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Fristlose Kündigung Ausbildungsverhältnis – Beschäftigungsverbot – IfSG

ArbG Bonn – Az.: 2 Ca 2082/21 – Urteil vom 18.05.2022

1. Es wird festgestellt, dass das Ausbildungsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die außerordentliche und fristlose Kündigung vom 01.12.2021aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Dezember 2021 brutto 1.328,38 EUR nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 01.01.2022 abzüglich gezahlten Arbeitslosengeld in Höhe von 391,02 EUR zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Januar 2022 brutto 1.328,38 EUR nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 01.02.2022 abzüglich gezahlten Arbeitslosengeld in Höhe von 617,40 EUR zu zahlen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Februar 2022 brutto 1.328,38 EUR nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 01.03.2022 abzüglich gezahlten Arbeitslosengeld in Höhe von 617,40 EUR zu zahlen.

5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den März 2022 brutto 1.328,38 EUR nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 01.04.2022 abzüglich gezahlten Arbeitslosengeld in Höhe von 617,40 EUR zu zahlen.

6. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat April 2022 1.328,38 EUR brutto nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 03.05.2022 abzüglich gezahlten Arbeitslosengeld in Höhe von 617,40 EUR zu zahlen.

7. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

8. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

9. Der Streitwert wird auf 7.766,42 EUR festgesetzt.

10. Die Berufung wird gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das Ausbildungsverhältnis der Parteien durch eine außerordentliche Kündigung aufgelöst worden ist sowie über Annahmeverzugslohn.

Der im Jahr 1970 geborene Kläger ist auf der Grundlage eines Ausbildungsvertrages vom 25.03.2019 seit dem 01.10.2019 bei der Beklagten als Auszubildender für den Beruf des Gesundheits- und Krankenpflegers beschäftigt. Die zuletzt von dem Kläger bezogene Ausbildungsvergütung beträgt 1.328,38 EUR brutto. Der Kläger hat vier Kinder.

In der Pflegeschule der Beklagten ist nach deren Hygienekonzept zum Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 eine FFP-2-Maske zu tragen. Der Schulleiter, Herr Q., machte den Kläger einige Male darauf aufmerksam, dass dieser seine Maske nicht richtig trage. Eine diesbezügliche Abmahnung des Klägers erfolgte nicht.

Der Kläger begab sich am 27.11.2021 in die Teststelle in U., welche zu dem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus gehört, um sich auf das Coronavirus SARS-CoV-2 testen zu lassen. Er wollte an diesem Tag die Testung an sich selbst durchführen, was ihm jedoch von der dortigen Mitarbeiterin nicht gestattet wurde. Der Kläger brachte daraufhin seinen Unmut hierüber zum Ausdruck. Der weitere Verlauf des Geschehens am 27.11.2021 ist zwischen den Parteien streitig.

Am 30.11.2021 ließ sich der Kläger in der Teststelle U. auf das Coronavirus SARS-CoV-2 testen. Sodann wartete der Kläger in dem Warteraum der Teststelle auf sein schriftliches Ergebnis. Es handelt sich hierbei um einen großen, ehemaligen Speise-saal eines Restaurants. Es befanden sich noch zwei weitere Besucher im Wartebereich. Der Kläger hatte einen Abstand von ca. 4-5 Metern zu den anderen im Raum befindlichen Personen. Der Kläger zog sodann seine Maske von der Nase herunter, sodass diese lediglich den Mund des Klägers bedeckte. Dies wurde von dem Geschäftsführer der Beklagten, Herrn V., bemerkt, welcher ihn daraufhin ansprach und darauf hinwies, dass er seine Maske nicht ordnungsgemäß trage. Der Kläger korrigierte die Position seiner Maske zunächst nicht. Einer weiteren, energischen Aufforderung von Herr V. zum Tragen der Maske, kam der Kläger sodann nach. Herr V. forderte den Kläger auf, die Teststation zu verlassen. Im Übrigen ist der Verlauf der Auseinandersetzung zwischen den Parteien ist streitig.

Die Beklagte kündigte das Ausbildungsverhältnis des Klägers mit Kündigungsschreiben vom 01.12.2021 außerordentlich fristlos. In dem Kündigungsschreiben der Beklagten ist zu den Kündigungsgründen wie folgt ausgeführt:

„Am 26.11.2021 wurde der Schulleiter Herr Q. von Herrn M. darüber informiert, dass Sie an diesem Tag in der Teststelle U. das dortige Personal verbal attackiert und ihm vorgeworfen haben, das tagtägliche Testen sei nur politische Schikane und Geldmacherei.

Am Vormittag des 27.11.2021 informierte der stellvertretende Pflegedienstleiter Herr S. den Schulleiter Herrn Q. darüber, dass Sie sich zwar in die Teststelle begeben hatten, sich dort aber nicht testen ließen, sondern der Mitarbeiterin das Teststäbchen aus der Hand nahmen, um sich selbst zu testen. Auf den Hinweis der Mitarbeiterin, dass die Selbsttestung nicht vorgesehen und nicht zulässig ist, verließen Sie das Testzentrum ungetestet und erschienen daraufhin auch nicht zum Unterricht. Ihr Fernbleiben entschuldigten Sie mit folgenden Worten: „leider ist es mir heute durch die Teststelle nicht möglich gemacht worden, den Unterricht zu besuchten, da ich den Covid Schnelltest nicht selbst habe durchführen können. Die Mitarbeiterin bestand darauf, mir das Teststäbchen nicht aushändigen zu wollen. Damit war ich nicht einverstanden und kann heute daher leider keinen Test vorweisen.“

Darüber hinaus müssen Sie mehrfach täglich in den Schulräumen auf das konsequente Tragen einer FFP-2-Maske hingewiesen werden, die Sie immer nur auf ausdrückliche Aufforderung regelgerecht tragen, obwohl Ihnen bekannt ist, dass in den Schulräumen eine dauernde Verpflichtung zum Tragen einer Maske besteht.

Am 29.11.2021 legten Sie ein negatives Testergebnis einer auswärtigen Teststelle vor, woraufhin der Schulleiter Herr Q. Ihnen eine ausdrückliche und mündliche Ermahnung aussprach und Sie mit Hinweis auf das aktuell geltende offizielle Testkonzept des MHE vom 21.11.2021 anwies, sich ausschließlich in der Teststelle U. testen zu lassen.

