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Fristlose Kündigung – absichtliches Anspucken einer Vorgesetzten

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 6 Sa 47/22 – Urteil vom 07.12.2022

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen – 2 Ca 1605/20 – vom 17. Januar 2022 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Zusammenfassung

Der Fall betrifft eine 62-jährige Putzfrau türkischer Herkunft, die bei einem Unternehmen in Deutschland beschäftigt war. Das Unternehmen warf ihr vor, ihren Vorgesetzten im Oktober 2020 angespuckt zu haben, was die Arbeitnehmerin bestritt. Das Unternehmen entließ sie daraufhin wegen dieses Verhaltens, doch die Arbeitnehmerin focht die Entlassung vor Gericht an. Das Arbeitsgericht wies die Klage der Arbeitnehmerin ab und stellte fest, dass sie ihren Vorgesetzten tatsächlich angespuckt hatte und dass dies ein berechtigter Kündigungsgrund war. Die Arbeitnehmerin legte daraufhin Berufung gegen die Entscheidung beim Landesarbeitsgericht ein.

Fristlose Kündigung - absichtliches Anspucken einer Vorgesetzten
(Symbolfoto: Krakenimages.com/Shutterstock.com)

Die Berufung in diesem Fall war größtenteils zulässig, jedoch wurde sie in der Sache nicht erfolgreich entschieden. Zunächst wurde festgestellt, dass die Berufung gemäß § 64 Abs. 2 Buchstabe c ArbGG statthaft war und form- und fristgerecht eingelegt wurde. Allerdings war die Berufungsbegründung bezüglich des Anspruchs auf Vergütung für den Zeitraum vom 1. bis 6. Oktober 2020 nicht ausreichend, weshalb die Berufung in diesem Punkt als unzulässig verworfen wurde.

In Bezug auf den Kündigungsschutzantrag hat das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt, dass die außerordentliche, fristlose Kündigung wirksam war, da ein wichtiger Kündigungsgrund gemäß § 626 BGB vorlag und die Kündigung innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen wurde. Der Weiterbeschäftigungsantrag wurde nur hilfsweise gestellt und ist somit nicht zur Entscheidung angefallen. Darüber hinaus kann die Klägerin aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die außerordentliche fristlose Kündigung keine Annahmeverzugslohnansprüche über den 6. Oktober 2020 hinaus geltend machen.

Insgesamt hat das Arbeitsgericht die Entscheidung ausführlich und sorgfältig begründet, weshalb die Berufung in der Sache ohne Erfolg blieb. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass ein an sich zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung geeigneter Grund vorlag, weil die Klägerin ihre Vorgesetzte angespuckt hatte, und die erstinstanzliche Beweiswürdigung nicht zu beanstanden war. […]

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung durch die Beklagte und um die Weiterbeschäftigung, sowie Restvergütungs- und Annahmeverzugslohnansprüche der Klägerin.

Die bei Kündigungsausspruch 62-jährige, türkischstämmige Klägerin ist seit 13. August 2001 kraft schriftlichen Arbeitsvertrages vom 27. Juli 2021 (Bl. 58 ff. d. A., im Folgenden: AV) bei der Beklagten im Autohof Z.-Stadt als Reinigungskraft zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt 1.663,00 EUR beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet gemäß § 19 Abs. 2 AV kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der Manteltarifvertrag für die Systemgastronomie in seiner aktuellen Fassung, zuletzt vom 17. Dezember 2014 (im Folgenden: MTV Systemgastronomie) Anwendung. Die Beklagte beschäftigt mehr als 10 Arbeitnehmer mit Ausnahme der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten.

Am 06. Oktober 2020 verwies die Vorgesetzte der Klägerin, die Zeugin Y., die Klägerin des Autohofes, da sie sie im Beisein der Zeugin X. angespuckt habe. Der Vorfall als solcher ist zwischen den Parteien umstritten. Da die Klägerin das Gelände trotz mehrfacher Aufforderung nicht verließ, informierte die Zeugin Y. die Polizei, die die Klägerin letztlich vom Betriebsgelände der Beklagten entfernte. Eine von der Beklagten wegen Hausfriedensbruchs gestellte Strafanzeige gegen die Klägerin wurde im Laufe des Verfahrens unter Verweis auf den Privatklageweg eingestellt.

Mit Schreiben vom 06. Oktober 2020, zugegangen am gleichen Tag, kündigte die Beklagte der Klägerin außerordentlich fristlos und vorsorglich fristgemäß. Die Beklagte zahlte der Klägerin für Oktober 2020 anteiligen Restlohn in Höhe von 600,00 EUR netto.

