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Fristlose Kündigung – Beginn der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg – Az.: 10 Sa 7/21 – Urteil vom 03.11.2021

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm – Kammern Ravensburg – vom 10. November 2020 – 8 Ca 193/19 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird für die Beklagte mit Ausnahme der Widerklage zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer von der Beklagten mit Schreiben vom 27. September 2019 ausgesprochenen außerordentlichen fristlosen Kündigung, hilfsweise außerordentlichen Kündigung unter Einhaltung einer notwendigen Auslauffrist mit Ablauf des 30. April 2020 sowie für den Fall des Obsiegens über die Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens. Die Beklagte begehrt im Wege der Widerklage die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 148.800,00 Euro nebst Zinsen.

Der am 0.0.1965 geborene Kläger ist seit dem 1. September 1996 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt, zuletzt als Vertriebsleiter DX („Head of Key Account Manager“) am Standort F. zu einem Bruttojahresgehalt von zuletzt 148.800,00 Euro. Daneben erhält er noch weitere Vergütungsleistungen, u.a. eine variable Vergütung, die sich nach dem Erreichen geplanter Ziele richtet (vgl. hierzu Anlage B 3, Bl. 276 f. der erstinstanzlichen Akte). Für dienstzeitabhängige Sozialleistungen gilt als Eintrittsdatum der 25. Mai 1989. Er ist verheiratet. Seine Ehefrau arbeitet im sozialen Bereich mit einer Arbeitszeit von 28 Stunden pro Woche. Die Kinder sind nicht mehr unterhaltsberechtigt.

Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie Südwürttemberg-Hohenzollern Anwendung. Dieser sieht in Nr. 4.4 einen Sonderkündigungsschutz mit folgendem Inhalt vor: „Einem Beschäftigten, der das 53., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet hat und dem Betrieb mindestens 3 Jahre angehört, kann nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. (…).“

Der Kläger unterzeichnete am 28. Januar 1999 eine Zusatzvereinbarung betreffend den Geheimschutz (Anlage B 2, Bl. 141 der erstinstanzlichen Akte). Das Arbeitsverhältnis richtete sich zuletzt nach dem Anstellungsvertrag vom 2. Februar 2012 (Anlage K 1, Bl. 12 ff. der erstinstanzlichen Akte).

Die Beklagte gehört zur A. Group und hat ihren Sitz in T. („Standort O.“). Sie ist spezialisiert auf militärische Luftfahrt, militärische und zivile Raumfahrtsysteme sowie Sensoren und Kommunikationstechnologie für Verteidigung und Sicherheit. Sie hat mehrere Standorte u.a. in O., F. und B.. Bei der Beklagten bestehen Betriebsräte und ein Sprecherausschuss.

Zu den Hauptgeschäftsfeldern der Beklagten gehören die Entwicklung, die Konstruktion und der Bau von Militärflugzeugen und unbemannten Luftfahrzeugen, die Raumfahrttechnik wie z.B. Satelliten sowie Kommunikationslösungen für den Sicherheits- und Verteidigungssektor. Die Beklagte ist in der Vergangenheit mehrfach als Auftragnehmerin für die Bundeswehr bzw. das Bundesministerium der Verteidigung – nachfolgend: BMVg – tätig geworden. Die Bundeswehr ist auch gegenwärtig einer der wichtigsten Kunden bzw. öffentlichen Auftraggeber.

Öffentliche Auftraggeber dürfen Aufträge für Lieferungen und Leistungen grundsätzlich nur im Wege eines Vergabeverfahrens vergeben. Gründe hierfür sind eine sparsame Mittelverwendung und die Bekämpfung von Korruption. Auch soll allen Unternehmen ein fairer und diskriminierungsfreier Zugang zu den staatlichen Beschaffungsmärkten gewährt werden. Die unmittelbare Deckung des Sachbedarfs der Streitkräfte erfolgt im Rahmen eines festgelegten Beschaffungsprozesses der Bundeswehr. Dieser gliedert sich in Bezug auf einen zu beschaffenden Ausrüstungsgegenstand in mehrere verwaltungsinterne Prozessabläufe und -schritte und mündet bei Projekten mit hohen Investitionsvolumina und sicherheitspolitischer Relevanz regelmäßig in einer öffentlichen Auftragsvergabe an einen (privaten) Auftragnehmer als künftigen Entwickler/Hersteller des jeweiligen Ausrüstungsgegenstandes unter Berücksichtigung des Vergaberechts. Hierzu gibt es Leitfäden, die dem Kläger bekannt waren, so z.B. der „Leitfaden für die Beteiligung der Industrie in Integrierten Projektteams (IPT) in den verschiedenen Phasen des novellierten Customer Product Management (CPM [nov.])“ vom 19. September 2013 (Anlage K 8, Bl. 945 ff. der erstinstanzlichen Akte), der zum 2. August 2018 aktualisiert wurde (Anlage B 24 und B 30, Bl. 581 ff. und 654 der erstinstanzlichen Akte).

Zur Vorbereitung eines Vergabeverfahrens erstellt ein nachgeordneter Geschäftsbereich des BMVg ein behördeninternes Dokument „Fähigkeitslücke und Funktionale Forderung (FFF)“, das wettbewerbliche Relevanz aufweist und behördenseits als „VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH (VS-NfD)“ gekennzeichnet ist. Die FFF ist ein zentrales Dokument zur Vorbereitung der Vergabe eines Beschaffungsprojekts. Sie ist das bedarfsbegründende Dokument, mit dessen Billigung der Ausrüstungs- und Nutzungsprozess initiiert wird, in dem aber noch keine technischen Lösungen vorgegeben werden. Daraus ergeben sich die konkreten Anforderungen der Bundeswehr in technischer Hinsicht. Die FFF ist stets als „Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch (VS-NfD)“ eingestuft. Der Umgang mit derartigen Verschlusssachen wird in einem Merkblatt des Ministeriums für Wirtschaft und Energie genauer erläutert (Anlage B 1, Bl. 134 ff. der erstinstanzlichen Akte). So dürfen Verschlusssachen des Geheimhaltungsgrades VS-NfD etwa nur Personen zugänglich gemacht werden, die im Zusammenhang mit der Auftragsdurchführung oder bei der Auftragsanbahnung Kenntnis erhalten müssen („need to know“-Prinzip). Der Schutz von Verschlusssachen ist im Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) geregelt (vgl. hierzu den Infobrief des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, Anlage K 10, Bl. 959 ff. der erstinstanzlichen Akte).

Als Key-Account-Manager (KAM) ist der Kläger zuständig, Kontakte zum Kunden aufzubauen und langfristig zu erhalten. Seine Rolle als KAM besteht insbesondere darin, den möglichen Bedarf der Bundeswehr zu evaluieren.

Bei der Beklagten existieren verschiedene Richtlinien, die sich mit Verhaltens- und Integritätsgrundsätzen, der Vertraulichkeit von Informationen und der Wettbewerbs- und Marktbeobachtung beschäftigen (Anlagen B 4 bis B 7, Bl. 142 ff. der erstinstanzlichen Akte). Der Kläger hat in 2017 und 2018 an Compliance-Schulungen teilgenommen. Der Inhalt und der Schwerpunkt dieser Schulungen ist im Detail zwischen den Parteien streitig (vgl. dazu Anlagen B 8 bis B 11, Bl. 188 ff. der erstinstanzlichen Akte).

Bei der Beklagten ist ein „Legal & Compliance Department“ (Rechts- und Compliance-Abteilung) eingerichtet. Leiter ist Herr Dr. R., der auch „General Counsel“ i.S.e. Leiters dieser Abteilung ist. Der Abteilung unterstellt ist das Compliance Office und diesem wiederum das Compliance Analysis Office, dessen Leiterin Frau Dr. P. ist. Im Juli 2018 erhielt das Legal & Compliance Department einen Hinweis auf das Vorliegen der FFF zu dem noch ausstehenden Beschaffungsvorhaben „SX“ bei verschiedenen Mitarbeitern des Unternehmens. Zur Bewertung der damit einhergehenden rechtlichen Risiken holte das Legal & Compliance Department externen rechtlichen Rat ein, aus der sich potenzielle Unternehmensrisiken für den möglichen Fall eines unzulässigen Erhalts des Dokumentes ergaben. Auf dieser Grundlage initiierte das Compliance Analysis Office im September 2018 eine „Pre-Investigation“ zur Erstvalidierung der Verdachtsmomente. Erste informatorische Befragungen von vermeintlich beteiligten Mitarbeitern wurden wegen Urlaubsabwesenheiten im September 2018 durchgeführt.

Nachdem die Verdachtsmomente durch die Gespräche nicht erschüttert werden konnten, beauftragte das Legal & Compliance Department im Oktober 2018 die Kanzlei R1 mit der Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung zur vollständigen Aufklärung des Sachverhaltes, die sogenannte „Full-Investigation“. In diesem Rahmen wurden u.a. Interviews durch Rechtsanwälte der Kanzlei R1 und von Mitarbeitern der Beklagten aus der Compliance-Abteilung mit zehn Mitarbeitern durchgeführt, darunter Dr. S. (Strategic Lead), L. (System Architecture), K. (Key Account Manager im Bereich Regional KAM DX), G. (HO Sites Development) und dem Kläger. Das Gespräch mit dem Kläger fand am 12. November 2018 statt (vgl. den Gesprächsvermerk der Kanzlei R1, Anlage B 35, Bl. 673 ff. der erstinstanzlichen Akte). Der Kläger übergab verschiedene Dokumente (vgl. Anlage B 57, Bl. 720 erstinstanzlichen Akte). Das Gesprächsprotokoll nahm der Kläger im Januar 2019 ab.

Im Anschluss an die Gespräche entschied die Beklagte im Dezember 2018, eine IT-Search gemäß der bei der Beklagten geltenden Konzernbetriebsvereinbarungen „Grundlagen der Einführung und Anwendung von IT-Systemen und Datenschutz vom 12. Dezember 2012 “ (Anlage B 58, Bl. 721 ff. der erstinstanzlichen Akte, vorgelegt in der – nicht entscheidungserheblich geänderten – Fassung vom 17. Juli 2018) sowie „Privatnutzung betrieblicher E-Mail- und Internet-Anschlüsse“ vom 12. Dezember 2012 bzgl. acht Arbeitnehmern einzuleiten (Anlage B 59, Bl. 736 ff. der erstinstanzlichen Akte). Hierfür stellte das Compliance Analysis Office am 13. Dezember 2018 einen „Compliance Investigation Support Request“ und forderte diverse, im Request spezifizierte Daten von acht Mitarbeitern an (Anlage B 60, Bl. 746 der erstinstanzlichen Akte). Die Datensichtung wurde ab dem 4. Dezember 2018 vorbereitet. Die Beteiligung des Betriebsrats gemäß den Konzernbetriebsvereinbarungen ist zwischen den Parteien streitig. Zeitgleich mit der behaupteten Beteiligung begann die IT-Abteilung die im Request spezifizierten Daten der acht Mitarbeiter, u.a. des Klägers, auf den Unternehmenslaufwerken zu sichern. Um nicht nur die Daten auf den Unternehmenslaufwerken, sondern eine umfassende Sicherung vorzunehmen, sollten auch Daten auf den Endgeräten und Speichermedien der Mitarbeiter gesichert werden. Am 25. Januar 2019 informierte die Beklagte den Datenschutzbeauftragten und den Betriebsrat hierüber.

Im Zeitraum zwischen 31. Januar 2019 und 13. Februar 2019 fand jeweils eine Bürobesichtigung und ein Austausch der Hardware bei den acht Mitarbeitern, darunter auch beim Kläger, statt. Der Kläger sowie ein Vertreter des örtlichen Betriebsrats waren zugegen.

Am 25. März 2019 informierte das Compliance Analysis Office den Kläger schriftlich über die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten (Anlage B 61, Bl.747 f. der erstinstanzlichen Akte). Danach fanden am 8. April und 7. Mai 2019 „6-Augen-Termine“ statt. Zwischen den Parteien ist streitig, ob ein Mitglied des Betriebsrats teilgenommen hat und ob Betriebsrat und der Datenschutzbeauftragte gesicherte Daten für die Beklagte zur Auswertung freigaben. Danach wurde durch einen externen IT-Forensikdienstleister der Datenbestand von insgesamt 13 Terabyte reduziert und zur Durchsuchung vorbereitet. Der nach dem Vortrag der Beklagten von Betriebsrat und Datenschutzbeauftragtem freigegebene Datenbestand umfasste 1.469.320 Dateien. Nach Erstellung einer Stichwortliste durch die Kanzlei R1 und entsprechender Filterung verblieben 50.106 Dateien. Ab dem 12. April 2019 begann die Beklagte mit der Sichtung dieser Dateien. Am 27. Juni 2019 entschied das Compliance-Team der Beklagten, die interne Untersuchung zu unterbrechen und anders als ursprünglich geplant die bislang gefundenen Untersuchungsergebnisse in einem Zwischenbericht für die Geschäftsführung der Beklagten aufzubereiten, um diese in die Lage zu versetzen, über etwaige weitere (u.a. auch arbeitsrechtliche) Maßnahmen zu entscheiden. Sodann bereitete die Kanzlei R1 bis 16. September 2019 die ihrer Auffassung nach ermittelten Pflichtverletzungen des Klägers sowie weiterer 88 Personen in einem Zwischenbericht (vgl. Anlagen B 89 und B 90, Bl. 238 ff. der Berufungsakte) für die Geschäftsführung der Beklagten auf. Der Bericht wurde am 16. September 2019 der Geschäftsführung übergeben.

Unter dem 17. September 2019 übermittelte die Personalabteilung dem Kläger eine schriftliche Aufforderung zur Stellungnahme zu Vorwürfen und setzte ihm eine Frist zur Stellungnahme bis zum 23. September 2019, 9:00 Uhr (Anlage B 13, Bl. 199 ff. der erstinstanzlichen Akte). Der Kläger nahm mit Schreiben vom 20. September 2019 Stellung (Anlage B 14, Bl. 207 ff. der erstinstanzlichen Akte).

Unter dem 23. September 2019 richtete die Beklagte an den Betriebsrat der Beklagten für den Standort F. ein Schreiben mit dem Betreff „Beteiligung nach § 105 BetrVG und vorsorgliche Anhörung nach § 102 BetrVG vor beabsichtigter außerordentlicher fristloser, hilfsweise außerordentlicher Verdachtskündigung mit Auslauffrist des Herrn G1“ (Anlage B 15, Bl. 230 ff. der erstinstanzlichen Akte). Der Betriebsrat reagierte mit Schreiben vom 26. September 2019 unter dem Betreff „Stellungnahme des Betriebsrats zu den außerordentlichen Kündigungen des Mitarbeiters G1, geb. 0.0.1965“ und teilte Bedenken mit (Anlage B 17, Bl. 266 f. der erstinstanzlichen Akte).

Ebenfalls unter dem 23. September 2019 hörte die Beklagte auch den Sprecherausschuss für den Standort F. beabsichtigten außerordentlichen fristlosen, hilfsweise außerordentlichen Verdachtskündigung mit Auslauffrist an (Anlage B 16, Bl. 248 ff. der erstinstanzlichen Akte). Mit Schreiben vom 25. September 2019 nahm der Sprecherausschuss Stellung und stimmte den außerordentlichen Kündigungen zu (Anlage B 18, Bl. 268 der erstinstanzlichen Akte).

In der Anhörung des Betriebsrats führt die Beklagte zu „38 Findings“ wie folgt aus:

„(1) Mit E-Mail vom 22. Dezember 2016 versandte K. an seinen Vorgesetzten G1, sowie an – Sc und Sc1 eine „Übersicht Parlamentsvorlagen 2016″ mit der Bitte um sensitive Handhabung, da „der geneigte Leser“ erkennen könne, „woher das Dokument stammt“. Am 31. Dezember 2016 übersandte K. an Sc, Sc1 und G1 per E-Mail eine um die Vorlagen 2017 ergänze [sic!} Fortschreibung der Liste. Eine weitere Aktualisierung der Liste versendet K. mit E-Mail vom 05. Januar 2017 an den genannten Personenkreis, in der K. auch anbat [sic!], noch einmal in die „Ursprungsdokumente“ zu schauen.