Am Morgen des 30.11.2021 wurden Sie im Wartebereich der Teststelle U. vom Geschäftsführer Herrn V. ohne Maske sitzend wahrgenommen, woraufhin Sie von diesem auf die in den Räumen geltende Maskenpflicht hingewiesen wurden. Eine erste Ansprache durch Herrn V. und die Aufforderung, die Maske aufzusetzen, ignorierten Sie völlig und beschäftigten sich weiterhin mit Ihrem Telefon. Als Herr V. Sie dann ein weiteres Mal etwas energischer zur Tragen der Maske aufforderte, zogen Sie diese widerwillig hoch, nicht jedoch ohne Herrn V. zu entgegen, er solle Sie in Ruhe lassen und er habe Ihnen gar nichts zu sagen. Vom Hausrecht Gebrauch machend verwies Herr V. Sie sodann des Gebäudes.

(…)“

Auf das Kündigungsschreiben der Beklagten vom 01.12.2021 (Bl. 10 d.A.) wird Bezug genommen.

Die Beklagte zahlte dem Kläger seit dem 01.12.2021 keine Ausbildungsvergütung. Der Kläger bezog ab dem 13.12.2021 Arbeitslosengeld in Höhe von 391,02 EUR für Dezember 2021 und ab Januar 2022 monatlich in Höhe von 617,40 EUR.

Der Kläger ist nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft.

Der Kläger behauptet, dass er am 30.11.2021 seine Maske nur deswegen von der Nase gezogen habe, da er sich habe an der Nase kratzen bzw. diese putzen müssen. Plötzlich habe ein ihm unbekannter Mann, der sich ihm nicht vorgestellt habe, vor ihm gestanden und ihn im lauten, aggressiven und unfreundlichen Ton angeherrscht, seine Maske aufzusetzen. Der Kläger sei derart perplex gewesen, dass er dieser Aufforderung zunächst nicht nachgekommen sei. Er habe stattdessen in ruhigem Ton geantwortet. Der unbekannte Mann habe seine Aufforderung in gleichermaßen aggressivem Ton wiederholt und geäußert, dass er auch die Polizei holen könne und den Leiter der Pflegestufe verständigen würde, wenn er seiner Aufforderung nicht nachkomme. Inzwischen habe der Kläger die Maske wieder über die Nase gezogen. Sodann sei Herr V. weggegangen, um mit den Mitarbeitern der Teststelle zu sprechen. Kurze Zeit später habe ein Mitarbeiter der Teststelle den Kläger gebeten, die Teststelle zu verlassen. Dem sei der Kläger nachgekommen. Herr V. habe, als er draußen an dem Kläger vorbeigegangen sei, triumphierend und in verächtlichem Ton geäußert, dass dies sein letzter Tag im Krankenhaus gewesen sei. Nach ca. 15 Minuten habe der Kläger in der Teststelle um den Ausdruck seines Testergebnisses gebeten. Es sei ihm dann mitgeteilt worden, dass er auf ausdrückliche Weisung des Geschäftsführers der Beklagten im System blockiert sei.

Der Kläger reagiere auf Nasentests sehr empfindlich. Das tiefe Einführen des Teststäbchens in die Nase führe bei ihm zu starkem Juckreiz, Anschwellen der Schleimhäute und mitunter Nasenbluten. Diese Überempfindlichkeit habe er gegenüber der Pflegeschule und der Teststelle kommuniziert. Anfangs habe der Kläger die Corona-Testungen in der Teststelle selbst durchführen dürfen. Am 27.11.2021 sei allerdings eine neue Mitarbeiterin in der Teststelle gewesen, die darauf bestanden habe, den Test durchzuführen. Der Kläger habe sodann seinen Unmut zum Ausdruck gebracht; er habe die Mitarbeiterin jedoch nicht verbal attackiert. Der diesbezügliche Vortrag der Beklagten sei bereits unsubstantiiert.

Ebenso gebe die Beklagte nicht an, wann, wo und von wem er aufgefordert worden sei, seine Maske regelgerecht zu tragen. Er habe seine Maske stets regelgerecht getragen und insbesondere niemanden gefährdet. Er sei von Herrn Q. nur dann darauf aufmerksam gemacht worden, dass er seine Maske nicht richtig trage, wenn er alleine in einem Raum oder auf dem Flur gewartet habe und niemand in der Nähe gewesen sei.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die außerordentliche Kündigung seines Ausbildungsverhältnisses unwirksam sei. Durch diese sei ihm die Möglichkeit genommen, seine kurz vor dem Abschluss stehende Ausbildung zu beenden.

Jedenfalls aber fehle es an einer vorherigen Abmahnung des Klägers als milderem Mittel. Insbesondere liege kein patientengefährdendes Verhalten des Klägers vor. Auch habe er keine anderen Mitauszubildenden und Mitarbeiter gefährdet. Ein konkreter Nachweis hierzu werde von der Beklagten nicht erbracht.

Mit der am 10.12.2021 beim Arbeitsgericht K. eingegangenen Klage hat der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben. Mit Klageerweiterung vom 31.03.2022 sowie vom 04.05.2022 hat der Kläger Ansprüche auf Annahmeverzugslohn gegen die Beklagte geltend gemacht.

Der Kläger beantragt – unter Klagerücknahme im Übrigen – zuletzt,

1. festzustellen, dass das Ausbildungsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die außerordentliche und fristlose Kündigung vom 01.12.2021, sein Ende findet, sondern über diesen Zeitraum zu unveränderten Ausbildungsbedingungen fortbesteht.

2. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat Dezember 2021 brutto 1.328,38 EUR nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 01.01.2022 abzüglich gezahlten Arbeitslosengeld in Höhe von 391,02 EUR zu zahlen.

3. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat Januar 2022 brutto 1.328,38 EUR nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 01.02.2022 abzüglich gezahlten Arbeitslosengeld in Höhe von 617,40 EUR zu zahlen.

4. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat Februar 2022 brutto 1.328,38 EUR nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 01.03.2022 abzüglich gezahlten Arbeitslosengeld in Höhe von 617,40 EUR zu zahlen.

5. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den März 2022 brutto 1.328,38 EUR nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 01.04.2022 abzüglich gezahlten Arbeitslosengeld in Höhe von 617,40 EUR zu zahlen.

6. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat April 2022 1.328,38 EUR brutto nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank gem. § 247 Abs. 1 BGB seit dem 01.05.2022 abzüglich gezahlten Arbeitslosengeld in Höhe von 617,40 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, dass der Schulleiter Herr Q. am 26.11.2021 von Herrn M. darüber informiert worden sei, dass der Kläger an diesem Tag in der Teststelle in U. das dortige Personal verbal attackiert und ihm vorgeworfen habe, dass das tagtägliche Testen nur politische Schikane und Geldmacherei sei.

