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Fristlose Arbeitnehmerkündigung wegen Eigentums- und Vermögensdelikten – Abmahnung

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 8 Sa 29/18 – Urteil vom 07.08.2018

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 14. Dezember 2017 – 6 Ca 475/17 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung vom 19. Juni 2017.

Der 1959 geborene, verheiratete Kläger ist bei der Beklagten seit dem 1. April 1993 als technischer Leiter / Schlosser beschäftigt (vgl. Arbeitsvertrag vom 1. April 1993, Bl. 4 f. d.A). Zuvor war er bereits von 1974 bis 1987 bei deren Rechtsvorgänger beschäftigt. Das Bruttomonatsgehalt des Klägers belief sich bei der Beklagten zuletzt auf 3.038,72 EUR. Sie beschäftigt am Standort A-Stadt, wo der Kläger tätig war, ungefähr 16 Mitarbeiter. Es besteht ein Betriebsrat.

Der Kläger verkauft seit mehreren Jahren unter dem Verkäufernamen „m…“ auf der Internet-Auktionsplattform Ebay verschiedene Artikel, darunter Schlüsselringe, Rotgussteile und Messingdrahtrollen. Ab 6. Juni 2017 bot der Kläger bei Ebay einen Steuertransformator zum Kauf an, der unstreitig aus einer zum Betrieb der Beklagten gehörenden, dort ausgeschlachteten Maschine stammte. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Vorgesetzte des Klägers, der Betriebsleiter Herr S., dem Kläger die Mitnahme dieses Trafos bzw. eines Kastens, in dem sich der Trafo befand, erlaubt hat.

Am 7. Juni 2017 hörte die Beklagte den Betriebsrat, u.a. auch schriftlich (vgl. Bl. 28 d.A.) zu einer beabsichtigten Kündigung des Klägers an. In dem Schreiben mit der Überschrift „Anhörung zur fristlosen Kündigung“ heißt es auszugsweise:

„Bei diesen Teilen [ergänze: Schlüsselringe, Rotgussstücke und Bindedraht] können aber geringste Zweifel bestehen, ob es sich um Diebstahl handelt.

Heute am 07.06.2017 wird bei Ebay ein Steuertrafo angeboten der mit Sicherheit im Betrieb entwendet wurde. Die Bauteilbezeichnung m1 und die Bezeichnung der zwei Sicherungen e8 stimmen mit dem Elektroschaltplan der Feilenschleifmaschine überein.“

Am Abend des 7. Juni 2017 telefonierte zunächst der Betriebsrat mit dem Kläger und anschließend der Kläger mit seinem Vorgesetzten Herrn S.. Die Einzelheiten der Telefonate sind zwischen den Parteien streitig. Am Folgetag, dem 8. Juni 2017, fanden erneut Gespräche zwischen Herrn S. und dem Betriebsrat statt, in denen es u.a. darum ging, dass der Kläger im Rahmen der Telefonate behauptet hatte, ihm sei die Erlaubnis zur Mitnahme von Kabeln und weiteren Elektroteilen (so der Vortrag der Beklagten zu den Äußerungen des Klägers in dem Telefonat) bzw. eines Kastens oder des (darin befindlichen) Trafos (so der Vortrag des Klägers) erteilt worden.

Mit Schreiben vom 19. Juni 2017 (Bl. 7 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger „fristlos mit sofortiger Wirkung wegen Diebstahls und hilfsweise zum nächst zulässigen Termin“. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 19. Juni 2017 zu. Die Beklagte brachte bei der Zahlung des Gehalts für Juni 2017 553,14 EUR wegen des ihrer Auffassung nach vom Kläger entwendeten Messingdrahts in Abzug.

Mit seiner am 23. Juni 2017 beim Arbeitsgericht eingegangenen, der Beklagten am 29. Juni 2017 zugestellten Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung vom 19. Juni 2017 gewandt. Im Wege der Klageerweiterung begehrte er weiter die Nachzahlung der Gehaltsdifferenz für Juni 2017.

