschen hinausgehende tägliche Arbeitszeit (vgl. BAG, Urteil vom 8. November 1989 – 5 AZR 642/88 – NZA 1990, 309, 310). Inwiefern die Bearbeitung des Zustellbezirks 00 mehr Zeit und sogar über die gesetzlich zulässigen Zeiten hinaus in Anspruch nehmen würde, hat der Kläger nicht dargelegt. Auch ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers nicht, woraus konkret sich eine unzumutbare Mehrbelastung für ihn als schwerbehinderten Menschen ergeben haben soll.

Die Weisung, den Bezirk 00 zu übernehmen, verstieß auch nicht gegen die BV Arbeitszeit. In deren § 8 Abs. 1 heißt es wörtlich: „Zur Sicherstellung einer hohen Qualität in der Zustellung werden Bezirke mit Stammzustellkräften besetzt. Im Zuge der Flexibilität und zur Gewährleistung der täglichen Zustellung kann es erforderlich werden, dass eine Stammzustellkraft auf einem bestimmten, festgelegten Bezirk außerhalb seines Stammzustellbezirks eingesetzt wird.“ Die BV Arbeitszeit sieht damit gerade die Möglichkeit des Einsatzes eines Zustellers auf einem anderen als seinem Stammbezirk vor.

Aus der Rückgabe der Arbeitsmaterialien durch den Kollegen Q. an ihn konnte der Kläger auch nicht schließen, dass er nunmehr selbst für seinen Bezirk 000 eingeteilt sei. S. R. Q. war dem Kläger gegenüber unstreitig nicht weisungsbefugt. Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass der Kollege ihm gegenüber in irgendeiner Form kundgetan hätte, dass er zur Rückgabe der Arbeitsmaterialien an den Kläger von einem Vorgesetzten veranlasst worden war.

Die Arbeitsverweigerung seitens des Klägers war auch „beharrlich“. Die beharrliche Arbeitsverweigerung setzt in der Person des Arbeitnehmers Nachhaltigkeit im Willen voraus. Der Arbeitnehmer muss die ihm übertragene Arbeit bewusst und nachhaltig nicht leisten wollen, wobei es nicht genügt, dass er eine Weisung des Arbeitgebers nicht befolgt, vielmehr muss eine intensive Weigerung vorliegen (BAG, Urteil vom 5. April 2001 – 2 AZR 580/99 – NZA 2001, 893, 895). Ob er zur Arbeitsleistung verpflichtet war, entscheidet sich nach der objektiven Rechtslage. Verweigert der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist (BAG, Urteil vom 22. Oktober 2015 – 2 AZR 569/14 – NZA 2016, 417, 419, Rz. 22 m. w. N.).

Im vorliegenden Fall handelt es sich zwar um zusammenhängenden Vorgang an einem einzigen Tag. Im Zuge dieses Vorgangs wurde die inhaltsgleiche Anweisung jedoch durch mehrere Vorgesetzte ausgesprochen, nämlich zunächst zumindest durch Herrn T. und dann durch die Personaldisponentin V.. Anschließend telefonierte der Kläger nicht mit seinem Vorgesetzten P.. Das folgende Gespräch mit Herrn P. verließ er. Auch wenn der Kläger das Gespräch mit Herrn P. und die Arbeitsstätte – wie von ihm vorgetragen – aufgrund auftretender gesundheitlicher Probleme verlassen haben sollte, hat er unstreitig bereits zuvor seine Arbeitsleistung mehrfach gegenüber verschiedenen Vorgesetzten und trotz zeitlicher Unterbrechungen verweigert.

Der Kläger war auch nicht berechtigt, die Arbeitsleistung zu verweigern, weil es ihm gemäß § 275 Abs. 3 BGB unzumutbar gewesen wäre sie zu erbringen. Eine beharrliche Arbeitsverweigerung, die geeignet ist, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen, kann auch darin liegen, dass der Arbeitnehmer sich zu Unrecht auf ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB beruft. Nach § 275 Abs. 3 BGB kann der Schuldner die Leistung verweigern, wenn er sie persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des ihr entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann. Dem Schuldner kann die Erfüllung der von ihm persönlich zu er-bringenden Leistung unzumutbar sein, wenn er dadurch Gefahr läuft, in bedeutsamen Rechtsgütern verletzt zu werden (BAG, Urteil vom 22. Oktober 2015 – 2 AZR 569/14 – NZA 2016, 417, 419, Rz. 26 m. w. N.).

