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Fristlose Arbeitnehmerkündigung wegen sexueller Belästigung

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Az.: 3 Sa 296/15, Urteil vom 21.12.2015

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 20.05.2015, Az: 12 Ca 4570/14, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer außerordentlichen und einer hilfsweise ordentlich ausgesprochenen Verdachtskündigung der Beklagten sein Ende gefunden hat. Ferner – nicht im Berufungsverfahren anhängig – verlangt der Kläger die Entfernung einer ihm erteilten Abmahnung vom 01.09.2014. Des Weiteren macht der Kläger die Weiterbeschäftigung als Schichtführer geltend.

Der 1968 geborene und vier Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit 1992 als Schichtführer bei der Beklagten beschäftigt. Sein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt betrug zuletzt 4.000,00 EUR. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer. In ihrem Betrieb existiert ein Betriebsrat; auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge der Beklagten unmittelbare Anwendung.

Fristlose Arbeitnehmerkündigung wegen sexueller Belästigung
Symbolfoto: Von thodonal88 /Shutterstock.com

Mit Schreiben vom 01.09.2014 hat die Beklagte dem Kläger wegen eines Vorfalls am 28.07.2014 eine Abmahnung erteilt, hinsichtlich dessen Inhalts im Einzelnen auf Bl. 65, 66 d. A. Bezug genommen wird.

Der Kläger ist als Schichtführer unter anderem Fachvorgesetzter der Mitarbeiterin der Beklagten, Frau P. Frau P. ist verheiratet und als Verladerin in der Paketzentrum-Eingangs-Schicht beschäftigt. Am 31.10.2014 hat sich Frau P. über angebliche sexuelle Belästigungen durch den Kläger in den letzten 1 ½ Jahren beschwert. Über das Gespräch hat die Beklagte ein Protokoll angefertigt, hinsichtlich dessen Inhalts auf Bl. 43 bis 46 d. A. Bezug genommen wird. In diesem Gespräch hat sie unter anderem zu Protokoll erklärt, dass der Kläger ihre Pausen so eingeteilt habe, dass er mit ihr allein gewesen sei. Bei einer solchen Gelegenheit habe er sie derart bedrängt, dass er sie gegen und fast in einen Schrank gedrängt habe. Er habe sich während ihrer Arbeit ganz nah hinter sie gestellt und ihr ins Ohr gehaucht: „Ich suche eine Frau“. Ein anderes Mal habe er neben ihr gestanden, ihr durchs Haar gestreichelt und sie gefragt, „Was denkst Du unter der Dusche?“. Im Juli 2014 habe er sie zu einem privaten Fußballturnier eingeladen und erklärt, dass sie zukünftig eine leichtere Tätigkeit, nämlich Pakete kleben, übernehmen dürfe, wenn sie zu dem Termin komme. Bei ihrer Arbeit auf der Brücke sei ihr der Kläger so nahe gekommen, dass sie einen Atem im Nacken habe spüren können. Dabei habe er zu ihr gesagt: „Wenn Du besonders lieb und freundlich zu mir bist, darfst Du auch codieren oder im Frühdienst Pakete kleben. Wenn nicht, dann stecke ich Dich in die Spätschicht.“ Nachdem der Kläger beobachtet habe, dass sie mit anderen Arbeitnehmern im Gespräch gewesen sei, habe er ihr mit den Worten gedroht: „Wenn Du nochmal mit einem anderen Mann sprichst, sperre ich Dich in den T.-Käfig. Du kannst Dich übrigens beschweren, wo Du willst. Dir glaubt eh keiner. Denk immer daran, auf Dich können die verzichten, auf mich nicht.“

Im Vorfeld der jährlich stattfindenden Leistungsbeurteilung habe der Kläger sie darauf hingewiesen, dass er bei der Punktevergabe vorher auch gefragt werde. Aktuell habe der Kläger in der Nacht vom 20. auf den 21.10.2014 versucht, einen eigenen Fehler auf sie abzuwälzen, in dem er ihr wortlos die weiteren Rangieraufträge abgenommen, dabei selber Fehler und dadurch ein rotes Ampelzeichen verursacht habe. Gegenüber dem Schichtleiter habe er demgegenüber erklärt, dass sie den falschen Auftrag erteilt habe, was aber nicht stimme. Frau P. gab ferner zu Protokoll, dass sie zunächst versucht habe, die Vorfälle zu verdrängen. Obwohl sie sich später verbal gegen die Belästigungen des Klägers gewehrt habe und ihm auch klar zu verstehen gegeben habe, dass sie von ihm nichts wolle, habe der Kläger nicht von ihr abgelassen. Auch die Beschwerden bei anderen Aufsichten hätten nicht weitergeholfen. Schließlich gab Frau P. in dem Gespräch an, dass sie sich durch die Äußerungen und Handlungen des Klägers zunehmend unter Druck gesetzt fühle und Angst vor ihm habe.

Die Beklagte hat unter dem 06.11.2014 den Kläger zu den Vorwürfen angehört. Der Kläger hat dazu erklärt, dass das alles Lügen seien und er sich Frau P. nicht sexuell genähert habe. Er hat eine weitere schriftliche Äußerung angekündigt, die danach mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 07.11.2014 erfolgt ist und hinsichtlich deren Inhalts auf Bl. 108 bis 111 d. A. Bezug genommen wird.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 14.11.2014 den Betriebsrat zur beabsichtigten Verdachtskündigung angehört; hinsichtlich des Inhalts des Anhörungsschreibens wird auf Bl. 58 bis 63 d. A. Bezug genommen. Mit Schreiben vom 18.11.2014 hat der Betriebsrat erklärt, dies zur Kenntnis zu haben. Hinsichtlich des Inhalts der Mitteilung des Betriebsrats wird auf Bl. 64 d. A: Bezug genommen. Die Beklagte hat sodann mit Schreiben vom 18.11.2014 die außerordentliche und hilfsweise die ordentliche Kündigung des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2015 ausgesprochen.

Mit Schreiben vom 21.11.2014 (Bl. 15, 16 d. A.) hat der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten das Kündigungsschreiben gemäß § 174 BGB zurückgewiesen, da dem Kündigungsschreiben keine Originalvollmacht beigefügt gewesen sei. Er hat zugleich gemäß § 180 Satz 2 BGB die mit dem Ausspruch der Kündigung die mit dem Ausspruch der Kündigung behauptete Vertretungsmacht bestritten.

Die Beklagte hat dem Kläger trotz der Kündigung das volle Novembergehalt einschließlich des 13. Monatsentgelts ausgezahlt.

Mit der am 01.12.2014 eingereichten und der Beklagten am 05.12.2014 zugestellten Klage wendet sich der Kläger gegen die Kündigung.

Der Kläger hat vorgetragen, nach seiner Auffassung sei die Kündigung unwirksam, da er Frau P. weder in irgendwelcher Form bedrängt noch ihr für irgendwelche Verhaltensweisen Vor- oder Nachteile versprochen habe.

Die im Einzelnen von Frau P. zu Protokoll gegebenen Vorwürfe bestreite er. Hinsichtlich des Fußballturniers habe er zwar dieses für die Mitarbeiter der Beklagten organisiert, er habe der Mitarbeiterin Frau P. aber keine Vorteile versprochen, wenn sie zu dem Turnier komme. Er habe in der Nacht vom 20. auf den 21.10.2014 auch keine eigenen Arbeitsfehler auf Frau P. abgewälzt, sondern habe vielmehr die erforderliche Eingabe in das Steuergerät (Betsy) nachgeholt, die Frau P. zuvor vergessen habe. Es treffe nicht zu, dass andere Kollegen und Kolleginnen die Belästigung oder Bedrohung seinerseits beobachtet hätten.

Schließlich rüge er die Einhaltung der Zweiwochenfrist nach § 626 Abs. 2 BGB und bestreite die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats.

Der Kläger hat im erstinstanzlichen Rechtszug beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 18.11.2014 nicht aufgelöst wird;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 18.11.2014 nicht aufgelöst wird;

3. die Beklagte für den Fall des Obsiegens mit den Feststellungsanträgen zu 1. und 2. aus der Klageschrift zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Schichtführer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzrechtsstreits weiter zu beschäftigen;

4. die Beklagte zu verurteilen, die mit Schreiben vom 01.09.2014 erteilte Abmahnung aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Widerklagend hat die Beklagte beantragt, den Kläger zu verurteilen, 4.278,60 € an die Beklagte zu zahlen.

Der Kläger hat beantragt, die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, die Kündigung sei wirksam, weil der dringende Verdacht bestehe, dass der Kläger die von Frau P. behaupteten Belästigungen auch tatsächlich vorgenommen habe. Dieser Verdacht erhärte sich einerseits durch den sehr verängstigten Eindruck, den Frau P. gemacht habe und andererseits durch die Aussage von Frau L., einer Mitarbeiterin der Beklagten. Diese habe beobachtet, wie der Kläger Frau P. am nackten Arm gestreichelt habe. Danach habe die Klägerin geweint und sich mit ihr unterhalten. Der Kläger habe Frau L. mehrfach aufgefordert, ihm eine Frau aus Polen zu besorgen. Auch andere Kolleginnen hätten beobachtet, dass der Kläger Frau P. bedränge und belästige. Diese Mitarbeiterinnen würden aber aus Angst schweigen. Der Kläger habe mehrfach und über einen langen Zeitraum von 1 ½ Jahren sexuelle bestimmte körperliche Berührungen (Anfassen, Streicheln, in den Nacken hauchen, Bemerkungen sexuellen Inhalts) vorgenommen sowie mit empfindlichen Übeln gedroht, wie geringes Leistungsentgelt, Einteilung zu schwerer Arbeit, wenn Frau P. nicht nett zu ihm sei, obwohl Frau P. diese Handlungen erkennbar abgelehnt habe.

Hinsichtlich des abgemahnten Vorfalls am 28.07.2014 behauptet die Beklagte, der Kläger habe bei einer lautstarken Auseinandersetzung seinen Vorgesetzten massiv beschimpft, mit der Faust auf den Kopierer geschlagen und ihn aufgefordert, die Angelegenheit „draußen zu klären“.