(2) Mit E-Mail vom 22. Dezember 2016 versandte K. per E-Mail an G1, Sc und Sc1 eine „Übersicht Parlamentsvorlagen 2016″ mit der Bitte um sensitive Handhabung, da „der geneigte Leser“ erkennen könne, „woher das Dokument stammt“. Am 31. Dezember 2016 übersandte K. per E-Mail an Sc, Sc1 und an Sie per E-Mail eine um die Vorlagen 2017 ergänze [sic!] Fortschreibung der Liste. Eine weitere Aktualisierung der Liste versandte K. mit E-Mail vom 05. Januar 2017 an den genannten Personenkreis, in der K. auch anbot, noch einmal in die „Ursprungsdokumente“ zu schauen.

(3) Am 12. Januar 2017 berichtete K. per E-Mail an G1 von einem Gespräch mit dem leitenden technischen Regierungsdirektor P1 vom Planungsamt der Bundeswehr, bei dem die Einsatzdispositive, A1 und X/Y besprochen wurden. Danach soll „das Dokument FFF Y zu 80 % fertig“ gestellt sein. Es werde „mit einer offiziellen Beauftragung zur Erstellung der FFF in 02/17′ und der Billigung bis 06/17 gerechnet. K. teilte weiter mit, dass er an der FFF Y „dran“ sei.

(4) Am 31. Januar 2017 erhielt G1 von M. aus seinem Netzwerk eine Kopie des Rüstungsberichts mit Bitte um sorgfältigen Umgang. Darüber hinaus sandte K. am 07. Februar 2017 per E-Mail an G1 eine Entwurfsfassung der Finanzbedarfsanalyse 2018 (FBA). Zudem übersandte K. an G1 mit E-Mail vom 07. Februar 2017 einen Downloadlink zu einem FTP-Server, auf dem die FFF Y mutmaßlich in Entwurfsform zum Herunterladen bereitstand.

(5) Sc übersandte per E-Mail an G1, K1, P2, G. und L1 mit dem Text „Gut aufheben, nicht verteilen“ als VS-NfD gekennzeichnete „Vorläufige konzeptionelle Vorgaben für das künftige Fähigkeitsprofil der Bundeswehr“. G1 leitete dies am selben Tag an V. weiter.

(6) Am 12. Mai 2017 versandte J. per E-Mail einen Initial Capture Plan zum Thema „…“ das auch Bestandteil von NX sein werde, an G1, D., M1 und M3. In der Präsentation heißt es, dass eine realistische Budgetschätzung nicht vor dem ersten Entwurf der FFF möglich sei.

(7) Am 19. Juli 2017 versandte M an G1, G2, R2, C., L1, K1, N., R3 per E-Mail ein als VS-NfD gekennzeichnetes Dokument „aus einer Quelle im Amt“ zu sog. „Kategorie A“-Projekten der Bundeswehr.

(8) Nachdem S. die Position des Position Strategic Lead übernahm, übersandte G1 ihm mit E-Mail vom 25. Juli 2017 die „FFF+ X (…)“.

(9) Am 26. Juli 2017 übersandte K. per E-Mail an G1 Prüfergebnisse, die mutmaßlich im Rahmen eines Termins im PlgA erlangt wurden. Neben Personalien berichtete K. von den Projekten X/Y, zellulare Netze, SP/BR (…). Zu FFF Y teilte er mit, dass er hier niemanden kenne, „um die aktuelle Dokumentenlage im weitergeführten Entwurfsstadium abgreifen zu können“. Zudem berichtete er, dass man jederzeit zum Thema X Fragen platzieren könne, „da mein Spezi für dieses Thema im PlgABw verantwortlich zeichnet“. Die E-Mail leitete G1 an Dr. S. und G3 am selben Tag „zur persönlichen Verwendung (bitte vor Weiterleitung Rücksprache mit mir)“ weiter. Dr. S. bedankte sich mit dem Hinweis, er sei „für jede ergänzende Bewertung und Kommentierung“ dankbar.

(10) G1 versandte mit E-Mail vom 30. August 2017 an R2, K2 und V. als „Kurzfassung der Requirements“ eine Präsentation zur Einsatzdispositive und teilten mit, dass K. noch „allerletzte“ Version der Gesamtpräsentation „akquiriert“.

(11) K. übersandte an M3 eine Präsentation, worauf dieser antwortet, die Datei sei beschädigt. Diese Konversation leitete K. an G1 mit der Bemerkung weiter, er versuche diese „nochmal direkt abzugreifen bei R3/P1″. Zudem leitete er in dieser E-Mail ein Word-Dokument „Anforderungen Luftkomponente“ an G1 weiter.

(12) Am 05. September 2017 erhielten G1 von K. die „Strategische Vorausschau Bundeswehr“ und einen Tag später, am 06. September 2017, die „Mittelfristige Zielsetzung 2019″ per Mail. G1 leitete dies am selben Tag H., K1 und V. sowie an M. weiter.

(13) Am 14. September 2017 übersandte K. an G1 und J. per E-Mail eine Powerpoint-Präsentation von RX, die er offenbar durch das AHEtnwg erhielt.

(14) Ebenfalls am 14. September 2017 versandte K. an G1 und R2 die „aktuelle Version“ der EDP-Präsentation vom 29. August im pdfFormat. K. teilte mit, dass die PP-Präsentation auf dem Postweg zu ihm sei und man dann auch die Folien habe, die in der pdf-Datei durch Animationen verdeckt seien.

15) K. sandte mit E-Mail vom 19. September 2017 an G1, G2, W., und C. die Dokumente „Leitlinie Zukunftsentwicklung 2017″, „Planungsvorgaben 2019″ sowie die „Planungsleitlinie 2019″ mit dem Hinweis: „Wie immer gilt: diese Dokumente haben wir nicht. Bitte nicht quer streuen“.

(16) Am 25. September 2017 erhielten G1 von K. einen „Vortrag EDP“.

(17) M. übersandte mit E-Mail vom 25. Oktober 2017 unter Berufung auf seine Quelle ein VS-NfD-Dokument „Steckbrief 08 zu Technologie Unbemannte Systeme“ an G1, G2, W., R2, V. und L1. Ebenfalls 25. Oktober 2017 erhielten Sie von P2 einen Auszug aus der „Mittelfristigen Zielsetzung“ (VS-NfD-Dokument), mit der Bitte um vertrauliche Behandlung.

(18) Mit E-Mail vom 21. November 2017 versandte K. an G3, Dr. S., H. und Z. und an G1 die Personen/Telefonverzeichnisse von BAAINBW Abt. I, BAAINBw Abst. SO H (H1), BMVg Abt. CIT, KdoCIR, KdolTBw, ZCSBw (mit Anteilen GB300) mit dem Hinweis „Bitte NICHT weiterleiten und vertraulich behandeln“. Die als pdf-Dateien übersandten Verzeichnisse sind offenbar aus einer Bundeswehrdatenbank („Personensuche 2.0″) heruntergeladen worden.

(19) K. versandte mit E-Mail vom 30. November 2017 an G1, G2, W. und M. das Datenwerk Finanzbedarfsanalyse 0218 und den Ressourcenplan Titelliste 2018 sowie eine erste grobe Auswertung der FBA „auch mit Hinblick auf mgl. Opportunities 2018″ als „Aufklarungsergebnisse“ mit dem Hinweis: „Wie immer gilt: Sensitive Daten — bitte nicht im großen Kreis streuen.“ Mit dem Hinweis „FYE-Only“ leitete K. diese Email an G4, H., K., R2 und V. sowie an Sc weiter. K. sandte die E-Mail „z.K.“ auch an K1. H. und Sc bedankten sich ausdrücklich.

(20) Am 01. Dezember 2017 kündigte K. in einer E-Mail an G1, G3, und Dr. S. an, die FFF Y in Hardcopy „Anfang der Woche“ an Dr. S. zu übergeben. G3 könne sich eine Kopie machen und solle diese „gaaaaanz weit unten“ in seinem Schreibtisch verschwinden lassen. Des Weiteren erhielt G1 einen Umschlag, der sein Büro nicht verlassen dürfe. Dr. S. und G3 könnten aber vor Ort Einsicht nehmen. G3 bedankte sich per Mail dafür und bestätigte die Vertraulichkeit. K. bestätigte mit E-Mail vom 26. April 2018 an G1, dass er die FFF Y bereits an Dr. S. weitergeleitet habe.

(21) Am 12. Dezember 2017 trafen sich K. und Dr. D1 ausweislich eines Gesprächsprotokolls AHEntwg/PRE, AHEntwg/KNE und AHEntwg/PTO. Als Actionpoint für AHEntwg/PRE wird festgehalten: „Bereitstellung (inoffiziell) der Dokumente, die den Anpassungsbedarf beschreiben“. Das Protokoll wird am 22. Januar 2018 per E-Mail durch K. an G1, Dr. D1, O1, F1, D., N1, G5, Sc2 und K3 versandt.

(22) Am 11. Januar 2018 erhielten G1 von Dr. S. eine Auswertung der Zahlen aus der FFF+ X und FFF Y per E-Mail und bedankten sich dafür bei ihm ebenfalls per E-Mail.

(23) K. versandte mit E-Mail vom 17. Januar 2018 an G2 und an G1 eine Excel-Datei sowie eine PP-Präsentation für einen Workshop, die Auswertungen der Finanzbedarfsanalyse, der Planungsleitlinie sowie des Ressourcenplans enthalten, mit dem Hinweis auf Einstufung und offiziellem „Nichtbesitz“. G1 leitete dies am 23. Januar 2018 mit der Bitte um Quellenschutz an W. weiter. Die PP-Präsentation leitete G1 mit E-Mail vom 22. Juni 2018 an G., G3, S1, KS, K4, Dr. S., Dr. K5, S2, M4 und Sc3 weiter.

(24) Am 08. Februar 2018 wies C. G1, J., K6, G3 und Z. per E-Mail auf die Inhalte der FFF+ X hin.

(25) Am 1. März 2018 erhielten G1 von K. das Telefonverzeichnis des Kommando Heer „wie besprochen“.

(26) Am 05. April 2018 versandte W. an G1, G2 und R2 per E-Mail den A400M betreffenden Teil aus dem zweiten Teil des Rüstungsberichts. Er habe im „StS-Büro“ um Einblick gebeten, den Teil zu A400M aber bereits anderweitig erhalten.

(27) G1 sandte mit E-Mail vom 18. April 2018 einen Einarbeitungsplan an Z. und wies ihn hierin zum Studium der FFF X und Y hin.

(28) Zusätzlich versandte G1 mit E-Mail vom 20. April 2018 die FFF+ X im Entwurfsstadium an K6.

(29) Dr. S. forderte G1 und K6 am 25. April 2018 per E-Mail auf, die FFF X und Y an alle zu verteilen und dafür zu sorgen, dass diese durch jeden gelesen und verstanden werde. Einen Tag später, am 26. April 2018, bat er G1 und K6, die Dokumentenanlage für die Vorbereitung eines Termins mit einem General mit der Bundeswehr zu vervollständigen und erwähnt dabei u.a. die FFF Y. G1 leitete dies an K. und Z. mit E-Mail vom 26. April 2018 mit der Bitte um Umsetzung weiter.

(30) Mit E-Mail vom 17. Mai 2018 versandte W. an G1, G2 und R2 den aktuellen Entwurf der Konzeption der Bundeswehr 2018. Sie leitete diesen am 18. Mai 2018 per E-Mail an G4, H., J., K., Z., D. und Dr. S. weiter.

(31) Am 19. Juli 2018 versandte W. an G1, G2, T1, V., M., L1, P2, R2 und Sc1 per E-Mail die als VS-NfD gekennzeichneten Telefonverzeichnisse des BMVg für die Standorte B. und B1 und bittet „um Verteilung in den Teams“.

(32) Am 01. August 2018 versandte H. „wie angekündigt aber deutlich früher“ per E-Mail an Dr. S., G3 und an G1 die „topaktuelle“ Telefonliste KdoCIR. Diese wurde am 31. Juli 2018 aus einer Bundeswehrdatenbank (https://ps20.bundeswehr.org) heruntergeladen.

(33) Am 23. August 2018 teilte K. G1 mit, dass er alle relevanten Telefonverzeichnisse Stand Mitte August „gezogen“ habe. Er werde es beim Workshop ansprechen und den Kollegen anbieten, die für sie relevanten Telefonverzeichnisse bei ihm „abzugreifen“. Dieser E-Mail ist eine Übersicht der vorhandenen Verzeichnisse (Screenshot) beigefügt. G1 antwortete am selben Tag mit „Sehr gut“.

(34) Am 30. August 2018 teilte K. in einer E-Mail an V. „+++INTERNAL+++ Aufklärungsergebnisse PX+++NO DISTRIBUTION“ mit, dass er zwar nicht an die Dokumentenlage gekommen sei, da diese nicht im System abgelegt sei und die „Bearbeiter hier sehr restriktiv unterwegs“ seien, er aber aus den ihm vorliegenden Dokumenten Informationen zusammentragen konnte. In dieser E-Mail listete K. die Aufklärungsergebnisse auf, die „im Wesentlichen“ auf die „AWE aus dem Februar des letzten Jahres“ stützen. Diese E-Mail leitete K. am selben Tag mit dem Hinweis „FYE-Only“ an G1 weiter.

(35) Am 12. September 2018 erhielt G1 die die PPT-Präsentation „Impuls Planung“ einschließlich Auswertungen der (als VS-NfD eingestuften) Finanzbedarfsanalyse 2019 von K. mit der Bitte, diese nicht weiter zu streuen, da die Quellen z.T. nachvollziehbar seien.

(36) W. übersandte G1 mit dem Betreff „for your eyes only“ die als VS-NfD gekennzeichnete Mitteilung des Bundesrechnungshofes an das BMVg über die Prüfung „Einsatz externer Dritter in der Bundeswehr“ vom 14. August 2018.

(37) Am 21. November 2018 teilte Z. in einer E-Mail an G1 mit, dass die Analyse von FFF-Dokumenten bisher zu den mutmaßlich zeitintensivsten Tätigkeiten — evtl. u.a. der CIS- und Engineering-Mitarbeiter Sc4, Sc5 und L2 — zählt.

(38) In einer E-Mail zu den Inhalten des Rüstungsberichts vom 11. Dezember 2018 schrieb Dr. S. „leider bleibt uns der Teil 2 als Vs-NfD verborgen“. Daraufhin teilte G1 an Dr. S. unter Beifügung eines Smileys mit „Teil zwei ist dabei“.

Mit Schreiben vom 27. September 2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis einschließlich sämtlicher Nebenabreden und Zusatzvereinbarungen außerordentlich fristlos aus wichtigem Grund, hilfsweise außerordentlich unter Einhaltung einer Auslauffrist entsprechend der ordentlichen Kündigungsfrist zum nächstmöglichen Zeitpunkt, was nach ihren Berechnungen der 30. April 2020 sei (Anlage K 3, Bl. 20 f. der erstinstanzlichen Akte).

Der Kläger hat vorgetragen, das Thema Compliance habe bei der Beklagten zwar eine gewisse Rolle gespielt, sei aber bis etwa 2018/2019 für die Geschäftsaktivitäten im Heimatmarkt Deutschland von eher untergeordneter Bedeutung gewesen. Im Rahmen von Compliance-Schulungen in den Jahren 2017 und 2018 sei es eher um den Bereich „gifts and hospitality“ (Geschenke und Bewirtung) gegangen. Die formale arbeitsrechtliche Wirksamkeit von den von der Beklagten angeführten Richtlinien, die zu einem großen Teil nach den ihm gemachten Vorwürfen datierten, werde bestritten. Er habe zu keinem Zeitpunkt gegen die als Anlage B 4 vorgelegte Richtlinie verstoßen, weil er zu keinem Zeitpunkt in unlauterer Weise Informationen von Dritten beschafft und weitergegeben habe. Besonders zu beachten sei, dass für alle ihm vorgeworfenen Punkte gelte, dass man sich in der Analysephase I und II befunden habe und nicht in einer Vergabephase, in welcher es ggf. wettbewerbsrechtlich relevante Verstöße hätte gegeben können. Aufgrund des politischen Willens, der Vorgaben des CPM und der durchgängig gelebten Praxis habe es für den Kläger keinerlei Anlass gegeben, an der Rechtmäßigkeit der Informationen zu zweifeln. Sämtliche Informationen, die er oder seine Mitarbeiter erhalten hätten, seien von Personen übermittelt worden, die die Identität des Empfängers der Informationen gekannt hätten. Es habe kein Grund zur Annahme gegeben, dass die Person diese Information habe nicht weitergeben dürfen. Das Vorgehen sei explizit in der zentralen Dienstvorschrift vorgesehen gewesen und sowohl hochrangige Vertreter des BMVg als auch Leitungspersonal der Beklagten, so sein direkter Vorgesetzte, Herr G2, aber auch der zuständige Abteilungsgeschäftsführer, Herr D2, seien über diesen Informationsaustausch in Kenntnis gewesen und hätten zu keiner Zeit daran Anstoß genommen. Auch im Rahmen seiner Anhörung im November 2018 habe er nicht erklärt, dass er ein „Störgefühl“ gehabt habe, weil er der Auffassung gewesen sei, zu Unrecht irgendwelche Dokumente erhalten zu haben.