Im vorliegenden Fall war es dem Kläger nicht unzumutbar, seine Zustelltätigkeit im Bezirk 00 zu erbringen. Wie dargelegt, verstieß die Weisung seiner Vorgesetzten nicht gegen Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder den Arbeitsvertrag des Klägers. Der Kläger hat auch keine sonstigen erheblichen Gründe dargelegt, wieso es ihm unzumutbar gewesen sein soll, den Bezirk 00 zu bearbeiten. Die Beklagte hat durch die Zuweisung dieses Bezirks für einen Arbeitstag auch nicht ihre arbeitsvertraglichen Pflichten zur Rücksichtnahme verletzt. Zwar handelte es sich nicht um den Stammbezirk des Klägers, aus seiner früheren Tätigkeit als Springer war ihm der Bezirk jedoch zumindest in den Grundzügen bekannt. Besondere, in diesem Bezirk auftretende Erschwernisse hat der Kläger nicht vorgetragen. Die Beklagte musste auch nicht den Kollegen Q. statt des Klägers auf dem Bezirk 00 einsetzen. Ein Anspruch des Klägers dahingehend, nur in seinem Stammbezirk eingesetzt zu werden, besteht nicht. Die Planung des Personaleinsatzes und die Entscheidung darüber, welcher Mitarbeiter in welchem Bezirk eingesetzt werden soll, obliegt im Rahmen der durch Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung und einzelvertraglichen Vereinbarungen vorgegebenen Grenzen und entsprechend billigem Ermessen der Beklagten und nicht dem Kläger. Schließlich war die Beklagte nicht verpflichtet, den Bezirk 00 aufzuteilen, was zu einer zeitlichen Mehrbelastung aller betroffenen Kollegen geführt hätte.

Der Kläger befand sich auch nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum. Der Schuldner trägt das Risiko eines Rechtsirrtums grundsätzlich selbst. Es kann nicht dem Gläubiger überbürdet werden. Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt dabei nur dann vor, wenn der Schuldner seinen Irrtum auch unter Anwendung der zu beachtenden Sorgfalt nicht erkennen konnte. Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen. Es reicht nicht aus, dass er sich für seine eigene Rechtsauffassung auf eine eigene Prüfung und fachkundige Beratung stützen kann. Ein Unterliegen in einem möglichen Rechtsstreit muss zwar nicht undenkbar sein. Gleichwohl liegt ein entschuldbarer Rechtsirrtum nur dann vor, wenn der Schuldner damit nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht zu rechnen brauchte; ein normales Prozessrisiko entlastet ihn nicht (BAG, Urteil vom 22. Oktober 2015 – 2 AZR 569/14 – NZA 2016, 417, 420 f., Rz. 43 m. w. N.). Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass er sich vor seiner Arbeitsverweigerung hat fachkundig beraten lassen. Von einem entschuldbaren, unvermeidbaren Rechtsirrtum kann daher keine Rede sein.

3. Die fristlose Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten des Klägers hätte nach Auffassung der Kammer eine Abmahnung ausgereicht.

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeit-nehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen – zu erreichen (ständige Rechtsprechung, BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227, 1231 Rz. 34 m. w. N.).

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeit-nehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen regelmäßig eine Abmahnung voraus. Die Abmahnung dient der Objektivierung der negativen Prognose. Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen. Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227, 1231 Rz. 37 m. w. N.).

Zugunsten des Klägers sind die lange Dauer seines Arbeitsverhältnisses, seine Unterhaltspflicht, erlittene Arbeitsunfälle und das hierauf zurückzuführende psychische Leiden mit der MdE von 20 zu berücksichtigen. Demgegenüber ist zu berücksichtigen, dass der Kläger zwar gegenüber mehreren Vorgesetzten seine Arbeitsleistung verweigert hat. Es handelte sich jedoch um einen Vorgang an einem Vormittag. Der Kläger hat die Erbringung seiner Arbeitsleistung auch nicht völlig verweigert, sondern wollte nur nicht in dem Zustellbezirk 00 eingesetzt werden, da er sich – als schwerbehinderter Mensch – nur zur Arbeit in seinem Stammbezirk verpflichtet fühlte. Mit der Möglichkeit des Ausspruchs einer Abmahnung stand der Beklagten ein milderes Mittel zur Verfügung.

