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Fristlose Kündigung bei Arbeitsverweigerung

ArbG Berlin – Az.: 41 Ca 3718/21 – Urteil vom 16.09.2021

I. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentlichen und ordentlichen Kündigungen vom 17. März 2021, datierend auf den 14.03.2021 nicht aufgelöst worden ist.

II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu zahlen.

a) 159,63 € brutto (einhundertneunundfünfzig 63/100) zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 16. Februar 2021;

b) 57,73 € brutto (siebenundfünfzig 73/100) zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 16. März 2021.

III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

IV. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits zu 65%, der Kläger zu 35%.

V. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.260,24 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung sowie über Zahlungsansprüche.

Der Kläger ist seit dem 13.03.2020 bei der Beklagten als Kurierfahrer beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt mehr als zehn Arbeitnehmer und hatte bis März 2021 keinen Betriebsrat.

Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag vom 28.02.2020 (Anlage B 1, Blatt 41 fortfolgende der Akte = „(B 1, 41 ff.)“). Als Arbeitszeit werden darin „durchschnittlich“ (42) 24 Stunden pro Woche angegeben (41). Nähere Einzelheiten regelt Ziffer 5 des Arbeitsvertrages (42) und eine „Betriebliche Arbeitszeitregelung“ (47). Der Kläger hatte auf seinem Personalfragebogen angegeben, dass er „c/o S.“ wohne.

Der Kläger war bis Ende 2020 in der Regel an drei Tagen pro Woche für die Beklagte im Einsatz (25). Im Dezember 2020 trat der Kläger an die Beklagte mit dem Wunsch heran, seine Arbeitszeit auf einen Tag pro Woche zu reduzieren. Im Januar arbeitete der Kläger donnerstags am 7., 14., 21 und 28.01.2021 (B 2), im Februar am 4., 11., 18. und 25.02.2021 (69).

Die Beklagte rechnete das Arbeitsverhältnis für 01/2021 gemäß Abrechnung (K 4 (101)) ab, stellte 1.064,88 € ein und zog 849,15 € aus einem angeblichem negativen Arbeitszeitkonto ab (101). Der Geschäftsführer der Beklagten erklärte dies in der E-Mail vom 16.02.2021 (K3 (100)) so, dass er 16 Urlaubstage aus dem Jahr 2020 in den Januar gelegt habe. Dann erklärte der Geschäftsführer: „So by end of Jan the balance now is even and we can start with the reduced contract on Feb 1st without any remains“ (100).

Am 16.02.2021 wurden im Depot der Beklagten 50 Plakate einer „Betriebsgruppe“ aufgehängt. Um 21:30 Uhr traf der Geschäftsführer der Beklagten den Kläger, der keinen Dienst hatte, im Depot an (193).

Mit E-Mail vom 28.02.2021 (B 4 (50)) forderte der Geschäftsführer der Beklagten den Kläger auf, sich zu den Vorgängen zu erklären. Dieser bat mit E-Mail vom 02.03.2021 um eine Antwortfrist (193).

Die Beklagte hatte den Kläger für Donnerstag, den 04.03.2021, eingeteilt. Sie änderte diese Einteilung am 28.02.2021 (201) auf Mittwoch, den 03.03.2021 (53). Daraufhin meldete sich der Kläger mit E-Mail vom 01.03.2021 (B 5 (51)): fehlerhaft sei sein Einsatz verändert worden, obwohl er mitgeteilt habe, nur donnerstags arbeiten zu können. Darauf erwiderte die Beklagte mit E-Mail vom 02.03.2021 (B 6 (52)), dass der Kläger erheblich seine Arbeitszeiten verletze. Der Kläger solle sich bis zum 05.03.2021 erklären, wie er sich eine weitere Zusammenarbeit vorstelle. Sei er nicht bereit, seinen Arbeitsvertrag zu erfüllen, könne das Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung beendet werden (52). Der Kläger erschien am 03.03.2021 zur Arbeit und arbeitete auch am 03.03.2021 (213).

In einer E-Mail vom 14.03.2021 (B 9 (58)) berief sich der Kläger darauf, dass die Parteien sich mündlich für die Zeit ab dem 01.02.2021 auf eine Arbeit an einem Tag in der Woche – 34,4 Stunden im Monat – für 355,00 € im Monat geeinigt hätten.

Am Sonntag, den 14.03.2021, versuchte der Geschäftsführer der Beklagten dem Kläger ein Kündigungsschreiben in dessen Hausbriefkasten einzuwerfen, fand aber keinen Briefkasten mit dem Namen des Klägers vor. Am 15.03.2021 verlief ein Zustellversuch erneut erfolglos (72). Darüber wurde der Kläger um 13:15 Uhr per E-Mail informiert (73). Am 15.03.2021 abends erfolgte ein vom Kläger unterschiebene Einladung zu einer Wahlversammlung für eine Betriebsratswahl. Am 16.03.2021 warf ein Mitarbeiter der Beklagten das Kündigungsschreiben vom 14.03.2021 in den Briefkasten der Frau S. ein. Darüber wurde der Kläger informiert (73). Am 17.03.21 erschien der Kläger im Büro der Beklagten und verlangte die Aushändigung der Kündigung. Darauf kopierte die Beklagte das Kündigungsschreiben vom 14.03.2021 und setzte handschriftlich dazu: „Kopie übergeben am 17.03.2021 unter Zeugen“ (K 1 (6)).