Zu den einzelnen „Findings“ sei Folgendes zu sagen (die Nummerierung der Aufzählung in der Betriebsratsanhörung beinhaltet, dass das Finding Nr. 1 doppelt aufgeführt ist; die Parteien haben im weiteren Verfahren ihre Nummerierung jedoch angepasst, so dass dies auch hier zur besseren Übersichtlichkeit übernommen wird):

Finding Nr. 1: Mit Nichtwissen werde bestritten, dass Herr K. dem Kläger eine E-Mail mit der Übersicht Parlamentsvorlagen zugeschickt habe. Gleichfalls werde mit Nichtwissen bestritten, dass eine solche E-Mail behördeninterne Dokumente des BMVg enthalten und wettbewerbsrechtliche Relevanz aufgewiesen habe.

Finding Nr. 2: Mit Nichtwissen werde bestritten, dass Herr K. tatsächlich mit Herrn P1 vom Planungsamt telefoniert und Herr P1 die von der Beklagten zitierte Aussage gemacht habe.

Finding Nr. 3: Er bestreite mit Nichtwissen, dass er eine Kopie des Rüstungsberichts mit einem nichtöffentlichen Teil und auch eine Entwurfsfassung der Finanzbedarfsanalyse übermittelt bekommen habe. Im Übrigen handele es sich um eine reine Planungsinformation, die ohne größere Relevanz sei.

Finding Nr. 4: Mit Nichtwissen bestritten werde, dass es sich um das behauptete Dokument handele. Es könnten keine Verstöße dadurch abgeleitet werden, dass Herr K. rechtlich fehlerhafte Einschätzungen abgebe. Alle Dokumente hätten von der Beklagten verwendet werden dürfen.

Finding Nr. 6: Mit Nichtwissen bestreite er, diese E-Mail erhalten zu haben.

Finding Nr. 7: Mit Nichtwissen bestreite er, dass er eine 34-seitige PDF an Herrn Dr. S. weitergeleitet habe und dass es sich hierbei um ein Dokument aus dem Planungsamt der Bundeswehr gehandelt habe. Bestritten werde auch, dass es sich um die Entscheidungsvorlage zur Billigung der FFF für das Projekt X gehandelt habe.

Finding Nr. 8: Es werde bestritten, dass er die behauptete E-Mail mit dem dort genannten Inhalt erhalten habe. Im Übrigen hätte er die E-Mail auch erhalten dürfen. Zumindest wenn es sich um die FFF Y oder die FFF X gehandelt habe. Bestritten werde, dass er eine E-Mail an Kollegen übermittelt habe, die eine Präsentation der Einsatzdisposition beinhaltet habe.

Der Vortrag der Beklagten zu den Findings Nr. 9 und Nr. 10 sei unsubstantiiert.

Finding Nr. 11: Er bestreite, die genannten E-Mails erhalten zu haben.

Finding Nr. 12: Er bestreite, dass er die PowerPoint-Präsentation von Herrn K. erhalten habe. Es liege zudem kein strafrechtlich relevantes Verfahren vor.

Finding Nr. 13: Es sei nicht ersichtlich, welches Fehlverhalten dem Kläger vorgeworfen werde.

Finding Nr. 14: Mit Nichtwissen bestreite er, dass er die behauptete E-Mail mit dem dort genannten Inhalt erhalten habe. Zumindest werde bestritten, dass die E-Mail die gültigen Links für den Download für die von Beklagten bezeichneten Unterlagen enthalten habe.

Finding Nr. 16: Er bestreite, die zitierte E-Mail mit dem dort genannten Inhalt erhalten zu haben. Es seien mittelfristige Zielsetzungen und Trends.

Finding Nr. 17: Er bestreite, entsprechende Telefonverzeichnisse erhalten zu haben. Im Übrigen seien die Telefonverzeichnisse ohne Namen der jeweiligen Ansprechpartner öffentlich.

Finding Nr. 18: Er bestreite mit Nichtwissen, dass er die bezeichneten Unterlagen überhaupt erhalten habe. Das Vorgehen sei dem Management bis hin zur Geschäftsführung bekannt gewesen. Die Vertriebsprozesse der Beklagten hätten die Informationsgewinnung gefordert. Aus dem Umstand, dass der Mitarbeiter K. sich häufig etwas wichtiger gemacht habe, als er gewesen sei und dies dann zum Ausdruck gebracht habe, könne nicht geschlossen werden, dass die Einschätzung von Herrn K. zutreffe, wonach es sich um Material handele, das man nicht hätte erhalten dürfen, und nicht nur solches, bei dem darauf zu achten gewesen sei, dass das „need-to-know-Prinzip“ eingehalten werde. Aus der E-Mail werde deutlich, dass er das Datenwerk nicht nur an den Kläger, sondern an eine große Zahl von Mitarbeitern verteilt habe und dies der Vorbereitung eines Workshops habe dienen sollen.

Finding Nr. 19: Er bestreite, dass er von Herrn K. einen Umschlag erhalten habe, der das Büro des Klägers habe nicht verlassen dürfen. Die Beklagte hätte bei der Durchsuchung des Büros des Klägers den Umschlag finden müssen.

Finding Nr. 20: Er bestreite mit Nichtwissen, ein Gesprächsprotokoll erhalten zu haben.

Finding Nr. 22: Er bestreite, die zitierten Unterlagen erhalten zu haben. Das Wort „inoffiziell“ bedeute nicht, dass der Übermittler der etwaigen Unterlagen nicht berechtigt gewesen sei, diese dem Mitarbeiter K. zu übergeben.

Finding Nr. 25: Er bestreite mit Nichtwissen, dass er einen solchen Rüstungsbericht erhalten habe.

Finding Nr. 27: Herr K6 habe zum Kampagneteam gehört. Kern der Aufgabe habe in der Auftragsanbahnung bestanden.

Finding Nr. 29: Er bestreite mit Nichtwissen, die bezeichnete Unterlage erhalten und weitergeleitet zu haben. Unabhängig davon sei der Besitz eines solchen Dokuments noch unproblematisch gewesen, weil die Konzeption der Bundeswehr finalisiert zum Download auf der Homepage des BMVg bereitstehe.

Finding Nr. 30 und 31: Er bestreite, ein Telefonverzeichnis erhalten zu haben. Zudem gehe er davon aus, dass Herr W. das Telefonverzeichnis von offizieller Stelle genehmigt erhalten habe.

Finding Nr. 32: Er gehe davon aus, dass Herr K. die Telefonverzeichnisse mit Genehmigung gehabt habe.

Finding Nr. 33: Er bestreite, die E-Mail mit den Anlagen von Herrn K. erhalten zu haben. Die Vorgehensweise von Herrn K. sei im Übrigen genau die Aufgabe eines Vertriebsmitarbeiters, der zum Wohle des Unternehmens vorliegende Informationen derart kombiniere, dass sie ein Gesamtbild ergäben.

Finding Nr. 34: Er bestreite, die gesamte Präsentation erhalten zu haben. Im Hinblick auf das aufgebaute Vertrauensverhältnis zwischen Bundeswehr und Mitarbeiter des Vertriebs habe Herr K. nochmals auf diesen „Quellenschutz“ hingewiesen. Dies habe aber nicht das Geringste damit zu tun, dass die Quelle nicht tatsächlich befugt gewesen sei, die Informationen auch herauszugeben.

Finding Nr. 35: Er bestreite, den Bericht des Bundesrechnungshofs erhalten zu haben. Im Übrigen handele es sich dabei nicht um geheimhaltungsbedürftige Informationen.

Finding Nr. 36: Es liege weder eine ungerechtfertigte Verwertung von Geheimnissen vor noch eine wettbewerbsrechtlich relevante Handlung.

Finding Nr. 37: Er habe sich bereits vorgerichtlich erklärt, dass er sich bei seiner Rückantwort getäuscht habe. Der Rüstungsbericht sei tatsächlich nicht vollständig gewesen, der Kläger habe ebenso wie Herr Dr. S. nur den öffentlichen Teil des Rüstungsberichts vorliegen.

Es verwundere, dass die Beklagte für das Ermitteln ihrer Vorwürfe von Anfang Juli 2018 bis 27. September 2019 benötigt habe. Bereits im November 2018 habe der Kläger nach seiner Befragung durch die Kanzlei R1 vollumfänglich Auskunft erteilt und Unterlagen vorgelegt, insbesondere das CPM und erläutert, wie die Zusammenarbeit zwischen Beklagter und Bundeswehr ablaufe. Spätestens zu diesem Zeitpunkt habe die Beklagte vollständige Kenntnis über die wesentlichen Umstände gehabt, auf die sie jetzt die Kündigung stütze. Es werde bestritten, dass die Information der Geschäftsführung erst und ausschließlich am 16. September 2019 erfolgt sei, da die Ermittlungen sich über mehrere Monate hinweg erstreckt hätten und davon auszugehen sei, dass die Geschäftsführung fortlaufend über den Übermittlungsstand informiert worden sei. Unabhängig davon würde es sich als grobe Aufklärungspflichtverletzung darstellen, wenn sich die Geschäftsführung nach einer Auftragserteilung im Jahr 2018 nicht mehr über den Fortgang der Angelegenheit informiert hätte.

Die Regelungen der Konzernbetriebsvereinbarungen seien nicht eingehalten worden. Der Kläger sei mit dem Projekt „SX“ nicht beruflich befasst gewesen, insbesondere nicht verantwortlich. Ihmsei nicht mitgeteilt worden, dass ein Verdacht ihm gegenüber bestehe. Die Daten seien nicht im Beisein des Betriebsrats ausgewertet worden, sondern nur die Freigabe der Auswertung der gefilterten Daten. Der Kläger habe der IT-Search in seinem Büro widersprochen. Bestritten werde, dass der 6-Augen-Termin im Beisein des Betriebsrats stattgefunden habe und dass dieser sowie der Datenschutzbeauftragte die Daten aus der IT-Search freigegeben hätten. Der Untersuchungsgegenstand sei ohne Benachrichtigung des Betriebsrats ausgeweitet worden. Nach der Konzernbetriebsvereinbarung seien unzulässig erhobene Daten nicht verwertbar.

Er sei kein leitender Angestellter. Der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß angehört worden.

Der Kläger hat – unter Klagerücknahme im Übrigen – zuletzt beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 27. September 2019 beendet wurde.

2. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die hilfsweise erklärte außerordentliche Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 27. September 2019 unter Einhaltung einer Auslauffrist entsprechend der ordentlichen Kündigungsfrist mit Ablauf des 30. April 2020 geendet hat.

3. Für den Fall des Obsiegens mit Klageantrag Ziff. 1 und Klageantrag Ziff. 2 wird die Beklagte verurteilt, den Kläger in seiner Funktion als „…“ auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 2. Februar 2012 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiter zu beschäftigen auf der Grundlage der Vergütungsvereinbarung vom 8. April 2019 und der ergänzenden, betrieblichen Regelungen.

Die Beklagte hat zuletzt beantragt:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger wird verurteilt an die Beklagte 148.800,00 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

3. Es wird festgestellt, dass der Kläger verpflichtet ist, der Beklagten alle Schäden zu ersetzen, die der Beklagten dadurch entstanden sind und künftig noch entstehen werden, dass der Kläger vertrauliche, eingestufte Dokumente des Integrierten Planungsprozesses und des Beschaffungsprozesses (Customer Product Management) der Bundeswehr erhalten, weiterverbreitet und genutzt hat, ohne dass er dazu berechtigt war und dass der Kläger den Erhalt, die Weiterverbreitung und Verwendung dieser Dokumente weder unterbunden, noch der Beklagten gemeldet hat.

Der Kläger hat beantragt: Die Widerklage wird abgewiesen.

Die Beklagte hat vorgetragen, die Ergebnisse der internen Untersuchung, die Findings, hätten ergeben, dass der Kläger in schwerwiegender Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen habe, da er Dokumente und Informationen der Bundeswehr, die der Geheimhaltung unterlägen und zu deren Besitz er nicht berechtigt gewesen sei, wiederholt erhalten und mit Kollegen ausgetauscht habe. Der Kläger sei zudem über derartiges pflichtwidriges Verhalten seiner nachgeordneten Mitarbeiter informiert worden und sei nicht dagegen vorgegangen. Die unternehmensinternen Richtlinien (Anlagen B 4 bis B 7, Bl. 142 ff. der erstinstanzlichen Akte) würden einen klaren Prozess für den Fall vorsehen, dass Mitarbeiter ohne Genehmigung Informationen erhielten, die Eigentum einer dritten Partei und/oder einem besonderen Schutz unterstellt seien. Hierzu gehörten vor allem solche Dokumente, die als „Verschlusssachen – nur für den Dienstgebrauch“ gekennzeichnet seien. In diesem Fall sei die Verwendung oder Prüfung der Informationen sofort zu stoppen. Die Informationen seien zu zerstören oder an die dritte Partei zurückzusenden und das Management und/oder das Ethics & Compliance Team unverzüglich zu unterrichten. Dem Kläger seien die Regelungen bekannt, auch aufgrund der Teilnahme an diversen Schulungen.

Herr K. sei ein dem Kläger unmittelbar nachgeordneter Mitarbeiter gewesen. Dieser habe sich vorsätzlich Dokumente der Bundeswehr beschafft, obwohl die Besitzerlangung unzulässig gewesen sei. Auch wenn der Kläger und Herr K. bis heute keine Aussagen zur konkreten Herkunft der Dokumente getroffen hätten, ergebe sich aus dem Gesamtgeschehen, dass die Information durch Soldaten oder Beamte des BMVg bzw. aus dessen nachgeordneten Geschäftsbereichen überlassen worden seien. Der jeweilige Soldat oder Beamte habe daher jeweils Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verraten und sich strafbar gemacht. Der dem Kläger unmittelbar nachgeordnete Mitarbeiter K. habe in unzulässigerweise bundeswehrinterne Dokumente – so zum Beispiel FFF-Dokumente – erhalten, obwohl er von der Unzulässigkeit der Beschaffung gewusst habe. Dies ergebe sich aus entsprechenden Äußerungen der genannten Personen in ihrem E-Mailverkehr. Der Kläger habe gemeinsam mit Herrn K. und Herrn G2 kollusiv zusammengewirkt und den unrechtmäßigen Umgang mit den streitgegenständlichen Dokumenten vor der Geschäftsführung der Beklagten verborgen. In dem Gespräch mit dem Kläger am 12. November 2018 habe er angegeben, dass er die FFF im Zusammenhang mit dem Beschaffungsvorgang „SX“ nie gesehen habe, er aber sofort ein Störgefühl gehabt habe, als er gehört habe, dass die FFF vorliege. Er habe gewusst, dass es seit Anfang des Jahres neue gesetzliche (interne) Vorschriften gebe, die auf Seiten des Kunden zu einer erhöhten Sensibilität geführt hätten. Auch die Finanzbedarfsanalyse (FBA) sei als Verschlusssache nur für den Dienstgebrauch gekennzeichnet und als planerisches Dokument der Bundeswehr ausschließlich zum behördeninternen Gebrauch gedacht. Das BMVg habe gegenüber der Staatsanwaltschaft im Zuge der Sachverhaltsaufklärung nicht nur bestätigt, dass die FBA berechtigterweise als VS-NfD eingestuft worden sei, sondern habe darüber hinaus bestätigt, dass es sich bei der Finanzbedarfsanalyse um ein explizit ressortinternes Dokument handele, das durch das BMVg nur ausgewählten Personen innerhalb des BMVg zur Vergütung gestellt worden sei. Eine Weitergabe oder Überlassung der Finanzbedarfsanalyse oder Auszüge hieraus an rüstungswirtschaftliche Unternehmen komme unter keinen Umständen in Betracht (Anlage B 66, Bl. 1127 ff. der erstinstanzlichen Akte).