Der Kläger hat vorgetragen, er habe von der Beklagten zu keinem Zeitpunkt Messingdraht auf Spulen bezogen, noch habe er solchen bei der Beklagten entwendet. Während seiner Tätigkeit für den Rechtsvorgänger der Beklagten von 1974 bis 1987 habe ihm der Arbeitgeber bzw. der zwischenzeitlich verstorbene Vorarbeiter gestattet, sieben Messingdrahtrollen mitzunehmen, die damals nicht mehr benötigt worden seien. Soweit er verdächtigt werde, Schlüsselringe oder Rotguss entwendet und verkauft zu haben, sei dies falsch. Diese Dinge habe er vom Schrottplatz bezogen.

Auch den Trafo habe er nicht gestohlen. Vielmehr habe ihn sein Vorgesetzter Herr S. angewiesen, vor der Verschrottung die Wartungseinheit aus der Schleifmaschine auszubauen. Zuvor sei ihm allerdings erlaubt worden, den Kasten und die Kabel mitzunehmen. Er, der Kläger, habe wörtlich erklärt: „Kasten und Kabel sind mein“. Ihm sei nicht bekannt oder bewusst gewesen, dass sich in dem besagten Kasten ein Trafo befunden habe. Vielmehr habe er vermutet, dass darin weitere Kabel seien. Als er zu Hause den Kasten geöffnet habe, habe er den Trafo gefunden. Da aus der Schleifmaschine nach Anweisung des Herrn S. nichts weiter für die Firma habe ausgebaut werden sollen, sei er davon ausgegangen, dass die Beklagte kein Interesse an dem Trafo habe. Er habe diesen dann bei Ebay zum Kauf angeboten, wobei er den Wert auf 40,00 EUR geschätzt habe. Im ersten Kammertermin am 12. Oktober 2017 hatte die Prozessbevollmächtigte des Klägers erklärt, der Vortrag zur Demontage des kompletten Kastens sei auf ein Missverständnis zurückzuführen. Richtig sei, dass der Kläger den Trafo ausgebaut und mitgenommen habe. Im selben Kammertermin erklärte der Kläger selbst allerdings wiederum, der Austausch mit Herrn S. habe sich auf „Kasten und Kabel“ bezogen.

Der Kläger rügt weiterhin die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung. Dem Anhörungsschreiben lasse sich nicht entnehmen, ob es sich um eine Verdachts- oder eine Tatsachenkündigung handeln solle. Dem Betriebsrat werde dort verschwiegen, dass Herr S. ihm (dem Kläger) die Mitnahme zumindest der Elektrokabel ausdrücklich erlaubt habe. Zu der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung sei der Betriebsrat nach dem Anhörungsschreiben nicht angehört worden.

Eine Verdachtskündigung scheitere daran, dass er (der Kläger) nicht ausreichend angehört worden sei. Umfassend angehört habe man ihn erst am 22. Juni 2017, als er den Trafo zurückgebracht habe. Schließlich stehe die Kündigung völlig außer Verhältnis zur Dauer seiner Betriebszugehörigkeit.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 19. Juni 2017 nicht aufgelöst ist,

2. hilfsweise festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 19. Juni 2017 nicht aufgelöst wird,

3. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht aufgrund anderer Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 19. Juni 2017 hinaus fortbesteht,

4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 533,14 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen gültigen Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2017 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, da schon öfters Teile und Gegenstände aus dem Betrieb abhandengekommen seien, sei im Internet recherchiert worden, ob gestohlenes Firmeneigentum zum Verkauf angeboten werde. Bei Ebay seien dann Messingdrahtrollen aufgefallen, die aus dem Betrieb stammten. Entsprechendes gelte für den Rotguss und die Schlüsselringe.

Am 6. Juni 2017 sei Herrn S. aufgefallen, dass bei Ebay ein Trafo angeboten wurde, der vermutlich aus dem Betrieb stammte. Am 7. Juni 2017 gegen 9:00 Uhr habe er in Anwesenheit des Betriebsrats, des Zeugen V. S., im Schaltplan der verschrotteten Maschine überprüft, ob die Teilenummer und die Sicherungsnummer mit dem angebotenen Trafo übereinstimmten. Darüber hinaus habe er den Betriebsrat mündlich über den Verdacht hinsichtlich der Schlüsselringe, der Messingdrahtspulen und des Rotgusses informiert. Um 15:00 Uhr sei dem Betriebsrat die schriftliche Anhörung übergeben worden. Am Abend habe der Betriebsrat mit dem Kläger telefoniert und ihm die Anhörung vorgelesen. Um 19:00 Uhr habe der Kläger anschließend bei Herrn S. angerufen und ihm gegenüber behauptet, er, der Kläger habe seinerzeit erklärt, „die Kabel und anderen Elektroteile sind dann meine“. Tatsächlich habe der Kläger aber nur von Kabeln gesprochen und der Betriebsleiter Herr S. habe auch nur zugestimmt, dass der Kläger die Kabel mitnehmen dürfe. Auch die Erlaubnis zur Mitnahme eines Kastens sei nicht erteilt worden. Der Trafo habe im Unternehmen noch verwertet und gebraucht werden können.