Die Klägerin hat am 26. Oktober 2020 beim Arbeitsgericht Ludwigshafen vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben, ihre Weiterbeschäftigung verlangt und die Erteilung einer Arbeitsbescheinigung geltend gemacht. Im Verlauf des Rechtsstreits hat sie ihre Klage um Vergütungsansprüche vom 01. bis 06. Oktober 2020 und darüber hinaus gehende Annahmeverzugslohnansprüche bis einschließlich Mai 2021 eingeklagt.

Die Klägerin hat erstinstanzlich im Wesentlichen geltend gemacht, sie habe niemanden angespuckt. Sie leide aufgrund ihrer durchlittenen Schilddrüsenkrebserkrankung unter einem Reiz im Rachenbereich, der manchmal dazu führe, dass sie sich die Nase putzen müsse. Anlässlich ihrer Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht vom 17. Januar 2022 hat die Klägerin angegeben, am 06. Oktober 2020 sei ihr Sekret hochgekommen, weswegen sie normalerweise immer ein Taschentuch in ihrem Pullover habe. An diesem Tag habe sie kein Taschentuch gehabt. Sie sei deshalb an einen Tuchautomaten gegangen und habe sich ein Tuch gezogen. Sie sei sodann an den beiden Zeuginnen vorbeigegangen, habe das Tuch gefaltet und das Sekret in das Tuch gespuckt.

Infolge Säumnis der Klägerin hat das Arbeitsgericht am 08. November 2021 klageabweisendes Versäumnisurteil gegen die Klägerin erlassen. Gegen das am 12. November 2021 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit am 18. November 2021 bei Gericht eingehendem Schriftsatz vom gleichen Tag Einspruch eingelegt und ihre Klage um Restvergütungs- bzw. Annahmeverzugslohnansprüche für die Monate Oktober bis Dezember 2020 und Januar bis Mai 2021 erweitert.

Die Klägerin hat zuletzt unter Teilklagerücknahme im Übrigen beantragt, das Versäumnisurteil vom 08. November 2021 aufzuheben und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers bei der Beklagten nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 06. Oktober 2020 aufgelöst wurde,

2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu unveränderten Bedingungen entsprechend des sachlichen Tätigkeitsbereiches des Arbeitsvertrages als Reinigungskraft weiter zu beschäftigen,

3. die Beklagte zu verurteilten der Klägerin insgesamt EUR 13.304 Brutto Lohn für die Monate Oktober 2020, November 2020, Dezember 2020, Januar 2021, Februar 2021, März 2021, April 2021 und Mai 2021 zu zahlen.

Die Beklagte hat zuletzt beantragt, das Versäumnisurteil vom 08. November 2021 aufrechtzuerhalten und die Klageerweiterung vom 18. November 2021 hinsichtlich des nunmehrigen Klageantrages Ziffer 3 abzuweisen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich im Wesentlichen geltend gemacht, die Klägerin habe am 06. Oktober 2020 gegen 8.05 Uhr ihren Mund-Nasenschutz heruntergezogen und ihre Vorgesetzte Y. angespuckt. Diese habe spontan ausweichen können und sei nur deshalb nicht von der Spucke der Klägerin getroffen worden, weil die Kollegin X. sie weggezogen habe. Die Klägerin habe sich sodann entfernt. Auf die Frage der Zeugin Y., was das gewesen sei, habe die Klägerin zunächst nicht reagiert. Später habe sie sich umgedreht, erneut ihren Mund-Nasenschutz abgezogen und zum Spucken angesetzt, tatsächlich aber nicht erneut gespuckt. Dieser Vorgang habe sich sodann noch einmal wiederholt. Die Klägerin habe sich nach dem Vorfall laut in ihrer Muttersprache schimpfend und gestikulierend entfernt. Sie sei trotz Drohung mit der Polizei der Aufforderung der Zeugin Y., den Autohof zu verlassen, nicht nachgekommen. Auch der Polizei sei es erst nach deutlicher Ansprache der Klägerin, die extrem langsam ihre Sachen gepackt habe, gelungen, diese hierzu zu bewegen.