Am Vormittag des 27.11.2021 habe der stellvertretende Pflegedienstleiter Herr S. den Schulleiter Herrn Q. darüber informiert, dass der Kläger sich zwar in die Teststelle begeben habe, sich dort aber habe nicht testen lassen, sondern der Mitarbeiterin der Teststelle das Teststäbchen aus der Hand genommen habe, um sich selbst zu testen. Auf den Hinweis der Mitarbeiterin, dass die Selbsttestung nicht vorgesehen und zulässig sei, habe der Kläger die Teststelle ungetestet verlassen und sei nicht zum Unterricht erschienen. Sein Fernbleiben habe er mit den Worten entschuldigt, dass es ihm durch die Teststelle nicht möglich gemacht worden sei, den Unterricht zu besuchen, da er habe den Covid-Schnelltest nicht selbst durchführen können.

Darüber hinaus habe der Kläger mehrfach täglich in den Schulräumen auf das konsequente Tragen einer FFP-2-Maske hingewiesen werden müssen. Diese habe er nur auf Anweisung regelgerecht getragen.

Am 29.11.2021 habe der Kläger ein negatives Testergebnis einer auswärtigen Teststelle vorgelegt, woraufhin der Schulleiter Herr Q. ihm gegenüber eine Ermahnung ausgesprochen habe. Er habe ihn zudem auf das offizielle Testkonzept der Beklagten hingewiesen.

Am 30.11.2021 sei der Kläger von dem Geschäftsführer der Beklagten, Herrn V., im Wartebereich der Teststelle ohne Maske sitzend wahrgenommen worden, woraufhin er ihn auf die Maskenpflicht hingewiesen habe. Der Kläger habe eine erste Ansprache von Herrn V. ignoriert und sich weiterhin mit seinem Telefon beschäftigt. Herr V. habe den Kläger nochmals energischer zum Tragen einer Maske aufgefordert, woraufhin der Kläger diese widerwillig hochgezogen habe und erwidert habe, dass er ihn in Ruhe lassen solle und er ihm gar nichts zu sagen habe. Herr V. habe den Kläger sodann des Gebäudes verwiesen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die vorgenannten Vorfälle angesichts der aktuellen Situation so schwerwiegend seien, dass diese für sie nicht hinnehmbar seien. Als Gesundheitseinrichtung sei die Beklagte dem Wohl der Patientinnen und Patienten verpflichtet, als Dienstgeberin treffe sie eine erheblich gesteigerte Schutz- und Fürsorgepflicht gegenüber ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Insoweit könne die Beklagte nicht dulden, dass Einzelne durch ein solch verweigerndes Verhalten ihr Testkonzept untergraben, sich und andere in eine konkrete Gesundheitsgefahr bringen und letztlich auch die gesamtgesellschaftlichen Bestrebungen, die Pandemie einzudämmen und der Lage wieder Herr zu werden, zunichtemachen.

Das verweigernde Verhalten des Klägers gegenüber Regelungen und Anforderungen stelle einen wichtigen Grund zur Kündigung des Ausbildungsverhältnisses des Klägers dar. Auch zeige der Kläger durch sein Verhalten deutlich eine Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufes des Gesundheits- und Krankenpflegers. Er zeige damit, dass er für den Beruf ungeeignet sei.

Eine vorherige schriftliche Abmahnung halte die Beklagte aufgrund der Schwere der Verstöße für entbehrlich. Bei dem Kläger könne angesichts seines Alters und seiner sozialen / familiären Stellung nicht von jugendhaftem Verhalten ausgegangen werden. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Kläger genau wisse, was er wolle und warum er sich so verhalte, wie er sich verhalte.

Die Beklagte ist weiterhin der Ansicht, dass sie dem Kläger keinen Annahmeverzug schulde. Dies ergebe sich schon daraus, dass die außerordentliche Kündigung des Ausbildungsverhältnisses wirksam sei. Jedenfalls aber sei der Kläger nicht geimpft, sodass ab dem 15.03.2022 kein Anspruch auf Annahmeverzugslohn bestehe. Denn nach § 20a IfSG sei eine Impfung Voraussetzung für die Beschäftigung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsprotokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe

I. Die erhobene Klage ist zulässig und in der Sache begründet. Das Ausbildungsverhältnis des Klägers wurde durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 01.12.2021 nicht aufgelöst. Demgemäß hat der Kläger einen Anspruch auf Annahmeverzugslohn gegen die Beklagte.

1. Der Klageantrag zu 1.) ist zulässig und in der Sache begründet. Das Ausbildungsverhältnis des Klägers wurde durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 01.12.2021 nicht aufgelöst. Es liegt kein wichtiger Grund i.S.d. § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG für die außerordentliche Kündigung des Ausbildungsverhältnisses des Klägers vor.

a. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3b ArbGG i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG eröffnet. Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 12, 17 ZPO, da die Beklagte ihren Geschäftssitz in C. hat.

Das nach § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 495, 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Fest-stellungsinteresse besteht hinsichtlich der Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom 01.12.2021, da der Kläger unter Berücksichtigung der Fiktionswirkung der §§ 4, 7 KSchG i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG i.V.m. § 10 Abs. 2 BBiG ein berechtigtes Interesse daran hat, feststellen zu lassen, ob das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis über den 01.12.2021 hinaus fortbesteht.

b. Der Klageantrag zu 1.) ist in der Sache begründet. Das Ausbildungsverhältnis des Klägers wurde durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 01.12.2021 nicht aufgelöst.

aa. Der Kläger hat die Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG i.V.m. § 10 Abs. 2 BBiG mit der Erhebung der Kündigungsschutzklage am 10.12.2021 und deren alsbaldiger Zustellung gemäß § 167 ZPO gewahrt.

bb. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 01.12.2021 war nicht geeignet, das Ausbildungsverhältnis des Klägers fristlos mit sofortiger Wirkung aufzulösen. Es fehlt jedenfalls an einer vorherigen Abmahnung des Klägers. Auch die vorzunehmende Interessenabwägung geht zur Lasten der Beklagten aus.

Nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG kann nach der Probezeit das Berufsausbildungsverhältnis nur aus wichtigem Grund ohne Einhalten einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wobei die Kündigung schriftlich und unter Angabe der Kündigungsgründe erfolgen muss (§ 22 Abs. 3 BBiG). Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung des Ausbildungsverhältnisses ist gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Berufsausbildungsverhältnisses bis zum Ablauf der Ausbildungszeit nicht zugemutet werden kann (BAG, Urteil vom 12.02.2015 – 6 AZR 845/15, juris, Rn. 38; vgl. ferner LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09.05.2018 – 2 Sa 427/17, juris, Rn. 54).

(1) Vorliegend fehlt es jedenfalls an einer vorherigen Abmahnung des Klägers. Es handelt sich bei den beklagtenseitig behaupteten Pflichtverletzungen um solche, die auf einem steuerbaren Verhalten des Klägers beruhen. Diese wiegen nicht so schwer, dass selbst ihre erstmalige Hinnahme durch die Beklagte ausgeschlossen war. Damit war eine vorherige Abmahnung des Klägers erforderlich.