Bei dem in der Widerklage geltend gemachten Betrag handele es sich um eine zu Unrecht erfolgte Überzahlung, da der Kläger nur bis zum 19.11.2014 bei ihr beschäftigt gewesen sei und er daher weder einen Anspruch auf den Lohn für den Monat November noch Anspruch auf das 13. Monatsentgelt habe.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat daraufhin durch Teil-Urteil vom 20.05.2015 – 12 Ca 4570/14 – festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 18.11.2014 noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 18.11.2014 aufgelöst worden ist, es hat des Weiteren die Beklagte verurteilt, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Schichtführer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits weiterzubeschäftigen und die Widerklage abgewiesen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 126 bis 137 d. A. Bezug genommen.

Gegen das ihr am 11.06.2015 zugestellte Teil-Urteil hat die Beklagte durch am 29.06.2015 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung durch am 11.09.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor auf ihren begründeten Antrag hin durch Beschluss vom 10.08.2015 die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung bis zum 11.09.2015 einschließlich verlängert worden war.

Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, das Arbeitsgericht habe die der Beklagten obliegenden Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der behaupteten sexuellen Belästigungen der Zeugin P. in lebensfremder Art und Weise und unter teilweise Außerachtlassung der Beschwerde der Zeugin P. und der Verhandlungsschriften der Mitarbeiter L., E., D. und K., überspannt, indem es zu weitgehende Anforderungen an die Substantiierung gestellt habe. Es habe verkannt, dass die darlegungspflichtige Beklagte den streitigen Lebensvorgang nicht in allen Einzelheiten darstellen müsse, d. h. wann genau (exaktes Datum) im Einzelnen die in chronologischer Reihenfolge aufgeführten Belästigungen der Zeugin P. seit April 2013 an ihrem Arbeitsplatz durch den Kläger stattgefunden hätten. Die Beklagte habe insoweit weder willkürliche Behauptungen „ins Blaue hinein“ noch Behaupten „aufs Grade wohl“ aufgestellt. Vielmehr habe sie ausreichende greifbare bzw. tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen von sexueller Belästigung ebenso wie ihre Erkenntnisquellen vorgebracht.

In der Zeit vom 01.04.2013 bis zum 30.10.2014 habe der Kläger die Zeugin P. – trotz deren erkennbarer Ablehnung – durch folgende Bemerkungen und Handlungen am Arbeitsplatz bedrängt, belästigt und bedroht:

„Ich suche eine Frau!“

Er hat die Zeugin P. bedrängt und (fast) in einen Schrank gedrückt/gedrängt.

Während er neben ihr steht, streicht er ihr durchs Haar und fragt sie:

„Was denkst Du unter der Dusche?“

Er kommt ihr so nah, dass sie seinen Atem im Nacken spürt.

„Wenn Du besonders lieb und freundlich zu mir bist, darfst Du auch Codieren und im Frühdienst Pakete kleben. Wenn nicht, dass stecke ich Dich in die Spätschicht.“

Die Zeugin P. sollte nach entsprechender Anordnung der Abteilungsleitung zum Codieren angelernt werden. Bereits in der zweiten Nacht holt der Kläger sie von der Codierung weg und gibt ihr schwerere Arbeit:

„Solange ich hier was zu sagen habe, kommst Du nicht zum Codieren.“

Beweis: Zeugnis der Frau P., b.b.

„Wenn Du noch mit einem anderen Mann sprichst, sperre ich Dich in den T.-Käfig.“

„Du kannst Dich beschweren, wo Du willst. Dir glaubt eh keiner. Und denk immer daran: Auf Dich können die verzichten, auf mich nicht.“

Im Vorfeld der Leistungsbeurteilung sagte der Kläger zu der Zeugin, sie solle daran denken, dass er für die Punktevergabe gefragt werde.

Nachdem die Zeugin P. den Kläger abgewiesen hat, ändert er die Pläne der Schichtführer immer so ab, dass die Zeugin schwerere Arbeit als vorgesehen erledigen muss.

Beweis: Zeugnis der Frau P., b.b.

Die Zeugin P. hat mir davon erzählt, dass der Kläger sie bedrängt. Sie hat auch einmal zu mir gesagt:

„Wenn er mich vergewaltigt hat, dann ist es zu spät.“

Ich habe gesehen, wie der Kläger die Zeugin P., die ein T-Shirt trug, am nackten Arm gestreichelt hat. Danach hat die Zeugin in der Pause geweint. Der Kläger hat immer nach der Zeugin P. gefragt und wollte auch wissen, wo sie in der Pause ist.

Beweis: Zeugnis der Frau L., b.b.

Die Zeugin P. hat erzählt, dass der Kläger sie in den Pausen im Pausenraum bedrängt hat. Sie wirkte sehr ängstlich. Es ist auch auffällig gewesen, dass der Kläger, wenn die Zeugin P. bei der Arbeit war, sehr oft in ihrem Arbeitsbereich erschienen ist; wenn sie nicht da war, kam er nur selten in diesen Bereich.

Beweis: Zeugnis des Herrn D., b.b.

Die Zeugin P. hat erzählt, dass der Kläger sie unter Druck setzt, ihr mit der Leistungsbeurteilung droht, ihr durch die Haare streichelt und auch am Arm streichelt; sie wirkte sehr verunsichert und ängstlich.

Beweis: Zeugnis des Herrn K., b.b.“

Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass der Vorfall, anlässlich dessen der Kläger die Zeugin P. in den Schrank gedrückt habe, kurz nach dem Dienstunterricht passiert sei, der Ende Juli/Anfang August stattgefunden habe. Danach habe sich die Zeugin bei Frau E. darüber beschwert, dass ein Schichtleiter, d. h. eine Aufsichtsperson, immer wieder die Pläne ändere und ihr schwerere Arbeiten gebe. Den Namen des betreffenden Schichtleiters habe sie nicht erwähnt. Frau E. habe dann gesagt, dass sie sich nach ihrem Urlaub darum kümmern werde. Der Kläger habe das Gespräch zwischen der Zeugin P. und Frau E. beobachtet. Kurz danach sei dann der Vorfall passiert. Bei dieser Gelegenheit habe der Kläger der Zeugin gedroht, dass sie sich so viel über ihn beschweren könne, wie sie wolle, ihr werde ohnehin niemand glauben.

Die Kündigung sei auch nicht aus formalen Gründen rechtsunwirksam. Denn Herr S. sei Abteilungsleiter Personal und in dieser Funktion im Innen- und Außenverhältnis ermächtigt und berechtigt, die Beklagte zu vertreten und alleine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärungen abzugeben, insbesondere Kündigungen von Arbeitsverhältnissen zu erklären. Daher sei eine Unterschrift mit „i.V.“ gleich in Vertretung.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 11.09.2015 (Bl. 170 bis 174 d. A.) sowie ihre Schriftsätze vom 21.09.2015 (Bl. 184 bis 186 d. A.), vom 02.11.2015 (Bl. 255 bis 257 d. A.) und vom 11.12.2015 (Bl. 275 bis 278 d. A.) nebst Anlage (Bl. 279 d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des am 20.05.2015 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz, Az: 12 Ca 4570/14, die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe für die Zeit vom 01.04.2013 bis zum 30.10.2014 hinsichtlich der Kollegin P. seien unzutreffend. Hilfsweise sei darauf hinzuweisen, dass die streitgegenständlichen Kündigungen auch aus formalen Gründen unwirksam seien. Dies gelte im Hinblick auf § 626 Abs.2 BGB, § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ebenso wie im Hinblick auf § 174 BGB.

Dass Herr S. als Leiter der Personalabteilung berechtigt sei, die Kündigung von Arbeitsverhältnissen zu erklären, sei dem Kläger nicht bekannt. Selbst wenn dies zutreffe, so gelte gleiches jedenfalls nicht für Herrn Eb. der als Sachbearbeiter die Kündigung mitunterzeichnet habe. Insoweit sei aber eine hinreichende Vollmacht für beide Personen zum Ausspruch der Kündigung erforderlich gewesen. Für Herrn Eb. sei aber keine Vollmacht beigefügt worden.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 15.10.2015 (Bl. 197 bis 202 d. A.) sowie seinen Schriftsatz vom 17.12.2015 (Bl. 284 bis 286 d. A.) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 21.12.2015.

Entscheidungsgründe

I.

Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Das Rechtsmittel der Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Denn das Arbeitsgericht ist jedenfalls im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständliche außerordentliche Kündigung das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ebenso wenig aufgelöst hat wie die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung. Die Widerklage ist unbegründet.

Das Arbeitsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 18.11.2014 das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat; nichts anderes gilt für die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 18.11.2014. Es hat des Weiteren folgerichtig die Beklagte verurteilt, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Schichtführer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits weiter zu beschäftigen. Schließlich hat es auch zutreffend die Widerklage der Beklagten abgewiesen.

Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 18.11.2014 ist rechtsunwirksam, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB insoweit nicht gegeben sind.

Dabei ist die Kammer davon ausgegangen, dass die Beklagte zwar ausdrücklich eine sogenannte Verdachtskündigung erklärt hat; die Kündigung war also unter Zugrundelegung der insoweit entwickelten Kriterien auf ihre Rechtswirksamkeit hin zu überprüfen. Zu berücksichtigen war aber insoweit, dass auch dann, wenn nur eine Kündigung erklärt und vom Arbeitgeber mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet wird, die Gerichte für Arbeitssachen nicht gehindert sind, die Wirksamkeit einer Kündigung unter dem Gesichtspunkt einer nachgewiesenen Tat zu überprüfen. Denn maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach dem Parteivorbringen und ggf. nach einer Beweisaufnahme darstellt (BAG 21.11.2013 EzA § 1 KSchG Verdachtskündigung Nr. 5). Ergibt sich nach tatrichterlicher Würdigung also das tatsächliche Vorliegen der Pflichtwidrigkeit, kann das Arbeitsgericht dies seiner Entscheidung zugrunde legen. Auch insoweit ist es nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (BAG 21.11.2013, a.a.O.; vgl. Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, Handbuch des Fachanwalts für Arbeitsrecht, 13. Auflage 2016, Kap. 4, Rn. 1663).