Obwohl der Kläger als Empfänger der E-Mails jeweils Kenntnis von den Handlungen seines Mitarbeiters gehabt habe, habe er nichts getan, um das strafbare Verhalten des Herrn K. zu unterbinden, sondern habe es – wie die diversen E-Mails zeigen würden – über einen längeren Zeitraum geschehen lassen. Unter den Dokumenten hätten sich interne Dokumente befunden, die im nachgeordneten Geschäftsbereich des BMVg größtenteils in Vorbereitung von Vergabeverfahren erstellt und verwendet würden und damit wettbewerbsrechtliche Relevanz aufwiesen und eindeutig als „geschützte Information Dritter“ sowie als „Informationen, deren Zugang beschränkt sei“ im Sinne der Unternehmensrichtlinien erkennbar seien. Dies betreffe die Übersicht der Parlamentsvorlagen 2016, den Rüstungsbericht Finanzbedarfsanalyse, Entwurf der FFF Y, die FFF X, strategische Vorausschau Bundeswehr und mittelfristige Zielsetzung 2019, Leitlinie Zukunftsentwicklung 2017, Planungsvorgaben 2019 sowie die Planungsleitlinie 2019, Steckbrief 08 zu Technology unbemannte Systeme, Auswertung der Zahlen aus FFF X und FFF Y sowie Entwurf der Konzeption der Bundeswehr 2018.

Der Kläger hätte im Einklang mit den Richtlinien die weitere Verbreitung und Auswertung der Dokumente unterlassen und die Dokumente sofort vernichten müssen. Er habe diese jedoch im Gegenteil wiederholt an seine Kollegen und Mitarbeiter verteilt. Diese Pflichtverletzungen ergäben sich aus den insgesamt 37 Findings. Es stelle bei Vergabeverfahren öffentlicher Auftraggeber einen möglichen Ausschlussgrund dar, wenn ein Unternehmen versucht habe, vertrauliche Informationen zu erhalten, durch die es unzulässige Vorteile beim Vergabeverfahren erlangen könne. Vergaberechtlich könne danach allein der Versuch, vertrauliche Informationen in Bezug auf ein Vergabeverfahren zu erhalten, den Ausschluss des Unternehmens von den betreffenden Vergabeverfahren rechtfertigen.

Von einer Möglichkeit, verlorenes Vertrauen in den Kläger durch Ausspruch einer Abmahnung zurückzugewinnen, könne die Beklagte berechtigterweise nicht ausgehen. Der Kläger habe bewusst und fortdauernd gegen interne Richtlinien verstoßen. Der Kläger erfülle zudem als leitender Angestellter und Vorgesetzter eine besondere Vorbildfunktion hinsichtlich der Einhaltung internen Compliance-Richtlinien und gesetzlicher Vorschriften. Um den Ausschluss von Vergabeverfahren in Zukunft zu vermeiden, bliebe der Beklagten nur der Weg der Selbstreinigung nach § 125 GWB.

Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei eingehalten. Zur Durchführung der im Dezember 2018 beschlossenen IT-Search seien Freigaben durch den betrieblichen Datenschutzbeauftragten sowie die arbeitsrechtliche Abteilung der Beklagten eingeholt worden. Am 19. Dezember 2018 sei der Betriebsrat an den Standorten O. und F. über die geplante IT-Search gemäß Nr. 29 Abs. 2 Buchst. a) und b) der Konzernbetriebsvereinbarung „Grundlagen der Einführung und Anwendung von IT-Systemen und Datenschutz“ in Verbindung mit Nr. 8 und 8.1 der Konzernbetriebsvereinbarung zur „Privatnutzung betrieblicher E-Mail- und Internet-Anschlüsse“ informiert (vgl. Anlage B 81, Bl. 1151 der erstinstanzlichen Akte) und es sei Gelegenheit gegeben worden, die bis dahin vorliegende Dokumentation der Verdachtsmomente gegen die jeweiligen Mitarbeiter einzusehen. Nach der Information des Betriebsrats sei am 19. Dezember 2018 damit begonnen worden, die im Compliance lnvestigation Support Request spezifizierten Daten der acht Mitarbeiter auf den Unternehmenslaufwerken zu sichern. Am 20. Dezember 2018 seien dem Betriebsrat die arbeits- und datenschutzrechtlichen Freigaben zunächst telefonisch und sodann wegen Weihnachten am 8. Januar 2019 vor Ort in F. vorgelegt und erläutert worden. Die 6-Augen-Termine am 8. April und 7. Mai 2019 hätten unter Beteiligung u.a. des Betriebsrats sowie des Datenschutzbeauftragten stattgefunden, diese hätten die gesicherten Daten zur Auswertung freigegeben. Bis zu diesem Zeitpunkt habe gegenüber dem Kläger der Anfangsverdacht einer Pflichtverletzung und ggf. auch Straftat durch Beschaffung eines unzulässigen Dokumentes durch einen nachgeordneten Mitarbeiter bestanden. Da aber nach übereinstimmenden Einlassungen aller beteiligten Mitarbeiter das durch den Mitarbeiter des Klägers weitergegebene Dokument FFF SX unmittelbar nach der internen Verteilung wieder eingesammelt und vernichtet worden sei und Anhaltspunkte für wiederholte Pflichtverletzungen des Klägers und seiner Mitarbeiter zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar gewesen seien, habe das Legal & Compliance Department weitere Maßnahmen während der laufenden Untersuchung nicht veranlasst. Erst die externen Rechtsberater hätten im Juni 2019 im Rahmen der umfassenden Analyse der Daten zahlreiche Pflichtverletzungen des Klägers in der Vergangenheit ermittelt. Die Aufbereitung der Pflichtverletzungen von Juni bis 16. September 2019 sei notwendig gewesen, damit die Geschäftsführung nachvollziehen habe können, wie die Handlungen der insgesamt 17 Mitarbeiter in Verbindung stünden. Die Geschäftsführung habe erstmalig mit der Übergabe des Zwischenberichts Kenntnis von dem Sachverhalt erlangt. Sie habe berechtigterweise und unmittelbar weitere Ermittlungen – konkret in Form einer schriftlichen Anhörung des Klägers – angeordnet, um dem Kläger Gelegenheit zu geben, den Verdacht auszuräumen. Kenntnis anderer Personen müsse sich die Geschäftsführung nicht zurechnen lassen. Sie sei dem Hinweis eines Arbeitnehmers im Juli 2018, dass das vertraulich eingestufte Dokument SX widerrechtlich beschafft worden sei, nachgegangen und habe eine umfassende Compliance-Untersuchung eingeleitet. Die schwerwiegenden Pflichtverletzungen und im Raum stehenden Straftaten der mit dem Kläger insgesamt 17 Mitarbeiter stünden in einem derart engen Zusammenhang miteinander, dass eine losgelöste Betrachtung nur des Einzelnen der Geschäftsführung der Beklagten gerade kein umfassendes Bild von den Pflichtverletzungen des Klägers gegeben hätte, der als Führungskraft mehreren der 16 weiteren Mitarbeiter vorgestanden habe. Berichte an die Geschäftsführer am 27. Juni 2019 oder zu einem anderen Zeitpunkt vor dem 16. September 2019 hätten nicht ausreichend Rückschlüsse auf die kündigungsbegründenden Pflichtverletzungen des Klägers zugelassen.

Die Arbeitnehmervertretungen und der Kläger seien ordnungsgemäß angehört worden.

Aufgrund der schuldhaften arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung des Klägers in Bezug auf den Umgang mit Informationen und Dokumenten, die der Geheimhaltung unterliegen würden und zu deren Besitz der Kläger nicht berechtigt gewesen sei, sei es für die Beklagte erforderlich gewesen, eine interne Compliance-Untersuchung zur vollständigen Aufdeckung der Verstöße durchzuführen. In diesem Zusammenhang seien der Beklagten insbesondere Kosten für externe Rechtsberater (Strafrecht, Vergaberecht und Arbeitsrecht) entstanden, die das Unternehmen sowohl bei der internen Compliance-Untersuchung als auch bei der Verteidigung ihrer Rechtspositionen unterstützt hätten. Die der Beklagten entstandenen Schäden seien noch nicht endgültig bezifferbar. Als weiterer Schadensposten komme neben der noch andauernden Untersuchung zudem entgangener Gewinn (§ 252 BGB) in Betracht, falls das Unternehmen aufgrund der dem Kläger vorgeworfenen arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werde. Die Geltendmachung etwaiger Schadensersatzansprüche sowie die Aufrechnung mit etwaigen Gegenforderungen behalte sich die Beklagte ausdrücklich vor.

Der bei der Beklagten bislang entstandene und bereits bezifferbare Schaden im Zusammenhang mit der Aufklärung der Pflichtverletzung des Klägers und der Verteidigung ihrer Rechtspositionen betrage 5.072.324,54 Euro. Allein im Zeitraum von Juli bis Dezember 2018 seien die Pflichtverletzungen des Klägers mitursächlich für Ermittlungskosten der externen Rechtsberater in Höhe von 50.013,23 Euro. Im Zeitraum von Januar bis Februar 2019 seien durch die Pflichtverletzungen des Klägers mitursächlich verursacht Ermittlungskosten externer Rechtsberater in Höhe von 82.523,78 Euro (Vorbereitung Bürobesichtigung des Klägers und Hardwareaustausch). Für weitere Sachverhaltsaufklärung bis zur Erstellung des Zwischenberichts am 16. September 2019 und darüber hinaus bis April 2020 seien weitere 4.939.787,42 Euro angefallen (vgl. im Einzelnen S. 5 ff. der Widerklage, Bl. 1256 ff. der erstinstanzlichen Akte). Im Hinblick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Arbeitnehmerhaftung mache die Beklagte gegenüber dem Kläger derzeit Schadensersatzansprüche in Höhe eines persönlichen Jahreseinkommens von 148.800,00 EURO geltend. Der Kläger habe diese Pflichtverletzungen zu vertreten. Nach Überzeugung der Beklagten habe er vorsätzlich gehandelt, jedenfalls sei ihm aber grob fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen. Er habe bereits ab Dezember 2016 Kenntnis davon erlangt, dass die verfahrensgegenständlichen VS-Dokumente von dem ihm nachgeordneten Mitarbeiter K. beschafft worden seien. Zudem habe er die verfahrensgegenständlichen VS-Dokumente zum Teil auch selbst erhalten, weiterverarbeitet und genutzt, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein. Er habe auch gewusst, dass sein Handeln nicht vergaberechtlich vertretbar sei und der Beklagten damit gravierende vergaberechtliche Konsequenzen drohten. Er habe zumindest billigend in Kauf genommen, dass die Beklagte ein erhebliches Schadensrisiko treffe. Die Schadenspositionen seien durch die Pflichtverletzungen des Klägers kausal mitverursacht worden. Bei den Aufklärungskosten handele es sich auch nicht um Beitreibungskosten, die wegen § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG nicht ersatzfähig wären. Die Kosten der Sachverhaltsermittlung und rechtlichen Bewertung derselben seien vom Schadensverursacher zu ersetzen, da diese einen Beitrag zur Beseitigung einer Vertragsstörung und zur Schadensverhütung leisten könnten. Die Anwaltskosten der Kanzlei der Beklagtenvertreterin im vorliegenden Rechtsstreit habe die Beklagte ausdrücklich nicht geltend gemacht.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 10. November 2020 stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei nicht von der Einhaltung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB überzeugt. Es sei nicht ersichtlich, weshalb es von den ersten Gesprächen auch mit dem Kläger im Jahre 2018 bis September 2019 angedauert habe, um konkrete Pflichtverletzungen des Klägers zu identifizieren. Die Geschäftsführung sei zwar nicht konkret in die Untersuchungen der Compliance-Abteilung eingebunden gewesen. Sie hätte jedoch im Rahmen ihrer Überwachungs- und Aufsichtsfunktion die Ermittlungsmaßnahmen überwachen und sich regelmäßig informieren lassen müssen. Der Vortrag der Beklagten lasse dagegen erkennen, dass die Compliance-Abteilung den Zeitpunkt des Zwischenberichts und damit der Kenntniserlangung der Geschäftsführung bestimmt habe. Auch liege ein wichtiger Grund nicht vor. Der Kläger habe den Erhalt von E-Mails in einer Vielzahl von Fällen mit Nichtwissen bestritten. Die Vorlage der E-Mails ohne die entsprechenden Dokumente genüge nicht, um ausreichende Verdachtsmomente zu belegen. Auch wögen die behaupteten Pflichtverletzungen nicht so schwer, dass eine vorherige Abmahnung entbehrlich gewesen sei. Das Gericht sei nicht davon überzeugt, der Kläger habe bewusst zum Nachteil der Beklagten gegen gesetzliche Vorschriften oder Richtlinien verstoßen. Jedenfalls überwöge das Bestandsinteresse des Klägers das Beendigungsinteresse der Beklagten. Die außerordentliche fristlose Kündigung sei deshalb unwirksam. Auch seien für das Gericht keine besonderen Umstände ersichtlich, die gerade deshalb eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist rechtfertigen könnten, weil die ordentliche Kündigung für die Beklagte ausgeschlossen sei. Der deshalb zur Entscheidung angefallene Weiterbeschäftigungsanspruch sei begründet. Der Antrag sei hinreichend bestimmt. Das Interesse des Klägers an Beschäftigung überwiege das Interesse der Beklagten, ihn nicht zu beschäftigen. Die Widerklage sei zwar zulässig, jedoch unbegründet. Die Beauftragung externer Spezialisten sei grundsätzlich nicht zu beanstanden. Notwendig für die Ersatzfähigkeit von Ermittlungskosten sei aber die Abwehr drohender Nachteile. Zufallsergebnisse führten nicht zur Kostenerstattungspflicht des Arbeitnehmers. Die Beklagte habe die Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Beschaffungsvorhaben SX zum Anlass genommen, sehr weitreichend und umfassend gegen eine Mehrzahl von Mitarbeitern zu ermitteln. Es sei nicht ersichtlich, wann der Beklagten im Rahmen der Ermittlungen welche Erkenntnisse zum Abstellen der Verstöße oder zur Verhütung weiterer Schäden durch den Kläger vorgelegen hätten.

Gegen das der Beklagten am 14. Dezember 2020 zugestellte Urteil hat sie am 14. Januar 2021 Berufung eingelegt und diese am letzten Tag der am 9. Februar 2021 bis 15. März 2021 verlängerten Frist begründet.