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Auszubildenden, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Ausbildungsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.04 2013 – 10 Sa 518/12, juris, Rn. 32; LAG Hamm (Westfalen), Urteil vom 10.10.2012 – 3 Sa 644/12, juris, Rn. 114). Die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzt deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Auszubildenden erkennbar – ausgeschlossen ist (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.04 2013 – 10 Sa 518/12, juris, Rn. 32; vgl. ferner LAG Hamm (Westfalen), Urteil vom 10.10.2012 – 3 Sa 644/12, juris, Rn. 111 ff).

(a) Das nicht ordnungsgemäße Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes am 30.11.2021 war ohne vorherige Abmahnung des Klägers nicht geeignet, eine außerordentliche Kündigung seines Ausbildungsverhältnisses zu rechtfertigen.

Der Kläger hat am 30.11.2021 im Wartebereich der Teststelle der Beklagten in U. seinen Mund-Nasen-Schutz zeitweise unter die Nase gezogen. Einer ersten Aufforderung des Geschäftsführers der Beklagten, den Mund-Nasen-Schutz ordnungsgemäß zu tragen, ist der Kläger nicht nachgekommen. Jedoch gibt der Kläger insoweit an, dass es ihn an der Nase gejuckt habe und er sich habe die Nase putzen müssen. Dies wurde seitens der Beklagten nicht entkräftet. Ferner ist zwischen den Parteien unstreitig geblieben, dass der Kläger im Wartebereich mit einem Abstand von ca. 4 bis 5 Metern zu den weiteren Wartenden gesessen hat.

Da es sich um ein steuerbares Verhalten des Klägers handelt, ist davon auszugehen, dass eine Abmahnung mit der Androhung von Konsequenzen für das Ausbildungsverhältnis geeignet ist, eine Verhaltensänderung bei dem Kläger zu bewirken und sein Verhalten positiv dahingehend zu beeinflussen, dass er das Schutzkonzept der Beklagten zur Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2 zukünftig einhalten wird.

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Gesamtumstände wiegt die Pflichtverletzung des Klägers zudem nicht so schwer, dass der Beklagten eine vorherige Abmahnung des Klägers unzumutbar gewesen wäre. Zwar hat der Kläger gegen das bei der Beklagten geltende Schutzkonzept zur Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2 verstoßen, indem er seinen Mund-Nasen-Schutz kurzzeitig unter die Nase gezogen hat. Jedoch ist im konkreten Einzelfall keine Gefährdung von Arbeitskollegen oder Patienten der Beklagten eingetreten, da der Kläger den Mund-Nasen-Schutz zu einem Zeitpunkt über die Nase gezogen hatte, als er einen weiten Abstand von weiteren, im Raum befindlichen Personen hatte. Eine der Beklagten unzumutbare Gefährdung von Arbeitskollegen und Patienten ist daher nicht eingetreten. Es liegt unter Abwägung der Gesamtumstände kein so schwerer Pflichtverstoß des Klägers vor, dass selbst dessen erstmalige Hinnahme der Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar wäre.

(b) Ebenso rechtfertigt auch das dem Kläger vorgeworfene Verhalten in den Schulräumen keine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung des Klägers.

Zwar ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Kläger in der Schule von dem Schulleiter einige Male darauf aufmerksam gemacht wurde, dass er seine Maske nicht ordnungsgemäß trage. Der Kläger gibt diesbezüglich jedoch an, dass er seine Maske nur dann nicht richtig getragen habe, wenn er alleine in einem Raum oder auf dem Flur gewartet habe und niemand in der Nähe gewesen sei. Dies wurde seitens der Beklagten nicht bestritten. Auch hat die Beklagte diesbezüglich keine konkrete Gefährdung von anderen Auszubildenden oder Lehrern behauptet oder dargelegt. Auch hierbei handelt es sich um eine verhaltensbedingte Pflichtverletzung, deren erstmalige Hinnahme der Beklagten nicht offensichtlich unzumutbar ist. Insoweit ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Aufforderung des Schulleiters an den Kläger, seine Maske ordnungsgemäß zu tragen, mehrfach erfolgt ist, ohne dass die Beklagte eine Abmahnung dieses Verhaltens des Klägers für erforderlich erachtet hätte. Damit aber kann sich die Beklagte nunmehr nicht darauf berufen, dass eine solche Pflichtverletzung auch ohne vorherige Abmahnung geeignet sei, eine außerordentliche Kündigung des Ausbildungsverhältnisses des Klägers zu begründen. Die Beklagte hat Verstöße des Klägers gegen ihr Schutzkonzept zur Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2 zunächst ohne Erteilung einer Abmahnung hingenommen, sodass der Kläger davon ausgehen musste, dass dieses Verhalten nicht zu einer Kündigung seines Ausbildungsverhältnisses führen werde.

(c) Soweit dem Kläger ferner vorgeworfen wird, das Personal der Teststelle der Beklagten in U. verbal attackiert zu haben, schildert die Beklagte schon nicht substantiiert, was konkret der Kläger zu dem Testpersonal geäußert haben soll. Die behauptete Äußerung, dass das tagtägliche Testen nur politische Schikane und Geldmacherei sei, unterfällt der Meinungsäußerungsfreiheit des Klägers nach Art. 5 Abs. 1 GG und ist daher von der Beklagten grundsätzlich hinzunehmen. Eine Beleidigung oder ein persönlicher Angriff des Testpersonals liegt hierin nicht. Eine grobe Beleidigung des Testpersonals wurde von der Beklagten nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

(d) Am Vormittag des 27.11.2021 ließ sich der Kläger von dem Personal der Teststelle der Beklagten in U. nicht testen und blieb aus diesem Grund vom Unterricht fern. Auch dieses Verhalten des Klägers ist jedoch nicht geeignet, eine außerordentliche Kündigung des Ausbildungsverhältnisses des Klägers ohne vorherige Abmahnung zu rechtfertigen. Eine Gefährdung der anderen Auszubildenden und Lehrern ist gerade nicht eingetreten, da der Kläger ohne Vorlage eines negativen Corona-Testnachweises dem Unterricht fern geblieben ist. Zwar ist der Kläger nach § 13 Satz 2 Ziffer 2 BBiG insbesondere verpflichtet, an Ausbildungsmaßnahmen und mithin auch dem Schulunterricht teilzunehmen. Das einmalige unentschuldigte Fehlen bei dem Schulunterricht ist jedoch ohne vorherige Abmahnung nicht geeignet, eine außerordentliche Kündigung des Ausbildungsverhältnisses des Klägers zu begründen. Auch insoweit handelt es sich um ein steuerbares Verhalten des Klägers, sodass davon auszugehen ist, dass eine Abmahnung mit der Androhung von Konsequenzen für das Ausbildungsverhältnis geeignet gewesen wäre, eine Verhaltensänderung bei dem Kläger zu bewirken und sein Verhalten positiv dahingehend zu beeinflussen, dass er zukünftig an dem Schulunterricht der Beklagten teilnehmen wird.