Auch wenn der Kläger nacheinander von mehreren Vorgesetzten zur Erbringung seiner Arbeitsleistung aufgefordert worden ist, hat keiner dieser Vorgesetzten den Kläger darauf hingewiesen, dass er für den Fall, dass er dieser dienstlichen Weisung nicht nachkommt, mit kündigungsrechtlichen Konsequenzen rechnen muss. Eine Abmahnung wurde gegenüber dem Kläger in diesem Zusammenhang mithin nicht ausgesprochen. Aus dem Vortrag der Beklagten lässt sich auch nicht entnehmen, dass seine Vorgesetzten den Kläger darauf hingewiesen haben, dass er sich in einem Irrtum befindet, wenn er davon ausgeht, dass er als schwerbehinderter Mensch nicht zur Arbeit in einem anderen als in seinem Stammbezirk verpflichtet ist.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist nach Auffassung der Kammer der Ausspruch einer Abmahnung auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger sein Verhalten nicht steuern könnte. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus der im Bescheid des Integrationsamtes vom 31. März 2015 auszugsweise wiedergegebenen Äußerung der Frau Dr. K.. Diese hat nach dem Auszug Bedenken geäußert, dass auf Grund des behindertengerechten Fehlverhaltens des Klägers, insbesondere in Gestalt von Wutausbrüchen und Aggressionen, seine Weiterbeschäftigung für den Arbeitgeber unzumutbar sei. Die außerordentliche Kündigung vom 2. April 2015 wurde von der Beklagten jedoch nicht wegen Wutausbrüchen und Aggressionen, sondern wegen Arbeitsverweigerung ausgesprochen. Aus den nur auszugsweise wiedergegebenen Äußerungen von Frau Dr. K. ergibt sich nicht, dass der Kläger nicht in der Lage wäre, Arbeitsanweisungen zu folgen. Die Beklagte hat nicht behauptet, dass es in der Vergangenheit bereits einen oder mehrere vergleichbare Vorfälle gegeben hätte. Dem Vortrag der Beklagten ist weiter nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Tatsachengrundlage Frau Dr. K. zu ihrer Ansicht gelangt ist.

Eine vorangehende Abmahnung war im vorliegenden Fall auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger bereits am 15. Dezember 2014 wegen Qualitätsmängeln ermahnt und am 18. Januar 2016 wegen Qualitätsmängeln abgemahnt worden ist. Die Abmahnung vom 18. Januar 2016 wurde erst nach Ausspruch der außer-ordentlichen Kündigung ausgesprochen. Der Ermahnung vom 15. Dezember 2014 fehlt die Warnfunktion einer Abmahnung. Die Ermahnung vom 15. Dezember 2014 betrifft außerdem keine gleichartige Pflichtverletzung des Klägers. Sie vermochte ihm nicht vor Augen zu führen, dass er im Fall einer weiteren Arbeitsverweigerung, insbesondere im Fall der Weigerung, seinen Ersatzzustellbezirk zu bearbeiten, mit dem Ausspruch einer (außerordentlichen) Kündigung zu rechnen hat.

Auch die von der Beklagten behaupteten Probleme der Kollegen des Klägers des Zustellstützpunkt I. mit dem Kläger im zwischenmenschlichen Bereich sowie das Fax der Mitarbeiter des Zustellstützpunkts H. vom 16. März 2013 vermögen nicht zu einem Überwiegen des Interesses der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber demjenigen des Klägers an seiner Fortsetzung zu führen. Nach dem Vortrag der Beklagten war Ursache der Störungen im zwischenmenschlichen Bereich, dass der Kläger Therapietermine wahrgenommen hat bzw. arbeitsunfähig war. Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich jedoch nicht, dass der Kläger insoweit seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt hätte, etwa die Wahrnehmung von Therapieterminen während der Arbeitszeit nicht erforderlich gewesen wäre oder er seine Arbeitsunfähigkeit wahrheitswidrig behauptet hätte. Vor diesem Hintergrund hätte es der Beklagten vielmehr oblegen, sich gegenüber den Kollegen schützend vor den Kläger zu stellen.

II.

Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist auch nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 13. April 2015 wegen „Verdachts eines tätlichen Angriffs auf den Arbeitskollegen E.“ aufgelöst worden. Zwar steht aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer fest, dass es am Morgen des 6. März 2015 zwischen dem Kläger und dem Zeugen E. eine zunächst verbale Auseinandersetzung gegeben hat, in deren Verlauf der Kläger seinem Kollegen E. eine Ohrfeige gegeben hat. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vermag dieses Verhalten des Klägers jedoch eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht zu rechtfertigen. Die angegriffene Kündigung ist dabei nach Auffassung der Kammer als Tatkündigung zu prüfen. Bei der Tatkündigung ist für den Kündigungsentschluss maßgebend, dass der Arbeitnehmer nach der Überzeugung des Arbeitgebers die strafbare Handlung tatsächlich begangen hat und dem Arbeitgeber aus diesem Grund die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. Dagegen liegt eine Verdachtskündigung nur dann vor, wenn der Arbeitgeber die Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines nicht erwiesenen strafbaren oder vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört (BAG, Urteil vom 26. März 1992 – 2 AZR 519/91 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 23 m. w. N.). Im vorliegenden Fall begründet die Beklagte die Kündigung inhaltlich nicht damit, dass ihr Vertrauen in den Kläger aufgrund eines bestehenden Verdachtes zerstört ist, sondern damit dass der Kläger von ihr wegen des von seinem Kollegen angezeigten tätlichen Angriffs auf diesen nicht weiterbeschäftigt werden kann.

1. Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, der Kläger den Kollegen E. nachweislich tätlich angegriffen, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und Betriebsrat sowie Schwerbehindertenvertretung auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat. Zwar stellt der Verdacht einer Tätlichkeit gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und gegebenenfalls Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227, 1229 Rz. 23 m. w. N.).

Der Umstand, dass der Betriebsrat gemäß § 102 BetrVG und die Schwerbehindertenvertretung gemäß § 95 Abs. 2 SGB IX ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung angehört wurden, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat bzw. der Schwerbehindertenvertretung diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227, 1229 Rz. 24 m. w. N.). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat bzw. der Schwerbehindertenvertretung wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt dem Betriebsrat bzw. der Schwerbehindertenvertretung sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227, 1229 Rz. 24 m. w. N.). Im vorliegenden Fall ergibt sich der Tatvorwurf aus Tatsachen (der Ohrfeige gegenüber dem Kollegen E.), die dem Betriebsrat und der Schwerbehindertenvertretung von der Beklagten im Zuge der Anhörung mitgeteilt wurden.

Entgegensteht weiter nicht, dass auch das Integrationsamt gem. §§ 91, 85 SGB IX nur um Zustimmung zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gebeten wurde. Auch dem Integrationsamt waren von der Beklagten die Tatsachen mitgeteilt worden, aus denen sich der Tatvorwurf ergibt. Hinzukommt, dass das Integrationsamt den Sachverhalt selbst weiter ermittelt, eine Stellungnahme des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung einholt und den schwerbehinderten Menschen gemäß § 87 Abs. 2 SGB IX anhört.

2. Die dem Kollegen E. vom Kläger gegebene Ohrfeige ist „an sich“ als wichtiger Grund im Sinn von § 626 Abs. 1 BGB geeignet.