Das Arbeitsgericht hat aufgrund Beweisbeschlusses vom 17. Oktober 2022 Beweis erhoben über die Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe die Zeugin Y. am 06. Oktober 2020 angespuckt durch Vernehmung der Zeuginnen Y. und X.. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 17. Januar 2022 Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat das Versäumnisurteil vom 08. November 2021 aufrechterhalten und die auf Vergütung und Annahmeverzug gerichtete Klageerweiterung vom 18. November 2022 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen angeführt, die Klägerin habe gegen das klageabweisende Versäumnisurteil vom 08. November 2021 rechtzeitig Einspruch eingelegt, wodurch der Rechtsstreit in den Zeitpunkt vor der Säumnis der Klägerin zurückversetzt worden sei. Die fristgerecht erhobene Kündigungsschutzklage sei abzuweisen gewesen. Nach der Beweisaufnahme stehe fest, dass die Klägerin ihren Mund-Nasenschutz abgezogen und in Richtung der Zeugin Y. gespuckt habe, die ausgewichen sei, da Frau X. sie weggezogen habe. Der Vortrag der Klägerin, ihr komme wegen ihrer Schilddrüsenkrebserkrankung manchmal Sekret hoch, weshalb sie in ein Tuch, das sie sich am Tuchautomaten gezogen habe, gespuckt habe, sehe die Kammer als Schutzbehauptung an. Niemand hätte auf der Höhe der Vorgesetzten in das Tuch gespuckt, sondern sich abgewandt oder die Waschräume aufgesucht. Beide Zeuginnen hätten im Übrigen bestätigt, dass die Klägerin nicht nur gespuckt, sondern die Zeugin Y. angespuckt habe. Dass die Klägerin in ihrer Erklärung nach der Beweisaufnahme angegeben habe, die Zeugin Y. und die Zeugin X. hätten oft auf sie geschaut und gelacht, zeige, dass die Klägerin zumindest mit der Zeugin Y. ein Problem habe, was eine mögliche Erklärung für ihr Verhalten sei. Auch hätten die Zeuginnen ausgesagt, dass die Klägerin sie bedroht bzw. ihr gesagt habe, „Du kannst mir nichts anhaben“. Auch das unstreitige Verhalten der Klägerin, nicht auf Fragen der Zeugin Y. zum Vorfall zu reagieren, zeige, dass die insoweit ausreichend der deutschen Spräche mächtige Klägerin nicht willens gewesen sei, das vermeintliche Missverständnis aufzuklären. Das Anspucken einer Arbeitskollegin, noch dazu einer Vorgesetzten sei grundsätzlich ein wichtiger Kündigungsgrund. Aktuell komme noch die Pandemie erschwerend hinzu. Obwohl die Menschen Abstand halten sollten, habe die Klägerin ihren Mund-Nasen-Schutz abgezogen und die Zeugin Y. angespuckt. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft, da die Klägerin nicht habe damit rechnen können, dass ihr Verhalten toleriert werde. Auch die Interessenabwägung falle trotz ihrer langen Betriebszugehörigkeit aufgrund des erheblichen Fehlverhaltens zu Lasten der Klägerin aus. Der Beklagten sei die Beschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zuzumuten gewesen. Der Weiterbeschäftigungsantrag sei nicht zur Entscheidung angefallen. Der Antrag auf Lohnzahlung für Oktober 2020 bis Mai 2021 sei ebenfalls abzuweisen gewesen. Bis zum 06. Oktober 2020 sei der Lohn ausgezahlt. Die Klägerin, die erst auf Nachfrage des Gerichts eingestanden habe, den Betrag von 600,00 Euro erhalten zu haben, könne sich nicht darauf berufen, sie wisse nicht, wofür der Lohn gezahlt worden sei. Annahmeverzugslohn stehe der Klägerin nicht zu. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf S. 4 ff. d. Urteils (= Bl. 150 ff. d. A.) Bezug genommen.

Die Klägerin hat gegen das am 25. Januar 2022 zugestellte Urteil mit am 25. Februar 2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt und diese mit in innerhalb verlängerter Berufungsbegründungsfrist am 21. April 2022 eingegangenem Schriftsatz vom 20. April 2022 begründet.