Ein wichtiger Grund im Sinne der Generalklausel der § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung liegt dann vor, wenn Tatsachen gegeben sind, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und in der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung nicht zugemutet werden kann (vgl. BAG 27.01.2011 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35; 07.07.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 38; 21.06.2012 EzA § 9 KSchG n. F. Nr. 63 = NZA 2013, 199; 27.09.2012 -2 AZR 646/11- EzA/SD 9/2013 Seite 6 LS). Damit wird der wichtige Grund zunächst durch die objektiv vorliegenden Tatsachen bestimmt, die an sich geeignet sind, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen. Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ist deshalb jeder Sachverhalt, der objektiv das Arbeitsverhältnis mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes belastet (vgl. BAG 27.01.2011 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35; 07.07.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 38). Entscheidend ist nicht der subjektive Kenntnisstand des Kündigenden, sondern der objektiv vorliegende Sachverhalt, der objektive Anlass. Berücksichtigt werden können nur die bis zum Ausspruch der Kündigung eingetretenen Umstände bei der Überprüfung der Frage, ob sie als Kündigungsgrund an sich geeignet sind (Ascheid/Preis/Schmidt Großkommentar Kündigungsrecht 4. Auflage 2012 (APS-Dörner/Vossen), § 626 BGB Rz. 42 ff.; Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, Handbuch des Fachanwalts für Arbeitsrecht (DLW-Dörner), 13. Auflage 2016, Kap. 4. Rdnr. 1121 ff.).

Berücksichtigt werden können nur die bis zum Ausspruch der Kündigung eingetretenen Umstände bei der Überprüfung der Frage, ob sie als Kündigungsgrund an sich geeignet sind. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen. Nachträglich eingetretene Umstände können für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen. Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde. Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch eine Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden. Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen gilt nichts anderes (BAG 15.12.1955 NJW 1956, 807; 28.10.1971 EzA § 626 BGB n. F. Nr. 9; 3.7.2003 EzA § 626 BGB 202 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 2; 24.11.2005 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 12, 484; 10.6.2010 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32).

Die danach zu berücksichtigenden Umstände müssen nach verständigem Ermessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar erscheinen lassen (BAG AP-Nr. 4 zu § 626 BGB). Bei der Bewertung des Kündigungsgrundes und bei der nachfolgenden Interessenabwägung ist ein objektiver Maßstab anzulegen, so dass subjektive Umstände, die sich aus den Verhältnissen der Beteiligten ergeben, nur aufgrund einer objektiven Betrachtung zu berücksichtigen sind. Dabei ist insbes. nicht auf die subjektive Befindlichkeit des Arbeitgebers abzustellen; vielmehr ist ein objektiver Maßstab („verständiger Arbeitgeber“) entscheidend, also ob der Arbeitgeber aus der Sicht eines objektiven Betrachters weiterhin hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer haben müsste, nicht aber, ob er es tatsächlich hat (BAG 10.6.2010 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32). Die danach maßgeblichen Umstände müssen sich konkret nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken; da der Kündigungsgrund zukunftsbezogen ist und die Kündigung keine Sanktion für das Verhalten in der Vergangenheit darstellt, kommt es auf seine Auswirkungen auf die Zukunft an, die vergangene Pflichtverletzung muss sich noch in Zukunft belastend auswirken (BAG 9.6.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35; 23.10.2008 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 25; 12.1.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67; 12.1.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68; LAG BW 25.3.2009 LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 20; LAG RhPf 26.2.2010 NZA-RR 2010, 297). Da es um den zukünftigen Bestand des Arbeitsverhältnisses geht, muss dessen Fortsetzung durch objektive Umstände oder die Einstellung oder das Verhalten des Gekündigten im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im persönlichen Vertrauensbereich (der Vertragspartner) oder im Unternehmensbereich konkret beeinträchtigt sein.

Das kann dann der Fall sein, wenn auch zukünftige Vertragsverstöße zu besorgen sind, d. h. wenn davon ausgegangen werden muss, der Arbeitnehmer werde auch künftig den Arbeitsvertrag nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen oder sonst von einer fortwirkenden Belastung des Arbeitsverhältnisses ausgegangen werden muss (LAG BW 25.3.2009 § 626 2002 Nr. 20; LAG RhPf 26.2.2010 NZA-RR 2010, 297).

Die erforderliche Überprüfung gem. § 626 Abs. 1 BGB vollzieht sich folglich zweistufig (vgl. z. B. BAG 24.3.2011 2 AZR 282/10 EzA-SD 16/2011 S. 3 LS. = NZA 2011, 1029; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35).

Zum einen muss ein Grund vorliegen, der unter Berücksichtigung der oben skizzierten Kriterien überhaupt an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Insoweit handelt es sich um einen Negativfilter, d. h., dass bestimmte Kündigungsgründe eine außerordentliche Kündigung von vornherein nicht rechtfertigen können.

Zum anderen muss dieser Grund im Rahmen einer Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch des Verhältnismäßigkeitsprinzips zum Überwiegen der berechtigten Interessen des Kündigenden an der – in der Regel – vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen (vgl. ausführlich APS-Dörner/Vossen, § 626 BGB a. a. O.; DLW-Dörner a. a. O.). In einer Gesamtwürdigung ist das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 24.3.2011 – 2 AZR 282/10- EzA-SD 16/2011 S. 3 LS. = NZA 2011, 1029; 27.09.2012 -2 AZR 646/11 – EzA-SD 9/2013, Seite 6 LS).

Entscheidend ist die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung bzw. bis zum Ende der vereinbarten Befristung (BAG 9.6.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35 = NZA 2011, 1027; 27.09.2012 – 2 AZR 646/11 – EzA-SD 9/2013, Seite 6 LS; LAG Bl. 5.1.2005 – 17 Sa 1308/04 – EzA-SD 8/05, Seite 12 LS; Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, a. a. O.; APS/Dörner/Vossen).

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegen seiner erheblichen Pflichtverletzung zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung des Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen – einstweiligen – Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung der Umstände des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 27.09.2012 -2 AZR 646/11- EzA/SD 9/2013, Seite 6 LS).

Nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ist die außerordentliche Kündigung „Ultima Ratio“, so dass sie dann nicht gerechtfertigt ist, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist, weil dann die ordentliche Kündigung ein milderes Mittel als die außerordentliche Kündigung darstellt (BAG 9.6.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35 = NZA 2011, 1027; 27.09.2012 -2 AZR 646/11- EzA/SD 9/2013 Seite 6 LS; krit. Stückmann/Kohlepp RdA 2000, 331 ff.).

Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus; sie dient der Objektivierung der Prognose (BAG 12.01.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67: 12.01.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Sie ist nur dann entbehrlich, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer eine Abmahnung als nicht Erfolg versprechend angesehen werden kann. Das ist insbes. dann anzunehmen, wenn erkennbar ist, dass der Arbeitnehmer nicht gewillt ist, sich vertragsgerecht zu verhalten. Nur besonders schwere Vorwürfe bedürfen keiner Abmahnung, wenn und weil der Arbeitnehmer dann von vornherein nicht mit einer Billigung seines Verhaltens rechnen kann (LAG RhPf 26.02.2010 – 6 Sa 682/09, NZA-RR 2010, 297; LAG Nds. 12.02.2010 – 10 Sa 1977/08, EzA-SD 8/2010 S. 6 LS).

Einer Abmahnung bedarf es danach bei einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes also nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG 24.03.2011 – 2 AZR 282/10, EzA-SD 16/2011 S. 3 LS = NZA 2011, 1029; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 36; 19.04.2012 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 39 = NZA-RR 2012, 567;25.10.2012 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 41 = NZA 2013, 319; LAG Hessen 27.02.2012 NZA-RR 2012, 471), denn dann ist grds. davon auszugehen, dass das künftige Verhalten des Arbeitnehmers schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann; die Abmahnung dient insoweit der Objektivierung der negativen Prognose: Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen. Das gilt grds. uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (BAG 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35 = NZA 2011, 1027; LAG Bln.-Bra. 30.03.2012 LAGE § 611 BGB 2002 Abmahnung Nr. 9 = NZA -RR 2012, 353; LAG Köln 20.01.2012 NZA-RR 2012, 356), denn auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (BAG 10.06.2010 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32; Preis AuR 2010, 242;Schlachter NZA 2005, 433 ff.; Schrader NJW 2012, 342 ff.; s. LAG Bln.-Bra. 30.03.2012 LAGE § 611 BGB 2002 Abmahnung Nr. 9 = NZA-RR 2012, 353; Arbeitszeitbetrug; LAG Köln 20.01.2012 NZA-RR 2012, 356: vorzeitiges Arbeitsende ohne betriebliche Auswirkungen).

Entscheidender Zeitpunkt für die Beurteilung ist grds. (ebenso wie bei der ordentlichen Kündigung) der Zeitpunkt des Ausspruchs bzw. Zugangs der Kündigung. Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen (BAG 10.6.2010 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32 = NZA 2010, 1227; 28.10.1971 EzA § 626 BGB n. F. Nr. 9; 15.12.1955 BAGE 2, 245).

Nachträglich eingetretene Umstände können für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (BAG 10.6.2010; a. a. O.; 28.10.1971 a. a. O . Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (BAG 10.6.2010 a. a. O; 15.12.1955 a. a. O.). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (BAG 15.12.1955 a. a. O). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (BAG 10.6.2010; 19.04.2012 EzA § 626 BGB 202 Nr. 4 a. a. O.; 24.11.2005 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 12; 3.7.2003 EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2) gilt nichts anderes.