Die Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB sei gewahrt. Für Ermittlungen der Arbeitgeberin gelte keine Regelfrist. Sie hätte sogar den Aus- und Fortgang staatsanwaltschaftliche Ermittlungen abwarten dürfen, bevor sie eine Kündigungsentscheidung getroffen habe. Die Ausschlussfrist beginne erst, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige möglichst vollständige positive Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen habe und ihm deshalb die Entscheidung über die Zumutbarkeit einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses möglich sei. Die lange Dauer der Ermittlungen beruhe auf dem Umfang der auszuwertenden Daten. So hätte von Mitte April 2019 bis Ende Juli 2019 ein Team von acht Volljuristen unter Einsatz einer leistungsstarken Hardware die ca. 50.000 Datensätze durchgesehen. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass die Verfahren auf Basis der anzuwendenden Konzernbetriebsvereinbarungen bereits mehrere Monate in Anspruch nähmen. Hier hätten zudem komplexe Compliance-Verstöße aufgeklärt werden müssen. Verschleierungsmechanismen, an denen auch der Kläger aktiv mitgewirkt habe, hätten die Aufklärung zusätzlich erschwert. Von einer Kenntnis im Sinne des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB könne erst gesprochen werden, wenn das gesamte Netz von Compliance-Verstößen vollständig aufgeklärt sei. Die Angemessenheit einer außerordentlichen Kündigung habe die Beklagte nur nach (nahezu) vollständiger Aufklärung aller Compliance Verstöße beurteilen können. Neben dem Zeitmoment setze der Tatbestand der Verwirkung voraus, dass auch das Umstandsmoment erfüllt sei. Mindestvoraussetzung sei, dass der Arbeitgeber ebenso gut wie der Arbeitnehmer in die Lage versetzt werde, die Berechtigung zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zu beurteilen. Dafür müsse er alle Details über das Netz von Compliance-Verstößen kennen. Für den Kläger sei auch erkennbar, dass die Beklagte ein Interesse daran habe, zunächst die Compliance-Verstöße lückenlos aufzuarbeiten, um den entstandenen Sumpf auszutrocknen. Dies gelinge nur, wenn die Beklagte nicht zu voreiligen arbeitsrechtlichen Sanktionen gegenüber einzelnen Arbeitnehmern gezwungen sei. Es könne auch nicht im Interesse des Klägers sein, voreilig eine Kündigung auf unsicherer Tatsachenbasis auszusprechen. Die Geschäftsführung der Beklagten sei auch ihrer Überwachungs- und Aufsichtsfunktion nachgekommen. Sie habe Mitarbeiter der Compliance-Abteilung ordnungsgemäß auszuwählen, diese einzuweisen und zu überwachen. Ausreichend für letzteres sei, dass die Geschäftsführung sich regelmäßig und anlassbezogen über die Arbeit der Compliance-Organisation informieren lasse. Die Geschäftsführung habe die Compliance-Untersuchung angestoßen. Sie habe informiert werden wollen, wenn die Ermittlungen etwas von Brisanz ergeben hätten. Berichte vor dem 16. September 2019 hätten keine Rückschlüsse auf Pflichtverletzungen des Klägers i.S.e. Kündigungsgrundes zugelassen, solange nicht deren Umfang und ihre Einordnung in das Netz aus Compliance-Verstößen festgestanden habe. Die Geschäftsführung habe sich auch nicht die Kenntnis der mit der Aufklärung der Compliance Verstöße beauftragten Mitarbeiter zurechnen lassen müssen. Herr Dr. R. sei zwar regelmäßig über den Fortgang der Untersuchungen informiert worden. Die Compliance-Abteilung, aber auch Herr Dr. R. seien aber nicht alleine in der Lage gewesen, den Sachverhalt abschließend aufzuklären oder eine Kündigung des Klägers auszusprechen. Nach der Information der Geschäftsführung durch den Zwischenbericht sei es vielmehr noch erforderlich gewesen, den Kläger anzuhören. Eine unsachgemäße Organisation des Betriebes, die eine Zurechnung von Kenntnissen anderer Personen erlaube, habe nicht vorgelegen. Die im Laufe der Ermittlungen gewonnenen Erkenntnisse habe das Ermittlungsteam konsolidieren und in der geordneten Form des Zwischenberichtes dem Kündigungsberechtigten präsentieren dürfen und müssen. Die Ausschlussfrist sei während der notwendigen Zeitspanne zur Erstellung des Berichtes weiter gehemmt gewesen. Insbesondere hätte die Information an die Geschäftsführung am 27. Juni 2019, dass die Untersuchung unterbrochen werde, da sich der ursprüngliche Anfangsverdacht bezüglich einer Tathandlung zu einem dringenden Tatverdacht unter anderem auch gegen den Kläger zu konkretisieren begonnen habe, nicht in die Lage versetzt, eine informierte Entscheidung über den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung gegenüber dem Kläger zutreffen. Eine willkürliche Hinauszögerung des Zeitpunkts, an dem die Geschäftsführung Kenntnis von den Kündigungsvorwürfen erlangt habe, sei angesichts des Verlaufs der Ermittlungen nicht gegeben.

Ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB habe vorgelegen. Gegenüber dem Kläger bestehe weiterhin der Verdacht schwerwiegender Pflichtverletzungen. Das hätten die Findings ergeben (vgl. im Einzelnen S. 29 bis 40 der Berufungsbegründung sowie S. 11 bis 15 des Schriftsatzes vom 17. September 2021). Auch die Interessenabwägung falle zulasten des Klägers aus. Der Besitz und die Kenntnis der FFF X und Y sei für die Bewerbung in dem Vergabeverfahren „…“ (…) der Bundeswehr von höchster Wichtigkeit gewesen, weil die Vergabestelle habe überprüfen müssen, ob damit zuschlagsrelevante Vorteile verbunden gewesen seien. Die Vergabestelle habe der Tochtergesellschaft der Beklagten im laufenden Vergabeverfahren eine Vielzahl von kritischen Nachfragen zu Inhalt, Herkunft und Umgang mit jenen Dokumenten sowie zur sog. Selbstreinigung gestellt. Jedenfalls die außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist beende das Arbeitsverhältnis.

Auch die Widerklage sei begründet. Wesentlich in Bezug auf den Kläger seien folgende Schadensposten: Im November und Dezember 2018 seien im Zusammenhang mit dem Mitarbeiterinterview des Klägers und der Vorbereitung der e-Discovery Aufklärungskosten in Höhe von 13.315,70 Euro angefallen. Weitere 21.557,00 Euro seien an Kosten im Zusammenhang mit der Bürobesichtigung des Klägers und dem vorgenommenen Hardwareaustausch im Januar 2019 entstanden und für die Durchführung der e-Search, die Auswertung der gefundenen Ergebnisse und das Erstellen des Zwischenberichts hätten zusätzliche Aufklärungskosten in Höhe von insgesamt 1.487.139,98 Euro verursacht. Täglich kämen weitere Schadenspositionen hinzu. Die Compliance-Untersuchung dauere an, auch fielen weiterhin Rechtsberatungs- und Verteidigungskosten im Zusammenhang mit dem Umgang mit den Strafverfolgungsbehörden sowie mit dem BMVg an. Auch entgangener Gewinn käme in Betracht. Das im BMVg zuständige Referat habe bis heute nicht final über einen Ausschluss der Beklagten entschieden. Der Kläger habe den Schaden durch subjektiv vorwerfbare vorsätzliche, jedenfalls grobfahrlässige Pflichtverletzungen verursacht.

Die Beklagte beantragt zuletzt:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm – Kammern Ravensburg – vom 10. November 2020 – Az.: 8 Ca 193/19 – aufgehoben.

3. Die Klage wird abgewiesen.

4. Der Kläger wird verurteilt, an die Beklagte 148.800,00 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

5. Es wird festgestellt, dass der Kläger verpflichtet ist, der Beklagten alle Schäden zu ersetzen, die der Beklagten dadurch entstanden sind und künftig noch entstehen werden, dass der Kläger vertrauliche, eingestufte Dokumente des Integrierten Planungsprozesses und des Beschaffungsprozesses (Customer Product Management) der Bundeswehr erhalten, weiterverbreitet und genutzt hat, ohne dass er dazu berechtigt war und dass der Kläger den Erhalt, die Weiterverbreitung und Verwendung dieser Dokumente weder unterbunden, noch der Beklagten gemeldet hat.

Der Kläger beantragt: Die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger ist weiterhin der Auffassung, die Ausschlussfrist sei nicht gewahrt. Bestritten werde, dass die Beklagte erst am 5. Juli 2018 Hinweise auf vergaberechtliche Verstöße erhalten habe. Die Rechnungen der bezüglich vergaberechtliche Fragen beauftragten Rechtsanwälte H2 sprächen dafür, dass derartige Fragestellungen bereits zu einem früheren Zeitpunkt aufgetreten seien. Es sei auch nicht erklärlich, warum die Beklagte nach den Hinweisen am 5. Juli 2018 ein viertel Jahr gewartet habe, um überhaupt aktiv zu werden. Auch in der Folge sei es immer wieder zu langen Zeiträumen gekommen, bevor weitere Schritte unternommen worden seien (vgl. im Einzelnen S. 31 bis S. 37 der Berufungserwiderung). Auch hätten nicht 1,5 Millionen Datensätze ausgewertet werden müssen, sondern nur 50.000. Warum dies unter Zuhilfenahme von acht Juristen 2 ½ Monate Zeit benötige, sei nicht zu ergründen. Dies habe nichts mit der gebotenen Eile zu tun, die § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB erfordere. Insbesondere Herr Dr. R. als Prokurist und Mitglied des Managements sei berechtigt gewesen, Aufträge in Millionenhöhe an Rechtsanwälte zu erteilen und Anhörungen von Mitarbeitern anzuordnen und durchzuführen. Die herausgehobene Stellung im Unternehmen werde dadurch dokumentiert. Auch die Rechnungsstellung der Prozessbevollmächtigten der Beklagten für den Zeitraum Juni bis September 2019 (Anlage B 83 Seite 3, Bl. 1299 der erstinstanzlichen Akte) lasse darauf schließen, dass Herr Dr. I. bereits im Mai 2019 arbeitsrechtlich vollständig informiert gewesen sei. Die Beklagte trage selbst vor, dass das Compliance-Team am 27. Juni 2019 entschieden habe, die interne Untersuchung zu unterbrechen. Das verdeutliche, dass zu diesem Zeitpunkt bereits die notwendige Kenntnis bestanden haben müsse, die zum Ausspruch einer Kündigung befähigt habe. Es könne nicht in das Belieben der externen Berater gestellt werden, ob sie zwei Wochen oder zwei Jahre benötigten, um Sachverhalte darzustellen. Der Zwischenbericht sei unnötig aufwändig und beschreibe auf den ersten 100 Seiten das Unternehmen sowie den allgemeinen Ablauf des Planungs- und Beschaffungsprozesses. Der Kläger werde in dem Zwischenbericht nur in den Rz. 184-187, 334 und 394-395 behandelt. Der Verweis der Beklagten auf angebliche Besonderheiten bei der Aufarbeitung von Compliance-Verstößen verfange nicht. Bei der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses handle es sich immer um eine Individualmaßnahme. Interessen der Beklagten überwögen dasjenige des Klägers an einer zügigen und sachgerechten Aufklärung nicht. Der Kläger habe auch nicht erkennen können, weshalb die Beklagte nicht früher gekündigt habe. Er habe sich auch nicht unredlich verhalten. Die Beklagte könne sich nicht auf die Rechtswidrigkeit eines Systems berufen, wenn sie dieses über Jahre hinweg geduldet und geradezu gefördert habe. Die Beklagte selbst verhalte sich nicht fair, weil sie Informationen zurückhalte. So habe sie dem Kläger die Beweisführung vereitelt, weil sie die erbetene E-Mail-Korrespondenz nicht herausgegeben habe.

Die Vorschriften der Konzernbetriebsvereinbarungen seien nicht eingehalten. Betriebsrat und Datenschutzbeauftragter hätten eine Genehmigung erteilt, E-Mails des Klägers aus den Jahren 2017, 2018 zu suchen, die im Zusammenhang mit den streitgegenständlichen Vorwürfen standen. Die Beklagte habe jedoch ausweislich der Anlage B 90 Dateien aus den Jahren 2012 und 2013 ermittelt, die ohne einen solchen Bezug seien. Ausweislich der Beschlussfassung der Geschäftsführung am 16. September 2019 (Anlage K 18, Bl. 1000 ff. der erstinstanzlichen Akte) stünde die Kündigung des Klägers auch unter der Bedingung der Zustimmung der zuständigen Staatsanwaltschaft. Diese liege nicht vor.

Auch ein wichtiger Grund liege nicht vor. Der Kläger habe den Besitz der in den Findings enthaltenen E-Mails und sonstigen Korrespondenzen bestritten. Die Beklagte hätte im Rahmen der Beweisführung die Dokumente vorlegen müssen. Dies habe sie nicht getan. Auf die angebliche Geheimhaltungsbedürftigkeit könne sie sich nicht berufen. Es liege auch keine Pflichtverletzung vor, da der tägliche, zulässige Austausch von vertraulichen Dokumenten gewollt und notwendig gewesen sei (Anlage K 29, Bl. 751 ff. der Berufungsakte). Bis heute wisse die Beklagte offensichtlich nicht, ob und in welchem Umfang die jeweiligen Dokumente Wettbewerbsrelevanz aufwiesen und ob und in welchem Umfange Mitarbeiter berechtigt gewesen sein, diese Dokumente zu haben, zu nutzen und weiterzuleiten. Neben dem Kläger sei auch das Topmanagement der Beklagten bereits in einem entsprechenden Vortrag vom 26. September 2016 bei einer internen Präsentation der FFF X unter Nennung der Budget- und Zeitpläne der Bundeswehr informiert worden. Eine echte Compliance-Schulung habe die Beklagte erst nach der Kündigung des Klägers Ende September 2019 angekündigt (vgl. hierzu Anlage K 33, Bl. 755 ff. der Berufungsakte).

Ein Ausschluss vom Vergabeverfahren drohe der Beklagten nicht. Das habe jedenfalls der Geschäftsführer Herr H3 auf eine Nachfrage eines Betriebsratsmitgliedes erklärt. Eine solche Gefährdung wäre für den Kläger auch gar nicht ersichtlich gewesen. Eine Abmahnung sei nicht entbehrlich gewesen. Jedenfalls der direkte Vorgesetzte des Klägers habe das Verhalten des Klägers gebilligt und unterstützt. Insgesamt sprächen zugunsten des Klägers bestehende Umstände dafür, dass die Interessenabwägung zu seinen Gunsten ausfalle.

Der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß angehört. Es werde die falsche Behauptung aufgestellt, der Kläger habe die FFF SX im Besitz gehabt. Entlastende Umstände seien nicht aufgeführt worden.

Die Widerklage bleibe unbegründet. Das Arbeitsgericht habe zutreffend festgestellt, dass Zufallsergebnisse gerade nicht zur Kostenerstattungspflicht des Arbeitnehmers führten. Der Kläger habe mit der FFF SX nichts zu tun gehabt und müsse daraus resultierende Kosten nicht tragen. Bestritten werde, dass die in der Anlage B 82 erfassten Zeiten mit einer möglichen Verfehlung des Klägers zusammenhingen. Die Beklagte mache zudem einen Bruttobetrag geltend, obwohl sie vorsteuerabzugsberechtigt sei. Die Existenz einer Rechnung der Rechtsanwälte H2 über 3.682,25 Euro netto werde bestritten. Die Bezahlung der Rechnungen werde ebenso bestritten. Der Aufwand für den Zeitraum im Dezember 2018 könne nicht für ein am 12. November 2018 geführtes Interview mit dem Kläger entstanden sein. Das Interview habe nur 2 Stunden 25 Minuten gedauert, die Beklagte wolle hierfür 13.315,70 Euro aufgewendet haben. In der Rechnung der Kanzlei R1 sei ein nicht unerheblicher Rechnungsbetrag der Rechtsanwälte H2 beinhaltet. Diese seien für das Vergaberecht zuständig. Es sei nicht transparent, wie sich derartige Kosten auf angebliche Pflichtverletzung des Klägers zurückführen ließen. Ähnliche Ungereimtheiten täten sich bezüglich der Rechnung in der Anlage B 82 auf. Der Kläger habe zu keinem Zeitpunkt der Beklagten einen Schaden zufügen wollen und habe dies auch nicht für möglich gehalten. Im Übrigen stehe § 12a ArbGG der Widerklage entgegen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschriften über die mündlichen Verhandlungen in erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung der Beklagten ist statthaft (§ 64 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. c ArbGG). Sie ist auch frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO). Die Berufungsbegründung lässt zudem i.S.d. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO die Umstände erkennen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergeben soll. Die Beklagte hat sich zwar nicht explizit mit dem Urteil bzgl. des Weiterbeschäftigungsantrags (Tenor zu 3) beschäftigt. Dieser hängt jedoch vom Erfolg der Kündigungsschutzanträge ab, so dass es genügt hat, sich mit dem Urteil bzgl. der Kündigungen auseinanderzusetzen.

II.

Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass weder die außerordentliche fristlose noch die außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist das Arbeitsverhältnis beendet hat.