Mit der am 29.03.2021 bei Gericht hat der Kläger sich gegen eine Kündigung vom 14.03.2021 gewandt und legte die Anlage K1 anbei. Zugleich wurde ein Weiterbeschäftigungsantrag gestellt.

Der Kläger rügt eine Unwirksamkeit nach § 626 I BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) und §§ 1, 15 Absatz 3 a KSchG (Kündigungsschutzgesetz).

Das Arbeitsverhältnis sei einvernehmlich arbeitszeitlich reduziert worden. Wenn nicht, fehle es jedenfalls an einer Abmahnung.

Die Parteien hätten ausweislich der E-Mail der Beklagten vom 15.02.2021 (K 3) vereinbart, dass der Kläger nur noch einen Tag im Januar arbeite und an den weiteren Tagen Urlaub nehme (105). Dem Kläger stünden für 4 Tage Arbeit 326,40 € brutto, für einen Feiertag 48,96 € brutto und für 16 Tage Urlaub 783,36 € brutto zu. Ausgezahlt seien 215,73 €, es fehlten daher 942,99 € brutto. Ein Abzug für Minusstunden sei unberechtigt, da die Beklagte in Annahmeverzug gewesen sei. Für Februar 2021 stünden dem Kläger noch 57,73 € brutto zu (106).

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die auf den 14.03.2021 datierten Kündigungen vom 17.03.2021 aufgelöst wurde;

2. die Beklagte wird für den Fall des Obsiegens verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Kurierfahrer zu beschäftigen;

3. die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 942,99 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 16. Februar 2021 zu zahlen;

4. die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 57,73 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 16. März 2021 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Arbeitszeit des Klägers sich auch nach dem 01.01.2021 auf 24 Wochenstunden belaufen habe. In der Weigerung, diese leisten zu wollen, sei eine beharrliche Arbeitsverweigerung zu sehen. Dazu sei es auch für den 03.03.2021 gekommen. Eine Abmahnung sei in der E-Mail vom 02.03.2021 (B 6) erfolgt. Wenn nicht, sei diese auch entbehrlich. Im Übrigen gehe der Kläger einer ungenehmigten Nebentätigkeit nach, die auch zur Verletzung der gesetzlichen Arbeitszeitbestimmungen führe. Auf einen Sonderkündigungsschutz könne der Kläger sich nicht berufen, weil der Kläger einen Zugang des Kündigungsschreibens am 14.03. oder 15.03.2021 früh treuwidrig vereitelt habe. Von einer Betriebsratsgründungsabsicht des Klägers habe die Beklagte zum Zeitpunkt der Kündigung nichts gewusst.

Für den Sach- und Streitstand im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze und auf das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

Der Kündigungsschutzantrag gegen das am 16.03.2021 in den Briefkasten der Frau S. geworfene Kündigungsschreiben (hier „S.-Kündigung“ genannt) ist zulässig und begründet.

I.

Der Kündigungsschutzantrag bedarf der Auslegung bzw. Erklärung. Er richtet sich zum einen gegen das Schreiben gemäß Anlage K 1 und zum anderen gegen das unstreitig am 16.03.2021 in den Hausbriefkasten der Frau S. eingeworfene Kündigungsschreiben.

II.

Die im Kündigungsschreiben enthaltene ordentliche Kündigung ist unwirksam, erst recht die außerordentliche. Auf den Sonderkündigungsschutz nach § 15 Absatz 3 a KSchG kommt es nicht an. Damit auch nicht auf den genauen Zugang i.V.m. (in Verbindung mit) einer etwaigen Zugangsvereitelung.

III.

Die S.-Kündigung ist dem Kläger zugegangen, § 130 BGB. Eine etwaige Wohnungsänderung hat der Kläger der Beklagten nicht mitgeteilt, § 242 BGB.

IV.

Die S.-Kündigung wurde innerhalb gesetzlicher Frist der §§ 4, 7 KSchG angegriffen. Dies im Hinblick auf den Weiterbeschäftigungsantrag i.V.m. § 6 KSchG analog.

V.

Es liegt jedoch kein ordentlicher Kündigungsgrund i.S.v. § 1 KSchG vor.

Eine beharrliche Arbeitsverweigerung kann eine ordentliche Kündigung rechtfertigen.