a) Fristlose Kündigungen wegen Tätlichkeiten gegenüber dem Arbeitgeber oder Kollegen können – unter Umständen ohne Abmahnung – einen ausreichenden Grund für eine – zumindest – ordentliche verhaltensbedingte Kündigung darstellen (BAG, Urteil vom 18. September 2008 – 2 AZR 1039/06 – juris, Rz. 20; vom 6. Oktober 2005 – 2 AZR 280/04 – NZA 2006, 431, 432 Rz. 19, jeweils m. w. N.). Das gilt in besonderem Maße, wenn ein Arbeitnehmer in Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit Körperverletzungen begeht. Der tätliche Angriff auf Arbeitskollegen stellt eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte und Interessen des anderen Arbeitnehmers dar. Der Arbeitgeber ist seinerseits nicht nur allen Arbeitnehmern gegenüber verpflichtet, dafür zu sorgen, dass sie keinen Tätlichkeiten ausgesetzt sind. Er hat auch ein eigenes Interesse daran, dass die betriebliche Zusammenarbeit nicht durch tätliche Auseinandersetzungen beeinträchtigt wird und Mitarbeiter verletzt werden und gegebenenfalls ausfallen. Ferner kann der Arbeitgeber auch berücksichtigen, wie sich ein solches Verhalten auf die übrigen Arbeitnehmer und den Betrieb auswirkt, insbesondere wenn er keine personellen Maßnahmen ergreifen würde (BAG, Urteil vom 6. Oktober 2005 – 2 AZR 280/04 – NZA 2006, 431, 432 Rz. 19 m. w. N.). Insoweit handelt es sich noch um Folgen des Fehlverhaltens, für das der Arbeitnehmer einzustehen hat (BAG, Urteil vom 18. September 2008 – 2 AZR 1039/06 – juris, Rz. 21 m. w. N.). Bei Tätlichkeiten unter Arbeitskollegen bedarf es vor Ausspruch einer Kündigung regelmäßig keiner Abmahnung. Denn der Arbeitnehmer weiß von vornherein, dass der Arbeitgeber ein derartiges Fehlverhalten missbilligt. Dies gilt uneingeschränkt bei schweren Tätlichkeiten. Hier kann schon ein einmaliger Vorfall einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen, ohne dass der Arbeitgeber noch eine Wiederholungsgefahr begründen und den Arbeitnehmer zuvor abmahnen müsste. Auch die Beantwortung der Frage, ob der Arbeitgeber gehalten ist, den Arbeitnehmer an einem anderen freien Arbeitsplatz weiter zu beschäftigen, statt ihm zu kündigen, hängt sowohl von den Ursachen des Fehlverhaltens und dem am neuen Arbeitsplatz zu erwartenden Verhalten als auch von der Schwere des Pflichtverstoßes, also nicht zuletzt von der Intensität und den Folgen des tätlichen Angriffs ab (BAG, Urteil vom 18. September 2008 – 2 AZR 1039/06 – juris, Rz. 22 m. w. N.).

Der Grund, weshalb der Arbeitgeber bereits eine einmalige, schwerwiegende Tätlichkeit zum Anlass für eine fristlose Kündigung nehmen darf, liegt maßgeblich in der vom betreffenden Arbeitnehmer ausgehenden, durch die verübte Tätigkeit bereits realisierten und damit auch in Zukunft zu erwartenden Gefährdung anderer Arbeitnehmer des Betriebs, zu deren Schutz der Arbeitgeber verpflichtet ist. Die Reaktion des Arbeitgebers auf ein solches Verhalten muss daher geeignet sein, weitere derartige Vorfälle, von denen erhebliche Gesundheitsgefahren für seine Belegschaft ausgehen, möglichst auszuschließen (BAG, Urteil vom 18. September 2008 – 2 AZR 1039/06 – juris, Rz. 24 m. w. N:).

Als Kündigende ist die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig für die Umstände, die als wichtige Gründe geeignet sein können. Den Kündigenden trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen.

b) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Kammer davon überzeugt, dass es am Morgen des 6. März 2015 eine Tätlichkeit des Klägers gegenüber dem Zeugen E. gegeben hat. Eine Ohrfeige in Form eines Wischens stellt unzweifelhaft einen tätlichen Angriff auf den Arbeitskollegen dar. Der Zwischenfall ereignete sich auch im Betrieb zwischen Arbeitskollegen. Dadurch hat der Kläger seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht verletzt.

Der Zeuge E. hat in seiner Zeugenvernehmung vor dem Landesarbeitsgericht angegeben, dass der Kläger am 6. März 2015 sehr provokant gewesen sei. Er habe reagiert und ihm seine Meinung gesagt. Anscheinend habe das dem Kläger nicht gefallen. Der Kläger habe ihm dann eine gewischt anhand einer Ohrfeige. Er habe den Kläger daraufhin zur Rede gestellt, der es dann spaßeshalber gesehen habe. Es sei ein Körperkontakt, kein direkter Schlag gewesen. Er habe ihm halt eine ins Gesicht gewischt. Es sei nicht so gewesen, dass er danach Schmerzen gehabt hätte. Man habe es aber schon gemerkt. Es habe gezischt. Er sei nicht mehr beim Arzt gewesen. Das sei im Normalfall nicht nötig gewesen. Es sei keine direkte Körperverletzung gewesen. Es sei kein Faustschlag gewesen. Es sei ins Gesicht gegangen. Es sei nicht schallend gewesen, aber man habe es klatschen gehört. Das habe kein Kollege ringsum mitbekommen. Er habe dann den ganzen Tag weitergearbeitet.