Die Klägerin trägt zweitinstanzlich nach Maßgabe ihrer Berufungsbegründungsschrift vom 21. April 2022 (Bl. 193 ff. d. A.), hinsichtlich deren weiteren Inhaltes auf den Akteninhalt ergänzend Bezug genommen wird, zur Begründung ihrer Berufung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens vor, das Arbeitsgericht schreibe in seinem Urteil, dass aufgrund übereinstimmender Aussagen der Zeugen feststehe, dass die Klägerin die Zeugin Y. angespuckt habe, obwohl beide Zeugen divergierende Aussagen gemacht hätten. Weder die Standpositionen der beiden Zeuginnen seien richtig angegeben worden, noch sei ein etwaiger Spuckauswurf dokumentiert worden. Keine der Zeuginnen habe eine Erklärung für den angeblichen Spuckangriff der Klägerin geben können, die urplötzlich und grundlos gespuckt haben solle. Das Gericht habe sich mit diesem Punkt nicht auseinandergesetzt. Es habe die Angaben der Klägerin zum Lachen und Anschauen durch die Zeuginnen einseitig als deren Problem gewertet, obwohl doch offensichtlich die Zeugin Y. ein Problem mit ihrer Mitarbeiterin habe, wenn sie diese auslache Es setze sich auch nicht damit auseinander, dass das Spucken krankheitsbedingt gewesen sein könne und habe krampfhaft versucht, einen Streit zu konstruieren mit angeblichen Vorfällen aus der Vergangenheit, die niemals ermahnt oder abgemahnt worden seien. Sogar der Klägervertreter sei angegriffen worden mit der Behauptung, er bedränge die Zeugin X., obwohl diese das ausdrücklich verneint habe. Die Atmosphäre der gesamten Verhandlung sei durchdrungen gewesen von dem Versuch, auf den Unterzeichner und die Klägerin Druck hinsichtlich einer Klagerücknahme auszuüben. Von der Spucke sei weder ein Foto angefertigt worden, noch habe irgendjemand die Spucke beseitigt, eben weil es keine gegeben habe. Das Gericht versuche auch hinsichtlich ihrer Sprachkenntnisse krampfhaft, die Klägerin als Lügnerin darzustellen. Die Dolmetscherin habe mitnichten die Fähigkeit der Klägerin, gutes Deutsch zu sprechen bestätigt. Die Klägerin habe über 20 Jahre beanstandungslos gearbeitet. Selbst bei Wahrunterstellung des Sachverhaltes sei eine Abmahnung erforderlich gewesen, da die Spucke ja auf dem Boden gelandet sei. Zum subjektiven Willen der Klägerin hätten die Zeuginnen nichts aussagen können.

Die Klägerin beantragt zuletzt unter Teilklagerücknahme im Übrigen, das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen – 2 Ca 1605/20 – abzuändern und das Versäumnisurteil vom 08. November 2021 aufzuheben und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin bei der Beklagten nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 06. Oktober 2020 aufgelöst wurde,

2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu unveränderten Bedingungen entsprechend des sachlichen Tätigkeitsbereiches des Arbeitsvertrages als Reinigungskraft weiter zu beschäftigen,

3. die Beklagte zu verurteilten der Klägerin insgesamt EUR 13.304 Brutto Lohn für die Monate Oktober 2020, November 2020, Dezember 2020, Januar 2021, Februar 2021, März 2021 April 2021 und Mai 2021 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das von der Klägerin angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 15. Juni 2022 (Bl. 215 ff. d. A.), hinsichtlich deren weiteren Inhaltes auf den Akteninhalt Bezug genommen wird, zweitinstanzlich unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrags wie folgt,

die Berufungsbegründung dürfe den inhaltlichen Anforderungen an ihre Begründung nicht genügen. Das Berufungsgericht sei an die aufgrund einer Beweiserhebung getroffenen Feststellungen gebunden, sofern die Berufungsbegründung schlüssig konkrete Zweifel an deren Richtigkeit aufzeige. Dies sei nicht der Fall. Die Zeuginnen hätten eindeutig, widerspruchsfrei, übereinstimmend und klar und eindeutig auf Nachfrage geantwortet, dass die Klägerin zielgerichtet auf die Zeugin Y. gespuckt habe. Der letzte Vortrag der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung erster Instanz, sie habe in ein Tuch gespuckt, widerspreche ihrem bisherigen Vortrag, sie leide unter einem Reiz im Rachenbereich und müsse die Nase putzen. Das Gericht habe die Beweisaufnahme zutreffend gewürdigt, auch im Hinblick auf die Motive und das Verhalten der Klägerin. Zum Klageantrag zu 3) mache die Klägerin überhaupt keine Ausführungen. Die Kündigung wahre die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB, ein milderes Mittel sei nicht ersichtlich, die Interessenabwägung gehe zu Lasten der Klägerin.

Im Übrigen wird wegen des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A

Die überwiegend zulässige Berufung ist, soweit zulässig, in der Sache nicht erfolgreich.