1. Die Kündigung kann aufgrund des tariflichen Kündigungsschutzes nur als außerordentliche (§ 626 BGB) ausgesprochen werden. Damit findet § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB sowohl auf die außerordentliche fristlose als auch die außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist Anwendung. In dem Verhalten des Klägers liegt kein Dauertatbestand wie z.B. beim Wegfall eines Arbeitsplatzes wegen Stilllegung eines Betriebs oder langer Erkrankung des Arbeitnehmers, so dass der Kündigungsgrund jeden Tag neu entstünde und damit auch die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB. Vorliegend geht es um einzelne Verhaltensvorwürfe, auf die strikt die Ausschlussfrist anzuwenden ist.

2. Die außerordentliche fristlose Kündigung vom 27. September 2019 konnte gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach Satz 2 mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Damit wird dem Kündigenden ein enges zeitliches Korsett auferlegt, nach dessen Ablauf die außerordentliche Kündigung allein wegen des Fristablaufs unwirksam ist. Für die streitgegenständliche Kündigung gilt nichts Anderes. Weder ist die Einbettung des dem Kläger vorgeworfenen Verhaltens in eine bis zu 89 Arbeitnehmer betreffende Untersuchung wettbewerblich sowie strafrechtlich relevanter Verstöße dazu geeignet, einen großzügigeren Maßstab anzuwenden (nachfolgend a) noch kann sich die Beklagte darauf berufen, Herr Dr. I. als kündigungsberechtigter Geschäftsführer habe erst am 16. September 2019 von den relevanten Kündigungstatsachen erfahren (nachfolgend b.).

a) Die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB – nachfolgend: Ausschlussfrist – ist ein „gesetzlich konkretisierter Verwirkungstatbestand”. Nach allgemeinen Grundsätzen ist ein Recht verwirkt, wenn der Berechtigte längere Zeit untätig geblieben ist und dadurch den Eindruck erweckt hat, er wolle das Recht nicht mehr geltend machen (Zeitmoment), und sein Vertragspartner sich auf den dadurch geschaffenen Vertrauenstatbestand eingestellt hat und es ihm deshalb nicht mehr zugemutet werden kann, sich auf das verspätete Begehren des Berechtigten einzulassen (Umstandsmoment). Die Verwirkung ist ein Fall unzulässiger Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens. Auch wenn das Zeitmoment bei der außerordentlichen Kündigung knapp bemessen ist, führt dies nicht dazu, dass an das Umstandsmoment umso höhere Anforderungen zu stellen wären.

aa) Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, sie hätte bis zum Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen mit dem Ausspruch der Kündigung warten dürfen. Sie hat selbst Ermittlungen eingeleitet und erkennbar nicht auf das Ergebnis der Staatsanwaltschaft warten wollen. In diesem Fall muss sie ihre eigenen Ermittlungen mit der gebotenen Eile durchführen. Der Zeitaufwand, den die Staatsanwaltschaft einsetzt, um ihrem gesetzlichen Auftrag der Strafverfolgung nachzukommen, hemmt den Beginn der Ausschlussfrist nicht. Es ist der Beklagten allerdings unbenommen, zukünftige Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft als den Verdacht der Kündigungsvorwürfe verstärkende Tatsache zum Anlass einer neuen Kündigung zu nehmen (BAG 27. Januar 2011 – 2 AZR 825/09 – Rn. 19).

bb) In der Ausschlussfrist kommt zum Ausdruck, dass ein Arbeitnehmer darauf vertrauen darf, dass eine Arbeitgeberin ein Fehlverhalten i.S.e. wichtigen Grundes nach § 626 Abs. 1 BGB zum Anlass nimmt, innerhalb kurzer Zeit – der Ausschlussfrist – zu kündigen. Tut sie dies nicht, ist das Arbeitsverhältnis auch aus Sicht der Arbeitgeberin nicht derart belastet, dass es sofort beendet werden muss. Es geht fehl, das berechtigte Vertrauen des Arbeitnehmers bereits dann zu verneinen, wenn die Arbeitgeberin durch die Einrichtung einer Compliance-Abteilung deutlich gemacht hat, dass sie Korruptionsfälle mit größtmöglicher Effektivität aufklären und Hinweise auf derartige Fälle durch deren Einsatz leichter ermöglichen möchte (so zur Ombudsstelle Schimmelpfennig CCZ 2008, 161, 165). Es ist zwar richtig, dass sich Arbeitnehmer insbesondere dann, wenn anonyme Mitteilungen Untersuchungen in Gang setzen können, darauf einstellen müssen, dass Andere von den Möglichkeiten dieses Weges Gebrauch machen. Damit ist aber noch nichts darüber gesagt, wie lange die Compliance-Abteilung ermitteln kann und dass der Arbeitnehmer zwangsläufig damit rechnen muss, dass ein längerer Zeitraum darauf verwendet werden wird als wenn die Personalabteilung oder ein spontan eingerichtetes internes Team an ermittelnden Mitarbeitern unter Führung des Kündigungsberechtigten den Sachverhalt prüft, aus dem sich der Pflichtverstoß – auch – des konkreten Arbeitnehmers ergeben soll. Egal, wer konkret mit den Ermittlungen befasst ist, die Zweiwochenfrist gilt unabhängig davon. Das Interesse des Arbeitnehmers an Rechtssicherheit und Gewissheit, ob sein Fehlverhalten zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung genommen wird oder nicht, tritt deshalb nur solange hinter dem berechtigten Interesse der Arbeitgeberin an effizienter Aufklärung und Bekämpfung von Rechtsverstößen zurück, wie die Arbeitgeberin i.S.d. § 626 Abs. 2 BGB noch ermitteln durfte. Das arbeitsrechtliche Ermittlungsziel sind hinreichend vollständige, also nicht bis in jedes Detail ausermittelte Kenntnisse der einschlägigen Tatsachen, um eine Entscheidung über den Fortbestand des konkreten Arbeitsverhältnisses treffen zu können (BAG 27. Februar 2020 – 2 AZR 570/19 – 29 m.w.N.: „zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht“ und Rn. 31 m.w.N.: „Dem Kündigungsberechtigten müssen die Tatsachen „im Wesentlichen bekannt sein“). Der Arbeitnehmer muss sich daher nicht darauf verweisen lassen, er müsse sich solange gedulden, bis die Arbeitgeberin bzgl. sämtlicher Betroffenen zu Ende ermittelt hat, um „den Sumpf auszutrocknen“ (so aber Göpfert/Drägert CCZ 2011, 25, 26 f.). Diese Betrachtungsweise verlöre den individual-rechtlichen Normgehalt des § 626 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BGB aus dem Blick, der ermittlungstaktische, generalpräventive oder schadensreduzierende Gesichtspunkte und Erwägungen auf Seiten der Arbeitgeberin in seinen Tatbestandsvoraussetzungen gerade nicht beinhaltet. Es geht hier um die Ermittlung kündigungsrelevanter Tatsachen für das spezifische Arbeitsverhältnis. Die Ermittlungen stehen daher nicht im freien Ermessen der Arbeitgeberin, sondern im auf zwei Aspekte bezogenen pflichtgemäßen Ermessen der Arbeitgeberin: Zum einen bezogen auf kündigungsrechtliche Vorwürfe gegenüber dem einen Arbeitnehmer, zum anderen bezogen auf die Begrenzung des Beschleunigungsgrundsatzes (so zutreffend Horstmeier BB 2021, 1140, 1142).

cc) Unerheblich ist auch grundsätzlich, ob ein Arbeitnehmer das Informationsdefizit der Arbeitgeberin mitverursacht hat (a.A. Göpfert/Drägert CCZ 2011, 25, 28). § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB fordert von der Arbeitgeberin die Einhaltung der Ausschlussfrist gerade in Fällen, in denen ein Arbeitnehmer eine schwere Pflichtverletzung begangen hat und deshalb ein „wichtiger Grund“ i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. In aller Regel wird der Arbeitnehmer der Arbeitgeberin diesen Pflichtverstoß nicht auf dem Silbertablett präsentiert haben. Sein Verhalten wird er, da es derart gravierend ist, dass es eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt, vielmehr zu verheimlichen versuchen. Dennoch hat der Gesetzgeber die Ausschlussfrist gerade in diesem Bereich normiert. Sie kann deshalb nicht mit dem Argument, der Arbeitnehmer habe sich unredlich verhalten, ad acta gelegt werden.

Das vom Arbeitnehmer verursachte Informationsdefizit geht dennoch nicht zu Lasten der Arbeitgeberin: Die Frist läuft gerade nicht zwingend ab Kenntnis von ersten Informationen, die auf ein kündigungsrelevantes Verhalten des Arbeitnehmers schließen lassen. Zwar kann der Lauf der Ausschlussfrist ausgelöst werden, wenn schon einige Tatsachen bzw. Umstände bekannt sind, die auf einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung hindeuten Allerdings darf der Kündigungsberechtigte, der bislang lediglich Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB zu laufen begänne. Dies gilt jedenfalls so lange, wie er aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen und Beweismittel verschaffen soll, die ihm die Entscheidung darüber ermöglichen, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht (BAG 27. Februar 2020 – 2 AZR 570/19 – Rn. 30). Die Differenzierung zwischen der Kenntnis von Tatsachen, die einen wichtigen Grund darstellen, und bloßen Anhaltspunkten kann nicht dadurch umgangen werden, dass der Vertrauensschutz des Arbeitnehmers immer dann generell verneint wird, wenn seine Pflichtverletzung auch deren Verschleierung zum Inhalt hat.

dd) Auch das Bundesarbeitsgericht hat es zwar für den Ablauf der Ausschlussfrist als unschädlich angesehen, wenn auf ermittlungstaktische Gesichtspunkte in einem sehr komplexen Korruptionszusammenhang als „Sachgrund” Rücksicht genommen werde. So hat es entschieden, von einer Arbeitgeberin könne nicht verlangt werden, gegen das Votum der Staatsanwaltschaft das einen Arbeitnehmer belastende Material vorab in einer arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung einzuführen und zu verwenden. Dies gelte umso mehr, als die Arbeitgeberin auch nicht habe überblicken können, ob bei der Verwendung des Materials die Ermittlungsarbeit im Gesamtkomplex der staatsanwaltlichen Ermittlungen zu Preisabsprachen gefährdet würde (BAG 17. März 2005 – 2 AZR 245/04 – Rn. 38). Für den vorliegenden Rechtsstreit führt dies jedoch nicht dazu, dass die Beklagte bzgl. aller 89 Arbeitnehmer zeitgleich und abschließend zu Ende ermitteln durfte, bevor die Ausschlussfrist zu laufen begonnen hat.

Zum einen ist schon wegen des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsmonopols eine Übertragung des vom Bundearbeitsgericht bejahten Sachgrunds auf Ermittlungen der Beklagten unter Zuhilfenahme der Hilfe einer externen Kanzlei nicht unmittelbar zulässig (ebenso Schimmelpfennig CCZ 2008, 161, 164). Vorliegend sind aber auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Kündigung des Klägers die gesamte Untersuchung gefährdet hätte. Die Beklagte hat zwar ausgeführt, diese Gefahr bestehe immer, wenn Compliance-Untersuchungen in einem komplexen Umfeld mit der Ausschlussfrist nicht synchronisiert würden und stattdessen zu früh einer der Täter gekündigt werden müsse (so auch Göpfert/Drägert CCZ 2011, 25, 26). Es bestehe dann die Gefahr, dass andere nicht mehr zu Aussagen bereit seien. Derart abstrakte Gefährdungen begründen ein Abweichen von der Ausschlussfrist aber nicht generell. Jede Kündigung ist ein Einzelfall und ist auch entsprechend zu prüfen. Weshalb der von der Kanzlei R1 am 27. Juni 2019 ermittelte Erkenntnisstand nicht ausgereicht hat, um gegenüber allen verdächtigten Arbeitnehmern entscheiden zu können, was ihnen vorgeworfen wird und was nicht, ist nicht vorgetragen. Insbesondere ist aber auch nicht ersichtlich, dass die Erkenntnisse nicht ausgereicht hätten, um jedenfalls sukzessive arbeitsrechtliche Maßnahmen gegenüber den einzelnen Arbeitnehmern zu ergreifen. Selbst wenn in diesem Falle einzelne Arbeitnehmer gewarnt worden wären, hätte ihnen das nichts mehr genutzt. Die Erkenntnisse lagen vor, sie mussten „nur“ noch in einen Abschlussbericht überführt werden. Weitere Untersuchungen, denen erste arbeitsrechtliche Maßnahmen abträglich gewesen wären, waren vor der geplanten Entschließung der Geschäftsführung, was aufgrund der Erkenntnisse aus dem Zwischenbericht zu tun sei, nicht mehr erforderlich und nicht geplant – ansonsten hätte das Compliance-Team nicht die Entscheidung getroffen, die Ermittlungen vorläufig zu stoppen. Entsprechend hat die Geschäftsführung am 16. September 2019 auf der Basis der mit Stand 27. Juni 2019 vorhandenen und in der Folge im Zwischenbericht aufbereiteten Erkenntnisse entschieden, dass die Arbeitnehmer angehört werden, um so eine Verdachtskündigung vorzubereiten.

ee) Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, nur wenn das gesamte Netz an Compliance-Verstößen – und damit alle 17 verdächtigen Arbeitnehmer – ausermittelt sei, könne eine Arbeitgeberin das Fehlverhalten jedes einzelnen Arbeitnehmers, das den wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB bildet, einschätzen und eine Kündigungsentscheidung treffen.

Es besteht keine Obliegenheit einer Arbeitgeberin, den Arbeitnehmer belastende Tatsachen zu ermitteln, die einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung begründen. Das widerspräche einerseits dem Grundsatz, dass eine – sogar grob – fahrlässige Unkenntnis der maßgeblichen Tatsachen nicht genügt, um die Erklärungsfrist auszulösen. Es läge andererseits auch nicht im Interesse der Arbeitnehmer, weil der Arbeitgeber zu ständigem Misstrauen angehalten und gleichsam gezwungen würde, bei der bloßen Möglichkeit einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung „vom Schlimmsten“ auszugehen und zügig „Belastungsermittlungen“ in die Wege zu leiten (BAG 27. Februar 2020 – 2 AZR 570/19 – Rn. 31). Umgekehrt ist es aber auch nicht mit § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB in Einklang zu bringen, wenn eine Arbeitgeberin, die sich zur Ermittlung belastender Umstände entschlossen hat und die wesentlichen Tatumstände kennt, immer weiter noch belastendere Erkenntnisse zu ermitteln sucht. Wie sich das Verhalten des Klägers auf Pflichten anderer oder umgekehrt das Verhalten anderer auf die Pflichten des Klägers ausgewirkt hat, ist für den Lauf der Ausschlussfrist dann nicht mehr erheblich, wenn bereits die bestehenden und gesicherten Erkenntnisse einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Dass immer mehr Erkenntnisse und damit auch die Gesamtschau des Verhaltens aller beteiligten Arbeitnehmer ein noch exakteres Bild ergeben, ändert deshalb nichts daran, dass die Ausschlussfrist nicht grenzenlos verschoben werden kann.

b) Wird der Vortrag der Beklagten unterstellt, dass Herr Dr. I. erst am 16. September 2019 Kenntnis von den konkreten Vorwürfen i.S.d. „findings“ durch Übergabe des Zwischenberichts nebst den personenbezogenen Sachverhaltsdarstellungen erhalten hat, führt dies nicht dazu, dass die Ausschlussfrist gewahrt ist. Er muss sich als Organisationsverschulden zurechnen lassen, dass er sich nicht regelmäßig über den Stand der Ermittlungen in Kenntnis setzen ließ.

aa) Handelt es sich bei dem Arbeitgeber um eine juristische Person, ist grundsätzlich die Kenntnis des gesetzlich oder satzungsgemäß für die Kündigung zuständigen Organs maßgeblich. Sind für den Arbeitgeber mehrere Personen gemeinsam vertretungsberechtigt, genügt grundsätzlich die Kenntnis schon eines der Gesamtvertreter. Neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften gehören zu den Kündigungsberechtigten auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat.