(e) Ebenso ist die Vorlage eines Corona-Testnachweises einer auswärtigen Teststelle am 29.11.2021 nicht geeignet, eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers zu begründen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes verzichtet der Arbeitgeber konkludent auf sein Kündigungsrecht, wenn er wegen eines abgeschlossenen Fehlverhaltens des Arbeitnehmers diesem gegenüber eine Abmahnung ausspricht (vgl. BAG, Urteil vom 02.02.2006 – 2 AZR 222/05, juris, Rn. 22). Der Arbeitgeber bringt mit dem Ausspruch der Abmahnung regelmäßig zum Ausdruck, dass wegen des gerügten Verhaltens keine Kündigung erfolgen werde (BAG, Urteil vom 02.02.2006 – 2 AZR 222/05, juris, Rn. 22). Dasselbe muss für den Fall des Ausspruchs einer Ermahnung durch den Arbeitgeber gelten.

Der Kläger wurde aufgrund des vorgenannten Verstoßes gegen das bei der Beklagten geltende Schutzkonzept zur Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2 und der sich daraus ergebenden Verpflichtung zur Vorlage eines Testergebnisses der Teststelle U. von dem Schulleiter Herrn Q. ermahnt. Mit dem Ausspruch der Ermahnung gegenüber dem Kläger hat die Beklagte selbst zum Ausdruck gebracht, dass die dem Kläger vorgeworfene Pflichtverletzung nicht so schwer wiegt, dass sie diese zu dem Ausspruch einer Kündigung heranziehen werde. Die außerordentliche Kündigung des Klägers kann ohne vorherige Abmahnung nicht auf den vorgenannten Pflichtverstoß des Klägers gestützt werden.

(f) Insgesamt liegen zwar mehrere Verstöße des Klägers gegen das bei der Beklagten geltende Schutzkonzept zur Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2 vor. Diese Pflichtverletzungen sind jedoch weder jeweils für sich betrachtet, noch in einer Gesamtschau geeignet, eine außerordentliche Kündigung des Ausbildungsverhältnisses ohne vorherige Abmahnung des Klägers zu begründen. Die Pflichtverletzungen des Klägers liegen jeweils im Bereich steuerbaren Verhaltens, sodass nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Kläger bei einer Abmahnung unter Hinweis auf mögliche Konsequenzen für sein Ausbildungsverhältnis sein Verhalten in der Zukunft geändert hätte, um seinen Ausbildungsabschluss nicht zu gefährden. Da eine konkrete Gefährdung der Patienten der Beklagten sowie seiner Arbeitskolleginnen und -kollegen oder sonstiger Dritter nicht eingetreten ist, war es der Beklagten nicht unzumutbar, auf eine Pflichtverletzung des Klägers zunächst mit einer Abmahnung zu reagieren, um auf eine geänderte Verhaltensweise des Klägers hinzuwirken.

(2) Ebenso geht die vorzunehmende Interessenabwägung vorliegend zu Gunsten des Klägers aus. Da der Kläger bereits gut zwei Drittel seiner Ausbildungszeit absolviert hat, ohne dass es in der Vergangenheit zu – abgemahnten – Beanstandungen der Beklagten gekommen ist, überwiegt das Interesse des Klägers am Fortbestand seines Ausbildungsverhältnisses das Interesse der Beklagten an einer außerordentlichen Auflösung des Ausbildungsverhältnisses.

Liegt eine erhebliche Pflichtverletzung eines Auszubildenden vor, ist entsprechend § 626 Abs. 1 BGB in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Ausbilders an der sofortigen Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses gegen das Interesse des Auszubildenden an dessen Fortbestand bis zum Ablauf der Ausbildungszeit abzuwägen (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.04.2013 – 10 Sa 518/12, juris, Rn. 31). Dabei hat eine Bewertung des konkreten Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung ist auch die bereits absolvierte Ausbildungszeit zu berücksichtigen (vgl. LAG Köln, Urteil vom 19.09.2006 – 9 Sa 1555/05, juris, Rn. 36; Ascheid/Preis/Schmidt-Biebl, 6. Aufl. 2021, § 22 BBiG, Rn. 15; Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath-Hermann, 4. Aufl. 2017, § 22 BBiG, Rn. 12). Je weiter die Ausbildung vorangeschritten ist, desto höher sind die Anforderungen an den wichtigen Grund (Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath-Hermann, 4. Aufl. 2017, § 22 BBiG, Rn. 12). Damit sind Pflichtverstöße nur unter erschwerten Bedingungen als unzumutbar für den Ausbildenden zu bewerten. Eine fristlose Kündigung kurz vor Abschluss der Ausbildung ist kaum möglich (vgl. hierzu LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20.11.2018 – 8 Sa 24/18, juris, Rn. 70; Ascheid/Preis/Schmidt-Biebl, 6. Aufl. 2021, § 22 BBiG, Rn. 15; Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath-Hermann, 4. Aufl. 2017, § 22 BBiG, Rn. 12).

Der Kläger hat seine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger bei der Beklagten am 01.10.2019 begonnen und sollte diese im Oktober 2022 abschließen. Die Ausbildungszeit des Klägers verlief ohne Beanstandungen der Beklagten, jedenfalls liegen unstreitig keine Abmahnungen des Klägers für etwaige Pflichtverletzungen vor. Seitens des Klägers ist bei der Interessenabwägung ein hohes Interesse an der regelkonformen Beendigung seines Ausbildungsverhältnisses zu berücksichtigen, da er nur auf diese Art und Weise Zugang zum Arbeitsmarkt in diesem Ausbildungsberuf erhalten kann.

Auf der anderen Seite ist bei der Beklagten ihre Verpflichtung für das Wohl der Patientinnen und Patienten als auch die Fürsorgepflichten für die bei ihr beschäftigten Personen zu berücksichtigen. Die Beklagte hat ein hohes, berechtigtes Interesse an der Einhaltung ihres Schutzkonzeptes zur Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2, welches in die Interessenabwägung einzustellen ist.

Da der Kläger seitens der Beklagten – trotz behaupteter Verstöße gegen ihr Schutzkonzept zur Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2 – nicht abgemahnt wurde und es – aufgrund der Einhaltung der Abstandsregelungen – zu keiner konkreten Gefährdung von Dritten gekommen ist, überwiegt vorliegend das Interesse des Klägers an einer Fortsetzung seines Ausbildungsverhältnisses das Interesse der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Ausbildungsverhältnisses. Es war der Beklagten zuzumuten, die Pflichtverstöße des Klägers vor dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung abzumahnen.