Die in den aufgehobenen gesetzlichen Vorschriften der §§ 123, 124 Gewerbeordnung, 71, 72 HGB nach altem Recht genannten Beispiele für wechselseitige wichtige Gründe (z. B. Arbeitsvertragsbruch, beharrliche Arbeitsverweigerung) sind als wichtige Hinweise für typische Sachverhalte anzuerkennen, die an sich geeignet sind, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung zu bilden und die Kündigung in der Regel auch zu rechtfertigen, wenn keine besonderen Umstände zugunsten des Gekündigten sprechen (vgl. BAG AP-Nr. 99 zu § 626 BGB). „Absolute Kündigungsgründe“, die ohne eine besondere Interessenabwägung eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, bestehen andererseits jedoch nicht (BAG 15.11.1984 EzA § 626 BGB n. F. Nr. 95; 10.6.2010; 19.04.2012 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 40 = NZA 2013, 27).

Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast gilt Folgendes: Der Kündigende ist darlegungs- und beweispflichtig für die Umstände, die als wichtige Gründe geeignet sein können. Die Bewertung eines Fehlverhaltens als vorsätzlich liegt insoweit im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und ist Gegenstand der tatrichterlichen Beweiswürdigung i.S.v. § 286 ZPO (BAG 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35 = NZA 2011, 1027).

Im Rahmen der ihr obliegenden Darlegungslast trifft jede Prozesspartei eine vollständige Substantiierungspflicht; sie hat sich eingehend und im Einzelnen nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiiert zu äußern. Andererseits darf von keiner Prozesspartei von Verfassungswegen etwas Unmögliches verlangt werden. Der Konflikt zwischen diesen beiden Positionen wird gelöst durch das Prinzip der Sachnähe, d. h., je näher eine Prozesspartei an dem fraglichen tatsächlichen Geschehen selbst unmittelbar und persönlich beteiligt ist, desto eingehender hat sie substantiiert vorzutragen. Das kann soweit gehen, dass sie auch verpflichtet sein kann, durch tatsächliches Vorbringen oder Vorlage von Unterlagen die Gegenpartei überhaupt erst in die Lage zu versetzen, der ihr obliegenden Darlegungslast nachzukommen. Schließlich muss das tatsächliche Vorbringen wahrheitsgemäß sein (vgl. BAG 26.06.2008, 23.10.2008 EzA § 23 KSchG Nr. 32, Nr. 33).

Zu den die Kündigung begründen Tatsachen, die der Kündigende vortragen und ggf. beweisen muss, gehören auch diejenigen, die Rechtfertigungs-und Entschuldigungsgründe (z.B. eine vereinbarte Arbeitsbefreiung, die Einwilligung des Arbeitgebers in eine Wettbewerbstätigkeit: eine „Notwehrsituation“, vgl. LAG Köln 20.12.2000 ARST 2001, 187) für das Verhalten des gekündigten Arbeitnehmers ausschließen (BAG 06.08.1987 EzA § 626 BGB n.F. Nr. 109; 18.09.2008 – 2 AZR 1039/06, EzA-SD 8/2009 S. i; Notwehr bei tätlicher Auseinandersetzung; 03.11.2011 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 79 = NZA 2012, 607).

Der Umfang der Darlegungs- und Beweislast richtet sich danach, wie substantiiert der Gekündigte sich auf die Kündigungsgründe einlässt. Der Kündigende muss daher nicht von vornherein alle nur denkbare Rechtfertigungsgründe widerlegen.

 

Es reicht insoweit nicht aus, dass der Gekündigte pauschal und ohne nachprüf-bare Angaben Rechtfertigungsgründe geltend macht. Er muss deshalb unter substantiierter Angabe der Gründe, die ihn gehindert haben, seine Arbeitsleistung, so wie an sich vorgesehen, zu erbringen, den Sachvortrag des Kündigenden nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen bestreiten. Gleiches gilt dann, wenn sich der Gekündigte anders als an sich vorgesehen verhalten hat (s. BAG 18.09.2008 – 2 AZR 1039/06, FA 2009, 221 LS).

Nur dann ist es dem Kündigenden möglich, diese Angaben zu überprüfen und ggf. die erforderlichen Beweise anzutreten (BAG 06.08.1987 EzA § 626 BGB n.F. Nr. 109). Wenn der gekündigte Arbeitnehmer sich allerdings gegen die Kündigung wehrt und i.S.d. § 138 Abs. 2 ZPO ausführlich Tatsachen vorträgt, die einen Rechtfertigungsgrund für sein Handeln darstellen oder sonst das Verhalten in einem milderen Licht erscheinen lassen können, muss der Arbeitgeber seinerseits Tatsachen vorbringen und ggf. beweisen, die die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Rechtfertigungsgründe erschüttern (LAG Köln 21.04.2004 LAG Report 2005, 64 LS). Will der Arbeitgeber bspw. die außerordentliche Kündigung auf die Behauptung stützen, der Arbeitnehmer habe Beträge aus der Einlösung von Schecks unterschlagen, muss er im Einzelnen diese Unterschlagung darlegen und unter Beweis stellen. Wenn der Arbeitnehmer nachvollziehbar darlegt, wann und wenn er die Beträge abgeliefert hat, kann sich der Arbeitgeber nicht mit Erfolg auf den Standpunkt stellen, der Arbeitnehmer müsse die Ablieferung der Beträge beweisen (LAG Köln 26.06.2006 – 14 Sa 21/06, EzA-SD 19/06, S. 10 LS).

Die dem kündigenden Arbeitgeber obliegende Beweislast geht auch dann nicht auf den gekündigten Arbeitnehmer über, wenn dieser sich auf eine angeblich mit dem Arbeitgeber persönlich vereinbarte Arbeitsbefreiung beruft und er einer Parteivernehmung des Arbeitgebers zu der streitigen Zusage widerspricht.

In diesem Fall sind allerdings an das Bestreiten einer rechtswidrigen Vertragsverletzung hinsichtlich des Zeitpunkts, des Ortes und des Anlasses der behaupteten Vereinbarung, die das Verhalten des Arbeitnehmers rechtfertigen oder entschuldigen sollen, strenge Anforderungen zu stellen (BAG 24.11.1983 EzA § 626 BGB n.F. Nr. 88; APS/Dörner/Vossen § 626 BGB Rn. 173 ff.).

Gelingt es dem Arbeitgeber nicht, den Kündigungsvorwurf in tatsächlicher Hinsicht zu beweisen, ist die streitgegenständliche Kündigung mangels eines wichtigen Grundes i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB unwirksam (LAG RhPf 21.05.2010 NZA-RR 2011, 80).

Für das erforderliche Beweismaß der vollen Überzeugung im Sinne des § 286 Abs. 1 ZPO gelten nachfolgende Grundsätze:

Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Insofern ist das tatsächliche Vorbringen der Beklagten, dass die Klägerin zulässigerweise bestritten hat, nach Maßgabe der vor dem Arbeitsgericht durchgeführten Beweisaufnahme als wahr anzusehen.

Auf der Basis der abgeschlossenen Beweisaufnahme stellt die richterliche Würdigung einen internen Vorgang in der Person der Richter zur Prüfung der Frage dar, ob ein Beweis gelungen ist. Im Rahmen dieses internen Vorgangs verweist § 286 ZPO ganz bewusst auf das subjektive Kriterium der freien Überzeugung des Richters und schließt damit objektive Kriterien – insbesondere die naturwissenschaftliche Wahrheit als Zielpunkt – aus. Die gesetzliche Regelung befreit den Richter bzw. das richterliche Kollegium von jedem Zwang bei seiner Würdigung und schließt es damit auch aus, dass das Gesetz dem Richter vorschreibt, wie er Beweise einzuschätzen und zu bewerten hat. Dabei ist Bezugspunkt der richterlichen Würdigung nicht nur das Ergebnis der Beweisaufnahme, sondern der gesamte Inhalt der mündlichen Verhandlung (vgl. Münchner Kommentar zur ZPO – Prütting, 4. Auflage 2013, § 286 Rn. 1 ff.).

Hinsichtlich der Anforderungen an die richterliche Überzeugung ist von Folgendem auszugehen: Die richterliche Überzeugung ist nicht gleichzusetzen mit persönlicher Gewissheit. Der Begriff der Gewissheit stellt nämlich absolute Anforderungen an eine Person. Er lässt für – auch nur geringe – Zweifel keinen Raum. Dies wird gesetzlich aber nicht verlangt; die gesetzliche Regelung geht vielmehr davon aus, das Gericht müsse etwas für wahr „erachten“. Bei dem Begriff der richterlichen Überzeugung geht es also nicht um ein rein personales Element der subjektiven Gewissheit eines Menschen, sondern darum, dass der Richter in seiner prozessordnungsgemäßen Stellung bzw. das Gericht in seiner Funktion als Streit entscheidendes Kollegialorgan eine prozessual ausreichende Überzeugung durch Würdigung und Abstimmung erzielt. Daraus folgt, dass es der richterlichen Überzeugung keinesfalls im Weg steht, wenn dem Gericht aufgrund gewisser Umstände Unsicherheiten in der Tatsachengrundlage bewusst sind. Unerheblich für die Beweiswürdigung und die Überzeugungsbildung ist auch die Frage der Beweislast. Richterliche Überzeugung ist vielmehr die prozessordnungsgemäß gewonnene Erkenntnis des einzelnen Richters oder der Mehrheit des Kollegiums, dass die vorhandenen Eigen- und Fremdwahrnehmungen sowie Schlüsse ausreichen, die Erfüllung des vom Gesetz vorgesehenen Beweismaßes zu bejahen. Es darf also weder der besonders leichtgläubige Richter noch der generelle Skeptiker ein rein subjektives Empfinden als Maß der Überzeugung setzen, sondern jeder Richter muss sich bemühen, unter Beachtung der Prozessgesetze, Ausschöpfung der gegebenen Erkenntnisquellen und Würdigung aller Verfahrensergebnisse in gewissenhafter und vernünftigerweise einer Entscheidung nach seiner Lebenserfahrung darüber zu treffen, ob im Urteil von der Wahrheit einer Tatsachenbehauptung auszugehen ist. Dabei muss sich das Gericht allerdings der Gefahren für jede Wahrheitsfindung bewusst sein.