Zur Darstellung der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 14. Dezember 2017 (Bl. 162 – 168 d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben über die Behauptungen der Beklagten zu den Vorgängen bei Verschrottung der Schleifmaschine sowie zum näheren Ablauf des Telefonats zwischen Herrn S. und dem Kläger durch Vernehmung des Zeugen N. S.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 14. Dezember 2017 (Bl. 155 ff. d. A.) verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 14. Dezember 2017 die Klage hinsichtlich der Kündigungsschutzanträge abgewiesen. Die fristlose Kündigung vom 19. Juni 2017 sei wirksam. Ein wichtiger Grund liege sowohl hinsichtlich des – nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme – anzunehmenden Diebstahls des Trafos als auch hinsichtlich des Verdachts des Diebstahls der Messingdrahtrollen vor. Die Betriebsratsanhörung sei ordnungsgemäß und die für eine Verdachtskündigung erforderliche Anhörung des Klägers ebenfalls ordnungsgemäß erfolgt. Auch die Interessenabwägung falle zu Lasten des Klägers aus. Der Zahlungsklage wegen des Lohnabzugs im Juni 2017 hat das Arbeitsgericht stattgeben; insoweit ist das Urteil in Rechtskraft erwachsen. Zur weiteren Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 8 bis 15 dieses Urteils (Bl. 168 bis 175 d.A.) verwiesen.

Gegen das ihm am 2. Januar 2018 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 31. Januar 2018 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 3. April 2018 beim Landesarbeitsgericht – innerhalb der durch Beschluss vom 28. Februar 2018 bis zum 3. April 2018 verlängerten Berufungsbegründungsfrist – eingegangenen Schriftsatz begründet.

Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, das Arbeitsgericht sei zu Unrecht vom Vorliegen eines Kündigungsgrunds ausgegangen. Der Diebstahl des Trafos sei nicht zweifelsfrei bewiesen. Die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts sei angreifbar, insbesondere habe es nicht berücksichtigt, dass der Zeuge S. nach wie vor bei der Beklagten tätig sei und sich möglicherweise aus Angst um seinen Arbeitsplatz nicht habe gänzlich erinnern wollen. Im Übrigen sei ein Irrtum seinerseits (auf Seiten des Klägers) über die Reichweite der ihm gewährten Erlaubnis nicht auszuschließen.

Die Betriebsratsanhörung sei fehlerhaft, weil entlastende Tatsachen wie die Teilerlaubnis nicht vorgetragen worden seien. Schließlich habe sich der Betriebsrat selbst mit dieser Tatsache am Folgetag (am 8. Juni 2017) an die Arbeitgeberin gewandt.

Eine Verdachtskündigung wegen der Messingdrahtrollen scheitere daran, dass er (der Kläger) zu den verdachtsbegründeten Tatsachen nicht ausreichend angehört worden sei. Darüber hinaus bestehe auch kein dringender Tatverdacht. Sein wechselnder Vortrag könne nicht als belastend angesehen werden.

Schließlich sei die Interessenabwägung im Einzelfall nicht ausreichend. Er sei über 24 Jahre beanstandungsfrei für die Beklagte tätig gewesen. Der Trafo sei vorher ungenutzt in einer nicht genutzten Schleifmaschine befindlich gewesen. Insofern habe es sich um einen sogenannten Bagatellfall gehandelt.

Eine ordentliche Kündigung komme nicht in Betracht, weil hierzu der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden sei.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 14. Dezember 2017 – 6 Ca 475/17 – abzuändern, soweit die Klage abgewiesen wurde und festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 19. Juni 2017 nicht aufgelöst ist, hilfsweise festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 19. Juni 2017 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags. Die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts sei zutreffend und der Diebstahl des Trafos nachgewiesen. Es liege eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats ebenso wie eine ausreichende Anhörung des Klägers vor. Die Interessenabwägung des Arbeitsgerichts sei zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 statthafte Berufung des Klägers ist gemäß § 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden.