2. Der zulässige Klageantrag zu 2.) ist in der Sache begründet. Der Kläger hat gemäß §§ 17 Abs. 1, 10 Abs. 2 BBiG i.V.m. §§ 615 Satz 1, 293 ff BGB einen Anspruch auf Annahmeverzug für den Kalendermonat Dezember 2021 in Höhe von 1.328,38 EUR brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 391,02 EUR netto.

a. Der Kläger hat gemäß §§ 17 Abs. 1, 10 Abs. 2 BBiG i.V.m. §§ 615 Satz 1, 293 ff BGB einen Anspruch auf Annahmeverzug für den Kalendermonat Dezember 2021. Die Beklagte ist aufgrund des Ausspruchs der außerordentlichen Kündigung vom 01.12.2021 in Annahmeverzug geraten.

Nach § 615 Satz 1 BGB kann der Arbeitnehmer die vereinbarte Vergütung verlangen, wenn sich der Arbeitgeber mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug befindet. Die Regelung von § 615 Satz 1 BGB findet auch im Ausbildungsverhältnis Anwendung (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 13.07.2006 – 8 AZR 382/05, juris, Rn. 41). Gemäß § 293 BGB kommt der Gläubiger in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt (BAG, Urteil vom 29.06.2016 – 5 AZR 696/15, juris, Rn. 15). Da in einer außerordentlichen Kündigung zugleich die Erklärung des Arbeitgebers liegt, er werde die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht weiter annehmen, bedarf es keines Angebots der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer entsprechend der Regelungen von §§ 295, 296 Satz 1 BGB (st. Rspr. vgl. hierzu BAG, Urteil vom 16.05.2012 – 5 AZR 251/11, juris, Rn. 12; BAG, Urteil vom 24.09.2003 – 5 AZR 500/02, juris, Rn. 14).

Entsprechend kam die Beklagte mit dem Ausspruch der außerordentlichen Kündigung des Ausbildungsverhältnisses des Klägers am 01.12.2021 in Annahmeverzug, ohne dass es einer weiteren Erklärung oder eines Angebotes der Arbeitsleistung seitens des Klägers bedurft hätte. Die Beklagte hat mit dem Ausspruch der außerordentlichen Kündigung des Ausbildungsverhältnisses des Klägers erklärt, dass sie die weitere Arbeitsleistung des Klägers nicht mehr annehmen werde.

b. Der Anspruch auf die Ausbildungsvergütung des Klägers in Höhe von 1.328,38 EUR brutto sowie das an den Kläger gezahlte Arbeitslosengeld ist zwischen den Parteien unstreitig geblieben.

c. Der Zinsanspruch des Klägers folgt aus den §§ 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB. Die Parteien haben keine vorrangige Fälligkeitsregelung getroffen, sodass die Ausbildungsvergütung des Klägers gemäß § 18 Abs. 3 BBiG am letzten Arbeitstag eines Monats fällig wurde. Entsprechend kam die Beklagte am letzten Arbeitstag des jeweiligen Kalendermonats mit der Leistung der Ausbildungsvergütung des Klägers in Verzug.

3. Der zulässige Klageantrag zu 3.) ist in der Sache ebenfalls begründet. Der Kläger hat gemäß §§ 17 Abs. 1, 10 Abs. 2 BBiG i.V.m. §§ 615 Satz 1, 293 ff BGB einen Anspruch auf Annahmeverzug für den Kalendermonat Januar 2022 in Höhe von 1.328,38 EUR brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 617,40 EUR netto. Insoweit kann auf die Ausführungen unter 2. vollumfänglich verwiesen werden.

4. Der zulässige Klageantrag zu 4.) ist in der Sache ebenfalls begründet. Der Kläger hat gemäß §§ 17 Abs. 1, 10 Abs. 2 BBiG i.V.m. §§ 615 Satz 1, 293 ff BGB einen Anspruch auf Annahmeverzug für den Kalendermonat Februar 2022 in Höhe von 1.328,38 EUR brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 617,40 EUR netto. Insoweit kann auf die Ausführungen unter 2. vollumfänglich verwiesen werden.

5. Der zulässige Klageantrag zu 5.) ist in der Sache ebenfalls begründet. Der Kläger hat gemäß §§ 17 Abs. 1, 10 Abs. 2 BBiG i.V.m. §§ 615 Satz 1, 293 ff BGB einen Anspruch auf Annahmeverzug für den Kalendermonat März 2022 in Höhe von 1.328,38 EUR brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 617,40 EUR netto.

a. Der Kläger hat einen Anspruch auf Annahmeverzugslohn in der vereinbarten Höhe gemäß §§ 17 Abs. 1, 10 Abs. 2 BBiG i.V.m. §§ 615 Satz 1, 293 ff BGB aufgrund der außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 01.12.2021. Die Beklagte befand sich aufgrund des Ausspruchs der außerordentlichen Kündigung im Annahmeverzug gemäß §§ 293 ff BGB, ohne dass es eines weiteren Angebotes der Arbeitsleistung durch den Kläger bedurft hätte.

b. Der Anspruch des Klägers ist nicht gemäß § 297 BGB i.V.m. § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG ab dem 15.03.2022 untergegangen. Aus der gesetzlichen Regelung des § 20a Abs. 1, Abs. 2 IfSG ergibt sich kein gesetzliches Beschäftigungs- oder Tätigkeitsverbot des Klägers. Ein behördliches Betretungs- oder Tätigkeitsverbot gegen den Kläger nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG liegt nicht vor.

Der Gläubiger kommt gemäß § 297 BGB nicht in Annahmeverzug, wenn der Schuldner außerstande ist, die von ihm geschuldete Leistung zu bewirken. Hierbei kann das Unvermögen auch auf rechtlichen Gründen, wie etwa einem gesetzlichen Beschäftigungsverbot oder dem Fehlen der erforderlichen Erlaubnis für die Ausübung der Tätigkeit, beruhen (vgl. LAG Nürnberg, Urteil vom 03.03.2021 – 2 Sa 323/20, juris, Rn. 38; BAG, Urteil vom 21.10.2015 – 5 AZR 843/14, juris, Rn. 23).

Die Regelung des § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG enthält kein gesetzliches Beschäftigungs- oder Tätigkeitsverbot für bereits zuvor beschäftigte Arbeitnehmer, die dem Arbeitgeber bis zum 15.03.2022 keinen Impf- oder Genesenennachweis vorlegen.