Dabei ist letzten Endes ausschlaggebend, dass das Gesetz eine von allen Zweifeln freie Überzeugung nicht voraussetzt. Vielmehr kommt es auf die eigene Überzeugung des entscheidenden Richters an, auch wenn andere zweifeln oder eine andere Auffassung erlangt haben würden. Der Richter darf und muss sich aber in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGHZ 53, 245 = NJW 1970, 946; vgl. Münchner Kommentar zur ZPO – Prütting a. a. O., Rn. 28 ff). Vom Richter wird letztlich verlangt, dass er die volle Überzeugung erlangt, dass er eine streitige Tatsachenbehauptung für wahr erachtet. Diese Überzeugung kann und darf er nicht gewinnen, wenn für die streitige Behauptung nur die überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht, vielmehr muss für die behauptete Tatsache eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit sprechen, damit der Richter die Tatsache für wahr erachtet.

Für eine außerordentliche Verdachtskündigung gelten insoweit folgende Grundsätze:

Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG z. B. (04.06.1964 AP Nr. 13 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; 10.02.2005 EzA § 1 KSchG Verdachtskündigung Nr. 3; 29.11.2007 EzA § 626 BGB 21002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5; 05.06.2008 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nrt. 7; 25.11.2010 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 21.06.2012 EzA § 9 KSchG n.F. Nr. 63 = NZA 2013, 199; 25.10.2012 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 13) kann auch der auf objektive – unstreitige oder bewiesene – Tatsachen gründende dringende Verdacht einer Straftat mit Bezug zum Arbeitsverhältnis oder eines sonstigen erheblichen Fehlverhaltens, einer schwerwiegenden Verletzung von erheblichen arbeitsvertraglichen Pflichten (BAG 24.05.2012 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 11 = NZA 2013, 137) ein an sich zur außerordentlichen Kündigung berechtigender Umstand sein (s. Lunck NJW 2010, 2753 ff.). Auch insoweit ist für die kündigungsrechtliche Beurteilung einer Pflichtverletzung ihre strafrechtliche Bewertung nicht maßgebend. Entscheidend sind der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichtigen (§ 241 Abs. 2 BGB; Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (BAG 25.11.2010 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 21.06.2012 EzA § 9 KSchG n.F. Nr. 63 = NZA 2013, 199).

Eine Verdachtskündigung setzt danach voraus (s. BAG 25.11.2010 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; LAG RhPf 08.07.2009 – 8 Sa 203/09, AuR 2010, 176 LS; vgl. Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, a. a. O., Kap. 4, Rn. 1551 ff. = S. 1712 ff.), dass

– die Kündigung gerade auf den Verdacht der strafbaren Handlung bzw. eines vertragswidrigen Verhaltens gestützt wird;

– eine Anhörung des Arbeitnehmers vor Ausspruch der Kündigung erfolgt ist.

– zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung ein dringender Tatverdacht gegen den Arbeitnehmer besteht und

– eine umfassende Interessenabwägung der widerstreitenden Interessen des Arbeitgebers einerseits an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses einerseits und dem des Arbeitnehmers an der Fortsetzung (einstweiligen Fortsetzung des Arbeitnehmers) andererseits überwiegt.

Der Verdacht einer Straftat ist nämlich nur dann ein an sich zur außerordentlichen Kündigung berechtigender Umstand, wenn er zum einen objektiv durch bestimmte Tatsachen begründet ist – subjektive Wertungen des Arbeitgebers reichen nicht aus – und sich aus Umständen ergibt, die so beschaffen sind, dass sie einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen können; er muss also dringend sein; es muss bei kritischer Prüfung eine auf Indizien gestützte große Wahrscheinlichkeit für eine erhebliche Pflichtverletzung gerade des gekündigten Arbeitnehmers bestehen (BAG 21.06.2012 EzA § 9 KSchG n.F. Nr. 63 = NZA 2013, 199; 12.05.2010 EzA § 15 KSchG n.F. Nr. 67; 13.03.2008 EzA § 626 BGBN 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6; 29.11.2007 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5; 10.02.2005 EzA § 1 KSchG Verdachtskündigung Nr. 3; LAG SchlH 25.02.2004 NZA-RR 2005, 132; LAG Köln 14.05.2008 – 7 TaBV 6/08, AuR 2009,104 LS). Aus der Darlegung des Arbeitgebers muss sich ein dringender Verdacht auf eine in ihren Einzelheiten gekennzeichnete Straftat oder vergleichbare Pflichtwidrigkeit i.S. eines konkreten Handlungsablaufs schlüssig ergeben; sind die insoweit vorgetragenen Tatsachen nicht unstreitig, muss Beweis erhoben werden (LAG Bln-Bra. 16.12.2010 LAGE § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10).

Allein aus dem Umstand, dass die dem Arbeitnehmer zur Last gelegte Handlung nicht mit letzter Sicherheit erwiesen ist, kann demzufolge nicht gefolgert werden, auch die Verdachtskündigung sei nicht gerechtfertigt. Insgesamt muss aber nicht nur der Verdacht als solcher schwerwiegend sein. Vielmehr muss ihm auch ein erhebliches Fehlverhalten des Arbeitnehmers – strafbare Handlung oder schwerwiegende Pflichtverletzung (Tat) – zugrunde liegen. Die Verdachtsmomente müssen daher regelmäßig ein solches Gewicht erreichen, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überhaupt nicht mehr zugemutet werden kann (BAG 27.11.2008 EzA § 1 KSchG Verdachtskündigung Nr. 4). Nach ArbG Bln. (28.09.2010 – 1 Ca 5421/10, BB 2011, 382) reicht insoweit allerdings der dringende Verdacht aus, ein Kassierer habe manuell Pfandbons im Wert von 6,06 EUR erstellt, ohne dass dem ein tatsächlicher Kassiervorgang gegenübergestanden hätte und den Gegenwert an sich genommen, so dass die Kasse beim Kassenabschluss keinen Plussaldo aufwies.

Der Verdacht muss zudem dringend sein, d. h. es muss eine große, zumindest überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Arbeitnehmer eine Straftat begangen hat, obwohl der Arbeitgeber alle ihm zumutbaren Anstrengungen zur Sachverhaltsaufklärung unternommen hat (BAG 30.04.1987 EzA § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr. 3; 06.09.2007 EzA § 307 BGB 2002 Nr. 29: stark oder dringend; 13.03.2008 EZA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6: starke Verdachtsmomente; LAG Hamm 22.09.2004 LAGE § 1 Verdachtskündigung Nr. 1; a.A. LAG Köln 10.08.1999 ARST 2000, 161: so knapp unter der Schwelle der Gewissheit, dass nachhaltigen Zweifeln Schweigen geboten ist; LAG Köln 14.05.2008 – 7 TaBV 6/08, AuR 2009, 104 LS u. 13.08.2009 – 7 Sqa 1256/07, AuR 2009, 369 LS: nur geringfügiges Zurückbleiben hinter der Gewissheit der Tatbegehrung; LAG SchlH 25.02.2003 – 3 Sa 491/03, NZA-RR 2005, 132: große Wahrscheinlichkeit, schwerwiegende Verdachtsmomente; LAG Nds. 08.06.2004 NZA-RR 2005, 24: starke Verdachtsmomente).

Anders als der Begriff suggeriert, ist die Verdachtskündigung keineswegs als ein einfach zu handhabendes, erleichterten Anforderungen unterliegendes Rechtsinstrument zur zügigen Beendigung – warum auch immer – als unbefriedigend empfundener Arbeitsverhältnisse zu bewerten. Schon deshalb nicht weil stets die Gefahr besteht, dass ein Unschuldiger betroffen ist. Zudem ist der Unterschied zwischen der »vollen tatrichterlichen Überzeugung« (der Täterschaft) und dem »dringenden Tatverdacht« eher akademischer Natur, denn auch erstere

schließt Zweifel keineswegs aus. Für das Gericht handelt es sich deshalb eher um ein willkommenes Mittel zur Besänftigung letzter Zweifel, wenn denn schon ein Verdacht zur Kündigung ausreichen kann. Das gilt vor allem vor dem Hintergrund der Rechtsprechung zur Darlegungs- und Beweislast im Rahmen des § 23 Abs. 1 KSchG (BAG 26.6.2008 EzA §23 KSchG Nr. 32; 23.10.2008 EzA § 23 KSchG Nr. 33). die sich als verfassungskonforme Auslegung der §§ 138, 139 ZPO auch hier anwenden und wie folgt zusammenfassen lässt: In verfassungskonformer Auslegung der §§ 138, 139 BGB vor dem Hintergrund des Justizgewährungsanspruchs des Art. 19 Abs. 4 GG darf von keiner Prozesspartei beim Sachvortrag etwas Unmögliches verlangt werden, was sie nicht wissen kann, kann sie nicht darlegen müssen. Das steht im Spannungsfeld mit einer umfassenden Substantiierungspflicht. Gelöst wird dieser Konflikt in jedem Einzelfall nach dem Prinzip der Sachnähe: je näher die Prozesspartei am fraglichen Geschehen selbst unmittelbar beteiligt ist und deshalb Kenntnisse haben kann und muss, desto intensiver und detaillierter muss sie vortragen. Nichts anderes gilt für den daraufhin gebotenen Sachvortrag des Prozessgegners. Dabei muss der Sachvortrag wahrheitsgemäß sein.

Mit der Anwendung dieser Grundsätze wird dem Arbeitsgericht abgesehen von Fällen eines echten Beweisnotstands die Bildung einer vollen tatrichterlichen Überzeugung ermöglicht; die Verdachtskündigung ist kein Instrument, sich und den Parteien eine lästige und insbesondere zeitaufwendige Beweisaufnahme zu ersparen. Erforderlich ist zudem der dringende Verdacht einer erheblichen Pflichtverletzung, sodass der Verdacht von Bagatelldelikten i. d. R. ausscheiden wird.