Danach waren jedenfalls die beiden Geschäftsführer Dr. I. und Herr H3 kündigungsberechtigt. Herr Dr. I. hat die Kündigung auch – neben einer weiteren Person – unterschrieben. Nach dem Vorbringen der Beklagten war neben den Geschäftsführern keine weitere Person kündigungsberechtigt, auch nicht der Leiter des „Legal & Compliance Department“, Herr Dr. R.. Nach dem Beschluss vom 16. September 2019 (Anlage K18) haben beide Geschäftsführer von den Kündigungstatsachen Kenntnis erlangt, indem ihnen der gut 200-seitige Zwischenbericht nebst den personenbezogenen Sachverhaltsdarstellungen überreicht worden ist. Der Kläger war Person Nr. 3. Danach wäre die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB gewahrt, weil die Kündigung dem Kläger am 28. September 2019 zugegangen ist.

bb) Herr Dr. I. muss sich jedoch die Kenntnis von Dr. R. zurechnen lassen, der regelmäßig über den Fortgang der Untersuchungen von der Kanzlei R1 informiert worden ist. Neue Erkenntnisse wurden durch die Kanzlei R1 bis 27. Juni 2019 ermittelt. Da Herr Dr. R. regelmäßig auf dem Stand der Ermittlungen gehalten worden ist, ist davon auszugehen, dass auch er vor dem 14. September 2019 – dem Beginn der Ausschlussfrist ausgehend vom Zugang der Kündigung am 28. September 2019 – Kenntnis von den Findings hatte.

(1) Die Kenntnis anderer Personen ist für die Zwei-Wochen-Frist grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt selbst dann, wenn ihnen Vorgesetzten- oder Aufsichtsfunktionen übertragen worden sind. Nur ausnahmsweise muss sich der Arbeitgeber die Kenntnis auch anderer Personen nach Treu und Glauben zurechnen lassen. Dazu müssen diese Personen eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb oder in der Verwaltung innehaben sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage sein, den Sachverhalt so umfassend zu klären, dass mit ihrem Bericht an den Kündigungsberechtigten dieser ohne weitere Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen kann. Voraussetzung dafür, dem Arbeitgeber solche Kenntnisse zuzurechnen, ist ferner, dass die Verspätung, mit der er in eigener Person Kenntnis erlangt hat, auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs oder der Verwaltung beruht. Beide Voraussetzungen (ähnlich selbständige Stellung und schuldhafter Organisationsmangel in Bezug auf die Kenntniserlangung) müssen kumulativ vorliegen und bei einer Zurechnung vom Gericht positiv festgestellt werden (st. Rspr. vgl. nur BAG 27. Februar 2020 – 2 AZR 570/19 – Rn. 32 m.w.N.). Über die Zurechnung der Kenntnis „bestraft” werden Organisationsdefizite oder Umgehungsfälle, z. B., wenn Personalbefugnisse und das Recht zur außerordentlichen Kündigung auf möglichst hoher Führungsebene angesiedelt werden und dadurch Verzögerungen im Informationsfluss eintreten. Eines auf Verzögerung zielenden Vorgehens bedarf es nicht. Es genügt, dass der Kündigungsberechtigte nicht ausreichend sicherstellt und überwacht, dass er für den Fall, dass die Ermittlungen hinreichend vollständig und zuverlässig Pflichtverstöße von Arbeitnehmern erkennen lassen, die einen wichtigen Grund bilden, informiert wird.

(2) Werden die Organisationspflichten im Lichte der Anforderungen an gute Unternehmensführung gesehen und umgesetzt, ist die Einrichtung einer Compliance-Abteilung Bestandteil einer sachgerechten Organisation.

(a) Besteht ein Verdacht von Rechtsverstößen in einem Unternehmen, müssen die zuständigen Organe den Sachverhalt aufklären. Dies folgt aus der unternehmerischen Compliance-Verantwortung, die für Geschäftsführer einer GmbH in § 43 Abs. 2 GmbHG verankert ist. Danach besteht eine Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält und ihren gesetzlichen Verpflichtungen genügt (BGH 10. Juli 2012 – VI ZR 341/10 – Rn. 22). Entsprechend ist z.B. für die Bemessung einer Geldbuße von Bedeutung, inwieweit die Pflicht, Rechtsverletzungen aus der Sphäre des Unternehmens zu unterbinden, genügt und ein effizientes Compliance-Management installiert ist, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt sein muss (BGH 9. Mai 2017 – 1 StR 265/16 – Rn. 118). Auch ein Compliance Officer selbst hat ein Interesse an einer raschen, rechtskonformen Aufklärung, da ihm eine Garantenstellung (§ 13 Abs. 1 StGB) und damit Verhinderungspflicht eines deliktischen Erfolges zukommt (vgl. Stück GmbHR 2019, 156, 157; BGH 17. Juli 2009 – 5 StR 394/08 – Rn. 27, weitergehend zum Leiter der Rechtsabteilung und der Innenrevision in einer Anstalt des öffentlichen Rechts Rn. 29 f.).

Die Einrichtung einer Compliance-Abteilung stellt daher ein Präventionsmittel zur Vermeidung von Rechtsverstößen dar. Die Übertragung der Aufklärung von Verstößen gegen geltendes staatliches Recht auf eine gesonderte Abteilung führt durch die dadurch eintretende Aufgabenkonzentration und Spezialisierung zur Steigerung der Effektivität der Aufklärung und beschleunigt daher die Untersuchungen. Die Einrichtung eines funktionierenden Compliance-Systems stellt daher das Gegenteil eines Organisationsdefizits dar: Es ist – jedenfalls in großen Unternehmen, in denen ein Geschäftsführer nicht allen Pflichten durch eigenes Tun gerecht werden kann – zur Einhaltung der Legalitätspflicht gerade erforderlich (vgl. LG München 10. Dezember 2013 – 5 HKO 1387/10 – zu I. 1. a) (1), (2) (b) (cc) der Gründe).

(b) Die Einrichtung einer Compliance-Abteilung darf aber nicht dazu führen, dass eine Arbeitgeberin im Interesse effektiver Bekämpfung von Rechtsverstößen – und soweit es um die Schadensabwehr wie hier bei der Teilnahme an vergaberechtlich geprägten Ausschreibungen geht, primär im eigenen Unternehmensinteresse – ein Verfahren etabliert, das den Kündigungsberechtigten für eine gewisse Zeit „blind, taub und stumm” macht und in Kauf nimmt, dass Reaktionen gegenüber betroffenen Arbeitnehmern verzögert werden. Dabei kann dahinstehen, ob das Verfahren nur mit eigenen Beschäftigten durchgeführt wird oder aber – wie vorliegend – unter Beteiligung externer Ermittler. Wird die Kenntniserlangung des Kündigungsberechtigten durch eine fehlerhafte Organisation des Betriebes verzögert, obwohl eine andere Organisation sachgemäß und zumutbar gewesen wäre, geht diese Verzögerung zu Lasten der Arbeitgeberin: Sie trägt also das spezifische Organisationsrisiko, das sie nicht dem Arbeitnehmer überbürden darf. Insofern muss der Satz, selbst grobfahrlässige Unkenntnis sei der Kenntnis nicht gleichzustellen, mit Vorsicht behandelt werden: Grobfahrlässige (oder auch nur fahrlässige!) Unkenntnis aufgrund von Organisationsverschulden kann zur Wissenszurechnung führen (so zutreffend Schimmelpfennig CCZ 2008, 161, 163).

(c) Herr Dr. I. als Kündigungsberechtigter und für das Personal zuständiger Geschäftsführer hatte die Pflicht, sich regelmäßig über den Stand der Ermittlungen berichten zu lassen, um zeitnah entscheiden zu können, ob und gegenüber wem er arbeitsrechtliche Maßnahmen ergreifen will oder aus wettbewerblicher Sicht unter dem Stichwort „Selbstreinigung“ (§ 125 GWB) zu ergreifen hat. Herr Dr. R. als Leiter „Legal and Compliance“ wäre die Person gewesen, deren Wissen er sich hätte zunutze machen können und müssen (vgl. zu internen Ermittlern Benecke/Groß BB 2015, 693, 696). Wie Herr Dr. M5 aus der extern ermittelnden Kanzlei R1 im Berufungstermin ausgeführt hat, wurde Herr Dr. R. über den Fortgang der Untersuchungen informiert. Bei ihm handelt es sich um eine Person in herausgehobener Position und Funktion in der Verwaltung der Beklagten. Als Leiter „Legal & Compliance“ war er tatsächlich und rechtlich in der Lage, den Sachverhalt so umfassend zu klären bzw. klären zu lassen, dass mit dem von ihm veranlassten Bericht an den Kündigungsberechtigten Dr. I. dieser ohne weitere Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen konnte. Unerheblich ist, dass vor dem Ausspruch einer wirksamen Verdachtskündigung die Anhörung des betroffenen Arbeitnehmers zu erfolgen hat und diese Entscheidung von Herrn Dr. I. getroffen worden ist (st. Rspr., vgl. nur BAG 25. April 2018 – 2 AZR 611/17 – Rn. 31 m.w.N.). Der Sachverhalt war ausermittelt. Die Anhörung hätte auch von der Compliance-Abteilung oder der Kanzlei R1 durchgeführt werden können. Allein der Umstand, dass dies nicht gemacht worden ist, bedeutet nicht im Umkehrschluss, dass Herr Dr. R. nicht hätte anordnen können, dass die Anhörung bereits vor der Vorlage des Zwischenberichts erledigt wird. Ausermittelt bedeutet zudem nicht, dass die Kenntnis der Person, die dem Kündigungsberechtigten zugerechnet wird, weitergehen muss als wenn der Kündigungsberechtigte selbst ermittelt hätte. Dem Kündigungsberechtigten müssen die kündigungsbegründenden Tatsachen aber „nur“ im Wesentlichen bekannt sein, es dürfen nur noch zusätzliche Ermittlungen erforderlich sein oder doch erscheinen dürfen, wie etwa die Anhörung des Betroffenen bei einer Verdachtskündigung oder die Ermittlung von gegen eine Kündigung sprechenden Tatsachen (BAG 7. Mai 2020 – 2 AZR 678/19 – Rn. 30). Damit hat die ausstehende Anhörung des Klägers den Beginn der Ausschlussfrist nicht gehemmt.

Selbst wenn nicht Herr Dr. R. die Kanzlei R1 beauftragt hat – wofür der Vortrag der Beklagten spricht, die ausgeführt hat, die Geschäftsführung habe die Compliance-Untersuchung in Auftrag gegeben -, wäre als nächste Ebene nur noch Herr Dr. I. selbst geblieben. Dann erst recht hat er gewusst, dass externe Ermittler Vorwürfe untersuchen, die den Vertrieb des Unternehmens betreffen.

Herr Dr. I. hat somit entweder selbst die Compliance-Untersuchung veranlasst. Dann stellt es einen Organisationsfehler dar, wenn er als geschäftsführendes Organ der Beklagten sich nicht über relevante Zwischenstände berichten ließ. Denn diese Informationspflicht liegt in der Pflicht des Unternehmens begründet, für sein rechtmäßiges Verhalten und die Einhaltung gesetzlicher Verpflichtungen zu sorgen (Horstmeier BB 2021, 1140, 1144; LG München 10. Dezember 2014 – 5 HKO 1387/10 – zu 1. a) (2) (b) dd) der Gründe). Oder er muss sich zurechnen lassen, dass Herr Dr. R. als Leiter der Compliance ihn nicht rechtzeitig unterrichtet hat. Mit ihm hatten die externen Ermittler Kontakt und unterrichteten ihn laufend. Er war damit die Person, die die Ermittlungen verantwortete.

(d) Dies gilt umso mehr, da die Geschäftsführung sich auf die Erkenntnisse der Compliance-Abteilung und der Kanzlei R1 verlassen hat, ohne selbst in eine Prüfung einzutreten bzw. eintreten zu können. Das zeigt der zeitliche Ablauf. Jedenfalls 212 Seiten Zwischenbericht (Anlage B 89, Bl. 238 ff. der Berufungsakte) – im Berufungstermin wurde versehentlich von um die 300 Seiten gesprochen – bzw. inkl. der personenbezogenen Sachverhaltsdarstellungen (zum Kläger vgl. Anlage B 90, Bl. 450 ff. der Berufungsakte) insgesamt 792 Seiten wurden an einem Tag von der Geschäftsführung verarbeitet und entsprechende arbeitsrechtliche Maßnahme -, die Anhörung von 17 Arbeitnehmern – veranlasst. Allein die schiere Masse an Text – ohne weitere Anlagen mit Findings – und die Angaben zu 89 Personen machen deutlich, dass Herr Dr. I. sich auf die Ermittlungen seines „Legal & Compliance Department“ sowie die Ergebnisse der Kanzlei R1 verlassen hat. Werden – was angesichts des Umfangs der Ermittlungen grundsätzlich sachdienlich war – die Ermittlungen aus der Hand gegeben, so muss anderweitig durch regelmäßige Kontrolle und entsprechende Auftragserteilung sichergestellt werden, dass die Ermittelnden nicht Informationen zu spät weiterleiten. Genau dies hat Herr Dr. M5 bestätigt, als er gesagt hat, die Geschäftsführung wolle informiert werden, wenn etwas von Brisanz gefunden werde. Herr Dr. R. hätte deshalb seine Erkenntnisse, die sich in Bezug auf den Kläger in anderer Richtung als nach dem Untersuchungsauftrag entwickelten, nach dem 27. Juni 2019 zeitnah der Geschäftsführung mitteilen müssen.

(e) Aufgrund der veranlassten externen Ermittlungen hätte sich Herr Dr. I. auch jederzeit ein Bild darüber machen können, welchen Stand diese hatten. Wäre er dieser Pflicht nachgekommen, hätte er nicht erst am 16. September 2019 erfahren, welche Pflichtverletzungen dem Kläger vorgeworfen werden. Er hätte vielmehr bereits ab dem 27. Juni 2019 erfahren, dass die ehemals in anderer Richtung geführten Ermittlungen einen neuen Komplex an Vorwürfen bzgl. anderer Projekte (X und Y) offenbart haben, mit denen der Kläger unmittelbar befasst gewesen ist. Zu diesem Zeitpunkt sind die externen Ermittler in der Lage gewesen zu erkennen, dass genügend Erkenntnisse vorhanden gewesen sind, um diese als Grundlage für arbeitsrechtliche Maßnahmen zu nutzen. Weshalb es dann noch einmal 2 ½ Monate gebraucht hat, die Erkenntnisse zu verschriftlichen, ist nicht erkennbar und auch nicht vorgetragen. Angesichts von 89 Personen, zu denen Erkenntnisse ermittelt worden sind, ist es zwar nachvollziehbar, dass das Verfassen des von der Kanzlei R1 vorgelegten Berichts erhebliche Zeit in Anspruch genommen hat. Es ist aber gerade nicht von der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB gedeckt, dass zu 89 Personen Ausführungen gehalten werden, wenn nur 17 Personen mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen belegt werden und der Kläger wiederum nur einer hiervon ist. Hier kommt zum Tragen, dass nicht bezogen auf den Kläger die gewonnenen Erkenntnisse zusammengetragen wurden, was wesentlich weniger Aufwand gewesen wäre. Selbst wenn berücksichtigt wird, dass 16 weitere auffällige Personen ermittelt wurden und mit einer dieser Personen angefangen werden muss, so dass sich die Erstellung des Berichts für jeden anderen automatisch verzögert, sind das noch immer nicht 89 Personen. Hinzukommt, dass die E-Mails mehrfach verwertbar sind, da sie in vielen Fällen den immer selben Personenkreis betrafen.