Nach der Regelung von § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) IfSG müssen Personen, die in einem Krankenhaus tätig sind, ab dem 15.03.2022 über einen Impf- oder Genesenennachweis nach § 22a IfSG verfügen. Weiterhin haben diese Personen gemäß § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG der Leitung der jeweiligen Einrichtung bis zum 15.03.2022 einen entsprechenden Impfnachweis oder Genesenennachweis vorzulegen.

Über die Auswirkungen der Nichtvorlage eines Impf- oder Genesenennachweises eines bereits vor dem 15.03.2022 beschäftigten Arbeitnehmers wurde bislang – soweit ersichtlich – in der Arbeitsgerichtsbarkeit nicht entschieden. In der Literatur sind die Auswirkungen, insbesondere das Inkrafttreten eines automatischen Tätigkeitsverbotes umstritten (dagegen: Harländer/Otte: Arbeitsrechtliche Konflikte im Rahmen der Pandemiebekämpfung, NZA 2022, Seite 160 ff, 163, befürwortend: Müller, Die einrichtungsbezogene Impfpflicht im Arbeitsrecht, ArbR aktuell 2022, Seite 55 ff, 58).

Der Wortlaut von § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG lässt das Eintreten eines Tätigkeitsverbotes eines bereits vor dem 15.03.2022 beschäftigten, nicht geimpften oder genesenen Arbeitnehmer offen. Zwar „müssen“ diese Personen nach dem Wortlaut der Regelung einen Impf- oder Genesenennachweis vorlegen, als Folge ist jedoch in § 20a Abs. 2 Satz 2 IfSG lediglich eine Benachrichtigungs- und Übermittlungspflicht der Einrichtungsleitung an das zuständige Gesundheitsamt normiert. Ein Beschäftigungs- und Tätigkeitsverbot für die bereits beschäftigten Arbeitnehmer ist – im Gegensatz zu § 20a Abs. 3 Satz 4, 5 IfSG für neu eingestellte Arbeitnehmer – nicht ausdrücklich gesetzlich vorgesehen.

Für ein automatisches Beschäftigungsverbot auch für die bereits vor dem 15.03.2022 beschäftigten Arbeitnehmer spricht der Zweck der gesetzlichen Regelung. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 20a IfSG ist Ziel der gesetzlichen Regelung, für Einrichtungen und Unternehmen, in denen sich typischerweise eine Vielzahl von besonders vulnerablen Gruppen aufhalten, dass dort tätige Personen geimpft oder genesen seien müsse, um die besonders gefährdeten Personengruppen zu schützen (vgl. BT-Drucksache 20/188, Seite 37). Diesem gesetzlichen Schutzzweck wäre mit einem möglichst weitgehenden Beschäftigungs- und Tätigkeitsverbot für nicht geimpfte bzw. nicht genesene Arbeitnehmer am ehesten gedient (vgl. hierzu auch Gundel/Höllwarth, die einrichtungsbezogene Impfpflicht und ihre Folgen, ZAT 2022, Seite 16 ff, 21).

Jedoch ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung nicht ausdrücklich, dass mit einem Verstoß gegen die Regelung nach § 20a Abs. 2 IfSG automatisch ein Beschäftigungs- und Tätigkeitsverbot einhergeht. Zwar heißt es in der Gesetzesbegründung zu § 20a Abs. 2 IfSG unter den Ausführungen zum Datenschutzrecht, dass es sich bei der Pflicht, in den in Abs. 1 genannten Einrichtungen nur mit Impf- oder Genesenennachweis tätig zu sein, um eine gesetzliche Tätigkeitsvoraussetzung und damit eine rechtliche Pflicht aus dem Arbeitsrecht i.S.d. § 26 Abs. 3 Satz 1 BDSG handele (vgl. BT-Drucksache 20/188, Seite 40). Auch an dieser Stelle findet sich in der Gesetzesbegründung ebenfalls kein ausdrückliches Beschäftigungsverbot nichtgeimpfter bzw. nichtgenesener Arbeitnehmer für den Arbeitgeber. Erstmals bei der Gesetzesbegründung zu dem behördlichen Betretungs- und Tätigkeitsverbot nach § 20a Abs. 5 IfSG findet sich der Hinweis des Gesetzgebers, dass für diesen Personenkreis die Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers entfällt (vgl. BT-Drucksache 20/188, Seite 42).

Letztlich ist der Annahme eines gesetzlichen Beschäftigungs- und Tätigkeitsverbotes für bereits vor dem 15.03.2022 beschäftige Arbeitnehmer, die ihrem Arbeitgeber bis zum 15.03.2022 keinen Impf- oder Genesenennachweis nach § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG vorgelegt haben, aus systematischen Gründen nicht zu folgen. Denn die gesetzliche Regelung differenziert in den Absätzen 2 und 3 deutlich zwischen den Rechtsfolgen für bereits vor dem 15.03.2022 beschäftigte und ab dem 16.03.2022 neu eintretende Arbeitnehmer. Der Gesetzgeber hat für nicht geimpfte bzw. genesene Personen, die ab dem 16.03.2022 neu in ein Unternehmen eintreten, in § 20a Abs. 3 Satz 4 IfSG ausdrücklich geregelt, dass diese Personen nicht beschäftigt bzw. nach Satz 5 nicht tätig werden dürfen. Eine solche Regelung findet sich für bereits vor dem 15.03.2022 beschäftigte Personen gerade nicht. In diesem Fall ist lediglich eine Benachrichtigungs- und Übermittlungspflicht für den Arbeitgeber nach § 20a Abs. 2 Satz 2 IfSG vorgesehen. Die gesetzlich vorgesehene Differenzierung zwischen den beiden Personengruppen kann aber nur dann Auswirkungen entfalten, wenn für die bereits vor dem 15.03.2022 beschäftigten Arbeitnehmer kein gesetzliches Beschäftigungs- bzw. Tätigkeitsverbot bei Nichtvorlage eines Impf- und Genesenenausweises angenommen wird. Für diese Personengruppe besteht vielmehr nur dann ein Betretungs- und Tätigkeitsverbot, wenn ein solches gemäß § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG von dem zuständigen Gesundheitsamt eine solche Untersagungsverfügung erlassen wird.

Auch das Bundesverfassungsgericht geht entsprechend davon aus, dass sich für die bereits vor dem 15.03.2022 beschäftigten Arbeitnehmern aus der gesetzlichen Regelung des § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG unmittelbar kraft Gesetzes kein Betretungs- oder Tätigkeitsverbot ergebe, sondern dessen Anordnung von einer ermessensgeleiteten Einzelfallentscheidung des Gesundheitsamtes abhängig gemacht worden sei (BVerfG, Urteil vom 27.04.2022 – 1 BvR 2649/21, juris, Rn. 215; 253). Der Gesetzgeber lasse die Anordnung eines Betretungs- und Tätigkeitsverbotes nur als ermessensgeleitete Einzelfallentscheidung zu (BVerfG, Urteil vom 27.04.2022 – 1 BvR 2649/21, juris, Rn. 220).