I. Die Berufung ist überwiegend zulässig.

1. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 2 Buchstabe c ArbGG), wurde nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 25. Januar 2022 mit am gleichen Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 25. Februar 2022 form- und fristgerecht eingelegt (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 519 ZPO) und mit Schriftsatz vom 20. April 2022, eingegangen bei Gericht am 21. April 2022, rechtzeitig und hinsichtlich des Kündigungsschutzantrages, des Antrags auf Weiterbeschäftigung und der Annahmeverzugslohnklage für den Zeitraum ab 07. Oktober 2020 ordnungsgemäß begründet (§ 66 Abs. 1 Satz 1, 2, § 64 Abs. 6 ArbGG, § 520 ZPO).

2. Die Berufung ist jedoch mangels ordnungsgemäßer Begründung unzulässig, soweit das Arbeitsgericht die von der Klägerin für den Zeitraum vom 01. bis 06. Oktober 2020 verfolgte Vergütungsklage abgewiesen hat. Nach §§ 64 Abs. 6 ArbGG iVm. 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Die zivilprozessuale Regelung soll gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz durch eine Zusammenfassung und Beschränkung des Rechtsstoffs ausreichend vorbereitet wird. Deshalb hat der die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchem Grund er das angefochtene Urteil für unrichtig hält (BAG 14. März 2017 – 9 AZR 54/16 – Rn. 10 mwN, zitiert nach juris). Hat das Arbeitsgericht im Urteil über mehrere Ansprüche entschieden, dann muss sich die Berufungsbegründung mit jedem Teil der Entscheidung auseinandersetzen, der in das Berufungsverfahren gelangen soll. Fehlen Ausführungen zu einem Anspruch, dann ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig (vgl. BAG 23. November 2006 – 6 AZR 317/06 – Rn. 13, zitiert nach juris). Die Klägerin hat sich mit der Begründung des Arbeitsgerichts zur Klageabweisung des Anspruchs auf Vergütung wegen erbrachter Arbeitsleistung vom 01. bis 06. Oktober 2020 nach § 611a BGB iVm. dem AV nicht auseinandergesetzt. Die Berufung war daher insoweit als unzulässig zu verwerfen, ohne dass dies im Tenor des Berufungsurteils gesondert zum Ausdruck zu bringen war (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 10. Oktober 2018 – 4 Sa 79/17 – Rn. 25, zitiert nach juris).

II. In der Sache bleibt die Berufung, soweit zulässig, ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat mit ausführlicher und sorgfältiger Begründung zutreffend angenommen, dass die außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten vom 06. Oktober 2020 das Arbeitsverhältnis mit ihrem Zugang bei der Klägerin am gleichen Tag wirksam beendet hat, da der Beklagten ein wichtiger Kündigungsgrund iSd. § 626 BGB zur Seite stand; die Beklagte hat die Kündigung auch innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen, da der Kündigungsvorfall sich am Tag des Kündigungszugangs ereignet hat. Der – vom Arbeitsgericht zutreffend gesehen – lediglich hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag zur Entscheidung gestellte Weiterbeschäftigungsantrag ist auch zweitinstanzlich nicht zur Entscheidung angefallen. Annahmeverzugslohnansprüche über den 06. Oktober 2020 hinaus kann die Klägerin infolge Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die außerordentliche fristlose Kündigung nicht in Anspruch nehmen. Die Berufungskammer folgt vollumfänglich den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, macht sich diese zur Vermeidung von Wiederholungen zu eigen und stellt dies ausdrücklich fest (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Die hiergegen gerichteten Angriffe der Berufung rechtfertigen ein anderes Ergebnis nicht.

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG 23. August 2018 – 2 AZR 235/18 – Rn. 12; 14. Dezember 2017 – 2 AZR 86/17 – Rn. 27; 29. Juni 2017 – 2 AZR 302/16 – Rn. 11, jeweils zitiert nach juris).

2. Hiervon ausgehend hat das Arbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass ein an sich zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung geeigneter Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vorlag, weil die Klägerin ihre Vorgesetzte, die Zeugin Y., angespuckt hat. Die erstinstanzliche Beweiswürdigung ist entgegen der von der Klägerin in der Berufung vertretenen Auffassung nicht zu beanstanden.