II.

Die Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage – soweit für die Berufung von Bedeutung – zu Recht abgewiesen. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 19. Juni 2017 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst. Der Hilfsantrag, der für den Fall des Obsiegens mit dem Hauptantrag gestellt ist, fiel damit nicht zur Entscheidung an.

1. Die Kündigung vom 19. Juni 2017 ist nicht nach § 626 BGB unwirksam. Die Beklagte hat die Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 unproblematisch gewahrt. Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 liegt vor.

a) Nach § 626 Abs. 1 kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG 16. Dezember 2010 – 2 AZR 485/08 – Rn. 16 mwN).

aa) Das Verhalten des Klägers rechtfertigt an sich eine außerordentliche Kündigung.

(1) Vom Arbeitnehmer zu Lasten des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht (vgl. BAG 22. September 2016 – 2 AZR 848/15 – Rn. 16). Ein Arbeitnehmer, der im Zusammenhang mit seiner Arbeitsleistung strafrechtlich relevante Handlungen gegen das Vermögen seines Arbeitgebers begeht, verletzt damit seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht schwerwiegend und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen in erheblicher Weise. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung auch dann, wenn die rechtswidrige Verletzungshandlung nur Sachen von geringem Wert betrifft, denn maßgebend ist der mit der Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch (vgl. BAG, 22. September 2016 – 2 AZR 848/15 – Rn. 16).

(2) Eine solche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung des Klägers liegt vor. Er hat – hiervon geht die Kammer nach Würdigung der Beweisaufnahme aus – den Trafo aus dem Betrieb der Beklagten entwendet. Eine Erlaubnis seines Vorgesetzten lag nicht vor.

Nach der in sich schlüssigen, widerspruchsfreien Aussage des Zeugen S. beauftragte dieser den Kläger, noch brauchbare Teile aus der zur Verschrottung anstehenden Schleifmaschine auszubauen. Hiernach hat der Kläger lediglich gesagt „die Kabel sind dann mir“ und nur insofern wurde die Mitnahme erlaubt. Dies hat der Zeuge im Rahmen seiner Vernehmung auch auf Nachfragen bestätigt und, was ebenfalls für eine echte Erinnerung spricht, sich spezifisch auf einen „kurzen bündigen Satz“ des Klägers (die Kabel sind dann mir) bezogen. Die Berufungskammer hält die Aussage des Zeugen in ihrer Gesamtheit für glaubhaft.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts ist nicht zu beanstanden; eine Wiederholung der Beweisaufnahme war nicht erforderlich. Das Arbeitsgericht ist zwar nicht gesondert darauf eingegangen, dass der Zeuge S. als Betriebsleiter der Betriebsstätte, in der der Kläger tätig war, weiterhin für die Beklagte tätig ist. Dies liegt allerdings nach den Angaben des Zeugen S. zu seiner Person auf der Hand. Die in der Berufungsbegründung aufgestellte pauschale Vermutung des Klägers, der Zeuge habe sich „aus Angst um seinen Arbeitsplatz“ nicht vollständig erinnern wollen, gebietet keine Zweifel an der Richtigkeit der Zeugenaussage. Ein Motiv dafür, weshalb der Zeuge S. den Kläger habe belasten wollen, hat dieser nicht nachvollziehbar vorgetragen. Darüber hinaus hätte der Zeuge S., wenn er die (vom Kläger behauptete) weiter reichende Erlaubnis vergessen hätte, dies nach dem Telefonat mit dem Kläger beim anschließenden weiteren Gespräch mit dem Betriebsrat korrigieren können. In diesem Stadium wäre es ohne weiteres möglich gewesen, von einer Kündigung Abstand zu nehmen.