Der Zeuge E. hat glaubhaft ausgesagt. Seine Aussage war im Hinblick auf den Geschehensablauf in sich widerspruchsfrei. Lediglich hinsichtlich der Intensität der Ohrfeige bzw. des Wischens hat der Zeuge seine Aussage gegenüber seinem Vorgesetzten, dass es sich um eine „schallende Ohrfeige“ gehandelt habe, dahin relativiert, es habe „gezischt“. Der Zeuge hat auch nicht mit übermäßigem Belastungseifer ausgesagt. Vielmehr hat er sowohl in seiner Vernehmung vor dem Landesarbeitsgericht als auch während seiner Vernehmung durch die Beklagte am 13. März 2015 und am 20. Mai 2015 im Rahmen seiner Vernehmung vor dem Polizeipräsidium F-Stadt (Polizeiinspektion X-Stadt, Bezirks- und Ermittlungsdienst, VN-Nr. YYY, zitiert vom Kläger im Schriftsatz vom 13. November 2015 im Verfahren 6 Ca 615/15, dort Bl. 7 f = Bl. 67 f d. A. mit dem Az. 6 Ca 615/15) erwähnt, dass er dem Kläger eine entsprechende Antwort gegeben habe, die den Kläger zu der „Ohrfeige“ veranlasst habe. Damit hat er die Tatsache, dass er selbst zur Eskalation beigetragen hat, nicht unerwähnt gelassen. Allerdings hat der Zeuge schon am 13. März 2015, also nur eine Woche nach dem Vorfall nur angegeben, der Kläger habe ihn „verbal belästigt und beleidigt“. Er selbst habe sich gewehrt, indem er dem Kläger eine „dementsprechende Antwort“ erwidert habe (Verhandlungsschrift vom 13. März 2015, Bl. 39 d. A. mit dem Az. 6 Ca 352/15). „Als Folge dessen“ sei der Kläger an ihn herangetreten und habe ihm eine schallende Ohrfeige gegeben. Er habe sich mit einem leichten Stoß aus dieser Lage befreit. In der Vernehmung vor der Landesarbeitsgericht konnte der Zeuge nicht (mehr) angeben, welchen Inhalt seine „Antwort“ hatte, die zur „Ohrfeige“ durch den Kläger führend. Es ist nach Ansicht der Kammer überraschend, dass der Zeuge vergessen haben will, durch welche Äußerung er den Kläger so aufgebracht hat, dass dieser mit einer – nach Aussage des Zeugen – Ohrfeige reagiert hat. Dies gilt besonders, weil der Zeuge selbst den Vorfall gemeldet hat. Dagegen wird die Glaubwürdigkeit des Zeugen nicht dadurch in Frage gestellt, dass kein Kollege in der Halle das von dem Zeugen geschilderte „Wischen“ mitbekommen hat. Der Zeuge hat die „Ohrfeige“ nicht so drastisch geschildert, dass sie jeder Kollege in der lauten Hallenumgebung hätte hören müssen. Einer weiteren Aufklärung darüber, ob der Kläger sich zum genauen Zeitpunkt der behaupteten „Ohrfeige“ noch in der Halle befand, bedurfte es nach Auffassung der Kammer nicht. Auch nach dem Vortrag des Klägers kam es am Vormittag des 6. März 2016 zu einem Zusammentreffen des Klägers und des Zeugen E.. Bei diesem soll der Zeuge E. dem Kläger nach dessen Vortrag mit einer Zeitung auf das Gesäß geschlagen haben. Gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen würde es auch nicht sprechen, wenn er die „Ohrfeige“ am Nachmittag desselben Tages in einer Viererrunde mit dem Kläger und weiteren Mitarbeitern – wie vom Kläger behauptet – nicht thematisiert hätte. Der Zeuge könnte dieses Thema aus den verschiedensten Gründen nicht angesprochen haben. Einer Beweisaufnahme darüber, ob es eine solche Viererrunde gegeben hat, bedurfte es daher nicht. Dasselbe gilt im Hinblick auf die Frage, ob Herr P. am gleichen Tag am Stützpunkt anwesend war, zumal der Zeuge ausgesagt hat, dass er glaube, den Vorfall noch direkt am selben Tag dem Vorgesetzten P. gemeldet zu haben. Er habe es zuerst der Personalstelle in Bad Kreuznach telefonisch gemeldet, die das dann wohl an Herrn P. weitergegeben hätten. Dieser sei dann erst später auf den ihn zugekommen. Hatte der Zeuge den Vorfall bereits gemeldet, bestand für diesen auch dann keine Veranlassung, den Zeugen P. am Nachmittag des 7. März 2015 (noch einmal) persönlich anzusprechen, wenn dieser im Zustellstützpunkt anwesend gewesen sein sollte.