2.1. Nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden. Diese Bindung entfällt aber, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (LAG Rheinland-Pfalz 04. Dezember 2018 – 8 Sa 37/18 – Rn. 75, zitiert nach juris). Konkrete Anhaltspunkte, welche die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich ua. aus Fehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (vgl. BGH 21. März 2018 – VII ZR 170/17 – Rn. 15 mwN, zitiert nach juris). Konkrete Anhaltspunkte in diesem Sinn sind alle objektivierbaren rechtlichen oder tatsächlichen Einwände gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Sie können sich auch aus Vortrag der Parteien, vorbehaltlich der Anwendung von Präklusionsvorschriften auch aus Vortrag der Parteien in der Berufungsinstanz ergeben (BGH 21. März 2018 – VII ZR 170/17 – aaO). Entsprechende Anhaltspunkte können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind. Ein solcher Verfahrensfehler liegt namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil den Anforderungen nicht genügt, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (LAG Baden-Württemberg 11. Dezember 2019 – 3 Sa 30/19 – Rn. 70, mwN, zitiert nach juris).

2.2. Das Arbeitsgericht ist unter Berücksichtigung des Vortrags der Parteien, der gesamten mündlichen Verhandlung einschließlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Rahmen der von ihm vorgenommenen Beweiswürdigung zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin sich einer an sich zur außerordentlichen Kündigung geeigneten Pflichtverletzung schuldig gemacht hat, weil sie am 06. Oktober 2020 ihre Vorgesetzte Y. angespuckt hat. Einen unaufgeklärten Widerspruch, der die Wiederholung der Beweisaufnahme erforderlich gemacht hätte, vermochte die Berufungskammer nicht zu erkennen. Soweit die Klägerin mit der Berufung geltend macht, die Zeuginnen hätten divergierende Aussagen gemacht, sind solche nicht ersichtlich. Sowohl die Zeugin Y., als auch die Zeugin X. hat ausgesagt, die Klägerin habe sich während ihrer Reinigungstätigkeit im Restaurant ihrer im Gespräch mit der Zeugin X. befindlichen Vorgesetzten Y. von hinten seitlich genähert, ihren pandemiebedingt zu tragenden Mund-Nasenschutz heruntergezogen und die Zeugin Y. gezielt angespuckt. Die Zeugin Y. hat angegeben, die Klägerin zunächst nicht gesehen zu haben und von der Zeugin X. quasi in letzter Sekunde zur Seite gezogen worden zu sein, damit der Speichel der Klägerin ihre Jacke nicht traf. Auch die Zeugin X. hat diesen Verlauf dargelegt. Keine der Zeuginnen hat die letzte Schilderung der Klägerin, sie habe auf der Höhe der Zeugin Y. in ein Tuch gespuckt, bestätigt. Wenn die Klägerin mit der Berufung rügt, die Standpositionen der beiden Zeuginnen seien nicht richtig angegeben worden, meint sie möglicherweise die von ihr für zutreffend gehaltene Verortung der Zeuginnen während des Geschehens. Die beiden Zeuginnen haben die Situation jedoch – teilweise durch tatsächlich Darstellung im Sitzungssaal – übereinstimmend so beschrieben, wie das Arbeitsgericht sie seiner Entscheidung zu Recht zugrunde gelegt hat. Wenn die Klägerin der Auffassung ist, es habe einer Dokumentation des Spuckauswurfs bedurft, erschließt sich dieses Argument der Berufungskammer nicht. Wie die Zeugin X. ausgesagt hat, hat sich das Geschehen völlig überraschend und binnen Sekunden abgespielt. Die Klägerin hat sich nach dem Vorfall – ebenfalls übereinstimmend von beiden Zeuginnen bekundet – noch zweimal Richtung Theke begeben und wiederum unter Abzug ihrer Maske Sekret hochgezogen, diesmal jedoch ohne zu spucken. Nachdem