Eine sexuelle Belästigung i. S. v. § 3 Abs. 4 AGG stellt auch nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist >an sich< als wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Ob sie im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, u. a. von ihrem Umfang und ihrer Intensität (BAG 20.11.2014 – 2 AZR 651/13 – EzA § 626 BGB 2002 Nr. 47 = NZA 2015, 294).

Eine sexuelle Belästigung i. s. v. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Bereits eine einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweise kann den Tatbestand der sexuellen Belästigung erfüllen. Für das >Bewirken< genügt der bloße Eintritt der Belästigung. Auf vorsätzliches Verhalten kommt es nicht an. Maßgeblich ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweisen objektiv erkennbar war (BAG 20.11.2014 – 2 AZR 651/13 – EzA § 626 BGB 2002 Nr. 47 = NZA 2015, 294).

Beruht eine Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i. V. m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich auch für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen ist (BAG 20.11.2014 – 2 AZR 651/13 – EzA § 626 BGB 2002 Nr. 47 = NZA 2015, 294).

Der bei der Prüfung einer (außerordentlichen) Kündigung zu beachtende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird auch durch § 12 Abs. 3 AGG konkretisiert. Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Verbot sexueller Belästigungen i. S. v. § 3 Abs. 4 AGG im Einzelfall die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen – wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung – zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Geeignet i. S. d. Verhältnismäßigkeit sind nur solche Maßnahmen, von denen Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, d. h. eine Wiederholung ausschließen (BAG 20.11.2014 – 2 AZR 651/13 – EzA § 626 BGB 2002 Nr. 47 = NZA 2015, 294).

Ein Irrtum des Arbeitnehmers über die Unerwünschtheit seiner Verhaltensweisen kann bei der Interessenabwägung auch dann zu seinen Gunsten berücksichtigt werden, wenn er die Fehleinschätzung hätte vermeiden können. Auch wenn entschuldigendes Verhalten erst unter dem Eindruck einer – drohenden – Kündigung gezeigt wird, kann es die Annahme, es bestehe keine Wiederholungsgefahr, jedenfalls dann stützen, wenn es sich um die Bestätigung einer bereits zuvor gezeigten Einsicht handelt (BAG 20.11.2014 – 2 AZR 651/13 – EzA § 626 BGB 2002 Nr. 47 = NZA 2015, 294).

Bei sexuellen Belästigungen hat der Arbeitgeber die zum Schutz der Mitarbeiter vorgesehenen Maßnahmen zu ergreifen. Er hat dabei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (zutr. ArbG Hmb. 23.2.2005 NZA-RR 2005, 306; LAG Nds. 29.11.2008 – 1 Sa 547/08, EzA-SD 3/2009 S. 4 LS; LAG BW 17.7.2 013 LAGE § 12 AG Nr. 3). Sind mehrere Maßnahmen geeignet und möglich, die Benachteiligung infolge sexueller Belästigung für eine Arbeitnehmerin abzustellen, so hat der Arbeitgeber diejenige zu wählen, die den Täter am wenigsten belastet. Das gilt umso mehr, wenn in der Dienststelle eine Dienstvereinbarung gilt, die gestufte Gegenmaßnahmen des Arbeitgebers für den Fall sexueller Belästigung vorsieht (LAG Nds. 29.11.2008 NZA-RR 2009, 249). Maßgeblich sind aber die konkreten Umstände des Einzelfalls. Gegebenenfalls kann auch eine Abmahnung als Reaktion auf eine solche Pflichtwidrigkeit ausreichen, sodass sich eine Kündigung als unverhältnismäßig erweist (LAG BW 17.7.2013 LAGE § 12 AGG Nr. 3).

Reicht eine Abmahnung (vgl. dazu ArbG Hmb. 23.2.2005 NZA-RR 2005, 306; LAG Hessen 27.2.2012 NZA-RR 2012, 471) nicht aus um die Fortsetzung sexueller Belästigungen mit der gebotenen Sicherheit zu unterbinden und kommt eine Umsetzung oder Versetzung des Störers nicht in Betracht, kann der Arbeitgeber mit einer Kündigung auf die sittlichen Verfehlungen reagieren. Eine außerordentliche Kündigung ist allerdings nur angemessen, wenn der Umfang und die Intensität der sexuellen Belästigungen sowie die Abwägung der beiderseitigen Interessen diese Maßnahme rechtfertigen (LAG Hamm 22.10.1996 NZA 1997, 769; s. a. LAG SchlH 4.3.2009 – 3 Sa 410/08, BB 2009, 1816 zur verbalen sexuellen Belästigung); insbes. die sexuelle Belästigung einer Arbeitnehmerin durch einen Vorgesetzten – die gem. §§ 1 ff. AGG eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten darstellt – kann also je nach Intensität und Umfang ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB sein (BAG 25.3.2004 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 6; 9.6.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 36 = NZA 2011, 1342; LAG Hessen 27.2.2012 NZA-RR 2012, 471; vgl. Schulte-Westenberg NZA-RR 2005, 617 ff.). Andererseits macht eine begangene verbale sexuelle Belästigung die Weiterbeschäftigung i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB nicht per se unzumutbar (LAG SchlH 4.3.2009 – 3 Sa 410/08, BB 2009, 1816).

U. U. kann auch ein rein passives Verhalten in der Form eines zögernden, zurückhaltenden Geschehenlassens gegenüber einem drängenden, durchsetzungsfähigen Belästiger, insbes. einem Vorgesetzten, zur Erkennbarkeit einer ablehnenden Handlung ausreichen. Hat ein Vorgesetzter sexuelle Handlungen gegen den Willen der Arbeitnehmerin vorgenommen, bedarf es keiner Abmahnung, weil es wegen § 3 Abs. 4 AGG dem Vorgesetzten klar sein muss, dass eine intensive sexuelle Belästigung einer Arbeitnehmerin gegen ihren erkennbaren Willen ein Verstoß gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten war (BAG 25.3.2004 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 6).

Die vom Arbeitgeber gem. § 12 AGG zu treffenden vorbeugenden Schutzmaßnahmen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz berechtigen ihn nicht, der sexuellen Belästigung beschuldigte Arbeitnehmer zu entlassen, wenn ihnen eine entsprechende Tat nicht nachgewiesen werden kann. Auch § 12 AGG gewährt insoweit kein besonderes Kündigungsrecht; möglich ist aber eine Verdachtskündigung nach den allgemeinen Grundsätzen (BAG 8.6.2000 EzA § 15 KSchG n. F. Nr. 50; krit. Linde AuR 2001, 272 ff.; s. Rdn. 1571 ff).

Der Arbeitgeber hat die im konkreten Einzelfall angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen zu ergreifen. Welches der im AGG nicht abschließend genannten Sanktionsmittel im konkreten Fall angemessen ist, ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit, hängt also von der Schwere des Vorfalls sowie dem Umstand ab, ob es sich um eine erstmalige oder um eine wiederholte Verfehlung handelt. Dabei sind auch die sozialen Gesichtspunkte aufseiten des Belästigers angemessen in die Bewertung einzubeziehen (ArbG Ludwigshafen 29.11.2000 FA 2001, 146). Sexuelle Übergriffe eines Vorgesetzten (tätliche Belästigungen) während der Arbeitszeit gegenüber weiblichen Mitarbeiterinnen rechtfertigen andererseits regelmäßig eine fristlose Kündigung auch ohne Abmahnung, jedenfalls dann, wenn es sich um eine äußerst massive tätliche Belästigung handelt (LAG Nds. 21.1.2003 NZA-RR 2004, 19).

Das Arbeitsgericht ist in der angefochtenen Entscheidung vom 20.05.2015 – 12 Ca 4570/14 – davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen eines dringenden Tatverdachts nicht gegeben sind und hat dies wie folgt begründet:

Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein etwa von Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen (BAG, Urteil vom 20.11.2014, a.a.O.).

Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat als Indizien für die behauptete sexuelle Belästigung insbesondere die Angaben von Frau P. bei ihrem Gespräch am 31.10.2014 herangezogen. Sämtliche dort genannten Vorfälle mit Ausnahme des Fußballturniers und des Vorfalls vom 20. auf den 21.10.2014 erfüllen zwar den Tatbestand der sexuellen Belästigung. Nicht nur das körperliche Berühren durch hartes Anfassen, Streicheln durch das Haar oder der Hände ist geeignet, eine sexuelle Belästigung darzustellen. Auch wer am Arbeitsplatz die allgemein übliche minimale körperliche Distanz zu einem Mitarbeiter regelmäßig nicht wahrt, sondern diesen gezielt unnötig und wiederholt anfasst, berührt oder gar sich mit seinem Körper an den Mitarbeiter herandrängelt, obwohl all diese Kontakte erkennbar nicht erwünscht sind, begeht eine sexuelle Belästigung. Jedoch hat die Beklagte sämtliche dort behaupteten sexuellen Belästigungen auch nach dem Bestreiten des Klägers zeitlich nicht näher konkretisiert. Bereits in dem gerichtlichen Auflagenbeschluss vom 07.01.2015 wurde der Beklagten aufgegeben, im Einzelnen darzulegen, wann (sic!) der Kläger in welcher Form welche Mitarbeiterin in welcher Art und Weise sexuell angegangen bzw. belästigt haben soll. Auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger sich zu den Vorwürfen mangels zeitlicher Konkretisierung gar nicht weiter einlassen konnte, als diese einfach zu bestreiten, oblag es der Beklagten nach prozessualen Gesichtspunkten der Darlegungs- und Beweislast, ihr Vorbringen in zeitlicher Hinsicht näher zu konkretisieren. Eine zeitliche Eingrenzung fand nur insoweit statt, als die Vorfälle in den letzten anderthalb Jahren stattgefunden haben sollen. Dies ist nicht ausreichend, zumal die Reihenfolge und die „Intervalle“ der behaupteten Belästigungen nicht erkennbar sind.