c) Der vom Zeugen E. geschilderte Sachverhalt vermag eine außerordentliche Kündigung nicht zu begründen. Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände, insbesondere unter Einbeziehung der Situation, der Gefährlichkeit des Angriffs und seiner tatsächlichen Folgen sowie der Auswirkungen für den Betriebsfrieden hätte nach Auffassung der Kammer eine Abmahnung als milderes Mittel ausgereicht, um eine störungsfreie Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Zukunft und Wiederherstellung des Betriebsfriedens prognostizieren zu können. Dabei ist davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer von vornherein weiß, dass ein verständiger Arbeitgeber schon zum Schutz sämtlicher im Betrieb beschäftigter Arbeitnehmer tätliche Angriffe oder Auseinandersetzungen missbilligt und nicht hinnehmen wird. Andererseits ist zu bedenken, dass eine Kündigung keinen Strafcharakter hat und sich ihr Zweck gleichfalls nicht in einer generalpräventiven Zielrichtung erschöpfen darf (LAG Niedersachsen, Urteil vom 5. August 2002 – 5 Sa 517/02 – NZA-RR 2003, 75 f.).

Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die Tätlichkeit des Klägers auch nach der Schilderung des Zeugen E. eine spontane Reaktion auf dessen „Antwort“ gewesen ist. Der Zeuge hat angegeben, seine Antwort habe dem Kläger nicht gefallen.

Weiter ist zu berücksichtigen, dass der die „Ohrfeige“ zwar ins Gesicht des Zeugen ging. Der Zeuge E. wurde durch die „Ohrfeige“ des Klägers aber nicht schwerwiegend verletzt. Er hat keine Verletzung davon getragen, die für die übrigen Kollegen sichtbar gewesen wäre oder die er einem Arzt hätte zeigen müssen oder wollen. Andauernde Schmerzen hatte er danach nicht. Er hat es lediglich „aber schon gemerkt“. Es handelte sich auch um keinen direkten Schlag. Beim Wischen ins Gesicht benutzte der Kläger die flache Hand, nicht seine Faust. Der Zeuge konnte anschließend ganz normal weiterarbeiten. Auch eine Strafanzeige gegen den Kläger hat der Zeuge E. erst mehr als zwei Monate nach dem Vorfall eingereicht, nachdem der Kläger ihn seinerseits wegen Verleumdung angezeigt hatte.

Bei prognostischer Betrachtung war im vorliegenden Einzelfall im Kündigungszeitpunkt die begründete Erwartung gerechtfertigt, dass sich der Kläger eine Ab-mahnung zur Warnung gereichen lässt und bei einer Weiterbeschäftigung keine dauerhaften Störungen des Betriebsfriedens zu erwarten sind. Im vorliegenden Fall sind die Umgangsformen und der Umgangston im Zustellstützpunkt zu berücksichtigen. Weiter ist zu sehen, dass der Kläger sein Verhalten nach Aussage des Zeugen „spaßeshalber“ sehen wollte.

Auch im Hinblick auf die Tätlichkeit war eine Abmahnung nicht im Hinblick auf die Äußerung der Frau Dr. K. entbehrlich. Die Ausführungen der Ärztin werden im Bescheid des Integrationsamtes nur auszugsweise zitiert. Es ist nicht ersichtlich, auf welcher Tatsachengrundlage und Anwendung welcher Erkenntnismethoden sie ihre Erkenntnisse gewonnen hat. Ähnliche Vorfälle in der Vergangenheit, in denen Tätlichkeiten im Betrieb vom Kläger ausgegangen wären, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Ohne entsprechenden Tatsachenvortrag bedeutete die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zur Frage, ob der Kläger nicht zu einem steuerbaren Verhalten in der Lage ist, die Erhebung eines unzulässigen Ausforschungsbeweises.