die Klägerin sich im Nachgang zu ihrem Spucken jeglicher Ansprache durch die Zeugin Y. verweigert hat und es später sogar des Hinzurufens der Polizei bedurfte, um die Klägerin des Restaurants zu verweisen, erscheint es mehr als nachvollziehbar, dass keine offenbar vom Klägervertreter für angemessen erachtete Fotografie des am Boden liegenden Speichels gefertigt wurde oder man sich auch nur mit deren Entfernung befasst hat. Entgegen des Einwands der Berufung ändert es am Ergebnis der Beweisaufnahme nichts, dass beide Zeuginnen keinen Grund für die plötzliche Attacke der Klägerin nennen konnten. Zutreffend weist die Berufung daraufhin, dass das Motiv der Klägerin eine innere Tatsache darstellt. Vor diesem Hintergrund konnten die Zeuginnen keine Kenntnis darüber haben, aus welchen Gründen die Klägerin sich zu ihrem Verhalten veranlasst sah. Ungeachtet dessen hat das Gericht sich mit einem möglichen Grund für das Verhalten der Klägerin auseinandergesetzt, da beide Zeuginnen die Klägerin als schwierige Person charakterisiert haben, die Anweisungen der Vorgesetzten Y. nicht gefolgt ist, mit dieser bisweilen Streit hatte und der Zeugin X. Schläge angedroht hat, nachdem diese von der Klägerin die Unterzeichnung eines Dokuments verlangt hatte. Die Klägerin selbst hat in ihrer Anhörung vor dem Arbeitsgericht beanstandet, die beiden Zeuginnen hätten sich – trotz Pandemie – immer mit Küsschen begrüßt und die Zeugin Y. habe sie in aller Regel nicht gegrüßt und über sie gelacht. Zutreffend hat das Arbeitsgericht hieraus gefolgert, dass die Klägerin und zumindest die Zeugin Y. kein völlig ungetrübtes Verhältnis hatten. Auch hat die Klägerin angegeben, die Zeugin Y. habe sie täglich angehalten, mit Chlor zu putzen, was sie offenbar für nicht erforderlich hielt. Die Tatsache, dass die Klägerin sich nach den übereinstimmenden Aussagen der Zeuginnen noch zweimal anschickte, erneut zu spucken bzw. zumindest unter Herabziehen des Mund-Nasenschutzes erneut Sekret hochzuziehen, nachdem sie sich vor die Theke begeben hatte, an der sich die Zeuginnen befanden, spricht für eine aggressive Grundhaltung der Klägerin am streitgegenständlichen Tag. Dass die Klägerin erst mithilfe der Polizei des Geländes verwiesen werden konnte, gibt ebenfalls Veranlassung, hiervon auszugehen. Angesichts der eindeutigen Zeugenaussagen ist es nicht zu beanstanden, dass das Arbeitsgericht davon ausgegangen ist, den Vortrag der Klägerin zum krankheitsbedingten Spucken in ein Tuch auf Höhe der Vorgesetzten als Schutzbehauptung zu werten. Entgegen der Behauptung der Berufung hat sich das Arbeitsgericht im Übrigen auch damit auseinandergesetzt, aus welchen Gründen es unwahrscheinlich ist, dass diese Behauptung den Tatsachen entspricht. Soweit die Klägerin dem Arbeitsgericht vorwirft, während der gesamten Verhandlung Druck im Hinblick auf eine Klagerücknahme ausgeübt zu haben, bestehen hierzu keinerlei protokollierte Anhaltspunkte. Auch hat das Arbeitsgericht nicht hinsichtlich ihrer Sprachkenntnisse „krampfhaft versucht, die Klägerin als Lügnerin darzustellen“. Die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe enthalten lediglich den Hinweis, dass die Klägerin, die in der mündlichen Verhandlung Deutsch (nicht: hervorragendes Deutsch) gesprochen habe, sich daher nicht darauf zurückziehen könne, nichts zu verstehen und sich nicht artikulieren zu können. Im Übrigen dürfte auch mit schlechten Deutsch-Kenntnissen nicht misszuverstehen sein, was gemeint ist, wenn die Vorgesetzte mehrfach anweist, den Betrieb zu verlassen und letztlich die Polizei hinzuzieht.