Nach dem Ergebnis und der Würdigung der Beweisaufnahme ist aus Sicht der Kammer auch ein Irrtum des Klägers über die Reichweite der ihm erteilten Erlaubnis auszuschließen. Gerade weil es sich bei der „Frage“ des Klägers um einen kurzen und bündigen Satz handelte, ist klar, dass dieser sich nur auf die Kabel und auf nichts anderes bezog. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist auch davon auszugehen, dass Herr S. den Kläger beauftragte, alle noch brauchbaren Teile aus der Schleifmaschine auszubauen, damit sie – außer den Kabeln – im Betrieb der Beklagten ggf. verwendet werden können. Auch dies hat der Zeuge klar und eindeutig bekundet. Der Vortrag des Klägers zur Reichweite der Erlaubnis im Rahmen seiner Anhörung beim Landesarbeitsgericht („noch mehr Schrott brauchen wir nicht“) ist nicht geeignet, Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu wecken. Letztlich handelt es sich um eine Wiederholung des Klägervortrags zur Frage der Arbeitsanweisung bezüglich der Verschrottung der Schleifmaschine. Dieser lässt sich im Übrigen mit der vom Kläger selbst behaupteten „Nachfrage“ nach Kabel und Kasten nicht übereinbringen.

Ohne dass er darauf ankommt, erscheint auch die vom Kläger (zuletzt – nach zwischenzeitlicher Korrektur – wieder) vorgetragene Variante zur Mitnahme des Kastens kündigungsrechtlich nicht unproblematisch. Der Vortrag des Klägers, er habe in dem Kasten, dessen Mitnahme ihm erlaubt worden sei, statt – wie vermutet – Kabeln einen Trafo vorgefunden, dessen Wert er auf 40 EUR geschätzt und den er dann bei Ebay zum Verkauf angeboten habe, deutet auf eine fragwürdige Einstellung zu fremden Eigentum hin. Selbst wenn diese Variante zuträfe, wäre doch zu erwarten, diesen „Fund“ beim Arbeitgeber zu melden und nachzufragen, was mit dem Trafo geschehen soll.

bb) Die außerordentliche Kündigung ist bereits wegen des nachgewiesenen Diebstahls des Trafos auch unter Berücksichtigung der weiteren Umstände des Streitfalls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen der Parteien gerechtfertigt.

(1) Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Reaktionsmöglichkeiten sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung des Risikos zukünftiger Störungen – zu erreichen (vgl. BAG 16. Dezember 2010 – 2 AZR 485/08 – Rn. 24). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, das eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist. Dies gilt grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich.

(2) Eine Abmahnung war den Umständen des Falls nach entbehrlich. Es bedurfte keiner Klarstellung der vertraglichen Pflichten durch die Beklagte. Eine Hinnahme des Diebstahls eines Trafos im Wert von – auch nach Schätzung des Klägers – mindestens 40 EUR durch die Beklagte war offensichtlich und auch für den Kläger erkennbar ausgeschlossen. Die Vermögensschädigung der Beklagten lag auf der Hand.

cc) Die fristlose Kündigung ist auch unter Einbeziehung der Interessen beider Vertragsteile gerechtfertigt.

(1) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen.

(2) Der Beklagten war das Zuwarten bis zum 31. Januar 2018 unzumutbar. Bei der Berücksichtigung der Beschäftigungsdauer von etwas mehr als 24 Jahren und einem Alter des verheirateten Klägers im Kündigungszeitpunkt von 58 Jahren ist unter Beachtung des erheblichen Gewichts der in Rede stehenden Pflichtverletzung von einem überwiegenden Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszugehen. Es ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme von einer gegen das Vermögen der Beklagten gerichteten Straftat auszugehen, die sich auf einen Gegenstand im Wert von – nach der Schätzung des Klägers – mindestens 40 EUR bezogen hat. Dies stellt keinen Bagatellfall dar, unabhängig davon, ob der Trafo unmittelbar im Betrieb genutzt wurde oder nicht. Auch das Lebensalter des Klägers und seine langjährige – zu seinen Gunsten unterstellt – beanstandungsfreie Beschäftigungszeit können den durch den Diebstahl eingetretenen Vertrauensverlust im Ergebnis nicht aufwiegen. Auch wenn die Kammer lediglich den Diebstahl des Trafos als Kündigungsgrund heranzieht, kommt diesem angesichts der Vertrauensstellung des als technischen Leiters / Schlossers beschäftigten Klägers auch mit Blick auf die eingeschränkten Kontrollmöglichkeiten der Beklagten eine erhebliche Bedeutung zu. Der Kläger war „der“ Schlosser des Betriebs und – unstreitig – derjenige, der dort von Elektrodingen die „meiste Ahnung“ hatte. Er müsste zB Entscheidungen darüber, was noch brauchbar ist, was repariert werden kann und was ersetzt werden muss, fachkundig und im des Arbeitgebers treffen. Hierauf kann sich die Beklagte aber bei einem Arbeitnehmer, der Firmeneigentum entwendet und auf eigene Rechnung verkaufen will, nicht verlassen. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ergibt sich damit das Überwiegen des Interesses der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Einhaltung einer Frist gegenüber demjenigen des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumindest bis zum 31. Januar 2018.