III.

Eine erstinstanzlich angegriffene (hilfsweise) ordentliche Kündigung vom 2. April 2015 ist im Berufungsverfahren nicht streitgegenständlich. Das Arbeitsgericht hat die Klage insoweit als unzulässig abgewiesen.

IV.

Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist auch nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 28. Juli 2015 zum 29. Februar 2016 wegen des Verdachts einer Tätlichkeit gegenüber dem Arbeitskollegen E. aufgelöst worden.

Diese ordentliche Kündigung ist weder als verhaltensbedingte noch als personenbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt im Sinn des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG.

1. Eine ordentliche Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers im Sinn von § 1 Abs. 2 KSchG setzt voraus, dass der Arbeitnehmer mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten eine Vertragspflicht erheblich verletzt hat, das Arbeitsverhältnis erheblich beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit einer anderen Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint.

Der Kläger hat sich schuldhaft vertragswidrig verhalten, indem er seinem Kollegen E. „eine gewischt“ hat. Wie oben unter B.II.2.c) dargelegt steht nach Auffassung der Kammer jedoch in Form einer Abmahnung ein milderes Mittel zur Verfügung, mit dem in der Zukunft Vertragsstörungen vermieden werden können.

2. Die unter dem 28. Juli 2015 von der Beklagten ausgesprochene ordentliche Kündigung ist auch nicht als personenbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt. Zu personenbedingten Kündigungsgründen hat die Beklagte weder den bei ihr gebildeten Betriebsrat noch die Schwerbehindertenvertretung angehört noch die Zustimmung des Integrationsamtes zu einer personenbedingten Kündigung eingeholt.

Gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Dabei hat der Arbeitgeber ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

Mit Schreiben vom 27. März 2015 (Bl. 54 ff. d. A.) hat die Beklagte den Betriebsrat (auch) zum Ausspruch einer ordentlichen Kündigung angehört. Zur Begründung hat sie zusammenfassend ausgeführt: „Gegen Herrn A. besteht der dringende Tatverdacht, einen Kollegen tätlich angegriffen zu haben, in dem er diesen geohrfeigt hat.“ Zusammenfassend hat sie weiter ausgeführt: „Aufgrund des zwingenden und begründeten Verdachts der Tätlichkeit (Ohrfeige) gegenüber einem Kollegen ist das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen nachhaltig zerstört und hat zu einer unerträglichen Belastung des Arbeitsverhältnisses geführt. Der Deutschen Post AG ist die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr zumutbar. Wir beabsichtigen daher, das bestehende Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist mit sofortiger Wirkung zu lösen. Hilfsweise kündigen wir auch ordentlich.“ Die von der Beklagten im vorliegenden Berufungsverfahren angeführten personenbedingten Kündigungsgründe waren demnach nicht Gegenstand der Anhörung. Die Beklagte hat den in ihrem Betrieb gewählten Betriebsrat gerade nicht dazu angehört, dass der Kläger nicht in der Lage sein soll, sein Verhalten zu steuern und dass er, nach ihrer Ansicht, infolge seiner Behinderung zu Wutausbrüchen und Aggressionen neige und nach Maßgabe der Feststelllungen der leitenden Amtsärztin Frau Dr. K. nicht in der Lage sei, seine Affekte zu steuern. Die Ausführungen von Frau Dr. K. und die hieraus von der Beklagten gezogenen Schlussfolgerungen können bereits deshalb nicht Gegenstand der Anhörung des Betriebsrats gewesen sein, weil sie erst im Bescheid des Integrationsamtes vom 31. März 2015 auszugsweise wiedergegeben waren, die Anhörung des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung jedoch bereits mit Schreiben vom 27. März 2015 erfolgten.

V.

Die Verurteilung zur Weiterbeschäftigung des Klägers hat die Beklagte im Berufungsverfahren nicht mit gesonderter Begründung angegriffen. Insbesondere hat sie keine weiteren, neuen Gesichtspunkte in den vorliegenden Rechtsstreit eingeführt, wegen der ihr die Weiterbeschäftigung des Klägers unzumutbar wäre. Die Berufung der Beklagten war daher auch hinsichtlich ihrer Verurteilung zur Weiterbeschäftigung des Klägers als Mobiler Postservice bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Kündigungsschutzverfahrens zurückzuweisen.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.

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