Sie liegt aber nicht vor. Dies auch dann nicht, wenn man zugunsten der Beklagten unterstellt, dass keine Arbeitszeitreduzierung (wirksam) vereinbart wurde.

1. Die kurzfristige Änderung der Arbeitseinteilung vom 04.03. auf den 03.03. dürfte nach § 12 Absatz 2 TzBfG (Teilzeit– und Befristungsgesetz) (analog) schon unwirksam sein.

Selbst wenn nicht, hat der Kläger zwar moniert, dass er am 03.03.2021 nicht könne und diese gegen die Vereinbarungen verstoße, gleichwohl ist er am 03.03.2021 erschienen und hat lange gearbeitet. Das ist nicht Ausdruck einer Arbeitsverweigerung. Selbst wenn, wäre diese nicht beharrlich, was voraussetzt, dass die Beklagte den Kläger mit einer Kündigung im Verweigerungsfall gedroht hätte.

Da die Rechtslage im Hinblick auf die E-Mail des Geschäftsführers (K 3) vom 16.02.2021 zumindest unklar war, war auch eine Abmahnung nicht überflüssig.

2. Der Aufforderung der Beklagten an den Kläger, sich zu seiner Zukunft bei der Beklagten zu positionieren (B 6), brauchte der Kläger nicht nachzukommen. Im Übrigen hat er es mit seiner E-Mail vom 14.03.2021 getan. Dass der Kläger die Vertragslage anders sah als die Beklagte, ist kein Kündigungsgrund.

3. Ein Verstoß gegen eine etwaig wirksame Genehmigungspflicht für Nebentätigkeiten berechtigt ohne vorherige Abmahnung nicht zu einer ordentlichen Kündigung. Damit geht auch nicht zwangsläufig ein Verstoß gegen das gesetzliche Arbeitszeitrecht und eine Beeinträchtigung der Erfüllung der Vertragspflichten des Klägers gegenüber der Beklagten einher.

VI.

Ist schon die ordentliche Kündigung unwirksam, dann erst recht die außerordentliche, § 626 Abs. 1 BGB.

B.

Der gegen die Erklärung gemäß Anlage K1 gerichtete Kündigungsschutzantrag ist unzulässig. § 4 KSchG setzt eine Kündigungserklärung voraus. Die Anlage K1 enthält nach dem Gesamtzusammenhang keine Kündigungserklärung, sondern nur einen Beleg für eine anderweitig erklärte Kündigung („Kopie“).

C.

Der angefallene Weiterbeschäftigungsantrag ist unzulässig. Die Parteien sind über die zu leistende Arbeitszeit im Streit. Der Weiterbeschäftigungsantrag beseitigt diesen Streit nicht und ist daher unbestimmt, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (Zivilprozessordnung).

D.

Die zulässigen Zahlungsanträge sind nach dem Arbeitsvertrag i.V.m. §§ 611, 611 a BGB nur zum Teil begründet.

I.

Dem Kläger steht aus Januar 2021 kein Urlaubsentgelt zu. Urlaubsentgelt setzt eine Urlaubsgewährung voraus. Fehlzeiten können nicht nachträglich zu einer Urlaubsgewährung umgewandelt werden. Auch einvernehmlich nicht. Der Kläger behauptet zwar eine Urlaubsgewährung. Diese ist aber dem substantiierten Vortrag der Beklagten und der nachträgliche E-Mail vom 16.02.2021, bestätigt auch noch einmal mündlich vom Geschäftsführer in der mündlichen Verhandlung, nicht zu entnehmen. Es bleiben daher nur die tatsächlichen Arbeitszeiten und die Feiertagsvergütung in Höhe von 326,40 € zuzüglich 48,96 €, das heißt i.H.v. (in Höhe von) 375,36 € brutto. Abzüglich abgerechneter und gezahlter 215,73 € macht dies einen Differenzbetrag i.H.v. 159,63 € brutto. Zinsen folgen aus §§ 286, 288 BGB.

Ein Abzug aus einem etwaig negativen Arbeitszeitkonto ist nicht zu machen. Selbst wenn die Regelungen der Beklagten wirksam wären und der Kläger negative Arbeitszeitsalden zu verantworten hätte, hat die Beklagte das Vorliegen der Voraussetzungen ihrer eigenen Ausgleichsregelungen nicht dargetan (vgl. Arbeitsvertrag, S. 7 „Zeitschulden“) (47). Es kann daher offenbleiben, ob ein Abzug entgegen der Aufrechnungsgrenzen überhaupt zulässig wäre.

II.

Für Februar 2021 stehen dem Kläger jedenfalls die beantragten 57,73 € brutto nebst Zinsen zu, §§ 611, 611a BGB i.V.m. §§ 286, 288 BGB.

E.

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 46 Abs. 2 ArbGG (Arbeitsgerichtsgesetz) i.V.m. §§ 3 ff., 92 ZPO i.V.m. § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG (Gerichtskostengesetz).

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