b) Die Kündigung scheitert auch nicht an einer nicht ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG.

aa) Eine Kündigung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts iSv. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nicht nur dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat überhaupt zu beteiligen. Sie ist es auch dann, wenn er ihn nicht ordnungsgemäß beteiligt hat, vor allem seiner Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht ausreichend nachgekommen ist. Für die Mitteilung der Kündigungsgründe gilt dabei der Grundsatz der „subjektiven Determinierung“. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt er dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt darstellt (BAG 17. März 2016 – 2 AZR 182/15 – Rn. 16 mwN). Eine Form für die Unterrichtung ist nicht zwingend vorgeschrieben; sie kann mündlich oder schriftlich erfolgen (vgl. ErfK/Kania 18. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 4).

bb) Die Betriebsratsanhörung war unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ordnungsgemäß.

(1) Dies gilt zunächst hinsichtlich der Mitteilung der Kündigungsgründe. Schon aus der schriftlichen Betriebsratsanhörung wird vorliegend klar, dass hinsichtlich des Trafos die Kündigung eindeutig auf eine Tat und nicht auf einen bloßen Verdacht gestützt werden soll. So heißt es dort ausdrücklich: „Heute am 07.06.2017 wird bei Ebay ein Steuertrafo angeboten der mit Sicherheit im Betrieb entwendet wurde.“ Fraglich könnte lediglich sein, ob die Kündigung hiernach überhaupt – zusätzlich – auf den Verdacht hinsichtlich der weiteren vermeintlich entwendeten Gegenstände gestützt werden soll. Hierauf kommt es – ebenso wie auf die Frage einer ausreichenden Anhörung des Klägers zu den Verdachtsmomenten – nach den vorstehenden Ausführungen aber nicht an, weil bereits der nachgewiesene Diebstahl des Trafos einen ausreichenden Kündigungsgrund darstellt, der in der Anhörung auch entsprechend – als Tatsache – dargestellt wird.

(2) Die Betriebsratsanhörung ist vorliegend auch nicht deshalb unzureichend, weil die unstreitig erteilte Erlaubnis des Vorgesetzten, Kabel aus der Maschine mitzunehmen, in der schriftlichen Anhörung nicht erwähnt wird. Es handelt sich hierbei schon nicht um eine Tatsache, die dem Betriebsrat für ein vollständiges Bild des Sachverhalts hätte mitgeteilt werden müssen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bezog sich die von Herrn S. erteilte Erlaubnis eindeutig und ausschließlich auf die Mitnahme von Kabeln. Daher kann man annehmen, dass sie aus Sicht des Arbeitsgebers für die Bewertung des Diebstahls des Trafos unerheblich ist. Dass der Kläger eine weitergehende Erlaubnis behaupten würde, konnte die Beklagte im Zeitpunkt der schriftlichen Anhörung nicht wissen. Zugleich handelt es sich nicht um einen allein als entlastend zu wertenden Umstand. Ebenso könnte man argumentieren, die Nachfrage des Klägers bezüglich der Kabel zeige deutlich, dass ihm klar war, dass er andere Teile gerade nicht mitnehmen durfte.

Darüber hinaus ist nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien davon auszugehen, dass das die klägerische Behauptung einer Erlaubnis, Kabel und weitere Teile mitzunehmen, Gegenstand des weiteren Gesprächs zwischen Herrn S. und dem Betriebsrat am 8. Juni 2017 war. Auch wenn man annähme, dass durch diese ergänzenden Informationen die Anhörungsfrist erneut zu laufen begann, verblieben dem Betriebsrat bis zum Ausspruch der Kündigung am 19. Juni 2017 mehr als drei Tage Zeit für eine eventuelle Stellungnahme.

2. Da das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien aufgrund der außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 19. Juni 2017 aufgelöst worden ist, fiel der Hilfsantrag (Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung), der für den Fall des Obsiegens mit dem Hauptantrag gestellt war, nicht zur Entscheidung an.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.

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