Diese Vorwürfe müssen, nachdem der Kläger diese im Einzelnen bestritten hat, nach dem jeweiligen Zeitpunkt konkretisiert werden, damit der Kläger sich hierauf wiederum einlassen kann. Insoweit richtet sich das Maß des Behauptens nach dem Maß des Bestreitens, § 138 Abs. 1 ZPO. Demnach ist die Beklagte ihrer Darlegungslast nicht hinreichend nachgekommen.

Jedenfalls ist die Beklagte für diese Behauptungen beweisfällig geblieben. Die diesbezüglichen Beweisanerbieten sind insgesamt auf die Erhebung eines prozessual unzulässigen Ausforschungsbeweises gerichtet, da durch eine entsprechende Beweisaufnahme erst der notwendige Tatsachenvortrag hinsichtlich des genauen Zeitpunkts der Verfehlungen, ihrer Häufigkeit und der zeitlichen Reihenfolge hätte ermittelt werden müssen. Die Erhebung eines Ausforschungsbeweises ist jedoch grundsätzlich unzulässig, soweit dieser dazu dient, Beweis zur Beschaffung einer nach § 286 ZPO beweiserheblichen Tatsache anzutreten (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 71. Aufl. Einführung § 284 ZPO, Rdnr. 27 ff). Die Kammer war somit in keiner Weise gehalten, diesbezüglichen Ausforschungsbeweisanerbieten der Beklagten nachzukommen.

Auch die weiteren von der Beklagten behaupteten Indizien, worunter auch die Beobachtungen der anderen Kolleginnen und Kollegen gehören, insbesondere der Zeugin L., sind unsubstantiiert und im Übrigen einer Beweisaufnahme nicht zugänglich. Denn insbesondere bei den von der Beklagten aufgestellten Behauptungen im Zusammenhang mit Frau L. fehlen wiederum jegliche zeitliche Angaben.

Nach alledem bleibt es dabei, dass die fehlende Konkretisierung der einzelnen Vorwürfe in zeitlicher Hinsicht auch nicht durch den Ausspruch einer Verdachtskündigung „umgangen“ werden kann. Denn die erforderlichen Indizien, die als objektive Tatsachen für den Ausspruch einer Verdachtskündigung benötigt werden, müssen im Einzelnen nach Ort und Zeit auch vor dem Hintergrund genannt werden, damit sich der beschuldigte Arbeitnehmer hierzu im Rahmen der Anhörung konkret einlassen und sich verteidigen kann. Dieses ist bei Vorwürfen, die in zeitlicher Hinsicht nur vage mit einem Zeitraum von anderthalb Jahren angegeben werden, nicht möglich.

Auch die von der Beklagten ebenfalls als Indiz für die begangenen sexuellen Belästigungen herangezogene Verfassung von Frau P. – sie habe einen sehr ängstlichen Eindruck gemacht – stellt – diesen Sachvortrag als wahr unterstellt – kein Beweisanzeichen dar, auf das die sexuelle Belästigung durch den Kläger mit großer Wahrscheinlichkeit gestützt werden kann. Die Verfassung einer Mitarbeiterin kann verschiedene Ursachen haben.

Soweit die Beklagte auf den Vorfall mit dem Fußballturnier im Juli 2014 sowie auf den Vorfall vom 20. auf den 21.10.2014 abstellt, stellen diese keine sexuellen Belästigungen dar. Im Fall des Fußballturniers handelt es sich nach dem Vortrag der Beklagten um das in Aussichtstellen von Begünstigungen, die jedenfalls keine schwerwiegende Pflichtverletzung und damit keinen an sich geeigneten wichtigen Grund darstellen. Auch die dem Kläger vorgeworfene Pflichtverletzung im Zusammenhang mit dem Vorfall am 20. auf den 21.10.2014 stellt keinen an sich geeigneten wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar, da das bloße Bezichtigen einer geringen Fehlleistung eines anderen Mitarbeiters durch den Vorgesetzten keine schwerwiegende Pflichtverletzung darstellen kann.“

Dem folgt die Kammer nicht.

Mit der Beklagten ist insoweit vielmehr davon auszugehen, dass das Arbeitsgericht die an die Substantiierungspflicht der Beklagten zu stellenden Anforderungen überspannt hat; zum anderen hat das Arbeitsgericht nach Auffassung der Kammer nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Kläger mit Ausnahme der Einladungen zu dem Fußballturnier zu allen insoweit vorgetragenen Umständen keinerlei Tatsachen inhaltlich vorgetragen, sondern sich ausschließlich darauf beschränkt hat, das Vorbringen der Beklagten in Abrede zu stellen. Bei der Würdigung des tatsächlichen Vorbringens der Parteien im vorliegenden Rechtsstreit ist dabei aber zu berücksichtigen, dass die Beklagte als Arbeitgeber und Prozesspartei keine eigenen unmittelbaren Tatsachen hinsichtlich der streitgegenständlichen Vorfälle vortragen kann, weil sie daran selbst nicht beteiligt war. Sie ist also auf die Bekundungen der Mitarbeiterin P. angewiesen, die sie ebenso arbeitsvertraglich wie schutzgesetzlich vor sexueller Belästigung zu schützen hat. Andererseits darf weder das Rechtsinstitut der Verdachtskündigung, noch das der Tatkündigung aufgrund unsubstantiierten tatsächlichen Vorbringens dazu führen, dass ein unschuldiger Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz verliert. Allerdings hängt das Ausmaß dessen, was an tatsächlichem Vorbringen von einem insoweit beschuldigten Arbeitnehmer verlangt werden kann, von dem Inhalt des tatsächlichen Vorbringens des ihn beschuldigenden Arbeitgebers ab. Insoweit geht die Kammer davon aus, dass die behaupteten Vorfälle sich jedenfalls aus der Sicht der Mitarbeiterin P., so wie vorgetragen, im Wesentlichen auch tatsächlich zugetragen haben. Hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass das gesamte tatsächliche Vorbringen insoweit frei erfunden sein könnte, bestehen nicht. Insbesondere hat sich der Kläger mit Ausnahme der Einladungen zum Fußballturnier zu keiner der durchaus näher beschriebenen konkreten Situation inhaltlich geäußert, sondern das Vorbringen insgesamt lediglich in Abrede gestellt. Dabei ist unklar, warum es dem Kläger nicht möglich gewesen sein könnte, zu den Vorfällen im Einzelnen auch inhaltlich Stellung zu nehmen. Geht man davon aus, dass der Kläger Vorgesetzter der Mitarbeiterin P. war, war dies ohne Weiteres zu erwarten und nach dem Prinzip der Sachnähe auch zuzumuten. So erweckt das Vorbringen des Klägers den Anschein, er stehe in keinerlei Beziehung zu der Mitarbeiterin P., obwohl er unstreitig ihr Vorgesetzter ist. Berücksichtigt man, dass das BAG zuletzt (16.07.2015 – 2 AZR 85/15 – EzA Sd. 3/2016, S. 3 ff.) völlig zu Recht sogar davon ausgeht, dass den Arbeitnehmer bereits auf der Tatbestandsebene des wichtigen Grundes auch eine sekundäre Darlegungslast treffen kann, so dass dann, wenn der Arbeitgeber als die primär darlegungsbelastete Partei außerhalb des fraglichen Geschehensablauf steht, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner Sachnähe die wesentlichen Tatsachen kennt, er gehalten sein kann, dem Arbeitgeber durch nähere Angaben weiteren Sachvortrag zu ermöglichen. Das hat zur Konsequenz, dass er dann, wenn er in einer solchen Prozesslage seiner sekundären Darlegungslast nicht nachkommt, das tatsächliche Vorbringen des Arbeitgebers, soweit es nicht völlig aus der „Luft gegriffen ist“, im Sinne von § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt. Zwar können an die sekundäre Behauptungslast des Arbeitnehmers keine überzogenen Anforderungen gestellt werden, weil sie lediglich dazu dient, es dem kündigenden Arbeitgeber als primär darlegungs- und beweispflichtiger Partei zu ermöglichen, weitere Nachforschungen anzustellen und sodann substantiiert zum Kündigungsgrund vorzutragen und ggf. Beweis anzutreten. Diese Ausführungen belegen aber, dass dann erst Recht ein Arbeitnehmer als verpflichtet anzusehen ist, zu Lebenssachverhalten, die inhaltlich tatsächlichen durchaus hinreichend präzise umrissen sind, auch inhaltlich Stellung zu nehmen. Dem hat sich der Kläger in beiden Rechtszügen vollständig verweigert, mit Ausnahme der Einladungen zu dem Fußballturnier. Folglich ist die Kammer davon ausgegangen, dass das Vorbringen der Beklagten als zugestanden anzusehen ist.

Danach geht die Kammer davon aus, dass der Kläger gegenüber der Mitarbeiterin Frau P. ein Verhalten an den Tag gelegt hat, durch das diese sich belästigt und unter Druck gesetzt und damit auch bedroht gefühlt hat. Dies gilt zum einen für die von der Beklagten dargestellten Bemerkungen „Ich suche eine Frau“, „Was denkst Du unter der Dusche?“, „Wenn Du besonders lieb und freundlich zu mir bist, darfst Du auch codieren oder im Frühdienst Pakete kleben, wenn nicht, dann stecke ich Dich in die Spätschicht“, „Solange ich hier was zu sagen habe, kommst Du nicht zum codieren“, Wenn Du nochmal mit einem anderen Mann sprichst, sperre ich Dich in den T.-Käfig“ und „Du kannst Dich beschweren, wo Du willst, Dir glaubt eh keiner. Und denk immer daran, auf Dich können die verzichten, auf mich nicht“. Allerdings ist, auch wenn diese Äußerungen und Bemerkungen ausreichen, eine sexuelle Belästigung vorliegend anzunehmen, zu berücksichtigen, dass das Gesamtverhalten des Klägers sich insoweit eher am unteren Ende einer möglichen Eskalationsskala bewegt. Gleichwohl ist es ungehörig, verletzt die arbeitsvertraglichen Nebenpflichten, die der Kläger als Vorgesetzter gegenüber der Mitarbeiterin zu beachten hat, und stellt folglich eine durchaus nicht unerhebliche Pflichtverletzung dar. Dabei ist allerdings ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Kammer vom objektiven Unwertgehalt dieses Verhaltens auszugehen hat, nicht aber von der dadurch ausgelösten Wirkung aufgrund einer besonderen subjektiven Befindlichkeit der Mitarbeiterin P.. Berücksichtigt man dies, so ist vorliegend nach Auffassung der Kammer davon auszugehen, dass nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Ausspruch einer Abmahnung ausgereicht hätte, um nach Maßgabe des Prognoseprinzips dem Kläger die Möglichkeit einzuräumen, sein Verhalten zu ändern, was, weil es sich um ein ersichtlich willensgesteuertes Verhalten handelt, als möglich erscheint. Dafür spricht auch die langjährige beanstandungsfreie Dauer des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses. Vor diesem Hintergrund erscheint die streitgegenständliche außerordentliche Kündigung sowohl unter dem Gesichtspunkt der Tat – als auch unter dem Gesichtspunkt der Verdachtskündigung als unverhältnismäßig. Hinzu kommt, dass die Möglichkeit besteht, durch eine entsprechende Schichtplangestaltung eine Zusammenarbeit des Klägers mit Frau P. zukünftig auszuschließen.