Aufgrund der differenzierenden gesetzlichen Regelungssystematik des § 20a IfSG und der ausdrücklichen Regelung eines Beschäftigungs- und Tätigkeitsverbotes für erstmals ab dem 16.03.2022 beschäftigte Arbeitnehmer in § 20a Abs. 3 Satz 4 und 5 IfSG und einer fehlenden entsprechenden Regelung für bereits zuvor beschäftigte Arbeitnehmer ergibt sich aus § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG kein gesetzliches Beschäftigungs- und Tätigkeitsverbot für den Kläger.

Eine Untersagungsverfügung des zuständigen Gesundheitsamtes nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG, nach welcher dem Kläger untersagt würde, die Einrichtung der Beklagten zu betreten bzw. in dieser tätig zu werden, liegt nicht vor. Es besteht damit auch kein behördliches Tätigkeitsverbot des Klägers nach § 297 BGB i.V.m. § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG.

Der Anspruch des Klägers auf Annahmeverzug ist nicht wegen Unvermögens gemäß § 297 BGB i.V.m. § 20a IfSG ab dem 15.03.2022 untergegangen.

c. Der Anspruch des Klägers ist auch nicht gemäß § 242 BGB wegen Unzumutbarkeit seiner Beschäftigung für die Beklagte untergegangen.

Der Arbeitgeber kommt trotz Nichtannahme der Arbeitsleistung ausnahmsweise dann nicht in Annahmeverzug, wenn ihm nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten des Arbeitslebens die Annahme der Arbeitsleistung unzumutbar ist (BAG, Urteil vom 21.10.2015 – 5 AZR 843/14, juris, Rn. 34; BAG, Urteil vom 28.09.2016 – 5 AZR 224/16, juris, Rn. 24). Diesbezüglich wird in der Rechtsliteratur vertreten, dass es dem Arbeitgeber unzumutbar sei, die Arbeitsleistung eines nichtgeimpften bzw. nichtgenesenen Arbeitnehmers anzunehmen, da § 20a IfSG eine Nachweispflicht statuiere (vgl. hierzu Gundel/Höllwarth, die einrichtungsbezogene Impfpflicht und ihre Folgen, ZAT 2022, Seite 16 ff, 23).

Der Beklagten war es vorliegend nicht aufgrund von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB unzumutbar, den Kläger über den 15.03.2022 hinaus zu beschäftigen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit § 20a IfSG eine abgestufte gesetzliche Regelungssystematik eingeführt hat, nach welcher der Arbeitgeber zunächst den Arbeitnehmer, der bis zum 15.03.2022 keinen Impf- oder Genesenennachweis vorgelegt hat, gemäß § 20a Abs. 2 Satz 2 IfSG an das zuständige Gesundheitsamt melden muss. Dieses entscheidet sodann gemäß § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG über den Erlass eines Betretungs- und Tätigkeitsverbotes gegen den betreffenden Arbeitnehmer. Für die Annahme eines Tätigkeitsverbotes ist damit eine ermessensgeleitete Einzelfallentscheidung des Gesundheitsamtes erforderlich (BVerfG, Urteil vom 27.04.2022 – 1 BvR 2649/21, juris, Rn. 215; 253). Damit aber ist die Entscheidungsbefugnis über das Bestehen eines Tätigkeitsverbotes vom Gesetzgeber dem zuständigen Gesundheitsamt zugewiesen worden. Die Beklagte legt nicht dar, dass sie die ihr zur Verfügung stehende Möglichkeiten der Erwirkung eines Betretungs- und Tätigkeitsverbotes gegen den Kläger durch das zuständige Gesundheitsamt genutzt hat bzw. aus welchen Gründen kein behördliches Betretungs- und Tätigkeitsverbot gegen den Kläger ausgesprochen wurde. Auch legt die Beklagte selbst nicht dar, aus welchen Gründen ihr die weitere Beschäftigung des Klägers unzumutbar seien soll. Jedenfalls aber wären auch hier etwaige mildere Maßnahmen, wie die Umsetzung des Klägers in einen Arbeitsbereich mit möglichst geringem Patientenkontakt, zu berücksichtigen gewesen.

Damit ist der Anspruch des Klägers auf Annahmeverzugslohn gemäß §§ 17 Abs. 1, 10 Abs. 2 BBiG i.V.m. §§ 615 Satz 1, 293 ff BGB auch unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben nach § 242 BGB nicht untergegangen. Der Kläger hat Anspruch auf Annahmeverzug für den Kalendermonat März 2022 in Höhe von 1.328,38 EUR brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 617,40 EUR netto.

6. Der zulässige Klageantrag zu 6.) ist in der Sache ebenfalls begründet. Der Kläger hat gemäß §§ 17 Abs. 1, 10 Abs. 2 BBiG i.V.m. §§ 615 Satz 1, 293 ff BGB einen Anspruch auf Annahmeverzug für den Kalendermonat April 2022 in Höhe von 1.328,38 EUR brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 617,40 EUR netto. Insoweit kann auf die Ausführungen unter 5. vollumfänglich verwiesen werden.

Lediglich der Zinsanspruch war insoweit abzuweisen, als er über den 03.05.2022 hinausging. In den Monaten, in denen der Fälligkeitstag auf einen Samstag, einen Sonntag oder einen Feiertag fällt, verschiebt sich die Fälligkeit nach § 193 BGB auf den nachfolgenden Werktag und der Verzug dementsprechend auf den darauffolgenden Werktag (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 21.04.2010 – 10 AZR 288/09, juris, Rn. 31). Da vorliegend der 30.04.2022 auf einen Samstag fiel, verschob sich der Verzugsbeginn auf den 03.05.2022. Der darüber hinausgehende Zinsanspruch des Klägers war insoweit abzuweisen.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 495, 92 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Im Hinblick auf die Klagerücknahme des allgemeinen Feststellungsantrags führte diese nicht zu einer geänderten Kostenentscheidung gemäß § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG, da sich dieser Antrag nicht streitwerterhöhend ausgewirkt hat.

Die Festsetzung des Streitwerts im Urteil erfolgte für den Klageantrag zu 1.) gemäß den §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, 42 Abs. 2 GKG in Höhe des Quartalsbezugs des Klägers sowie für die Klageanträge zu 2.) bis 6.) gemäß den §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, 3 ZPO in Höhe der jeweils geltend gemachten Zahlungsanträge.

Die Berufung war nach § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Entscheidung über den Annahmeverzugslohnanspruch des Klägers ab dem 15.03.2022 gesondert zuzulassen.

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