Der Einwand von Dr. M5 im Berufungstermin, dass es nicht ausreicht, zur Geschäftsführung zu gehen und auf eine E-Mail zu verweisen, die im Rahmen der Ermittlungen gefunden wurde, trifft sicherlich zu. Aber selbst wenn deshalb ein Zwischenbericht zum besseren Verständnis erforderlich und geboten gewesen ist, so trifft es – jedenfalls im vorliegenden Fall – nicht zu, dass allein die Darstellung in Form eines so umfangreichen 792-seitigen Dokuments nötig gewesen ist, um die kündigungsberechtigte Geschäftsführung der Beklagten in die Lage zu versetzen, die Zusammenhänge und Hintergründe des komplexen Netzes an Compliance-Verstößen und den damit einhergehenden schwerwiegenden arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen zu verstehen und eine Entscheidung über weitere Schritte – hier: die Anhörung und sodann Kündigung des Klägers – treffen zu können. Der Beklagten ist es möglich gewesen, auf wesentlich weniger Seiten ihren klageabweisenden Antrag zu begründen. Es waren nicht Ausführungen zu 16 oder 88 weiteren Arbeitnehmern erforderlich, damit das Fehlverhalten des Klägers für die Geschäftsführung verständlich geworden wäre, sondern allenfalls zu den Personen, die neben dem Kläger in den Findings genannt sind. Der Inhalt der „Findings“ ist überwiegend selbsterklärend. Der Vorwurf der Beklagten lautet zusammengefasst dahin, dass der dringende Verdacht bestehe, der Kläger habe es wiederholt unterlassen zu verhindern, dass seine Mitarbeiter sich widerrechtlich verhalten und dass der Kläger selbst widerrechtlich gehandelt habe – jeweils im Zusammenhang mit Dienst- und Geschäftsgeheimnissen (vgl. S. 22 des Schriftsatzes vom 13. November 2019, Bl. 123 der erstinstanzlichen Akte). Weshalb die Geschäftsführung dafür nachvollziehen können musste, wie die Handlungen der 16 weiteren sachverhaltsbetroffenen Mitarbeiter mit den Pflichtverletzungen des Klägers in Verbindung stehen und wie sich die insgesamt 17 betroffenen Mitarbeiter untereinander ausgetauscht bzw. gegenseitig angewiesen haben, ist nicht erkennbar. Im vorliegenden Rechtsstreit ist deutlich geworden, dass die den Kläger betreffenden Findings sehr aussagekräftig sind. Dass sein Verhalten unter dem Gesichtspunkt einer schwerwiegenden Vertragspflichtverletzung nur dann zutreffend gewürdigt werden kann oder sogar nur dann überhaupt verständlich ist, wenn zugleich die arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen und Compliance-Verstöße weiterer 16 Mitarbeiter betrachtet werden, trifft daher nicht zu. Es hat noch nicht einmal eines isolierten Herausarbeitens der Pflichtverstöße, die dem Kläger gemacht werden, bedurft. Alle Personen, die in den E-Mails als Empfänger oder Absender beteiligt sind, sind gleichermaßen betroffen – wenn auch der eine in der gehobenen Funktion des Vorgesetzten, der andere als „einfacher“ Arbeitnehmer. Wie die Beklagte selbst im Berufungsverfahren vorgetragen hat, hat sich im Laufe der Datenauswertung ergeben, dass der Kläger eine zentrale Rolle bei der Beschaffung und Weiterverbreitung der streitgegenständlichen Dokumente gespielt hat. Sein Fehlverhalten war daher anhand der gefundenen Daten gut darzustellen. Er war nicht nur eine Nebenfigur, sondern nahm eine Hauptrolle ein.

(f) Dass Herr Dr. I. die Ermittlungen aus der Hand gegeben hat und so seine Informations- und Überwachungspflichten nicht ausreichend wahrgenommen hat, ergibt sich auch aus dem Vortrag der externen Ermittler. Sie entscheiden, ob etwas der Geschäftsführung vorgelegt wird. Das ist immer dann der Fall, wenn etwas von Brisanz ist und/oder der ursprüngliche Untersuchungsgegenstand sich in eine andere Richtung entwickelt. Eine generelle Aufsicht in dem Sinne, dass sich die Geschäftsführung regelmäßig berichten lässt, was aus dem von ihr angestoßenen Compliance-Untersuchung wird, erfolgt also gerade nicht. Vielmehr entscheidet das Compliance-Team, bestehend aus externen und internen Ermittlern, wann etwas von Brisanz ist oder den eigentlichen Untersuchungsgegenstand verlässt. Aber auch dann ist die Information nicht unverzüglich erfolgt, vielmehr kann entschieden werden, dass nicht einzelne Arbeitnehmer vorgezogen und damit herausgegriffen werden, bei denen die Vorwürfe offen zutage liegen, so dass eine Entscheidung über den Ausspruch einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung auch ohne monatelanges Zusammentragen der gewonnenen Informationen möglich ist. Hätte sich Herr Dr. I. regelmäßig berichten lassen, hätte ihm mitgeteilt werden müssen, dass es einige Arbeitnehmer gibt, bei denen erhebliche Verdachtsmomente bestehen. Das wäre beim Kläger der Fall gewesen: Einige der E-Mails sind von erheblicher Brisanz und an Deutlichkeit nicht zu überbieten. Sie können auch nicht – jedenfalls nicht alle – mit der vom Kläger behaupteten „martialischen Ausdrucksweise“ des Herrn K. als harmlos dahin verstanden werden, dass dieser sich eben ein wenig übertrieben ausdrückt, um sich wichtig zu machen, ansonsten aber alles in bester Ordnung gewesen sei. Jedenfalls aber hätten allein folgende E-Mails genügt, um der Geschäftsführung deutlich vor Augen zu führen, dass der Kläger zwar wohl nicht im Projekt SX mit der FFF in Verbindung gebracht werden kann, dass aber nach Auffassung der Ermittler der dringende Verdacht besteht, dass dies im Zusammenhang mit den Projekten X und Y sowie anderen Informationen der Fall ist, deren Erhalt nicht mit dem Schutz vertraulicher Dokumente in Einklang zu bringen gewesen ist:

– 21. Januar 2015 (Anlage B 74):

„Ich bitte, die Kommunikation zur FFF vertraulich zu behandeln und auf ein absolut notwendiges Minimum (Adressatenkreis) zu beschränken. Dieses Dokument ist nicht irgendeine Vorschrift, auf die mal kurz ein VS-NfD aufgestempelt wurde. Es handelt sich hierbei um ein vertrauliches Dokument (inkl. Budgetplanzahlen) des IPP, in welches die Industrie nicht einmal Einblick, geschweige denn dieses haben darf. Von daher werde ich dieses Dokument auch allenfalls im Vieraugengespräch und in Hardcopy-Form erhalten.“

– 12. Juni 2016 (Anlage B 78):

Rückmeldung X/Y

Mein Kontakt kommt erst Ende der Woche aus dem Urlaub zurück und muss sich selbst erst auf Stand bringen. (….) ich kann aufgrund der Sensibilität des Themas nicht wild in die Abteilung telefonieren.“

– 26. Juli 2017 (Anlage B 36):

Intelligence X/Y

(…)

Stand FFF Y:

– Erstellung/Bearbeitung des Textteils im kleinsten Kreis (2xMA BAAINBw, IPT-Ltr-PlgABw = TOOR H4, BV Heer = OTL W1) => ich persönlich kenne hier niemanden, um die aktuelle Dokumentenlage im weitergeführten Entwurfsstadium abgreifen zu können. (…)

Wir können jederzeit zum Thema X direkt unsere Fragen platzieren, da mein Spezi für dieses Thema im PlgABw verantwortlich zeichnet und auch in den diversen Arbeitsgruppen mit sitzt.

– 19. September 2017 (Anlage B 44):

„Wie immer gilt: diese Dokumente haben wir nicht. Bitte nicht quer streuen“ zu „Planungsvorgaben 2019“ sowie „Planungsleitlinie 2019“.

– 17. Januar 2018 (Anlagen B 50, B 51):

„… aus der Datenbasis FBA 2018…“

„Bitte nach extern nicht auf die Dokumente der Planungszyklen (FBA, PLL, ResPI usw.) referenzieren. Sind alle eingestuft und haben wir offiziell nicht.“

– 23. Januar 2018 (Anlage B 50, B 51):

„Bitte Quellenschutz“.

– 2. Mai 2018 (Anlage B 71):

„nochmal für Dich die aktuellste Version der FFF mit Stand letzten Jahres. … Wie gesagt, meine Quelle ist derzeit noch nicht wieder verfügbar.

Soweit die E-Mail vom 21. Januar 2015 weder vom Kläger stammt noch an ihn adressiert wurde, lässt sich daraus jedoch ersehen, dass der Mitarbeiter des Klägers, Herr K., dessen Verhalten die Beklagte dem Kläger zurechnet, auf unlauteren Wegen an Informationen gekommen ist.

(g) Herr Dr. I. als Kündigungsberechtigter hätte bei der Beauftragung sowohl der intern errichteten Compliance-Abteilung als auch der externen Ermittler im Rahmen der Formulierung des Auftrags darauf achten müssen, dass immer dann, wenn Pflichtverstöße einzelner Arbeitnehmer klar erkennbar sind und von der gesamten Compliance-Untersuchung und damit Pflichtverstößen anderer Arbeitnehmer separiert werden können, eine Information der Geschäftsführung zu erfolgen hat, sofern dies nicht in einer ohnehin regelmäßig vereinbarten Unterrichtung über den Stand der Untersuchung möglich ist. Den Ermittlern die Entscheidungsfreiheit zu überlassen, ob sie die Geschäftsführung vorab über abgrenzbare Pflichtverstöße von Arbeitnehmern informieren oder nicht, weist auf eine unzureichende Auftragsbeschreibung hin. Es steht – wie dargestellt – nicht im Ermessen einer kündigungsberechtigten Person, die Ausschlussfrist hinauszuzögern, weil dies im Hinblick auf andere Arbeitnehmer und ein „Netz von Compliance-Verstößen“ nützlich ist.

3. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger eine Entscheidung über die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist nur für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag bzgl. der außerordentlichen fristlosen Kündigung begehrt. Die Bedingung ist eingetreten, so dass auch über die hilfsweise ausgesprochene Kündigung zu entscheiden war. Wegen der versäumten Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ist auch die außerordentliche Kündigung unwirksam. Auch insofern war die Berufung zurückzuweisen.

4. Da der Kläger bzgl. der Kündigungen obsiegt hat, steht ihm ein Weiterbeschäftigungsanspruch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu. Das hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Die Berufung hat insofern gegen das Urteil keine Einwände vorgebracht. Auch im Übrigen sind Fehler nicht ersichtlich. Das Berufungsgericht folgt dem Urteil des Arbeitsgerichts unter III. (S. 43 f.) und sieht daher von der Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

5. Die Berufung ist schließlich zurückzuweisen, soweit die Beklagte im Wege der Widerklage mit einem Leistungs- sowie einem Feststellungsantrag Schadenersatzansprüche verfolgt. Das Arbeitsgericht hat auch insofern zutreffend erkannt, dass die anspruchsbegründenden Voraussetzungen nicht vorliegen.

a) Eine Arbeitgeberin kann grundsätzlich vom Arbeitnehmer die durch das Tätigwerden einer spezialisierten Anwaltskanzlei entstandenen notwendigen Kosten ersetzt verlangen, wenn sie die Anwaltskanzlei anlässlich eines konkreten Verdachts einer erheblichen Verfehlung des Arbeitnehmers mit Ermittlungen gegen diesen beauftragt hat und der Arbeitnehmer einer schwerwiegenden vorsätzlichen Vertragspflichtverletzung überführt wird (BAG 29. April 2021 – 8 AZR 276/20 – Rn. 20 ff.). Vor dem Hintergrund, dass § 254 BGB von einem Geschädigten die Rücksichtnahme auf das Interesse des Schädigers an der Geringhaltung des Schadens verlangt, muss es sich zudem um Ermittlungsmaßnahmen handeln, die ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Arbeitgeber nach den Umständen des Einzelfalls zur Beseitigung der Störung bzw. zur Schadensverhütung nicht nur als zweckmäßig, sondern auch als erforderlich ergriffen haben würde (BAG 29. April 2021 – 8 AZR 276/20 – Rn. 27).

b) Soweit die Beklagte einen Schaden im Zusammenhang mit der „Entwicklung Projektplan und straf- sowie vergaberechtliche Bewertung im Raum stehender Compliance-Verstöße“ im Umfang von 118 Stunden im Zeitraum Juli bis Oktober 2018 sowie einen Schaden in Höhe von 31 Stunden für ein Mitarbeiterinterview und der Vorbereitung

e-Discovery im Zeitraum November bis Dezember 2018 geltend macht, steht der Ersatzpflicht entgegen, dass der ursprüngliche Vorwurf, der Kläger habe die FFF SX rechtswidrig erlangt oder weitergeleitet, sich nicht bewahrheitet hat. Erst im Jahr 2019 haben sich nach dem eigenen Vortrag der Beklagten die den Kündigungen zu Grunde gelegten Vorwürfe herauskristallisiert, weshalb es notwendig wurde, Ende Juni 2019 die Ermittlungen zu unterbrechen, um die Geschäftsführung über die neuen Erkenntnisse aufzuklären. In diesem Fall können die Kosten, die ab dem Zeitpunkt der Entdeckung anderer Vorwürfe als derjenigen, die Anlass der Beauftragung externer Ermittler gewesen sind, entstehen, vom Arbeitnehmer als Schadenersatz gefordert werden – nicht jedoch die vorangegangenen (BAG 29. April 2021 – 8 AZR 276/20 – Rn. 30). Dasselbe gilt entsprechend für die im Januar und Februar 2019 angefallenen Kosten im Rahmen der Bürobesichtigung sowie die Kosten der weiteren Sachverhaltsaufklärung bis zur Fertigstellung des Zwischenberichts am 16. September 2019. Insofern ist zwar möglich, dass ab Juni, spätestens aber Juli 2019 Ermittlungstätigkeit auf die neu entdeckten Pflichtverletzungen des Klägers entfallen ist. Angesichts dessen, dass aber ein Zwischenbericht über 89 Arbeitnehmer gefertigt worden ist, der nur für 17 arbeitsrechtliche Maßnahmen als notwendig ermittelt hat, ist ein erheblicher Teil der Stunden auf Ermittlungstätigkeit entfallen, der keine Pflichtverletzungen von Arbeitnehmern zu Grunde gelegen haben. Auch wenn der Kläger als einer von mehreren die Ermittlungen ab Juni 2019 veranlasst und damit einen Schaden mitverursacht hat, kann angesichts der großen Anzahl an unschuldigen Arbeitnehmern, denen aber ein entsprechender Ermittlungsaufwand gewidmet worden sein muss, nicht ohne genaue Aufschlüsselung, welcher Stundenaufwand auf welche konkreten Ermittlungsschritte entfallen ist, eine – wenn auch „nur“ gesamtschuldnerische – Haftung des Klägers angenommen werden. Darüber hinaus ist unklar, in welchem zeitlichen Umfang die Ermittlungen auf Untersuchungen zu einer Täterschaft des Klägers sowie auf die rechtliche Prüfung der Vorwürfe, also rechtsberatende Tätigkeiten entfielen. Nur auf der Grundlage entsprechender Angaben wäre eine Prüfung möglich gewesen, ob die Kanzleien überhaupt jeweils Tätigkeiten zur Aufklärung und Störungsbeseitigung unternommen haben oder ob sie rechtsberatend tätig gewesen sind (BAG 29. April 2021 – 8 AZR 276/20 – Rn. 30). Erhebliche Teile der ab April 2019 geltend gemachten Kosten entfallen nach der Auflistung der Beklagten auf S. 8 ff. der Widerklage (Bl. 1259 ff. der Berufungsakte) auf die Rechtsberatung.

Lässt sich nicht erkennen, welche konkreten Tätigkeiten wann und in welchem zeitlichen Umfang wegen welchen konkreten Verdachts gegen den Kläger von den beauftragten Kanzleien ausgeführt wurden, fehlt es an der ausreichenden Darlegung der Erforderlichkeit der aufgewandten Kosten.

III.

1. Die Beklagte trägt als unterlegene Partei die Kosten des Berufungsverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO).

2. Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen bzgl. der Widerklage nicht vor, so dass insofern die Revision nicht zuzulassen war. Die Fragen zum Ersatz von Anwaltskosten auf Grund eines konkreten Verdachts einer erheblichen Verfehlung des Klägers sind durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 29. April 2021 – 8 AZR 276/20 – geklärt. Diese hat das Berufungsgericht zu Grunde gelegt. Die Zulassung der Berufung war dagegen bzgl. der Kündigung und des von dieser abhängigen Weiterbeschäftigungsantrags zuzulassen, da insofern die entscheidungserhebliche Frage der Auswirkungen einer Compliance-Untersuchung, die über den gekündigten Arbeitnehmer hinausgeht, auf die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nach Auffassung des Berufungsgerichts von grundsätzlicher Bedeutung ist (§ 72 Abs. 2 Buchst. a ArbGG).

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