Auch die hilfsweise erklärte ordentliche Arbeitgeberkündigung ist sowohl unter dem Gesichtspunkt der Tat- als auch der Verdachtskündigung rechtsunwirksam, da sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG.

Was als verhaltensbedingter Kündigungsgrund zu verstehen ist, wird im KSchG zwar nicht definiert. Allerdings kommen verhaltensbedingte Umstände, die grds. dazu geeignet sind, einen wichtigen Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen, ebenso als verhaltensbedingte Gründe i. S. d. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG in Betracht. Im Übrigen ist eine Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen des Arbeitnehmers gem. § 1 Abs. 2 S 1 Alt. 2 KSchG dann sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und i. d. R. schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile angemessen erscheint. Ein nachhaltiger Verstoß des Arbeitnehmers gegen berechtigte Weisungen des Arbeitgebers stellt eine Vertragspflichtverletzung dar, die eine Kündigung zu rechtfertigen vermag. Ebenso kann eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gem. § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers eine Kündigung rechtfertigen (BAG 24.06.2004 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 37; 03.11.2011 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 79 = NZA 2012, 607;s. a. BAG 12.05.2011 EzA § 123 BGB 2002 Nr. 10).

Eine ordentliche verhaltensbedingte Arbeitgeberkündigung ist grds. nur dann sozial gerechtfertigt (vgl. BAG 24.06.2004 EzA § 1 KSchG, Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65, 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 37; 03.11.2011 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 79 = NZA 2012, 607; s. a. BAG 12.05.2011 EzA § 123 BGB 2002 Nr. 1; vgl. Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, 13. Aufl. 2016, Kap. 4, Rn. 2282 ff.) wenn

– ein (i. d. R. schuldhaftes) Fehlverhalten des Arbeitnehmers als Abweichung des tatsächlichen Verhaltens oder der tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung vom vertraglich geschuldeten Verhalten bzw. der vertragliche geschuldeten Arbeitsleistung gegeben ist, der Arbeitnehmer also seine vertraglichen haupt- oder Nebenpflichten erheblich und i. d. R. schuldhaft verletzt hat;

– dieses Fehlverhalten auch betriebliche Auswirkungen hat;

– (i. d. R. zumindest) eine einschlägige vorherige Abmahnung gegeben ist;

– danach weiteres einschlägiges schuldhaftes Fehlverhalten mit betrieblichen Auswirkungen vorliegt und

– eine umfassende Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung der betrieblichen Auswirkungen des Fehlverhaltens oder der Schlechtleistung und des Verhältnismäßigkeitsprinzips das Überwiegen des Interesses des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Interesse des Arbeitnehmers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ergibt.

Es gilt das Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht die Sanktion für eine Vertragspflichtverletzung, sondern eine Vermeidung von weiteren Vertragspflichtverletzungen. Die eingetretene Pflichtverletzung muss sich auch zukünftig noch belastend auswirken. Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen (BAG 19.04.2007 NZA-RR 2007, 571; LAG RhPf 26.02.2010 NZA-RR 2010, 297).

Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung, wie bereits dargelegt, regelmäßig eine Abmahnung voraus; sie dient der Objektivierung der Prognose (BAG 12.01.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67: 12.01.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Sie ist nur dann entbehrlich, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer eine Abmahnung als nicht Erfolg versprechend angesehen werden kann. Das ist insbes. dann anzunehmen, wenn erkennbar ist, dass der Arbeitnehmer nicht gewillt ist, sich vertragsgerecht zu verhalten. Nur besonders schwere Vorwürfe bedürfen keiner Abmahnung, wenn und weil der Arbeitnehmer dann von vornherein nicht mit einer Billigung seines Verhaltens rechnen kann (LAG RhPf 26.02.2010 – 6 Sa 682/09, NZA-RR 2010, 297; LAG Nds. 12.02.2010 – 10 Sa 1977/08, EzA-SD 8/2010 S. 6 LS).

Einer Abmahnung bedarf es danach bei einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes also nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG 24.03.2011 – 2 AZR 282/10, EzA-SD 16/2011 S. 3 LS = NZA 2011, 1029; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 36; 19.04.2012 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 39 = NZA-RR 2012, 567;25.10.2012 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 41 = NZA 2013, 319; LAG Hessen 27.02.2012 NZA-RR 2012, 471), denn dann ist grds. davon auszugehen, dass das künftige Verhalten des Arbeitnehmers schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann; die Abmahnung dient insoweit der Objektivierung der negativen Prognose: Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen.

Aus den im Einzelnen zuvor zur außerordentlichen Kündigung dargestellten Gründen war insoweit eine Abmahnung nicht entbehrlich.

Beruht nämlich die Vertragspflichtverletzung auf einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers, ist zunächst einmal grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten bereits durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Von dem Arbeitgeber ist nach dem das gesamte Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz deshalb, wie darlegt, grundsätzlich zu fordern, dass er ein zu beanstandetes Verhalten zunächst einmal zum Anlass für eine Abmahnung nimmt.

Soweit die Beklagte insoweit die ordentliche Kündigung auf die sexuelle Belästigung der Mitarbeiterin P. durch den Kläger stützt, fehlt es zwar nicht an einem zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehenden entsprechenden schuldhaften Fehlverhalten. Insgesamt bestehen aber keine vernünftigen Anhaltspunkte dafür, dass davon ausgegangen werden könnte, dass der Kläger einer Abmahnung nicht zugänglich gewesen wäre. Erst mit der Androhung von Folgen für das Arbeitsverhältnis wäre dem Kläger ggf. der Ernst der Situation klar geworden. Eine Abmahnung war auch nicht etwa entbehrlich, weil es sich um eine so schwere Pflichtverletzung gehandelt hat, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit auch offensichtlich ausgeschlossen war.

Folglich kam auch eine ordentliche Tatkündigung nicht in Betracht.

Nichts anderes gilt letztlich für die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Verdachtskündigung.

Zwar ist grundsätzlich nicht ersichtlich, warum es dem Arbeitgeber aus Rechtsgründen nicht gestattet sein soll, dem Arbeitnehmer bei Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen für eine außerordentliche Verdachtskündigung insoweit entgegenzukommen, als trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 626 BGB nur eine ordentliche Kündigung erklärt wird (vgl. BAG 10.02.2005 EzA § 1 KSchG Verdachtskündigung Nr. 3). Allerdings kommt eine Verdachtskündigung aber als ordentliche Kündigung – schon wegen der in besonderem Maße bestehenden Gefahr, dass ein Unschuldiger betroffen wird – nur in Betracht, wenn das Arbeitsverhältnis bereits durch den Verdacht so gravierend beeinträchtigt wird, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann. Dies setzt voraus, dass nicht nur der Verdacht als solcher schwerwiegend ist. Vielmehr muss ihm ein erhebliches Fehlverhalten des Arbeitnehmers – strafbare Handlung oder schwerwiegende Pflichtverletzung (Tat) – zugrunde liegen. Die Verdachtsmomente müssen daher auch im Falle einer ordentlichen Kündigung regelmäßig ein solches Gewicht erreichen, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überhaupt nicht mehr zugemutet werden kann, hierauf also grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung gestützt werden könnte (BAG 27.11.2008 EzA § 1 KSchG Verdachtskündigung Nr. 4).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend aus den im Einzelnen bereits genannten Gründen nicht gegeben. Denn zwar steht ein entsprechendes Fehlverhalten des Klägers nach Auffassung der Kammer fest, es genügt aber nicht den insoweit zu stellenden Anforderungen für eine Tat- oder Verdachtskündigung, auch nicht zu einer ordentlichen Kündigung.

Dem Kläger steht folglich ein entsprechender Weiterbeschäftigungsanspruch zu den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits zu; insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts in der angefochtenen Entscheidung (S. 13 = Bl. 136 d. A.) zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

Mit dem Arbeitsgericht ist auch davon auszugehen, dass die Widerklage unbegründet ist, weil die Beklagte keinen Anspruch auf Rückzahlung des aus ihrer Sicht zu viel geleisteten Novembergehalts sowie des 13. Monatsgehalts hat, da das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht durch die Kündigung beendet worden ist und die Zahlungen deshalb mit Rechtsgrund erfolgten. Diesen Ausführungen der Kammer steht nicht entgegen, dass in der mündlichen Verhandlung vom 21.12.2015 der angekündigte Antrag der Beklagten hinsichtlich der Widerklage nicht ausdrücklich protokolliert wurde, ebenso wenig der angekündigte Antrag des Klägers, diesen Antrag zurückzuweisen. Denn das entsprechende Begehren ergibt sich nach Auffassung der Kammer bereits aus dem protokollierten Berufungsantrag der Beklagten und ihrem entsprechenden Vorbringen.

Nach alledem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Für eine Zulassung der Revision war nach Maßgabe der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

 

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