3. Das Arbeitsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass die vorzunehmende Interessenabwägung vorliegend zu Lasten der Klägerin ausgeht, weil der Beklagten die Einhaltung einer fiktiven Kündigungsfrist ebenso wenig zumutbar war, wie der Ausspruch einer Abmahnung anstelle einer Kündigung. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist mit Zugang der außerordentlichen fristlosen Kündigung am 06. Oktober 2020 mit sofortiger Wirkung beendet worden.

3.1. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 27. September 2012 – 2 AZR 646/11 – Rn. 40, zitiert nach juris).

Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 9. Juni 2011 – 2 AZR 323/10 – Rn. 27; 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – Rn. 34, jeweils zitiert nach juris). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Mittel gegenüber der außerordentlichen Kündigung sind neben der ordentlichen Kündigung auch Abmahnung und Versetzung anzusehen (vgl. BAG 27. September 2012 – 2 AZR 646/11 – Rn. 41; 19. April 2012 – 2 AZR 186/11 – Rn. 22 mwN, jeweils zitiert nach juris). Die Interessenabwägung im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB hat bei Vorliegen einer Vertragspflichtverletzung ua. zum Gegenstand, ob dem Kündigenden eine mildere Reaktion als eine fristlose Kündigung, also insbesondere eine Abmahnung oder fristgerechte Kündigung zumutbar war. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG 27. Februar 2020 – 2 AZR 570/19 – Rn. 23, BAGE 170, 84; 13. Dezember 2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 30; 29. Juni 2017 – 2 AZR 302/16 – Rn. 28, jeweils zitiert nach juris). Liegt nur eine dieser Fallgruppen vor, kann Ergebnis der Interessenabwägung nicht sein, den Kündigenden auf eine Abmahnung als milderes Mittel zu verweisen (vgl. BAG 27. Februar 2020 – 2 AZR 570/19 – Rn. 24, aaO). Die zweite Fallgruppe betrifft ausschließlich das Gewicht der in Rede stehenden Vertragspflichtverletzung, die für sich schon die Basis für eine weitere Zusammenarbeit irreparabel entfallen lässt. Dieses bemisst sich gerade unabhängig von einer Wiederholungsgefahr. Die Schwere einer Pflichtverletzung kann zwar nur anhand der sie beeinflussenden Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, diese müssen aber die Pflichtwidrigkeit selbst oder die Umstände ihrer Begehung betreffen. Dazu gehören etwa ihre Art und ihr Ausmaß, ihre Folgen, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers sowie die Situation bzw. das „Klima“, in der bzw. in dem sie sich ereignete. Sonstige Umstände, die Gegenstand der weiteren Interessenabwägung sein können, wie etwa ein bislang unbelastetes Arbeitsverhältnis, haben bei der Prüfung der Schwere der Pflichtverletzung außer Betracht zu bleiben. Dies gilt umgekehrt ebenso für ein nachfolgendes wahrheitswidriges Bestreiten, das für sich genommen ebenfalls nichts über die Schwere der begangenen Pflichtverletzung besagt (BAG 20. Mai 2021 – 2 AZR 596/20 – Rn. 27, zitiert nach juris).

3.2. Hiervon ausgehend ist die vom Arbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung nicht zu beanstanden.

a) Das Arbeitsgericht ist entgegen der Ausführungen der Berufung zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte nicht auf den Ausspruch einer Abmahnung als milderes Mittel zu verweisen war. Die Berufungskammer teilt die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass die Klägerin sich durch das Anspucken ihrer Vorgesetzten eines Fehlverhaltens derart gravierenden Ausmaßes schuldig gemacht hat, dass die Klägerin nicht davon ausgehen durfte, dass die Beklagte dies auch nur einmalig hinnehmen würde. Die Klägerin hat – dies steht auch zur Überzeugung der Berufungskammer fest – ihre Vorgesetzte Y. während ihrer Tätigkeit ihrer im Gespräch mit der Zeugin X. befindlichen Vorgesetzten Y. genähert, ihren pandemiebedingt zu tragenden Mund-Nasenschutz heruntergezogen und die Zeugin Y. absichtlich angespuckt. Damit hat sie diese erheblich missachtet, was sich fortgesetzt hat, indem sie auf die Ansprache nach dem Vorfall mit keinem Wort reagiert, sondern – erneut – unter Herabziehen des Mund-Nasenschutzes in Annäherung an den Standort der Zeugin Sekret hochgezogen hat. Zudem hat die Klägerin in Kauf genommen, die Zeugin Y. angesichts der andauernden Pandemie und der Gefahr einer unerkannten Covid-19-Infektion gesundheitlich zu gefährden. Wenn die Klägerin meint, eine Abmahnung sei erforderlich, weil ihre Spucke ja auf den Boden gefallen sei, übersieht sie, dass dies nur deshalb der Fall war, weil die Zeugin X. die Zeugin Y. geistesgegenwärtig zur Seite gezogen hat, um einen Treffer zu verhindern. Die Tatsache, dass die Klägerin offenbar ohne jeden konkreten Anlass vorgegangen ist, lässt das ihr vorzuwerfende Verschulden im Übrigen nicht geringer, sondern erheblicher erscheinen.

b) Auch die vom Arbeitsgericht im Übrigen vorgenommene Interessenabwägung ist nicht zu beanstanden. Zugunsten der Klägerin streitet vorliegend ihr Alter und ihre sehr lange Betriebszugehörigkeit, während der förmliche Abmahnungen oder Ermahnungen offensichtlich nicht ausgesprochen worden sind. Dennoch überwiegt das Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, da die Beklagte eine derartige Missachtung von Vorgesetzten wie vorliegend nicht hinnehmen muss und zudem ein berechtigtes Interesse an der Wahrung des Betriebsfriedens hat. Eine Einsicht in ihr Fehlverhalten hat die Klägerin bis zuletzt nicht gezeigt.

B

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht gegeben.

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